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Einlagen: Studiendesigns überdenken – sensomotorische Effekte einbeziehen

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ORTHOPÄDIESCHUHTECHNIK 10|2018

Herr Prof. Baur, wie gut ist die Wirkung von Einlagen auf Fuß- und Überlas- tungsbeschwerden im Sport untersucht?

Viele klinische Untersuchungen, in jün- gerer Zeit auch gut kontrollierte Studien und Erfahrungen aus der praktischen Versorgung zeigen, dass Einlagen bei diesen Beschwerden helfen können. Ei- QH GHU DP K¦XˋJVWHQ JHQDQQWHQ (UNO¦- rungen für die Wirkung von Einlagen ist, dass sie übermäßige Bewegungen des Fußes, insbesondere eine übermäßige Pronation, verhindern, den Fuß auf- richten und dadurch zu einer Neuaus- richtung des Skeletts beitragen. Solche Erklärungen gehen davon aus, dass es durch Einlagen zu kinematischen Ver- änderungen kommt. Der Gedanke dabei LVW GDVV PDQ HLQHQ J¾QVWLJHQ (LQˌXVV auf die Eversion des Rückfußes und die

Innenrotation der Tibia nehmen und dadurch eine zu starke Pronation ein- schränken kann, die als Ursache vieler Beschwerden diskutiert wird.

Doch der wissenschaftliche Nachweis für diese Erklärungen ist noch nicht er- bracht. Die Ergebnisse der wissenschaft- lichen Studien sind sehr widersprüch- lich – einige bestätigten diese Wirkung, andere Studien fanden nur einen gerin- gen oder gar keinen Effekt von Einlagen auf die Fußbewegung und die Skelet- tausrichtung. Manche stellten einen Ef- fekt auf die Eversion des Rückfußes fest, andere nicht, und genauso heterogen stellten sich die Ergebnisse bei der In- nenrotation der Tibia dar. Ursprünglich wurde zudem von einer Kopplung beider Bewegungen ausgegangen. Die Annah- me war, dass eine vermehrte Tibiainnen-

rotation mit einer vermehrten Pro nation einhergeht. Dies konnte allerdings nicht bestätigt werden, da kein direkter Zu- sammenhang beider Bewegungen nach- gewiesen werden konnte.

Es scheint sehr schwierig zu sein, Ef- fekte von Einlagen nachzuweisen. Die ersten kinematischen Studien waren noch 2D-Videoanalysen, so wie sie die Pi- oniere der Bewegungsanalyse, etwa Ben- no Nigg, in den 1970er-Jahren entwickelt haben. Damit wurde dann zum Beispiel versucht, Veränderungen des Achilles- sehnenwinkels durch Einlagen zu mes- sen – doch der Nachweis gelang nicht.

Als die 3D-Videoanalyse aufkam, hoff- te man, durch die genaueren Messme- thoden Nachweise erbringen zu können, doch auch da kam man nicht wirklich weiter. In den 2000er-Jahren kamen die Studien von Stacoff hinzu, der Schrau- ben (bone pins) in die Knochen drehte und so Erkenntnisse über die realen Be- wegungen der Knochen gewinnen woll- te. Er kam zu dem Schluss, dass das knö- cherne System durch Einlagen nur wenig

+¦XˉJZHUGHQ(LQODJHQHLQJHVHW]WXPžEHUODVWXQJVEHVFKZHUGHQLP6SRUW]XEHKDQGHOQ'LH(U- JHEQLVVHNOLQLVFKHU8QWHUVXFKXQJHQVSUHFKHQGDI¾UGRFKGHUZLVVHQVFKDIWOLFKH1DFKZHLVI¾UGLH ]XJUXQGHOLHJHQGHQ:LUNPHFKDQLVPHQVWHKWQRFKDXV3URI+HLQHU%DXUKDWGHQ(IIHNWXQWHUVFKLHG- OLFKKRKHU/¦QJVZ¸OEXQJVVW¾W]HQGLHK¦XˉJ]XU9HUPHLGXQJHLQHUžEHUSURQDWLRQHLQJHVHW]WZHUGHQ DXIGLH5¾FNIX¡HYHUVLRQXQGGLH7LELDURWDWLRQXQWHUVXFKW>@$XFKHUNRQQWHNHLQHQV\VWHPDWLVFKHQ (IIHNWQDFKZHLVHQ'RFKGDVKHL¡WQLFKWGDVV(LQODJHQQLFKWZLUNHQHUNO¦UWHULP,QWHUYLHZ9LHOPHKU N¸QQWHHVVLQQYROOVHLQQLFKWQXUPHFKDQLVFKH(IIHNWHYRQ(LQODJHQ]XXQWHUVXFKHQVRQGHUQDXFK VHQVRPRWRULVFKHEH]LHKXQJVZHLVHQHXURPXVNXO¦UH(IIHNWHLQGHQ%OLFN]XQHKPHQ

