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A., geboren am ( ), Afghanistan, vertreten durch lic. iur. LL.M. Susanne Sadri, Beschwerdeführer,

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(1)

T r i b u n a l a d m i n i s t r a t i f f é d é r a l T r i b u n a l e a m m i n i s t r a t i v o f e d e r a l e T r i b u n a l a d m i n i s t r a t i v f e d e r a l

Abteilung IV D-1812/2015

U r t e i l v o m 1 9 . J u n i 2 0 1 7

Besetzung

Richterin Contessina Theis (Vorsitz),

Richter Hans Schürch, Richter Daniele Cattaneo, Gerichtsschreiberin Susanne Bolz.

Parteien A._______, geboren am (…),

Afghanistan,

vertreten durch lic. iur. LL.M. Susanne Sadri, Beschwerdeführer,

gegen

Staatssekretariat für Migration (SEM), Quellenweg 6, 3003 Bern,

Vorinstanz.

Gegenstand Nichteintreten auf Asylgesuch und Wegweisung

(Dublin-Verfahren);

Verfügung des SEM vom 6. März 2015 / N (…).

(2)

Sachverhalt:

A.

Der Beschwerdeführer stammt nach eigenen Angaben aus B._______, Afghanistan. Bereits im Jahr 2005 sei er mit seinem Onkel in den Iran ge- flüchtet, weil die Taliban das Elternhaus überfallen hätten; seine Familie sei seither verschollen. Ende September 2014 habe er den Iran verlassen und sei über die Türkei und Griechenland nach Ungarn gereist, wo er nach kur- zem Aufenthalt einen Zug nach Wien und weiter in die Schweiz genommen habe. Am 14. Dezember 2014 ersuchte er in der Schweiz um Asyl.

B.

Der Beschwerdeführer gab an, er sei 16 Jahre alt und im Jahr 1998 gebo- ren. Dieses Vorbringen konnte er jedoch zunächst mit keinem Dokument belegen. Eine am 16. Dezember 2014 auf Veranlassung der Vorinstanz durchgeführte Handknochenanalyse kam zum Ergebnis, der Beschwerde- führer sei wahrscheinlich 19 Jahre oder älter.

C.

Anlässlich der Befragung vom 23. Dezember 2014 wurde dem Beschwer- deführer das rechtliche Gehör zu einem allfälligen Nichteintretensent- scheid und der Möglichkeit einer Überstellung nach Ungarn gewährt, da Ungarn nach Ansicht der Vorinstanz, gemäss Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mit- gliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internatio- nalen Schutz zuständig ist (nachfolgend: Dublin-III-VO), grundsätzlich für die Behandlung seines Asylgesuchs zuständig sein könnte. Der Beschwer- deführer bestritt nicht, sich in Ungarn aufgehalten zu haben. Jedoch machte er geltend, nicht dorthin zurückkehren zu wollen, da Ungarn arm sei und Flüchtlinge nicht unterstützen könne. Er habe einen Landsmann kennengelernt, der dort als anerkannter Flüchtling mit sehr wenig Geld noch immer in einem Camp lebe.

Im Rahmen des rechtlichen Gehörs zum Ergebnis der Altersabklärung hielt das SEM dem Beschwerdeführer vor, man gehe von seiner Volljährigkeit aus, da er sehr unklare Angaben zum Verbleib seiner Familie gemacht habe und älter als 16 Jahre aussehe, was auch die Handknochenuntersu- chung ergeben habe. Der Beschwerdeführer erwiderte, man könne sich bei den ungarischen Behörden nach seinem Alter erkundigen. Er habe dort die gleichen Angaben gemacht. Ausserdem werde er zum Beleg seines Alters

(3)

und seiner Identität seine Tazkira nachreichen. Tatsächlich wisse er seinen genauen Geburtstag nicht, sein Geburtsjahr sei jedoch 1998. Das SEM entgegnete, es werde angesichts der Zweifel an der behaupteten Minder- jährigkeit auf die für unbegleitete minderjährige Asylsuchende vorgesehe- nen Schutzmassnahmen verzichten und ihn bis zum Beweis des Gegen- teils durch Vorlage entsprechender Dokumente als Erwachsenen behan- deln (vgl. act. A8/19, F. 8.01, S. 13 f.).

