• Keine Ergebnisse gefunden

Archiv "„. . . in der Furcht vor dem Herrn und vor dem Peritoneum„" (26.04.1979)

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Archiv "„. . . in der Furcht vor dem Herrn und vor dem Peritoneum„" (26.04.1979)"

Copied!
5
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

Als Georg Wegner vor dem Deut- schen Chirurgenkongreß des Jahres 1876 den Ausspruch tat: „Wir alle sind erzogen in der Furcht vor dem Herrn und vor dem Peritoneum" faß- te er aphorismenhaft die ganze Scheu und Unsicherheit der damali- gen Ärzte vor dem geheiligten My- sterium des Bauchraumes zusam- men. Diese Scheu war von alters her begründet durch die Erfahrung, daß die Eröffnung der Peritonealhöhle immer ein Risiko darstellte, dessen mögliche Folgen mit damaligen Mit- teln kaum beherrschbar waren.

Die Schranke des Bauchfelles hatte sich bis dahin fast ausschließlich nur den Anatomen geöffnet, und so- mit bestand die Abdominalchirurgie aus Einzeltaten wagemutiger Ärzte, denen oft genug im Ringen um das Leben eines Kranken nur die Flucht nach vorn übrigblieb. Abgesehen von diesen Ausnahmen beschränkte man sich auf die Punktion oder Inzi- sion abgekapselter Eiterherde, wo- bei man sorgfältig bemüht war, die freie Bauchhöhle nicht zu eröffnen.

Ovariotomie

begründet Abdominalchirurgie Der erste, der nach historischen Quellen dieses Wagnis unternahm, soll der Präriechirurg Mc Dowell ge- wesen sein, der 1809 in Kentucky eine Ovarialzyste mit Erfolg exstir- pierte. Überhaupt wurde die Abdo- minalchirurgie durch die Ovarioto- mie begründet, und lange Zeit blieb

') Meinem hochverehrten Lehrer, Professor Dr. Herbert Lax, zur Vollendung des 70. Le- bensjahres gewidmet

sie die einzige Indikation zur Eröff- nung der Leibeshöhle.

Nach und nach stellte sich jedoch heraus, daß auch entzündlich verän- derte oder durch Stieldrehung gan- gränös gewordene Ovarialtumoren mit Erfolg operiert werden konnten.

Keith erzielte erstmals im Jahre 1865 Heilung bei einer gangränösen Ova- rialzyste. Als man bei postoperativen Peritonitisfällen, die im Anschluß an Ovariotomien aufgetreten waren, durch Relaparotomien mit Entfer- nung des Exsudates mehrere Hei- lungen erzielen konnte, ging man allmählich dazu über, auch entzünd- liche Erkrankungen des Bauchfelles anderer Genese zu operieren. Von dem Amerikaner Wiltshire wird be- richtet, daß er ab 1868 als erster sy- stematisch bei akuter Bauchfellent- zündung operiert habe.

Englische Chirurgen als Wegbereiter

Immer mehr Autoren befürworteten die chirurgische Behandlung der Peritonitis. Vor allem waren es engli- sche Chirurgen, die über die Ovario- tomie die meisten Erfahrungen in der Bauchchirurgie gesammelt hat- ten.

So schrieb Lawson Tait 1885, man sollte keinen Kranken an der Perito- nitis sterben lassen, ohne die Opera- tion als letztes Mittel angewendet zu haben. Ein einsamer Vorläufer die- ser Entwicklung war der Londoner Chirurg Hancock, der 1848 die erste Wurmfortsatz-Peritonitis mit Erfolg operiert hatte. Von ihm stammt der prophetische Satz: „Ich glaube, daß

die Zeit kommen wird, wo dieser Plan auch bei anderen Fällen von Peritonitis angewendet werden wird."

