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Archiv "Molekularbiologische Aspekte allergischer Reaktionen" (10.03.1995)

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Molekularbiologische Aspekte allergischer Reaktionen

Verena Liebers

Stephan Isringhausen-Bley Xaver Baur

N

ahezu 20 Prozent der Bevöl- kerung in den Industrielän- dern leiden an Allergien, die somit einen beträchtlichen Kostenfaktor im Gesundheitswesen darstellen. Die im Volksmund als Heuschnupfen bezeichnete Pollinose ist mit einer Prävalenz von 10 bis 15 Prozent die häufigste Inhalationsall- ergie. 30 Prozent der Pollenallergiker mit Rhinitis entwickeln zudem im Laufe der Jahre auch eine Asthma- symptomatik (sogenannter Etagen- wechsel). Neben Pollenbestandteilen können eine Vielzahl weiterer, an und für sich harmloser, vor allem aeroge- ner Substanzen wie Milbenproteine, Schimmelpilzsporen oder Tierepithe- lien eine überschießende und damit krankmachende allergische Reaktion induzieren. Der von Pirquet 1906 ge- prägte Ausdruck Allergie meinte eine veränderte Reaktivität beim wieder- holten Kontakt mit einem Stoff, der eine Immunantwort auslöst. Heute unterscheidet man nach Coombs und Gell vier Überempfindlichkeitsreak- tionen (Typ I bis IV), wobei es sich immunologisch gesehen meist um Mischformen handelt.

Der Begriff Allergie oder auch Atopie wird häufig als Synonym für die IgE-vermittelte Soforttypreaktion (Typ I) verwendet. Auslöser der sich klinisch als Rhinitis, Konjunktivitis, Urtikaria und Bronchialasthma mani- festierenden Sofortreaktionen sind aerogene (Glyko)-Proteine im Mole- kulargewichtsbereich von 5 000 bis 80 000 Dalton. Auch bei der meist durch systemische Allergenausbrei- tung ausgelösten schwersten Reak- tionsform, dem anaphylaktischen Schock, zum Beispiel durch Insekten- gifte, scheinen Proteinallergene im Vordergrund zu stehen. Ob Allergen-

Zum Schutz vor schädlichen Fremdsub- stanzen, insbesondere vor Krankheits- erregern produziert unser Immunsy- stem Antikörper. Dieser Schutzmecha- nismus führt jedoch dann selbst zu Krankheiten, wenn minimale, primär harmlose Reize in eine fehlgeleitete und überschießende Reaktion münden.

Die vielfältigen Beschwerden des Atopi- kers kennen eine Erklärung: den IgE- Antikörper. Die physiologische Rolle dieses Immunglobulins stellt die Ab- wehr von Parasiten dar, an spezifische Rezeptoren gebunden und durch Aller- genmoleküle vernetzt induziert es die Freisetzung von Mediatoren wie His- tamin und Leukotriene. Mit Hilfe mo- derner Methoden der zellulären und molekularen Biologie nähert man sich heute einem umfassenden Verständnis der hier zugrundeliegenden Pathome- chanismen und Wechselwirkungen.

moleküle im Einzelfall eine spezifi- sche Überempfindlichkeit hervorru- fen, ist letztlich von individuellen, vor allem genetisch fixierten Faktoren (32), aber auch von der Art und Inten- sität der Exposition abhängig. Schon 100 Milben in einem Gramm Haus- staub genügen, um disponierte Perso- nen zu sensibilisieren. 500 Milben oder 10 lig Milbenallergen pro Gramm Staub können mittelfristig ein Asthma auslösen (3). Von einem aggressiven Allergen genügt bereits ein Tausendstel dieser Menge (1 ng), um in überempfindlichen Personen

Berufsgenossenschaftliches Forschungsinstitut für Arbeitsmedizin (Direktor: Prof. Dr. med.

Xaver Baur) an der Ruhr-Universität Bochum

klinische Symptome hervorzurufen (Abbildung 1).

Ein wichtiges Ziel der modernen Allergieforschung ist die Charakteri- sierung krankheitsauslösender Struk- turen und die Aufdeckung ihrer Inter- aktionen mit dem Immunsystem.

Hierzu gehören die Reindarstellung der allergenen Substanz und die Überprüfung ihrer Antigenität, also der Reaktionen von humanen T-Zel- len (Lymphozytenproliferation) und B -Zellen (Antikörperbindung), sowie die unter Beteiligung einer Vielzahl von Zytokinen (Interleukinen) ab- laufenden Regulationsmechanismen.