D.

Am 19. Januar 2015 ersuchte das SEM die ungarischen Behörden um Aus- kunft gemäss Art. 34 Dublin-III-VO, ob der Beschwerdeführer in Ungarn registriert sei und wenn ja, unter welcher Identität und mit welchem Alter.

Auf der Anfrage wurde von Seiten des SEM als Geburtsdatum der 1. Ja- nuar 1996 vermerkt.

E.

Am 26. Januar 2015 reichte der Beschwerdeführer eine Kopie seines Iden- titätsdokuments (Tazkira) ein.

F.

Am 10. Februar 2015 informierte die ungarische Dublin-Unit das SEM, dass der Beschwerdeführer am 8. Dezember 2014 als unbegleiteter Min- derjähriger ein Asylgesuch in Ungarn eingereicht habe. Das registrierte Ge- burtsdatum sei der 20. November 1998. Das Gesuch sei nicht vertieft ge- prüft worden, da der Beschwerdeführer verschwunden sei.

G.

Am 23. Februar 2015 richtete das SEM an die ungarischen Behörden ein Gesuch um Wiederaufnahme des Beschwerdeführers gemäss Art. 18 Abs. 1 Bst. b Dublin-III-VO. Es führte ergänzend aus, der Beschwerdefüh- rer sei nach seinen Angaben am 20. November 1998 geboren, er habe jedoch widersprüchliche Angaben zu seinem Alter und seiner familiären Situation gemacht. Ferner habe die Altersabklärung ergeben, dass er min- destens 19 Jahre alt sei. Daher gehe das SEM von seiner Volljährigkeit aus.

H.

Am 3. März 2015 teilte die ungarische Dublin-Unit dem SEM mit, das Ver- fahren des Beschwerdeführers sei am 5. Januar 2015 beendet worden.

Angesichts der Feststellung der Volljährigkeit des Beschwerdeführers,

(4)

durch die erfolgte Altersabklärung des SEM, stimmte Ungarn der Rück- übernahme des Beschwerdeführers zu.

I.

Mit Verfügung vom 6. März 2015 (eröffnet am 13. März 2015) trat das SEM in Anwendung von Art. 31a Abs. 1 Bst. b AsylG (SR 142.31) auf das Asyl- gesuch des Beschwerdeführers nicht ein und verfügte seine Überstellung nach Ungarn, welches gemäss Dublin-III-VO für die Behandlung seines Asylgesuche zuständig sei. Gleichzeitig stellte das SEM fest, einer allfälli- gen Beschwerde gegen den Entscheid komme keine aufschiebende Wir- kung zu und händigte dem Beschwerdeführer die editionspflichtigen Akten aus.

J.

Mit Beschwerde vom 20. März 2015 an das Bundesverwaltungsgericht beantragte die Rechtsvertreterin des Beschwerdeführers (legitimiert durch Vollmacht vom 16. März 2105), die Verfügung vom 6. März 2015 sei auf- zuheben und auf das Asylgesuch sei einzutreten. Insbesondere seien das Alter beziehungsweise die Minderjährigkeit des Beschwerdeführers festzu- stellen. Zum Beleg reichte sie die Tazkira im Original ein. In prozessualer Hinsicht beantragte sie die Gewährung der aufschiebenden Wirkung sowie die unentgeltlichen Prozessführung und den Verzicht auf die Erhebung ei- nes Kostenvorschusses.

K.

Im Rahmen einer superprovisorischen Massnahme ordnete die Instrukti- onsrichterin gestützt auf Art. 56 VwVG mit Telefax vom 24. März 2015 die einstweilige Aussetzung der Überstellung an.

L.

Mit Verfügung vom 31. März 2015 ordnete die Instruktionsrichterin die auf- schiebende Wirkung der Beschwerde an. Sie hiess das Gesuch um Ge- währung der unentgeltlichen Prozessführung gut und verzichtete auf die Erhebung eines Kostenvorschusses. Das Gesuch um amtliche Verbeistän- dung wies sie ab. Mit gleicher Verfügung wurde das SEM zur Vernehmlas- sung innert Frist eingeladen.

