medgen 2010 · 22:351–362 DOI 10.1007/s11825-010-0236-x Online publiziert: 29. August 2010
© Springer-Verlag 2010
O. Rieß · H. Graessner
Behandlungs- und Forschungszentrum für Seltene Erkrankungen (ZSE-Tübingen), Universitätsklinikum Tübingen
Behandlungs- und
Forschungszentrum für Seltene Erkrankungen Tübingen
Humangenetische Einrichtungen
Patienten mit seltenen Erkrankungen soll- ten von unserem Gesundheitswesen mehr Aufmerksamkeit erwarten: In der Summe sind die bis zu 8000 bekannten seltenen Erkrankungen sehr häufig! In Deutsch- land leben etwa 3 Mio. Patienten mit sel- tenen Erkrankungen!
Unsere Mission ist:
F den Patienten eine optimale Betreu- ung durch interdisziplinäre Spezialis- tenteams zu gewährleisten,
F die Forschung noch stärker zu bün- deln, um einen schnellen Wissens- transfer in die klinische Anwendung und eine unmittelbare Einbeziehung von Patienten in frühe Therapiestu- dien zu ermöglichen,
F die Öffentlichkeit auf die Besonder- heiten seltener Erkrankungen auf- merksam zu machen und eine kons- tante Weiterbildung behandelnder Ärzte zu gewährleisten,
F unsere sichtbare klinische und wis- senschaftliche Kompetenz im Sinne der Patienten noch weiter zu stärken.
Ziele des ZSE-Tübingen
In Tübingen ist am 21. Januar 2010 das bundesweit erste Behandlungs- und For- schungszentrum für Patienten mit sel- tenen Erkrankungen (SE) etabliert wor- den. Als „selten“ gilt eine Erkrankung dann, wenn im Durchschnitt weniger als 1 von 2000 Personen daran erkrankt ist.
Mehr als 8000 Erkrankungen, so wird
gegenwärtig geschätzt, gelten als selten.
In Deutschland leben etwa 3 Mio. Pati- enten mit seltenen Erkrankungen. Bis zu 80% der Erkrankungen gelten als gene- tisch (mit)bedingt und deuten klar auf die besondere Verantwortung der Hu- mangenetik bei der Betreuung dieser Pa- tienten. Andererseits handelt es sich bei der überwiegenden Zahl der SE um kom- plexe Erkrankungen, die oftmals mehre- re Organsysteme betreffen. Dies erfor- dert eine starke interdisziplinäre Betreu- ung von Spezialisten mehrerer Fachdis- ziplinen. Diese Kompetenz in ihrer ganz- heitlichen Betrachtung kann i. d. R. nur von Universitätsklinika (. Abb. 1, 2, 3) geleistet werden.
Das Interesse der am ZSE-Tübingen be- teiligten Ärzte, Pflegekräfte und Patienten ist es, mit einem Netz von Zentren mit unterschiedlichen krankheitsorientierten und wissenschaftlichen Ausrichtungen ei- ne optimale und auf dem neuesten Stand der Erkenntnisse basierende Betreuung von Patienten mit seltenen Erkrankungen zu ermöglichen. Damit wollen wir Quali- tätsstandards in Bezug auf interdisziplinäre Versorgungskonzepte setzen. Das ZSE-Tü- bingen strebt dabei an, dass auch ein Pati- ent mit einer seltenen Erkrankung zu je- der Zeit Zugang zu einer wissenschaftlich fundierten Diagnostik, Therapie, Beratung und Betreuung hat.
Mit diesem Anspruch wurden mehre- re Spezialzentren gebildet, wie das „Zen-
trum für Seltene neurologische Erkran- kungen und Entwicklungsstörungen“
(ZSNE), das „Interdisziplinäre Muko- viszidose-Zentrum Tübingen-Stuttgart“
(IMZTS), das „Zentrum für Seltene Au- generkrankungen“ (ZSA), ein „Zentrum für Seltene Hauterkrankungen“ (ZSH), ein Zentrum für „Seltene kongenita- le Infektionserkrankungen“ (ZSKI) so- wie ein „Zentrum für Seltene genita- le Fehlbildungen der Frau“ (ZSGF). Ein bereits bestehendes „Zentrum für kind- liche Fehlbildungen im Kiefer- und Ge- sichtsbereich“ (ZKFKG) wurde eingeglie- dert und seit der ZSE-Gründung ein wei- teres „Zentrum für Neurofibromatosen“
(ZNF) gebildet. Weitere Spezialzentren sind im Aufbau.
Abb. 1 8 Logo der Eberhart-Karls-Universität
Abb. 2 8 Logo des Universitätsklinikums Tübingen
Die Struktur des ZSE-Tübingen ist da- mit richtungweisend für die Schaffung weiterer Zentren in Baden-Württemberg und anderen Bundesländern in Deutsch- land. Gegenwärtig (Ende Juli 2010) exis- tieren in Baden-Württemberg 2 Zentren für seltene Erkrankungen: in Freiburg und Tübingen. Neue Zentren sind derzeit in Heidelberg und Ulm in Gründung.
Auf Bundesebene hat das Gebiet der seltenen Erkrankungen mit der Bildung des „Nationalen Aktionsbündnisses für Menschen mit Seltenen Erkrankungen“
(NAMSE) eine Integration aller wesent- lichen Interessengruppen erfahren, wel- che bis 2013 in die Erarbeitung eines na- tionalen Aktionsplans für seltene Erkran- kungen münden soll.
