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Weiterbauen, Weiterdenken. Zu einer Typologie baulicher Erweiterungen der Denkmale

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Weiterbauen, Weiterdenken.

Zu einer Typologie baulicherErweiterungen der Denkmale

MatthiasNoell

Bauen,dem Wesen seinerZeit entsprechend

Aufdem zweitenDarmstädterGespräch diskutierten Martin Heidegger, Otto Bartning,EgonEiermann, Sep Rufund andere1951das Thema »Mensch und Raum«.Die »Präambel des Gesprächs«

hattemanauchauf die Eingangstafel der begleitenden Ausstellung geschrie­

ben:»Bauen ist eine Grundtätigkeit des Menschen - Der Mensch baut,indem er Raumgebilde fügt und so den Raum gestaltet -Bauend entspricht er dem Wesenseiner Zeit [...J«.1

Bauendentspricht auch die Stiftung Luthergedenkstätten in Sachsen- Anhalt seit nunmehr zwei Jahrzehnten dem Wesen ihrer und unserer Zeit.

1997 mitdem Ziel gegründet, das Erbe Martin Luthers und der Reformation zu bewahren und zu vermitteln,umfasst ihr Auftragjedochnicht allein die Sorge für die überaus bedeutenden refor­ mationsgeschichtlichen Sammlungen - darunter eine Bibliothek, einArchiv mit handschriftlichen Dokumenten, eine Gemälde- und grafische sowie numis­

matische Sammlungund auch eine der Alltagsgegenstände des Luther-Anden­ kens. Von Anbeginn zählen darüber hinaus auchvier Gebäudekomplexe zu ihren zu bewahrenden Quellen und Exponaten: Diebeiden EisleberLuther­ stätten,dasGeburts-und das Sterbe­

haus, sowie die zweiWittenberger Bauten, Lutherhaus und Melanchthon- haus. Alle vier Bauten wurden 1996 - zusammen mit der Schlosskirche und der Stadtkirche in Wittenberg - »als authentischeSchauplätze der Reforma­

tionvon außergewöhnlicher uni­

verseller Bedeutung« in die Listedes UNESCO-Welterbes aufgenommen.2 Mittlerweile befindetsich ein weiteres, fünftesMuseum unter dem Dach der Stiftung: Luthers Elternhaus in Mans­ feld. Wollteman die gemeinsame

»universelle Bedeutung« diesesErbes sachlich undunbefangen weiterdenken und aneine topologische Aufarbeitung der Reformationslandschaft Wittenbergs gehen, könnten sogar nochweitere Bauten in die Baumasseder Stiftung ein­ gegliedert werden, oderzumindest in dieÜberlegungenzu einervollständigen Inventarisierung und Pflege der Erinne­

rungsbauteneinfließen. Beispielsweise der 1841 errichtete Alte Bahnhof im Westen der Stadt: Denn mitihrem frühen Eisenbahnanschlusserhieltdie »Luthe- risierung«derStadt ihren entscheiden­ den Antrieb, konnten die Besucher tatsächlich in größerenMengen nach Wittenberg kommen und von hier ausals erstes die Schlosskirche ins Visier nehmen.Demnur wenige Jahr­ zehnte später von Franz Schwechten neu gebauten (und pünktlich zum Reformationsjubiläumabgerissenen) Bahnhofaufder anderen Seiteder Stadt fehlte eine solche repräsentative visu­

elle Anbindungzunächst - derArchitekt hatte wohl nicht zuletzt auch die Besei­ tigung diesesMankoszum Ziel, als er einen neuen Ostgiebel am Augusteum errichtete. Tatsächlichwarenschonbald nach Luthers Tod die Lutherstädtezum Ziel ersterReformationspilger gewor­

den. Aber der zunächstreligiös,später zunehmend auch bürgerlich-aufkläre­ risch motivierteErinnerungstourismus in die ReformationslandschaftMittel­ deutschlandnahm erstseit dem 19. Jahrhundert, national und politisch

1 Hans K.F. Mayer: Die Ausstellung»Mensch undRaum«.

In: Mensch undRaum.Das Darm­ städter Gespräch 1951.Neuausgabe hg.von Ulrich Conrads und Peter Neitzke. Braunschweig1991 (= Bauwelt Fundamente 94), S. 42.

2 http://www.unesco.de/kultur/

welterbe/welterbestaetten/

welterbe-deutschland/eisleben- wittenberg.html (1.10.2016).

Originalveröffentlichung in: Noell, Matthias (Hrsg.): Weiterbauen, weiterdenken - neue Häuser für Martin Luther : die musealen Erweiterungen in Wittenberg, Eisleben und Mansfeld, München 2017, S. 11-19

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überhöht,deutlich zu und hält bekannt­ lich bis heute unvermindertan.

Über ihrekonkrete historische BedeutungundKonnotation hinaus sind die Häuserder Stiftung zugleichbe­

deutendeZeugnisse desbewahrenden undvermittelnden Umgangs mit jenen Stätten, die mit einflussreichen Per­ sonenund weitreichenden Ereignissen verknüpftsind. Sie stehenauch struk­ turell ineiner langen Reihe räumlicher Inszenierungen des Gedenkens, sind damit immerauchzentrale Dokumente einer übergeordneten Geschichte des Erinnerns. Die Bauten der Stiftung Luthergedenkstätten-der sperrig wirkendeNameistProgramm -zählen zu den frühesten musealen Personen­

gedenkstättenin Deutschland.3

Ausgangspunktfür diesemuseale Ent­ wicklung der Häuserwar das bereits 1655 erstmals so benannte »Museum Lutheri«, die im Kern des Wittenberger Lutherhauses gelegene »Lutherstube«, der1883 schließlich die vollständige Musealisierung des Hausesfolgte.4Der erste Schritt dermusealen Nutzung des EisleberGeburtshauses wurde1693 unternommen.

Noch bevor das erste Jubiläum des Thesenanschlags 1617 gefeiert wurde, hattemanbereits 1583derdamals ein­

hundert Jahrezurückliegenden Ge­

burtLuthers gedacht. Und nur wenige Jahrzehntespäter beging manschon etwaalle fünfzehnJahre runde Jubiläen:

100Jahre Übergabe des Augsburgi- schen Bekenntnisses (1630),100. Todes­

tag Luthers(1646), 100 JahreReligions- frieden (1655), 150Jahre Thesenanschlag (1667), 200. Geburtstag Luthers (1683).

