• Keine Ergebnisse gefunden

Archiv "Gibt es Indikationen für Erythropoetin in der Onkologie ?" (23.12.2002)

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Archiv "Gibt es Indikationen für Erythropoetin in der Onkologie ?" (23.12.2002)"

Copied!
6
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

D

as Hormon Erythropoetin regu- liert die Vermehrung und Rei- fung der für den Sauerstofftrans- port zuständigen roten Blutkörper- chen (38). Als rekombinantes Protein wird es seit etwa 15 Jahren bei Pa- tienten mit renaler Anämie, „Infekt“- oder „Tumoranämie“ oder anderen krebsassoziierten Anämieformen ein- gesetzt.

Die durch Erythropoetin induzierte Zunahme der Sauerstofftransportka- pazität führt zu erhöhter Leistungs- fähigkeit. Da Hypoxie die genetische Instabilität von Tumorzellen und die Ausbildung eines fragilen, die Metasta- sierung begünstigenden Kapillarnet- zes zu fördern scheint, könnte eine ver- besserte Sauerstoffversorgung des Tu- mors zu einer Verlangsamung seiner Progression führen (28, 63). Außerdem könnten sauerstoffabhängige Thera- piemodalitäten, wie die Strahlenthera-

pie, durch eine gesteigerte Tumoroxy- genierung eine Wirkungszunahme er- fahren (28, 63) (Grafik 1).

Nach bisherigem Kenntnisstand be- ruht die Wirkung von Erythropoetin bei Krebspatienten ausschließlich auf einer Steigerung der Erythropoiese

(Grafik 2). Die Erythropoe- tintherapie muss sich daher mit der Transfusionsbehand- lung messen, die die effektiv- ste Methode zur kurzfristigen Vermehrung der Erythro- zytenmasse darstellt (1 Blut- konserve führt zum Hämoglo- binanstieg um 1 g/dL) (16, 25).

Unter derzeitigen Herstel- lungsbedingungen ist das Risi- ko infektiöser oder allergischer Komplikationen sehr gering (Hepatitis B – 1 : 60 000, Hepatitis C – 1 : 100 000, HIV-Infektion – 1 : 650 000, hämolytische Reaktion – 1 : 60 000, le- tale AB0-Inkompatibilität – 1 : 600 000) (24, 25). Eine klinisch relevante Eisen- überladung ist erst nach Transfusion von etwa 50 Konserven zu erwarten.

Ein randomisierter Vergleich zwi- schen Erythropoetin und Bluttransfu- sion unter Vorgabe gleicher Ziel-Hä-

Gibt es Indikationen

für Erythropoetin in der Onkologie ?

Zusammenfassung

Ungefähr 50 bis 70 Prozent der Krebspatienten mit einer „Tumoranämie“, einer durch Knochen- markinfiltration bedingten Anämie oder einer therapieassoziierten Anämie zeigen unter ho- hen Erythropoetindosen einen Hämoglobinan- stieg um mindestens 2 g/dL. Etwa ein Drittel der Patienten mit Myelodysplasie-bedingter An- ämie spricht auf sehr hohe Erythropoetindosen in Verbindung mit Granulozytenkolonien-stimulie- rendem Faktor an. Der Hämoglobinanstieg ent- wickelt sich langsam über einen mehrmonati- gen Zeitraum und ist oft von einer Verbesserung der Lebensqualität begleitet. Da die publizierten prädiktiven Faktoren keine sichere Vorhersage des Erfolgs einer Erythropoetintherapie erlau- ben, wird zur Ermittlung des Ansprechens in der Regel ein mehrmonatiger Therapieversuch un- ternommen. Die Behandlung mit Erythropoetin muss sich mit der Erythrozytentransfusion mes- sen, die ebenfalls einen Hämoglobinanstieg be- wirkt. Die Behandlung mit Erythropoetin ist na- hezu nebenwirkungsfrei. Sie ist jedoch langsam und bei einem beträchtlichen Teil der Patienten unwirksam. Die Transfusion von Erythrozyten- konzentraten birgt ein geringes Risiko infektiö- ser, allergischer oder toxischer Komplikationen,

führt aber zuverlässig bei nahezu allen Patien- ten zu einem sehr raschen Hämoglobinanstieg.

