A2650 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 103⏐⏐Heft 40⏐⏐6. Oktober 2006
P H A R M A
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otaviren sind die häufigsten viralen Auslöser von Gastro- enteritiden bei Kleinkindern bis fünf Jahre. Zwischen 75 000 und 87 000 Hospitalisierungen gehen in Europa auf das Konto dieser Keime, schätzen Experten. Die hochkonta- giöse Infektion gilt bei Kleinkindern als zweithäufigste Ursache für unge- plante Arztbesuche, wie Prof. Hans- Iko Huppertz (Bremen) erläuterte.Mit zwei Impfstoffen ist nunmehr eine sichere Prophylaxe möglich.
Rotarix® von GlaxoSmithKline und RotaTeq® von Sanofi Pasteur MSD haben einen unterschiedlichen Ansatz. Rotarix ist eine monovalente attenuierte Lebendvakzine, die von dem häufigsten Serotyp G1P abge- leitet ist. Der Impfstoff hat eine hohe Replikationsrate im Darm, weshalb zwei orale Dosen im Abstand von zwei Monaten ausreichen. Rotateq ist ein modifizierter boviner Rota- virenstamm (WC3), der mit fünf An- tigenen der häufigsten beim Men- schen auftretenden Rotavirus-Sero- typen versehen wurde. Das gentech- nisch veränderte Virus vermehrt sich im Darm nicht so gut und muss des- halb höher dosiert werden.
Beide Impfstoffe wurden in Me- ga-Studien getestet, um eine Häu- fung von Darminvaginationen er- kennen zu können. GlaxoSmithKline ließ Rotarix überwiegend in La- teinamerika unter den Bedingungen eines Schwellenlandes testen, wäh- rend die Studie zu Rotateq in elf In- dustrieländern (vor allem USA und Finnland) stattfand. Beide Impfstof- fe erwiesen sich als sicher. Ein di- rekter Vergleich beider Präparate verbietet sich aber, da die Situatio- nen in den Testländern nur schwer vergleichbar sind.
Die orale Vakzinierung von Säug- lingen ab einem Alter von sechs Wo- chen mit zwei Dosen Rotarix schützt nach einer europäischen Phase-3-
Studie zu 100 Prozent vor Rotavirus- bedingten Hospitalisierungen und zu 96 Prozent vor schwerwiegenden In- fektionen mit den häufigsten dieser Virusstämme. Im Rahmen der Un- tersuchung wurden 3 874 Säuglinge im Alter von sechs bis 14 Wochen erstmals und danach zwischen der 20.
und 24. Lebenswoche geimpft; 1 302 Kontrollen erhielten Placebo. Die Vakzine wurde vor und während der
winterlichen Rotavirus-„Saison“ in Kombination mit den üblichen Kin- derimpfstoffen appliziert.
Nach Angaben von Dr. Beatrice De Vos (GSK Biologicals) ist eine hohe Wirksamkeit gegen schwerwie- gende Gastroenteritiden dokumen- tiert, die durch die häufigsten Sero- typen G1 (96 Prozent), G3 und G4 (100 Prozent) und den global zuneh- mend auftretenden Stamm G9 (95 Prozent) ausgelöst werden. Hospitali- sierungen ließen sich – unabhängig vom Virustyp – zu 100 Prozent ver- meiden.
Mechanismus der
Kreuzprotektion ungeklärt
Die Vakzine wurde weltweit in elf placebokontrollierten Studien bei mehr als 40 000 Säuglingen verab- reicht. Dabei wurde kein erhöhtes Risiko hinsichtlich Invagination fest- gestellt (sieben versus 16 Fälle unter Placebo). Wie die Daten der euro-päischen Studie ausweisen, schützt die Impfung nicht nur vor schwe- ren Gastroenteritiden durch das G1-
„Wild“-Virus, sondern verhindert zu einem erheblichen Prozentsatz auch die Reaktionen auf Nicht-G1- Stämme. Der Mechanismus der
„Kreuzprotektion“ sei jedoch nicht exakt geklärt, sagte Prof. Timo Ve- sikari (Tamere), der den skandi- navischen Part der Studien betreut hat. Der Pädiater mahnte zur Vor- sicht vor der Impfung, wenn bei den Säuglingen eine Immunstörung oder Malformationen des Gastrointesti- naltraktes bekannt sind. Zur Vakzi- nierung von Frühgeborenen liegen keine Daten vor.
Mit RotaTeq®wird im Oktober der pentavalente Schluck-Impfstoff von Sanofi Pasteur MSD eingeführt,
der Schutz vor den fünf Serotypen G1, G2, G3, G4 und G9 bietet, wie in der Rotavirus-Efficacy-and- Safety-Studie (REST) mit mehr als 70 000 gesunden Säuglingen in elf Ländern bewiesen wurde. Die Kin- der waren ab der sechsten bis zwölf- ten Lebenswoche dreimal in Ab- ständen von vier bis zehn Wochen mit der oralen Vakzine oder Placebo geimpft worden.
Die Analyse zur Wirksamkeit mit 5 673 Kindern ergab, dass mit der Vakzine 75 Prozent aller Rotavirus- Infekte verhindert wurden. Schwere Infektionsverläufe gab es nur bei einem Kind in der Verum-Gruppe im Vergleich zu 51 Kindern in der Placebo-Gruppe. Darm-Invaginatio- nen, die bei einem früheren Rotavi- rus-Impfstoff vorgekommen waren, traten mit der neuen Vakzine nicht
gehäuft auf. I
Dr. rer. nat. Renate Leinmüller Rüdiger Meyer
ROTAVIRUS-INFEKTIONEN
Orale Impfstoffe bieten umfassenden Schutz
An Brechdurchfall durch Rotaviren erkranken in Deutsch- land jedes Jahr mehr als 10 000 Kinder im Alter unter vier Jahren.
Foto:Sanofi Pasteur MSD