Die strukturelle Charakterisierung umfaßt Primärstruktur (= Aminosäu- resequenz), Sekundärstruktur (Heu- ces, ß-Faltblatt, Windungen) und Ter- tiärstruktur (= räumliche Anord- nung). Beispielhaft sind die Daten für das Insektenallergen Chit 1.01 (Ab- bildung 2). Die Anfangsbuchstaben der Tier- oder Pflanzenart, aus der ein Allergen isoliert wurde, geben die- sem, entsprechend der internationa- len IUIS-Nomenklatur, seinen Na- men. Die Numerierung erfolgt in der Reihenfolge der Entdeckung. Das er- ste aus dem Larven-Hämoglobin der Art Chironomus thummi (Zuck- mücken) isolierte Allergen wird folg- lich Chit 1 (Isoformen Chit 1.01 bis 1.02) genannt. Die einzelnen homolo- gen Proteine, die zu dieser Allergen- gruppe gehören, werden mit Chit 1 bis Chit 9 bezeichnet.

Ob nun Mücken, Milben oder Pollen, die Strukturforschung will die zentrale Frage beantworten, durch welche Faktoren primär harmlose Substanzen zu krankmachenden All- ergenen werden.

Immunzellen zerlegen Fremd- proteine intrazellulär in Fragmente (Peptide). Diese Bruchstücke werden auf der Oberfläche Antigen-präsen- tierender Zellen, wie Makrophagen, gemeinsam mit körpereigenen MHC- Molekülen angeboten, um so die Auf- merksamkeit des Immunsystems auf A-690 (48) Deutsches Ärzteblatt 92, Heft 10, 10. März 1995

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Tertiärstruktur

Abbildung 1: Asthmatische, mit passagerer Hypox- ämie einhergehende Sofortreaktion im inhalativen Provokationstest nach Applikation von insgesamt 1,25 ng des Fischfutter-Allergens Chit 1 bis 9. Es han- delt sich um einen Fischzüchter, der auf Chit 1 bis 9, das Hämoglobin der im Fischfutter befindlichen ro- ten Mückenlarven, sensibilisiert ist. sRaw = spezifi- scher Atemwegswiderstand ganzkörperplethysmo- graphisch bestimmt, pa0 2 = Sauerstoffpartialdruck im arterialisierten Ohrläppchenblut. Das aggressive Allergen Chit 1 bis 9 umfaßt die zwölf homologen Hä- moglobine (= Komponenten), die für die Rotfärbung von dieser Mückenlarven (Chironomidae) verant- wortlich sind. Etwa 20 Prozent der exponierten Per- sonen reagieren mit Beschwerden wie Rhinitis, Kon- junktivitis, Urtikaria und/oder Asthma. Betroffen sind Personen, die in Zoohandlungen, Futterfabriken oder im Hobbybereich Kontakt mit mückenlarvenhal- tigem Fischfutter haben. Weiterhin sind Bewohner von Feuchtgebieten gefährdet, da solche Regionen ideale Fortpflanzungsbedingungen für diese nicht- stechende Insektenfamilie bietet. Die großen Mückenschwärme haben beispielsweise in Japan da- zu geführt, daß dort Chironomiden nach Milben die zweithäufigste Allergenquelle darstellen (28).

sich zu ziehen. MHC-Antigene sind Glykoproteine, deren Bedeutung zu- nächst im Rahmen der Transplantat- abstoßung erkannt wurde. Deshalb tragen diese für die Interaktion von Immunzellen wichtigen Oberflächen-

moleküle den Namen Haupthisto- kompatibilitäts-Proteine major hi- stocompatibility complex = MHC). In einem ersten Schritt erkennen nun T-Lymphozyten mit einem speziel- len Rezeptor (dem T-Zellrezeptor)

MHC-II-Moleküle gemeinsam mit den Antigenfragmenten (Abbildung 3). Die Bereiche des Allergens, die von den Komponenten des Immunsy- stems (Antikörper, T-Zelle) erkannt werden, bezeichnet man als Epitope.