Seit der Jahrhundertwende:

aktive chirurgische Behandlung Zwar ging diese Prophezeiung in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhun- derts schrittweise in Erfüllung, doch dauerte es noch etwa bis zur Jahr- hundertwende, bis die Operation bei der Peritonitis nicht mehr als letztes Mittel, sondern als die Therapie der Wahl angesehen wurde. Statistische Übersichten zeigen, daß die aktiv chirurgische Behandlung allein die Letalität der Bauchfellentzündung von 90 bis 100 Prozent auf 30 bis 40 Prozent zu senken vermochte.

Systematische

und experimentelle Forschungen Während die ersten Erfahrungen der Abdominalchirurgie durch ärztliche Pioniertaten und klinische Beobach- tungen am Krankenbett gesammelt wurden, ging man bald daran, die Lebensvorgänge des gesunden und des kranken Bauchfells systema- tisch und experimentell zu erfor- schen.

Georg Wegner berichtete 1876 in seinen „chirurgischen Bemerkun- gen über die Peritonealhöhle" erst- mals über tierexperimentelle Ergeb- nisse, die den klinischen Erfahrun- gen eine pathophysiologische Deu- tung geben sollten.

Zur Abklärung jener postoperativen Frühtodesfälle nach der Ovarioto- mie, die keine anatomisch erkenn- bare Ursache aufwiesen, hatte er Versuche am Kaninchenperitoneum unternommen. Er laparotomierte die Tiere und beobachtete, daß sie nach sieben bis 10 Stunden bei eröffneter Bauchhöhle unter Abfall der Kör- pertemperatur nach vorangegange- ner Darmparalyse an Atem- und Kreislaufinsuffizienz eingingen.

Die enorme Oberflächenausdeh- nung des Peritoneums — so leitete

3 f' •

in der Furcht vor dem Herrn und vor dem Peritoneum"

Zur Historie der pathophysiologischen Erkenntnisse und Behandlungsmethoden der Peritonitis

Klaus-Peter Hampel*)

1206 Heft 17 vom 26. April 1979 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

(2)

Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen Medizingeschichte: Peritonitis

Wegner aus seinen Versuchen ab — begünstige bei langdauernden Ope- rationen in der weit eröffneten Bauchhöhle eine Abkühlung des Gesamtorganismus, die eine Beein- trächtigung der Lebensfunktionen zur Folge habe.

Mit dieser Theorie stand er im Ge- gensatz zu einer damals weit ver- breiteten Ansicht, die Peritonitis- kranken stürben im sogenannten Schock, worunter man die nervlich reflektorische Paralyse des Herzens verstand.

These vom Peritonitistod durch Sepsis

Eine weitere These, wonach im Falle einer peritonealen Reizung eine plötzliche Blutüberfüllung der Darmgefäße den übrigen Teilen des Körpers — namentlich dem Gehirn — das Blut entzöge, was zu einer zere- bralen Paralyse und damit zum Tode führe, wies Wegner aufgrund seiner Experimente ebenfalls zurück. Er meinte dazu, man könnte bei Tieren eine Hyperämie der Darmgefäße herbeiführen, ohne daß Herz- und Atemtätigkeit Alterationen zeigten.

Um es vorwegzunehmen, hier irrte Wegner, denn spätere Forschungen haben erbracht, daß die damals un- beweisbare Theorie vom Kreislauf- tod bei der Peritonitis zumindest in ihrem Kern den heutigen Erkennt- nissen erstaunlich nahe kam.

Drainage des Exsudates

Weitere Versuche Wegners befaßten sich mit der Resorptions- und Trans- sudationsfähigkeit des Bauchfelles.

Bei Experimenten mit fäulnisfähigen Flüssigkeiten am Kaninchenperito- neum fand er heraus, daß geringe Mengen infektiösen Materials vom Bauchfell aufgesogen und unschäd- lich gemacht, während größere Mas- sen nicht bewältigt werden könnten.

Er sah die Hauptgefahr der Peritoni- tis im Stagnieren von fäulnisfähigen

Flüssigkeiten und forderte daher die Ableitung des Exsudates durch Drains.

