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Er beschreibt dabei zum Teil atypische, was nicht besagen will uninteressante Einzelaspekte des Phänomens, vor allem in der deutschen Geschichte

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Anzeigen Wilfried ν. Bredow: Moderner Militaris- mus. Analyse und Kritik. Stuttgart, Ber- lin, Köln, Mainz: Kohlhammer 1983.

132 S.

Der Autor versucht in Form einer Uberblicks- studie neue Möglichkeiten zu finden, die welt- weit festgefahrene Diskussion um den Begriff Militarismus wieder zu beleben. Er beschreibt dabei zum Teil atypische, was nicht besagen will uninteressante Einzelaspekte des Phänomens, vor allem in der deutschen Geschichte. Aus- gangspunkt der Überlegungen Bredows ist ein erkannter Unterschied zwischen dem Militaris- mus, wie er sich uns im Kaiserreich offenbart und seinem Erscheinungsbild nach dem Ersten Weltkrieg. Während vor 1914 ein Durchdringen des zivilen Lebens mit militärischem Gehabe zu beobachten ist, was paradigmatisch durch die Köpenick-Komödie belegt wird, stellt Bredow fest, daß schon kurz nach dem Ersten Weltkrieg die gewohnte Differenzierung zwischen Militä- rischem und Zivilem kaum mehr greift. Die be- reits in der Vorkriegsphase spürbare Etablierung des Militarismus als politische Institution, wird

— so der Autor — in der Weimarer Republik als politische Kultur im Zuge von Überlegungen, militärische Auseinandersetzungen als totalen, alle wirtschaftlichen und geistigen Ressourcen umfassenden Krieg zu sehen, von der Mehrheit des Volkes akzeptiert. Trotz dieses Wandels bleiben aber Kontinuitätsmerkmale auch über die Phase des Ersten Weltkrieges hinweg erhal- ten.

In der Auseinandersetzung mit den Epochen Kaiserreich und Weimarer Republik wird dem Leser deutlich, in welche Richtung die Militaris- musforschung künftig tendieren könnte; denn Bredow läßt durchaus offen, ob dem Begriff Mi- litarismus in Deutschland eine Sonderrolle zu- gesprochen werden muß oder nicht. Problema- tisch scheint es jedenfalls, den Ursprung dieses Erscheinungsbildes, wie auch G. Ritter es sah, an spezifischen Ereignissen ursächlich festzuma- chen (ζ. B. dem preußischen Heereskonflikt). Es ergibt sich dann zwangsläufig die noch zu dis- kutierende Frage, ob solche historischen Tatbe- stände nicht Ausdruck einer bestimmten Ziel- richtung waren, die — und hier wäre wiederum das Kontinuitätstheorem zu bemühen — über viele Epochen der deutschen Geschichte ähnli- chen Inhalt hatten: Großmacht- und Expan- sionsstreben. Dann ist dem Autor auch zuzu- stimmen, wenn er festhält, daß die Niederlage M G M 2 / 8 3 des Ersten Weltkrieges und der Versailler Ver- 253 trag keinen Kontinuitätsbruch bedeuteten. Die

Methoden änderten sich — so könnte man zwi- schen den Zeilen lesen — aber das Ziel blieb be- stehen : mit einem »revolutionären Militarismus«

das Volkskriegskonzept industriellen Zuschnitts in die Wirklichkeit umzusetzen. Die Belebung des Kämpfertyps durch die nationalsozialisti- sche Wehrpolitik, wie sie Hitler aus machtstruk- turellen und ideologischen Gründen nach 1933 anstrebte, würde der Kontinuitätsthese ebenfalls entsprechen.

Bei den Überlegungen, der Militarismusdiskus- sion neue Impulse zu verleihen, scheint unter anderem Bredows Hinweis auf den Ost-West- Konflikt durchaus geeignet, über die Auslöse- funktion historischer Tatbestände hinauszuden- ken und die Ursachen des sich daraus entwik- kelnden Militarismus zu erforschen. Wie, so könnte man hier ergänzend fragen, sind die Vorstellungen und Mentalitätsinhalte einer ge- wissen Epoche mit all ihren Vorurteilen, Feind- bildern, Sicherheitsbedürfnissen usw. geartet, um Militarismus zu erzeugen? Ihre Erforschung würde aber noch nicht hinreichend das Akzep- tieren militärischer Erscheinungsformen erklä- ren. Es müßte dann untersucht werden, wieso es gelungen ist, breite Schichten der Bevölkerung dafür zu gewinnen.

Auch wäre es ebenfalls an der Zeit, so der Ver- fasser, Vergleiche zwischen dem Paradeland in Sachen Militarismus, Preußen-Deutschland, und anderen Industrienationen auf eine gesi- cherte Grundlage zu stellen. Dabei könnte aller- dings die Darlegung des zivil-militärischen Ver- hältnisses in Ländern, die in der Vergangenheit nicht »militarismusverdächtig« waren, ebenfalls nötig werden, um das Normale dem Außerge- wöhnlichen gegenüberzustellen.

Sicherlich ist dem Autor im Grunde zuzustim- men, wenn er im letzten Teil seiner Arbeit Kri- tik am Konzept der Militarismusdiskussion vor- trägt, wie sie in der Theorie um den Militärisch- industriellen Komplex geführt wird, denn zu vielfältig eröffnen sich uns heute die weltweiten Erscheinungsformen von Rüstung und Gewalt, als daß man sie alle nur einem Erklärungsmuster zuordnen dürfte. Aber dennoch scheint, wie Bredow selbst an einigen Stellen zu erkennen gibt, die Anwendung moderner Militarismusthe- sen und -methoden ein geeignetes Mittel zu sein, das Verhältnis von Militär und Gesellschaft in der Geschichte neu zu beleuchten. V. R.

Berghahn und M. Geyer, aber auch schon E.

Kehr, sind Beispiele für diese gelungenen Versu- che.

Alles in allem kann diese Arbeit — obwohl man- che Möglichkeiten nur angedeutet werden —

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dennoch dazu beitragen, der Diskussion um den Militarismus neue Impulse zu verleihen.

Detlef Vogel

mehr als publizistischen denn als wissenschaft- lich-historischen Beitrag. Klaus Schwabe

Melvin Small: Was War Necessary? Na- tional Security and U.S.Entry into War.

Beverly Hills, London: Sage Publications 1980. 311 S. ( = Sage Library of Social Research. 105.)

In essayhafter Form und einen breiteren Leser- kreis vor Augen geht der Autor der Frage nach, ob die Beteiligung Amerikas an den sechs gro- ßen Kriegen seiner Geschichte (vor dem Viet- namkrieg), also am Krieg von 1812, am mexika- nisch-amerikanischen und am spanisch-amerika- nischen Krieg, am Ersten und Zweiten Welt- krieg und zuletzt am Koreakrieg, notwendig ge- wesen sei. Die Antwort wird gleich in der Ein- führung gegeben und lautet emphatisch »Nein!«

Vorbereitet wird diese Antwort durch eine mög- lichst enge Definition des Begriffes »nationale Sicherheit«. Diese sieht der Autor nur bei einem direkten militärischen Angriff auf das eigene Land als bedroht an. Ökonomische und morali- sche Überlegungen rechtfertigen in seinen Au- gen den Griff zu den Waffen in keiner Weise.

Selbst bei dieser verengten Sichtweise verwun- dert es, daß der Autor den Eintritt Amerikas in den Zweiten Weltkrieg als unnötig qualifiziert, in dem doch mit Pearl Harbor ein Stützpunkt im amerikanischen Mutterland angegriffen wor- den ist; doch argumentiert der Verfasser, daß sich dieser japanische Angriff bei Konzessionen in den vorausgehenden japanisch-amerikani- schen Verhandlungen hätte vermeiden lassen.

Für das Verhalten der amerikanischen Regie- rung im Ersten Weltkrieg lautet sein Ratschlag:

»We could stay out of the awful war awaiting the great powers' self-destruction and be the only one around at the end to pick up the pieces . . .« Eine solche Sichtweise ist sowohl un- realistisch — insofern sie das Gewicht der mora- lischen Imponderabilien in der Geschichte ver- kennt — als auch unhistorisch, insofern sie die Frage nach dem stellt, was gewesen wäre, wenn . . . Man wird diesen Traktat, wenn er auch die Ursachen für die verschiedenen Kriegs- eintritte der USA, vielfach auf der Basis der neuen Forschung, im ganzen überzeugend dar- stellt, in erster Linie als Reflex des moralischen Katzenjammers ansehen müssen, den der Viet- 254 namkrieg in Amerika hinterlassen hat, das heißt

Ahmed M. Rifaat: International Aggres- sion. Α Study of the Legal Concept: Its Development and Definition in Interna- tional Law. With an Introduction by Ja- cob W. F. Sundberg. Stockholm: Almqvist

& Wiksell; Atlantic Highlands, N. J.: Hu- manities Press 1979. XXIV, 355 S.

