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Archiv "Die Wiederherstellung des Unterkiefers: Therapeutisches Vorgehen nach Kontinuitätsverlust durch Entzündung, Trauma oder Tumor" (23.04.1999)

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er Unterkiefer nimmt ei- ne zentrale Stellung für Funktion und Ästhetik des Mund-, Kiefer-, Gesichtsbe- reichs ein. Aus funktioneller Sicht spielt dabei seine Stützfunk- tion für Zunge und Muskulatur des Mundbodens eine entschei- dende Rolle, da die Mundhöhle als Teil der Atemwege und als Eintrittspforte des Verdauungs- traktes beim Kauen, Schlucken, Spre- chen und Atmen direkt beteiligt ist.

Je nach Lokalisation und Ausmaß ei- nes Unterkieferdefektes kommt es daher zu erheblichen funktionellen und ästhetischen Beeinträchtigun- gen. Durch Verlust des Kinnberei- ches verliert die Zunge vollständig ih- re Abstützung, so daß neben der Be- einträchtigung des Kau- und Schluck- aktes der Patient durch Verlegung der oberen Atemwege vital gefährdet ist.

Ohne sofortige Wiederherstel- lung solcher Defekte sind zusätzliche Hilfsmaßnahmen zur Erhaltung der vitalen Funktionen, wie beispielswei- se die Tracheotomie, notwendig. Bei Verlust des seitlichen sowie des aufsteigenden Unterkieferastes steht

hingegen die Beeinträchtigung der Kaufunktion und des Schluckaktes im Vordergrund.

Kriegerische Auseinandersetzun- gen konfrontierten die Ärzte bereits lange vor der ersten tumorbedingten Unterkieferresektion im Jahre 1812 durch Dupuytren mit den Problemen des Unterkieferverlustes. Bergenfeld beschrieb 1829 erstmals die hieraus re- sultierenden, schwerwiegenden Fol- gen (Textkasten Unterkieferverlust).

Neben der vitalen Gefährdung wird insgesamt das Schicksal der betroffe- nen Patienten sowohl in psychischer wie auch insbesondere in sozialer Hin- sicht ungünstig beeinflußt.

Aufgrund dieser vielfältigen Probleme wurde bereits im letzten Jahrhundert versucht, mit unter- schiedlichsten alloplastischen Mate- rialien, wie Gold (9), Zelluloid (3), Elfenbein (11) und Hartgummi (28),

Die Wiederherstellung des Unterkiefers

Therapeutisches Vorgehen nach Kontinuitätsverlust durch Entzündung, Trauma oder Tumor

Jürgen F. Reuther Norbert R. Kübler

Für Funktion und Ästhetik des Mund-, Kiefer-, Gesichtsbe- reichs ist der Unterkiefer von entscheidender Bedeutung. Bei Verlust seiner Kontinuität infolge eines Traumas, einer Ent- zündung oder Operation sind die vitalen Funktionen Kauen, Schlucken, Sprechen und Atmen zum Teil erheblich beein- trächtigt. Heute stehen für die Wiederherstellung der Unter- kieferkontinuität neben der freien Knochentransplantation, welche seit der Jahrhundertwende zur Routinemaßnahme weiterentwickelt wurde, verschiedene allogene und alloplasti- sche Implantatmaterialien zur Verfügung. Durch die Ein- führung der Mikrogefäßchirurgie wurde das Repertoire der freien Knochentransplantation wesentlich erweitert. Mit

dieser Technik ist insbesondere im er- satzschwachen oder ersatzunfähigen

Transplantatlager die individuelle Rekonstruktion des Unter- kiefers möglich. In den vergangenen Jahren konnten eine Reihe von induktiven Knochenwachstumsfaktoren, die soge- nannten bone morphogenetic proteins (BMPs) identifiziert und charakterisiert werden. Durch gentechnologische Her- stellung stehen diese mittlerweile in ausreichender Menge und Reinheit zur Verfügung und verheißen vollständig neue Aspekte in der knöchernen Wiederherstellungschirurgie.

Schlüsselwörter: Knochentransplantation, Mikrogefäßchir- urgie, Osteoinduktion

ZUSAMMENFASSUNG

Restoration of the Mandible

The mandible possesses decisive importance for function as well as esthetics in the oral and maxillofacial region. The loss of its continuity due to trauma, infection or operation can cause considerable impairment of vital functions such as chewing, swallowing, speaking and breathing. Besides free bone grafting, which has become a routine treatment since the turn of the century, different allogeneic and allo- plastic implantation materials are currently used. The intro- duction of microvascular surgery has significantly expanded the scope of free bone grafting. The use of this technique

enables the individual mandibular reconstruc- tion especially in recipient beds with weak or

missing regenerative capacities. In the past years a whole family of inductive bone growth factors, the so-called bone morphogenetic proteins (BMPs), could be identified and characterized. Meanwhile, recombinant technology allows the synthesis of sufficient amounts of highly purified BMPs which open completely new aspects in reconstructive bone surgery.

Key words: Bone grafting, microvascular surgery, osteo- induction

SUMMARY

D

Klinik und Poliklinik für Mund-, Kiefer-, Ge- sichtschirurgie (Direktor: Prof. Dr. med. Dr.

med. dent. Jürgen F. Reuther) der Bayerischen Julius-Maximilians-Universität, Würzburg Folgen nach Unterkieferverlust

! Verlegung der Atemwege

! Erschwerung der Nahrungsaufnahme

! fehlende Speichelretention

! Beeinträchtigung der Sprache

! ästhetische Entstellung

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die Unterkieferkontinuität wieder- herzustellen. Diese erste Phase des Unterkieferersatzes war jedoch durch erhebliche Komplikationen, wie chronische Infektion und Ab- stoßung der Alloplastiken, gekenn- zeichnet.