Wegners Referat wurde zwar mit höflichem Interesse angehört, aber er war wohl seiner Zeit noch etwas voraus, denn im Anschluß an seine Ausführungen — so wird berichtet — sei nur schwerfällig eine Diskussion über die Zweckmäßigkeit der Drai- nage nach der Ovariotomie zustan- de gekommen (Körte).

Immerhin war der erste Schritt ge- tan, und Wegners Experimente wa- ren der Grundstein, auf dem andere Wissenschaftler weiterbauten. Die folgenden Jahrzehnte brachten im- mer mehr Erkenntnisse über das Pe- ritoneum und seine Erkrankungen.

Resorption der Bakterien und Toxine

Lennander (1902) beschäftigte sich mit der Toxin- und Bakterienresorp- tion durch die Bauchserosa. Er un- terstützte Wegners These vom Peri- tonitistod durch allgemeine Sepsis.

Er hatte fünfzehn Minuten nach Bakterieneinspritzung in die Bauch- höhle eines Kaninchens Streptokok- ken im Herzblut, in der Leber, in der Milz und im Knochenmark nachwei- sen können. In der raschen Resorp- tion von Bakterien und Toxinen sah er eine primäre Abwehrreaktion des Körpers, mittels Phagozytose durch Leukozyten die Infektion in der Peri- tonealhöhle zu überwinden. Außer- dem hielt er das Exsudat als solches für bakterizid.

Faßt man die Ergebnisse des dama- ligen Schrifttums über die Patho- physiologie der Peritonitis zusam- men, so erschöpft sich die Deutung des Krankheitsbildes weitgehend in Spekulationen über die Exsuda- tions- und Resorptionskraft des Pe- ritoneums sowie in der Auseinan- dersetzung der in die Blutbahn ge- langten Bakterien bzw. deren Toxine mit den phagozytären Abwehrme- chanismen des Körpers (u. a. Clair- mont und Haberer 1905; Enderlen 1913).

Verlauf und Ausgang der Krankheit seien abhängig von der Virulenz der Krankheitserreger einerseits und

den Abwehrkräften des Organismus andererseits. Diese etwas verein- fachte Vorstellung von einem — wie wir heute wissen — äußerst komple- xen Geschehen, wie es die Peritoni- tis ist, erklärt sich aus einer Zeit her- aus, in der ganze Kapitel des Physio- logie- und Biochemielehrbuches noch nicht geschrieben waren. Au- ßerdem verfügte man nicht über die Methoden laborchemischer Unter- suchungen, die uns heute zur Verfü- gung stehen.

Kirschners Thesen

vom Kreislauftod bei Peritonitis Erst in den zwanziger Jahren runde- ten sich die Erkenntnisse über die Bauchfellentzündung mehr und mehr ab. Kirschner stellte 1926 erst- mals die Beeinträchtigung des Kreislaufs in den Mittelpunkt des pa- thophysiologischen Geschehens.

Seine Thesen, die nicht allein histo- rische Bedeutung haben, sollen hier in aller Kürze wiedergegeben wer- den:

Die in die Bauchhöhle gelangten Gifte schädigen unmittelbar die Ka- pillaren des Intestinaltraktes. Die Folge ist eine Blutansammlung im Pfortaderkreislauf. Das Blut versackt also in den Gefäßen des Bauchrau- mes. Die geschädigten Kapillaren lassen darüber hinaus Blutflüssig- keit in vermehrter Menge durchtre- ten, so daß das zirkulierende Blutvo- lumen weiterhin vermindert wird.

Die abgepreßte Flüssigkeit erscheint in der freien Bauchhöhle und im In- nern des Darmes. Die hieraus resul- tierende Überdehnung der Darm- wand, verbunden mit der durch die Blutstase hervorgerufenen Ernäh- rungsstörung führt zum paralyti- schen Ileus. Die fehlende Peristaltik begünstigt wiederum — und hier schließt sich der Circulus vitiosus — eine Blutansammlung im Pfortader- kreislauf.

Das Herz wird anfänglich nicht un- mittelbar geschädigt. Erst sekundär kommt es infolge unökonomischer Mehrarbeit und Ernährungsstörun- gen durch fehlerhafte Blutverteilung zum Versagen des Herzens.