M.

In seiner Stellungnahme vom 14. April 2015 hielt das SEM an seinem Ent- scheid fest. Die Vorinstanz vertiefte auch ihre Argumentation betreffend die Abklärung zum Alter des Beschwerdeführers. Zur Situation in Ungarn

(5)

führte sie aus, es sei nicht davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer im Fall einer Überstellung nach Ungarn gravierenden Menschenrechtsver- letzungen ausgesetzt wäre, in eine existenzielle Notlage geraten würde, oder ohne Prüfung seines Asylgesuchs und unter Verletzung des Non-Re- foulement-Gebotes in seinen Heimatstaat zurückgeschickt würde. Ein Selbsteintritt der Schweiz sei daher nicht gerechtfertigt.

N.

In der Replik vom 4. Mai 2015 hielt die Rechtsvertreterin an der Minderjäh- rigkeit fest, diese sei durch die Kopie der Tazkira, dem einzigen erhältlichen Identitäts-Dokument, belegt. Die desolate und gefährliche Situation in Un- garn rechtfertige die Überstellung des minderjährigen Beschwerdeführers nicht.

O.

Am 2. Februar 2016 wandte sich der Beschwerdeführer an das Gericht und erkundigte sich nach dem Stand seines hängigen Verfahrens.

P.

Am 27. Juli 2016 erkundigte sich eine Sachbearbeiterin des Departemen- tes Volkswirtschaft und Inneres des Kantons C._______ nach dem Verfah- rensstand, da der Beschwerdeführer eine Lehrstelle in Aussicht habe. Die Lehre werde jedoch nur bewilligt, wenn absehbar sei, dass er die Lehrzeit in der Schweiz verbringen könne. In einem Telefonat vom 4. August 2016 informierte die Gerichtsschreiberin, dass die Praxis betreffend die Über- stellungen im Dublin-Verfahren nach Ungarn derzeit Gegenstand eines Koordinationsurteils des Bundesverwaltungsgerichts sei und noch nicht absehbar sei, wann dieses zustande kommen werde.

Q.

Mit Verfügung vom 5. August 2016 lud das Gericht das SEM nochmals zur Vernehmlassung ein.

R.

In seiner Stellungnahme vom 11. August 2016 hielt das SEM an der Zuläs- sigkeit und Zumutbarkeit einer Überstellung nach Ungarn fest.

S.

In der Replik vom 1. September 2016 wies die Rechtsvertreterin erneut auf die prekäre Lage von Asylsuchenden in Ungarn hin und ausserdem darauf, dass die Fristen zur Überstellung nach Ungarn längst abgelaufen seien und zweifelhaft sei, ob das SEM die ungarischen Behörden überhaupt über die

(6)

Verzögerungen informiert hätte. Dies sei nicht ersichtlich und die Schweiz müsse sich deshalb für zuständig zu erklären. Die Rechtsvertreterin reichte eine Kostennote zu den Akten.

Das Bundesverwaltungsgericht zieht in Erwägung:

1.

1.1 Gemäss Art. 31 VGG beurteilt das Bundesverwaltungsgericht Be- schwerden gegen Verfügungen nach Art. 5 VwVG. Das SEM gehört zu den Behörden nach Art. 33 VGG und ist daher eine Vorinstanz des Bundesver- waltungsgerichts. Eine das Sachgebiet betreffende Ausnahme im Sinne von Art. 32 VGG liegt nicht vor. Das Bundesverwaltungsgericht ist daher zuständig für die Beurteilung der vorliegenden Beschwerde und entschei- det auf dem Gebiet des Asyls in der Regel – und so auch vorliegend – endgültig (Art. 105 AsylG; Art. 83 Bst. d Ziff. 1 BGG). Das Verfahren richtet sich nach dem VwVG, dem VGG und dem BGG, soweit das AsylG nichts anderes bestimmt (Art. 37 VGG und Art. 6 AsylG).