Durch die anvisierte Gründung von Zentren für Seltene Erkrankungen in Deutschland werden Forschung und Pa- tientenbetreuung besser sichtbar. So soll internationalen Partnern, sei es auf aka- demischer oder pharmazeutischer Seite, die Suche nach einem direkten Ansprech- partner für wissenschaftliche Kollabora- tionen oder Therapiestudien erleichtert werden. Durch das BMBF wird die Wis- senschaftsverbundforschung einiger aus-
gewählter seltener Erkrankungen geför- dert. In Ergänzung dazu muss es das Ziel sein, eine Patientenversorgungsstruktur in hochspezialisierten Zentren nachhal- tig aufzubauen. Die dafür notwendigen Vergütungskonzepte bei der ambulanten, stationären und rehabilitativen Betreuung von Patienten mit seltenen Erkrankungen müssen angepasst werden.
Therapie
Das ZSE-Tübingen beabsichtigt, die Zu- sammenarbeit der beteiligten Kliniken und Institute so zu organisieren, dass ei- ne hochwertige Diagnose und Behand- lung von seltenen Erkrankungen garan- tiert werden können. Es strebt die Defi- nition von Standards der Diagnostik und Therapie von seltenen Erkrankungen an und fördert Behandlungs- und Therapie- studien.
Forschung
Das ZSE-Tübingen beabsichtigt eine Ver- besserung der Grundlagenforschung und der angewandten Forschung auf dem Ge- biet der seltenen Erkrankungen. Es för-
dert die wissenschaftliche Erhebung und Auswertung von klinischen Daten durch den Aufbau eines Registers für seltene Er- krankungen und durch die Etablierung ei- ner zentralen Biomaterialbank. Das ZSE- Tübingen betreibt aktiv die Vernetzung mit anderen nationalen und internatio- nalen Zentren und Gruppen.
Lehre/Ausbildung
Das ZSE-Tübingen fördert die Aus-, Wei- ter- und Fortbildung auf dem Gebiet der seltenen Erkrankungen bei Studierenden, Pflegepersonal und Ärzten der Universi- tät Tübingen und darüber hinaus bei der Ärzteschaft der Region und baut langfris- tig einen telemedizinischen Informations- service auf.
Öffentlichkeitsarbeit
Das ZSE-Tübingen arbeitet mit Patienten- und Interessengruppen sowie den Fach- gesellschaften eng zusammen und strebt eine Sensibilisierung der Öffentlichkeit und des Gesetzgebers für seltene Erkran- kungen an.
Vorstand des ZSE-Tübingen
Sprecher: Prof. Olaf Riess, Direktor der Abteilung für Medizinische Genetik, E-Mail: olaf.riess@zse-tuebingen.de (. Abb. 4).Stellvertretender Sprecher: Prof. Ludger Schöls, Leiter der Sektion Klinische Neuro- genetik. Zentrum für Neurologie und Hertie-Institut für Klinische Hirnfor- schung, E-Mail: ludger.schoels@zse- tuebingen.de (. Abb. 5).
Geschäftsführer: Dr. Holm Graessner, Abteilung für Medizinische Genetik, E-Mail: holm.graessner@zse-tuebingen.de (. Abb. 6).
Spezialzentren
Im ZSE-Tübingen gibt es eine Reihe von Spezialzentren, die sich mit bestimmten seltenen Erkrankungen beschäftigen. Die folgenden Zentren arbeiten bereits bzw.
sind unmittelbar im Gründungsprozess.
F Zentrum für Seltene neurologische Erkrankungen und Entwicklungsstö- rungen (ZSNE),
Abb. 3 8 Struktur des ZSE-Tübingen
F Interdisziplinäres Mukoviszidose- Zentrum Tübingen-Stuttgart (IMZTS),
F Zentrum für Seltene Augenerkran- kungen (ZSA),
F Zentrum für Seltene Hauterkran- kungen (ZSH),
F Zentrum für Seltene kongenitale Infektionserkrankungen (ZSKI), F Zentrum für Seltene genitale Fehlbil-
dungen der Frau (ZSGF).
Weitere Spezialzentren sind in Planung.
Zentrum für seltene neurologische Erkrankungen und Entwicklungs- störungen (ZSNE)
Sprecher: Prof. Dr. Ludger Schöls, E-Mail: ZSNE@zse-tuebingen.de.
Ataxien
Ataxien sind Erkrankungen, die durch Gangunsicherheit, Feinmotorikstörung, verwaschenes Sprechen und Augenbe- wegungsstörungen gekennzeichnet sind (. Abb. 7, 8). Die interdisziplinäre Be- handlung der Patienten wird durch ein Team aus Neurologen, Neuropädiatern, Genetikern und Physiotherapeuten ga- rantiert und umfasst im Einzelnen fol- gende Punkte:
F Ataxieambulanzen in der Neurologie und der Neuropädiatrie,
F genetische Diagnostik und Beratung in der Medizinischen Genetik, F symptomorientierte Therapie und
Beratung, und
F spezifische Physiotherapie für Ataxie (. Abb. 7).
Die Forschung erfolgt in nationalen und internationalen Verbünden und richtet sich auf die
F Aufklärung der genetischen Ursachen der Ataxien,
F Untersuchung der Pathogenese der Polyglutaminerkrankungen und F Erforschung des klinischen Verlaufs, F Etablierung und Charakterisierung
von Tiermodellen sowie F präklinische Therapiestudien.
Insbesondere erforschen wir auch Ata- xien mit DNA-Reparaturschäden und
mitochondrial bedingte Ataxien. Medika- mentöse Therapiestudien werden in inter- nationalen Verbünden durchgeführt.