Primär TQFF^ MKAg.T.7.;EACAF..,,A.4737,17.177: VS KM

Sekundär

A B D E F G H

Abbildung 2: Primär-, Sekundär- und Tertiärstruktur am Beispiel von Chit 1.01. Innerhalb der 136 Aminosäuren werden acht helikale Bereiche (A—H, farbig) ausgebil- det, die sich im Raum zu einem globulären Protein um die Hämgruppe falten (Darstellung unter Verwendung des Programms Insight II [Biosym]).

Deutsches Ärzteblatt 92, Heft 10, 10. März 1995 (53) A-691

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MHC II- Molekül — Allergenpeptid- T-Zellrezeptor

;TCR,

Signale

Konformations- Epitop

Allergen

IgE-Antikörper IgE-Rezeptor

Mastzelle

T-Zelle

Ale ear. .

elle •

/

lineares Epitop

B-Zelle/

Plasmazelle

IgE-Antikörpe

Interleukine

Abbildung 3: Übersicht über den Ablauf der Immun- reaktion mit IgE-Antwort. Das Allergen wird von den Antigen-präsentierenden Zellen (APC) aufgenommen und proteloytisch gespalten („processing"). Die T- Zellepitope werden dann auf der Zelloberfläche mit MHC II-Proteinen präsentiert. Der T-Zellrezeptor (TCR) erkennt das Peptid spezifisch und löst dadurch sowie durch weitere kostimulatorische Signale (Ober- flächenmoleküle CD3, CD28) die Zellteilung und In- terleukinproduktion der T-Zelle aus. Interleukin 4 und 13 sind wesentliche Faktoren für die Synthese von IgE-Antikörpern durch Plasmazellen. Nach der Bindung des IgE an spezifische Rezeptoren (wie auf Mastzellen des Atemtrakts) führt die Kreuzvernet- zung durch das Allergenmolekül zur Freisetzung von Mediatoren wie Histamin und Leukotriene, die die bekannten Krankheitserscheinungen der Soforttyp- allergie auslösen.

Warum erkennen nun T-Zellen selektiv nur ganz bestimmte Regio- nen des Antigens, die sogenannten T- Zellepitope?

Wie kommt es zur Synthese von IgE-Antikörpern und welche Aller- genabschnitte (B-Zellepitope) bin- den an die Immunglobuline?

Identifizierung von Epitopen

Um die Sequenzen eines Proteins zu erfassen, die für die überschießen- de Immunantwort verantwortlich

sind, werden Peptide (synthetisch oder durch enzymatische Spaltung) aus dem Allergen gewonnen und in vitro untersucht. T-Zellepitope stimu- lieren Lymphozyten sensibilisierter Personen und induzieren deren Proli- feration. Letztere kann durch den Einbau von 3H-Thymidin quantifi- ziert werden. B-Zellepitope werden vor allem durch die Bindung mono-

klonaler oder polyklonaler (huma- ner) Antikörper identifiziert. Die ex- perimentell erhobenen Daten von zahlreichen Antigenen bilden die Grundlage für die Berechnung von Antigenbindungsstellen in noch nicht immunologisch untersuchten Mo- lekülen. Durch die Analyse von T- und B-Zellepitopen versucht man, Charakteristika, wie zum Beispiel all- gemeine Strukturmerkmale, heraus- zufinden, welche über die Einzelsub- stanz hinaus Gültigkeit haben. Diese Daten können dann zur Vorhersage von Antigendeterminanten in ande- ren Proteinen verwendet werden. Zur Anwendung kommen bisher Algo- rithmen, die die Kenntnis der Ami- nosäuresequenz voraussetzen. Aus letzterer werden physikalische und strukturelle Eigenschaften abgeleitet.

Vorhersage und Analyse von B-Zellepitopen

Die Regionen des Antigens, die Immunglobuline binden (B-Zellepi- tope), werden eingeteilt in:

Kostimulatorische

Abbildung 4: Einige B-Zellepitopvorhersagen (anti- gener Index > 1,5) entlang des 478 Aminosäuren umfassenden Bäckerallergens A sp-O-2, das die a- Amylase von Aspergillus oryzae darstellt. Es ist in zahlreichen Backmitteln enthalten und nach den ei- gentlichen Mehlbestandteilen das wichtigste Berufs- allergen des Bäckers.