Einlagen: Studiendesigns überdenken – sensomotorische Effekte einbeziehen

ANNETTE SWITALA | WOLFGANG BEST

1 Heiner Baur forscht und lehrt an der Berner Fachhochschule (BFH) im Department Gesundheit, Abteilung Physiotherapie. Sein Department ist beteiligt am BFH Zentrum für Technologien in Sport und Medizin. Sein be- sonderes Interesse gilt der neuromuskulären Steuerung und der Wirkung von Hilfsmitteln und Trainingsinterventionen.

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EHHLQˌXVVWZHUGHQNDQQXQGYHUPXWHWH dass Einlagen möglicherweise eher über Weichteilverschiebungen oder Reizset- zungen auf Rezeptoren wirken könnten.

Trotzdem gab es danach noch viele wei- tere Studien, die kinematische Effekte von Einlagen zu messen versuchten.

Auch Sie haben diesen Versuch ja jetzt unternommen. Warum haben Sie trotz der bisherigen heterogenen Studiener- gebnisse versucht, kinematische Effek- te nachzuweisen?

Wir wollten wissen, ob eindeutigere Ergebnisse herauskommen, wenn man einige methodische Unzulänglichkei- ten, die einige ältere Studien hatten, ausmerzt – oder ob dieser kinematische Ansatz tatsächlich nicht weiterführt. Um genauere Ergebnisse zu erhalten, haben wir zum Beispiel sehr viel mehr Schrit- te gemittelt, als es andere Studien ge- PDFKW KDEHQ +¦XˋJ ZLUG JHVDJW GUHL fünf oder zehn Schritte würden reichen, um einen verlässlichen Mittelwert eines Schrittes zu bekommen. Da wir aber sehr geringe Effekte erwartet haben, haben wir 50 Schritte pro Proband einbezogen.

Mit der heutigen Software ist die Aus- wertung von so vielen Schritten prob- lemlos möglich. Deshalb würde ich mir das auch für andere Studien wünschen, denn so kommt man zu sehr viel verläss- licheren Durchschnittswerten.

Außerdem haben wir versucht, die Va- riabilität der Ergebnisse bei den Faktoren, GLH ZLU EHHLQˌXVVHQ N¸QQHQ P¸JOLFKVW gering zu halten. Dies war uns wichtig, gerade weil die bisherigen Einlagenstudi- en so heterogene Ergebnisse zeigten.

Wie haben Sie das gemacht?

Wir haben zum einen versucht, die Va- riabilität des Gangs möglichst gering zu halten. Nicht alle Faktoren, die zu dieser Variabilität beitragen, kann man beein- ˌXVVHQ =XP %HLVSLHO NDQQ PDQ QLFKW verhindern, dass nicht jeder Schritt des Einzelnen gleich ist oder dass der einzel- ne Proband auf unterschiedliche Mess- konditionen unterschiedlich reagiert. Um jedoch die Unterschiede zwischen den Probanden möglichst gering zu halten,

0HQVFKHQUHDJLHUHQVHKUXQWHUVFKLHGOLFKDXI(LQODJHQȝ ZDVKHL¡WGDVI¾UGLH3UD[LV"

In der Studie von Heiner Baur reagierten die Probanden sehr unterschiedlich auf die verschieden hohen Längswölbungsstützen – daher zeigten sich nur sehr unsystema- tische Effekte. Bei dem einen Probanden hatte eine bestimmte Höhe der Stütze einen Effekt, bei dem anderen nicht. Doch auch der einzelne Proband reagierte nicht un- bedingt so auf die verschiedenen Messbedingungen, wie man es erwartet hätte. Mit- unter hatte eine niedrige Längswölbungsstütze einen größeren antipronatorischen Effekt als eine höhere. Welche Konsequenzen kann man daraus für die praktische Versorgung ziehen?