Diese und diezahlreichen folgenden Jubiläen gingenmit Gedenkfeiern einher,und die wiederum zeitigten nicht selten neue Inszenierungen, wofür die Bautenund Räume umgebaut, reno­ viert oderrestauriert werden mussten.

Die »wachsende Zahlder Gedenk­

veranstaltungen«zur Reformation betreffen einerseits die Personen Luthers und Melanchthons (zu denen sich durchaus auch neuere Traditio­

nen wie das Einschulungsfest Luthers in Mansfeld gesellen können), aber auch den Reformationsprozessals solchen.5 Jenseits ihrereminenten reformations­

geschichtlichenBedeutung sind die Reformationsstätteneben auch»univer­

selle« materielle Zeugnisse für die politisch undgesellschaftlich motivierte Musealisierung eines grundlegenden historischen Ereignisses- fürdas Entstehen des Erinnerungsorts »Refor­ mation«. Die jüngsteVeranstaltungin dieser Kette -»Luther2017- 500 Jahre Reformation« - knüpft andie langeReihe der Gedenkveranstaltungen an und natürlich auch an die Baumaßnahmen an den konkreten Orten der Refor­ mationsgeschichte -seien sie authen­

tisch oder imaginiert.Nicht nur die Gebäude, Sammlungen und Ausstellun­

gen werden von der Stiftung gepflegt, thematisiert und weiterentwickelt, sondern darüberhinaus die Formen des Erinnerns undGedenkens und die Rolle derArchitektur und Artefakteindiesem Zusammenhang. Nicht zuletzt wurden in den vergangenen Jahren zahlreiche Publikationenvorgelegt, die sich mit der Baugeschichte und derGeschichte der musealenNutzung undmedialen Darstellung undVerwertung gleicher­

maßen beschäftigen.

Die Aufgaben einer kulturellen Stiftungdieser Dimension sind äußerst heterogen. Zur Bewahrung, Inventa­

risierungund wissenschaftlichen Aufarbeitung derSammlungsbestände sowie zum Unterhalt der Bausubs­

tanzsind vielfältigeVermittlungsformate hinzugetreten. Zu ihnenzählen Aus­

stellungen, Publikationen, Vorträge und Tagungen ebensowie ein breitesFeld museumspädagogischer Programme für alle Alters- und Besuchergruppen

unterschiedlicher Muttersprachen.

Die Vermittlungsarbeit ist auch in der Provinzlängst im Feld allgemeiner, globaler kultureller Bildungangekom­

men. Dieeigenen Bauten undihre jeweiligeGeschichte zählen dabei zu densichtbarsten undbekanntesten Exponaten, an denen sowohl Refor- mations-als auch Rezeptionsgeschichte erfahrbarwerden. Dieses breiteTätig­ keitsfeldbirgt aber auchProbleme. Auf­ grund des über die Jahrzehnteange­ stauten Restaurierungsbedarfs war es inhaltlich wie konservatorischange­ bracht, sämtliche in den Häusern eta­

blierten Sekundärnutzungen - in erster Linieals Verwaltungs-,Archiv- oder Nassräume -so weit wie möglich aus der historischenSubstanzauszugliedern und an anderen Orten unterzubringen.

Noch problematischer, weilhier ein direkter räumlicher Zusammenhang gefordert ist, istdie Bereitstellung von geeigneten Räumen für diegeforder­

ten Vermittlungsprogramme sowie überhauptausreichender Platz fürden Empfang der Individual- und Gruppen­ reisenden in Eingangsfoyers mit Kasse, Garderobe, Shop und Sanitäranlagen.

3 Vgl. Stefan Rhein: Am Anfang warLuther: DiePersonen­

gedenkstätteund ihre protestan­

tische Genealogie. Ein Zwischenruf.

In: Anne Bohnenkamp u. a.(Hg.):

HäuserderErinnerung. Zur Ge­

schichtederPersonengedenkstätte im 19. Jahrhundert. Leipzig 2015, S. 59-70.

4 Vgl. u. a. Stefan Laube:

Das Lutherhaus in Wittenberg- eine Museumsgeschichte.Mit einem Exkurs zur Sammlungsgeschichte von Uta Kornmeier. Leipzig2003 (= Schriftenreihe der Stiftung Luthergedenkstätten inSachsen- Anhalt 3).

5 GeraldChaix: DieRefor­

mation.In: DeutscheErinnerungs­

orte. Hg. vonEtienne Frangois und Hagen Schulze. 3 Bde.

München2001. Bd.2,S. 9-19, S. 12.

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Die stetig steigendeBesucherzahl, die konservatorischen Probleme, die aus der bisherigenNutzung derHäuser resultierten, aber auch Herausforde­ rungen bei der Anpassung der Museen an einen barrierefreien Besuch führ­

ten seit Gründung der Stiftung zu einem langfristig angelegten Bauprogramm.

Die heutezum musealen Standard zählenden Funktionen wurden in den bis 2016 neu errichtetenAn-und Neubauten untergebracht, nicht selten verbunden mit einer vollständig neuen Erschließung sowie miteiner Neugestaltungder Freiräume,Höfe, Gärten und Vorplätze.

DieüberausheikleAufgabe,nicht nur imhistorischbedeutenden Denkmal­ bestand zu operieren, sondernzudem die Wirkung der Authentizität, den

»Stimmungswert« alseinen Kernpunkt derpersonenorientierten Musealisie- rung nicht störenoder garzerstörenzu dürfen, wurdedurch die unterschied­

lichen Architekturbüros in enger Abstim­

mung mitdem Bauherrnaufjeweils eigeneArt undWeisegelöst, jedoch immerunter der Maßgabe maximaler Bestandserhaltung und einer klaren Erkennbarkeit der neuen Bauteile. Im Laufe der Bautätigkeit hat sich durch die stetige Beschäftigung mit der immer gleichen Bauaufgabe an denverschie­ denen Orten und ihren spezifischen Anforderungen eine typologischeund semantischeSchärfe der Architek­ tur entwickelt, die die Anbautenüber die Städte hinweg als eine eigene Zeitschicht und als analytische Inter­

pretationen sowiegestalterisch­

konzeptionelle Fortschreibungder Erinnerungsorte der Reformation lesen lassen. An allenStandorten wurde zudem aucheineNeupräsentation der

Exponate vorgenommen odersogar eine vollständig neuemuseale Konzep­

tionerarbeitet.

