• Keine Ergebnisse gefunden

Den Menschen stärken. Zum Auftrag katholischer Erwachsenenbildung in Europa

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Den Menschen stärken. Zum Auftrag katholischer Erwachsenenbildung in Europa"

Copied!
5
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

Zum Auftrag katholischer Erwachsenenbildung in Europa

Erika Schuster (23.04.2008)

Die Katholische Erwachsenenbildung in Europa versucht, die menschliche Lebenswelt und moralisch-ethische Dimensionen in die Bildungsarbeit einzuschließen. Ihr Ziel ist es, den Menschen Antworten auf wichtige Fragen der Zeit zu geben, ihre Entwicklung als Person zu stärken und die Gesellschaft gerechter zu machen.

Die politischen, gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, religiösen und personalen Voraus- setzungen katholischer Erwachsenenbildung in Europa sind in den letzten zwei Jahrzehn- ten in elementarer Bewegung und in einem andauernden Wandel begriffen.

Die Zeitdiagnostiker, Soziologen, Gesellschaftsethiker, Theologen, auch Wirtschafts- manager kommen nahezu übereinstimmend zur Ansicht, dass die moralisch erschöpfte Gesellschaft (Johann Baptist Metz) des 21. Jahrhunderts als Antwort darauf vor allem innerhalb und zwischen verschiedenen Lebenswelten leben lernen, Lebenskultur ent- wickeln müsse.

Die Europäische Union reagiert bildungspolitisch auf diese in allen Bereichen des privaten und öffentlichen Lebens spürbaren Phänomene seit dem Lissabonner Vertrag von 2000 durch legislative und finanzielle Maßnahmen mit der Ausschreibung von Projekten.

Was kann katholische Erwachsenenbildung im europäischen Kontext dazu beitragen, den Menschen so zu stärken, dass er sein Leben inmitten von Arbeitslosigkeit, Völker- mord, Demokratiebeschränkung, Gewalt, Terrorbedrohung, Euthanasiefragen, Genma- nipulation, Ressourcenausbeutung, Naturkatastrophen, Hungersnot … zuversichtlich und menschenwürdig leben kann?

1. Dem Menschen ein Mensch sein

Alle Menschen suchen auf ihre Weise nach einem Leben in Fülle, nach Glück. Dieser Anspruch gilt gleichermaßen für beschädigtes Leben. Es gibt keine Normalbiographien, selten lineare Lebensläufe. Vielfältige Lebenskonzepte, Lebensstile und Milieus müssen auch in ihrer Gebrochenheit und Krisenhaftigkeit von der Erwachsenenbildung ernst genommen und kommunizierbar gemacht werden

(2)

2. Zur Gastfreundschaft einladen

Die Sehnsucht nach Heimat prägt sowohl das Leben von Asylantinnen und Asylanten, Migrantinnen und Migranten, von allen, die geistig und räumlich unterwegs sind, als auch das Leben von Einheimischen und Sesshaften. Jeder Aufbruch, jede Herausfor- derung, jede Lebenskrise, jede Reise, jede Konfrontation mit Neuem führt Menschen hinein in die Spannung zwischen Behaustheit und Unbehaustheit. Erwachsenenbildung muss Orte anbieten, an denen Menschen ausruhen und Kraft schöpfen können, wo sie zu sich und zu anderen finden und von wo aus sie mit neuen Erkenntnissen wieder ausgehen können.

3. In Begegnung auf Augenhöhe Nähe und Fremdheit teilen und Identität entwickeln Kultur verstehen lernen verlangt von der Erwachsenenbildung, dass sie in den Zeiten einer immer bunter gemischten Gesellschaft Austauschprozesse und Gemeinschaftser- fahrungen ermöglicht und zur Konfliktfähigkeit und nicht zur Flucht ermuntert. Durch partnerschaftliche Lernvorgänge kann Teilhabe am Reichtum der Kultur, der Tradition und des Glaubens erwirkt und der Vereinzelung, dem Partikularismus, dem Rassismus und dem Fanatismus gegengesteuert werden.

4. Aus den persönlichen und den gemeinschaftlichen Wurzeln Weite und Zukunft gewinnen

Das ungeheure Tempo in den wirtschaftlichen und technologischen Entwicklungen erleiden viele Menschen als Entfremdung. Sie fühlen sich in den globalen Zusammen- hängen von Geld und Macht verloren.

Biographische Zugänge zur individuellen und zur kollektiven Geschichte stabilisieren den Einzelnen und wirken der Geschichtsvergessenheit und der Verlorenheit entgegen.

Auch Europas Zukunft hängt davon ab, wie bewusst lokale und regionale Identitäten reflektiert werden. Jeder Versuch, eine europäische Identität zu entwickeln, scheitert an den unbewältigten und unbearbeiteten persönlichen und lokalen Geschichten.