Aus verschiedenen Ländern stammende Kosten- analysen deuten darauf hin, dass die Behand- lung mit Erythropoetin bei Patienten mit krebs- bedingter Anämie sehr viel teurer ist als die Bluttransfusion. Die Wahl zwischen den beiden Verfahren wird daher wesentlich von ökonomi- schen Überlegungen und den finanziellen Res- sourcen des zugrunde liegenden Gesundheits- systems abhängen.

Schlüsselwörter: Anämie, Bluttransfusion, Ery- thropoetin, Myelodysplasie, Onkologie

Summary

Are there Indications for the Use of Erythropoietin in Patients with Cancer?

About 50 to 70 per cent of cancer patients with the “anemia of chronic disorders”, anemia due to neoplastic bone marrow infiltration or therapy-related anemia respond to high doses of erythropoietin with a hemoglobin increase of at least 2 g/dl. In the myelodysplastic syn- dromes, about one third of patients will show a response to very high doses in conjunction

with granulocyte colony-stimulating factor.

The response to erythropoietin is slow, requir- ing several months to develop. The prediction models proposed do not allow a reliable identi- fication of potential erythropoietin respon- ders. Therefore, the most common strategy to determine the responsiveness is a treatment trial of several months’ duration. Treatment with erythropoietin needs to be compared with the transfusion of red blood cells which also leads to a hemoglobin increase. Erythro- poietin is almost devoid of side effects, but it is slow and ineffective in a substantial propor- tion of patients. Red blood cell transfusion is associated with a small risk of infectious, allergic or toxic complications, but it reliably induces a rapid hemoglobin increase in virtually all patients treated. Cost analyses from several countries indicate that, in patients with cancer- related anemia, treatment with erythropoietin is considerably more expensive than blood transfusion. Thus, the choice between the two treatment options will be influenced by eco- nomic considerations and the financial resources of the underlying health care system.

Key words: anemia, blood transfusion, erythro- poietin, myelodysplasia, oncology

Klinik für Hämatologie (Direktor: Prof. Dr. med. Ulrich Dührsen), Universitätsklinikum Essen

Ulrich Dührsen

Grafik 1

Schlüsselfunktion des Hämoglobinanstiegs bei der Wir- kung von Erythropoetin und Erythrozytentransfusionen

(2)

moglobinwerte fehlt bisher. In den im Folgenden dargestellten Studien wur- de Erythropoetin ausnahmslos mit ei- ner Behandlung verglichen, die sich an den üblichen Transfusionspraktiken (Aufrechterhaltung niedriger Hämo- globinwerte) orientierte.

Ursachen für Anämien bei Krebspatienten

Anämien bei Krebspatienten können durch Blutverlust, Hämolyse oder un- zureichende Blutbildung bedingt sein (15, 17, 51). Nur die letztgenannte Störung ist durch Erythropoetin beein- flussbar. Schematisch lassen sich vier Ursachengruppen für eine verminderte Blutbildung abgrenzen: unzureichend verstandene immunologische Mecha- nismen, die unter der Bezeichnung

„Tumor“- oder „Infektanämie“ subsu- miert werden, die Verdrängung des Knochenmarks durch infiltrierende Krebszellen, die therapiebedingte My- elosuppression und die ineffektive Erythropoese bei Krebserkrankungen des blutbildenden Systems selbst, ins- besondere bei Myelodysplasien. Die

zur Anämie führenden mole- kularen Mechanismen sind komplex (15, 17, 51). Im Hin- blick auf die Erythropoe- tintherapie sind folgende Be- funde von besonderer Bedeu- tung: eine inadäquat niedrige Erythropoetinproduktion bei der „Tumoranämie“ und der therapieassoziierten Anämie, eine Hemmung der Erythro- poetinwirkung bei der Tu- moranämie und der Anämie durch Knochenmarkinfiltrati- on und ein vermindertes An- sprechen abnormer erythro- poetischer Vorläuferzellen auf physiologische Erythropoetin- konzentrationen bei den My- elodysplasien (15, 46).

Praktische Gesichtspunkte

Aus Phase-1-Studien (7, 47, 53, 55) ergab sich bei Patien- ten mit „Tumoranämie“, in- filtrationsbedingter Anämie oder the- rapiebedingter Anämie ein häufig an- gewandtes Therapieschema aus drei subkutanen Erythropoetininjektionen von je 150 U/kg pro Woche (bei einem normgewichtigen Erwachsenen: drei- mal 10 000 U) mit Dosisverdopplung bei Ausbleiben eines Hämo-

globinanstiegs nach vier- bis achtwöchiger Therapiedau- er. Anämien bei myelodys- plastischen Syndromen spre- chen meist erst auf Dosen über 1 000 U/kg pro Woche an (15). Zur Überwindung ei- nes bei Krebspatienten häu- fig vorliegenden funktionel- len Eisenmangels wird die gleichzeitige Verabreichung eines Eisenpräparates emp- fohlen (17).