Leukodystrophien
Als eine Leukodystrophie wird eine Grup- pe genetisch bedingter Stoffwechselkrank- heiten bezeichnet, die eine fortschreiten- de Degeneration der weißen Substanz des Nervensystems bewirken. Die interdiszip- linäre Behandlung der Patienten mit Leu- kodystrophie erfolgt durch ein Team aus Neurologen, Neuropädiatern, Geneti- kern, Physiotherapeuten, Sozialarbeitern und ggf. weiteren Experten. Sie umfasst im Einzelnen
F Spezialsprechstunden in der Neurolo- gie und Neuropädiatrie,
F neurometabolische und genetische Diagnostik,
F neuroradiologische Diagnostik (. Abb. 9) sowie
F symptomorientierte Therapie und Beratung.
Die Forschung richtet sich auf folgende Themen:
F das Erfassen des natürlichen Verlaufs der metachromatischen Leukodystro- phie und des M. Krabbe und
F den Einfluss der Stammzelltransplan- tation auf den Erkrankungsverlauf.
F Zusätzlich führen wir Enzymersatz- therapiestudien durch.
Spastische Spinalparalyse (HSP)
Spastische Spinalparalysen sind eine Gruppe hereditärer degenerativer Er- krankungen des ersten Motoneurons, die zu einer schleichend progredienten Gangstörung durch eine Spastik und Schwäche der Beine führen. Durch ein Team, das Neurologen, Neuropädiater und Genetiker umfasst, erfolgt die interdisziplinäre Behandlung der Pati- enten mit spastischer Spinalparalyse und setzt sich aus folgenden Komponenten zusammen:F Spezialambulanz für spastische Spinalparalysen in der Neurologie, F genetische Diagnostik und Beratung
in der Medizinischen Genetik, F symptomorientierte Therapie und Be-
ratung sowie Botulinumtoxintherapie und intrathekale Pumpentherapie.
Zusammenfassung · Abstract
medgen 2010 · 22:351–362 DOI 10.1007/s11825-010-0236-x
© Springer-Verlag 2010 O. Rieß · H. Graessner
Behandlungs- und
Forschungszentrum für Seltene Erkrankungen Tübingen
Zusammenfassung
Das bundesweit erste Behandlungs- und Forschungszentrum für Patienten mit seltenen Erkrankungen (SE) ist in Tübingen eröffnet worden. Eine Erkrankung gilt als
„selten“, wenn durchschnittlich weniger als 1 von 2000 Personen daran erkrankt ist. In Deutschland leben etwa 3 Mio. Patienten mit SE. Bis zu 80% der SE sind nach derzei- tigem Kenntnisstand genetisch (mit)bedingt.
Daher sind Humangenetiker bei der Betreu- ung dieser Patienten gefordert. Bei der Mehr- heit der SE handelt es sich um komplexe Erkrankungen mit Befall mehrerer Organsys- teme. Dies erfordert eine intensive interdis- ziplinäre Betreuung, die in der Regel nur von Universitätsklinika geleistet werden kann.
Schlüsselwörter
Seltene Krankheiten · Seltene Erkrankungen · Interdisziplinäre Versorgung ·
Patientenbetreuung · Forschung
Treatment and research center for rare diseases in Tübingen
Abstract
The first German national treatment and research center for patients with rare disease has been opened in Tübingen. A disease is considered “rare” when it averagely affects less than one in 2000 persons. Approximately 3 million patients live with rare diseases in Germany. According to current knowledge, up to 80% of rare diseases have at least some genetic association. Thus the care of these patients is particularly challenging for human geneticists. The majority of rare diseases are complex disorders affecting more than one organ system. This requires intensive inter- disciplinary treatment, which can usually only be provided in university clinics.
Keywords
Rare diseases · Orphan diseases · Interdisciplinary treatment · Patient care · Research
F Wir kooperieren eng mit den deut- schen Selbsthilfegruppen.
In der Forschung konzentrieren wir uns aufF die Untersuchung des natürlichen
Erkrankungsverlaufs,
F die Entwicklung von Progressions- markern (Elektrophysiologie, MRT) F unddie Aufklärung der genetischen Ursa-
chen der spastischen Spinalparalysen.
F Hochdurchsatzsequenzierung, axonale Transportstörungen und Tiermodelle sind weitere wichtige Themen unsererForschung, um Therapieoptionen zu entwickeln.
Syndromale
Entwicklungsstörungen
Angeborene Entwicklungsstörungen, welche mit großen Fehlbildungen oder kleinen morphologischen Auffällig- keiten einhergehen, werden in der Grup- pe der syndromalen Entwicklungsstö- rungen zusammengefasst. Auch unter Kindern mit Entwicklungsstörungen sind Patienten mit multiplen Minora- nomalien selten, die Zahl der über den Phänotyp definierten Syndrome ist je- doch immens.
Die interdisziplinäre Behandlung der Patienten mit Entwicklungsstörungen und deren Familien erfolgt durch ein Team aus spezialisierten Neuropädia- tern und klinischen Genetikern sowie ggf. weiteren Experten. Sie umfasst u. a.
die entwicklungsneurologische Diagnos- tik am Sozialpädiatrischen Zentrum so- wie eine spezielle Syndromsprechstun- de in der Medizinischen Genetik. Kli- nische und genetische Untersuchungen bei syndromalen Erkrankungen und geistige Entwicklungsstörungen erfolgen nach einem individuell angepassten Stu- fenplan.
Unsere Forschung richtet sich auf die Abklärung der genetischen Ursachen der geistigen Entwicklungsstörung. Schwer- punkte sind
F die Charakterisierung von Phänotypen, F die Aufklärung genetischer Ursachen seltener Syndrome, u. a. durch hoch- auflösende molekulare Karyotypisie- rung und „next generation sequencing“.