Warum Menschen so individuell auf Einlagen reagieren, ist noch nicht ausreichend erforscht. Ein möglicher Erklärungsansatz, so Baur, könnte Benno Niggs Konzept des bevorzugten Bewegungspfades („preferred movement path“) sein. Nigg geht davon aus, dass sich jedes Gelenk den für sich günstigsten Bewegungspfad sucht – und dass dieser Bewegungspfad individuell ist.

Ȥ:HQQPDQGDYRQDXVJHKWGDVVQLFKWMHGHU.QRFKHQXQGMHGH*HOHQNˊ¦FKHEHL jedem identisch geformt ist, dann ist die Gelenkbeweglichkeit auch nicht bei jedem gleich. Beispielsweise ist das untere Sprunggelenk mit seinen verschiebbaren Bewe- gungsachsen recht komplex und man kann sich dann gut vorstellen, warum die Men- schen so unterschiedlich auf Versorgungen reagieren“, meint Heiner Baur.

Doch was bedeutet es für die praktische Versorgung, wenn Einlagen bei verschie- denen Menschen so unterschiedliche Wirkungen zeigen? „Zunächst einmal heißt es, dass es in der Einlagen- und Schuhversorgung keine klaren Kochrezepte gibt“, betont Baur. „Die Einzelfallanalyse ist unabdingbar. Und vor allem ist es ganz entscheidend, die Versorgungen im Nachgang zu kontrollieren. Sonst kann man nicht wissen, ob eine Einlage wirklich den gewünschten Effekt hat. Wenn man in der Bewegungsanalyse die Rückfußeversion und die Tibiarotation misst, kann man daraus nicht sicher ablei- ten, wie hoch eine Längswölbungsstütze tatsächlich sein muss. Deshalb sollte man jeden, den man versorgt, nach ein paar Wochen einbestellen, kontrollieren und vor al- lem auch fragen, wie es ihm mit der Einlage geht. Und wenn er Beschwerden äußert, muss man dies in jedem Fall ernst nehmen und die Einlage ändern. Übrigens auch bei einer präventiven Einlagenversorgung, denn auch bei einem Gesunden kann man im schlimmsten Fall Beschwerden auslösen, wenn die Einlage für ihn nicht geeignet ist. Das ist zwar zeitaufwändig, aber ich bin sicher, dass sich das auf Dauer auszahlt.“

Beim Laufschuhverkauf rät Baur, den Kunden so viele Schuhe wie möglich anpro- bieren zu lassen und ihn den nehmen zu lassen, in dem er sich am besten fühlt. „Wis- senschaftlich belegt ist das zwar nicht, aber wir wissen, dass Komfortaspekte wich- tig für die Akzeptanz des Hilfsmittels und möglicherweise auch für seine Wirkung sind. Wenn ich mich gut fühle, ist es vielleicht für mein Gesamtsystem das, was nach Nigg meinem persönlichen „bevorzugten Bewegungspfad“ am nächsten kommt. Es schränkt mich dann am wenigsten ein.“

Interessant sei in diesem Zusammenhang, dass es einige Läufer mit starker Prona- tion gibt, die Jahre lang keine Beschwerden bekommen. „Das wirft die Frage auf, war- um das so ist. Vielleicht ist die starke Pronation ja genau das Bewegungsausmaß, das diese Menschen brauchen, um die Dämpfung zu realisieren?“ Baur hat die Erfahrung gemacht, dass einige Patienten, die mit Anti-Pronationsschuhen im Sportgeschäft versorgt wurden, durch diese stabilen Schuhe eher Probleme bekamen. „Wenn je- PDQGNHLQH%HVFKZHUGHQKDWZ¾UGHLFKLKPLPPHU]XHLQHPˊH[LEOHQHKHUQHXWUDO konstruierten Schuh raten. Wenn sich dann Beschwerden entwickeln, würde ich nicht zwingend den Schuh ändern, sondern eher mit einer Einlagenversorgung arbeiten.“