A-692 (54) Deutsches Ärzteblatt 92, Heft 10, 10. März 1995

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1

Sekundärstruktur von Chi t 1.01

Hellces

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Turns

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0 50 100

ß-Faltblatt

50 100

0 1

Abbildung 5: Vergleich der vorhergesagten und der experimentell mittels Röntgenstruktur bestimmtem Sekundärstruktur von Chili-Komponente-111. Rot = Mittels Rönt- genstruktur ermittelte Daten (39), Grün = Vorhersagen der Sekundärstruktur nach Garnier et al. (10), Lilo = Vorhersagen der Sekundärstruktur nach Chou, Fasman et al. (4).

1. lineare (sequentielle) Epitope und auch

2. Konformationsepitope, die durch die Faltung des Proteins entste- hen (Abbildung 3).

Letztere können nur durch Rönt- genstrukturanalysen exakt beschrie- ben werden. Sie sind in den zur Zeit vorliegenden Vorhersagen noch nicht erfaßbar (31). Lineare B-Zellepitope lassen sich dagegen relativ einfach ex- perimentell durch die Bindung von Antikörpern an Peptide des Aller- gens nachweisen.

Die bisher durchgeführten Ana- lysen ergaben, daß B-Zellepitope be- vorzugt in hydrophilen Molekülab- schnitten auftreten und sich an der Oberfläche des nativen Moleküls be- finden. So sind sie leicht für Antikör- per zugänglich. Weiterhin zeichnen sie sich häufig durch eine hohe Flexi- bilität (meßbar durch hohe Tempera- turfaktoren des Kristallgerüsts in der Röntgenstruktur) und durch die Aus- bildung von „turns" (Krümmungen, Windungen) in ihrer Sekundärstruk-

tur aus. Um B-Zellepitope vorherzu- sagen, versucht man, die genannten Eigenschaften (Hydrophilie, Fle- xibilität, Oberflächenzugänglichkeit, Turns) aus der Primärstruktur abzu- leiten (Tabelle 1).

Jameson und Wolf (16) kamen auf die Idee, die Vorhersagen physi- kalischer und struktureller Eigen- schaften zu kombinieren und zum so- genannten antigenen Index zusam- menzufassen. Hierbei fließen die Hy- drophilie mit 30 Prozent, sowie Ober- flächennähe und Flexibilität mit je- weils 15 Prozent in die Berechnung ein. Die beiden für die Sekundär- strukturvorhersagen vorhandenen Al- gorithmen von Chou und Fasman (4) und Garnier (10) werden mit jeweils 20 Prozent berücksichtigt. In unserer Arbeitsgruppe wurde hiermit der an- tigene Index sowohl für das Insekten- allergen Chit 1.01 (15, 17) als auch das Bäckerallergen Asp-O-2 (a-Amylase von Aspergillus oryzae; 37, Abbil- dung 4) ermittelt. Letzteres Enzym wird heute dem Backmehl routi-

nemäßig aus backtechnischen Grün- den zugefügt; etwa 5 Prozent aller Bäcker reagieren mit allergischen Symptomen darauf (37). Sowohl für Chit 1.01 als auch Asp-O-2 liegen Röntgenstrukturanalysen und damit Kenntnisse der dreidimensionalen Struktur vor (27, 39).

Allgemein wird den Vorhersage- algorithmen in der Literatur eine Trefferquote von 50 bis 60 Prozent zu- gesprochen (15, 31). Experimentelle Ergebnisse an Chit 1.01 bestätigen dies (Abbildung 5). So lassen sich bei- spielsweise mit dem Algorithmus von Chou, Fasman vier der tatsächlich vorhandenen acht a-Helices vorher- sagen.

Vorhersage und Analyse von T-Zellepitopen

Rothbard und Taylor (35) kamen bei der Analyse von 57 experimentell ermittelten T-Zellepitopen zu der Er- kenntnis, daß diese durch ein be- stimmtes Muster in der Aminosäure- A-694 (56) Deutsches Ärzteblatt 92, Heft 10, 10. März 1995

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Tabelle 1: Vorhersage von B-Zellepitopen anhand von physikalischen Eigenschaften, Se- kundärstruktur und antigenem Index nach verschiedenen Autoren. Grundlage aller Algo- rithmen ist die Aminosäuresequenz des Proteins

Algorithmus von Vorhersage von B-Zellepitopen anhand von

Hopp und Woods 1981 (14) Kyte und Doolittle 1982 (20) Chou und Fasman 1978 (4) Garnier und Robson 1978 (10) Kaplus und Schulz 1985 (18) Emini et al. 1985 (9)

Jamson und Wolf 1988 (16)

Hydrophilie Hydrophilie Sekundärstruktur Sekundärstruktur Flexibilität

Oberflächenzugänglichkeit Antigener Index

sequenz (polare Aminosäure oder Glycin gefolgt von zwei hydrophoben Aminosäuren) charakterisiert sind.