Anbauen und Annähern

Die musealen Neubauten der Stiftung Luthergedenkstätten inSachsen-Anhalt entstanden jeweilsin direkterräum­ licher Nähe zuden Altbauten undbilden zusammen mit diesen neuearchitek­ tonische, stadträumlicheundinhaltliche Einheiten. Damit stehen die Baumaß­ nahmen der Stiftung imEinklang mit einem allgemeinenTrend des Bau­

wesens in Deutschland:Ein Großteil der Bautätigkeit in Deutschlandfällt, so heißtes immer wieder, in den Bereich des »Bauens im Bestand«,derInter­

ventionen jeglicher Art im historischen Umfeld sowie inhistorischer Substanz.6 Zwarfehltes hier an belastbaren und vergleichbaren Studien, der Groß­

teildieser Maßnahmen aber dürfte sich kaum der Pflege unddem Erhalt histo­

risch bedeutender Bauwerkeund ihrer Umgebung widmen.Vielmehr geht es dabei um die Einhaltung der - nicht nur im Hinblick auf ökologische Ergeb­ nisse, sondernvor allemauch auf dieFolgen für diehistorische Substanz

- eher als schwierig einzuschätzen­ den Energieeffizienzziele der Bundes­ regierung im Gebäudebereich.7 Tatsächlich sind in den letztenJahren aber zahlreiche Ergänzungenund Erweiterungen, Renovierungenund überformendeNeuinterpretationen bestehenderMuseumsbauten durch­

geführtworden - zusätzlichzu der erheblichen Menge an Neubauten.8 Probleme bei derNutzung bereiten heute meistens jene Bauten,die in der spätenNachkriegszeit bis in diesieb­ zigerund achtziger Jahre des 20. Jahr­

hundertsentstanden sind. Und das gar nicht so sehr wegen ihrer angeb­

lichen odertatsächlichen ästhetischen Defizite, dieangesichtsdes Brutalis- mus-Turns ohnehin zunehmend milder beurteiltwerden, sondern wegen bautechnischer Belange, städtebau­

licher Problemesowie konzeptioneller Änderungen imMuseumsbetrieb. Denn häufig schotten sichdiese Bauten ab, konzentrieren sich auf sich selbst und ihre Ausstellungen. Gewünschtwird in

6 Vgl. z.B.: Konjunkturperspek­

tiven 2013- Hg. vom Bundesverband Baustoffe - Steineund Erdene. V.

Berlin 2013, S. 24:»Bauen im Bestand bleibt bedeutendstes Hochbausegment«,und:»So betrug der Anteil derSanierungstätigkeit amgesamtenHochbauvolumen 2010 knapp 75%; 2002 lagderBe­

standsanteilhingegen nur bei knapp 60%.« Die Homepage der HAWK

Hildesheimspricht von 70%:https://

www.hawk-hhg.de/bauenunder- halten/l85558.php (1.10.2016), Ira Mazzoni garvon 80%: Denkmal Museal. Anmerkungen zueiner klassischen Mesalliance.In: Katja Schneiderund Jürgen Tietz (Hg.):

e-X-tension. AktuelleMuseums- und Ausstellungsarchitektur imBestand.

Tagungsband 24.-26.September 2010,Stiftung Moritzburg Halle.

Bielefeld 2013, S. 13-22, S. 14.Vgl.

anderslautende Zahlen in: Nachhal­ tiges Bauen imBestand.Workshop­

dokumentation. Hg. vom TÜV Energieund Umwelt GmbH, Projekt­ träger Mobilitätund Verkehr, Bauen und Wohnen. Redaktion:Engelbert Kortmann. Garching 2002,S. 5:

»Während 1997 das Verhältnis von Neubauleistungen zu Bauleistungen imBestandbei 53,7% zu 46,3% lag, wirdschonfür 2001 eineUmkehrung auf 43,8% zu56,2% erwartet.« Für Sachsenvgl. Ulrich Ertel:Bautätig­ keit in Sachsen im Jahr2005- In:

Statistik in Sachsen. Fachzeitschrift fürStatistikdes Statistischen Landesamtes des Freistaates Sachsen.Jg. 12. 2006. H. 3-4, S.41-50, S.42: »44 Prozentaller Baugenehmigungen desJahres 2005 betrafen Baumaßnahmen anbereits bestehendenGebäuden (Umbau, Ausbau,Erweiterung). 1995 lag dieserAnteil nur bei24 Prozent.«

https://www.statistik.sachsen.de/

download/300_Voe-Zeitschrift/

zeitschrift_2OO6_3-4.pdf(1.10.2016).

7 Für die Schweiz vgl.die Studie von Marion Wohlleben und Siegfried Moeri: Energie und Baudenkmal.Ein Handbuch.[Zürich]

2014.

8 Schneider/Tietz 2010.

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Zeiten einer ubiquitären Stadtpartizi­

pation jedoch das Forum, der Marktplatz als Ideal eines Museums, das sich im Alltagder Bevölkerungbefindet, und nichtmehr als Weihetempel und Ort der Ruhe und Kontemplation gesehen wird.

Zahlreiche Bautenund Einbauten dieser Zeit wurdenund werden abgerissen oder rückgebaut, jüngst in Braun­ schweig oderMannheim. Nacheinem Wettbewerb von 2004 musste in Bremen der erst 1981 fertiggestellte Kunsthallen- Anbau von WernerDüttmann weichen - manhatte wohl vergessen, einen möglichen Denkmalschutz und den Erhalt zu diskutieren.9 In Frankfurt am Main gabman 2011 dem gerade mal neununddreißig Jahre altenHistorischen Museum denLaufpass, und das,ob­

wohlder Bau einmal als »Museum der demokratischen Gesellschaft« galt und beispielhafteinen Aufbruchmarkierte, von demdas Haus allerdingsdannselbst überholt wurde.10

Und doch ist das Problem keines­

wegs neu, wachsende Sammlungen undgestiegene Anforderungen an die Museen undAusstellungsbauten riefen schon seit dem frühen20.Jahr­ hundert erste Erweiterungen und Neubauten hervor. Insbesondere aber seit den achtziger Jahren des 20. Jahr­ hunderts wurde weltweit vergrößert underweitert, zunächst meistens in den Metropolen - im Louvreebenso wie an derHamburgerKunsthalle, an der National Gallery sowieder TäteGallery

in Londonoder amMuseum of Mo­ dern Art in New York. Mittlerweile sind Erweiterungen die Regel,nicht mehr die Ausnahme. Das Bluecoat in Liverpool, das Berliner Museum für Naturkunde, das Frankfurter Städel, das Münchner Lenbachhaus, das Essener Folkwang, in Zürich das Landesmuseum unddas Kunsthausoder in BaseldasKunst­ museum haben raumgreifendeErgän­ zungen und Neubautenerhaltenoder sind noch beideren Umsetzung.Ein Inventar der Museumserweiterungen wäre lang, sehrlang.