Bardenheuer führte 1891 erst- mals die Rekonstruktion des aufstei- genden Unterkieferastes mit einem vor dem Ohr gestielten Osteokutan- lappen von der Stirn durch (2). In der Folge wurden Unterkieferde- fekte mit gestielten osteokutanen Transplantaten vom Unterkiefer- rand, von der Clavicula sowie vom Sternum mit unterschiedlichem Er- folg überbrückt (6, 12, 25, 38). Die erste freie Knochentransplantation für den Unterkieferersatz wurde im Jahre 1900 von Sykoff (31) vorge- nommen und in der Folgezeit von Lexer (15), Axhausen (1), Linde- mann (16) und Ganzer (8) zu einer Standardmethode entwickelt. Die Literatur über den osteoplastischen Ersatz des Unterkiefers ist heute kaum mehr überschaubar und das Problem der Unterkieferrekonstruk- tion mittels freier Knochentrans- plantate ist für die klinische Anwen- dung weitgehend gelöst (unter ande- rem 19, 24, 27).

Im ersatzschwachen Lager, das heißt nach Infektion, Vernarbung oder Bestrahlung bestehen jedoch für freie Knochentransplantate, die

zunächst nur per Diffusion ernährt werden können, erhebliche Proble- me bei der Einheilung aufgrund der schlechten Vaskularisation des um- gebenden Weichgewebes. Im ersatz- unfähigen Lager, beispielsweise bei großflächigen Weichteilverlusten be- ziehungsweise -defekten oder bei ausbestrahlten Patienten, ist eine Re- konstruktion mit einem freien Kno- chentransplantat unmöglich. Hier hat die Einführung der Mikroge- fäßchirurgie mit der Möglichkeit, Knochenspäne im Transplantatlager über ihre ernährenden Gefäße sofort wieder zu perfundieren, das thera-

peutische Konzept vollständig verän- dert. Mit dieser Methode gelingt es, von defektfernen Regionen unter- schiedliche Knochentransplantate, falls nötig auch in Kombination mit Weichgeweben, zu entnehmen und in den Kiefer-Gesichtsbereich zu trans- plantieren.

Zeitpunkt der

Unterkieferrekonstruktion

Heute stellt sich die Frage, zu welchem Zeitpunkt und mit welcher Methodik die Wiederherstellung der Unterkieferkontinuität durchgeführt werden sollte. Aus unserer eigenen klinischen Erfahrung ist die primäre Wiederherstellung der Unterkiefer- kontinuität, unabhängig ob mit allo- plastischen Materialien oder Kno- chentransplantaten, die Methode der Wahl, da hierdurch eine Vernarbung der Weichteile verhindert wird. Ins- besondere bei Kinndefekten wird die vitale Gefährdung durch Verlegung der Atemwege verhindert, und eine Tracheotomie kann häufig vermie- den werden. Die Frage einer primären, endgültigen, das heißt knöchernen Wiederherstellung des Unterkiefers ist aufgrund der unter- schiedlichen Primärdiagnosen diffe- renziert zu betrachten: Während bei traumatischem Verlust der Unterkie- ferkontinuität und bei chronischen Osteomyelitiden mit therapieresi- stentem, progressivem Verlauf sowie Abbildung 1: Unterkieferrekonstruktion mit einer Alloplastik: a) alio loco vorbestrahlter Patient mit Rezidiv ei-

nes Plattenepithelkarzinoms in der rechten Wange; b) intraoperativer Situs mit Rekonstruktion des resezierten Unterkiefers durch ein Polymethylmethacrylat-Interponat und eine Rekonstruktionsplatte; c) postoperative Mundöffnung und intraorale Defektdeckung mit einem mikrochirurgisch revaskularisierten Dünndarmtrans- plantat; d) postoperative En-face-Ansicht mit extraoraler Defektdeckung durch einen Akromiopektorallappen.

Abbildung 2: Unterkieferrekonstruktion mit einem freien Beckenkammtransplantat: a) Zustand nach Hemi- mandibulektomie wegen eines Osteosarkoms; b) intraoperativer Situs mit Beckenkammtransplantat zur Re- konstruktion des horizontalen Anteils sowie des aufsteigenden Astes des Unterkiefers (Rekonstruktionsplatte der ersten Generation); c) Orthopantomogramm sieben Monate nach Transplantation und drei Monate nach der Plattenentfernung; d) postoperatives Ergebnis.