Der Hämoglobinanstieg entwickelt sich bei einer er- folgreichen Erythropoetin- behandlung sehr langsam (Grafik 3). Zur Ermittlung des Ansprechens wird daher ein Therapieversuch von mindestens zweimonatiger Dauer empfohlen (12, 22).

Die einmalige Verabreichung von 40 000 U Erythropoetin pro Woche scheint eine ähnliche Wirksamkeit aufzuweisen wie die Gabe von drei Dosen mit 10 000 U (20). Noch länge- re Dosierungsintervalle könnten sich bei Verwendung des lang wirkenden Erythropoetinabkömmlungs Darbe- poietin-αergeben (23, 64).

Therapieergebnisse

Nur wenige Phase-2- und -3-Studien konzentrierten sich auf nichtmyelosup- pressiv behandelte Patienten mit soli- den Tumoren oder nichtmyeloischen hämatologischen Neoplasien, deren Anämie durch eine „Tumoranämie“

oder eine Knochenmarkinfiltration be- dingt war. Bei Verwendung des genann- ten Behandlungsalgorithmus ließ sich bei etwa der Hälfte der Patienten ein Anstieg der Hämoglobinkonzentration um mindestens 2 g/dL erreichen (2, 43, 57). Gleichzeitig kam es zu einem Rückgang der Transfusionsbedürftig- keit (43, 57). Die erfolgreiche Behand- lung der Anämie ging mit einer Verbes- serung der mit Fragebögen und visuel- len Skalen gemessenen Lebensqualität einher (2, 43, 57).

Bei Patienten mit soliden Tumo- ren oder nichtmyeloischen hämatologi- schen Neoplasien unter Chemothera- Grafik 2

Abhängigkeit der Wirkung von Erythropoetin auf ver- schiedene Lebensqualitätsparameter vom Ausmaß des erreichten Hämoglobinanstiegs. Die Lebensqualitätspa- rameter wurden durch eine visuelle Skala von 100 mm Länge quantifiziert. Modifiziert nach Demetri GD, Kris M, Wade J, Degos L, Cella D: Quality-of-life benefit in che- motherapy patients treated with epoetin alfa is inde- pendent of disease response or tumor type: results from a prospective community oncology study. Procrit Study Group. J Clin Oncol 1998; 16: 3412–3425. Mit freundlicher Genehmigung Lippincott, Williams & Wilkins, USA.

Grafik 3

Zeitliche Entwicklung des Hämoglobinanstiegs in einer plazebokontrollierten randomisierten Studie chemothe- rapierter Patienten. Modifiziert nach Littlewood TJ, Ba- jetta E, Nortier JW, Vercammen E, Rapoport B: Effects of epoetin alfa on hematologic parameters and quality of life in cancer patients receiving nonplatinum chemothera- py: results of a randomized, double-blind, placebo-con- trolled trial. J Clin Oncol 2001; 19: 2865–2874. Mit freundli- cher Genehmigung Lippincott, Williams & Wilkins, USA.

(3)

pie wurden zahlreiche Phase-2-, -3- und -4-Studien durchgeführt. Etwa 50 bis 70 Prozent der Patienten mit mani- fester Anämie reagierten auf die Be- handlung mit einem Anstieg der Hä- moglobinkonzentration um 2 g/dL (Ta- bellen 1, 2). Durch frühzeitigen (prä- ventiven) Einsatz von Erythropoetin ließ sich das Neuauftreten einer An- ämie unter der Chemotherapie erfolg- reich verhindern (11). Nach einer Me- taanalyse publizierter randomisierter Studien (Behandlungsdauer: 9 bis 24 Wochen) müssen im Mittel 4,4 Patien- ten mit Erythropoetin behandelt wer- den, um eine einzige Bluttransfusion zu vermeiden (59). Unterschiede zwi- schen Patienten mit oder ohne Kno- chenmarkinfiltration, Chemotherapien mit oder ohne Cisplatin oder pädiatri- schen versus erwachsenen Patienten waren nicht erkennbar (Tabelle 1).