Das Hauptziel der Vereinten Nationen (VN) ist die Aufrechterhaltung von Frieden und Sicher- heit in der Welt. Die Mitgliedstaaten haben, um ein schnelles und wirksames Handeln der Orga- nisation zu gewährleisten, dem Sicherheitsrat die Hauptverantwortung auf diesem Gebiet übertragen und ihm dafür besondere Befugnisse eingeräumt (Art. 24 der Satzung). N u r ihm ob- liegt festzustellen, »ob eine Bedrohung oder ein Bruch des Friedens oder eine Angriffshandlung vorliegt«; ihm ist vorbehalten, Empfehlungen zu geben oder Maßnahmen zu beschließen, um den Weltfrieden und die internationale Sicherheit zu wahren oder wiederherzustellen (Art. 39). Die berühmte Resolution 377 (V) der Generalver- sammlung Uniting for Peace vom 30. November 1950 hat diese satzungsgemäßen Rechte und Pflichten des Sicherheitsrats nicht berührt. Al- lerdings hat sich die Generalversammlung mit dieser Entschließung für befugt erklärt, falls der Sicherheitsrat seinen Pflichten nicht nachkommt (z.B. aufgrund des Vetos eines ständigen Rats- mitglieds), den Mitgliedern Kollektivmaßnah- men zum Erhalt oder zur Wiedererlangung des Friedens und der Sicherheit zu empfehlen.

Bedingt durch diese Entwicklung mußten alle Mitgliedstaaten der VN, auch die Großmächte mit ständigem Sitz im Sicherheitsrat, daran in- teressiert sein, die Voraussetzungen für das Ak- tivwerden der Weltorganisation auf dem Gebiet der internationalen Sicherheit zu klären. Dies schien am einfachsten, aber auch am notwendig- sten hinsichtlich des Terminus Angriffshandlung bzw. act of aggression in Artikel 39 der Satzung zu sein, gilt doch die Aggression als gefährlich- ste Form der Gewaltanwendung. Dennoch dau- erte es fast 25 Jahre, bis man sich auf eine Kom- promißformel einigen konnte. Am 14. Dezem- ber 1974 verabschiedete die Generalversamm- lung die Resolution 3314 (XXIX) Definition of Aggression.

Die vorliegende Studie des Ägypters Ahmed M.

Rifaat, eine von der Universität Stockholm an-

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genommene juristische Dissertation, zeichnet den langen Weg nach, der von der christlichen Konzeption des bellum iustum und der moham- medanischen Konzeption des Jihad zu dem in der Satzung der V N kodifizierten völkerrechtli- chen Gewaltverbot und der internationalen Ubereinkunft über den Inhalt des Terminus

»Aggression« führte. Die wichtigsten behandel- ten Stationen seien hier nur angedeutet: das freie Kriegführungsrecht im Zeitalter des europäischen Konzerts, die Beschränkung des ins ad bellum durch die Haager Konventionen und die Bryan-Verträge von 1913/14, die Rolle des Krieges nach der Satzung und in der Praxis des Völkerbundes, der Briand-Kellogg-Pakt.

Mit Völkerbundsatzung und Briand-Kellogg- Pakt hat der Autor zu seinem eigentlichen Thema gefunden, denn mit beiden setzten die Bemühungen um eine Definition der »Aggres- sion« ein. Im Mittelpunkt der Untersuchung ste- hen sowohl die Vorgänge und Schritte im Rah- men der VN, welche die Verabschiedung der Resolution Definition of Aggression ermöglich- ten, als auch die, welche eine Übereinkunft über die strafrechtliche Verantwortlichkeit des Ag- gressorstaates und seiner Organe sowie über die Bildung eines internationalen Strafgerichtshofes bisher nicht zuließen. Eine Interpretation der Resolution 3314 (XXIX) wird selbstverständ- lich vorgenommen; sie hält sich freilich sehr eng an den Text und scheint keineswegs alle Aspekte der Kompromißformel erschöpfend zu behan- deln.

Die Untersuchung ist eine durch und durch so- lide juristische Studie. Sie zeichnet Vorgänge aus der Arbeit der V N nach, deren historische Relevanz noch nicht zu übersehen ist. Die be- nutzten Quellen sind ausschließlich öffentlich zugängliche Materialien der Weltorganisation;

wenn sich dem Historiker die Archive der Mit- gliedstaaten öffnen, wird es seine Aufgabe sein, insbesondere die Motive der Handelnden fest- zustellen und die Zusammenhänge zu erhellen.

Dabei wird er Rifaat für die geleistete gründli- che Vorarbeit mit Sicherheit dankbar sein.

Walter Schwengler

Theodor Fuchs: Bewaffnete Aufstände.

Von den Bauernkriegen bis Baader-Mein- hof mit 46 Zeichnungen und Fotos. Mün- chen: Bernard & Graefe 1982. 336 S.

Theodor Fuchs stellt den bewaffneten Aufstand 255 in seinen kriegerischen Erscheinungsformen in

vier Jahrhunderten deutscher Geschichte dar.

Ziel des Verfassers — wie 'er einleitend ausführt

— ist, »sowohl für den Angriff, d. h. für die Auf- ständischen, als auch für die Abwehr, d. h. für die gegen die Aufständischen eingesetzten Re- gierungskräfte Führungsgrundsätze, Kampfar- ten, Gliederung, Versorgung und Grundsätze der psychologischen Kriegführung aufzuzei- gen«. Dabei setzt er sich bewußt und pointiert von jeglicher sozialistisch-kommunistischen De- finition bzw. Interpretation des Aufstands- und Kriegsbegriffs ab.

Die vergleichende Untersuchung umfaßt:

Bauernkrieg 1524—1526; den bayerischen Auf- stand 1705; Andreas Hofer und Ferdinand v.

Schill; Aufstände 1848/49; Kapp-Putsch, APO, terroristische Gruppen in der Bundesrepublik Deutschland seit 1968. Diese fünf Kapitel sind jeweils identisch gegliedert. Nach einer kurzen, jedoch anschaulichen Einführung in die entspre- chenden Zeitumstände werden Vorbereitung und Führer der Aufstandsbewegungen der Or- ganisation und Führung der »regulären« Seiten gegenübergestellt, um dann den eigentlichen Verlauf der Aufstände wiederzugeben. Die Dar- stellung orientiert sich überwiegend an den Er- eignissen zu Lasten einer adäquaten Aufhellung mehr theoretischer Hintergründe. Jedes Kapitel schließt mit einer knappen Zusammenschau der wichtigsten Ergebnisse, wobei diese kapitelwei- sen Zusammenfassungen insgesamt einen schnellen, straff und gut gegliederten Gesamt- überblick erlauben. Detailliertere Literaturhin- weise zu jedem Kapitel runden die Ausführun- gen ab.

Während die Darstellung der Aufstände des 16.

bis 19. Jahrhunderts in straffer, aber informati- ver Form erfolgt, bleibt das Kapitel »Revolutio- näre Kämpfe nach dem Ersten Weltkrieg und ab 1968« aufgrund der zu gerafften Darstellung allzuleicht im Plakativen, Vordergründigen. Zu- dem offenbart sich in diesem letzten Kapitel das Dilemma des vom Verfasser gewählten Ansat- zes, wenn er den Terrorismus der 70er Jahre in der Bundesrepublik in »seinen kriegerischen Er- scheinungsformen eines bewaffneten Aufstan- des« zu fassen versucht. Hier wünschte man sich eine stärkere Differenzierung, aber auch intensi- vere Durchdringung der Materie. Die »revolu- tionären Kämpfe« nach 1918 werden auf neun Seiten abgehandelt — der Eindruck einer vor- dergründigen, rein deskriptiv ereignisbezogenen

»Vervollständigung« der Gesamtdarstellung ent- steht. Auch die Ausführungen über die Ereig- nisse nach 1968 lassen eine vertiefte Auseinan- dersetzung mit den eigentlichen Problemen ver-

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missen. Allzuleicht wird dem Klischee einer letztlich in erster Linie von Moskau gesteuerten

»5. Kolonne« Vorschub geleistet, zumal die frag- los vorhandenen internationalen Terrorismus- verflechtungen nur schlagzeilenartig angerissen und aneinandergereiht werden.

Dennoch bleibt das verdienstvolle Bemühen des Verfassers zu würdigen, durch den Versuch des Anlegens eines einheitlichen Rasters das Phäno- men bewaffneter Aufstände anhand ihrer Orga- nisation, ihres Ablaufs und der Art ihrer — letzt- lich erfolgreichen — Bekämpfung über vier Jahr- hunderte deutscher Geschichte ereignisbezogen aufzubereiten. Klaus Buschmann

Sven Papcke: Der Revisionismusstreit und die politische Theorie der Reform. Fragen und Vergleiche. Stuttgart, Berlin, Mainz:

Kohlhammer 1979. 200 S.

Der Autor versucht in teils sehr weitschweifigen Ausführungen einen allgemeinen Uberblick über den Revisionismusstreit in der deutschen Sozial- demokratie zu liefern und damit gleichzeitig ei- nen Beitrag zur Theorie der Reform zu leisten.