1.2 Die Beschwerde ist frist- und formgerecht eingereicht. Der Beschwer- deführer hat am Verfahren vor der Vorinstanz teilgenommen, ist durch die angefochtene Verfügung besonders berührt und hat ein schutzwürdiges In- teresse an deren Aufhebung beziehungsweise Änderung. Er ist daher zur Einreichung der Beschwerde legitimiert (Art. 105 und 108 Abs. 2 AsylG;

Art. 48 Abs. 1 sowie Art. 52 VwVG). Auf die Beschwerde ist einzutreten.

2.

Mit Beschwerde kann die Verletzung von Bundesrecht (einschliesslich Missbrauch und Überschreiten des Ermessens) sowie die unrichtige oder unvollständige Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gerügt werden (Art. 106 Abs. 1 AsylG).

Bei Beschwerden gegen Nichteintretensentscheide, mit denen es das SEM ablehnt, das Asylgesuch auf seine Begründetheit hin zu überprüfen (Art. 31a Abs. 1–3 AsylG), ist die Beurteilungskompetenz der Beschwer- deinstanz grundsätzlich auf die Frage beschränkt, ob die Vorinstanz zu Recht auf das Asylgesuch nicht eingetreten ist (vgl. BVGE 2012/4 E. 2.2 m.w.H.).

(7)

3.

3.1 Auf Asylgesuche wird in der Regel nicht eingetreten, wenn Asylsu- chende in einen Drittstaat ausreisen können, der für die Durchführung des Asyl- und Wegweisungsverfahrens staatsvertraglich zuständig ist (Art. 31a Abs. 1 Bst. b AsylG). Zur Bestimmung des staatsvertraglich zuständigen Staates prüft das SEM die Zuständigkeitskriterien gemäss Dublin-III-VO.

Führt diese Prüfung zur Feststellung, dass ein anderer Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylgesuchs zuständig ist, tritt das SEM, nachdem der betref- fende Mitgliedstaat einer Überstellung oder Rücküberstellung zugestimmt hat, auf das Asylgesuch nicht ein.

3.2 Gemäss Art. 3 Abs. 1 Dublin-III-VO wird jeder Asylantrag von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III als zuständiger Staat bestimmt wird. Das Verfahren zur Bestimmung des zu- ständigen Mitgliedstaates wird eingeleitet, sobald in einem Mitgliedstaat erstmals ein Asylantrag gestellt wird (Art. 20 Abs. 1 Dublin-III-VO).

3.3 Im Fall eines sogenannten Aufnahmeverfahrens (engl.: Take charge) sind die in Kapitel III (Art. 8-15 Dublin-III-VO) genannten Kriterien in der dort aufgeführten Rangfolge (Prinzip der Hierarchie der Zuständigkeitskri- terien; vgl. Art. 7 Abs. 1 Dublin-III-VO) anzuwenden, und es ist von der Si- tuation im Zeitpunkt, in dem der Antragsteller erstmals einen Antrag in ei- nem Mitgliedstaat gestellt hat, auszugehen (Art. 7 Abs. 2 Dublin-III-VO; vgl.

BVGE 2012/4 E. 3.2; Filzwieser/Sprung, Dublin III-Verordnung, Wien 2014, K4 zu Art. 7). Im Rahmen eines Wiederaufnahmeverfahrens (engl.: Take back) findet demgegenüber grundsätzlich keine (erneute) Zuständigkeits- prüfung nach Kapitel III statt (vgl. BVGE 2012/4 E. 3.2.1 m.w.H.).

Erweist es sich als unmöglich, einen Antragsteller in den eigentlich zustän- digen Mitgliedstaat zu überstellen, weil es wesentliche Gründe für die An- nahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für An- tragsteller in jenem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne von Artikel 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (2012/C 326/02, nachfolgend: EU-Grundrechtecharta) mit sich bringen, ist zu prüfen, ob aufgrund dieser Kriterien ein anderer Mitgliedstaat als zu- ständig bestimmt werden kann. Kann kein anderer Mitgliedstaat als zustän- dig bestimmt werden, wird der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat zum zuständigen Mitgliedstaat (Art. 3 Abs. 2 Dublin-III-VO).