Die Anhebung der Hämoglobin- konzentration führte in der Regel zu einer Verbesserung der Lebensqua- lität (2, 10, 12, 20, 22, 41, 54, 57) (Grafik

2). Die wissenschaftliche Aussagekraft der hierzu vorliegenden Studien wur- de allerdings in einer kürzlich veröf- fentlichten Metaanalyse infrage ge- stellt (4). Tierexperimentelle Untersu- chungen deuten darauf hin, dass die Chemotherapie bei höheren Hämo- globinkonzentrationen eine stärkere antineoplastische Wirkung entfalten könnte (67). In einer im letzten Jahr veröffentlichten Studie am Menschen zeigte sich ebenfalls ein Trend zu einer – statistisch allerdings nicht signifikan- ten – Lebensverlängerung (41).

Im Hinblick auf die Sauerstoffabhän- gigkeit der Strahlentherapie verfolgt die Behandlung oder Prävention einer Anämie bei radiotherapierten Patien- ten mit soliden Tumoren das vorrangi- ge Ziel, die Sauerstoffversorgung des Tumors zu verbessern (28, 63). Zahl- reiche retrospektive Studien zeigten eine Korrelation zwischen dem Vorlie- gen einer Anämie und einem schlech- ten Behandlungsergebnis (13, 14, 18, 40, 60). Eine mögliche Erklärung lie-

fert die Vorstellung, dass eine niedrige Hämoglobinkonzentration zu einer schlechten Tumoroxygenierung führt, welche ihrerseits die Wirksamkeit der Radiotherapie einschränkt. Diese In- terpretation wird durch Tierexperi- mente gestützt, in denen die Behand- lung der Anämie durch Bluttransfu- sionen oder Erythropoetin zu einer Verbesserung der Sauerstoffversor- gung der Tumoren (36, 37) und einer höheren Wirksamkeit der Strah- lentherapie führte (65, 68). Allerdings ließen sich diese Wirkungen nur bei sehr kleinen Tumoren nachweisen.

Beim Menschen sind die Auswir- kungen der Anämiebehandlung auf die Wirksamkeit der Strahlentherapie weniger gut untersucht. Eine viel zi- tierte randomisierte Studie zeigte für Zervixkarzinompatientinnen mit un- behandelter Anämie eine höhere Lokalrezidivrate als für Patientinnen, deren Anämie durch Bluttransfusio- nen ausgeglichen wurde (6). Methodi- sche Schwächen dieser Studie ließen

´ Tabelle 1 C´

Ausgewählte randomisierte Studien zum Einfluss von Erythropoetin auf die Hämoglobinkonzentration und die Transfusionsbedürftig- keit von Krebspatienten mit Chemotherapie-assoziierter Anämie (Therapieindikation: Hämoglobin < 10,5 – 11,0 g/dL)

Autoren Therapie Patienten- Wochen- Therapie- Ansprech- Mittlerer Transfundierte Mittlere Blut-

zahl dosis dauer rate*1 Hämoglobin- Patienten*2 konservenzahl pro

(U/kg) (Wochen) anstieg (g/dL) (Prozent) Patient und Monat*2

Chemotherapie ohne Cisplatin

Abels et al. (2) Placebo 74 – – – 12 14 0,4 27 !37 0,7 !0,8

Erythropoetin 79 450 12 58 2,3 25 !29 0,7 !0,5

Littlewood et al. (41) Placebo 124 – – – 12–24 19 0,5 36 !40 0,8

Erythropoetin 251 450 !900 12–24 71 2,2 28 !25 0,5

Chemotherapie mit Cisplatin

Abels et al. (2) Placebo 61 – – – 12 7 0,4 44 !56 1,2 !1,0

Erythropoetin 64 450 12 48 2,0 44 !27 1,7 !0,6

Multiples Myelom

Dammacco et al. (10) Placebo 76 – – – 12 9 0,0 37 !47 k. A.

Erythropoetin 69 450 !900 12 58 1,8 36 !28 k. A.