Seine eklektizistische Vorgehensweise macht das Verständnis der Arbeit nicht immer ganz einfach, aber sie ist doch sowohl von allgemein- historischer Bedeutung als auch aufschlußreich für die Gewaltproblematik in der deutschen Ge- schichte.

In knappen Zügen werden die Hauptelemente des revisionistischen Gedankengebäudes ge- zeichnet: seine ökonomischen Einsichten, er- kenntnistheoretischen Überlegungen sowie seine politisch-praktischen Beobachtungen. Sie wer- den vor dem Hintergrund einer vom Autor so gedeuteten ersten großen Gründungskrise der marxistischen Theorie in den neunziger Jahren interpretiert. Dabei interpretiert der Autor den Revisionismus Bernsteinscher Prägung einerseits und den revolutionären »Jakobinismus« eines Lenin andererseits als auf ihre jeweils eigene Weise gelungene Überwindungen dieser Krise.

Überrumpelung des Kapitalismus oder der re- formistische Umbau seiner Handlungsanleitun- gen resultierten daraus als die beiden neuen Pro- grammalternativen, denen gegenüber sowohl die Kautskysche Orthodoxie als auch der Lu- xemburgsche Voluntarismus zurücktraten. Die Möglichkeit des Umbaus kapitalistischer Hand- lungsanleitungen — die revisionistische Lösung

— hing natürlich nicht zuletzt davon ab, ob es tatsächlich gelang, den nötigen Ansatzpunkt für

praktische Veränderungen zu gewinnen. Histo- risch hängt daran die Interpretation des wilhel- minischen Staates und es mag etwas überra- schen, wie sehr dieser Staat als veränderbar an- gesehen wurde. Politisch drehte sich die ent- scheidende Frage darum, ob und inwieweit überhaupt in wirtschaftliche Handlungsvorga- ben eingegriffen werden kann. Die ursprüng- lichen Revisionisterl haben darüber sehr wenig nachgedacht, genausowenig wie über das Folge- problem revisionistischer Arbeit, daß nämlich gerade die zähe, stückweise Reformarbeit we- gen ihres gesellschaftsverändernden Charakters einschüchternd wirken und damit zu Rückschlä- gen führen könne. Wenn diese und ähnliche Fragen auch ausführlich erörtert werden, scheint es dem Verfasser doch insgesamt wichti- ger darauf hinzuweisen, daß sich der Revisionis- mus blindlings in die gesamte Wachstumsproble- matik einer kapitalistischen Gesellschaft einge- kauft hat. Michael Geyer

Etienne Schweisguth, Mariette Sineau, Frangoise Subileau: Techniciens en Uni- forme. Les sous-officiers de l'armee de Pair et de la marine. Paris: Presses de la fondation nationale des sciences politi- ques 1979. 294 S.

Untersuchungen zur Geschichte und Soziologie des Unteroffizierkorps und der Mannschaften stehen bis heute hinter denjenigen des Offizier- korps zurück. Niemand scheint sich so richtig an dieses Thema heranzuwagen. Um so beacht- licher, wenn sich die Fondation Nationale des Sciences Politiques auf Anfrage des französi- schen Verteidigungsministeriums dieses Themas annahm und eine Enquete erarbeitete, die me- thodisch vorbildlich und insgesamt auch leicht verständlich ist. Die Enquete bezieht sich vor al- lem auf das Offizier- und Unteroffizierkorps der Marine und Luftwaffe während der späten sechziger Jahre. Sie bietet einen synchronen Querschnitt leider ohne historische Tiefendi- mension.

Zunächst zum Methodischen: Die Arbeit ist in zwei Teile geteilt, deren erster der sozialen Lage der Unteroffiziere und deren zweiter Teil der Untersuchung von Verhalten, Attitüden und Laufbahnstrategien gewidmet ist. Im ersten Teil werden die institutionell-administrative Defini- tion des Unteroffizierstandes, die soziale und geographische Herkunft sowie die Schulbildung untersucht. Des weiteren bietet dieser Teil einen

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Einblick in Karriereprofile von Unteroffizieren.

Der zweite Teil beschäftigt sich mit der Motiva- tion für die Entscheidung zugunsten des Mili- tärberufes und den Karrierestrategien. Darüber hinaus wird die Einschätzung der Unteroffiziere gegenüber der Armee und der nationalen Mili- tärkultur studiert. Auf dieser Basis können dann in den zwei abschließenden Kapiteln Zufrieden- heit und institutionelles Verhalten gemessen werden. Dies ist eine saubere, handwerkliche Arbeit, die nicht unbedingt hinreißende Ergeb- nisse bietet, aber doch die Grundlage für einige interessante Beobachtungen liefert.

Das Hauptproblem des französischen Unteroffi- zierkorps besteht nach Ansicht der Enquete darin, daß in der Marine und der Luftwaffe (aber auch im Heer) zwei ganz verschiedene Unteroffiziertypen mit verschiedenen Wün- schen, Vorstellungen und Karrieremustern un- ter einen H u t gebracht werden müssen. Auf der einen Seite stehen die traditionellen Unteroffi- ziere mit ihren eher konventionellen militäri- schen und maritimen Aufgaben. Sie kommen zumeist aus geographischen und sozialen Rand- gebieten. Für sie bietet die Armee soziale Auf- stiegschancen in Maßen, und sie sind an einer langen, ruhigen und ebenmäßigen Militärkar- riere sowie an einem hohen Ansehen des Mili- tärs in der Gesellschaft interessiert. Davon he- ben sich die Spezialisten scharf ab mit ihrem ausgeprägten Interesse an der Armee primär als Ausbildungsstätte und Übergangsbeschäftigung bis zu einer späteren Zivilanstellung als Spezia- list. Sie sind meist schulisch besser gebildet und mehr an der Professionalität der Armee als an militärischen' Werten interessiert. Entsprechend kommt es zu Divergenzen, die nur schwer auf- hebbar sind und die dadurch nicht erleichtert werden, daß die zivile Gesellschaft als überle- gene Konkurrenz zum Unteroffizierdasein auf- tritt. Michael Geyer

Colin Platt: The Castle in Medieval Eng- land and Wales. London: Secker &

Warburg 1982. XIV, 210 S.

Festung, Palast, Schatzkammer, Verwaltungs- zentrum, Gefängnis, Schauplatz ritterlicher Selbstdarstellung -- dies und vieles mehr war die mittel- und spätmittelalterliche Burg. Colin Platt, Autor zahlreicher Werke zur mittelalterli- chen Archäologie Englands, versteht es auch in 2 5 7 diesem Buch meisterhaft, Anlagen und Struktu-

ren des englischen »Castle« lebendig zu machen.

Im Unterschied zu den meisten Standardwerken vernachlässigt der Autor die Funktion der Burg als Fort; vielmehr fragt er nach den Gründen für die sich wandelnden Formen und Aufgaben von Burgen.

Seit 1066 war die Rolle der Burgen von existen- tieller Bedeutung, denn der »Norman Con- quest« war ohne den gezielten Bau von Burgen an strategisch geeigneten Plätzen gar nicht denkbar. In neun reichbebilderten Kapiteln wer- den die Aufgaben der Burg chronologisch be- schrieben. Dabei imponiert die gelungene Mi- schung von Erzählung und Erklärung, die kei- nerlei Langeweile aufkommen läßt, allerdings eine hohe Lesedisziplin erfordert, da die er- wähnten Bilder in den Text mit einbezogen wer- den müssen. Hinzu kommt, zumindest für alle die, die sich mit mittelalterlichen Burgen nicht professionell befassen, daß auch die Terminolo- gie bei der Beschreibung nicht ganz einfach ist.

Die Festungen der Normannen dienten nicht dem Schutz, sondern der Einschüchterung der Bevölkerung. Die folgenden Jahrhunderte brachten dann Veränderungen, die nicht nur auf den ursprünglichen militärischen Zweck bezo- gen waren; nicht selten handelte es sich nur um Verschönerungen. Bemerkenswerte Einflüsse lieferten die Antike und der Osten während der Kreuzzüge.

Im übrigen beschränkt sich Platt bei seinen ar- chitektonischen Analysen nicht nur auf das

»Castle« der englischen Insel — er zeigt auch die Grundzüge des Burgenbaues auf dem Kontinent und die Querverbindungen von und nach Eng- land auf.

Im weiteren Verlauf war die Burg Zufluchtsort in unruhigen Zeiten (Kap. 5: Castles of Law and Order); sie war Bollwerk des Warlords an der schottischen Grenze; sie diente zum Schutz ge- gen Räuber von See her (Kap. 6: Castles of the Hundred Years War); oder sie stand im Dienst vornehmlich der pompösen Selbstdarstellung macht- und prestigebewußter Magnaten. Im 16.

Jahrhundert schließlich waren die Burgen mili- tärisch ohne Funktion (S. 196).

