Digitale Transformation in den Netzsektoren Aktuelle Entwicklungen
und regulatorische Herausforderungen
Digitale Transformation in den Netzsektoren
Aktuelle Entwicklungen und regulatorische Herausforderungen Kurzfassung Stand: Mai 2017
Bundesnetzagentur für Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post und Eisenbahnen
Aufbaustab Digitalisierung/Vernetzung und Internetplattformen Tulpenfeld 4
53113 Bonn
E-Mail: dv-ipf-postfach@bnetza.de
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1 Hintergrund
Wirtschaft, Gesellschaft, Verwaltung und Politik sind von einem digitalen Transformationsprozesserfasst.
Produkte und Dienstleistungen, Ablauf- und Verfahrensprozesse sowie unternehmerische Strategien und Strukturen werden angepasst oder neu konzipiert. Im Zentrum dieser Entwicklung stehen vor allem die vielfältigen Möglichkeiten der Datenerfassung, -speicherung und -auswertung. Diese sind die grundlegende Vorrausetzung für die Realisierung unternehmensinterner Effizienzen und die Umsetzung innovativer Dienstleistungen und Produkte.
Kern der digitalen Transformation ist nicht mehr nur die digitale Steuerung von Maschinen und beste- henden Prozessen; dies ist schon seit Jahrzehnten möglich. Es geht heute vor allem darum, durch die intelligente digitale VernetzungVerfahrens- und Wertschöpfungsketten und deren Ausrichtung auf den Kunden vollständig neu zu denken und umzusetzen. Die Digitalisierung ermöglicht die fortschreitende Automatisierung und Autonomisierung von Prozessen, die Individualisierung von Dienstleistungen und Produkten und die Flexibilisierung und Fragmentierung von Geschäftsmodellen entlang der gesamten Wertschöpfungskette.
Die Märkte sind durch die Digitalisierung von einem bislang nicht gekannten Ausmaß an Komplexität, Innovationsgeschwindigkeitund Dynamikgeprägt. Die besonderen Merkmale der digitalen Transformation sind vor allem immer kürzere Produktlebenszyklen, niedrige Markteintrittsschranken und damit verbunden eine Vielzahl an neuen Marktakteuren, das Verschwimmen bisheriger Marktgrenzen und die zunehmende Bedeutung datenbasierter(Plattform-) Geschäftsmodelle.
Mit den beschriebenen Veränderungen sind für Unternehmen und Verbraucher neben enormen Chancen und Potenzialenauch neue Herausforderungenverbunden. Diesbezüglich werden in der öffentlichen De- batte insbesondere neue Fragen des Daten- und Verbraucherschutzes sowie die dominante Rolle einzelner Marktakteure diskutiert.
Vor dem Hintergrund dieser vielfältigen und komplexen Entwicklungen werden die digitalen Transforma- tionsprozesse in den von der Bundesnetzagentur regulierten Netzsektorensystematisch dargestellt und analysiert. Das vorliegende Papier zeigt aktuelle Entwicklungen in den Netzsektoren auf und strukturiert die relevanten Fragestellungen mit dem Ziel, sowohl den sektorspezifischen regulatorischen Handlungsbedarf abzuleiten als auch die zunehmend an Bedeutung gewinnenden sektorübergreifenden Fragestellungen aufzuzeigen.
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2 Entwicklungen in den Netzsektoren
Die Digitalisierung führt in den regulierten Netzsektoren zu strukturellen Veränderungen, die maßgeblich durch die jeweiligen sektorspezifischen Rahmenbedingungen beeinflusst werden. Analog zu anderen Wirt- schaftsbereichen ist zu beobachten, dass in allen Netzsektoren digitale datenbasierte Anwendungenent- wickelt und umgesetzt werden, die vielfältige unternehmensinterne Effizienzpotenziale bieten. Darüber hinaus entsteht eine Vielzahl an daten- und plattformbasierten Geschäftsmodellen, Produkten und Dienst- leistungen (beispielsweise Over-The-Top-Dienste, Cloud Services, Hybridpost, Crowd-Logistics oder Smart- Home Anwendungen).
• Gut ausgebaute und flächendeckende Telekommunikationsinfrastrukturen sind die grundlegende Voraussetzung für alle Digitalisierungs- und Vernetzungsprozesse. Der Telekommunikationssektor ist daher der zentrale Enabler für die intelligente Vernetzung von Wirtschaft und Gesellschaft. Aller- dings ist dieser Sektor gleichzeitig einem tiefgreifenden Wandel unterworfen. So hat die umfassende Verbreitung des Internets nicht nur zu einer Konvergenz der Telekommunikationsnetze geführt (ein Übertragungsnetzwerk für alle Dienste), sondern auch neue Marktakteure hervorgebracht, die An- wendungen und auch Kommunikationsdienste ausschließlich über das offene Internet erbringen.
Diese Over-The-Top-Dienste stehen oftmals in einem Konkurrenzverhältnis zu Anbietern klassischer Telekommunikationsdienste.
