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Gotteswort und die Welt des Menschen

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Gottes Wort und die Welt des Menschen · Die Heidelberger Fensterentwürfe von Johannes Schreiter

Johannes Schreiters Entwurfszyklus zur Gesamtverglasung der spätgotischen Heidelberger Heiliggeistkirche (1977-1987) gilt als ein Höhepunkt im Schaffen des weltweit geschätzten Künstlers: Als Markstein der neuen Glaskunst gehört er zweifellos „zum bleibenden ästhetischen Erfahrungsschatz des 20. Jahrhunderts“. 1

Die im Detail vollendeten zwölf Entwürfe im Maßstab 1:10 kamen jedoch wegen ihrer Unkonventionalität nie zur Ausführung; das Projekt, gerade durch massiven Widerstand in die breite Öffentlichkeit getragen („Heidelberger Fensterstreit“2), war letztendlich zum Scheitern verurteilt – allein das der Physik gewidmete Glasbild ist als „Probefenster“ für die Kirche 1984 realisiert worden und seitdem dort zu sehen. Andere ausgeführte Arbeiten sind heute z.T. „international bedeutsame Exponate renommierter Sammlungen“. 3

Als Ausweis christlichen Glaubens sind in verschiedensprachigen Textblöcken die Seligpreisungen und das Vaterunser den beiden hohen Chorfenstern zugeordnet. Durch charakteristische Bild-Erfindungen Schreiters, wie den Blutspuren von Golgatha im Sockelbereich der zwei Fenster oder den individuellen Symbolzeichen für zentrale Glaubensinhalte („Biblische Verkehrszeichen“4), wird Gottes Wort akzentuiert und gleichzeitig bekräftigt.

Die Ikonographie der zehn Langhausfenster präsentiert – in Anspielung auf die während der Renaissance in der Kirche beheimatete Bibliotheca Palatina – diverse Schrift- und Notationsformen herausragender Künste, Techniken und Wissensgebiete, welche die Zivilisation der Neuzeit und Moderne prägten. Auf rotem Grund (Rot als liturgische Farbe des Heiligen Geistes) erscheinen die Darstellungen und Dokumente weltlicher Realität als versehrte, fragmentierte Zeugnisse des ambivalenten menschlichen Erfindergeistes. Im Ganzen handelt es sich um ein kunstvoll durchdachtes Bildprogramm von aktueller, höchst komplexer Bedeutung, um eine Bildsprache, die das Wissen unserer heutigen Zeit versinnbildlicht und zugleich radikal in Frage stellt. Man hat dem Künstler denn auch Fortschritts- bzw. Wissenschaftsfeindlichkeit vorgeworfen und sich gefragt, was all dies in einem Gotteshaus zu suchen habe. Angesichts der vom Maler mutig gestellten Sinnfrage in dem für Langen ausgeführten Biologiefenster versteht sich die Antwort von selbst. Jeder Betrachter des Raummodells der DNS-Doppelspirale ist dazu aufgefordert, über die Freiheit des Menschen und über die Chancen und Risiken der Hochtechnologie zu meditieren: „Ist der Mensch mehr als der chemische Code seiner Erbanlagen? Und wie tief dürfen wir weiterhin in die Schöpfung verändernd und berechnend eingreifen?

Brauchen wir wirklich noch mehr Beweise dafür, dass wir keinesfalls dürfen, was wir können?“ 5 – Schreiter: „Mir schwebt in diesen Fenstern nichts eigentlich Lehrhaftes … vor, denn ich will schließlich nicht Wissen, sondern Gewissen hinterlassen.“ 6 Der Künstler hat mit seinem Fensterzyklus ein ausdrucksstarkes, in sich schlüssiges Werk geschaffen, das in seiner Ästhetik und Theologie gegensätzliche Momente reflektiert und ihre offensichtlichen Widersprüche kraftvoll in Szene setzt. Die Spannung zwischen infrage gestellter Realitäten und sich versichernder Glaubensgewissheit ist dabei nicht nur in den Heidelberger Entwürfen gegenwärtig, sondern überhaupt ein Kennzeichen der Kunst von Johannes Schreiter.

Gunther Sehring

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1 Holger Brülls, Sola scriptura, nichts als Text. Schrift/Bild-Konstellation in Glasbildern von Johannes Schreiter, in: das münster 3/2000, S. 265.

Dort detaillierte Beschreibung der einzelnen Entwürfe; s. auch die beispielhaften Interpretationen von Hans Gercke, Gestaltung des Lichts – Schreiters Heidelberger Fensterentwürfe, in: Ausst.-Kat. Johannes Schreiter. Brandcollagen, Zeichnungen, Heidelberger Fensterentwürfe, Hess.

Landesmuseum Darmstadt u. Kunstverein Heidelberg 1987, S. 113-128 und Theo Sundermeier, Aufbruch zum Glauben. Die Botschaft der Glasfenster von Johannes Schreiter, Frankfurt a.M. 2005, S. 57-80.

2 Andreas Mertin, Der Heidelberger Fensterstreit. Ein bürgerliches Trauerspiel in fünf Akten, in: Ders. u. Horst Schwebel (Hrsg.), Kirche und moderne Kunst. Eine aktuelle Dokumentation, Frankfurt a.M. 1988, S. 99-112.

3 Mathias Köhler, Heidelberg. Heiliggeistkirche, (Schnell & Steiner, Kunstführer-Nr. 1184), Regensburg 4 2006, S. 26. Das Medizinfenster wurde 1987 für den Evangelischen Kirchentag in Frankfurt a.M. realisiert. Heute befindet es sich in der Kirche des Elisabethenstifts Darmstadt. Literatur/

Philosophiefenster und Musikfenster sind seit Ende der 90er-Jahre Herzstücke der Sammlungen des Badischen Landesmuseums Karlsruhe und des Deutschen Glasmalerei-Museums Linnich. Ein Duplikat des Physikfensters wurde für das Provincial Museum of Alberta in Edmonton / Kanada ausgeführt.

4 Abbildungen und Erläuterungen einiger dieser piktogrammähnlichen „Verkehrs“-Schilder in: Hans Gercke u. Rainer Volp (Hrsg.), Johannes Schreiter. Glasbilder, Bd. I, Darmstadt 1988, S. 238/239.

5 Johannes Schreiter, Die Genesis der Heidelberger Fensterentwürfe, in: Johannes-Schreiter-Stiftung (Hrsg.), Wortfenster. Johannes Schreiter · Schriften, Bd. I, Regensburg 2008, S. 54.

6 Johannes Schreiter, zit. nach Günter Rombold, Glasfenster als Appell an unser Gewissen. Zu den Entwürfen von Johannes Schreiter für Heidelberg, in: Kunst und Kirche 2/1982, S. 95.

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