Das Buch enthält durchdachte Karten, ein Ab- bildungsverzeichnis und ein knappes, aber un- entbehrliches Glossar mit Fachtermini, die ge- rade dem nichtenglischen Leser helfen; dieser sollte ohnehin ständig seine englische Ge- schichte, wohl am ehesten den Kluxen, griffbe- reit haben, um dieser lebendigen Burgenarchäo- logie mit dem Gewinn folgen zu können, der in ihr steckt. Hans-Christoph Junge

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Erwin Matsch: Geschichte des Auswärti- gen Dienstes von Osterreich (-Ungarn) 1 7 2 0 - 1 9 2 0 . Wien, Köln, G r a z : Böhlaus Nachf. 1980. 203 S.

D e r Verfasser bemüht sich, auf verhältnismäßig knappem Raum einen Uberblick über die Ge- schichte des Auswärtigen Dienstes von Öster- reich (-Ungarn) zu geben, und zwar von der Entstehung einer zuständigen Zentralleitung — der Hof (Staats-) kanzlei — im Jahre 1720 unter Kaiser Karl VI. bis zur endgültigen Liquidie- rung durch den letzten Ressortchef des k.u.k.

Auswärtigen Dienstes, Ludwig Freiherr v. Flo- tow, im Jahre 1920. Er h o f f t mit seinem Buch eine Lücke in der österreichischen Geschichts- forschung schließen zu können, ist sich aber zu- gleich bewußt, nur die Grundlagen f ü r weitere Forschungen gelegt zu haben.

In den zwei, insgesamt etwas zu lang geratenen, einleitenden Kapiteln (37 Seiten) werden zu- nächst die »staatsrechtlichen Grundlagen«

(Pragmatische Sanktion, Ausgleichsgesetze von 1867) f ü r eine gemeinsame Behandlung der aus- wärtigen Angelegenheiten in der Österreichi- schen Monarchie und die f ü r lange Zeit heftig miteinander konkurrierenden Vorläufer der zentralen außenpolitischen Leitung (Geheimer R a t und Geheime Konferenz, Reichshofkanzlei, Österreichische Hofkanzlei, »Spanische Behör- den«, Hofkriegsrat, Böhmische Hofkanzlei) ab- gehandelt.

Mit dem etwas über 50 Seiten umfassenden Hauptteil des Buches, »Zentralleitung«, wird der Verfasser seiner selbstgestellten Aufgabe nicht ganz gerecht. Er begnügt sich damit, die Entstehung des Auswärtigen Dienstes etwas zu global durch das Aneinanderreihen weniger ent- scheidender Schriftstücke darzustellen. Diese werden zwar durch sehr umfangreiche wörtliche Zitate wiedergegeben, aber nur in aller Kürze kommentiert.

Einen breiten Raum nehmen die Kurzbiogra- phien der Minister bzw. der leitenden Beamten des Ministeriums ein, die nicht immer überzeu- gend und zudem an anderer Stelle verhältnismä- ßig leicht nachzuschlagen sind. Sehr instruktiv sind die Abschnitte über die Geschäftseintei- lung, in denen sowohl die Entstehung der ein- zelnen Referate und Departements als auch de- ren Kompetenzen abgehandelt werden.

In dem Kapitel über die »Vertretungsbehörden«

beschreibt der Verfasser zunächst die Entwick- lung der »Auslandsorganisation« des Auswärti- gen Dienstes seit 1720. In einem ersten, sehr kurz gehaltenen Abschnitt beschäftigt er sich

summarisch mit der Entstehung der diplomati- schen Missionen. Daran anschließend gibt er eine verdienstvolle Chronologie der Missions- chefs, die an Vollständigkeit nichts zu wünschen übrig läßt. Es fragt sich aber, ob diese u m f a n g - reiche Liste dem Text nicht besser als A n h a n g beigefügt worden wäre.

Den Schluß des Textteils bildet die Darstellung der Auflösung des k.u.k. Auswärtigen Dienstes, die sich über zwei Jahre von 1918 bis 1920 er- streckte. Hier bezieht sich der Verfasser im we- sentlichen auf seinen umfangreichen und sehr detaillierten Aufsatz »Die Auflösung des öster- reichisch-ungarischen auswärtigen Dienstes«, der 1977 in den Mitteilungen des Österreichi- schen Staatsarchivs erschienen ist.

Im 40 Seiten umfassenden Anhang werden ver- schiedene, zum größten Teil bisher noch nicht veröffentlichte Quellenstücke zur Entstehung und Arbeitsweise des Auswärtigen Dienstes aus dem Bestand des H a u s - , H o f - und Staatsarchivs abgedruckt.

Insgesamt gesehen gibt der Verfasser, selbst An- gehöriger des österreichischen Bundesministe- riums für Auswärtige Angelegenheiten, einen mit Sympathie geschriebenen Überblick zu dem bisher nur in einigen Teilaspekten und f ü r be- stimmte Zeiträume behandelten T h e m a . Die Veröffentlichung eignet sich vorzüglich als Nachschlagewerk. Nachteilig bemerkbar macht sich allerdings das Fehlen eines Quellen-, Lite- r a t u r · und Abkürzungsverzeichnisses.

Diether Degreif

Detlef Bald: Der deutsche Offizier. So- zial· und Bildungsgeschichte des deut- schen Offizierkorps im 20. Jahrhundert.

M ü n c h e n : Bernard & Graefe 1982. 168 S.

Das Offizierkorps war der H a u p t t r ä g e r des preußisch-deutschen Militarismus. In der Ge- schichte des deutschen Nationalstaates spielte es nicht nur seine Rolle als militärisches Instrument der Politik, sondern es mischte sich immer wie- der selbst aktiv in die Politik ein. An der politi- schen Stoßrichtung herrschte nie ein Zweifel.

Sie war gegen alle T e n d e n z e n und Kräfte ge- richtet, die der Demokratie, des Parlamentaris- mus und des Pazifismus verdächtig waren u n d die als Gegensätze zum Ideal des kriegerischen Machtstaates begriffen wurden. Eine republika- nischen Kriterien verpflichtete Traditionsbil- dung kann aus diesem G r u n d e , wie Bald einlei-

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tend betont (S. 11), in der preußisch-deutschen Militärgeschichte keine tragfähige Basis finden.

Wie konnte es dazu kommen, daß das deutsche Offizierkorps über viele Jahrzehnte hinweg als ein mächtiges — weil über die Militärorganisa- tion verfügendes — Potential autoritärer und an- tipluralistischer Strömungen wirken konnte?

Die Sozial- und Bildungsgeschichte dieser elitä- ren Gruppierung vermag auf diese Frage eine Antwort zu geben. Detlef Bald, Leiter des Pro- jektbereichs Militär und Gesellschaft am Sozial- wissenschaftlichen Institut der Bundeswehr in München, bietet in seinem Buch, das eine Summe aus seinen bisherigen sozialgeschichtli- chen Forschungen über das deutsche Offizier- korps zieht, eine Analyse dieses Berufsstandes, die dadurch ihr besonderes Gepräge erhält, daß sie einen langen Zeitraum — mehr als ein Jahr- hundert — sozialstatistisch zu erfassen versucht.

Auf diese Weise werden langfristige Struktur- entwicklungen sichtbar. Neben der reichhaltigen sozialgeschichtlichen Spezialliteratur wurde auch Archivmaterial ausgewertet.

Die zentrale These des Autors lautet, daß das unter dem Einfluß des Weltverständnisses von Kaiser Wilhelm II. geschaffene Offizierkorps eine erstaunliche Eigendynamik und Lebensfä- higkeit entwickelte. Folgende Kontinuitätslinie wird sichtbar: »Das kaiserlich-deutsche, vom preußischen Monarchen mit den Attributen des

>Adels der Gesinnung< und der e r w ü n s c h t e n Kreise< ausgezeichnete Modell der sozialen Re- krutierung des Offiziernachwuchses hatte lang- fristig eine enorme Bedeutung f ü r das deutsche Militär. Geprägt vom Geist des wilhelminischen Staates überdauerte es das monarchische Sy- stem; seine Nachwirkungen lassen sich bis in die demokratisch verfaßte Bundesrepublik Deutsch- land verfolgen.« (S. 43) Den Forschungen Balds zufolge verlor dieses Modell — nach einem teil- weisen Bedeutungsverlust in der NS-Zeit — end- gültig Mitte der sechziger Jahre dieses J a h r h u n - derts seine strukturierende Funktion f ü r die Zu- sammensetzung des Offizierkorps. W ä h r e n d bislang die Söhne von Angestellten, mittleren Beamten, Unteroffizieren und Arbeitern vom Offizierkorps weitgehend ausgeschlossen blie- ben und somit in diesem Bereich keine sozialen Aufstiegsmöglichkeiten hatten, änderte sich nun das Bild: »Die historisch hervorgetretene T e n - denz zur Abkapselung und Entfremdung des Militärs von der Gesellschaft ist bei dem T r e n d der Daten der sozialen H e r k u n f t seit einem Jahrzehnt nicht mehr erkennbar.« (S. 85) Mit 2 5 9 der Abkehr von den in der Kaiserzeit festgeleg-

ten Selektions- und Rekrutierungsprinzipien än- derte sich nicht nur die Sozialstruktur des O f f i - zierkorps der Bundeswehr, sondern zugleich und als Folge dieser Änderung realisierte sich die seit langem geforderte Integration von Ge- sellschaft und Militär in einem beträchtlichen Ausmaß.

