as Asthmamedikament Clen- buterol, das Entziehungsmit- tel Clomethiazol und die La- borchemikalie Polyethylenglycol be- schleunigen die Heilung von Rücken- marksverletzungen. Über erfolgrei- che Versuche an Ratten und in Zell- kulturen berichteten drei, vonein- ander unabhängige, US-Arbeitsgrup- pen. „Unsere Resultate bestätigen, daß Clenbuterol die Muskelatrophie nach einer Schädigung des Rücken- marks verhindert“, sagte Scott Tho- mas Sayers (Hines, Illinois) anläßlich der Jahrestagung der American So- ciety for Neuroscience.
Clenbuterol ist ein Beta2-Rezep- toragonist, der ursprünglich zur Be- handlung des Asthma bronchiale ent- wickelt wurde. Immer wieder wurde jedoch über die mißbräuchliche An- wendung des Wirkstoffs durch Lei- stungssportler berichtet, welche die als Nebenwirkung beschriebene Muskel- hypertrophie nutzen wollten. Aus- gangspunkt von Sayers’ Studien war die Tatsache, daß unter Clenbuterol ein Massenzuwachs sowohl inervierter als auch denervierter Muskeln beob- achtet wurde. Außerdem habe er den aus Zellkulturen bekannten positiven Effekt auf das Überleben von Rücken- marksneuronen in vivo testen wollen.
Sayers verfütterte deshalb an Ratten mit experimentellen Rücken- marksquetschungen zehn Wochen lang Clenbuterol. Mit Tagesdosen ab einem Milligramm pro Kilogramm Körpergewicht konnte der Neurofor- scher damit deutliche Verbesserun- gen in der Beweglichkeit der Tiere feststellen. Als Sayers Ratten am Schwanz hochhielt, zeigten die Clen- buterol-behandelten Tiere die gleiche Balancereaktion wie gesunde Kon- trolltiere, indem sie ihre Zehen ab-
spreizten. In diesem standardisier- ten „Zehentest“ hielten unbehandelte Ratten die Zehen zusammen und die Pfoten eng am Körper. In einem wei- teren Versuch konnte Sayers’ Arbeits- gruppe eine signifikante Verlänge- rung der Schrittspanne von behandel- ten gegenüber unbehandelten Ratten feststellen. Langfristig plane man nun klinische Studien mit Clenbuterol bei Muskeldystrophien und Rücken- marksverletzungen, so Sayers.
Nervenfasern retten
Auch der beim Alkoholentzug eingesetzte Wirkstoff Clomethiazol (CMZ) könnte sich dabei als wirksam erweisen, hofft Mohammad Farooque (Edmonton/Kanada). In Zusammen- arbeit mit Wissenschaftlern des schwe- dischen CMZ-Herstellers Astra Ar- cus konnte er zeigen, daß die Arznei neuroprotektiv wirkt, wenn sie intra- peritoneal 30 Minuten vor einem schweren Kompressionstrauma des Rückenmarks gegeben wird. Im Rat- tenversuch erholten sich CMZ-be- handelte Tiere schneller und waren signifikant besser beim Laufen auf Holzplanken abnehmender Breite.
Histologisch fanden die Neuro- forscher nach zwölf Wochen eine Ver-
ringerung des Rückenmarksquer- schnitts auf 38,5 Prozent bei Tieren, die CMZ erhalten hatten, gegenüber 32,7 Prozent bei Plazebo-Empfän- gern. Am Ort der Verletzung nahmen Hohlräume 3,4 versus 7,9 Prozent der Fläche ein. Mit 22,7 versus 7,4 Prozent war bei den mit CMZ injizierten Rat- ten etwa dreimal soviel graue Sub- stanz erhalten. Bei der weißen Sub- stanz war der Unterschied mit 32,1 versus 26,8 Prozent weniger deutlich.
„Offensichtlich genügt es bei der Ratte, eine relativ geringe Anzahl von Nervenfasern zu retten, um die loko- motorischen Funktionen zu bewah- ren“, kommentierte Farooque. Den Schutzeffekt führt der Wissenschaft- ler darauf zurück, daß CMZ die neu- rotoxische Akkumulation des Boten- stoffes GABA verhindern kann.
Fast zeitgleich mit Farooque und Sayers haben Wissenschaftler der Purdue-Universität berichtet, daß durchtrennte Nervenfasern mit Poly- ethylenglycol (PEG) wieder ver- schmolzen wurden. Richard Borgens und Riyi Shi – beide vom Center of Paralysis Research der School of Veterinary Medicine – hatten kom- plette Rückenmarksstränge aus Meer- schweinchen isoliert und durchschnit- ten. Anschließend träufelten sie die PEG auf die Schnittstellen und preß- ten die losen Nervenenden zwei Mi- nuten aneinander.
Zwischen fünf und 85 Prozent der Leitfähigkeit des Rückenmarks konn- ten mit dieser Prozedur wieder herge- stellt werden, berichteten die Forscher auf dem Jahrestreffen der Society for Physical Regulation in Biology and Medicine in Santa Monica. „Unsere Methode könnte eine revolutionäre Neuerung für die Behandlung von Nervenschäden darstellen“, erklärte Borgens. „Ob dies auch bei älteren Verletzungen funktioniert, können wir noch nicht sagen. Zur sofortigen Behandlung nach einem Unfall ist jedoch das Verfah- ren wahrscheinlich von Nutzen.“ Die Versu- che werden an Hun- den wiederholt wer- den, Menschen wol- le man frühestens in zwei Jahren behan- deln. Michael Simm
A-1951
P O L I T I K MEDIZINREPORT
Deutsches Ärzteblatt 96,Heft 30, 30. Juli 1999 (23)
Rückenmarksverletzungen
Neue Forschungsansätze zur Neuroprotektion
Clenbuterol, Clomethiazol und Polyethylenglycol wirken bei Tieren mit schwerem Kompressionstrauma.
D
Tabelle
Rückenmarksverletzungen Ursachen % Letalität %
Pkw 50 50
Motorrad, Fahrrad 16 60
Fußgänger 3 –
Stürze von Leitern,
Treppen u. a. 13 20
Arbeitsunfälle u. a. 10 55
Sportunfälle 8 8
Quelle: Karl F. Masuhr