5. Verlässlich die Stimme für Gerechtigkeit in einer immer bunter werdenden Gesell- schaft erheben

Im komplexen Gebilde unserer Gesellschaft fühlen sich Einzelne oft ausgegrenzt.

Gerade sozial Schwächere sind meist von Informationsflüssen abgeschnitten, weil sie die Zugänge zu Zeitungen, Zeitschriften, Internet aufgrund materieller Defizite, aber auch aufgrund mangelnder Lesefähigkeit nicht nutzen können. Manche wissen

(3)

über ihre Rechte nicht Bescheid oder können ihre Anliegen in der Öffentlichkeit nicht angemessen artikulieren. Im Rahmen von Erwachsenenbildungsinitiativen können Menschen erlernen, sich einzeln und gemeinsam gestaltend einzumischen in die politischen und gesellschaftlichen Vorgänge, sich mit den Armen, Schwachen und Fremden zu solidarisieren und diese zur Selbsthilfe zu ermutigen. Gerechtigkeit und Frieden, Demokratie, Gestaltung der Gesellschaft und europäische Einigung sind nur durch die Beteiligung mündiger Bürgerinnen und Bürger erreichbar.

6. Den natürlichen Lebensraum fördern und nachhaltig gestalten

Ökologisches Denken ist ein Denken in Zusammenhängen, nimmt die Beziehung zwischen den Menschen, der Natur, den Dingen, den Strukturen ernst. Ökologisches Denken setzt genaue Wahrnehmung und sensiblen partnerschaftlichen Umgang mit der Natur voraus, erfordert auch eine Haltung der Demut.

Im Blick auf gegenwärtige und zukünftige Generationen muss Erwachsenenbildung durch Information, Aufklärung und Übung der weltweit schonungslosen Ausbeutung des Menschen und der ökologischen Ressourcen nachhaltig entgegenwirken.

7. Jeden/jede zu seinen/ihren ureigensten Fragen begleiten

Erwachsenenbildungseinrichtungen sollten Orte sein, an denen viel gefragt und we- niger geantwortet wird, wo gelernt wird, offene Fragen auszuhalten. In Zeiten radika- ler Anfragen an die Menschlichkeit durch Bioethik, Humanmedizin, vermeintlicher Ressourcenknappheit... sollen Menschen entscheidungsfähig werden, verschiedene Alternativen zu einem Lösungsweg kennen, zwischen den angebotenen Perspektiven die für sie angemessene und richtige auswählen lernen. Kritische Prüfung, Bewertung und Wahl setzen fragende Menschen voraus.

8. Abschiede leben lernen

In einer Zeit rasend schneller Veränderungsprozesse fällt das Einlassen und das Lassen immer schwerer. Wer erfahren hat, wie vergänglich Beziehungen sind, hat Angst vor dem neuerlichen Schmerz und verzichtet lieber auf zu viel Nähe. Altern, Krankheit, Sterben, Vergänglichkeit und Tod – Prozesse des Wandelns, Abnehmens und des ra- dikalen Endes brauchen in den Bildungsprozessen ihren würdigen Standort und sind nicht Themen zum Beschwichtigen aufgewühlter Seelen.

(4)

9. Zur unverwechselbaren eigenen Sprache finden

Wenn es stimmt, dass die Grenzen der Sprache auch die Grenzen der Welt sind, die einem Menschen zugänglich ist, so muss alle Anstrengung der Erwachsenenbildung dahin gehen, Menschen zu ermuntern, für ihre Wahrnehmungen, ihr Fühlen und ihr Denken ihre ureigenste Sprache zu finden. Das ist ein Gradmesser der Authentizität im Stimmengewirr von Worthülsen und Klischees in der öffentlichen Rede.

10. Kunst und Kultur als Schlüssel zur kreativen Weltgestaltung verstehen

Literatur, Bildende Kunst, Musik, Tanz, Film… öffnen manchmal auf verstörende Wei- se den Blick ins Weite. Sie spiegeln die Nöte der Menschen, lassen in Gegenbildern erkennen, woran gelitten, gereift, aber auch zugrunde gegangen wurde und wird. Sie nehmen oft die seismographische und die prophetische Rolle in unserer Zeit und in unserer Gesellschaft ein. Kunst und Kultur setzen durch die Darstellung alternativer Lebensentwürfe Energien frei, nähren den Möglichkeitssinn und schärfen die kritische Wahrnehmung, die Gabe zu unterscheiden zwischen Sein und Design.

11. Den unzähligen Lebenswelten und Wirklichkeitserfahrungen von Menschen einen konkreten Ort anbieten

Die Virtualität der Medien überwindet die Grenzen von Raum und Zeit, verändert die Vorstellungen von privat und öffentlich, dominiert viele Lebenswelten von Menschen, beeinflusst das Kommunikationsverhalten in der Bahn, auf der Straße, im Beruf, in der Partnerschaft und erzeugt oft Bilder einer Scheinwelt. Die sozialen Lernformen der Erwachsenenbildung bieten die Chance zu realen Begegnungen, zu neuer Verortung und zu einem neuen Umgang mit Zeit.