• Im Postsektorwerden einerseits bestimmte Produkte und Dienstleistungen, wie der klassische Brief, sukzessive durch elektronische Angebote substituiert. Andererseits führt der Boom im Internet- handel, der vor allem über Online-Plattformen angetrieben wird, zu signifikanten Zuwächsen in den nicht lizenzpflichtigen Kurier-, Express- und Paketmärkten. Die zunehmende Digitalisierung der postlogistischen Wertschöpfungskette bietet dabei unterschiedliche Möglichkeiten, Prozesse zu optimieren, Kostensenkungspotenziale zu heben oder völlig neue Geschäftsmodelle, etwa im Bereich der Zustellung, zu entwickeln.
• Auch im Energiesektor spielen Digitalisierungs- und Vernetzungsprozesse eine immer größere Rolle.
Im regulierten Netzbereich wird vermutlich die Optimierung von Prozessen und die Verbesserung bzw. Aufrechterhaltung der Versorgungssicherheit im Vordergrund stehen. Schon heute müssen 1,5 Millionen PV-Anlagen und über 25.000 volatil einspeisende Windanlagen ins Stromnetz integriert werden. Dies ist nur auf Basis intelligenter digitaler Steuerungs- und Betriebsmittel möglich, die auch einen effizienteren Netzbetrieb im Sinne einer höheren Auslastbarkeit der vorhandenen Netze er- lauben können. In den wettbewerblich organisierten Wertschöpfungsstufen bietet die Digitalisierung enorme Potenziale für energiebezogene Geschäftsmodelle (etwa in den Bereichen Direktvermark- tung, Wetter- und EE-Leistungsprognosen, Energieeffizienz, Energiespeicher etc.).
• Im Eisenbahnsektor entstehen durch den digitalen Wandel zahlreiche Möglichkeiten zur Opti- mierung der Wertschöpfungsprozesse und der Wettbewerbsfähigkeit. Intelligente Anwendungen können auf der Netz-, der Betriebs- und der Endverbraucherebene eingesetzt werden. Beispielsweise ermöglichen multimodale Mobilitätsdienste eine smarte Vernetzung unterschiedlicher Verkehrs- träger für den Fahrgast. Zugleich gewinnen vorausschauende Wartungs- und Instandhaltungs- konzepte sowie vernetzte Güterlogistikkonzepte zunehmend an Bedeutung. Moderne Sensor- und Signaltechnik ist in der Lage, die Zuverlässigkeit und Kapazität des bestehenden Netzes zu erhöhen.
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3 Handlungsempfehlungen
Sektorspezifischer regulatorischer Anpassungsbedarf
In den einzelnen Sektoren bilden im digitalen Zeitalter physische Netzinfrastrukturendie Grundlage für die Entwicklung und Bereitstellung innovativer Produkte und Dienste. Die Durchsetzung der Regulierungsziele bleibt damit auch im digitalen Zeitalter unverändert wichtig. Hierzu zählen die Versorgung mit hochleis- tungsfähigen, sicher verfügbaren Netzinfrastrukturen, der Verbraucherschutzsowie die Sicherung eines chancengleichen Wettbewerbs. Allerdings können die dynamischen Veränderungen in den einzelnen Netzsektoren einen regulatorischen Anpassungsbedarf erforderlich machen. Bereits heute erkennbar ist:
• Im Telekommunikationssektorist ein wesentlicher Aspekt die Schaffung fairer Wettbewerbs- bedingungen zwischen klassischen und neuen Telekommunikationsdiensten. Um den weiteren marktgetriebenen Ausbau hochleistungsfähiger Telekommunikationsinfrastrukturen regulatorisch zu fördern, kommt außerdem (ohne der Frage des „Ob“ einer sektorspezifischen Regulierung vorzu- greifen) einer Flexibilisierung der Entgeltregulierung sowie der Bereitstellung von Ressourcen eine hohe Bedeutung zu.
• Im Postsektorerfordern die digitalen Veränderungen eine Intensivierung der Marktbeobachtung.
Insbesondere das Handeln neuer Marktteilnehmer muss adäquat erfasst und bewertet werden können. Hieraus ergeben sich zudem neue Herausforderungen für die Abgrenzung der Märkte.
Außerdem sollten digitale Veränderungen die sich auf die Kostensituation auswirken im Rahmen der Entgeltverfahren stärkere Berücksichtigung finden. Ein funktionierendes und zukunftsfähiges Universaldienstregime sollte ebenfalls an die veränderten technischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen angepasst werden.
• Im Energiesektorbleiben die Entflechtungsvorgaben gerade im digitalen Zeitalter von hoher Be- deutung. Die Digitalisierung erfordert außerdem ein erneutes Nachdenken über eine technologie- neutrale Regulierung, die effiziente Lösungen honoriert. Eine zukünftige Aufgabe der Energie- regulierung wird es außerdem sein, Anreize für Kooperationsmodelle zwischen Netzbetreibern zu setzen, da die Digitalisierung erhebliche Investitionen in die IT-Infrastruktur erfordert, die ins- besondere kleinere Netzbetreiber vermutlich nicht alleine stemmen können.