Die ideologisch außerordentlich starke H o m o - genität des Offizierkorps des Kaiserreiches be- ruhte darauf, daß dessen aus Adligen bestehen- der Kern nur solchen bürgerlichen Bewerbern Zutritt gewährte, die zu den »erwünschten Krei- sen« gehörten. Erwünscht war, wer die folgen- den, von Kaiser Wilhelm II. formulierten Bedin- gungen erfüllte: »Liebe zu König und Vater- land, ein warmes H e r z f ü r den Soldatenstand und christliche Gesittung«. In der Praxis bevor- zugte dieses Konzept Vertreter des Besitz- und Bildungsbürgertums, das somit in den monarchi- schen Herrschaftsapparat eingebunden wurde.

Die ausgesuchten bürgerlichen Schichten wur- den »feudalisiert«, indem ihnen die N o r m e n und Ideale der Adligen aufgezwungen w u r d e n , so- fern sie die entsprechende Anpassungsleistung nicht selbst erbrachten.

Wegen der schlechten Quellenlage läßt sich lei- der sozialstatistisch nicht erfassen, in welchem U m f a n g die Politiker der ersten deutschen Re- publik zumindest den Versuch machten, die aus der Monarchie tradierte soziale Struktur des Militärs aufzubrechen. W e n n 1918/19 — in der Übergangsphase von der Monarchie zur Repu- blik — darüber gestritten wurde, ob vorrangig Frontoffiziere oder Generalstabsoffiziere in der Vorläufigen Reichswehr V e r w e n d u n g finden sollten, so verbarg sich hinter diesen Begriffen tendenziell auch ein politisches Problem, näm- lich die Alternative zwischen monarchistischer oder republikanischer Orientierung. Gegen den Willen der republikanischen Politiker vermoch- ten die tonangebenden Offiziere die als demo- kratischer geltenden Frontoffiziere zurückzu- drängen und die Generalstäbler zu bevorzugen, die zu den »erwünschten Kreisen« gerechnet wurden. Mitte der zwanziger Jahre war die kon- servative Exklusivität des alten Offizierkorps vollständig wiederhergestellt. N a h e z u 90% des Offiziernachwuchses entsprachen dem kaiserli- chen Modell der »erwünschten Kreise«. In ei- nem gesonderten Abschnitt untersucht Bald die Bedeutung von Bildungsqualifikation f ü r die Rekrutierung von Offizieren sowie f ü r die Aus- wahl des Personals f ü r militärische Führungspo- sitionen. Er vermag zu zeigen, d a ß es neben der Bejahung von Bildung f ü r die qualifizierte Aus- übung eines Führungsberufes immer auch jene

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gegenläufigen Tendenzen gab, die Intellektuali- tät als »Sucht zu selbständigem Denken« ver- höhnten und Bildung als »Verbildung der Fähig- keiten des Soldaten« abtaten. Die tonangebende adlige Militärführung ließ sich ein nur schwer durchschaubares Herrschaftsmittel einfallen, um Bildung und Leistung als Auswahlkriterien zu- rückzudrängen. Sie bediente sich dazu des Be- griffs »Charakter« und verwendete ihn manipu- lativ in der Weise, daß der an praktisch-militäri- scher Tätigkeit orientierte Tugendkatalog der Adligen das entscheidende Selektionskriterium blieb. W e r sich nicht anpaßte und nicht die

»richtige« Haltung und Ideologie annahm, der hatte eben nicht die »charakterlichen« Eigen- schaften, die zur Aufnahme in das Offizierkorps befähigten. Mit der Einführung des obligatori- schen Hochschulstudiums für Offiziere der Bundeswehr seit 1973 wurde Bildung demge- genüber grundsätzlich neu bewertet.

Wolfram Wette

Unter Wilhelm II. 1890-1918. Hrsg. von Hans Fenske. Darmstadt: Wissenschaftli- che Buchgesellschaft 1982. XVIII, 555 S.

( = Quellen zum politischen Denken der Deutschen im 19. und 20. Jahrhundert.

Freiherr vom Stein-Gedächtnisausgabe.

Bd 7.)

Wie der Bearbeiter einleitend anmerkt, ist es in der T a t kaum möglich, »in einem begrenzten Rahmen eine unanfechtbare Auswahl« der maß- geblichen Dokumente zum »politischen Den- ken« in Deutschland 1890—1918 vorzulegen. Es entstand daher ein »Lesewerk«, das »die politi- schen Meinungen . . . mit repräsentativen Zeug- nissen so zu belegen« versuchte, »daß die wich- tigsten Sachfragen berührt und dabei Sprechern aus allen politischen Lagern Gehör gegeben wurde« (S. 1).

Die 161 z . T . mehrteiligen Dokumente, deren rein chronologische Reihung durch eine syste- matische Übersicht und ein kommentiertes Re- gister ergänzt wird, enthalten primär program- matische und repräsentative Verlautbarungen der Regierung, der ^Parteien und ihrer maßge- benden Vertreter sowie einiger wichtiger Ver- bände (nicht jedoch z.B. der Unternehmerver- bände). Entsprechend stehen allgemeine Verfas- sungsfragen (inkl. Wahlrechts- und Verfas- sungsreformdiskussionen im Weltkrieg), das Verhältnis der Parteien zu Staat, Monarchie und Parlamentarismus u.ä. im Vordergrund.

Probleme der politischen Ökonomie, der Wirt- schaftsverfassung erscheinen praktisch nur unter zoll-, handels- und kolonialpolitischem Vorzei- chen. Konflikte in der Sozialverfassung werden unter weitgehender Ausklammerung des Mittel- standsproblems im Hinblick auf Juden oder Po- len angedeutet, im übrigen relativ breit am Ver- hältnis zur Sozialdemokratie (Umsturz- und Zuchthausvorlage) behandelt. Ebenso sind die internen Richtungskämpfe in der Sozialdemo- kratie recht ausführlich dokumentiert — im Ge- gensatz zu den anderen Parteien, mit Ausnahme (in Ansätzen) des Zentrums. An dieser Stelle hätte ein breiterer Verfassungsbegriff ein Aus- greifen auf die öffentliche Diskussion um So- zialverfassung, Sozialpolitik und Arbeitsrecht (hier sei z.B. an die Arbeitska:mmerfrage erin- nert) nahegelegt. Diese Fragen werden leider zu stark mißachtet, obwohl sie — vielleicht mehr als manche programmatische Erklärung — tiefe und aufschlußreiche Einblicke in das »politische Denken der Deutschen« gewährt hätten.

Statt dessen wurden in größerem Umfang D o - kumente zur Außenpolitik berücksichtigt, die nicht immer einen unmittelbaren Bezug zum politischen Denken haben. Angesichts des oben Gesagten erscheinen Zweifel angebracht, ob es gerechtfertigt war, einzelne Dokumente (Nr. 6, 35, 78, 105, 107) abzudrucken, die bereits in den an gleicher Stelle erscheinenden Bänden von Behnen (Nr. 27, 87, 219) und Hölzle (Nr. 164, 209) in der Serie »Ausgewählte Quel- len zur deutschen Geschichte der Neuzeit« ent- halten sind.

Den bereits von anderer Seite (V. Dotterweich) geäußerten Vorbehalten gegenüber der sehr knappen Kommentierung und Einordnung der Quellen kann sich der Rezensent anschließen.

Im Rahmen der skizzierten Einschränkungen stellt die vorliegende Quellensammlung jedoch ein nützliches Arbeitsbuch für den Unterricht dar. Gunther Mai

Henri Bernard: L'An 14 et la Campagne des illusions. Bruxelles: Renaissance du Livre 1982. 230 S.

Henri Bernard, professeur emerite ä l'Ecole royale militaire et auteur de nombreuses et so- lides publications relatives ä l'histoire militaire a publie en 1982 une etude relative aux deux premieres annees de la guerre 1914—1918. II s'agit d'un ouvrage remarquable ä la fois par le serieux de la documentation, par la profondeur

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et l'ä-propos des commentaires et par l'esprit d'independance avec lequel l'historien emet ses jugements sur la conduite de la guerre par les deux camps. D e part et d'autre, l'elaboration des plans de Campagne partait d'a priori mal fondes.