12. Gebrochene und Gescheiterte trösten

Gebrochenheit, Leid, Schmerz und Sehnsucht nach Heilwerden erfüllen Menschen aller Generationen, Lebenswelten, Bildungsvoraussetzungen. Beim Ringen um eine Lebenshaltung, die trägt, die die Wahrheit ernst nimmt und nicht ausweicht, brauchen Menschen unterstützende Gedanken und Gespräche.

Viele Orte der Erwachsenenbildung können durch ein differenziertes Angebot zu hei- lenden und tröstenden Orten werden.

(5)

13. Den Karren an einen Stern binden

Die nüchterne Realität, die Gesetzmäßigkeiten des menschlichen Lebens und des Zu- sammenlebens anzuerkennen und sich den neuesten Erkenntnissen von Gesellschaft, Wirtschaft, Wissenschaft verpflichtet zu fühlen, ist das eine. Die Lust, grenzüber- schreitende Entwicklungen zu wecken und zu fördern, auszuprobieren, Schnittstellen zwischen Religion, Kirche und den verschiedensten Alltagserfahrungen zu entdecken, Zukunft zu erträumen, das andere. Diese Haltung von erdgebundener Sachlichkeit in Verbindung mit beflügelnder Vision ist aber wesentlich, dass einzelne, Gruppen und Institutionen Zukunft zu gestalten vermögen.

14. Ein Ort in Geistes / Gottes Gegenwart sein

Die katholische Erwachsenenbildung muss die Sehnsucht nach dem Unverfügbaren, das sich jeder Machbarkeit entzieht, in den Menschen wach halten. Ihr Bezug auf den letzten Grund in Gott kann, ohne dass davon gesprochen werden muss, in all ihren Maßnahmen aufleuchten, ob sie von Religion, Theologie oder Kirche handeln oder von Frauenrechten, Hungerkatastrophen, Gewalt im Schulzimmer, Suchtprävention, Kommunikationstrainings.

Katholische Erwachsenenbildung wirkt trotz mancher fester Orte ambulant, nomadisch begleitend, die Bildungsvorgänge ereignen sich auf dem Weg durch die Zeit. Ferment, Sauerteig der Gesellschaft soll katholische Erwachsenenbildung sein, ein Trieb- und ein Geschmacksmittel, wie es für das stärkende Brot des Menschen gebraucht wird.

Die Katholische Erwachsenenbildung in Europa ist in der Europäische Föderation für katholische Erwachsenenbildung, European Federation for Catholic Adult Education (FEECA) mit 11 Mitgliedsorganisationen und gegründet 1963 vertreten. In Deutschland als größtes Mitglied gibt es 750 Bildungseinrichtungen in katholischer Trägerschaft.

Erika Schuster ist Präsidentin der FEECA.

Dieser Text ist der Datenbasis des Grundtvig-Projekts InfoService Adult Education (www.infonet-ae.eu) entnommen.

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Allerdings, so könnte man einwenden, wenn über Musik reden gerade nicht das gleiche ist wie Musik machen oder hören, wenn ein Gesicht beschreiben etwas entschieden anderes ist als

In Hinblick auf die Frage, wie gesundheitsökonomische Evaluationen in diesem Bereich zur Entscheidungsunterstützung genutzt werden können, ist eine zentrale Schlussfolgerung, dass

Die Arbeit der Ärzte ohne Grenzen auf Samos wäre wohl weniger nötig, gäbe es nicht die zahlreichen Konflikte im Nahen und Mittleren Osten – angeheizt auch durch den

Im Rahmen der Befragung der Freiwilligen wird zudem deutlich, dass die geflüchteten Menschen auch über die Patenschaften hin- aus ihre persönlichen Kontakte ausbauen: So geben rund

Und deswegen ist es notwendig, einen anderen Weg zu beschreiben und zu finden.“ Z.57 „Und eine Geschichte daran ist, dass es natürlich auch für Menschen ohne Papiere sind

Das machte zwar Spaß, machte mir aber noch nicht bewusst, wie wichtig dieses Wissen für meine Bemühungen um das Ver- ständnis der psychologischen Unterschiede von Menschen noch

Auch im vergangenen Jahr haben alle Mitarbeitenden der Fliedners Lafim-Diakonie sich hierfür eingesetzt.. Dies geschah und geschieht in diversen Organisatio- nen, Verbänden

Heute ist ganz klar der Trend zu verfolgen, daß die älteren Menschen länger im Arbeitsprozess bleiben wollen, daß sie länger aktiv sein wollen und daß sie dies auch