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Archiv "Risikomanagement: „Sicherheitscheck kann zur Farce werden“" (27.06.2008)

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A1432 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 105⏐⏐Heft 26⏐⏐27. Juni 2008

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orhaben klingen in der Theorie häufig vielversprechend und sinnvoll. Die Umsetzung stellt sich in der Praxis jedoch bisweilen als problematisch heraus. So war es auch mit den „Empfehlungen zur Prävention von Eingriffsverwechs- lungen“. „Bis zum heutigen Tag weiß bei uns niemand, was ein ,Team-Time-Out’ eigentlich ist“, bemängelt Dr. med. Emilio Domin- guez, Oberarzt der Klinik für Vis- zeral,- Thorax- und Gefäßchirurgie des Universitätsklinikums Gießen und Marburg.

Dominguez’ Chef, Prof. Dr. med.

Matthias Rothmund, leitet die Ar- beitsgruppe Eingriffsverwechslung des Aktionsbündnisses Patienten- sicherheit (APS)*. Das Bündnis geht von 100 bis 240 Eingriffsverwechs- lungen jährlich mit juristisch be- stätigter Schadensfolge aus. Als ,Team-Time-Out’ hat der Zusam- menschluss die letzte von vier Si- cherheitsstufen bezeichnet, die ein Operationsteam vor einem Eingriff beachten sollte. Der Begriff steht für ein letztes Innehalten des Teams, um vor der Operation alles auf seine Richtigkeit hin zu überprüfen. An erster Stelle, so legte es die Arbeits- gruppe bereits 2006 fest, solle das OP-Team zur Vermeidung von Ein- griffsverwechslungen vor oder nach der Aufnahme einen Identifikations- test mit dem Patienten durchführen.

Anschließend solle der Ort des Ein- griffs – beispielsweise das linke Bein oder der rechte Arm – noch außerhalb des Operationssaals mit einem nicht abwischbaren Stift mar- kiert werden. An der Schwelle zum

Operationssaal, so empfiehlt die Ar- beitsgruppe, solle das Team den Pa- tienten erneut identifizieren. Soviel zur Theorie.

Die Gruppe unter Rothmunds Lei- tung fasste die Empfehlungen schriftlich zusammen und entwarf zusätzlich ein Plakat, auf dem die vier Sicherheitsstufen abgebildet sind (siehe Abbildung). Im Rahmen einer groß angelegten Kampagne ge- gen Eingriffsverwechslungen, an der neben dem APS die Deutsche Kran- kenhausgesellschaft und der AOK- Bundesverband teilnahmen, schickte das Bündnis die Empfehlungen an mehr als 2 000 Krankenhäuser (siehe DÄ, Heft 39/2007). Den Kranken- häusern steht es frei, die Präventions- maßnahmen umzusetzen.

Poster mit Anweisungen im Alltag schnell übersehen

Am Universitätsklinikum Gießen- Marburg war man von den Empfeh- lungen überzeugt. Schließlich hatte das dort verwendete Fehlermelde- system gezeigt, dass es bei vielen Operationen beinahe zu Eingriffs- verwechslungen gekommen war, berichtete Dominguez am Rande eines APS-Workshops Mitte Juni in Berlin. So war der Entschluss, die Poster mit den Empfehlungen im Operationssaal aufzuhängen und sich an den Sicherheitsstufen zu orientieren, schnell getroffen. Aller- dings: Es sorgten bislang nicht nur Begriffe wie ,Team-Time-Out’ für Verwirrung, räumt Dominguez ein. Auch habe keiner die Poster so recht wahrgenommen, erzählte der Chirurg. „Dabei ist der gesamte OP-Saal voll davon.“

An den Asklepios-Kliniken Hamburg nahm sich die Risikoma- nagement-Abteilung des Themas an. Der Beschluss, die Handlungs- empfehlungen umzusetzen und an

RISIKOMANAGEMENT

„Sicherheitscheck kann zur Farce werden“

2007 hatte das Aktionsbündnis Patientensicherheit Empfehlungen zur Prävention von Eingriffsverwechslungen an mehr als 2 000 Krankenhäuser gegeben.

Erste Berichte aus der Praxis zeigen: Ganz so leicht fällt die Umsetzung nicht.

* Das Aktionsbündnis Patientensicherheit ist im April 2005 gegründet worden. Es hat inzwischen rund 200 Mitglieder, darunter Vertreter aus verschiedenen Bereichen des Gesundheitswesens – Ärzte, Pfleger, Patienten, Wissenschaftler und Versicherungswirt- schaftler. Einmal jährlich gibt das Bündnis einen Bericht heraus, die „Agenda Patientensicherheit“.

In vier Schritten zur mehr Sicherheit:Erst den Patienten identifi- zieren, dann den Eingriffsort markieren, ihn anschließend dem richtigen OP-Saal zuweisen und kurz vor OP-Beginn noch einmal innehalten.

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die hausinternen Strukturen anzu- passen, fiel Ende letzten Jahres.

Zunächst, sagt Reiner Heuzeroth, bei den acht Asklepios-Kliniken für das Qualitätsmanagement zuständig, verlief alles reibungslos: Erst hän- digte die Risikomanagement-Ab- teilung den Operationsteams die Handlungsanweisungen des APS aus, anschließend informierte sie die Patienten über die neuen Sicher- heitsvorgaben. „Schließlich wollten wir die Patienten mit dem neuen Vorgehen nicht verunsichern“, er- klärte Heuzeroth. Vier Monate spä- ter erfolgte eine erste Abfrage zum bisherigen Verlauf. Das Ergebnis:

„Es ist ein großer Veränderungspro- zess im Gange.“ Denn auch den Ärzten an den Asklepios-Kliniken bereitete das ,Team-Time-Out’ Pro- bleme. So wusste keiner so recht, wer das letzte Innehalten anordnen soll, es kam zu Hierarchieproble- men. Zudem verunsicherte wie am Universitätsklinikum Gießen-Mar- burg viele Ärzte der Begriff an sich.