L ' E t a t - M a j o r f r a n j a i s ne croyait pas que les ar- mees allemandes possedaient suffisamment de troupes pour operer un vaste mouvement ä tra- vers la Belgique et le nord de la France. Le plan allemand »grandiose au point de vue strategi- que« meconnaissait un principe de Clausewitz Selon lequel la politique et la Strategie forment un tout: meme si les milieux financiers et indus- triels britanniques etaient opposes ä la participa- tion de leur pays ä la guerre, la Grande-Bre- tragne entra dans le conflit parce que la viola- tion de la neutralite beige heurtait un des dogmes de la politique britannique qui voulait qu'aucune Grande Puissance n'ait la maitrise des ports d'Anvers et d'Ostende. II y avait meme (comme en 1940) des raisons de croire en 1914 qu'au cas ou la France serait eliminee, Albion chercherait ä continuer la guerre.

H e n r i Bernard narre les combats pour la defense de la position fortifiee de Liege. D u cöte alle- mand, des troupes plus nombreuses, superieure- ment equipees, notamment en artillerie lourde de siege. D u cöte beige, une position desuete, incapable de resister aux obus de 420. Malgre toutes ces deficiences, au cours des journees du 5 et du 6 aoüt, les assaillants furent repousses des collines boisees du Sart Tilman dans un des intervalles entre des forts. Vingt cinq ans plus tard, Hitler qui voulait montrer la superiorite de la W e h r m a c h t sur l'ancienne armee imperiale, evoquera la panique qu'avaient connue deux bri- gades allemandes dans cet assaut. L'absence d'un contre-espionnage serieux permit ä Luden- dorff de profiter de la trahison d'un Beige pour trouver degarni de troupes un defile entre deux forts. D'autre part, la non-observation d'un or- dre du general Leman, commandant de la posi- tion, donna aux Allemands la chance de trouver un pont intact au coeur de la ville. Ludendorff penetra dans Liege le 7 aoüt. P o u r le 16 du meme mois, tous les forts avaient ete ecrases par l'artillerie lourde adverse. II faut considerer comme une legende l'affirmation selon laquelle la resistance de Liege a contribue ä la victoire de la Marne. Les archives allemandes apportent la preuve que le timing des premiere et deuxieme Armees n'a pas ete affecte par l'opposition ren- contree ä cet endroit.

La victoire beige ä Halen a ete due a une erreur allemande: des charges ä cheval contre des feux postes. Ce sera d'ailleurs la derniere charge de la

cavalerie allemande. Au cours de la retraite des Franco-Britanniques, la resistance des Britanni- ques ä M ö n s f u t le premier brise-lames oppose aux armees lancees dans la course ä la mer.

H e n r i Bernard apporte diverses explications au fait que l'armee beige s'enferma dans la position fortifiee d'Anvers et il affirme que les sorties des assieges, pendant la bataille de la M a r n e , ont contraint l ' E t a t - M a j o r allemand ä ramener des forces importantes vers l'arriere.

L'inaptitude du H a u t - C o m m a n d e m e n t beige, le fait que des distances de plus en plus grandes se- paraient l'armee beige de ses allies, le tempera- ment enclin au pessimisme d'Albert 1er ont ete autant de circonstances qui ont, ä Anvers et sur l'Yser, incite a deux reprises le c o m m a n d a n t en chef des forces beiges ä envisager serieusement de capituler. Les pressions exercees sur le roi par le Premier Ministre et par le secretaire personnel du roi ont reussi ä ecarter ce danger. La retraite des forces beiges de la position d'Anvers, la di- rection prise par cette retraite passerent presqu'inaperfues des Allemands: quand ceux-ci eurent franchi l'Escaut, ils pousserent vers l'est, croyant que toute l'armee beige se refugiait aux Pays-Bas. Seuls 33 000 hommes, surtout ceux venant des forts, passerent en Hollande.

L'historien decrit la bataille de l'Yser au cours de laquelle l'appui de l'artillerie de marine bri- tannique f u t tres efficace; l'entree en ligne des forces franfaises se revela assez tardive. A pro- pos des inondations de la plaine de l'Yser, H e n r i Bernard demontre que l'idee de creer ce lac arti- ficiel qui bloqua l'armee allemande, est ä attri- buer non ä un militaire, mais ä un specialiste de l'histoire locale. A cette occasion, les Allemands ont commis une erreur qui allait permettre aux Allifes de gagner une bataille d'arret dans la course ä la mer: ignorant les proprietes du site et le röle primordial du systeme hydraulique, l ' E t a t - M a j o r allemand ne donna pas l'ordre, des le 26 octobre, de s'emparer des ecluses avant les Beiges. Au cours de leur offensive vers l'ouest, les Allemands n ' o n t pas non plus dispose leurs forces en profondeur. D'apres l'auteur, ces er- reurs ne leur ont pas permis en aoüt 1914 de ga- gner la guerre ou tout au moins d'eliminer sur terre les forces alliees.

En rfesume, ont doit constater la meme bravoure de la troupe et une competence souvent discuta- ble du H a u t - C o m m a n d e m e n t , et ce dans les deux camps. Henri Bernard cite une phrase de Churchill: »On oublie trop que la guerre est faite par l'homme et que le propre de l'homme est de se tromper.« II rappelle aussi qu'apres la defaite, en novembre, dans la bataille des Flan-

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dres, le general von Falkenhayn ecrivit dans un rapport que l'Allemagne ne pouvait gagner une guerre sur deux fronts. C'etait la une Ιεςοη dont l'armee de Guillaume II, et apres eile Hitler, ne tinrent pas compte. Et cela au grand dam non seulement de l'Allemagne, mais de l'Europe qui sortit affaiblie des deux guerres mondiales.

Leon Papeleux

1 Entre autres, une magistrate synthese en trois vo- lumes: Guerre totale, guerre revolutionnaire.

Bruxelles 1 9 6 5 - 6 7 .

Hansjakob Stehle: Eastern Politics of the Vatican 1917—1979. Translated by San- dra Smith. Athens, London: Ohio Univer- sity Press 1981. 466 S.

Das vorliegende Buch ist die Ubersetzung und zugleich aktualisierte sowie um ein Kapitel über Papst Johannes Paul II. erweiterte Fassung des 1975 in deutscher Sprache erschienenen Werkes

»Die Ostpolitik des Vatikans«. Stehles Anliegen ist es, die wechselnden Formen kurialer Politik gegenüber einem im Anfang völlig neuartigen Gegenspieler, dem Marxismus-Leninismus als staatsgestaltender Macht, zu beschreiben und einsichtig zu machen. Vor die Frage gestellt, kirchliche Macht- und Prestigefragen oder aber eine bisweilen kaum erkennbare (Minimal-)Si- cherung von Seelsorge stärker zu betonen, hat der Vatikan letztlich der seelsorglichen Aufgabe zu dienen gesucht. Damit relativieren sich viele Verdikte über die strikt antikommunistische Haltung der Kurie im Vergleich zu der weniger strikten Haltung gegenüber Nationalsozialismus und Faschismus.

Die besondere Bedeutung des Buches beruht auf der Schilderung der päpstlichen Politik in den dreißiger und vierziger Jahren, jener Zeit der Auseinandersetzung mit dem unterschiedlich be- gründeten Atheismus und der Kirchenverfol- gung durch die totalitären Systeme. Der ambi- tionierte Versuch Papst Pius XII. zu einer un- parteilichen Haltung in der Zeit des Zweiten Weltkrieges, der letztlich zum vielfach verurteil- ten »Schweigen des Papstes« gegenüber dem na- tionalsozialistischen Völkermord führte, zielte darauf, am Ende des Krieges einem Verständi- gungsfrieden maßgeblich dienen zu können. Da Pius XII. hierin scheiterte, ist seine nach 1945 gänzlich intransigente Haltung gegenüber dem Kommunismus als Konsequenz seiner Erfahrun- gen zu begreifen.

Stehle arbeitet sehr nuanciert die Bedeutung Po- lens für die vatikanische Ostpolitik heraus. Er beschreibt, daß die römische Abwendung von Polen während der fünfziger Jahre dann in den Sechzigern durch Johannes XXIII. überwunden wurde und unter Paul VI. in der Phase der all- gemeinen Ost-West-Entspannung konstruktiv weiterentwickelt worden ist. Obwohl der Angel- punkt der vatikanischen Ostpolitik stets die So- wjetunion sei, kann doch die Bedeutung Polens für die Kurie nicht hoch genug veranschlagt werden, zumal seit Johannes Paul II. der polni- sche Katholizismus und die Weltkirche als Ge- genspieler und Gesprächspartner Moskaus per- sonell nahezu identisch geworden sind.

Anselm Doering-Manteuffel

Comte Henri Carton de Wiart: Souvenirs politiques 1918—1951. Bruxelles: La Re- naissance du Livre 1981. 349 S.