Im Fall der Personenmuseen oder Personengedenkstätten-zu ihnen zählen vor allem Dichter-, Gelehrten- und Künstlerhäuser - ist die Problematik komplexer. Hier sind dieBautenselbst das erste undmeistens auch nicht unwichtigste Exponat, denn hier können sichdieBesucher der Person, ihrer Zeit, ihremWirken und vor allem ihrem unmittelbaren Arbeitsumfeldnähern.

Schon seit dem 16. Jahrhundert, mit der Ausgestaltung und EinrichtungderCasa del Petrarca,wurden erste Erinnerungs­

räume eingerichtet, zumBeispiel die Häuservon Michelangelo in Florenz, das Wohnhaus von Jean-Jacques Rousseau in Montmorency beiParis oder das Museo Canova in Possagno. Anders als der vereinende Gedanke des Ehren­ tempels der edlen Briten in Stowe, für dessen Typletztlich die Regens­ burger Walhallaoder sogardas Pariser Pantheon (hierimmerhin mit den

Gebeinen) stehen, setzt das Gedenken an den realenodervermeintlichrealen Orten auf dieWirkung derAuthentizität und die mitdem Geist der jeweiligen Person gefüllte auratische Atmosphäre des Raums. Die verstrichene Zeit kann hier weitestgehend überbrückt werden.

Am historischverbürgten und durch eine anhaltende Erinnerung tradierten Ort kannauf Inspiration und Über­

tragung gehofft werden, hier kann sich die gewünschteZwiesprache ent- spinnen undVergewisserung resultie­ ren, so kann die»Abwesenheit der ersteOrt des Diskurses« werden.11 Eine aufschlussreiche Passage des Bild­ hauers Johann Gottfried Schadowzur Lutherstube beschreibt die über­

wältigende Qualität dieser Raumdenk­

male:»Es dürfte wohl so leicht kein Ort geeigneter sein, uns den Geist Luthersin seinerpersönlichen Erscheinungso zu vergegenwärtigen, als diesesZimmer, vorausgesetzt, daß wirunsmitder Lebensweise und den Lebensverhältnis­

senLuthers bekanntgemacht haben.

Dann fühlen wir seine Nähe hier noch unmittelbarer, als wenn wirvor seinem Bildestehen. [...] inder Wohnung dagegen, die wir aus alter Zeit noch in unverändertemZustandefinden, gehen unsvielfältigeErscheinungen aus dem Leben des verehrten, uns befreundeten Mannes vorüber,die umso lebhafter sind, da wir sie uns selbst hervorrufen.

9 Die Homepagedes Museums verweist dennoch nicht ohneStolz auf denberühmten Architekten ihres ehemaligenErweiterungsbaus, vgl. http://www.kunsthalle-bremen.

de/kunsthalle/ueber-uns/geschichte/

der-anbau-1979-1984/(1.10.2016).

10 Jan Gerchow: Museum für alle. In: Cura 2011.Hg. Historisches Museum Frankfurt. Frankfurt am Main 2001, S.4-11,S. 4.

11 Michel Foucault:Wasistein Autor?In:TextezurTheorieder Autorschaft.Hg. von Fotis Jannidis

u.a. Stuttgart 2000, S. 198-229, S. 200.

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[...] Möge sich auf diese Weise ein Jeder, der jene Wohnung betritt, nach seinem Gefühl vergangene Zeiten zurückrufen [,..].«12Tatsächlich ist es das Zusammenwirken von Ort, Substanz undgesellschaftlicher wie individueller, und eben auchwissenschaftlicher Pflege des Gedenkens undErinnerns, die ein Denkmalals spezifisches, historisch konkretes Erinnerungsmai konstituiert - jenseits der von Alois Riegl verallgemeinerten »subjektiven Stimmungswirkung«, die den Menschen dievergangene Zeit alssolcheerken­ nen undseinereigenen Vergänglichkeit bewusst werden lässt. Die zentrale Rolle geradederkulturellen Praxis des Erinnernswurde in denletzten Jah­ renvermehrt betont undbestätigt die seit dem 19. Jahrhundertausformu­ lierteDenkmaltheorie: »Ein Ort [...]hält Erinnerungen nur dannfest,wenn Menschen auch Sorge dafür tragen.«13 InWittenberg ist es dergenius loci der Lutherstube,der anstelle des seit 450 Jahren verstorbenen Reformators wirksam wird undeben aus mehr bestehtals aus »konkreten Dingen mit materiellerSubstanz, Form, Ober­

flächeund Farbe«.14 Esist aber ebenso sehr die seither andauerndeNutzung als Gedenkort wie der Gedenkort selbst, derunsere Rezeption prägt -auch darauf deutetSchadows Text hin. Das ist besonders gut an den Erinnerungs­

fehlern oder bewusstenErsatzbauten nachVerlusten zu sehen, denndie modernen Pilgerfahrten zudenreligiö­ sen,literarischen oderkünstlerischen Sehnsuchtsorten werden ja auch zu Rekonstruktionen odervollständigen Fiktionen unternommen. Sie büßen dabei nichteinmal zwangsläufig die Erfahrung von Authentizität ein,da diese ja ohnehinmedial vorbereitet oder begleitet sowiedurch zwangsläufige Inszenierung vermittelt werden muss undinsofernauch immer eine

12 Johann Gottfried Schadow:

Wittenbergs Denkmäler der Bild­

nerei,Baukunst und Malerei, mithistorischen und artistischen Erläuterungen. Wittenberg 1825, S. 93.

13 AleidaAssmann: DasGe­

dächtnis der Orte.In:Der Architekt.

2005- H. 3-4, S. 33-43, S. 41.

14 Christian Norberg-Schulz:

Genius Loci. Landschaft, Lebens­ raum, Baukunst. Stuttgart 1982, S. 6.

15 Vgl. u. a.Stefan Rhein:

»Martin Luther« - Variationendes (Nicht-)Authentischen.In:Heidrun Kämper u. Christopher Voigt-Goy (Hg.): Konzepte des Authentischen.

Göttingen 2017[im Druck]; Matthias Noell: Wirkliche Orte, wirksame Orte. Die Ateliersder Meisterhäuser in Dessau. In: Junges Design in den Meisterhäusern Dessau. Berlin 2016 (= Bauhaus Taschenbuch 17), S. 37-45. Vgl. Michel Foucault:

Andere Räume (1967). In: Karlheinz Barck u. a. (Hg.): Aisthesis. Wahr­

nehmungheute oder Perspektiven eineranderenÄsthetik. Leipzig 1992, S. 34-46.