(3)

Im Gegensatz zu den oben ange- führten Autoren war Kirschner der Ansicht, daß sich die Auseinander- setzungen zwischen Bakterien und Phagozyten an der Peritoneal- schranke abspielen. Daher ließen sich auch bei der gewöhnlichen Pe- ritonitis in der Regel keine Bakterien im Blute nachweisen. Zudem schrieb er — wie vor ihm Lennander — dem peritonitischen Exsudat bakte- rizide Eigenschaften zu.

Zu einer allgemeinen Sepsis kommt es nach Kirschner erst dann, wenn die Abwehrmechanismen infolge ei- nes sehr geschwächten Allgemein- zustandes ausfallen.

Neben den unspezifischen Abwehr- kräften führt Kirschner bereits das spezifische Potential der Antitoxine und der Entgiftungskapazität der Leber an.

Manches von dem, was er damals vorbrachte, waren unbeweisbare Theorien. Die spätere Forschung hat sie jedoch in allen Kernpunkten be- stätigt.

Vierzig Jahre später:

Thesen vom Kreislauftod bestätigt 1965 hielt Wachsmuth vor dem deut- schen Chirurgenkongreß ein zusam- menfassendes und rückblickendes Referat, worin er grundsätzlich die Thesen Kirschners vom Kreislauftod bei der Bauchfellentzündung bestä- tigte und darüber hinaus humorale, hormonale und biochemische Hin- tergründe aufzeigte.

Seiner Interpretation des Krank- heitsbildes ist in wesentlichen Punk- ten bisher nicht widersprochen wor- den. Sie soll daher als gültige Lehr- meinung komprimiert wiedergege- ben werden:

Wachsmuth:

derzeit gültige Lehrmeinung Wachsmuth unterscheidet zunächst zwischen den peritonealen Reizer- scheinungen und -ergüssen aus me- chanischen oder biochemischen Ur-

sachen und der eigentlichen bakte- riellen Bauchfellentzündung. Erst der Befall der Peritonealhöhle mit pathogenen Keimen löst einen kom- plexen Abwehrmechanismus des Körpers aus. Bei der Auseinander- setzung des Organismus mit der bakteriellen Invasion ist der Blut- und Lymphgefäßreichtum vor allem des viszeralen Peritoneums aus- schlaggebend für die Exsudations- kapazität und damit für die Größe des antiseptischen und antitoxi- schen Abwehrpotentials.

Bei verminderter Resistenzlage und permanentem Keimnachschub er- schöpfen sich die Abwehrkräfte, und die Peritonitis geht in das eitrige und dann jauchige Stadium über. Bei der Auseinandersetzung mit den Krank- heitserregern werden Bakterien-En- dotoxine und gewebseigene Fer- mente frei, die wiederum kreislauf- beeinflussende Substanzen aktivie- ren. Diese bewirken eine Weitstel- lung der Endstrombahnen und gleichzeitige Erhöhung der Kapillar- permeabilität. Die Folge ist eine Blutüberfüllung der Peritonealgefä- ße mit Verlangsamung der Strö- mungsgeschwindigkeit bis zur Sta- se. Dadurch und durch die Exsuda- tion wird dem Kreislauf Volumen entzogen. Es resultieren Blutdruck- abfall und Mangeldurchblutung le- benswichtiger Organe. Die Leber reagiert auf den akuten Sauerstoff- mangel mit verstärktem anaeroben Glykogenabbau (Glykolyse).

Milchsäure- und Glukose-6-Phos- phat-Gehalt der Leber steigen an, die Konzentration der energierei- chen Phosphorverbindungen (ATP) nimmt ab. Die hypoxische Leber ver- liert nach und nach ihre Stoffwech- sel- und Entgiftungsfunktionen. To- xine und Metaboliten gelangen in den Kreislauf. Diese setzen wieder- um Wirkstoffe frei, die durch Gefäß- erweiterung und Kapillarschädigung den Volumenmangelschock vertie- fen. Die biogenen Amine Histamin und Serotonin sind solche Sub- stanzen.