Es ist dem Verfasser als Verdienst anzurechnen, daß er mit diesem zweiten Band seiner »Souve- nirs« dem historisch, politisch und sozial Inter- essierten eine recht genaue Beschreibung eines verhängnisvollen Zeitabschnittes gab. Als Volks- vertreter, Minister und Kanzler in Belgien, als überzeugter Royalist, Vorsitzender der Oslolän- der und Abgeordneter des Völkerbundes, als Freund und Bekannter vieler politischer Zeitge- nossen, hat Carton de Wiart nicht nur die belgi- sche, sondern auch die europäische und sogar die Weltpolitik mitgestaltet. Obwohl er »nur«

Politiker eines kleinen Staates war, waren doch die politischen, ökonomischen und sozialen Probleme, die er behandelte, diejenigen vieler oder sogar aller demokratischen Länder in den Jahren 1918—1951: wachsende Staatsschulden nach dem Ersten Weltkrieg; Abwertungen, um das Defizit der Staatsfinanzen zu bekämpfen;

Streitigkeiten zwischen den politischen Par- teien; Verlust vertrauter bürgerlicher Werte wie Religion, Familie, Vaterland; Krise des demo- kratischen Regimes; Neutralitätsfragen kleiner Länder zwischen starken feindlichen Nachbarn.

In Belgien stritt Carton de Wiart mit dem demo- kratischen Flügel seiner christlichen Partei er- folgreich für den Achtstundentag, für allgemei- nes Wahlrecht, für Kindergeld und gegen Kin- der· und Frauennachtarbeit, aber er bekämpfte auch immer die »verschwenderische« Politik der sozialistischen Partei. Auch hatte er ein gewisses

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Verständnis für die flämischen Bestrebungen nach Gleichberechtigung ihrer eigenen Sprache, ohne jedoch das Problem des Zusammenlebens zweier Völker in einem Staat und dessen Ent- wicklung unter sozial, ökonomisch und kulturell sich wandelnden Umständen völlig zu verste- hen. Während seiner langen politischen Lauf- bahn reduzierte er die in Belgien so wichtige Nationalitätenfrage auf das Sprachenproblem, obwohl es während dieser 50 Jahre immer deut- licher wurde, daß die in Belgien wohnenden Völker nicht nur zwei verschiedene Sprachen sprechen, sondern auch sozial, politisch und philosophisch ganz unterschiedlich denken. Daß er für alle »Sprachenprobleme« in Belgien die deutschen Besatzungsbehörden und ihre flämi- schen Kollaborateure während der zwei Welt- kriege verantwortlich macht, ist simplifizierend, obwohl diese die Nationalitätengegensätze natürlich ausnutzten.

Auf der europäischen und weltpolitischen Szene hatte dieser belgische Politiker — seinen »Souve- nirs« nach — Verständnis für die Schwierigkei- ten Deutschlands nach dem Ersten Weltkrieg.

Er sah ein, daß die Reparationszahlungen ange- messen sein müßten. Auch hatte er, wie damals viele »rechte« Politiker, eine gewisse Bewunde- rung für Deutschland und Italien, die durch eine starke autokratische Regierung erfolgreich die bolschewistische Gefahr abwenden konnten. In der Rheinfrage aber war er ein treuer Unterstüt- zer der französischen Politik. 1925 gelang es deutschen Politikern wie Stresemann, v. Schu- bert und Graf Bernstorff, mit Carton de Wiart und anderen das Verbot chemischer und bakte- riologischer Waffen im Völkerbund durchzuset- zen. Zusammen mit Prälat Kaas, dem Vorsit- zenden der Deutschen Zentrumspartei, sah er mit wachsender Unruhe das Auftreten der Na- tionalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei und den Antisemitismus ihrer Politiker. Als Vor- sitzender der Gruppe von Oslo, eines Verbandes europäischer Länder, der in den dreißiger Jah- ren versuchte, zwischen den damaligen Groß- mächten zu vermitteln und den drohenden Krieg abzuwenden, spielte Carton de Wiart eine wichtige Rolle.

Die Materie, meist oberflächlich, doch ab und zu auch tiefergehend beschrieben, in einer schö- nen und doch nicht zu schwierigen französi- schen Sprache, manchmal nicht ohne Selbstge- fälligkeit, wird letztlich objektiv dargestellt. Die Gliederung in 17 Kapitel — das letzte wurde teilweise von Mitgliedern seiner Familie nach Dokumenten und Texten des Autors geschrie- ben —, die Hervorhebung der wichtigsten Ab-

schnitte am Anfang jedes Kapitels und ein Per- sonenregister machen es dem Leser möglich, die ihn jeweils interessierenden Themen auszuwäh- len. Luc De Vos

Heinrich Potthoff: Gewerkschaften und Politik zwischen Revolution und Infla- tion. Hrsg. von der Kommission für Ge- schichte des Parlamentarismus und der Politischen Parteien. Düsseldorf: Droste 1979. 504 S. ( = Beiträge zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien. Bd 66.)

Potthoff untersucht die deutsche Gewerk- schaftsgeschichte in der besonders ereignisrei- chen Periode zwischen der Novemberrevolution 1918 und der Inflation 1923. Das Buch zeichnet sich weniger durch eine aufsehenerregende neue These als vielmehr durch eine quellennahe Dar- stellung aus, die insgesamt viel Neues bietet.

Sein Interesse am Detail rechtfertigt der Autor mit dem Hinweis auf den Untersuchungsgegen- stand selbst, nämlich die »stark auf kleine Fort- schritte orientierte Praxis« der gewerkschaftli- chen Arbeit (S. 15).

Die ersten Kapitel sind chronologisch angelegt.

Dargestellt werden der Prozeß der Umorientie- rung der Gewerkschaften am Ende des Ersten Weltkrieges (Kap. I), die Gewerkschaftspolitik in der revolutionären Umbruchphase (Kap. II), die Einschaltung der Gewerkschaften in das für sie neue Gebiet der Außenpolitik, und zwar während der Auseinandersetzungen um den Versailler Friedensvertrag (Kap. III), sowie die Rolle der Gewerkschaften während des Kapp- Lüttwitz-Putsches im März 1920 (Kap. IV). Da- nach werden zwei systematische Fragen behan- delt: Der ADGB und das sozialistische Parteien- lager (Kap. V) und die Position der Gewerk- schaften im politisch-parlamentarischen System (Kap. VI). Im Mittelpunkt des Buches steht das Interesse an der Frage, wie die Gewerkschaften die neuen Möglichkeiten der Funktionserweite- rung und der Machtentfaltung, die ihnen die Gründung der parlamentarischen Republik bot, praktisch nutzten.

Aus militärhistorischer Sicht ist das umfangrei- che Werk nicht so ergiebig wie es sein könnte, denn der Autor hat das komplizierte Verhältnis von Militär und Gewerkschaften, das für die Geschichte der ersten deutschen Republik eine nicht zu unterschätzende destruktive Bedeutung

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hatte, nicht systematisch, sondern nur am Rande behandelt. Das gilt auch für die Darstellung je- nes großen innenpolitischen Konflikts, in dem Militär und Gewerkschaften sich in direkter Konfrontation gegenüberstanden, nämlich des Militärputsches gegen die Republik vom März 1920 und seiner erfolgreichen Abwehr durch das schwerste gewerkschaftliche Kampfmittel, den politischen Generalstreik.

Für die Leser dieser Zeitschrift dürfte Potthoffs Kapitel über »Die Technische Nothilfe und das Notstandsproblem« (S. 158—177) von besonde- rem Interesse sein. Es stellt eine wichtige Ergän- zung zu Michael A. Katers Untersuchung der

»Teno« dar (VfZG 1978). Gedacht als staatli- ches Instrument zur Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit lebenswichtiger Betriebe während der Dauer von Arbeitskämpfen, stand die Technische Nothilfe aus der Sicht der Ge- werkschaften unter dem Verdacht, eine politi- sche Streikbrecherorganisation zu sein. Genährt wurde diese Einstellung sowohl durch die spezi- fischen Entstehungsbedingungen der »Teno« — sie wurde im Januar 1919 unter der politischen Verantwortung des Volksbeauftragten Noske durch die berüchtigte Garde-Kavallerie-Schüt- zen-Division ins Leben gerufen — als auch durch ihr paramilitärisches Erscheinungsbild.

Ihr »militaristisches« Image verlor die Techni- sche Nothilfe auch dann nicht, als sie im Herbst 1919 aus der Verfügungsgewalt des Reichswehrministers in die des Reichsinnenmi- nisters überführt wurde. Wolfram Wette

Der Kapp-Putsch in Kiel. Eine Dokumen- tation zum 60. Jahrestag der Märzereig- nisse von 1920. Hrsg. von Dirk Dähn- hardt und Gerhard Granier. Kiel: Gesell- schaft für Kieler Stadtgeschichte 1980.

149 S., 6 Abb. ( = Mitteilungen der Ge- sellschaft für Kieler Stadtgeschichte. Bd 66.)

Der Kapp-Lüttwitz-Putsch führte bekanntlich die Reichsmarine im März 1920 aufgrund der offenen Option des Chefs der Admiralität, des Vizeadmirals v. Trotha, für Kapp in eine tief- greifende Krise, die durch die starre und kom- promißlose Haltung der beiden Stationschefs in Wilhelmshaven und Kiel noch verschärft wurde.