16 Natürlichgibtes auch anders gelagerte Fälle: Das Max Ernst MuseumBrühlist durch Umbau und Erweiterung einesehe­

maligenAusflugslokals entstanden.

17 Vgl. zum Beispieldie Bezeichnung der Umgestaltung des Luthergartensund desMelanchthon- hauses als »Todsünde« in Friedrich Schorlemmer:Schorlemmer kämpft gegen hässliche Neubauten. Ein Aufrufzu bürgerlichemWiderstand gegen hässliche Neubauten. In:

Mitteldeutsche Zeitung vom 6.2.2013.

Hingegen konnte dasMuseo Vincenzo Velaim Tessindurch

Mario Bottakommentarlos zerstört und neu eingerichtet werden.

in Paris, Georg Kolbein Berlin, Ernst Barlach in Güstrow oder das Bachhaus in Eisenachmögen alsBeispiele dienen.16 Anbauten undUmbauten, selbstkleinere Renovierungen, auch Veränderungen des Gartens oder gar der Inszenierung und museologischenVermittlung, sind inunserer Gesellschaft jedoch heikelundkönnen zu Verstimmungen führen, interessanterweise deut­

lich seltener bei Künstlerhäusern.17 Konstruktiondarstellt. Die Beispiele für

solche eigentlich»unauthentischen«, aber dennoch wirklichenund wirksamen Orte sind zahlreich- nicht nur in der Lutherrezeption.15 Im Fall vonHenry David Thoreaus kleinem Holzhaus am WaldenPond in der Nähevon Concord in Massachusetts oder des Antwerpener Ateliers von Peter Paul Rubens sind die Orte, nichtaber die Substanz authen­ tisch. Bei den musealenRe-Inszenie­

rungendes Arbeitszimmersvon Marcel Proust in Paris oderden Ateliers von Constantin Bräncu§i in Paris und Francis Bacon in Dublin istesgenauumge­ kehrt: Die Substanz ist teilweise bis zur Aufstellung der ebenfalls authenti­

schen Farbtöpfe identisch (die Korkta­ petedagegen istneu),die Orteaber sindum mehrere hundert Meteroder

Kilometer verschoben und wie ein Bühnenbild in einengänzlich anderen Zusammenhang eingepasst.Auch das Eisleber Sterbehauszähltzudiesen

»verrückten« Orten, denn eswurde ja (irrtümlich) im falschenGebäude eingerichtet. Daher ist eshiernicht der Ort des Geschehens, es ist allein die Tradition der Erinnerung andas histo­

rische Ereignis, dieden genius loci - natürlichzusätzlichzuseinem unan­

gefochtenen Denkmalwert- konstituiert.

DieLutherstubehingegen isteiniger­

maßenunverändert auf uns gekommen, das Haus um sieherumjedochmehr­ fach heftig verändert worden. Auch sie ist eigentlich eine Art Bühnenbild oder Museumsinstallation, allerdings in situ.

Die vorangegangenen Ausführun­

genzeigen dieKomplexität der Erweite­

rungen von Personengedenkstätten, die nichtprimär museale Sammlungs­

gebäude sind. Zahlreiche solcher Gedenkstätten, zumeist Ateliers,Wohn­

häuseroderArbeitszimmer, wurden in den letztenJahrzehnten zu musealen und Ausstellungszwecken erweitert - dieAtelierhäuservon Antoine Bourdelle

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Das Beispiel Weimar kann dies illus­ trieren: Während dasSchillermuseum hinterdem Schillerhausundauchdas Goethe-Nationalmuseum nebenGoethes Haus Am Frauenplan unproblematisch angenommen wurden,störte - die aus fachlicher und ästhetischer Sicht vorgenommene »Reinigung« von GoethesGartenhaus auf den nachweis­

barenGrundbestand- zunächstviele jener Besucher, die den Vorzustand verinnerlicht undangenommenen hatten.

Mit der »Räumung« kamdie Klage, denn esging mit demvertrauten Bild auch persönliche Orientierung ver­

loren -obwohl Haus, Räume und auch Goethes authentische Gegenstände erhalten blieben. Denn eigentlich geht es bei Personengedenkstätten jagenau um Schadows »Zurückrufen«, umdie Vergegenwärtigung derProtagonisten und ihrer Zeit,fürdie ein mit Objek­ tenaus allen erdenklichenZeitenange­ fülltes Kuriositätenkabinett denkbar ungeeignet erscheint, weil eseben nicht auf die Person hinführt, sondernvon ihr ablenkt. SolcherleiKritik wurdeim Fall des Lutherhauseserstmals um 1900 geäußert. Der in Theorie und Praxis der Denkmalpflege äußerst versierte und feinfühlige CorneliusGurlitt, der schon frühfüreine zeitgenössische Formensprachebei Interventionen am Denkmal eingetreten war,um die Authentizität des Alten zu bewahren, brachte das Wittenberger Problem

auf den Punkt, alserStülersVeränderun­

gen an derBausubstanz als Störung charakterisierte: »Im Jahre 1844 hat es der berühmte Berliner ArchitektStüler restauriert,d. h. er hat das schlichte alte Haus möglichstseinem Ideale eines schönen gotischen Bauwerkes genä­ hert. [...] die echteStimmung istdem Bau genommen und dafüreine Theater­

stimmunggegeben.[...] Nicht mehr Luther und seine Zeit sprichtzu uns, sondern die Friedrich Wilhelms IV. und

Stülers; nicht die Zeit der Befreiung von Rom, sonderndie Zeit des Lieb­ äugelnsmitdem Katholizismus [...].«18 Im Melanchthonhaus hingegen ver­

spürte derArchitekt und Kunsthistoriker Ruhe undAuthentizität:»wer befreit uns von dem neuenSammlerkram, der mit geschäftiger Hand den weihe­

vollsten Räumen aufgezwungen wird!

Hier endlich einmal ein Haus, in dem das Vorhandeneecht und dem ausgestalte­ ten Gedanken Raum gegeben ist. [...]