Auch die vermehrt ausgeschütteten Katecholamine Adrenalin und Nor- adrenalin greifen negativ in das

Schockgeschehen ein: Sie wirken zwar zunächst durch periphere Va- sokonstriktion als Gegenregulans auf den Blutdruckabfall, vertiefen damit aber gleichzeitig durch Ver- minderung der Strömungsge- schwindigkeit in den Arteriolen und Kapillaren die allgemeine Gewebs- hypoxie. Außerdem wird durch den unphysiologischen Anstieg der Ka- techolamine die Frequenz des durch den Kreislaufvolumenmangel be- reits unökonomisch arbeitenden Herzens weiterhin erhöht. Das Herz- minutenvolumen nimmt ab, wo- durch der Herzmuskel weiterhin durch mangelnde Sauerstoffversor- gung geschädigt wird.

So löst ein Übel das andere aus, so daß sich schließlich das Bild des septischen Schocks bietet, dessen Kriterien in einer Gewebshypoxie, einem Mangel an energiereichen Phosphaten und einer Anreicherung von giftigen Metaboliten liegen. In der Niere sinkt der effektive Filtra- tionsdruck, die Stickstoff- und Krea- tininwerte im Blut steigen an. Es kommt außerdem zu einer toxischen tubulären Insuffizienz mit Hypo- sthenurie und Azotämie.

Humorale Mechanismen beim septischen Schock

Die humoralen Mechanismen, die beim septischen Schock ablaufen, hat Meyer 1965 anhand experimen- teller Arbeiten von Fine und West- phal zusammengestellt: Die Endoto- xine gramnegativer Bakterien spie- len beim septischen Schock eine große Rolle. Sie sind Bauelemente der Bakteriezellwand und stellen hochmolekulare Komplexe dar.

Toxisch ist dabei eine Lipopolysac- charidgruppe. Sie gehören zu den stärksten pyrogenen Reizstoffen, die wir kennen. Diese Endotoxine set- zen über einen Zellreiz endogene Wirkstoffe frei. Es handelt sich dabei um die Plasmakinine Bradykinin und Kallidin, die im Organismus unter anderem eine sehr starke Vasodila- tation und Steigerung der Kapillar- permeabilität bewirken. Die Vorstufe der Kinine sind die Kininogene, aus

1208 Heft 17 vom 26. April 1979 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

(4)

Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen Medizingeschichte: Peritonitis

denen beim septischen Schock die aktive Form freigesetzt wird. Es hat sich gezeigt, daß bei der Peritonitis und besonders beim Endotoxin- schock ein rascher Abfall der Kini- nogenwerte im Plasma auf 20 bis 30 Prozent der Ausgangswerte eintritt.

Teufelskreis von sich

induzierenden Fehlregulationen Der paralytische Ileus, der ein Kardi- nalsymptom der diffusen Peritonitis ist, wird heute als eine direkte Läh- mung des Darmes durch die Bakte- rientoxine aufgefaßt. Es ist anzuneh- men, daß die Darmparalyse bei der Peritonitis entweder auf eine Erhö- hung der Reizschwelle für Azetyl- cholin oder eine verstärkte Cholin- esterase-Aktivität zurückzuführen ist. Tierexperimente von Lill, Dinstl und Keminger sprechen dafür.

Es wird ersichtlich, wie bei der diffu- sen Bauchfeilentzündung ein Teu- felskreis von einander sich induzie- renden Fehlregulationen entsteht, der schnellstens durch geeignete Maßnahmen durchbrochen werden muß. Wenn man von der Scharlata- nerie und Quacksalberei absieht, sind in der Medizin die Behand- lungsmethoden immer eine Funk- tion der jeweiligen Erkenntnisse über das Wesen der Erkrankung. Im Falle der Peritonitis waren die so- genannten medizinischen Behand- lungsversuche der voroperativen Ära mehr lindernder und abwarten- der Natur, und ihre gelegentlichen Erfolge sind eher als die Laune eines gütigen Geschickes als das Ergeb- nis dieser Therapiebemühungen zu werten.