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ORTHOPÄDIESCHUHTECHNIK 10|2018

bei den unterschiedlichen Bedingungen – sowohl was die Rückfußeversion, als auch was die Tibiarotation angeht. Für diejenigen, die Längswölbungsstützen erfolgreich bei Überlastungsbeschwer- den einsetzen, mag es erstaunlich sein:

Es zeigte sich sogar eine höhere Rück- fußeversion, also eine stärkere Prona- tion, beim Tragen von Einlagen im Ver- gleich zur Barfuß- und zur Neutralsitu- ation. Statt das Bewegungsausmaß des Sprunggelenks zu verringern, scheint eine niedrige Längswölbungsstütze die Gelenkbewegung sogar zu vergrößern.

Auch wenn die Ergebnisse hier keinen VWDWLVWLVFK VLJQLˋNDQWHQ 8QWHUVFKLHG zeigten, haben wir diesen Effekt bei al- len Probanden beobachtet.

Hier sieht man aber auch deutlich die Grenzen der kinematischen Betrach- tungsweise und der klassischen Messgrö- ßen: Die Bewegungen, die man am Fuß zu erfassen versucht, sind sehr klein und wir arbeiten mit hautbasierten Markern.

Die erwartbaren Effekte sind klein, von daher wird es schwierig, dies mit der ver- fügbaren Methodik sichtbar zu machen.

Würden Sie daraus schließen, dass Ein- lagen mit Längswölbungsstützen nicht den gewünschten Effekt bei der Be- handlung von Überlastungsbeschwer- den haben?

Nein, das würde ich daraus nicht fol- gern. Klinische Untersuchungen zeigen immer wieder, dass Einlagen mit Längs- wölbungsstützen eine entscheidende Rolle bei der Therapie von laufbeding- ten Verletzungen spielen. So haben sie zum Beispiel deutliche Effekte auf die Verringerung von Schmerz und die Ver- besserung der Fußfunktion bei Läufern mit Überlastungsschäden der unteren Extremität gezeigt. Dass die Effekte auf die Bewegung in wissenschaftlichen Studien noch nicht ausreichend nach- gewiesen werden konnte und die Stu- dienergebnisse so heterogen sind, zeigt meiner Meinung nach, dass wir den Wirkmechanismus dahinter noch nicht richtig verstanden haben.

Man könnte aus den heterogenen Stu- dienergebnissen mehrere Schlussfolge- als einen in sich festen Körper betrach-

tet und geschaut, ob dieser weiter nach innen kippt oder nicht. Bei dem Ox- ford-Fußmodell, das wir verwendet ha- ben, werden die Marker so gesetzt, dass man Vor- und Rückfuß differenziert be- trachten kann. Auch wir haben den glei- chen Outcome betrachtet wie diese frü- hen Studien: Den Achillessehnenwinkel und den Fuß-Boden-Winkel. Wir wollten genau mit diesen klassischen und etab- lierten Messgrößen arbeiten, um zu se- hen, inwieweit diese Größen aussage- kräftig sind, oder ob wir alternative Out- comes entwickeln müssen. Mit dem Ox- ford-Fußmodell kommen die Ergebnisse differenzierter zustande, weil man den Rückfuß dabei isoliert betrachten kann.

Sie haben den Effekt unterschiedlicher Höhen von Längswölbungsstützen im Vergleich zum Barfußgang und zum Neutralschuh untersucht. Welche Ef- fekte haben Sie gefunden?

/¦QJVZ¸OEXQJVVW¾W]HQZHUGHQMDK¦XˋJ mit dem Ziel eingesetzt, eine vermehrte Pronation zu verhindern. Die Annahme ist, dass die Längswölbungsstützen die Rückfußeversion und die Innenrotation der Tibia bei der Pronation verringern.

Wir wollten wissen, ob unterschiedliche Höhen von Längswölbungsstützen (30 Millimeter, 35 Millimeter und 40 Milli- meter) hier unterschiedlich große Effek- te erzielen.