Weiterhin wurde in den Untersuchun- gen von Margalit et al. (26) ein Zu- sammenhang zwischen T-Zellepito- pen und Sekundärstrukturelementen festgestellt: Die von dieser Arbeits- gruppe analysierten T-Zellepitope zeichneten sich vorwiegend durch amphipatische (also auf der einen Sei- te polare, auf der anderen Seite unpo- lare) Helices aus. Der entsprechende Algorithmus basiert folglich auf der Vorhersage dieser Struktur (26). Bei- de genannten Algorithmen wendeten wir auf das Insektenallergen Chit 1.01 an. Parallel untersuchten wir überlap- pende Peptide entlang der gesamten Proteinsequenz bezüglich ihres Epi- topcharakters, das heißt, inwieweit sie eine Zellteilung humaner peripherer Blutlymphozyten auslösen. Der Ver- gleich von Vorhersage und experi- mentellen Ergebnissen zeigt, daß die genannten Vorhersagen die tatsächli- chen T-Zellepitope keinesfalls voll- ständig erfassen (23). Ebenso wie für das Insektenallergen haben Untersu- chungen an dem Milbenkotallergen Der-p2 ergeben, daß T-Zellepitope nahezu in allen Regionen des Proteins auftreten (29).

Beziehungen zwischen Struktur und Funktion

Antikörper und T-Zellrezeptor erkennen jeweils in bezug auf ihre Bindungsstellen komplementäre Strukturen des Antigens (T-Zellepi- top, B-Zellepitop). Die Interaktion entspricht aber nicht einem starren

„Schlüssel-Schloß-Modell", sondern geht mit wechselseitigen strukturellen Anpassungen einher. Bisher ist noch nicht umfassend geklärt, in welchem Maße Sekundär- und Tertiärstruktur von Proteinen deren Funktion als T- und B-Zellepitope bedingen. Für die Antikörperbindung wird in erster Li- nie der dreidimensionalen Anord- nung, also der räumlichen Faltung des Moleküls, eine große Bedeutung zu- gesprochen. Fünf bisher durch Rönt- genstrukturanalyse ermittelte B -Zell- epitope (aus den Enzymen Neurami- nidase und Lysozym) erwiesen sich als

Konformationsepitope (21, 30). Eini- ge Autoren gehen davon aus, daß in nativen Antigenen Konformations- epitope die Regel sind und kontinu- ierliche Epitope nur experimentelle Artefakte darstellen. Diese soge- nannten „Unfoldons" würden bei der Herstellung von Antikörpern im Laufe des Immunisierungsprozesses durch Denaturierung des Proteins entstehen (31).. Zahlreiche experi- mentelle Daten belegen aber auch das Vorhandensein linearer B-Zellepito- pe (12, 13, 17, 22).

Es ist jedoch möglich, daß die charakterisierten Bereiche nur Teile der vollständigen Bindungsregionen des nativen Moleküls erfassen. Zu- dem ist auch nicht jede Aminosäure innerhalb eines sequentiellen Epitops essentiell für die Bindung. Folglich hat die Einteilung in Konformations- und lineare Epitope mehr theoreti- schen Charakter.

Neben der räumlichen Konfigu- ration kann die Sekundärstruktur ent- scheidend für die Bildung von Epito- pen und damit für das Auslösen von Immunreaktionen sein. Helices ha- ben große Bedeutung für die Funkti- on von Proteinen, sie stellen oft Re- gionen erhöhter biochemischer Akti- vität dar. Ein Beispiel hierfür sind die Anti-Frost-Proteine arktischer Fi- sche. Sie verhindern das Gefrieren der Körperflüssigkeiten in den eisigen Gewässern.

Je höher der helikale Anteil in diesen Proteinen ist, desto besser sind die Antifrosteigenschaften (40).

Um zu erfahren, ob die Sekun- därstrukturen auch für die allergene Aktivität einer Substanz wichtig sind,

muß man sowohl die Bedeutung für die B-Zelle (Antikörperbildung) als auch für die T-Zelle analysieren.