Hier herrscht der nach innen gerichtete Geist,der GeistderSammlung und Stetigkeit! Esbraucht ja allerorten nicht viel, um den sinnenden Besucher die Stimmung vergangener Zeiten zu geben:

nur einen echten Rest undden Mangel alleraufdringlichen Stimmungsmacherei, alles Gefühlsüberschwanges undfal­ scher Stilechtheit.«19 Beiallem Verständ­ nis fürdie Ablehnung Gurlitts, heute verfolgen Denkmalpflege und Stiftung selbstverständlich beides, die Erhaltung der originalenSubstanz der Denkmale und ihrer authentischen Artefakte wie auch diemöglichst weitgehende Bewah­ rung späterer Zutaten -auch sie authen­

tische Zeugnisse ihrerjeweiligen Zeit.

Deren Bewertung aber, das zeigt Gur­

litts Ablehnung überdeutlich, ist relativ und zeitabhängig.Es istalsoange­ bracht, dieseund viele andere Überle­ gungen vorbaulichenEingriffen und Veränderungen anzustellen.

Das Hinzufügen von neuenFunktions­

räumen,die die historische Substanz zu entlasten helfen, umschreibt Stefan Rhein mit dem strategischen Motto

»DenkmalschutzdurchAddition«, um so die Integrität des Denkmals zu bewahren, vielleicht sogar erst wieder­ herzustellen.20Aber auchhier ist Addition (neuerBaukörper) nicht ohne dialektische Subtraktion (von Funk­

tionen) denkbar, denn mit jederAuslage­

rung von schwierigen, schädlichen oder störenden Nutzungsformen verliert

das Denkmal möglicherweise auch etwas von dem, wasGurlitt faszinierte und das in der heutigen Massengesell­ schaft mitihren Touristenströmeneben nur nocheingeschränkt zuhabenist.

Die Bereitstellungvon neuen Eingangs­ foyersals Schleusen - Reisegruppen, Schulklassen,nasse Kleidungmachen das notwendig- geht im Regelfall mitder auch aus konservatorischer Sichtsinnvollen Schließungder ehema­ ligen Haupteingängedieser historischen Häusereinher. Der zu gehende und erlebte Weg ist aber nicht mehrjener seiner ehemaligen Bewohner. Melanch- thonshorizontal zweigeteilte Tür, vonder Gurlitt sofasziniert war, bleibt seit der Verlegung desEingangs in den Erweite­

rungsbau geschlossen. Sein Haus betritt man nun durcheinen Durchbruchin der Brandmauer. Damit entsteht eineArt Freiraum, »in dem das Vorhandene echt unddem ausgestalteten Gedanken Raumgegeben ist« -allerdings mussdie entstandene Leere von Beteiligten und Besuchern dann auch ertragenwerden.

BauenimKontext und Kontextuelles Bauen

ImZusammenhang mit der Aufgabe des Bauens imhistorischen Bestand fällt häufig derBegriff des»Kontexts« und es ist von den »historischen, den topo­

graphischenund weiteren strukturellen Gesetzen des spezifischen Ortes«

die Rede.21 Kontextuelles Entwerfen -

18 Cornelius Gurlitt:Die Lutherstadt Wittenberg. Berlin 1902, S.59.

19 Ebd., S. 57-59.

20 Vgl.seinen Beitrag im vorliegendenBand.Vgl. auch ThomasWill:Grenzübergänge.

Weiterbauen amDenkmal. In:Werk, Bauen undWohnen. 6/2003, S.50-57- 21 ThomasWill: Kontextua- lismus. Eine Stadt(um)baumethode.

In:Baumeister. 8/1988, S. 44-50.

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insbesondere imdenkmalpflegerischen Bereich oft gefordert-zieltauf eine besonderssensible Herangehensweise an den vorgefundenen historischen Bestand, aber auch auf dieBerücksichti­ gung vorhandenerWerte und Bedeu­

tungsebenen vonStadt und Architektur.

Entstanden als einederabwehren­

den Reaktionen gegen eineinternational austauschbargewordene moderne Architektur, zieltkontextuelleArchitek­

tur auf den Zusammenhang, dasräum­ liche Miteinander und den Dialog zwischen den einzelnenBestandteilen.

Über dasarchitektonische Endpro­

duktals solches und seine spezifische Sprache sagtder Begriff jedoch nichts, die Bandbreite changiert von der Anpassung bis zum Absetzen, reicht von der typologischen bis zur formalen Weiterentwicklung und schließt auch die Frage nach den »ortsüblichen«oder Qar regionalen Materialien ein,die ja ihrerseits über die Jahrhunderte hinweg häufig genug gravierendenVerände­

rungen unterworfen waren. Kontextuel­ les Bauen bedeutet daherzunächst, denOrt und seine Substanz kritisch zu untersuchen, zu analysieren undda­ raus angemessene strukturelle,kons­

truktive undformaleSchlüssezu ziehen.

Die neu errichteten Bauten der Stiftung Luthergedenkstättenin Sachsen-

Anhalt sind ineinem solchen Sinn kontextuell zu nennen.Sie sindeiner­

seits wegen ihres Formenvokabulars und ihrer Materialwahl im jeweiligen Um­

raumeindeutig als zeitgenössisch,sogar zeittypisch zu erkennen, andererseits schließen sie Lücken inder Texturder Stadtoder erschließen neue Stadträume mitder BildungvonPlätzen und Höfen und der Etablierung neuer Dialogedurch Sicht- und Wegebezüge. Die neuen Häuser für Lutherund Melanchthon sind 'n diesem Sinn auch städtischeEnt­ wicklungsprojekte, dienicht von unge­

fähr auch im Zusammenhang mit der

22 InternationaleBauaus­

stellung Stadtumbau Sachsen-Anhalt.

Weniger ist Zukunft. 19 Städte - 19Themen. Hg.vom Ministerium für Landesentwicklung undVerkehr desLandes Sachsen-Anhalt.

Berlin2010.

23 Franziska Eidner: Lutherstadt Eisleben: Gemeinschaftswerk Lutherstadtumbau. In: Internationale BauausstellungStadtumbau Sachsen-Anhalt.Weniger ist Zukunft.

19 Städte - 19 Themen.Hg.vom Ministerium für Landesentwicklung und VerkehrdesLandes Sachsen- Anhalt. Berlin2010, S. 661-669, S. 668.

24 Ulrike Wendland: Bauliches Erbe. Denkmalpflege imSchrumpfen.

In: Internationale Bauausstellung StadtumbauSachsen-Anhalt.

Weniger ist Zukunft. 19 Städte - 19 Themen. Hg. vom Ministerium für Landesentwicklung undVerkehr des LandesSachsen-Anhalt. Berlin 2010,S.558-571, S. 568.

25 Ira Mazzoni: Denkmal museal.

Anmerkungen zu einer klassischen Mesalliance. In:Schneider/Tietz 2010, S. 13-22, S. 14.