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bei Resektionen aufgrund gutartiger Läsionen die primäre knöcherne Wiederherstellung allgemein aner- kannt ist, bestehen bei der primären Wiederherstellung nach Malignom- resektionen unterschiedliche An- sichten. Ausgehend von unserer ei- genen Erfahrung halten wir es in den meisten Fällen für angezeigt, bei Re- sektionen von malignen Neoplasien die Knochenstümpfe mit einer Re- konstruktionsplatte in ihrer anato- misch korrekten Position zu halten und zunächst nur eine primäre großzügige Weichteilrekonstruktion durchzuführen (Abbildung 1). Auf- grund des nicht immer vorhersehba-

ren postoperativen Verlaufs (mögli- che Infektion oder sekundäre Be- strahlungsindikation) läßt sich durch diese Vorgehensweise zunächst die ästhetische und funktionelle Situati- on weitestgehend erhalten. In unse- rer Hand hat sich dabei bewährt, den resezierten Knochenabschnitt tem- porär, bis zur definitiven knöchernen Rekonstruktion, mit einem allopla- stischen Material (früher: Silikon- implantate, heute: Polymethylmeth- acrylat-Implantate mit Antibiotikum- zusatz), welches an der Rekonstruk- tionsplatte fixiert wird, zu ersetzen (Abbildung 1).

An unserer Klinik haben sich seit einigen Jahren durch die Verwen- dung von osteoinduktiven AAA- Knochenimplantaten neue rekon- struktive Therapiekonzepte ergeben.

Ohne Verwendung von körpereige- nem Knochen ist es mit diesem Mate- rial möglich, im gut vaskularisierten Lagergewebe ortsständig neues Kno- chengewebe als definitiven Unterkie- ferersatz zu induzieren.

Freie

Knochentransplantate

Unabhängig vom Zeitpunkt der knöchernen Rekonstruktion ist heu- te im ersatzstarken Transplantatlager die freie Transplantation von autoge- nem Knochengewebe (meist als kor- tikospongiöser Span) vom Becken-

kamm die Methode der Wahl. Weite- re Spenderareale stellen der Tro- chanter major, die Tibia oder die Fi- bula dar.

Bis in die 70er Jahre war jedoch die freie Knochentransplantation für die Patienten mit erheblichen Beein- trächtigungen verbunden, da der Kiefer für lange Zeit immobilisiert werden mußte. Erst in den späten 60er und den frühen 70er Jahren trat hier ein grundsätzlicher Wandel ein, da die aus der Frakturbehandlung gewonnenen Erfahrungen mit Osteo- syntheseplatten auch für die Unter- kieferrekonstruktion zum Einsatz kamen. Bowerman und Conroy be- schrieben 1969 (4), Reuther und Hausamen 1975 (22), Luhr 1976 (18) sowie Schmelzle und Schwenzer 1977 (26) Plattensysteme, welche die

funktionsstabile Überbrückung von Unterkieferdefekten in anatomisch exakter Position ermöglichen. Durch die Stabilisierung mit Überbrük- kungs- beziehungsweise Rekonstruk- tionsplatten wird eine gute Ruhig- stellung des Transplantates gewähr- leistet und damit die Möglichkeit für eine ungestörte Einheilung geschaf- fen (24).

Die Rekonstruktion des Unter- kiefers mittels druckstabilisierter Osteoplastik bietet für die klinische Anwendung entscheidende Vorteile:

Für die funktionsstabile Fixation der Kieferstümpfe ist eine intermaxilläre Ruhigstellung nicht mehr notwendig,

wodurch eine frühzeitige funktionel- le Belastung des Transplantates er- möglicht wird.

Da Knochengewebe sich nur un- ter funktioneller Belastung entspre- chend den statischen Anforderun- gen umbaut, ist es empfehlenswert, auch bei größeren Transplantaten, das Osteosynthesematerial späte- stens sechs Monate nach dem Primäreingriff zu entfernen. Damit wird gewährleistet, daß der Kno- chenspan möglichst frühzeitig nach seiner Einheilung wieder einer voll- en Funktionsbelastung unterzogen wird und eine Atrophie beziehungs- weise ein Abbau durch mangelnde funktionelle Belastung vermieden werden kann (Abbildung 2).

Bei der Verwendung von reinen Spongiosatransplantaten, die in er- Abbildung 3: Unterkieferrekonstruktion mit einem mikrochirurgisch revaskularisierten Beckenkammtrans- plantat: a) Zustand nach Hemimandibulektomie links, Neck Dissection und postoperativer Radiatio; b) an der A. und V. circumflexa ilium profunda gestieltes Knochentransplantat mit Hautinsel; c) postoperatives intraora- les Ergebnis nach Versorgung mit enossalen Implantaten; d) postoperative En-face-Ansicht.

Auswahlkriterien für mikrovaskuläre Knochentransplantate

! Qualität des Knochengewebes

! Quantität des Knochengewebes

! Form des Knochengewebes

! Länge des Gefäßstiels

! Morbidität der Spenderregion Falls simultane

Weichteilrekonstruktion erforderlich

! Variabilität des oder der mitver- pflanzten Weichteillappen(s)

! Volumen des oder der mitver- pflanzten Weichteillappen(s)

d.

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satzschwachen Transplantatlagern günstigere Einheilchancen besitzen, kann die Stabilisierung mit einem Ti- tangitter, dem sogenannten Titan- mesh erfolgen (7). Diese Methodik wurde jedoch durch den Einsatz mi- krochirurgischer Operationstechni- ken weitgehend verdrängt.

Mikrochirurgisch revaskularisierte Knochentransplantate

Im ersatzschwachen und insbe- sondere im ersatzunfähigen Trans- plantatlager, das heißt bei ausgedehn- ten Vernarbungen aufgrund von In- fektionen oder infolge von Bestrah- lungen sowie bei großflächigen Weichgewebsdefekten nach Trauma oder infolge von Tumorresektionen, ist die erfolgreiche Rekonstruktion mit freien Knochentransplantaten fraglich und in vielen Fällen nicht möglich. Für diese Patienten hat die Einführung der Mikrogefäßchirurgie in den 70er Jahren neue rekonstrukti- ve Möglichkeiten eröffnet.