Struktur und B-Zellepitop Die Beziehung zwischen dem Auftreten von Helices und der Anti- körperbindung wurde unter anderem am HIV-1-Protein p18 untersucht.

Mit Hilfe synthetischer Peptide über- prüfte man die Spezifität von Anti- p18-Antikörpern infizierter Men- schen und immunisierter Schimpan- sen. Auf diese Weise konnte im Anti- gen ein Bereich lokalisiert werden, der bev-orzugt Antikörper bindet also immundominant ist (25). Informatio- nen über die Struktur des Proteins er- hielt man durch Messung der opti- schen Aktivität mittels circularer Dichroismus Spektroskopie (CD).

Durch die asymmetrische und perio- dische räumliche Anordnung der ein- zelnen Aminosäuren ist die Konfor- mation eines Proteins anhand charak- teristischer Absorptionsbanden fest- zustellen. Als Sekundärstrukturen können a-Helices, ß-Faltblattstruktu- ren und Zufallsknäuel unterschieden werden, wobei allerdings nur der Ge- samtgehalt dieser Strukturen und nicht deren Lokalisation innerhalb des Proteins bestimmt wird. Für das p18-Protein fand sich keine Korrelati- on zwischen Helixanteil und Immu- nogenität (25). Untersuchungen am Bienengiftallergen Melittin führten dagegen zu der Annahme, daß die Ausbildung von Tetrameren mit a- helikaler Konformation für die hämo- lytische Aktivität und die Immunoge- nität entscheidend ist (19).

Deutsches Ärzteblatt 92, Heft 10, 10. März 1995 (57) A-695

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Da B-Zellepitope in der Regel mit Hilfe von Peptiden analysiert wer- den, ist die Erkenntnis interessant, daß Proteinfragmente die gleichen Sekundärstrukturelemente ausbilden können wie die jeweilige Sequenz im Gesamtmolekül. Entsprechende Er- gebnisse liegen für das dem Hämoglo- bin verwandte Sauerstoff-Transport- pigment einiger wirbelloser Tiere, das Myohämerythrin und seine Peptide vor (8) und bestätigten sich in unseren Untersuchungen (6, 7).

Mit Hilfe der Nuclear-Magnetic- Resonance-Spektroskopie (NMR) konnten wir die Struktureigenschaf- ten von Peptiden des Allergens Chit 1.01 erfassen (3). Mit diesem Meßver- fahren wird einerseits die Zusammen- setzung des Proteins aus einer be- stimmten Anzahl von Aminosäuren wiedergegeben, andererseits die räumliche Nachbarschaft zwischen Protonen verschiedener Aminosäu- ren angezeigt.

Die Dipol-Dipol-Wechselwir- kungen zweier Protonen durch den Raum (Abstand geringer als vier Ä = 40-10m) entlang des Proteinrückgrates (Kohlenstoffgerüst) sind charakteri- stisch für die jeweiligen Sekundär- strukturmotive. Alle von uns unter- suchten Peptide wiesen einen großen Anteil an Zufallsknäuel auf, aber auch die Ausbildung definitiver Se- kundärstrukturen (Helices).

Sofern wir Strukturen in den Peptiden nachweisen konnten, waren sie den Motiven des Gesamt-Proteins vergleichbar.

Ob Änderungen in der Sekun- därstruktur die Antigenität tatsäch- lich entscheidend beeinflussen, ist letztlich auch davon abhängig, wie eng verzahnt die Antikörper-Epitop- Bindung ist. So haben Röntgenstruk- turuntersuchungen an Progesteron- Antikörpern gezeigt (1), daß die vom Immunglobulin gebildete Antigen- bindungsstelle eine hydrophobe Ta- sche darstellt, die nur einen Teil des Liganden direkt bindet. Da keine vollständige Komplementarität der Bindungsstellen vorliegt, erweist sich der Antikörper gegenüber geringen Strukturänderungen als flexibel — im genannten Beispiel erkennt er des- halb fünf verschiedene Progesteron- ähnliche Steroide (sogenannte Pro- miskuität der Antikörper).

