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eheimnisvoller Glanz und leuchtende Farben, organoide Formen und diffizil ausgearbeitete Ober- flächen kennzeichnen die Ar- beiten des Lichtkünstlers Jür- gen Reichert. Manche Be- sucher seiner Ausstellungen reagieren heftig auf die Expo- nate und empfinden Faszina- tion oder Ekel. Einige Werke erinnern deutlich an anatomi- sche Strukturen, mit denen der Betrachter sonst nicht konfrontiert wird. Reichert scheut sich nicht,Themen wie Blut, Geburt oder Tod aufzugreifen.
Der in Aachen le- bende Künstler wur- de 1969 in Esch- weiler geboren. Nach einem Studium der Elektrotechnik mit Abschluss als Di- plomingenieur absol- vierte er ein Kunst-
studium an der Maastrichter Academie Beeldende Kun- sten. Seit einigen Jahren stellt er seine illuminierten Objek- te erfolgreich im In- und Aus- land aus, unter anderem im Bonnefantenmuseum, Maas- tricht, in Jakarta oder der Ga- lerie Spandow, Berlin. Abbil- dungen seiner Arbeiten er- schienen in den niederländi- schen Ausgaben der Zeit- schriften „Art-nl“ und „Elle Wonen“. Mit der Arbeit „Ko- kon“ gewann er 1996 den
„Winnaar Young Design Award“, mit „Kaltes Herz“
den Publikumspreis für das Titelblatt des Siemens-Kalen- ders 1999. Reicherts funkeln-
de Werke tragen Namen, die der Wissenschaft oder der Mythologie entlehnt sind. In seiner Kunst sucht er die Ver- bindung einer animalischen
Körperlichkeit mit der Sym- bolik des Lichts herzustellen.
Licht ist bei ihm immer mit dem Prinzip des Lebens gleichzusetzen. Das wichtig- ste Material des Künst- lers ist hitzeunemp- findliches Silikon. Mit Pigmenten angerei- chert, wird es in auf- wendigen Arbeitspro- zessen übereinander geschichtet oder mit
anderen Materialien – Wolle, Glasfasern, Per- len – verbunden. Lei- tungskabel können zu Nabelschnüren mutie- ren. Oft gewähren Ris- se, Schnitte oder Öff- nungen Einblicke in das vielfältig struktu- rierte Innere der Ge- bilde, von denen ein magi- sches, fast hypnotisches Licht ausgeht.
Eine von Adern durchzo- gene Schöpfung, in der man pulsierendes Blut erkennen kann, trägt die Bezeichnung
„Kurukulla“ (eine Liebesgöt- tin). „Mora“ heißt eine ande- re organoide Form, deren röt- liche Innenseite glitzert, als
ob sie von einem klaren Se- kret überzogen wäre. „Awo- nawilona“ ist nach einem an- drogynen Schöpfergott be- nannt, der Himmelsvater und Erdmutter erschuf, indem er Bälle aus seiner Haut auf das Urwasser warf. Das Gebilde ist realisiert als ein vorgeburt- liches Fantasiewesen.
Während diese Arbeiten von der Anatomie inspiriert zu sein scheinen, verkörpern andere Gebilde geheimnis- volle Meeresorganismen wie Seeanemonen oder riesige exotische Blüten. „Mars“, eine Konstruktion aus rotschim- merndem Kunststoff und ver- silberten Glasröhren, stellt hingegen in der Synthese von Metall und Licht das nach außen strebende Prinzip des mythologischen Gottes der Krieger und Chirurgen dar.
Neuron als Chamäleon Reichert betont, dass er seine Objekte nicht nach realen Modellen formt. Als „orga- nisch“ gewachsene Verkörpe- rungen von Ideen sollen sie vom Betrachter begriffen werden. Besonders gelte das für ein Lichtwesen mit dem Namen „Berührung“. Dieses erinnert in seiner Gestalt an eine Nervenzelle. Es lade den Betrachter ein, eine aktive Rolle zu übernehmen: Be- rührt er die dendritisch ge- wundenen Antennen, so be- wirkt er im Inneren des Gebil- des ein eindrucksvolles Farb- spiel. Das Licht wechselt all- mählich von einem kühlen Grünblau zu einem intensi- ven Orangerot.
Auf die Bedeutung der Wärme menschlicher Berüh- rung, die Wichtigkeit des Hautkontakts will er hier auf- merksam machen, so Rei- chert. Er habe gelesen, Ärzte ersetzten die Palpation in der körperlichen Untersuchung zunehmend durch eine aus- geklügelte technische Dia- gnostik. An diesem Objekt könne jeder Besucher seine fundamentale Fähigkeit zum Heilen symbolisch kennen lernen, indem er das „Wesen“
von dessen innerer Kälte be- freie. Peter Bartmann V A R I A
Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 98½½½½Heft 36½½½½7. September 2001 AA2289
Die „Lichtwesen“ des Jürgen Rei- chert sind in der Ausstellung „Un- endliche Reise“ des Kunstvereins Emmerich bis zum 23. September 2001 im „Haus im Park“ im Rhein- park in Emmerich zu sehen. Weite- re Informationen: Frau Gerburg Riehle, Am Stadtgarten 10, 46446 Emmerich, Telefon: 0 28 22- 57 01.
„Mars“ „Berührung“
„Kurukulla“
„Awonawilona“ Fotos: J. Reichert Feuilleton