Für den Ersatz der Unterkiefer- kontinuität mit mikrochirurgischem Knochentransfer stehen heute ver- schiedene Spenderregionen zur Ver- fügung, die die Kriterien für eine funktionell vollwertige Unterkiefer- wiederherstellung erfüllen. Aus un- serer Erfahrung mit über 100 mikro- chirurgischen Knochentransplanta-

tionen zum Unterkieferersatz haben alle Spenderregionen Vor- und Nach- teile, die bei der Auswahl im indivi- duellen Fall entsprechend zu berück- sichtigen sind.

Bestimmend für die Auswahl ge- eigneter mikrochirurgischer Trans- plantate sind neben Qualität, Quan- tität und Form des Knochens insbe- sondere die Variabilität und das Vo- lumen des in den meisten Fällen benötigten und gleichzeitig mitver- pflanzten Weichgewebes.

Daneben haben auch die Länge des Gefäßstiels und die Morbidität

der Spenderregion einen Einfluß auf die Transplantatauswahl (Textkasten Auswahlkriterien). Aus dieser Sicht erfüllen insbesondere die Spenderre- gionen der Skapula, der Fibula sowie des Beckenkamms diese klinischen Anforderungen am besten (23).

Andere Regionen, wie bei- spielsweise der Radius, die Ulna oder die Rippe sind nach unserer Auffassung aufgrund des zu gerin- gen Knochenangebotes (sowie im Falle des Radius oder der Ulna auf- grund der zusätzlich resultierenden hohen funktionellen Beeinträchti- gung in der Spenderregion) weniger geeignet, um einen funktionsfähigen Unterkieferersatz zu bilden.

Hierzu zählt neben der Wieder- herstellung der Knochenkontinuität auch die kaufunktionelle Rehabilita- tion der Patienten, welche heute in der Regel durch eine Fixation und Abstützung der prothetischen Ver- sorgung auf osseointegrierten Im- plantaten erfolgt.

Mikrochirurgisches Beckenkammtransplantat

Das von Taylor und Mitarbei- tern 1979 beschriebene Becken- kammtransplantat mit seiner Versor- gung über die A. circumflexa ilium profunda hat sich in unserer Hand besonders für die Rekonstruktion

Abbildung 5: Unterkieferrekonstruktion mit einem mikrochirurgisch revaskularisierten Fibulatransplantat:

a) Zustand nach subtotaler Mandibulektomie, Neck dissection und Rekonstruktion des Halshautdefektes mit einem mikrochirurgisch revaskularisierten Latissimus-dorsi-Lappen; b) intraoperativer Situs mit konturiertem Fibulatransplantat; c) eingeheiltes Fibulatransplantat vier Monate nach Transplantation zum Zeitpunkt der Plattenentfernung; d) postoperatives Profil.

Abbildung 4: Rekonstruktion des Entnahmedefektes eines Fibulatransplantates mit einem allogenen, osteoin- duktiven Fibulaimplantat: a) an den Vasa peronea gestieltes Knochentransplantat mit darunterliegender Spen- derfibula; b) AAA-Knochenimplantat (Spenderfibula) in situ; c) postoperatives Ergebnis; d) Röntgenbild im seit- lichen Strahlengang vier Monate nach Rekonstruktion mit deutlich sichtbarer, manschettenförmiger Knochen- neubildung um das AAA-Knochenimplantat.

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des Kieferwinkels und des aufstei- genden Unterkieferastes bewährt (32). Dabei ist sowohl das Knochen- volumen als auch die leicht gebogene Kontur des Beckenkammspanes für diese Region von besonderem Vor- zug (Abbildung 3).

Ein Nachteil des mikrochirurgi- schen Beckenkammtransplantates ist zum einen die häufig sehr ausgepräg- te Spongiosastruktur, welche die pri- märstabile Insertion von enossalen Dentalimplantaten erschwert. Des weiteren sind die Weichteile auf- grund ihrer Gefäßversorgung direkt am Beckenkamm fixiert, so daß eine unabhängige Positionierung des si- multan verpflanzten Muskelhautlap- pens erschwert wird. Die Variabilität

des myokutanen Lappens kann nur durch eine zusätzliche mikrochirurgi- sche Präparation und Anastomose der superfiziellen Gefäße erreicht werden.

Schließlich ist der Weichteillap- pen für die Rekonstruktion von Wan- ge oder intraoralen Weichteilde- fekten häufig zu dick und unbeweg- lich, so daß wir für diese Situation auf andere Transplantate, insbesondere die Skapulatransplantate, zurück- greifen.

Mikrochirurgisches Fibulatransplantat

Das 1973 von Ueba und Fujikawa (36) sowie 1975 von Taylor und Mitar- beitern (33) erstmals klinisch einge- setzte Fibulatransplantat hat erstaun- licherweise für die Unterkieferrekon- struktion lange Zeit keine Beachtung gefunden, obwohl eine fast direkte Übereinstimmung des Querschnitts vom Wadenbein und atrophischem Unterkiefer gegeben ist. Ein weiterer Vorzug des Fibulatransplantates liegt in seiner Länge. Beim Erwachsenen kann das Transplantat bis zu einer Länge von 20 bis 25 Zentimetern ent- nommen werden. 1989 hat Hidalgo erstmals die Fibula für den Unterkie-

ferersatz verwandt (10). Seither hat das Fibulatransplantat jedoch erheb- lich an Bedeutung für die Wiederher- stellung des Unterkiefers gewonnen.