Struktur und T-Zellepitop Komplexer ist die Situation für die T-Zelle. Sie erkennt das Allergen erst nach enzymatischer Spaltung und gebunden an MHC-Moleküle (Abbil- dung 3). Wenn Sekundärstrukturen ei- ne Rolle spielen, sollten sie in erster Linie einen Einfluß auf die MHC- Bindung haben. Entsprechend unter- suchten Grey et al. (11) die Wirkung von a-Helices auf die Affinität der MHC-Bindung, wobei sich keine Korrelation finden ließ. Demgegen- über stehen die Ergebnisse von Roth- bard et al. (34, 35). Der (durch Ami- dierung und Acetylierung) gesteiger- te Helixanteil des Hämagglutininpro- teins verbesserte auch dessen Fähig- keit zur Stimulation von T-Zellklo- nen. Die von Margalit et al. (26) er- kannte Bedeutung von Helices für die T-Zellantwort wird hiermit bestätigt.

Der zu Grunde liegende Mechanis- mus bleibt allerdings bisher unklar.

Schlußbetrachtung

Die Faltung und damit die Struk- tur von Proteinen und Peptiden ist vor allem durch deren Einzelbausteine, die Aminosäuren, vorgegeben; sie wird aber auch durch das komplexe Zusammenspiel verschiedener Fakto- ren, wie Temperatur, Druck, Lösungs- mittel, Ionenstärke und pH-Wert be- einflußt. Außerdem kann die Bin- dung eines Epitops an ein Immunglo- bulin oder MHC-Molekül wechselsei- tige Konformationsänderungen indu- zieren (36). Inwieweit ist nun die Struktur, speziell die Sekundärstruk- tur, für die Allergenwirkung wesent- lich? Nach heutigem Kenntnisstand gibt es das allergene Strukturmerk- mal nicht. Aber es ist evident, daß Faltungen und Helices des Proteins die immunogenen Eigenschaften ent- scheidend mitbestimmen.

Nicht das Antigen allein, sondern erst dessen Interaktionen mit den komplementären Strukturen von ge- netisch kodierten MHC-Molekülen (32), Immunglobulinen und T-Zellre- zeptoren führen zur Immunantwort und Allergie-Entstehung. Einblick in diese Vorgänge zu gewinnen, schafft die Voraussetzungen für erfolgver- sprechendere primärpräventive Maß-

nahmen, wie Meidung der individuel- len Risikoallergene. Schließlich er- möglichen es diese Kenntnisse neue therapeutische Ansätze zu ent- wickeln. Denkbar wäre eine gezielte Hemmung der Immunreaktion durch synthetisch hergestellte Peptide, die als inaktive Epitopanaloga wirken.

Zitierweise dieses Beitrags:

Dt Ärztebl 1995; 92: A-690 — 696 [Heft 10]

Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literaturverzeichnis im Sonderdruck, anzufordern über die Verfasser.

Anschrift für die Verfassen

Prof. Dr. med. Xaver Baur Berufsgenossenschaftliches Forschungsinstitut

für Arbeitsmedizin (BGFA) an der Ruhr-Universität Bochum Bürkle-de-la-Camp-Platz 1 44789 Bochum

Langzeitbehandlung der Refluxösophagitis

Bei der Akutbehandlung der Re- fluxkrankheit der Speiseröhre haben sich weltweit Protonenpumpen- blocker durchgesetzt. Bei 50 bis 80 Prozent der Patienten ist jedoch eine Langzeittherapie erforderlich.

Die Autoren behandelten 392 Patienten mit ausgeheilter Refluxöso- phagitis über zwölf Monate mit 20 mg Omeprazol täglich (n = 131), 10 mg Omeprazol täglich (n = 133) und zweimal 150 mg Ranitidin (n = 128).

Sowohl die 10-mg- als auch die 20-mg- Dosis Omeprazol war signifikant häu- figer in der Lage, Patienten mit einer erosiven Refluxösophagitis in Remis- sion zu halten als die Behandlung mit zweimal 150 mg Ranitidin. Die ent- sprechenden Remissionsdaten betru- gen 72 Prozent, 62 Prozent und 45 Prozent. Signifikante Nebenwirkun- gen wurden unter der Langzeitthera- pie nicht beobachtet.

Hallerbäck B, Unge P, Carling L et al.:

Omeprazole or Ranitidine in Long-term Treatment of Reflux Esophagitis. Ga- stroenterology 1994; 107: 1305-1311 Departments of Surgery, Trollhättan and Hudiksvall Hospitals, Schweden

A-696 (58) Deutsches Ärzteblatt 92, Heft 10, 10. März 1995

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