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Archiv "Kirchen äußern sich auch zum Gesundheitswesen" (04.04.1997)

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s erregt im Lande Martin Lu- thers und der Reformation im- mer noch öffentliche Aufmerk- samkeit, wenn sich die bei- den großen christlichen Kirchen ge- meinsam zu Fragen der Sozial- und Wirtschaftsordnung dieses Landes äußern. Die Aufmerksamkeit ist ihnen um so mehr gewiß, wenn sie dies in ei- ner Zeit tun, da die seit 15 Jahren ver- antwortliche Regierung die schwerste Krise des Sozialstaates und des Wirt- schaftsstandorts Deutschlands seit 1945 zumindest nicht verhindert hat.

In kritischen Zeiten und bei labi- lem Gleichgewicht der Kräfte braucht es oft nur eines Tropfens, der das Faß zum Überlaufen bringt. Die Ange- botsökonomen unter den Beratern der Bundesregierung und insgesamt die Marktliberalen wollen mit un- tauglichen Mitteln den Sozialstaat und die soziale Marktwirtschaft der Bundesrepublik sturmreif schießen.

Dies geschah mit einer Politik radika- ler Ausrichtung an US-amerikani- schen Vorbildern, Überbetonung des Eigennutzstrebens und ausschließli- cher Gewinnorientierung der Anbie- ter. Wissenschaftlich verbrämt, wurde die extrem liberale Position oft auch unter dem Stichwort „methodischer Individualismus“ verkauft. Die gesell- schaftlichen Schäden wie Massenar- beitslosigkeit, Entsolidarisierung im Innern, extreme Belastung der Sozial- versicherung, Ausweitung der Armut und eine immer extremere Einkom- mens- und Vermögensungleichheit wurden oft sogar bewußt in Kauf ge- nommen.

Auf der anderen Seite formieren sich mit wachsendem Erfolg die ge- sellschaftlichen Kräfte, die die soziale Marktwirtschaft nicht nur verteidi- gen, sondern auch ausbauen, zum Beispiel zugunsten der Familien und der Armen, und reformieren wollen – entsprechend dem Sozialstaatsgebot der Verfassung. Diesen Kräften sind die beiden Kirchen mit ihrem Sozial- wort nun unterstützend zur Seite ge- treten.

Die wichtigsten Wertpositionen, die sie gemeinsam vertreten, sind knapp umrissen: Sozialer Frieden im Innern durch eine solidarische Gesell- schaft, Gerechtigkeit für die aus- gegrenzten unteren Einkommens- schichten, insbesondere auch für die

Armen und die Familien mit Kindern.

Um Arbeit für alle als Menschenrecht durchzusetzen, bedarf es einer Ent- scheidung für die soziale Marktwirt- schaft, ihren Ausbau und ihre Er- neuerung.

Die Option für die sozial Schwa- chen und Ausgegrenzten erfolgt mit Hilfe der Meßlatte, die das Evangeli- um Jesu Christi vorgibt. Dabei sehen die Kirchen, die selbst zu den etablier- ten Institutionen der Gesellschaft ge- hören, bei einer obersten Zielorientie- rung aller am Gemeinwohl durchaus die „langfristigen Interessen“ der Ge- sellschaft im ganzen besser gesichert.

Scharf gehen sie in ihrem Sozial- wort auch mit der wachsenden Armut in der Gesellschaft ins Gericht, ohne die Kehrseite der Medaille – immer

mehr Reichtum für eine prozentual kleine Minderheit der Bürger – aus dem Blickfeld zu verlieren. Bei der Er- reichung der von ihnen angestrebten Ziele sind daher die Reichen und der gesellschaftliche Reichtum stärker als bisher in die Pflicht zu nehmen.

Das Sozialwort der Kirchen ist ein wichtiges Wort, das trotz der langen Vorbereitungsphase (1994 bis 1997) noch zur rechten Zeit kommt. Es bleibt in seiner analytischen Schärfe zwar hinter dem Hirtenwort der ame- rikanischen katholischen Bischöfe von 1986 „Economic justice for all“ zurück.

Es stellt auch nicht die Grundsatzfra- ge, ob die vorgegebenen Ziele: Arbeit für alle, soziale Gerechtigkeit, Erhal- tung der sozialen Netze, entschiedene Besserstellung der Familien mit Kin- dern in der geltenden Wirtschaftsord- nung überhaupt realisiert werden kön- nen. Insofern ist das Wort der Kirchen ein Wort der Mitte und keiner radika- len Position zuzuordnen. Es fordert aber von den Entscheidungsträgern in der Politik und von allen verantwortli- chen Eliten in unserer Gesellschaft ei- ne Neuorientierung und einen ent- schiedenen Gestaltungswillen.

Auch die Ärzteschaft – obwohl keine einheitliche homogene Gruppe – ist vom Sozialwort angesprochen.

Ein Schiffbruch der gesetzlichen Krankenversicherung dürfte für die Mehrheit der Ärzte mehr Nachteile als Vorteile haben. Da viele Ärzte – wenn auch bei weitem nicht alle – zu den Reichen in der Gesellschaft gehören, sind sie als verantwortliche Elite aufgerufen, eine gerechtere und solidarischere Praxis dort zu verwirk- lichen, wo sie unmittelbar Verantwor- tung tragen und man ihnen die not- wendigen Spielräume läßt. Neben Einzelinitiativen ist es eine reformier- te Selbstverwaltung – von einseitigem Interessendenken befreit –, die auch das Wohl der anderen Beteiligten fair einbeziehen könnte.

Prof. Dr. rer. pol. Dr. h. c.

Jürgen Zerche

Ordinarius für Sozialpolitik Universität zu Köln

A-893

P O L I T I K KOMMENTAR

Deutsches Ärzteblatt 94,Heft 14, 4. April 1997 (21)

Kirchenpapier

Ein notwendiges Wort

Kirchen äußern sich auch zum

Gesundheitswesen

In ihrem gemeinsam erarbei- teten Papier mit dem Titel „Für ei- ne Zukunft in Solidarität und Ge- rechtigkeit“ beschäftigen sich die beiden großen christlichen Kir- chen in Deutschland auch mit dem Gesundheitswesen. Sie fordern, daß künftig eine vollwertige medi- zinische Versorgung für jeden und ein freier, von der Einkommenssi- tuation unabhängiger Zugang aller zur Gesundheitsfürsorge gewähr- leistet sein müsse.

Ausgabenbegrenzungen dürf- ten nach Ansicht der Deutschen Bischofskonferenz und der Evan- gelischen Kirche in Deutschland nicht dazu führen, Medizin und Pflege auf „technische Vollzüge“

zu reduzieren; menschliche Zu- wendung und Patientennähe seien unentbehrliche Kennzeichen einer humanen Gesundheitsver- sorgung (dazu Deutsches Ärzte- blatt, Heft 11/1997). Kli

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