Wir selbst verwenden dieses Transplantat bei Unterkieferdefekten ab einer Länge von zwölf Zentimetern.

Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, daß nicht bei allen Patienten eine Fibu- latransplantation durchgeführt werden kann, da in sechs Prozent der Fälle eine Nichtanlage der A. tibialis anterior oder der A. tibialis posterior besteht

(17). Bei mehr als einem Prozent der Bevölkerung stellt die A. peronea be- ziehungsweise die A. fibularis das ein- zige versorgende Gefäß für den gesam- ten Unterschenkel dar, so daß sich in diesen Fällen der mikrochirurgische Fibulatransfer verbietet. Prinzipiell ist die Kombination des Fibulaspans mit einem Hautlappen vom Unterschen- kel möglich. Unserer Ansicht nach ist in diesen Fällen jedoch nur die Mitnah- me eines kleinen Fasziokutanlappens möglich. Bei größeren Weichteiltrans- fers muß der Entnahmedefekt im Un- terschenkelbereich mit Spalthaut ge- deckt werden. Dadurch ergeben sich funktionelle und ästhetische Nachteile.

Auch ist eine primäre Wiederherstel- lung der Fibulakontinuität in diesen Fällen nicht möglich. Die Rekonstruk- tion des knöchernen Entnahmedefekts scheint jedoch nach Angaben in der orthopädischen Literatur zumindest wünschenswert, um eine mehrere Jah- re nach der Fibulaentfernung auftre- tende Instabilität im oberen Sprung- gelenk sicher zu vermeiden. Der in unserer Klinik entwickelte AAA- (autolysierter, antigenextrahierter, al- logener) Knochenspan läßt sich hierfür mit besonders gutem Erfolg einsetzen.

Für die entnommene Fibula wird ein chemisch behandeltes, osteoindukti- ves Knochenimplantat aus einer Spen- derfibula in den Entnahmedefekt in- terponiert. Dies bietet die Möglichkeit, die umgebenden Weichteile, insbeson- dere die Muskulatur, in anatomisch ex- akter Position zu refixieren. In diesem gut vaskularisierten Weichteilmantel kommt es rasch zu einer ossären Inte- gration beziehungsweise zu einer In- duktion von neugebildetem Knochen- gewebe um das AAA-Knochenim- plantat, welches in der Folge durch den neugebildeten, patienteneigenen Kno- chen vollständig ersetzt wird (Abbil- dung 4).

Die wesentlichen Vorteile des Fi- bulatransplantates bestehen in der Länge der kompakten Knochenröhre sowie in seiner speziellen Vaskularisa- tion, welche aus einem medullären Gefäß in Kombination mit einem zir- kulären Netzwerk an periostalen Ge- fäßen besteht. Diese Gefäßversorgung erlaubt entsprechende Osteotomien des Fibulatransplantates, um die Un- terkieferkontur individuell nachzufor- men (Abbildung 5). Auch für das Fi- Abbildung 6: Unterkieferrekonstruktion mit einem mikrochirurgisch revaskularisierten Skapulatransplantat:

a) präoperative En-face-Ansicht; b) anteriores Mundbodenkarzinom mit Infiltration des Unterkiefers und der äußeren Haut; c) Einzeichnung der Schnittführung nach McFee sowie des Hautresektates; d) an der A. und V.

circumflexa scapulae gestieltes Skapulatransplantat bestehend aus fasziokutanem Skapula- und Paraska- pulalappen sowie der lateralen Skapulakante; e) postoperatives Resultat mit extraoraler Defektdeckung durch den mitverpflanzten fasziokutanen Skapulalappen; f) postoperatives Resultat mit intraoraler Defektdeckung durch den mitverpflanzten fasziokutanen Paraskapulalappen.

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bulatransplantat empfehlen wir die Stabilisierung mit einer Rekonstrukti- onsplatte, die jedoch bereits nach drei bis vier Monaten wieder entfernt wer- den kann. In allen unseren bisherigen Fällen stellte die Fibula ein ideales Im- plantatlager für enossale Dentalim-

plantate dar, welche aufgrund der kompakten Knochenstruktur eine op- timale Stabilität nach viermonatiger Einheilphase zeigten.

Mikrochirurgisches Skapulatransplantat

Der an unserer Klinik am häufig- sten eingesetzte mikrochirurgisch re- vaskularisierte Knochenspan ist das Skapulatransplantat, welches von Sil- verberg und Mitarbeitern 1985 (29) sowie von Swartz und Mitarbeitern 1986 (30) erstmals beschrieben wur- de. Die laterale Skapula wird von der A. circumflexa scapulae als Endast der A. subscapularis versorgt. Sie gibt vor dem Knochenast zwei Ge- fäßhauptäste in die Weichteile über dem Schulterblatt ab, so daß mit dem gleichen Gefäßstiel zwei voneinander unabhängige fasziokutane Lappen, der sogenannten Skapula- und der Paraskapulalappen, mitgehoben wer- den können (Abbildung 6 d). Die Haut über der Skapula ist auch bei Männern meist nicht behaart und in ihrer Textur der Gesichtshaut relativ ähnlich. Die Hautfarbe ist jedoch

deutlich diskrepant von Wange und Submandibularregion. Mit einer durchschnittlichen Länge von 13,4 Zentimetern und einer durchschnitt- lichen Dicke von 1,4 Zentimetern ist die laterale Skapulakante für die Re- konstruktion auch größerer Unter-

kieferdefekte gut geeignet. Aufgrund der guten Vaskularisation über ihren Periostmantel läßt sich das Skapula- transplantat durch multiple Osteoto- mien den unterschiedlichen Unter- kieferregionen individuell anpassen.