• Dem Eisenbahnsektorbietet der digitale Wandel die Chance, seine Position im intermodalen Wettbewerb mit anderen Verkehrsträgern zu stärken. Zusätzlich kann die Digitalisierung den intramodalen Wettbewerb fördern. Hierzu ist es jedoch notwendig, dass allen Marktteilnehmern gleichermaßen die vielfältigen Potenziale der Digitalisierung offenstehen.
Sektorübergreifende Herausforderungen
Darüber hinaus ergeben sich in allen regulierten Netzsektoren gemeinsame neue regulatorische Frage- stellungen. Im Kern der Betrachtung stehen vor allem die sich verbreitenden datengetriebenen Geschäfts- modelle. Insbesondere der Zugang zur Kundenschnittstelle und damit die Hoheit über die Daten werden in diesem Zusammenhang mehr und mehr zu einem wesentlichen Wettbewerbsfaktor. Es muss verhindert werden, dass Unternehmen einen selektiven und wettbewerbsverzerrenden Informationsvorsprung durch einen exklusiven Zugang zu Daten aus den physischen Netzinfrastrukturen erzielen können. Weitergehend ist
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zu diskutieren, wie der potenzielle ökonomische Mehrwert von Datenin den Netzsektoren durch geeignete regulatorische Rahmenbedingungennutzbar gemacht werden kann.
In den Netzsektoren ist außerdem ein Trend zur Etablierung neuer sektorübergreifender Geschäftsmodelle zu beobachten. Durch die neuen Möglichkeiten der Digitalisierung und Vernetzung scheint ein Aufbrechen traditioneller Markt- und Sektorstrukturen möglich, woraus ein Paradigmenwechsel in den Netzsektoren folgen kann. Im Mittelpunkt dieser Geschäftsmodelle steht die datenbasierte Verknüpfung von vormals ge- trennten Gütern und Dienstleistungen in ein komplexes Wertschöpfungsnetzwerk. Eine Kernkompetenz für Unternehmen ist es dabei, die Verteilung sowohl von physischen Gütern, als auch von Informationen oder Energie in Netzwerken als Ganzes effizient zu beherrschen.
Um die beschriebenen, äußerst dynamischen Entwicklungen adäquat erfassen und bewerten zu können, ist es angeraten, die Marktbeobachtungskompetenzen flexibel anzupassenund zielorientiert auszudehnen. Für die Bundesnetzagentur ist es entscheidend, dass sie alle als relevant einzustufenden Anbieter(-gruppen) zur Auskunft verpflichten kann. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Regulierungsziele in den Netzsektoren durch die dynamischen Marktveränderungen berührt werden. Falls erforderlich, sollten die Marktbeobach- tungskompetenzen unmittelbar vor- und nachgelagerte Märkte und möglicherweise auch angrenzende Märkte anderer Sektoren umfassen.
Unmittelbar verbunden mit den neuen datengetriebenen und häufig sektorübergreifenden Geschäfts- modellen sind Fragen des Daten- und Verbraucherschutzes, der IT-Sicherheitsowie der Interoperabilität und Standardisierung. Verbraucher können von einer Vielzahl an innovativen digitalen Diensten profitieren.
Zugleich erlaubt die massenhafte Erfassung, Verknüpfung und Auswertung personenbezogener Daten aber auch immer detailliertere Einblicke in das Verhalten, die Gewohnheiten und die Präferenzen der Verbraucher.
Der Schutz personenbezogener Datenerhält in der digitalen Ökonomie deshalb eine immer größere Bedeutung. Es besteht insbesondere die Herausforderung, einen Ausgleich zwischen der Datensouveränität der Verbraucher einerseits und der Innovationswirkung datenbasierter Geschäftsmodelle andererseits zu finden. Darüber hinaus ist die IT-Sicherheit ein entscheidender Erfolgsfaktorder Digitalisierung. Unter- nehmen und Verbraucher nutzen nur dann innovative digitale Anwendungen, wenn sichergestellt ist, dass sie zuverlässig und störungsfrei funktionieren und Daten vor unberechtigten Zugriffen und vor Missbrauch ausreichend geschützt sind. Schließlich ist die Förderung von offenen Standards und Interoperabilität anzustreben, um einen fairen und chancengleichen Wettbewerb für alle Beteiligten zu ermöglichen.
Eine integrierte Betrachtung, Bewertungund Beaufsichtigungder beschriebenen Themenbereiche setzt insbesondere fundierte, sektorspezifische Fachkenntnisse voraus, erfordert aber gleichzeitig immer stärker eine sektorübergreifende Einordnung der Entwicklungen. Diese zunehmende Komplexität hinsichtlich des digitalen Transformationsprozesses verlangt daher zusätzlich eine verstärkte Kooperationaller zuständigen Behörden. Angesichts der engen Verzahnung der vielfältigen digitalen Entwicklungen ist ein Ordnungs- rahmenerforderlich, der sicherstellt, dass sich Regulierungs- und Wettbewerbsrecht sowie Verbraucher- und Datenschutzrecht sinnvoll ergänzen.