A 534 Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 110|
Heft 12|
22. März 2013PATIENTENVERFÜGUNG UND ORGANSPENDEERKLÄRUNG
Orientierung für Konfliktsituationen
Ein von einem Expertenkreis erstelltes Arbeitspapier der Bundesärztekammer hat verschiedene Fallkonstellationen diskutiert und bewertet.
S
eit der Gesetzesregelung über Patientenverfügungen im Jahr 2009 befassen sich immer mehr Menschen mit der Frage, ob und wie sie ihren Willen verfügen wol- len für den Fall, dass sie sich in ei- ner entsprechenden Situation nicht mehr selbst äußern können. So ha- ben nach einer repräsentativen Be- völkerungsumfrage des Deutschen Hospiz- und Palliativverbands vom vergangenen Jahr inzwischen im- merhin 26 Prozent der Befragten ei- ne Patientenverfügung verfasst, 43 Prozent haben schon einmal ernst- haft darüber nachgedacht. Mit der zunehmenden Bedeutung vorsorgli- cher Willensbekundungen eines Pa- tienten steigt auch die Wahrschein- lichkeit, dass sie im klinischen All-tag häufiger mit Organspendeerklä- rungen zusammentreffen. Das führt dann zu Fragen des Verhältnisses von Willensbekundung und Organ- spendeerklärung.
Während der Hirntoddiagnostik bis hin zur möglichen Realisierung einer eventuellen Organspende müssen beim potenziellen Spender intensivmedizinische Maßnahmen fortgeführt werden, um die Trans- plantationsfähigkeit der Organe zu erhalten. Wenn sich der Patient in einer Patientenverfügung gegen le- benserhaltende Maßnahmen ausge- sprochen hat, scheint das diesen Maßnahmen zum Zwecke der Or- ganspende zu widersprechen.
Der Präsident der Bundesärzte- kammer, Prof. Dr. med. Frank Ul-
rich Montgomery, sieht keinen Wi- derspruch darin, „wenn Menschen in einer Patientenverfügung lebens- verlängernde Maßnahmen aus- schließen und gleichzeitig ihre Or- ganspendebereitschaft dokumentie- ren“. Beide Erklärungen seien von dem Patienten verfasst worden und entscheidend für die Feststellung des Patientenwillens. Ein Experten- kreis aus Medizinern, Juristen und Ethikern hat deshalb jetzt ein Ar- beitspapier zum Verhältnis von Pa- tientenverfügung und Organspen- deerklärung erstellt (Bekanntgabe in diesem Heft). Es gibt Ärzten Ori- entierung, wie sie mit diesen Kon- fliktsituationen umgehen können.
So werden Fallkonstellationen dis- kutiert und aus rechtlicher und ethi- scher Sicht bewertet.
Bei einem vermuteten schon ein- getretenen Hirntod halten die Ex- perten den in der Patientenverfü- gung ausgedrückten Wunsch nach Therapiebegrenzung mit der Bereit- schaft zur Organspende und der da- für erforderlichen kurzzeitigen Auf- rechterhaltung der Vitalfunktionen zur Feststellung des Hirntodes für vereinbar. Eine isolierte Betrach- tung der Patientenverfügung ohne Rücksicht auf die Organspendeer- klärung würde dem Willen des Pa- tienten nicht gerecht werden (dazu auch 3 Fragen an . . .).
Eine andere Situation sei gege- ben, wenn die Ärzte vermuten, dass der Hirntod erst in wenigen Tagen eintreten werde. Eine Fortführung der intensivmedizinischen Maßnah- men würde den Sterbeprozess um den Zeitraum bis zum Eintritt des Hirntods verlängern. „Daher kann in diesen Fällen nicht schon aus der Organspendeerklärung des Patienten abgeleitet werden, dass er mit der Fortführung der intensivmedizini- schen Maßnahmen einverstanden ist.
Eine Entscheidung hierüber ist mit dem Patientenvertreter und den An- gehörigen des Patienten zu suchen“, heißt es in dem Arbeitspapier. Mont- gomery empfiehlt, Formulierungen in den Mustern für Patientenverfü- gungen und Organspendeausweisen zu ergänzen. Dafür sind in dem Ar- beitspapier entsprechende Textbau- steine bereitgestellt worden.
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Gisela Klinkhammer Sehen Sie darin einen Wider-
spruch, wenn Menschen in einer Patientenverfügung le- bensverlängernde Maßnah- men ausschließen und gleich- zeitig ihre Organspendebe- reitschaft dokumentieren?
Simon: Die Patientenverfü- gung kann dazu führen, dass intensivmedizinische Maßnah- men eingestellt werden und der Patient stirbt, bevor der Hirntod festgestellt werden konnte. Eine Organspende wäre dann bei einem solchen Patienten nicht möglich. Dies bedeutet nicht, dass sich der Wunsch nach Therapiebegren- zung und die Bereitschaft zur
Organspende ausschließen.
Bei einem Intensivpatienten, bei dem die Ärzte vermuten, dass der Hirntod bereits einge- treten ist, sehe ich keinen Wi- derspruch, da die Fortsetzung der intensivmedizinischen Maßnahmen der Realisierung der vom Patienten gewünsch- ten Organspende dient.
Inwiefern sollten Muster für Patientenverfügungen und Organspendeausweise er- gänzt werden?
Simon: Sie sollten um Textbau- steine erweitert werden, mit deren Hilfe sich der Patient da- zu äußern kann, ob er der zeit-
lich begrenzten Fortführung in- tensivmedizinischer Maßnah- men für den Fall zustimmt, dass bei ihm eine Organspende medizinisch infrage kommt, oder nicht.
Wie sollte vorgegangen wer- den, wenn weder eine Organ- spendeerklärung noch eine Patientenverfügung vorliegt?
Simon: In diesem Fall muss die Frage, ob der Patient einer Or- ganspende und den dafür not- wendigen Maßnahmen zuge- stimmt hätte, mit dem nächsten Angehörigen beziehungsweise dem Patientenvertreter geklärt werden.
3 FRAGEN AN . . .
Priv.-Doz. Dr. phil. Alfred Simon, Geschäftsführer der Akademie für Ethik in der Medizin