(8)

4.

Der nach dieser Verordnung zuständige Mitgliedstaat ist verpflichtet, einen Antragsteller, der in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat, nach Massgabe der Art. 21, 22 und 29 Dublin-III-VO aufzunehmen (Art. 18 Abs. 1 Bst. a Dublin-III-VO).

Jeder Mitgliedstaat kann abweichend von Art. 3 Abs. 1 beschliessen, einen bei ihm von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen gestellten An- trag auf internationalen Schutz zu prüfen, auch wenn er nach den in dieser Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist (Art. 17 Abs. 1 Satz 1 Dublin-III-VO; sog. Selbsteintrittsrecht).

5.

Vorab ist durch das Bundesverwaltungsgericht zu prüfen, ob das SEM auf- grund der Aktenlage berechtigterweise davon ausgehen durfte, dem Be- schwerdeführer sei es nicht gelungen, die von ihm geltend gemachte Min- derjährigkeit glaubhaft zu machen. Der Frage des Alters des Beschwerde- führers kommt vorliegend besondere Bedeutung zu. Die ungarischen Be- hörden stimmten der Rückübernahme auch nur unter der Voraussetzung zu, dass der Beschwerdeführer volljährig sei (vgl. act. A25/1).

5.1 Grundsätzlich trägt nach Lehre und Praxis die asylsuchende Person die Beweislast für die von ihr behauptete Minderjährigkeit (vgl. bereits Ent- scheidungen und Mitteilungen der Schweizerischen Asylrekurskommission [EMARK] 2004 Nr. 30 E. 5.2). Im Rahmen einer Gesamtwürdigung ist eine Abwägung sämtlicher Anhaltspunkte, welche für oder gegen die Richtigkeit der betreffenden Altersangaben sprechen, vorzunehmen (vgl. a.a.O.

E. 5.3.4).

5.2 Der Beschwerdeführer gab in der Befragung als Geburtsdatum den 9. Februar 1999 an, räumte dann aber ein, dieses Datum sei erfunden. Er kenne sein genaues Geburtsdatum nicht, er sei aber 16.5 oder höchstens 17 Jahre alt (vgl. act. A8/19, F. 1.06). Er sei im siebten oder achten Lebens- jahr aus Afghanistan ausgereist und gehe davon aus, im Jahr 2005 im Iran eingeschult worden zu sein, als Sieben- oder Achtjähriger. Zum Zeitpunkt der Einschulung habe er eine Tazkira gehabt (vgl. act. A8/19, F. 1.17.04), diese sei jedoch bei seinem Onkel geblieben. Im September 2014 habe er Iran Richtung Europa verlassen. Zum Zeitpunkt der Asylantragstellung in der Schweiz am 14. Dezember 2014 sei er minderjährig gewesen. Im Lauf des Verfahrens reichte er seine Tazkira zunächst in Kopie dann im Original

(9)

zu den Akten. Gemäss den Angaben auf der Tazkira war der Beschwerde- führer im Jahr 1384 (europäischer Kalender: 2005) siebenjährig, was ei- nem Geburtsdatum im Jahr 1998/1999 entsprechen würde.

5.3 Das SEM zweifelte die Minderjährigkeit des Beschwerdeführers offen- sichtlich bereits vor der Durchführung der BzP (am 23. Dezember 2014) an, indem es am 15. Dezember 2014 den Auftrag zur Durchführung einer Handknochenaltersanalyse erteilte, welche am 16. Dezember 2014 durch- geführt wurde (vgl. Akten A4, und A7). Die Analyse ergab ein Knochenalter von „19 Jahren oder mehr". Im Rahmen der BzP teilte die Vorinstanz dem Beschwerdeführer mit, er werde gestützt auf dieses Ergebnis, aufgrund seiner ungenauen Herkunftsangaben sowie seines Erscheinungsbildes und weil er ohne plausible Gründe keine Identitätspapiere eingereicht habe, als volljährig erachtet, und er werde mit dem Geburtsdatum

„01.01.1996“ erfasst. Der Beschwerdeführer hielt an seinen Altersangaben fest.