So früh wie möglich operieren Erst das aktive chirurgische Vorge- hen ist als zielstrebige, kausale The- rapie zu betrachten, da sie die Be- seitigung der Infektionsquelle und die Exsudatableitung als gedankli- chen Hintergrund hatte. Obwohl man sich über technische Einzelhei- ten des operativen Vorgehens je

nach Erfahrungen und Erfolgen noch lange Zeit stritt, hatte man in einem Punkt bald Einigkeit erzielt,

nämlich in der Forderung, so früh wie möglich zu operieren. Die Aus- schaltung der Infektionsquelle sollte auf dem schnellsten und schonend- sten Wege angestrebt werden.

Ermutigt durch die Erfolge der chir- urgischen Behandlung, war man ständig auf *der Suche nach neuen Wegen, um die Letalität weiter zu senken. So wurde eine alte Hoff- nung, Eiterungen durch Gewebs- desinfektion günstig zu beeinflus- sen wieder lebendig.

Man goß nach den Operationen Äther, hypertonische Kochsalzlö- sungen, Chininderivate, Farbstoffe, salzsaures Pepsin und dergleichen in die Bauchhöhle ein. Andere ver- suchten durch Einölung des Bauch- felles, die Resorption der Bakterien und Toxine zu verhindern (Doeder- lein, Krecke).

Obwohl niemals eine signifikante Verbesserung der Prognose durch diese Methoden erkennbar wurde, kam die Diskussion darüber lange nicht zur Ruhe, so daß sich Kirsch- ner noch 1926 damit auseinander- setzen mußte. Er ließ die Frage of- fen, ob es jemals möglich sein wür- de, lebendes Gewebe zu desinfizie- ren, und referierte statt dessen die Meinung von 35 befragten Chirur- gen, die aufgrund ihrer Erfahrungen die bisher angewandten Mittel als unbrauchbar oder gar schädlich ab- gelehnt hatten.

Geschichte der

peritonitischen Darmlähmung Die Bekämpfung der peritonitischen Darmlähmung hat ihre eigene Ge- schichte. Früher hatte man sich di- rekt von der Ruhigstellung des Dar- mes eine Abkapselung der Entzün- dung erhofft. Diese Vorstellungen wurden jedoch bald überwunden, als man den paralytischen Ileus als ein gefährliches Begleitsymptom der Bauchfellentzündung erkannte, das die Prognose erheblich ver- schlechterte.

Die Bemühungen, die Darmstörung zu überwinden, reichten von der pri-

mären Enterostomie (v. Stuben- rauch) über Heißluftbäder (Ender- len) und Elektrisierung des Darmes (Pettenkofer) bis zur Anwendung peristaltikanregender Medikamente wie Physostigmin und Hormonal.

Auch hier spielten die ganz persönli- chen Erfahrungen der Autoren eine Rolle; eine einheitliche Linie konnte damals nicht gefunden werden.

Eine Episode in der Peritonitisbe- handlung war die Serumtherapie, die ausgangs der zwanziger Jahre aufkam und zunächst viele Hoffnun- gen erweckte, dann aber bald wie- der verlassen wurde, als sich die zweifelnden und kritischen Berichte mehrten.

Auch die von Havlicek, dem Entdek- ker der arterio-venösen Anastomo- sen, begründete und propagierte Lichttherapie erfüllte nicht die in sie gesetzten Erwartungen. Havlicek war von der Überlegung ausgegan- gen, daß durch die intraoperative Bestrahlung der Darmschlingen mit gefiltertem UV-Licht gefäßaktive Substanzen freigesetzt würden, die die arterio-venösen Kurzschlüsse öffneten, so daß durch Umgehung der Kapillargebiete des Splanchni- kus dem Herzen mehr Blut angebo- ten würde.