Pädiatrische Patienten

Porter et al. (56) Placebo 10 – – – 16 k. A. k. A. 0 !100 3,3

Erythropoetin 10 450 !900 16 k. A. k. A. 0 !90 1,1

*1Prozentsatz der Patienten mit einem Hämoglobinanstieg 2 g/dL

*2Prä- !posttherapeutische Werte k. A., keine Angabe

(4)

jedoch Zweifel daran aufkommen, dass die beobachteten Unterschiede einer höheren Wirksamkeit der Strah- lentherapie zuzuschreiben waren. Eine

„intent to treat“-Analyse ergab keine signifikanten Überlebensunterschiede zwischen den beiden Studienarmen (19).

In Phase-3-Studien bewirkte Ery- thropoetin bei circa 60 bis 80 Prozent der strahlentherapierten Patienten ei- nen Hämoglobinanstieg (39, 66). Die Auswirkungen auf die Tumorbehand- lungsergebnisse werden gegenwärtig

untersucht (33). In einer retrospekti- ven Analyse von Patienten mit Kopf- Hals-Tumoren zeigten Patienten mit unbehandelter Anämie schlechtere Behandlungsergebnisse als mit Ery- thropoetin behandelte Patienten (21).

Die Bestätigung dieser Beobachtung durch eine prospektive randomisierte Studie steht aus.

Anämien im Rahmen myelodyspla- stischer Syndrome sprachen in weni- ger als 20 Prozent auf eine Erythro- poetintherapie an. Durch den gleich- zeitigen Einsatz von niedrigdosiertem

Granulozytenkolonien-stimulieren- dem Faktor (G-CSF) ließen sich bei etwa einem Drittel der Myelodyspla- sie-Patienten Hämoglobinanstiege er- reichen (Tabelle 3).

Vorhersage der

Erythropoetinwirkung

Zur Identifikation von Patienten, die von einer Erythropoetintherapie pro- fitieren könnten, wurden zwei ver- schiedene Ansätze verfolgt.

´ Tabelle 2 C´

Praxisorientierte Großstudien zum Einfluss von Erythropoetin auf die Hämoglobinkonzentration und die Transfusionsbedürftigkeit von Krebspatienten mit Chemotherapie-assoziierter Anämie (Therapieindikation: Hämoglobin < 11,0 g/dL)

Autoren Patientenzahl*1 Wochendosis Therapie- Ansprech- Mittlerer Transfundierte Mittlere Blutkonservenzahl

(U) dauer rate*2 Hämoglobin- Patienten*3 pro Patient und Monat*3

(Wochen) (Prozent) anstieg (g/dL)*3 (Prozent)

Glaspy et al. (22) 2030 !1187 3 x 10 000 ! 16 53 1,8 22 !10 0,6 !0,3

3 x 20 000

Demetri et al. (12) 2289 !1085 3 x 10 000 ! 16 61 2,0 29 !5 1,0 !0,2

3 x 20 000

Gabrilove et al. (20) 2964 !1715 1 x 40 000 ! 16 68 1,8 14 !5 0,4 !0,1

1 x 60 000

*1Patientenzahlen zu Beginn !am Ende der Therapie (vorzeitiger Therapieabbruch/fehlende Abschlussbefunde bei 42 bis 53 Prozent der Patienten).

*2Prozentsatz der Patienten mit einem Hämoglobinanstieg 2 g/dL (12; 20; 22) oder Erreichen einer Hämoglobinkonzentration von 12 g/dL (12, 20).

*3Prä- !posttherapeutische Werte. Eingeschränkte Interpretierbarkeit wegen Zugrundelegung unterschiedlicher Patientenkollektive für die prä- und posttherapeutischen Berechnungen (50).

´ Tabelle 3 ´

Ausgewählte Studien zum Einfluss von Erythropoetin (mit oder ohne G-CSF) auf die Hämoglobinkonzentration und die Transfusions- bedürftigkeit von Myelodysplasiepatienten mit Anämie (Therapieindikation: Hämoglobin < 9 – 10 g/dL)

Autoren Therapie Patienten- Wochen- Therapie- Ansprech- Mittlerer Transfundierte Mittlere Blut-

zahl dosis dauer rate*1 Hämoglobin- Patienten*2 konservenzahl pro

(U) (Wochen) (Prozent) anstieg (g/dL) (Prozent) Patient und Monat*2 Erythropoetin allein

Hellström et al. (32) Erythropoetin 12 600 !3,000 12 17 0,1 67 !58 1,1 !1,5

Italienische Placebo 37 – – – 8 0 –0,3 k. A. k. A.

Studiengruppe (1) Erythropoetin 38 1,050 8 13 1,7 k. A. k. A.