Choreatische Bewegungsstörungen
Unter choreatischen Bewegungen ver- steht man unwillkürliche, unregelmäßige, schnelle, kurzzeitige Muskelkontrakti- onen mit Bewegungseffekt. Ein Team von Neurologen, Psychologen, Neuroradiolo- gen und Humangenetikern betreut Pati- enten und Angehörige beiF klinischer und molekulargenetischer Diagnose,
F koordiniert Therapiestudien in Zusammenarbeit mit der EURO-HD, F organisiert die psychosoziale Unter-
stützung für Betroffene,
F bietet prädiktive genetische Testung für Risikopersonen an.
Die Forschung umfasst insbesondere Pa- thogenesestudien, präklinische Thera- piestudien und die Analyse modifizie- render genetischer Faktoren. Für die Ent- wicklung von Therapieoptionen haben wir weltweit einmalige Tiermodelle ge- neriert, darunter die einzigen transgenen Rattenmodelle für Chorea Huntington, und fungieren als präklinisches Thera- piezentrum für CHDI und die pharma- zeutische Industrie.
Interdisziplinäres Mukoviszidose-Zentrum Tübingen-Stuttgart (IMZTS)
Sprecher: Prof. Dr. Gerd Döring, E-Mail: IMZTS@zse-tuebingen.de (. Abb. 10).Beteiligte Kliniken und Abteilungen
F Klinik für Kinder- und Jugendmedizin, F Klinik Schillerhöhe, Robert-Bosch-Krankenhaus GmbH, Stuttgart, F Interfakultatives Institut für Mikro-
biologie und Infektionsmedizin, F Institut für Humangenetik, Abteilung
für Medizinische Genetik, F Zentrum für Klinische Studien.
Mukoviszidose
Mukoviszidose (lat. „mucus“: Schleim,
„viscidus“: zäh, klebrig) oder zystische Fi- brose (engl. „cystic fibrosis“, CF) ist ei- ne genetisch bedingte, autosomal-rezes- sive angeborene Stoffwechselerkrankung.
Bei Menschen mit dieser Erkrankung ist durch die Fehlfunktion von Chloridka- nälen die Zusammensetzung aller Sekrete exokriner Drüsen verändert.
Die altersgerechte interdisziplinäre Be- handlung erfolgt in der Kinderklinik des UKT und der Klinik Schillerhöhe durch Pädiater, Pneumologen, Humangeneti- ker, klinische Mikrobiologen, Mitarbei- ter des psychosozialen Dienstes, Physio- therapeuten, Psychologen, Diätassisten- Abb. 4 8 Sprecher:
Prof. Olaf Riess,
Direktor der Abteilung für Medizinische Genetik
Abb. 5 8 Stellvertretender Sprecher: Prof. Ludger Schöls, Leiter der Sektion
Klinische Neurogenetik
Abb. 6 8 Geschäftsführer:
Dr. Holm Graessner, Abteilung für Medizinische Genetik
ten, Sporttherapeuten und einen spezia- lisierten Pflegedienst.
Forschung wird auf dem Gebiet bak- terieller Lungeninfektionen und chro- nischer Entzündungszustände durch- geführt. Im IMZTS werden die Grund- lagenforschung und die klinische For- schung auf dem Gebiet der Mukoviszi- dose auf pulmonale Probleme fokussiert – mit dem Ziel der Prävention bakteriel- ler Lungeninfektionen und chronischer Entzündungszustände. Klinische Studi- en in der größten Mukoviszidose-Ambu- lanz Baden-Württembergs ermöglichen eine zeitnahe Umsetzung neuer Thera- piekonzepte.
Zentrum für Seltene Augenerkrankungen (ZSA)
Sprecherin: Frau PD Dr. Dorothea Besch E-Mail: zsa@zse-tuebingen.de
(. Abb. 11).
Beteiligte Kliniken und Abteilungen
F Universitäts-Augenklinik,
F Forschungsinstitut für Augenheilkunde, F Universitätsklinik für Hals-, Nasen-
und Ohrenheilkunde,
F Institut für Humangenetik, Abteilung für Medizinische Genetik,
F Klinik für Kinder- und Jugendmedizin, F Zentrum für Neurologie,
F Universitätsklinik für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde (ZMK).
Seltene Erkrankungen bzw. Erkrankungsgruppen
F Erbliche Netzhauterkrankungen, F Zapfendystrophien und Zapfen-Stäbchen-Dystrophien, F Usher-Syndrom,
F Stargardt-Makuladegeneration, F beidseitige Optikusatrophien, F seltene Glaukomerkrankungen.
Erbliche Netzhautdegenerationen
Die häufigste Erblindungsursache junger Erwachsener sind erbliche Netzhautdege- nerationen, wie z. B. Retinitis pigmentosa (RP; . Abb. 12, 13). Bisher wurden über 190 verschiedene Gene identifiziert, de- ren Mutationen für die unterschiedlichenAbb. 7 7 Spezifische Physiotherapie bei einer Ataxiepatientin
Abb. 8 7 Bildgebung mit Kleinhirnatrophie bei einem Patienten mit spinozerebel-
lärer Ataxie Typ 3 (SCA3)
Abb. 9 7 Bildgebung des Gehirns bei einem Patienten mit Leukodystrophie und typischen Veränderungen der weißen Hirnsubstanz
Formen von erblichen Netzhauterkran- kungen verantwortlich sind.
Eine spezialisierte Klinik für Patienten mit erblichen Netzhauterkrankungen wurde von Prof. Zrenner 1989 mit dem Ziel ein- geführt,
F bei der Suche nach den ursächlichen Genen dieser Erkrankungen zu helfen, F neue Methoden der Funktionsdiag-
nostik zu entwickeln und
F Patienten eine eingehende Beratung anzubieten.