Überraschenderweise gab es keinen VWDWLVWLVFK VLJQLˋNDQWHQ 8QWHUVFKLHG haben wir eine möglichst homogene Pro-

bandengruppe gewählt: Sportler, die ge- wohnt sind, auf dem Laufband zu laufen, und die keine Fußbeschwerden hatten.

Eine weitere ungewünschte Variabi- lität von Studienergebnissen kann zum Beispiel durch die gewählte Messmetho- de und ihre Einstellung zustande kom- men. Es gibt zum Beispiel ältere Studien, die beim Achillessehnenwinkel oder beim Fuß-Boden-Winkel einen statistisch sig- QLˋNDQWHQ8QWHUVFKLHGYRQ*UDGDQJH- ben, sich aber nicht fragen, ob das Mess- system einen Winkel von 2 Grad über- KDXSWDXˌ¸VHQNDQQ.DQQHVGDVQLFKW dann sind die angegebenen 2 Grad Un- terschied kein verlässlicher Wert. Die- sen Messfehler kann man verringern, in- dem man mehr Kameras verwendet und diese besser einstellt – da haben wir viel gelernt bei unseren Studien. Wichtig wä- re, dass in jeder Studie der Messfehler angegeben wird und dass man offenlegt, ELV]XZHOFKHP:HUWPDQDXˌ¸VHQNDQQ Nur Werte, die darüber liegen, können als wirkliche Effekte in der Studie interpre- tiert werden. Man kann uns allerdings vorwerfen, dass wir unseren Messfehler auch nicht angegeben haben, wir haben ihn aber bei der Auswertung und Inter- pretation berücksichtigt.

Um genauere Ergebnisse zu bekom- men, haben wir außerdem ein Marker- modell verwendet, das die Bewegun- gen des Fußes genauer zeigen kann, als es in den 3D-Studien der 90er-Jah- re der Fall war. Damals hat man den Fuß

Im Bewegungslabor des Departements Gesundheit der BFH, das Prof. Heiner Baur leitet, for- schen Wissenschaftler, Handwerker, Ärzte und Physiotherapeuten gemeinsam und unterstützen sich gegenseitig mit Probanden und Messsystemen (s. Bericht in OST 5/2012, S. 46ff.).

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Bewegung eines Fußknochens, der an der Pronation wesentlich beteiligt ist.

Erste Messungen haben uns übri- gens schon gezeigt, dass es möglich sein könnte, mit diesem Messsystem Effek- te von Längswölbungsstützen zu erken- nen. Einige wenige Studien anderer For- schungsgruppen gibt es schon, die ver- suchen, die Absenkung des Naviculare 2D oder 3D von der Seite zu messen. Ich halte das für einen vielversprechenden Ansatz. Zumal die daraus erhaltenen Messgrößen direkten klinischen Bezug haben: In der Orthopädie und Physio- therapie gibt es den „Navicular Drop“- Test, bei dem die Navicularhöhe zwi- schen Sitzen (teilbelastet) und Stehen (vollbelastet) betrachtet wird. Man hat so ein Maß für die Absenkung des Ge- wölbes in einer statischen Situation un- ter Last. Wir messen nun das Gleiche in der Dynamik und es bedarf keiner gro- ßen Erklärung, da jeder diese Messgröße sofort versteht.

Winkelmessung zwischen Körperseg- menten nicht Alternativen gibt.

Gibt es aus Ihrer Sicht andere Möglich- keiten, um die Pronation zu messen?

Messgrößen sollen im besten Fall ein quantitatives Maß für die Abbildung der

„Wirklichkeit“ sein. Sie haben aber im- mer bestimmte Limits, die man kennen muss, um daraus sinnvolle Interpreta- tionen abzuleiten. Patric Eichelberger aus unserem Labor hat in seiner Doktor- arbeit zum Beispiel ein Messverfahren entwickelt, das die Bewegung des Os Na- viculare erfassen kann. Das Os Navicu- lare ist der höchste Knochen der Längs- wölbung. Es senkt sich bei der Pronation ab und wandert nach medial. Patric hat ein einfaches Fußmodell entwickelt, das mit nur vier Markern auskommt und diese Bewegungen zeigen kann. Damit würde man die Pronation nicht mehr über die bekannten Winkel beschreiben, sondern durch Streckenmessungen der rungen ziehen. Eine könnte zum Beispiel

sein, dass wir wie beschrieben auf die falschen Parameter schauen. Die meis- ten Studien betrachten den Achillesseh- nenwinkel und den Fuß-Boden-Winkel.