Petermann resümierte 1939, alle im Laufe der Zeit aufgetauchten thera- peutischen Vorschläge — einschließ- lich der Serum- und Lichttherapie — hätten keinen entscheidenden Um- schwung in der Prognose herbeifüh- ren können.

Folgerichtig: Infusions- und Substitutionstherapie

Eine echte Zäsur in der Behand- lungsmethodik war — wie seinerzeit die Operation — die Einführung der Infusions- und Substitutionsthera- pie, die sich folgerichtig aus den Er- kenntnissen der pathophysiologi- schen Vorgänge ergab. Die Forde- rung Kirschners, die Wasserverar- mung und Schocksituation des Kreislaufs durch intravenöse Flüs- sigkeitszufuhr zu beseitigen, war ge- hört worden, und ein deutliches Ab-

(5)

sinken der Letalitätsrate in den drei- ßiger Jahren zeugte für ihre Richtig- keit.

Inwieweit die Serumbehandlung da- bei eine unterstützende Rolle ge- spielt hat, geht aus den damaligen Berichten nicht eindeutig hervor, da beide Methoden im gleichen Zeit- raum aufkamen und teilweise in Kombination praktiziert wurden.

Erfolg der Sulfonamide

Die Serumbehandlung wurde voll- ends aufgegeben, als die 1935 von Domagk entdeckten Sulfonamide ihre ersten Erfolge zeigten. Der alte ärztliche Traum, lebendes Gewebe zu „desinfizieren", wie Kirschner es formuliert hatte, war in Erfüllung ge- gangen. Aber auch dieses neue Be- handlungsprinzip mußte sich erst einmal bewähren, und die Peritoni- tisliteratur der vierziger Jahre be- schäftigte sich fast ausschließlich mit Wirkungs- und Anwendungsbe- reich, Applikationsformen und Ver- träglichkeit der verschiedensten Sulfonamidpräparate.

Erst in der zweiten Hälfte des Jahr- zehnts verfügte man über ausrei- chendes Zahlenmaterial, um verglei- chende Statistiken mit der Vorsul- fonamid-Ära aufstellen zu können.

Es zeigte sich, daß man wieder einen Schritt weiter in der Bekämpfung dieser heimtückischen Krankheit gekommen war. Die Sterberaten wa- ren eindrucksvoll abgefallen. Vor al- lem spätere Betrachter, die größere Zeiträume und Massenstatistiken überblickten, haben dies bestätigt.

Antiinfektiöse Therapie

Inzwischen war mit der Einführung des Penicillins die Neuzeit der anti- infektiösen Therapie angebrochen.

Um ein möglichst breites Wirkungs- spektrum zu erreichen, empfahl man die kombinierte Behandlung mit Sulfonamiden und Penicillin (Mor- ley, v. Redwitz, Fischer und Herget).

Als man das Streptomycin zur Verfü- gung hatte, ergaben sich neue Kom- binationsmöglichkeiten.

Im Laufe der Jahre kamen immer mehr und immer neue Antibiotika und chemotherapeutische Präpara- te hinzu. Die Wirkungsspektren wur- den immer breiter, doch bald traten die ersten Resistenzentwicklungen auf, und die anfängliche Euphorie in den Erfolgsstatistiken wich einer er- nüchterten Berichterstattung.

Man ging, nachdem man zuerst je- des mit jedem Antibiotikum in bun- ter Kombination verabreicht hatte, auf die gezielte Behandlung nach antibiographischer Austestung über.

Ultima-ratio-Aktionen bei septischem Schock

In Fällen schwerster septischer Schockzustände wurde gelegentlich durch Gaben von ACTH bzw. Korti- kosteroiden eine Wendung im Krankheitsverlauf beobachtet (Bo- ling und Mitarbeiter, Weissenfeld, Kalmar und Mitarbeiter). Dasselbe gilt für die sogenannte potenzierte Narkose nach Laborit und den künstlichen Winterschlaf (Hibernisa- tion), über den Drescher gearbeitet und berichtet hat. Trotz tierexperi- menteller Fundierung und logi- schem Konzept blieben diese Be- handlungsmethoden Ultima-ratio- Aktionen in verzweifelten Fällen mit nicht voraussehbaren Erfolgs- chancen.