26 Valentin Groebner:

Das Mittelalterhört nichtauf. Über historischesErzählen.München 2008.

IBA Stadtumbau stehen.22 Und so konnte man schon 2010 konstatieren:

»Bereitsjetzthaben der Lutherweg und dasLuthergeburtshausensemble das touristische Interesse anEis­ leben erhöht.«23 Und schließlichsetzen die Neubauten in den drei Städten zeitgenössischeunddamit lebhafte Akzente in Zeiten der schrumpfen­

den Städte, jenseits der Überlegung, ob man diese Funktionenund Neubauten alsstädtisches Gemeinwesen in seinem Alltag dringend benötigt. Siezielen vielmehr auf einen erweiterten, mittel- undlangfristigeren Effekt: »Von quali­

tätvollenNeubauten, von neuemLeben an bisher leblosen Ortenin der Stadt können positive Impulsefür den ver­

bleibendenDenkmalbestand ausge­ hen.«24 Zusammen mit anderen, parallel realisiertenund gleichermaßen an­ spruchsvollen Bau-und Renovierungs­

projekten - zum Beispiel das umgebaute und ergänzte Franziskanerkloster in Wittenberg oder der Vikariatsgartenin Eisleben -setztdie Erweiterungspolitik derStiftung sichtbareAkzenteund schaffteine Nachbarschaft, in der es sich wieder besser lebenlässt. An anderer Stelle, aus einem distanzierteren Blickwinkel diegesamteMenge der musealenErweiterungen imDenkmal­ bestand betrachtend,klang dies jedoch auch schon einmaldeutlich skepti­ scher: »Strukturwandel,Identitätskrisen,

Regionalismusundder Boomeiner immer differenzierterenTourismusindus­ trieförderten einePolitik,die Denkmal,

Museumund eine saubere, bessere Zukunftoffensiv zusammendachten und zusammenbrachten. Esschien so selbstverständlich >im öffentlichen lnteresse<, den Erinnerungs- und Ge­

schichtsortzu einer musealen Bildungs­ institution um- und auszubauen, dass die Zumutungen der jeweiligen Hin- und Herrichtungen fürdieAuthentizität desDenkmals wie fürdie Funktionalität

des Museumsbetriebes geflissentlich übergangen - oderaberals Zukunfts­

hypothek beworben wurden.«25 Die Erweiterung magdem Denkmal als Entlastung zuträglichsein, dieGefahr, esmit seinemneuen Rucksack dauerhaft zu belasten, ist nicht zu unterschätzen.

Denn wie das Mittelalter hört auch Luther nichtauf, und die Abnutzungs­

erscheinungendurchdenMassen­ tourismus sind vielerorts tatsächlich gravierend, nicht nur in ästhetischer

Hinsicht.26

Die Bautätigkeitder Stiftungprofi­

tierte vonihrem ersten Bau,der neuen Eingangshalle des Lutherhauses. Hier wurden im Austausch mit Architekt und Denkmalpflege die Grundsteinefür einen bewussten undkritischen Umgang mit der historischen Substanzgelegt, die Kernelemente desBauens im

(8)

Bestand und des kommunikativen Aus- tauschs untereinander erprobt, und in den Folgeprojektenweiterentwickelt hat. Lassen Lutherhaus undSterbe­ hausAltes und Neues sichtbar und getrennt nebeneinanderbestehen,geht das Geburtshaus in Eisleben den Weg einer selbstverständlichen Verbindung von Alt und Neu; dieSituation scheint schonzuvor existiert zu haben. Dieses Interesseanalltäglichen undvorge­ fundenen Zuständenkommt der soge­ nannten Analogen Architektur nahe.

Diesevon Fabio Reinhartund Miroslav Sik inden achtziger Jahrenbegrün­

deteArchitekturströmung ist um An­

nähern, Weiterentwickeln, Verschleifen und Verfälschen von gefundenen Vorbildern aus Geschichte und Vergan­

genheit bemüht. Bereits im Melanch- thonhaus variierte man diesen Zugriff aber wieder: FürFassade und Grundriss des Erweiterungsbaus wurden eher die Typologie des Altbaus und dieMor­

phologie der Stadt herangezogenund weiterentwickelt. Elternhaus und Luther­

archiv stellen wiederum zwei abwei­

chende Strategiendar. In Mansfeld, dem einzigen Neubauvorhabenohne direk­ ten Kontakt zu Denkmalsubstanz, reagiert das Museumauf die Fassaden­

abwicklung derabfallenden Straße, das Lutherarchiv wurde direktin ein eingetragenes und fürdieneue Nutzung entkerntes Baudenkmaleingepasst, alte und neue Substanzuntrennbar mit­

einander verbunden. Inseiner Zeichen- haftigkeit und Ästhetik ist esdem Gelben Hausin Flims eng verwandt.27 Anders aber als dort, wo das Alltägliche und Selbstverständliche verschwand und das Andersartige und Künstliche als

»stolz und fremd, wederaltnoch neu«

inszeniert wurde, fügt sich der Eisleber Archivbau fast natürlichund problem­ los in seine städtische Umgebung.28 Alle Bauten derStiftung reagierendarauf, sie gehenmit ihren Plätzen, Grün- und

Freiräumenenge Verbindungen ein und bildenarchitektonische Ensembles ganzneuerQualität heraus. Entstan­

den sind kleine städtische Bausteine mit einerjeweils eigenen,häufig auch eigenwilligen Formensprache und Materialität. Rauer und herber Wasch­ beton amElternhaus, feiner Sichtbeton amTreppenhaus in Wittenberg, drei deutlichunterschiedliche Ziegel­ fassaden in Eisleben und Wittenberg sowiedie homogenisierende Farbe Weiß des Lutherarchivs - dieBauten sind individuell geformt, drängen sichaber weder den Denkmalen, noch der Stadt auf.

Auch an dem jüngsten Erweiterungs­ bau, dem Eingangsgebäude zwischen Augusteumund Lutherhaus, kann man diese Haltung erkennen: Ein ein­

facher Glasgang mit Betonstützen, der zwischen den zwei Gebäudetrakten die Balance zwischenInnen- und Außenraum hält.Die Transparenz des Glases, in derModerne imRegelfalleine rhetorische Floskel, um erdrückende Baumassen besser anpreisenzu

können- hier wurde sie wirklich einmal erreicht.29Die dominanten Elemente bleiben der Hofraumund die ab­ schließende Hofmaueraus Bruchstein und Ziegel und damit das Material, die Oberflächen und der Raum des Denkmals.