Durch die Kombination des Kno- chens mit zwei weitgehend voneinan- der unabhängig mobilisierbaren Weichteillappen (Skapula- und Pa- raskapulalappen) ist das Transplantat

fast universell einsetzbar, um kombi- nierte Knochen- und Weichteilde- fekte im Kiefer-Gesichtsbereich opti- mal zu rekonstruieren (Abbildung 6).

Die zusätzliche Mitnahme des Myo- kutanlappens vom M. latissimus dorsi ergibt sich aus dem Abgang der A.

thoracodorsalis aus der A. subscapu- laris, welcher bei zirka 98 Prozent der Patienten vorhanden ist. Hierdurch kann ein 4-in-1-Lappen (laterale Ska- pulakante, Skapula- und Paraska- pulalappen, Lattisimus-dorsi-Lap- pen) an einem Gefäß gestielt trans- plantiert werden, welcher insbeson- dere bei ausgedehnten Rekonstruk- tionen in der Traumatologie von großer Bedeutung ist (Abbildung 7).

Neuere Entwicklungen

Distraktionsosteogenese Die Kallusdistraktion nach Iliza- rov wird zur Verlängerung von Röhrenknochen in der Orthopädie und der Unfallchirurgie eingesetzt.

Bereits in den 70er Jahren wurde die- ses Verfahren zur Unterkieferverlän- gerung bei Hunden experimentell er- probt und wird heute in der Mund- Kiefer-Gesichtschirurgie mit extra- oder intraoralen Apparaturen zur Korrektur von mandibulären Hypo- plasien verwendet. In neueren Studi- en wurde die Technik auch zum De- fektverschluß am Unterkiefer einge- setzt. Die Nachteile der Methode bei dieser Indikation bestehen jedoch Tabelle

Aus Knochengewebe isolierte bone morphogenetic proteins (BMP)

Synonym Osteo- TGF-ββ- Chromosom

induktion Familie

BMP-1 Prokollagen-C-Proteinase – – 8

BMP-2 BMP-2A + + 20

BMP-3 Osteogenin + + 4

BMP-4 BMP-2B + + 14

BMP-5 – + + 6

BMP-6 – + + 6

BMP-7 Osteogenic Protein-1, + + 20

OP-1 TGF-ß = transforming growth factor-ß Abbildung 7: Nasen-, Oberkiefer-, Mundboden-, Kinn- und Unterkieferrekonstruktion durch einen 4-in-1-Lap- pen: a) Zustand nach Schußverletzung; b) an der A. und V. subscapularis gestieltes Transplantat bestehend aus fasziokutanem Skapula- und Paraskapulalappen (zur Rekonstruktion des Mundbodens und des Kinns), der la- teralen Skapulakante (zur Rekonstruktion des Unterkiefers) sowie einem myokutanen Latissimus-dorsi-Lap- pen (zur Rekonstruktion der Nase und des Oberkiefers); c) postoperatives Ergebnis.

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zum einen in der extraoralen Narben- bildung durch die Bewegung der transkutanen Haltepins, zum anderen muß die Anschlußstelle zwischen dem mobilisierten Knochensegment und dem gegenüberliegenden Kiefer- stumpf durch Anfrischen der Kno- chenenden und Osteosynthese oder durch Knochentransplantation zu- sätzlich operativ versorgt werden.

Aufgrund dieser Nachteile sowie der langen Tragedauer des Distraktors halten wir die Distraktionsosteogene- se für die Unterkieferrekonstruktion nur in wenigen Ausnahmefällen für geeignet.

Allogene Knochenimplantate Bereits in der Vergangenheit wurde versucht, allogenes Knochen- gewebe (zum Teil auch ganze Unter- kiefer von Spendern) zur Defektre- konstruktion einzusetzen. Andere Entwicklungen zielten darauf hin, tu- morbedingte autogene Unterkieferre- sektate nach Autoklavierung, Pyroli- sierung oder Schockgefrierung in flüs- sigem Stickstoff ein- oder zweizeitig zur Kontinuitätsrekonstruktion wie- der einzusetzen. Ohne weitere chemi- sche Aufbereitung des Knochengewe- bes wirkt dieses jedoch nur als Platz- halter und kann im günstigsten Fall im Rahmen des schleichenden Ersatzes in vitalen Knochen umgebaut werden.

Entsprechend groß waren die post- operativen Komplikationen, meist be- dingt durch Infektionen oder Implan- tatfrakturen.

Urist entdeckte 1965, daß alloge- nes Knochengewebe nach Deminera- lisation osteoinduktive Eigenschaften aufweist (37). Verantwortlich hierfür sind die in der Knochenmatrix enthal- tenen bone morphogenetic proteins (BMPs), welche nach Diffusion aus dem Knochengewebe eine Knochen- neubildung anregen. Gleichzeitig wird das Knochenimplantat durch Osteoklasten abgebaut, wodurch der neugebildete Knochen die Form des ehemaligen Knochenimplantates ein- nimmt. Demineralisierte allogene Knochenimplantate werden heute in erster Linie in der zahnärztlichen und Parodontalchirurgie, daneben jedoch auch bei Kalottenrekonstruktionen und gelegentlich in der orthopädi- schen Chirurgie eingesetzt.