5.4 Gemäss konstanter Praxis des Bundesverwaltungsgerichts lässt eine Knochenaltersanalyse keine wissenschaftlich zuverlässigen Aussagen zur Frage zu, ob eine Person das 18. Altersjahr bereits erreicht hat (vgl. bereits EMARK 2004 Nr. 30 E. 6.2). Eine solche Analyse gilt – falls gewisse for- male und inhaltliche Erfordernisse erfüllt sind (vgl. Urteil des Bundesver- waltungsgerichts E-5860/2013 vom 6. Januar 2014 E. 5.2 m.w.H., EMARK 2004 Nr. 31) – nur unter bestimmten Voraussetzungen, nämlich aus- schliesslich dann, wenn der Unterschied zwischen dem angegebenen Alter und dem festgestellten Knochenalter mehr als drei Jahre beträgt, als Be- weismittel für die Unrichtigkeit einer Altersangabe. Nur in einem solchen Fall kann die festgestellte Unrichtigkeit der Altersangabe ein (blosses) Indiz für die Annahme der Unglaubhaftigkeit einer behaupteten Minderjährigkeit darstellen.

5.5 Vorliegend beträgt die Differenz zwischen dem angegebenen Alter des Beschwerdeführers und dem Knochenalter gemäss Analyse ungefähr zweieinhalb bis drei Jahre. Dieses Ergebnis liegt am Rand des Ungenau- igkeitsbereichs der radiologischen Knochenaltersanalyse, weshalb diese ein untaugliches Beweismittel mit Bezug auf die Frage der Volljährigkeit des Beschwerdeführers ist und seine Altersangaben nicht zu entkräften vermag.

5.6 Betreffend der eingereichten Tazkira ist folgendes festzustellen: Eine Tazkira kein fälschungssicheres Dokument, weshalb hinsichtlich der Frage

(10)

der Identität von Inhabern und Inhaberinnen eines solchen Dokuments pra- xisgemäss von einem reduzierten Beweiswert auszugehen ist. Indessen ist es nicht statthaft, eine Tazkira ohne genauere Betrachtung als gefälscht zu deklarieren (vgl. BVGE 2013/30 E. 4.2.2, mit weiteren Hinweisen). Hin- sichtlich des Alters eines Asylgesuchstellers ist zudem darauf hinzuweisen, dass auf der Tazkira in der Regel kein Geburtsdatum genannt, sondern lediglich festgehalten wird, der Inhaber sei im Ausstellungsjahr in einem bestimmten Alter, so dass aufgrund der Angaben eine mögliche Alters- spanne von fast einem Jahr besteht. Zudem gelten amtliche Dokumente ausländischer Staaten, deren Zweck es ist, die Identität ihres Inhabers nachzuweisen, nicht als öffentliche Urkunden im Sinne von Art. 9 ZGB, weshalb ihnen nicht ohne Weiteres ein erhöhter Beweiswert zukommt und sie wie andere Urkunden einer freien Beweiswürdigung zu unterziehen sind (vgl. Urteile des BVGer A-7588/2015 vom 26. Februar 2016 E. 3.3 und A-7822/2015 vom 25. Februar 2016 E. 3.3, je m.w.H.; vgl. ferner Urteile des BGer 6B_394/2009 vom 27. Juli 2009 E. 1.1 und 5A.3/2007 vom 27. Februar 2007 E. 2).

5.7 In der BzP lieferte der Beschwerdeführer sehr wenige Angaben zu sei- nem Vorleben. Nach einem Überfall der Taliban auf sein Elternhaus sei die Familie in den Iran geflüchtet. Er habe dort bereits als Achtjähriger täglich in einem Schlachthof gearbeitet und habe eine Abendschule für afghani- sche Flüchtlinge besucht (vgl. act. A8/19 F. 1.17.04, 1.17.05). Er habe nur mit seinem Onkel das Land verlassen (ebenda, F. 2.02), seine Familie sei verschollen (vgl. ebenda F. 3.01). Er korrigierte die Angabe, wonach er auch mit seinem Vater gearbeitet habe (vgl. ebenda, F. 3.01). Es fällt auf, dass die Angaben des Beschwerdeführers zu seiner Familie und seinem Lebenslauf bis zur Einreise in die Schweiz sehr vage sind. Im Rahmen ei- ner Gesamtwürdigung der Vorbringen des Beschwerdeführers und der bei den Akten liegenden Dokumente gelangt das Bundesverwaltungsgericht zum Schluss, dass der Beschwerdeführer mit überwiegender Wahrschein- lichkeit volljährig ist. Die von ihm eingereichte Tazkira vermag als Doku- ment mit nur geringerem Beweiswert diese Annahme nicht zu entkräften.