Erythropoetin + G-CSF

Negrin et al. (49) Erythropoetin 24 700 ! 2,100 16 29 1,0 92 !71 2,6 !2,0

+ G-CSF

Hellström-Lindberg Erythropoetin 47 500 !1,000 10–12 38 k. A. k. A. k. A.

et al. (30) + G-CSF

Mantovani et al. (44) Erythropoetin 25 600 !1,200 36 56 2,2 82 !44*3 k. A.

+ G-CSF

*1Hämoglobinanstieg 1,5 – 2,0 g/dL oder Verschwinden einer vorbestehenden Transfusionsbedürftigkeit

*2Prä- !posttherapeutische Werte

*3Eingeschränkte Interpretierbarkeit wegen Zugrundelegung unterschiedlicher Patientenkollektive für die prä- und posttherapeutische Berechnung.

k. A., keine Angabe; G-CSF, Granlulozyten-Kolonien-stimulierender Faktor

(5)

Der erste Ansatz beschäftigte sich mit der retrospektiven Datenanalyse von Patienten, die unter einer Chemo- therapie eine transfusionsbedürftige Anämie entwickelten (27, 58, 62).

Hierzu gehörten Patienten mit Leuk- ämien, Lungenkrebs oder bereits vor Beginn der Chemotherapie manifester Anämie (62). Als Risikofaktoren für eine transfusionsbedürftige Anämie wurden die Faktoren Hämoglobin 12 g/dL, schlechter Allgemeinzustand und Lymphozyten 700/µL identifi- ziert (58).

Der zweite Ansatz verfolgte das Ziel, prädiktive Faktoren für eine er- folgreiche Erythropoetintherapie bei manifester Anämie zu ermitteln (Ta- belle 4). Die Vorhersagemodelle be- ruhten meist auf kleinen Fallzahlen und wurden bisher nicht durch pro- spektive Studien bestätigt. Für ver- schiedene Patientenkollektive erga- ben sich unterschiedliche prädiktive Faktoren. Selbst bei der Analyse ähnli- cher Patientengruppen erwiesen sich

die publizierten Modelle zum Teil als widersprüchlich (31, 34, 42, 44). Ihr praktischer Wert ist daher beschränkt.

Zu den prätherapeutischen Faktoren, die zumindest bei einigen Patienten einen Erfolg der Erythropoetinthera- pie vorhersagen lassen, gehören eine inadäquat niedrige Erythropoetinse- rum-Konzentration und das Fehlen ei- ner Transfusionsbedürftigkeit. Ob ein mehrere Wochen nach Beginn der Erythropoetintherapie beobachteter Hämoglobinanstieg als „prädiktiv“

anzusehen ist, erscheint fraglich.

Kosten- und Kosten-Nutzen- Analysen

Mehrere Veröffentlichungen beschäf- tigen sich mit einem Vergleich der Kosten der Erythropoetin- beziehungs- weise Transfusionstherapie bei Patien- ten mit therapieinduzierter Anämie.

Trotz unterschiedlicher Ausgangsda- ten, Berechnungsmodalitäten und Ge-

sundheitssysteme kommen die in Ta- belle 5 zitierten Arbeiten übereinstim- mend zu dem Schluss, dass die Kosten der Erythropoetintherapie weit höher sind als die der Transfusionsbehand- lung (drei- bis 38facher Kostenunter- schied).

Für Patienten mit myelodysplasti- schen Syndromen liegen bisher kei- ne Kostenanalysen vor. Wendet man den derzeitigen Preis von Erythro- poetin laut „Roter Liste“ (10 000 U

= 190 Euro) auf die Daten einer ame- rikanischen Studie zur Langzeitthe- rapie von Myelodysplasie-Patienten (48) an, so ist rechnerisch ein Betrag von 285 000 Euro aufzubringen, um in einer Gruppe nichtselektierter Patien- ten in einem einzigen Fall ein Anspre- chen von einjähriger Dauer zu beob- achten.

Da Erythropoetin in den Vereinigten Staaten von Amerika nur etwa halb so viel kostet wie in Deutschland, errech- net sich dort ein Betrag von 150 000 US-Dollar.