Anfang der 90er Jahre haben wir in unserer Klinik eine Knochenbank mit AAA-Knochen etabliert. AAA- Knochen, welcher bei seiner Herstel- lung mehrere sequentielle chemische Extraktionsschritte durchläuft und in Pulverform sowie als kortikale Kno- chenchips zur Verfügung stehen, stellt eine Weiterentwicklung von demine- ralisierten Knochenimplantaten mit verbesserten osteoinduktiven Eigen- schaften dar (14). In mehr als acht

Jahren haben wir mit AAA-Knochen- implantaten im ersatzstarken Implan- tatlager bei mehr als 850 Fällen fast al- le Regionen des Kiefers und des Ge- sichtsschädels rekonstruiert, wodurch wir in vielen Fällen auf die Entnahme von körpereigenem Knochengewebe verzichten konnten (13). Speziell für Kasten- oder Spangenresektionen am Unterkiefer hat sich dabei die Ver- wendung von AAA-Knochen be- währt, obgleich wir auch bei Konti- nuitätsdefekten im gut vaskularisier- ten Implantatlager mit diesem Bank- knochen ausgezeichnete Ergebnisse erzielt haben. Bei ausgedehnten De- fekten oder ungünstigen Lagereigen- schaften verwenden wir AAA-Kno- chen, um die Entnahmedefekte von körpereigenen Knochentransplanta- ten (Beckenkamm beziehungsweise Fibula) funktionell wiederherzustel- len (Abbildung 4).

Osteoinduktive Proteine

Ende der 80er Jahre wurden durch Wozney und Mitarbeiter erst- mals einige der bone morphogenetic proteins (BMPs) aus Knochen iso- liert, charakterisiert und kloniert (39). Mittlerweile sind mehr als 15 BMPs bekannt, welche aufgrund ih- rer Aminosäuresequenz überwie- gend zur Proteinfamilie des Wachs- tumsfaktors TGF-β (transforming

growth factor-beta) zählen und von denen sechs (BMP-2 bis -7) knochen- bildende Eigenschaften aufweisen (5, 20) (Tabelle).

Verantwortlich für die biologi- sche Aktivität der BMPs ist zunächst eine Chemotaxis perivaskulärer, un- differenzierter Mesenchymzellen im Weichgewebe beziehungsweise undif- ferenzierter Stammzellen im Kochen- mark durch Bindung des dimeren BMP-Moleküls an spezifische Typ-I- und Typ-II-Serin/Threonin-Kinase- Rezeptorenkomplexe an deren Mem- branoberfläche (21). Dabei sind die Typ-I-Rezeptoren für die Spezifität verantwortlich, wobei jedoch zum Teil unterschiedliche BMPs an dieselben Rezeptoren binden. Eine Erhöhung der Rezeptorbindungen führt zu einer Proliferation dieser Zielzellen, gefolgt von einer Differenzierung in Knorpel- und Knochenvorläuferzellen. Neuere Abbildung 8: Rekonstruktion eines durchgehenden „critical size defect“ mit einem Durchmesser von 5 Millimetern im Bereich des Kieferwinkels bei einer Ratte mit rekombinantem humanem bone morphogenetic protein-2 (rhBMP-2) aus E. coli: a) linguale Ansicht mit vollständiger Wiederherstellung der knöchernen Struk- tur vier Wochen nach der Implantation von 10 µg rhBMP-2 in Kombination mit einem Kollagenträger;

b) buccale Ansicht desselben Unterkiefers; c) Mikroradiographie vier Wochen nach Setzen des Kieferwinkel- defektes ohne Verknöcherung nach alleiniger Implantation des Kollagenträgers; d) vollständige Verknöche- rung vier Wochen nach Implantation des Kollagenträgers in Kombination mit 10 µg rhBMP-2.

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Untersuchungen haben gezeigt, daß für die intrazelluläre Signalübertra- gung nach der BMP-Rezeptor-Bin- dung die sogenannten Smads als Se- cond-Messenger verantwortlich sind (34). Im Rahmen der enchondralen Ossifikation kommt es innerhalb we- niger Tage zur Ausbildung von Kno- chengewebe, welches sich funktionell umbaut und blutbildendes Knochen- mark beinhaltet.

Die stärksten knochenbildenden Eigenschaften besitzen BMP-2 und BMP-7, wobei die Knochenbildung sowohl orthotop (im Knochendefekt) als auch heterotop im Muskelgewebe induziert werden kann. Toriumi und Mitarbeiter berichteten über die erfolgreiche Rekonstruktion von drei Zentimeter langen Unterkieferde- fekten in Hunden mit BMP-2 (35). Ge- genwärtige Untersuchungen konzen- trieren sich unter anderem auf die Entwicklung geeigneter Freisetzungs- systeme beziehungsweise Trägermate- rialien für die BMPs. Diese sollen zum einen resorbierbar sein, andererseits bestehen in Abhängigkeit vom Im- plantatlager unterschiedliche biome- chanische Anforderungen. Zur Zeit

werden hierfür Trägermaterialien aus bovinem Kollagen beziehungsweise boviner Kochenmatrix favorisiert.