Somit ging die Vorinstanz zu Recht davon aus, dass der Beschwerdeführer seine geltend gemachte Minderjährigkeit nicht glaubhaft machen konnte.

Der Verzicht auf die Beiordnung einer Vertrauensperson ist nicht zu bean- standen.

5.8 Da der Beschwerdeführer seine Minderjährigkeit nicht glaubhaft ma- chen konnte, kann er sich nicht auf die in Art. 6 Dublin-III-VO formulierten Schutzbestimmungen für Minderjährige berufen.

(11)

6.

6.1 Der Beschwerdeführer brachte des Weiteren vor, eine Überstellung nach Ungarn verletze die Garantien der EMRK sowie der Flüchtlingskon- vention. Auch drohe ihm nach der Rückkehr nach Ungarn die Kettenab- schiebung, weshalb ihm aus der Überstellung ein nichtwiedergutzuma- chender Nachteil entstehen würde. In der zweiten Replik vom 1. Septem- ber 2016 wurde zudem darauf verwiesen, dass eine Überstellung nach Un- garn aufgrund der drohenden Inhaftierung und der schlechten Unterbrin- gungssituation einer unmenschlichen und entwürdigenden Behandlung gleichkomme, weshalb das SEM in Wahrnehmung seiner völkerrechtlichen Verpflichtungen den Selbsteintritt der Schweiz im Sinne von Art. 3 Abs. 2 Dublin-III-VO anordnen müsse.

6.2 Im Lichte von Art. 3 Abs. 2 Dublin-III-VO ist zu prüfen, ob es wesentli- che Gründe für die Annahme gibt, das Asylverfahren und die Aufnahmebe- dingungen für Asylsuchende in Ungarn würden systemische Schwachstel- len aufweisen, welche eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdi- genden Behandlung im Sinne des Art. 4 der EU-Grundrechtecharta mit sich bringen und folglich die grundsätzliche Zuständigkeit Ungarns im Sinne von Art. 3 Abs. 1 Dublin-III-VO durchbrechen würden.

6.3 Das Bundesverwaltungsgericht hat im Urteil D-7853/2015 vom 31. Mai 2017 (vorgesehen zur Publikation als Referenzurteil) eingehend die Entwicklung der Situation für Asylsuchende in Ungarn, insbesondere für jene, die in Anwendung der Dublin-III-VO nach Ungarn überstellt wer- den, analysiert, unter Berücksichtigung des bedeutenden Migrations- stroms, welchen das Land im Sommer 2015 zu gewärtigen hatte. Es hat das Vorhandensein zahlreicher Unzulänglichkeiten im ungarischen System festgestellt, welche namentlich den Zugang zum Asylverfahren sowie die Unterbringung der Asylsuchenden in den Transitzonen betreffen. Das Ge- richt hat sich insbesondere mit dem am 28. März 2017 in Kraft getretenen ungarischen Rechtsakt T/13976 über „die Änderung mehrerer Gesetze zur Verschärfung des Asylverfahrens in der Überwachungszone der ungari- schen Grenze“ befasst. Es hat festgestellt, dass die Umsetzung dieses Ak- tes, welcher rückwirkend auf sämtliche laufenden Asylverfahren anwend- bar ist und eine wesentliche Verschärfung der ungarischen Gesetzgebung mit sich bringt, zahlreiche Unsicherheiten und Fragen nach sich zieht. Es könne daher namentlich nicht mit Sicherheit ermittelt werden, ob Asylsu- chende, die nach Ungarn überstellt werden, als nicht aufenthaltsberech- tigte Personen angesehen und deshalb in sogenannte „Prätransit“-Zonen abgeschoben werden, oder ob sie als asylsuchende Personen betrachtet