Autorenschaft vs. Zeichenhaftigkeit Dass große, von Bund und Ländern getragene Kulturstiftungen,insbeson­

dere solche mitUNESCO-Status, zu Bauherren auch imNeubausektor werden mussten, hat sich erst in den letzten Jahren inaller Deutlichkeit herausgestellt. Zu Eingangsbereichen, infrastrukturellerVersorgung und Haustechnik kommen Lastenaufzüge, Anfahrts-und Ladezonen, Bibliotheken, Sammlungen, Archive, Restaurierungs­

werkstätten, Labore, Kantinen, Cafes, Shops und anderesals Bauaufgaben auf die öffentlichen Einrichtungen zu.

Das Sonderinvestitionsprogramm der Stiftung PreußischeSchlösser und Gärten Berlin-Brandenburg mit seinen zahllosen Restaurierungs- und Bau­ maßnahmen kann hier als ein besonders markantes Beispiel dienen.Institutio­

nelleBauherren abermüssen Haltungen entwickeln, inhaltliche Regelnnicht

27 Valerio Olgiatis etwa 15Jahre zuvorausgeweideten und überform­ ten Bauernhaus wandte sich der Eisleber BauherrStefan Rhein nach einer Bündner Reisetatsächlich erinnernd zu (vgl. seinen Beitrag in diesem Band).

28 https://gelb.dasgelbehaus- flims.ch/die-exponate/das-gelbe- haus-flims/

29 Matthias Noell: Ins Kristall bald dein Fall. Das Glasin der Architekturder Moderne. In: Kunst und Architektur in der Schweiz.

1/2014,S. 4-13.

(9)

nurin konservatorischer, museologi- scherund funktionaler Hinsicht erarbei­

ten,sondern auch denkmaltheoretische, gestalterische undästhetische An­ sätze und Ziele entwickeln, ohnedie im

Denkmalbestand nicht angemessen agiertwerden kann. Im Idealfall ent­

wickelt sich daraus eineStrategie, diein denDenkmalbestand so wenig wie möglicheingreift und die Lesbarkeit der Ensembles fördert-und diesmög­

lichst langfristig.

Die verwobene und komplexe Geschichte der historischen Orte und Architekturender Stiftung Lutherge­ denkstätten inSachsen-Anhalt hat 'm Zuge des Baugeschehens eine Aus­ handlungbaulicher Anforderungen und Möglichkeiten zwischen Bauherrn, Architekten und Denkmalbehörde bewirkt. Hinzu kommt aber im Fall eines Museums, und noch mehr einer Per­

sonengedenkstätte, die erhebliche Rolle der Rezipienten - Bevölkerung und Besucher. In der Architektur ist es

nie üblich gewesen- wiein den Literatur­

wissenschaften und später auch den Kunstwissenschaften- vom »Tod des Autors« zu reden, dieDinge nach übergeordnetenBedeutungsschichten zu betrachtenund zu analysieren, die Frage nach derRelationzwischen Reduktion und Rezeption, denLeser und Betrachter stärker in den Blick zu nehmen. DabeiwäredieProvokation durchRoland Barthes durchausdazu angetan,die Rolle der Architektur, msbesondere des sogenannten Weiter­ bauens imBestand,neuzu denken, denn Architektur ist, wie ein Buchauch,

»nur einGewebevon Zeichen«.30 Inder Architekturwurdenim20. Jahr­

hundertdie regionalen, tradierten Bautypen, dieanonymeArchitektur

°der die Architekturohne Architekten Wegenihres selbstverständlichen hfervorgehensaus der Gesellschaftund 'hrerunkomplizierterenIntegration

indas menschliche Lebendiskutiert. I Die Relativierung des Schaffensprozesses des Einzelnenwurdezugunsteneiner kollektiven Aufgabe,eines Dienstes an der Gemeinschaft hinterfragt:

»By >us<, for us« nanntediesen Ansatz derniederländische Architekt und

Hochschullehrer Aldo van Eyck, das erste »us« für das entwerfende Indivi­

duum verwendend,das zweite »us«

fürdie Gesellschaft, an der die Architek­

ten teilhaben.

Das Bauen im historischen Umfeld der Luthergedenkstätten zeigt, dass die Beteiligten sich einem diskur­

siven Weiterbauen durch Weiterdenken angenähert haben. Zutage ist das getreten, was als versöhnlicher, an­

gemessenerund subtilerUmgang in den vergangenenJahren vermehrt gefordertwurde, einBauen »füruns«, wennman so will. Der Begriff der

»Schichten« wurde zunehmend durch jenender »Verwebung«ersetzt, Barthes'

»Gewebe« gar nichtunähnlich. An­

stelle der harten Geologiewirddem zarteren, vielleichtauch abwechslungs­

reicheren textilen Handwerk der metaphorische Vorzug gegeben.31

30 Roland Barthes:Der Tod des Autors. In: Texte zurTheorie der Autorschaft. Hg. von FotisJannidis

u. a. Stuttgart 2000,S.185-193, S.191. FürdieKunstwissenschaften unternahm dies bekanntlichvor allemWolfgang Kemp.

31 Vgl.u. a. ThomasWill:

Grenzübergänge.Weiterbauen am Denkmal. In:Werk, Bauen und Wohnen. 6/2003, S. 50-57; Bernd Euler-Rolle: Moderne Architektur am Denkmal: Zu den Maßstäben der Geschichtlichkeit - das Beispiel des ehemaligen Minoritenklostersin Wels. In:Österreichische Zeitschrift für Kunst und Denkmalpflege.

Jg. 54- 2000. H. 2/3, S. 201-211; ders.:

»Moderne Denkmalpflege«und

»moderne Architektur« - gemein­ same Wurzeln, getrennteWege?In:

Österreichische Zeitschrift für Kunst und Denkmalpflege. Jg.61.2007.

H.2-3, S. 145-161.

LuthersneueHäuser stehen in ihrer Gesamtheit füreine solche reflexive

Herangehensweise aneinesder an­

spruchsvollsten Themender heutigen Architektur, das Weiterbauen am Denkmal in der Sprache der eigenen Zeit. Sie zeigen eine ruhigeund selbst­

verständliche und deshalbvielleicht auch verständliche,in jedem Fall eine zeichenhafteDifferenz zwischen Alt und

Neu. Vor allem aber stehen sie für eine Abwendungvon denDoktrinen und eine Hinwendungzur Lösungkomplexer Probleme -zugunstender Denkmale und ihrer poetischenWirkung in der jeweiligen städtebaulichenSituation.

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