Die interdisziplinäre Behandlung erfolgt in enger Zusammenarbeit mit dem Human- genetischen Institut in Tübingen und um- fasst
F klinische Diagnostik, F Funktionsdiagnostik, F klinische Charakterisierung,
F Selektion von Patienten für Therapie- maßnahmen sowie
F molekulargenetische Genotypisierung.
Funktionsuntersuchung. Ziel der kli- nischen Untersuchung bei degenerativen Netzhauterkrankungen ist es, die Funkti- on verschiedener visueller Übertragungs- wege mit Methoden der
F Psychophysik, F Elektrophysiologie und F Bildgebung
im Hinblick auf die Differenzierung zwi- schen den Krankheitsformen zu analy- sieren und das Verständnis über die pa- thologischen Mechanismen zu erweitern.
Die interdisziplinäre Behandlung der Pa- tienten umfasst die Autofluoreszenz, die OCT („optical coherence tomography“), die skotopische Elektroretinographie (ERG), die photopische ERG, die multi- fokale ERG, die Elektrookulographie, die kinetische und statische Gesichtsfeldun- tersuchung, die Ableitung von visuell evo- zierten Potenzialen und die Pupillogra- phie (. Abb. 14).
Die eng mit der Klinik verzahnte For- schung im Bereich erblicher Netzhauter- krankungen umfasst
F Entwicklung neuer Therapiestrategien (Gentherapie, Neuroprotektion, Elektrostimulation und Chipimplan- tate für blinde Patienten),
F Entwicklung neuer klinischer Unter- suchungsmethoden,
F Identifizierung neuer Genorte und Gene,
F Entwicklung und Untersuchungen transgener Mausmodelle für Human- erkrankungen.
Unsere Forschung in diesem Bereich wird seit 2005 von der Deutschen Forschungs- gemeinschaft unterstützt und seit 2008 mit dem HOPE-Projekt für seltene Er- krankungen vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert (http://www.rd-hope.de). Das ermöglicht die Entwicklung eines großen Koopera- tionsnetzes mit anderen RP-Kliniken und molekulargenetischen Instituten.
Rehabilitation. Die interdisziplinäre be- rufliche Rehabilitation der Patienten um- fasst
F Beratung: Abklärung der schulischen und beruflichen Eignung und Beur- teilung des Grades der Behinderung, F Rehabilitation: optimale Versorgung und Training zur Handhabung des Hilfsmittels und computergestütztes spezifisches Lesetraining.
F Unsere Forschung im Bereich der Re- habilitation Sehbehinderter umfasst die Entwicklung weiterer Trainings- methoden zur
1 Optimierung der Lesefähigkeit und 1 Verbesserung der Orientierung.
Seltene Formen von Schwerhörigkeit
Die interdisziplinäre Diagnostik und Be- handlung der Patienten mit seltenen For- men von Schwerhörigkeit (Usher-Syn- drom) wird durch ein Team aus Ophtahl- mologen, HNO-Ärzten und Genetikern garantiert und umfasst
F klinische Diagnostik, F klinische Charakterisierung,
F Selektion von Patienten für Therapie- maßnahmen (implantierbare Hörge- räte, Cochlear implant),
F molekulargenetische Genotypisierung F undAutoimmuntestung.
In der Forschung konzentrieren wir uns auf die
F Entwicklung neuer klinischer Unter- suchungsmethoden,
F Identifizierung neuer Genorte, Gene, Antigene,
F Entwicklung und Untersuchungen transgener Mausmodelle,
F Entwicklung molekularer Therapie- strategien (Gentherapie) sowie F Entwicklung pharmakologischer The-
rapiestrategien (Neuroprotektion).
Angeborene/erbliche Optikusveränderungen
Die interdisziplinäre Diagnostik und Be- handlung umfasst
F klinische Diagnostik, F klinische Charakterisierung,
F Identifizierung von „Plus-Symptoma- tik“,
F Untersuchung von Patienten mit
„Overlap-Syndromen“ sowie F molekulargenetische Genotypisie-
rung.
Die Forschung umfasst
F Definition von Standards der inter- disziplinären Diagnostik von beid- seitigen angeborenen/erblichen Optikusatrophien,
F Identifizierung neuer Mutationen, F Entwicklung symptombezogener
Behandlungsstrategien.
Seltene Glaukomformen
Zu den seltenen Glaukomformen gehören das kongenitale Glaukom und das Axen- feld-Rieger-Syndrom (. Abb. 15, 16).
Abb. 10 8 Sprecher:
Prof. Dr. Gerd Döring
Abb. 11 8 Sprecherin:
Frau PD Dr. Dorothea Besch
Ein Team aus Ophthalmologen, HNO- Ärzten, Kinderärzten und Zahnärzten gewährleistet die interdisziplinäre Behand- lung der Patienten und umfasst die F klinische Diagnostik (disziplinen-
übergreifend) und
F genetische Diagnostik (v. a. im Hin- blick auf genetische Beratung).
Unsere Forschung konzentriert sich auf dieF Erfassung des Mutationsspektrums
bekannter Gene,
F Aufklärung des genetischen Risikos (Erbgänge, Penetranz, Genotyp- Phänotyp-Korrelation),
F Identifizierung neuer Genorte.