Als Benno Nigg die ersten 2D-Filmauf- nahmen machte, suchte er etwas, das die Pronation abbilden kann. Seine For- schungsgruppe entschied sich dafür, ei- ne Linie auf das Fersenbein und den Un- terschenkel zu ziehen und die Verände- rung des Winkels zu untersuchen. Dabei ist die Bewegung des Fersenbeins nur ei- ne Komponente der komplexen Prona- tionsbewegung des Fußes. Diese Größe war jedoch damals mit 2D-Systemen gut zu betrachten und man wollte erste Ein- blicke in die Fuß- und Unterschenkelbe- wegung gewinnen. Seither gibt es diesen Betrachtungsansatz und selbst, als man 3D messen konnte, hat man daran nicht gerüttelt. Die unklaren Forschungser- gebnisse haben uns irritiert und wir ha- ben uns gefragt, ob es zu der klassischen

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ORTHOPÄDIESCHUHTECHNIK 10|2018

Subsysteme messen kann (s. Ausgabe 7/8 2018, S. 12ff.). Leider gibt es noch nicht viele Einlagenstudien, die Veränderun- gen auf neuromuskulärer und sensomo- torischer Ebene in den Blick nehmen. Ich halte es für notwendig, den Blickwinkel zu öffnen und neue Studiendesigns zu entwickeln, um die Effekte von Einlagen besser verstehen zu können.

Halten Sie das für Einlagen jeder Art für sinnvoll?

Ja, ich würde hier keine Unterscheidung zwischen Einlagen, die als „sensomo- torische Einlagen“ bezeichnet werden, und klassischen Einlagen oder Sport- einlagen sehen, sondern ähnlich wie Wolfgang Laube sagen, dass jede Einla- ge sensomotorisch wirkt. In der Studie, die die Veränderung der Voraktivierung des M. peroneus zeigte, haben wir eine movecontrol-Einlage von Ietec und kei- ne speziell „sensomotorische Einlage“

verwendet. Ich selbst vermute, dass die Wirkung von Einlagen immer eine Kom- bination aus mechanischen und senso- motorischen Effekten darstellt und dass je nach Einlage der mechanische oder der sensomotorische Effekt überwiegt.

Die Produktkategorien „sensomotori- sche Einlage“ oder „klassische Einlage“, die der Orthopädieschuhmacher in der Versorgung aus praktischen Gründen verwendet, spielen für mich als Wissen- schaftler dabei weniger eine Rolle als die Wirkung, die die jeweilige Einlage erzielt. Insofern halte ich es für Einlagen jeder Art für wichtig, sensomotorische Effekte in künftigen Studien stärker zu

berücksichtigen. 왎

In unserer Studie zeigte sich die Än- derung der muskulären Vorspannung erst nach einer gewissen Tragezeit. Das könnte darauf hindeuten, dass hier ein Lerneffekt auf neuromuskulärer Ebe- QH VWDWWˋQGHW (LQODJHQ N¸QQWHQ GDQQ möglicherweise einen Trainingseffekt haben, der dazu beiträgt, im Bewegungs- ablauf eine günstigere muskuläre Steue- rung zu erzielen und zu erreichen, dass die Muskeln in herausfordernden Situ- ationen günstiger zusammenarbeiten.

Um solche Effekte zu untersuchen, muss man jedoch auf jeden Fall eine Studie durchführen, die über einen längeren Zeitraum geht. Wenn es tatsächlich zu Änderungen im sensomotorischen Sys- tem und auf der Ebene der muskulären Steuerung kommen sollte, dann voll- ]LHKW VLFK GDV QLFKW UHˌHNWRULVFK YRQ jetzt auf gleich, sondern durch einen motorischen Lernprozess.