(12)

werden, deren Gesuche in den Transitzonen zu behandeln sind. Ange- sichts der zahlreichen Unsicherheiten, die diese neue Gesetzesänderung hinsichtlich des Verfahrenszugangs und der Aufnahmebedingungen mit sich gebracht hat, sei es dem Bundesverwaltungsgericht gemäss dem der- zeitigen Stand der Dinge nicht möglich, das Vorliegen systemischer Schwachstellen im Sinne von Art. 3 Abs. 2 der Dublin-III-Verordnung sowie die Fragen im Zusammenhang mit tatsächlichen Gefahren („real risk“), de- nen Asylsuchende bei einer Überstellung nach Ungarn ausgesetzt sein könnten, abschliessend zu beurteilen. Folglich hat es die angefochtene Verfügung aufgehoben und die Sache zur neuen Entscheidung an das Staatssekretariat für Migration zurückgewiesen. Es obliege der erstinstanz- lichen Behörde, sämtliche Sachverhaltselemente zusammenzutragen, die zur Beurteilung dieser wesentlichen Fragen erforderlich seien, und es sei nicht die Aufgabe der Beschwerdeinstanz, komplexe ergänzende Abklä- rungen vorzunehmen. Das Bundesverwaltungsgericht würde sonst mit ei- nem Sachentscheid seine Zuständigkeit überschreiten und die betroffene Partei um den gesetzlich vorgesehenen Instanzenzug bringen (vgl. insbe- sondere Erwägung 13 des Urteils).

6.4 Mit derselben Begründung, wie sie vorstehend dargelegt wurde, ist es dem Gericht vorliegend nicht möglich, die Vorbringen der Beschwerde vom 20. März 2015 zu beurteilen. Die angefochtene Verfügung ist folglich auf- zuheben und die Sache zur vollständigen Sachverhaltsfeststellung sowie zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Die Be- schwerde ist somit gutzuheissen, ohne dass auf die weiteren Beschwerde- vorbringen eingegangen werden müsste.

7.

7.1 Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind keine Kosten zu erheben (Art. 63 Abs. 1 und 2 VwVG), ohnehin war das Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung mit Verfügung vom 31. März 2015 gutge- heissen worden.

7.2 Gemäss Art. 64 Abs. 1 VwVG in Verbindung mit Art. 37 VGG kann der obsiegenden Partei von Amtes wegen oder auf Begehren eine Entschädi- gung für die ihr erwachsenen notwendigen und verhältnismässig hohen Kosten zugesprochen werden (vgl. Art. 7 ff. des Reglements über die Kos- ten und Entschädigungen vor dem Bundesverwaltungsgericht vom 21. Februar 2008 [VGKE, SR 173.320.2]). Bei der Bemessung ist grund- sätzlich auf die Kostennote der Rechtsvertreterin vom 1. September 2016 abzustellen. Allerdings erachtet das Gericht den dort geltend gemachten

(13)

Aufwand als zu hoch, weshalb er gekürzt wird und die Parteientschädigung auf Fr. 1500.– festgesetzt wird. Dieser Betrag ist dem Beschwerdeführer als Parteientschädigung zuzusprechen und durch die Vorinstanz zu ent- richten.

(Dispositiv nächste Seite)

(14)

Demnach erkennt das Bundesverwaltungsgericht:

1.

Die Beschwerde wird gutgeheissen.

2.

Die Verfügung vom 6. März 2015 wird aufgehoben und die Sache wird zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückgewiesen.

3.

Auf die Erhebung von Verfahrenskosten wird verzichtet.

4.

Dem Beschwerdeführer wird eine Parteientschädigung von Fr. 1500.– zu- gesprochen, die ihm durch das SEM zu entrichten ist.

5.

Dieses Urteil geht an den Beschwerdeführer, das SEM und die zuständige kantonale Behörde.

Die vorsitzende Richterin: Die Gerichtsschreiberin:

Contessina Theis Susanne Bolz

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