Zentrum für Seltene Hauterkrankungen (ZSH)
Sprecher: Prof. Dr. M. Berneburg, E-Mail: zsh@zse-tuebingen.de (. Abb. 17).Beteiligte Kliniken und Abteilungen
F Universitäts-Hautklinik,F Institut für Humangenetik, Abteilung für Medizinische Genetik,
F Universitätsaugenklinik,
F Klinik für Kinder- und Jugendmedi- F zin,Zentrum für Neurologie,
F Radiologische Universitätsklinik, Abteilung für Diagnostische und Interventionelle Neuroradiologie, F Universitätsklinik für Zahn-, Mund-
und Kieferheilkunde, Prothetische Abteilung,
F Innere Medizin II/Hämatologie, Onkologie,
F Institut für Pathologie.
Seltene Erkrankungen bzw. Erkrankungsgruppen
F Genetische Instabilität, F ektodermale Dysplasie,F schwere Hautfragilitätssyndrome, F seltene Autoimmunkrankheiten, F Sklerodermie,
F Mastozytose,
F kongenitale melanozytäre Nävi.
Abb. 12 7 Typischer Augenhintergrund bei Retinitis pigmentosa
Abb. 13 7 Tunnelblick bei Retinitis pigmentosa
Abb. 14 7 Elektrofaden auf dem Auge zur Ableitung der elektrischen Antwort nach Lichtreiz
Genetische Instabilität
Bei erblichen Erkrankungen mit erhöh- ten Mutationsraten im Erbmaterial und damit erhöhtem Krebsrisiko und/oder vorzeitiger Alterung spricht man von ge- netischer Instabilität. Die Diagnostik er- folgt durch durch die Universitätsaugen- klinik in Kooperation mit der Medizi- nischen Genetik, der Universitätsaugen- klinik und der Kinderklinik und umfasst eine klinische Diagnostik sowie eine ge- netische Diagnostik. Die genetische Dia- gnostik fokussiert auf Aspekte wie auto- somal-rezessive Erkrankungen, Repara- turkapazität, Komplementationsgruppen und Pränataldiagnostik. Das ZSH fungiert für die genetische Instabilität als deutsches Referenzzentrum (XP). Unsere Forschung konzentriert sich auf Modelle für die ge- netische Instabilität, präklinische Behand- lungsstudien und Pathogenesestudien.
Ektodermale Dysplasie
Eine ektodermale Dysplasie liegt vor bei erblichen Erkrankungen mit Störungen von mindestens 2 ektodermalen Struk- turen wie Haut, Haaren, Nägeln, Zähnen und Schweißdrüsen. Die Diagnostik der ektodermalen Dysplasie umfasst klinische und genetische Diagnostik. Genetisch un- terschieden werden autosomal-rezessive Formen, autosomal-dominante Formen und X-Chromosomal-rezessive Formen.
In der Forschung können wir auf die größ- te Sammlung an Patienten in Deutschland zurückgreifen und fokussieren auf Patho- genesestudien und Therapiestudien.
Schwere Hautfragilitätssyndrome
Genetisch bedingte, manchmal tödlich ver- laufende Erkrankungen, die zur Ablösung oder Vernarbung von Haut und Schleim- häuten führen, gehören zu den schweren Hautfragilitätssyndromen. Die interdiszip- linäre Behandlung erfolgt gemeinsam mit der Universitätskinderklinik und mit dem Universitätsklinikum Freiburg. Unsere Di- agnostik beinhaltet Klinik, molekulare Di- agnostik, Ultrastruktur und genetische Di- agnostik. Die schweren Hautfragilitätssyn- drome fungieren in der Forschung als Mo- dellkrankheiten für bullöse Genoderma- tosen. Dabei konzentrieren wir uns auf Stammzelltherapie, präklinische Therapie und Pathogenesestudien. In Planung sind Stammzelltherapiestudien.Seltene Autoimmunkrankheiten
Bullöse Krankheiten sowie Pemphi- gus und Pyoderma gangraenosum (. Abb. 18, 19) gehören zu den seltenen Autoimmunkrankheiten. Hierbei handelt es sich um immunologisch bedingte Er- krankungen, die entweder zur Ablösung der Haut oder zur tiefreichenden Zer- störung der Haut führen. Die interdiszip- linäre Behandlung erstreckt sich u. a. dar- auf, bei den Patienten klinische, mole- kulare und immunologische Diagnostik durchzführen.Die Forschung im ZSH verwendet Mo- delle autoimmun bedingter Hauterkran- kungen mit einem klaren Fokus auf eine Translation zur humanen Erkrankung, insbesondere in Hinsicht auf die Entwick- lung neuer Immuntherapien.
Sklerodermie
Die Sklerodermie ist eine seltene, oft schwere Erkrankung, die durch Sklero- sierung von Haut, Gefäßen und inneren Organen gekennzeichnet ist. Patienten mit Sklerodermie werden mittels kli- nischer und molekularer Diagnostik so- wie Labordiagnostik untersucht.
Unsere Forschung fokussiert auf F Pathogenesestudien sowie F Therapiestudien mit UVA-1,
Rheologika und immunmodulato- rischen Substanzen.
Abb. 16 8 Prognathie
Abb. 17 8 Sprecher:
Prof. Dr. M. Berneburg Abb. 15 8 Hypoplasie der Iris
Mastozytose
Eine exzessive Vermehrung von Mast- zellen in Haut, Knochenmark, aber auch Milz, Leber oder Gastrointestinaltrakt tritt bei der Mastozytose auf. Symptome ent- stehen durch Organinfiltration und/oder Freisetzung von Mastzellmediatoren, be- drohlich wird die Krankheit bei maligner Verlaufsform und besonders schwer ver- laufenden Anaphylaxien. Die Diagnostik der Mastozytose erfolgt in der Allergolo- gie der Universitätshautklinik in Zusam- menarbeit mit der Inneren Medizin II, der Kinderheilkunde I und dem Institut für Pathologie. Sie beinhaltet eine klinische Diagnostik und eine molekulare Diagnos- tik in Hinsicht auf Mutationen im c-kit- Rezeptor.