Mit den früheren, rein kinematischen Ansätzen können wir nicht erkennen, ob Einlagen solche Prozesse auslösen. Des- halb bin ich überzeugt, dass wir neue methodische Herangehensweisen für (LQODJHQVWXGLHQ ˋQGHQ P¾VVHQ :R- möglich lassen sich Wirkmechanismen von Einlagen eher verstehen, wenn wir auch neurophysiologische Messtechni- ken in Studien einbeziehen.

Gibt es hierzu schon geeignete Messtechniken?

Es gibt einige Messmethoden, die be- reits versuchen, in das sensomotorische System „hineinzuschauen“ – ob damit Effekte bei Einlagen gezeigt werden können, muss noch erprobt werden. Ich denke zum Beispiel an die Messung des +RIPDQQ5HˌH[HV +5HˌH[ PLW GHU periphere Veränderungen von afferen- ter Information, deren weitestgehend spinale Modulation und die daraus fol- gende muskuläre Antwort gemessen werden kann. Oder die transkranielle Magnetstimulation (TMS), die zusätzlich dazu zentrale Modulationen erfassen kann. Und in Ihrer Zeitschrift haben Sie ja das Interaktive Balancesystem (IBS) vorgestellt, das möglicherweise Aktivitä- ten auf der Ebene der sensomotorischen Ich denke, es ist wichtig, neue Wege

einzuschlagen, wenn man merkt, dass einen die klassischen Messgrößen nicht mehr weiter führen. Dabei halte ich es für wichtig, relativ einfache Größen zu suchen, die aber verlässlich Unterschie- de zeigen können.

Sollte man aus Ihrer Sicht also neue kinematische Größen entwickeln?

Das wäre sicher eine Möglichkeit. Denk- bar ist jedoch auch, dass es insgesamt nicht ausreichend ist, Effekte von Ein- lagen nur mechanisch zu erklären und mit kinematischen Parametern zu un- tersuchen. Es gibt ja bereits einige Stu- dien, die diskutieren, ob die Effekte von Einlagen eher auf neuromuskulärer oder sensomotorischer Ebene liegen. Peter Cavanagh hat als einer der ersten den Gedanken formuliert, dass Einlagen die Afferenzen an den Fußsohlen verändern und dass auf diese Weise der motorische 2XWSXWEHHLQˌXVVWZHUGHQNDQQ%HQQR Nigg folgerte aus seinen Ergebnissen, dass sich Gangbilder kinematisch gese- hen durch Einlagen nicht oder nur wenig verändern, dass sich aber die muskulä- ren Aktivitäten verändern. Dabei hält er es für günstig, wenn die gleiche Bewe- gung mit einer geringeren muskulären Aktivität zustanden kommt („preferred movement path“ Theorie).

Auch eine unserer Studien weist darauf hin, dass Einlagen muskuläre Aktivitäten ändern. Wir konnten in einer randomi- sierten, kontrollierten Studie an 99 Läu- fern mit Überlastungsbeschwerden zei- gen, dass Einlagen die Voraktivierung des Musculus peroneus vor dem Fersenauf- satz steigern. Wie das geschieht, können wir nur vermuten. Die veränderte Muske- laktivität könnte darauf hinweisen, dass wir mit der Einlage an der Längswölbung vielleicht Hautrezeptoren, Muskelspin- deln oder Golgi-Sehnen-Apparate des M. peroneus treffen, die diese Reize wei- terleiten und damit zur Aktivierung des Muskels beitragen. Anders als Nigg inter- pretieren wir die höhere muskuläre Ak- tivität in diesem Fall jedoch als günstig, weil sie zu einer höheren Stabilität im Sprunggelenk beitragen könnte.

1. Eichelberger P, Blasimann A, Lutz N, Krause F, Baur H. A minimal markerset for three-dimensional foot function assessment:

measuring navicular drop and drift under dynamic conditions. J Foot Ankle Res 2018; Apr 18;11:15. doi: 10.1186/s13047-018-0257-2 2. Wahmkow G, Cassel M, Mayer F, Baur H. Ef- fects of different medial arch support heights on rearfoot kinematics. PLoS ONE 2017 12(3):

e0172334. doi:10.1371/journal.pone.0172334.

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