„Der Check kann auf diese Weise schnell zur Farce werden“, sagt Heuzeroth.

Ein überwiegend positives Feed- back kam bislang vom Frankfurter Universitätsklinikum. Auch hier waren mehrere Beinahe-Verwechs- lungen der Grund, sich mit dem Thema näher zu beschäftigen. Das Klinikum gründete ein interdiszi- plinäres Projektteam, das neben Ärzten auch aus dem Qualitätsbe- auftragten des Hauses und dem Operations-Management besteht.

„Seitdem“, berichtet Thomas Wie- tryckus, Pflegewirt und Mitglied der Gruppe, „gab es keine Beinahe-Ver- wechslungen mehr.“ Zur Akzeptanz des APS-Sicherheitskonzepts habe beigetragen, dass die für die Opera- tion verantwortlichen Chirurgen das ,Team-Time-Out’ vorlebten und einforderten, sagt der Pflegewirt. So war dem Operationsteam klar, wer für was zuständig ist. „Eine Chef- Mentalität führt zu nichts“, ist Do- minguez Erfahrung. Allerdings, so ging aus den Rückmeldungen der Frankfurter hervor, müssen die ein- zelnen Schritte des letzten Sicher- heitschecks noch genauer beschrie-

ben sein. I

Martina Merten

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ainz im April 2008. An der Pforte des Rechtsmedizini- schen Instituts, einem massig wir- kenden Gebäude aus grauem Stein, hat Bianca Navarro eine Nach- richt hinterlassen: Es wird später.

„Unvorhergesehene Tatortbesichti- gung“ ist die Erklärung an der Pforte.

Eine halbe Stunde später ist sie da. Eine zierliche junge Frau von Anfang dreißig, das dunkelblonde, glatte Haar zum Pferdeschwanz ge- bunden. Sie kommt zurück von ei- ner Kindertagesstätte in einem an- grenzenden Bundesland. „Das Kind, das ich gerade untersucht habe, hat Glück, dass es noch lebt“, sagt Na- varro. Fälle so gravierend wie dieser sind nicht alltäglich, aber doch auch nicht selten.

Petechien im Gesicht

Einer Kindergärtnerin war mehrfach aufgefallen, dass eine Dreijährige immer mal wieder kleine, rote Punk- te im Gesicht hatte. Hautirritationen, dachte die Erzieherin zunächst. Als die Punkte an diesem Tag wieder da sind, erinnert sich die Betreuerin an eine Fernsehsendung, die sie kurz zuvor gesehen hatte: Navarro hatte in der Sendung erklärt, dass kleine rote Punkte auf der Haut mögliche Folge von Gewalt sein könnten. Die Kindergärtnerin ruft Navarro an, die sich unverzüglich auf den Weg macht. Tatsächlich findet sie im Ge- sicht des Mädchens Petechien, die sich bis über Hals und Schultern er- strecken. Das Kind hat offenbar mehrere Erstickungsversuche über- lebt. „Da besteht natürlich der Ver- dacht der versuchten Tötung“, sagt Navarro. Das betroffene Mädchen

und sein Geschwisterchen seien so- fort fremd untergebracht worden, um eine potenzielle Gefährdung durch Familienmitglieder auszu- schließen. Jetzt ermittele die Polizei.

Seit die „Forensische Ambulanz für Opfer von Gewalt in engen so- zialen Beziehungen“ über Medien und Weiterbildungsveranstaltungen bekannter wird, steht Navarros Te- lefon kaum noch still. Der Bedarf an forensisch-ambulanten Kolle- gen, die niederschwellig und schnell konsiliarisch tätig werden, ist offen- bar groß. Prof. Dr. med. Dr. rer. nat.

Reinhard Urban (Leiter des Instituts für Rechtsmedizin in Mainz) bietet seit Längerem in Kliniken fachli- chen Rat an bei Patienten mit Verlet- zungsmustern, die sich durch die geschilderte Ursache nicht plausibel erklären lassen. Auch für Frauen- häuser in der Umgebung war und ist die Forensische Ambulanz in Mainz Ansprechpartner.

Dafür fährt Navarro jährlich Tau- sende von Kilometern: um zu dia- gnostizieren, aber auch, um in Kurz- fortbildungen forensisches Grund- wissen über Symptome von Gewalt- anwendung zu vermitteln. Pädiater, Gynäkologen, Hebammen, Famili- enrichter, Erzieher, Sozialarbeiter, Mitarbeiter des Gesundheitsamts, aber auch Polizisten sind die Adres- saten. „Wir wollten unsere konsi- liarische Tätigkeit nicht begrenzen, wir sind für jeden da, der einen Ver- dacht hat, auch für Privatpersonen“, erläutert Navarro.

Wie schafft man eine solche Arbeit, wenn man selbst ein Kind hat? „Schwer“, meint Navarro, ihr Lebensgefährte habe gerade seinen Erziehungsurlaub verlängert. Ur-

RECHTSMEDIZIN

Vor Ort sein bei den Opfern von Gewalt

Die Forensikerin Bianca Navarro fährt zu Menschen,

die misshandelt oder missbraucht worden sind. Die

Ärztin will einer „Kultur des Hinsehens“ zur Umsetzung

verhelfen und Lücken in der Diagnostik schließen.

Referenzen

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