Unsere Forschung konzentriert sich auf folgende Aspekte:
F Studien zu Epidemiologie und Lebensqualität,
F Pathogenesestudien human, F Modellkrankheiten, F Therapiestudien.
Kongenitale melanozytäre Nävi
Kongenitale melanozytäre Nävi (. Abb. 20) sind Pigmentmale, die sich spätestens im Neugeborenenalter mani- festieren, proportional im Größenwachs- tum mitentwickeln und ein deutlich er- höhtes Risiko für ein malignes Melanom aufweisen. Unser diagnostisches Vorgehen ist eingebunden in das Netzwerk „konge- nitale melanozytäre Nävi und neuroku- tane Melanose“ und beinhaltet klinische und molekulare Diagnostik.Wir führen Therapiestudien durch zu F der Totalexzision kongenitaler mela-
nozytärer Nävi sowie F dem Hautersatz.
Zentrum für
Seltene kongenitale
Infektionserkrankungen (ZSKI)
Sprecher: Dr. Rangmar Goelz, E-Mail: zski@zse-tuebingen.de (. Abb. 21).Sprecher: Prof. Dr. Klaus Hamprecht, E-Mail: zski@zse-tuebingen.de (. Abb. 22).
Abb. 18 7 Epidermolysis bullosa hereditaria
Abb. 19 7 Spezi- fische Autoanti- körper bei bullöser Auto- immunerkrankung
Abb. 20 8 Kongenitale Nävi vor und nach Therapie
Beteiligte Kliniken und Abteilungen
F Institut für Medizinische Virologieund Epidemiologie der Viruserkran- kungen,
F Klinik für Kinder- und Jugendmedizin, Abteilung Neonatologie,
F Universitäts-Frauenklinik,
F Klinik für Kinder- und Jugendmedizin, Abteilung für Neuropädiatrie, F Universitätsklinik für Hals-, Nasen-
und Ohrenheilkunde, F Universitäts-Augenklinik,
F Radiologische Klinik, Bereich Pädia- trische Radiologie,
F Radiologische Klinik, Abteilung für Diagnostische und Interventionelle Neuroradiologie.
Kongenitale, symptomatische Zytomegalovirus-(CMV-)Erkran- kung des Neugeborenen.
Bei der kongenitalen, symptomatischen CMV-Infektion/CMV-Erkrankung des Neugeborenen ist die Schädigung in den Organen ZNS, Knochenmark, Augen, Gehör, Leber, innere Organe lokalisiert.
Die interdisziplinäre Behandlung der Neugeborenen umfasst virologische Di- agnostik, Therapiemonitoring, Virusch- arakterisierung, Resistenzabklärung. Das Institut für Medizinische Virologie und Epidemiologie der Viruserkrankungen ist auch Konsiliarlabor des Robert Koch- Instituts für kongenitale CMV-Infekti- on in Deutschland. Die klinische Dia- gnostik erfolgt durch die Neonatologie und Frauenklinik. Die antivirale Thera- pie wird durch die Neonatologie durch- geführt. Neuropädiatrie und Entwick- lungsneurologie koordinieren die Lang- zeitbetreuung (Hören, Sehen, CMV-Aus- scheidung).
In der Forschung liegt der Schwerpunkt auf folgenden Projekten:
F Zur Zeit läuft in Tübingen eine epide- miologische Studie zur CMV-Infekti- on während der Schwangerschaft, an der die Virologie, Frauenklinik, Neonatologie und Neuropädiatrie be- teiligt sind.
F Ebenfalls in der Durchführung ist eine multizentrische internationale klinische Studie zur intrauterinen Therapie der fetalen CMV-Infektion (Frauenklinik, Virologie, Neonato- logie).
F Weitere gemeinsame Studien der Virologie und Neonatologie sind 1 virologische Studien zur Methodik
der CMV-Detektion und Virusin- aktivierung in Körpersekreten, z. B. Muttermilch (Virologie und Neonatologie Tübingen) sowie 1 klinische Studien zu Inzidenz, Ver-
lauf und Prävention der CMV-In- fektion Frühgeborener durch Mut- termilch (Virologie und Neonatolo- gie Tübingen).
F Eine internationale multizentrische Phase-2-Studie zur Behandlung der kongenitalen CMV-Infektion (PEDI- GAN) wurde bei der Europäischen Union beantragt.
Zentrum für seltene genitale Fehlbildungen der Frau (ZSGF)
Sprecherin: PD Dr. Sara Brucker, E-Mail: zsgf@zse-tuebingen.de (. Abb. 23).Beteiligte Kliniken und Abteilungen
F Universitäts-Frauenklinik,
F Institut für Humangenetik, Abteilung für Medizinische Genetik,
F Innere Medizin IV, Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, F Abteilung für Pädiatrische Endokri-
nologie, Universitäts-Kinderklinik, F Institut für Pathologie,
F Abteilung für diagnostische und interventionelle Radiologie.
Seltene Erkrankungen bzw. Erkrankungsgruppen
F Mayer-Rokitansky-Küster-Hauser-Syndrom (MRKH-Syndrom), F partielles/komplettes Androgeninsen-
sitivitätssyndrom (p/cAIS), F isolierte Vaginalaplasie, F genitale Doppelbildungen, F Zervixhypoplasien.
Mayer-Rokitansky-Küster-Hauser- Syndrom (MRKH-Syndrom)
Die Definition des MRKH-Synddrom umfasst eine kongenitale Vaginal- und Uterusaplasie (. Abb. 24). Die Inzidenz beträgt 1:4000–5000.