´ Tabelle 4 C´

Prädiktive Faktoren für das Ansprechen von Krebspatienten auf eine Erythropoetintherapie

Retrospektiv ermittelte prädiktive Faktoren

Autoren Patientenzahl vor Therapie nach 2-wöchiger Therapie nach 4-wöchiger Therapie

Myeloische und nichtmyeloische Neoplasien mit oder ohne Chemotherapie

Ludwig et al. (42) 40 S-Erythropoetin < 100 U/L

Hämoglobin "0,5 g/dL S-Ferritin < 400 ng/mL

Cazzola et al. (8) 48 S-Erythropoetin < 100 U/L S-Transferrinrezeptor "25% Hämoglobin " 1 g/dL Retikulozyten "40,000/µL Nichtmyeloische Neoplasien mit oder ohne Chemotherapie

Henry et al. (34) 206 Hämoglobin "1 g/dL

Retikulozyten "40,000/µL Multiples Myelom und Non-Hodgkin-Lymphome mit oder ohne Chemotherapie

Cazzola et al. (7) 57 S-Erythropoetin 50 U/L Hämoglobin "0,3 g/dL Österborg et al. (53) 121 S-Erythropoetin < 50 U/L

Myelodysplastische Syndrome

Hellström-Lindberg (29) 179 S-Erythropoetin 200 U/L

Erythropoetin allein Keine Transfusionen

Keine RARS

Hellström-Lindberg et al. (31) 98 S-Erythropoetin < 100 U/L Erythropoetin + G-CSF < 2 Transfusionen/Monat

S-Erythropoetin/S-Ferritin/S-Transferrinrezeptor: Serumkonzentrationen von Erythropoetin/Ferritin/löslichem Transferrinrezeptor;

RARS: Refraktäre Anämie mit Ringsideroblasten; G-CSF: Granulozytenkolonien-stimulierender Faktor

(6)

Beim derzeitigen Kenntnisstand be- schränkt sich der Nutzen der Ery- thropoetintherapie auf eine Verbes- serung der Lebensqualität. Um die- sen Nutzen als Geldbetrag auszu- drücken, wurden zwei verschiedene Modelle angewendet. Im ersten An- satz wurden Krebspatienten gefragt, welche Summe sie selbst gewillt wären, für die Vorteile einer dreimo- natigen Erythropoetintherapie auszu- geben (52). Die durchschnittliche Be- reitschaft, sich finanziell zu beteiligen, deckte weniger als 20 Prozent der tat- sächlichen Erythropoetinkosten; nur 4 Prozent der Patienten waren bereit, den vollen Betrag zu bezahlen.

Im zweiten Ansatz wurde durch Multiplikation der Lebensjahre mit ei- nem von 0 (Tod) bis 1 (perfekte Ge- sundheit) reichenden Qualitätskoeffi- zienten eine Qualitätsanpassung der tatsächlich verlebten Jahre erreicht (so genanntes „quality-adjusted life year“).

Eine qualitativ gute Lebensphase wurde hierdurch rechnerisch länger als eine qualitativ schlechte Phase gleicher zeitlicher Dauer (5, 26). Bei derartigen Berechnungen ergab sich für den Hinzugewinn eines einzigen

„quality-adjusted life year“ durch ei- ne Erythropoetinbehandlung ein Preis zwischen 110 769 und 214 391 US- Dollar (3, 9).

Schlussfolgerungen

Zur Prävention oder Behandlung von Anämien bei Krebspatienten können Erythropoetin oder Bluttransfusionen verwendet werden. Erythropoetin ist nahezu nebenwirkungsfrei, jedoch auch teuer, langsam in seiner Wirkung und bei einem beträchtlichen Teil der Pa- tienten unwirksam. Bluttransfusionen sind mit einem geringen Risiko infek- tiöser, allergischer oder toxischer Kom- plikationen behaftet, sie sind jedoch ko- stengünstig und in ihrer prompten Wir- kung sehr verlässlich.

Bei vielen Krebspatienten tritt eine Anämie erst in weit fortgeschrittenen Stadien auf. Wegen ihrer kurzen Lebenserwartung werden diese Pati- enten durch langfristige Transfusions- risiken nicht gefährdet. Bei anderen Patienten ist die Anämie ein vorüber- gehendes therapieinduziertes Pro- blem. Da diese Patienten meist keine oder nur sehr wenige Bluttransfusio- nen benötigen, ist das Risiko eines langfristigen Transfusionsschadens ge- ring. Die Behandlung mit Erythropoe- tin wäre insbesondere bei Patienten mit langer Lebenserwartung und chro- nischer Transfusionsbedürftigkeit at- traktiv, zum Beispiel bei prognostisch günstigen myelodysplastischen Syn- dromen. Leider sprechen diese Patien- ten nur selten auf Erythropoetin an.