Heutige Standardtherapie

Die heutige Standardtherapie der Peritonitis ist ein Komplex folgender Einzelmaßnahmen:

> Operation zur Ausschaltung der Infektionsquelle und Ableitung des Exsudates,

> Auffüllung und Stabilisierung des Kreislaufs,

> Antibiotische Behandlung,

> Bekämpfung des paralytischen Ileus,

> Strenge Überwachung der Nie- renfunktion,

> Überwachung des Wasser- und Elektrolythaushaltes.

Nachdem man der Peritonitis, die früher einem Todesurteil gleichkam, den aktiven Kampf angesagt hatte, hat sich ihre Prognose in den letzten hundert Jahren stetig verbessert.

Drei große Stufen sind im Gefälle der Sterblichkeitsraten erkennbar:

die erste nach der Standardisierung des aktiv chirurgischen Vorgehens, die zweite nach der Einführung der Infusions- und Substitutionsbe- handlung, die dritte nach der Ent- deckung der Sulfonamide und Anti- biotika.

Trotz allem ist die diffuse eitrige Bauchfellentzündung bis auf den heutigen Tag eine ernst zu nehmen- de Erkrankung geblieben, die mit dem Odium des Ungewissen behaf- tet ist.

Literatur beim Verfasser Anschrift des Verfassers:

Dr. med. Klaus-Peter Hampel Leitender Arzt der

geburtshilflich-gynäkologischen Abteilung am

Marienhospital Erwitte Von-Droste-Straße 4782 Erwitte

Götter und Pharaonen

In Hildesheim werden vorn 29.

Mai bis zum 16. September 1979 Schätze altägyptischer Kunst zu sehen sein. Für vier Monate wird die Ausstellung

„Götter und Pharaonen" in die Bundesrepublik zurück- kehren. Das Hildesheimer Roemer- und Pelizaeus-Mu- seu m ist die letzte Station, ehe die mit großer Sorgfalt zusam- mengestellten Objekte wieder nach Ägypten zurückkehren.

Die Ausstellung gibt einen Überblick über mehr als drei Jahrtausende ägyptischer Ge- schichte. Häu

1210 Heft 17 vom 26. April 1979 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Dem Bereich Forsten an den Ämtern für Landwirtschaft und Forsten ist im Staatswald die Zuständigkeit für die forstliche Planung, für die Nachhaltigkeitssicherung und für die

„In einer Studie des Fraunhofer-Institutes für Windenergie und Energiesys- temtechnik in Kassel wurde errechnet, dass die bestehenden Biogasanlagen in Bayern und zusätzlich die

Schließ- lich macht sich mit Blick auf die deut- schen Debatten der vergangenen Jahre, beispielsweise über die Anschaffung be- waffneter Drohnen für die Bundeswehr, niemand in

Anstatt sich aber zu freuen, dass Trump endlich den Wert der Verbünde- ten entdeckt; anstatt Europas Fähigkeiten nicht nur den Iranern, sondern auch den scheidenden Briten

Es gibt interne Widersacher gegen den Kurs von Präsident Maduro, aber noch verfügen sie nicht über die ent- sprechenden Allianzen und ausrei- chend Unterstützung des Militärs.. Zu

Dennoch stellen die Palästinenser und ihre Lager nicht die größte Gefahr für die Stabilität des Libanon dar, wie noch in den siebzi- ger Jahren, als die hochgerüstete und

Auch wenn sich die Erzieherin in der KiTa meist vermutlich eher letzteres Verhalten wünschen würde, etwa beim Erlernen neuer Fertigkeiten, kann das gehemmte Verhalten auch

Ob Impfung oder Blutabnahme: Einige Menschen haben so große Angst vor der Spritze, dass sie die Flucht ergreifen oder gar ohnmächtig werden.. Sie können jedoch lernen, die Angst