Klinische Manifestation.
F Primäre Amenorrhö,
F Geschlechtsverkehr kaum möglich, F 30–40% assoziierte Fehlbildungen der
Nieren- und ableitenden Harnwege, F 10–20% skelettale Fehlbildungen.
Weitere Befunde.
F In der Regel normales Hormonprofil, ovulatorischer Zyklus,
F normaler weiblicher Phänotyp (sekundäre Geschlechtsmerkmale), F Genetik: 46XX, unauffällig, F häufig Leistenbruchoperationen in
der Kindheit.
Abb. 21 8 Sprecher:
Dr. Rangmar Goelz
Abb. 22 8 Sprecher:
Prof. Dr. Klaus Hamprecht
Abb. 23 8 Sprecherin:
PD Dr. Sara Brucker
Abb. 24 7 Mayer-Rokitansky-Küster-Hauser- (MRKH-)Syndrom. Laparoskopischer Befund
Abb. 25 7 Embryologische Entwicklung des inneren Genitale
Abb. 26 7 Fehlentwicklung des weiblichen inneren Genitale
Die interdisziplinäre Betreuung und Be- handlung erfolgt u. a. durch ein speziali- siertes Team aus Gynäkologen, Kollegen der Psychosomatik, Genetikern und um- fasst im Einzelnen
F laparoskopische Neovaginaanlage, F prä- und postoperative Spezialsprech-
stunde inklusive psychosomatischer Betreuung,
F ggf. endokrinologische oder gene- tische Beratung,
F Information und Austausch über http://www.neovagina.de, F Selbsthilfetage.
Die Forschung erfolgt in nationalen und internationalen Verbünden und richtet sich auf
F Erforschung von genetischen bzw.
epigenetischen Ursachen des MRKH- Syndroms,
F Beschreibung von Subgruppen (anatomisch-histologisch) zur Opti- mierung der Diagnostik und opera- tiven Therapie (Algorithmusentwick- lung),
F bildgebendes Langzeit-Follow-up der Beckenstrukturen,
F psychosomatische Evaluation und klinische Leitfadenentwicklung.
Komplettes Androgeninsensitivi- tätssyndrom (cAIS)
Zur Definition des cAIS gehört die An- drogeninsensitivität aufgrund eines An- drogenrezeptordefekts, früher als testiku- läre Feminisierung bezeichnet. Die Inzi- denz beträgt etwa 1:25.000.
Klinische Manifestation.
F Primäre Amenorrhö,
F „hairless women“, fehlende oder deut- lich reduzierte Pubesbehaarung, F ggf. androgyner Körperbau, F Geschlechtsverkehr erschwert oder
überhaupt nicht möglich.
Weitere Befunde.
F Genetik: 46XY,
F häufig atypische Lage der Gonaden (Hoden),
F häufig Leistenbruchoperationen in der Kindheit (Leistenhoden), F keine assoziierten Malformationen, F familiäre Häufung.
Die interdisziplinäre Betreuung und Be- handlung erfolgt u. a. durch ein Team aus Gynäkologen, Kollegen der Psychosoma- tik, Genetikern, pädiatrischen Endokri- nologen. Sie umfasst folgende Punkte:
F laparoskopische Neovaginaanlage, F prä- und postoperative Spezialsprech-
stunde inklusive psychosomatischer Betreuung,
F endokrinologische und genetische Beratung,
F Information und Austausch über http://www.neovagina.de, F Selbsthilfetage.
Die Forschung erfolgt in nationalen und internationalen Verbünden und richtet sich auf
F Optimierung der operativen Thera- pien und interdisziplinären Betreu- ung der Patientinnen,
F Erforschung der Malignomrate (Gonaden),
F Netzwerkbildung.
Weitere Fehlbildungen des Genitaltrakts
Dazu gehören genitale Doppelbildungen, isolierte Vaginalaplasie usw. (. Abb. 25, 26).
Klinische Manifestation.
F Dysmenorrhö, Blutungsstörungen, F Unterbauchschmerzen,
F ggf. Hämatometra, Hämatokolpos, F Geschlechtsverkehr erschwert oder
überhaupt nicht möglich, F primäre Sterilität, rez. Aborte.
Weitere Befunde.
F Häufig assoziierten Malformationen der Nieren und ableitenden Harnwege, F familiäre Häufung.
Die interdisziplinäre Betreuung und Be- handlung erfolgt u. a. durch ein Team aus Gynäkologen, Kollegen der Psychosoma- tik, Endokrinologen. Dazu gehören F laparoskopisch operative Therapie, F prä- und postoperative Spezialsprech-
stunde inklusive psychosomatischer Betreuung,
F Betreuung in der Kinderwunsch- sprechstunde,
F ggf. endokrinologische oder gene- tische Beratung.
Die Forschung erfolgt in nationalen und internationalen Verbünden und richtet sich auf
F Optimierung der operativen Thera- pien zum Organerhalt,
F Entwicklung von klinischen Klassifi- kationen,
F Leitlinienerstellung zum diagnosti- schen und therapeutischen Vorgehen.
Korrespondenzadressen
Prof. Dr. O. Rieß
Behandlungs- und Forschungszentrum für Seltene Erkrankungen (ZSE-Tübingen), Universitätsklinikum Tübingen
Calwerstraße 7, 72076 Tübingen olaf.riess@zse-tuebingen.de Dr. H. Graessner
Behandlungs- und Forschungszentrum für Seltene Erkrankungen (ZSE-Tübingen), Universitätsklinikum Tübingen
Calwerstraße 7, 72076 Tübingen holm.graessner@zse-tuebingen.de
Interessenkonflikt. Der korrespondierende Autor gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.