Kostenanalysen aus verschiedenen Ländern kommen übereinstimmend zu dem Ergebnis, dass die Erythropoe- tintherapie beträchtlich teurer ist als die Erythrozytentransfusion. Die Wahl zwi- schen den beiden Behandlungsmöglich- keiten wird daher in entscheidendem Maße von ökonomischen Überlegungen und den finanziellen Ressourcen des zugrunde liegenden Gesundheitssystems abhängen.

Manuskript eingereicht: 14. 8. 2002, angenommen:

21. 8. 2002

Zitierweise dieses Beitrags:

Dtsch Arztebl 2002; 99: A 3470–3475 [Heft 51–52]

Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literatur- verzeichnis, das beim Verfasser erhältlich oder im Internet unter www.aerzteblatt.de/lit5102 abrufbar ist.

Anschrift des Verfassers:

Prof. Dr. med. Ulrich Dührsen Klinik für Hämatologie Universitätsklinikum Essen Hufelandstraße 55 45122 Essen

E-Mail: ulrich.duehrsen@uni-essen.de

´ Tabelle 5 C´

Vergleich der Kosten von Erythropoetin und Bluttransfusion zur Prävention und Behandlung von Anämien bei Krebspatienten

Behandlungskosten pro Patient und Monat

Autoren Land Datenquelle Erythropoetin Bluttransfusion Kostenverhältnis

Erythropoetin/Transfusion Chemotherapie-assoziierte Anämie

Sheffield et al. (61) USA 8 publizierte Studien 2 162 $ 747 $ 3

Ortega et al. (52) Kanada 2 publizierte Studien 1 197 $ 194 $ 6

Barosi et al. (3) Italien 2 publizierte Studien 1 142 $ 52 $ 22

Meadowcroft et al. (45) USA 174 publizierte Artikel 2 161 $ 56 $ 38

50 Brustkrebspatientinnen

Cremieux et al. (9) USA 4 publizierte Studien 1 888 $ 354 $ 5

Radiochemotherapie-assoziierte Anämie

Kavanagh et al. (35) USA 1 publizierte Studie 2 579 $ 660 $ 4

12 Zervixkarzinompatientinnen

Zusätzlich zu den Kosten für Erythropoetin (10 000 U = 94 – 125 US-Dollar) und Blutkonserven (1 Konserve = 137 – 422 US-Dollar; Median: 329 US-Dollar) gingen zahlreiche Nebenkosten in die Analyse ein.

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Bei etwa der Hälfte der Patienten lässt sich kein Auslöser für die AIHA finden – diese Patienten leiden de­.. finitionsgemäß an

Nachdem im Oktober 2002 zeitgleich in der Fachzeitschrift Blood und im Journal of Clinical Oncology die evi- denzbasierten Empfehlungen (guide- lines) der American Society of

Am Ende einer zwölfwöchigen Behandlungsphase war hier der Hä- moglobinanstieg unter Erythropoetin (plus zusätzlichen Bluttransfusionen bei etwa einem Viertel der Patienten) etwa

Dialyse-Patienten müssen anstatt wie bisher dreimal pro Woche eine Spritze r- HuEPO in der Regel nur ein- mal wöchentlich eine subku- tane oder intravenöse NESP- Injektion

Chronische Blu- tungen führen aufgrundder reak- tiv gesteigerten Hämatopoese erst dann zu einer manifesten Anämie, wenn die Eisenreserven des Kör- pers (0,5 bis 1,5

Die vorstehende Text wurde erarbeitet im Auftrage der Deutschen Aids-Gesellschaft (DAIG) und der Öster- reichischen Aids-Gesellschaft (ÖAG) sowie der Arznei- mittelkommission der

Anhand der Verschreibungs- muster wurden beispielhaft 30 669 Pa- tienten mit Diabetes mellitus hinsicht- lich einer zusätzlichen Behandlung mit Östrogenen, 56 779 Patienten

100 Gramm enthalten 0,25 Gramm Cetyl- stearylalkohol, 3 Gramm Woll- wachsalkohole, 46,75 Gramm weißes Vaselin und 50 Gramm gereinigtes Wasser.. Die beiden ersten