Unsere eigenen Untersuchungen mit E.-coli-exprimiertem BMP-2 haben gezeigt, daß eine Knocheninduktion in Kombination mit fast allen kommer- ziell erhältlichen, osteokonduktiven Knochenersatzmaterialien erzielt wer- den kann (Abbildung 8). Die stärkste Knochenneubildung beobachteten wir jedoch mit pulverisierter boviner Knochenmatrix. Durch die zusätzliche Augmentation von AAA-Knochen- chips mit rekombinantem BMP kön- nen auch biomechanisch stabile Im- plantate hergestellt werden.

Die zukünftige Verfügbarkeit von gentechnisch hergestellten BMPs wird zu vollständig neuen rekonstruk- tiven Techniken führen. Im ersatzstar- ken Lagergewebe kann durch deren Implantation ortsständig neues Kno- chengewebe induziert werden. Bei er- satzschwachem oder ersatzunfähigem Transplantatlager kann BMP-indu- ziertes Knochengewebe durch intra- muskuläre Implantation zunächst de- fektfern gebildet werden, um dieses dann sekundär in freier Form oder ge-

fäßgestielt (bei Implantation in einen gestielten Muskellappen) an den Ort des Unterkieferdefektes zu verpflan- zen. Sowohl BMP-2 als BMP-7 befin- den sich bereits im Zulassungsverfah- ren. Mit einer kommerziellen Verfüg- barkeit ist innerhalb der nächsten ein bis zwei Jahre zu rechnen.

Zitierweise dieses Beitrags:

Dt Ärztebl 1999; 96: A-1054–1061 [Heft 16]

Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literaturverzeichnis, das über den Son- derdruck beim Verfasser und über die Inter- netseiten (unter http://www.aerzteblatt.de) erhältlich ist.

Anschrift der Verfasser

Prof. Dr. med. Dr. med. dent.

Jürgen F. Reuther

Priv.-Doz. Dr. med. Dr. med. dent.

Norbert R. Kübler

Klinik und Poliklinik für Mund-, Kiefer-, Gesichtschirurgie Bayerische

Julius-Maximilians-Universität Pleicherwall 2

97070 Würzburg

Der Pathomechanismus der Acne inversa ist identisch mit dem der Acne vulgaris, daher zählt die Erkrankung zum Formenkreis der Akneerkran- kungen. Gesicht, Brust und Rücken sind kaum oder nicht betroffen, um so auffälliger die intertriginösen Areale wie Leistenbeugen, Axillen, Perigeni- talregion, Analfalte und zusätzlich Nacken und Kopfhaut. Die Acne in- versa umfaßt in ihrer vollen Ausprä- gung: Acne conglobata, oft schon aus- gebrannt und nur noch an Narben er- kennbar; abszedierende Fistelgänge in den intertriginösen Arealen; abszedie- rende Perifollikulitis und Abszesse an Nacken und Kopfhaut sowie Pilonidal- sinus in oder oberhalb der Analfalte.

Studien an Serienschnitten und insbe- sondere Exzisionsmaterial initialer Lä- sionen haben Aufschluß über die Se- quenz der Entzündung bei der Acne inversa gegeben. Der erste morpholo-

gisch faßbare Schritt ist eine Ruptur des Follikelepithels der Talgdrüsen- und Terminalhaarfollikel. Die ekkri- nen und apokrinen Schweißdrüsen werden erst später sekundär in den Entzündungsprozeß einbezogen. Das Abszeßgewebe dehnt sich aus, begün- stigt durch bakterielle Superinfektion mit gramnegativen Keimen. Der fol- genschwerste Schritt der Entzündung ist der Versuch auseinandergerissener Follikelepithelien, das Abszeßgewebe zu umschließen und zu lokalisieren.

Dadurch bilden sich epithelausgeklei- dete Gänge, die fuchsbauartig weite Teile der intertriginösen Areale durch- ziehen können. Die Acne inversa ist ei- ne schwere und selten lebensgefährli- che Erkrankung. Gefürchtete Kom- plikationen umfassen dermatogene Kontrakturen, bakterielle Meningitis, Bronchitis oder Pneumonie, systemi- sche Amyloidose und spinozelluläre

Karzinome mit Metastasierung auf dem Boden der chronischen Entzün- dung. Differentialdiagnostisch ist an Furunkel, Lymphogranuloma inguina- le, Morbus Crohn, vegetierende Pyo- dermie, Aktinomykose, Tuberculosis subcutanea et fistulosa und bei Kopf- hautbefall an tiefe Trichophytie zu den- ken. Zur Sanierung der intertriginösen Hautveränderungen stehen chirurgi- sche Maßnahmen im Vordergrund, die zur Rehabilitation und Resozialisation der oft erheblich beeinträchtigten Pati- enten führen. Systemisches Isotreti- noin, das mit großem Erfolg bei schwe- ren Akneformen wie Acne conglobata und Acne fulminans eingesetzt wird, ist bei Acne inversa nicht effektiv und wird lediglich prä- und/oder post- operativ zur Konditionierung des Ope- rationsgebietes empfohlen. jne Jansen T, Plewig G: Acne inversa. Int J Dermatol 1998; 37: 96–100.

Dr. med. Thomas Jansen, Dermatologi- sche Klinik und Poliklinik, Ludwig-Maxi- milians-Universität München, Frauenlob- straße 9–11, 80337 München.

Bei intertriginösen Entzündungen

an Acne inversa denken

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