Im Gegensatz zu Wilhelmshaven, wo Deck- und Unteroffiziere unter Berufung auf ihren Verfassungseid am 15. März 1920 die Seeoffi- ziere von ihren Dienstposten entfernten und

größtenteils in Schutzhaft nahmen, kam es in Kiel bereits am 13. März zu bewaffneten und blutigen Auseinandersetzungen zwischen Arbei- tern und Marineformationen. Anhand der hier angezeigten Dokumentation lassen sich die wechselvollen und dramatischen Kieler Märzer- eignisse jetzt minutiös nachvollziehen. Die bei- den Herausgeber haben sich durch ihre fundier- ten Untersuchungen bereits als Kenner der Ma- terie ausgewiesen1.

Nach einer knappen Einleitung, die einen ge- rafften Uberblick der Ereignisse bringt und in der mehr Hinweise auf die abgedruckten Quel- len wünschenswert gewesen wären, folgen 23 Dokumente (dienstliche Tagebuchaufzeichnun- gen, Berichte, Meldungen, Bekanntmachungen, Aufrufe usw.), die durch einen umfangreichen Anmerkungsapparat sachkundig aufbereitet sind. Problematisch erweisen sich allerdings ei- nige kenntlich gemachte Auslassungen bei den Dokumenten, denn beim Vergleich mit den ent- sprechenden Originalvorlagen fällt auf, daß die Auslassungen mehr enthalten, als die kurzen In- haltsangaben vermuten lassen. So bringt z.B.

das Original des Dokumentes Nr. 19 am Schluß nicht nur »eine zusammenfassende Würdigung des Verhaltens der Truppe und der Offiziere«

(S. 77), sondern auch eine recht kritische Ein- schätzung des Einflusses des Deckoffizierbun- des. Der bei dem Dokument Nr. 22 weggelas- sene Abschnitt (S. 88) enthält nicht nur »allge- meine, den Putsch verurteilende Erwägungen«, sondern die politische Lagebeurteilung eines ho- hen Seeoffiziers (Kapitän z. S. Feldmann, Kom- mandeur des Zeitfreiwilligen-Regiments), der einerseits wohl den Putsch ablehnte, doch ande- rerseits aufgrund seiner Informationen davon überzeugt war, »daß im Frühjahr im Anschluß an eine militärische Westoffensive Sowjetruß- lands auch in Deutschland Aufstände mit dem Ziel der Ausrufung der Räte-Republik ausbre- chen würden«2. Nur unter Berücksichtigung die- ser objektiv falschen Lageeinschätzung ist es zu erklären, daß in Kiel viele Marineformationen noch bei den blutigen Kämpfen am 18. März »in ihren Gegnern Spartakisten« vermuteten (Dok.

18, S. 65).

Die Herausgeber haben sich bemüht, die Ereig- nisse aus der Sicht beider kämpfenden Parteien zu dokumentieren, was ihnen jedoch aufgrund der Quellenlage leider nur unvollkommen ge- lang, denn es konnten keine Zeugnisse aus der Arbeiterschaft ermittelt werden (S. 12). So blei- ben Fragen nach der inneren Struktur der Arbei- terwehr sowie nach Art und Weise ihrer schnel- len Bewaffnung am 13. März ungeklärt. Dem-

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gegenüber zeigen die Dokumente aus dem mili- tärischen Bereich eindrucksvoll das ganze Di- lemma von Truppenverbänden, die — über die innenpolitische Lage völlig falsch informiert — zunächst tapfer und gehorsam kämpfen, dann jedoch innerlich mehr und mehr zerbrechen, da der verantwortliche Befehlshaber, der Stations- chef Konteradmiral v. Levetzow, in seiner U n f ä - higkeit zur realistischen politischen Lagebeurtei- lung noch starr seinen Willen durchsetzen wollte, w o Kompromißbereitschaft dringend er- forderlich gewesen wäre.

D o c h selbst bei der Auswertung des reichlich überlieferten militärischen Quellenmaterials ha- ben die Herausgeber den einen oder anderen Aspekt übersehen bzw. übergangen. So fehlt ζ. B. jeder Hinweis auf die I. Torpedobootsflot- tille unter Korvettenkapitän Albrecht, die sich den turbulenten Ereignissen rechtzeitig entzie- hen konnte. M a n hätte auch gern mehr über den Einfluß des Deckoffizierbundes und des Bundes der Berufssoldaten sowie über die Hintergründe erfahren, die zur Ernennung des (»Volksoffi- ziers« — so S. 12!) Leutnants z. S. v. Seidlitz zum Stationschef führten, zumal gerade über dessen Verhalten während der kritischen T a g e ein ent- sprechender »Tatbericht« in den Akten vorliegt.

Diese wenigen Hinweise sollen nur verdeutli- chen, daß jede detaillierte Rekonstruktion und Analyse von historischen Ereignissen — selbst wenn sie zeitlich und räumlich begrenzt sind — mit unterschiedlichen Fragestellungen ergänzt und erweitert werden können. Insgesamt gese- hen ist es jedoch den Herausgebern mit dieser D o k u m e n t a t i o n gelungen, nicht nur einen wert- vollen Beitrag zur Stadtgeschichte von Kiel, sondern auch zur weiteren Erforschung des Kapp-Lüttwitz-Putsches vorzulegen.

Werner Rahn

1 Siehe D. Dähnhardt: Revolution in Kiel. Neumün- ster 1978; G. Granier: Magnus von Levetzow.

Seeoffizier, Monarchist und Wegbereiter Hitlers.

Boppard a. Rh. 1982.

2 Zit. aus dem weggelassenen Abschnitt des Dök.

22. Fundort s. ebd. Anm. 246.

Leo Trotzki: Tagebuch im Exil. Köln:

Kiepenheuer & Witsch 1979. 278 S. [Titel der amerikanischen Ausg.: T r o t z k y ' s Diary in Exile.]

Analytische Hellsichtigkeit, eine ganz unge- wöhnliche Klarheit der Diktion und eine beste- chende Schlichtheit der Sprache und der Ge- d a n k e n f ü h r u n g sind Hauptmerkmale der T a g e - bücher Trotzkis. Sie können all denjenigen zur Lektüre empfohlen werden, die erkennen wol- len, wie jemand marxistisch u n d revolutionär schreibt, ohne jene W o r t - , Satz- und G e d a n k e n - ungetüme eines stalinistisch verhunzten, epigo- nalen Bolschewismus mit sich zu schleppen. Bei allem ist T r o t z k i kein Theoretiker. Er ist kriti- scher D e n k e r und knapper Essayist mit breitge- fächerten Interessen. Kein W u n d e r , daß er ein brillanter Militärorganisator geworden ist. Wie ja auch die deutsche Geschichte zeigt, scheint dieser Denkstil ausgesprochen gut mit den Er- fordernissen der Schöpfung neuer Militärorga- nisationen zusammenzugehen.

Die Tagebücher geben Einblick in die Ereignisse und Reflexionen des Jahres 1935. Ihr H a u p t - thema ist die Kritik an der Politik der Arbeiter- parteien der II. (sozialdemokratischen) u n d III.

(marxistisch-leninistischen) Internationale gegen den Faschismus. Es ist eine lebhafte, in vielem auf Frankreich konzentrierte Auseinanderset- zung mit den Grenzen des sozialdemokrati- schen Revisionismus, und sie ist eine Abrech- nung mit der Politik Stalins. Es spielt ein Stück Nostalgie mit, wenn T r o t z k i feststellt, d a ß die Entschließung zum Problem der Kriegsgefahr, welche die II. Internationale 1935 angenommen hat, »unermeßlich tiefer als das Manifest, das am Vorabend des Krieges auf dem Baseler Kon- greß (1912) beschlossen wurde«, steht (S. 150).

Aber diese und ähnliche Kommentare deuten doch gleichzeitig auf den eigentlichen großen Verlust der marxistischen Tradition in dieser Zeit hin: die Unfähigkeit, kritisch die nationale und internationale Lage zu analysieren. Aller- dings w a r auch Trotzkis H o f f n u n g und Erwar- tung mehr als zweifelhaft, daß »aus dem Blut der Kriege und Aufstände [die T r o t z k i erwar- tete] . . . sich eine neue Generation erheben [wird], die des gegenwärtigen Zeitalters und sei- ner Zielsetzungen würdig ist« (ebd.).

Die persönlicheren Schichten des Tagebuches zeigen eine wohl bekannte, aber doch immer wieder überraschende Dimension Trotzkischen Denkens. So ist seine haßerfüllte Auseinander- setzung mit Stalin auch Ausdruck eines sehr emotionalen Widerstandes gegen den »eisernen

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Käfig« (Max Weber) eines bürokratischen und wissenschaftlichen Rationalismus und eines stark ausgeprägten Antimechanismus. Nicht me- chanische oder gar bürokratisch regulierbare Abläufe, sondern autonome, organische Pro- zesse bestimmen nach T r o t z k i die sozialen Ent- wicklungsvorgänge, die man als Revolutionär allenfalls nutzen, nie aber schaffen kann. Das sind sehr zurückhaltende und recht ungewöhnli- che Worte f ü r einen der erfolgreichsten Revolu- tionäre des 20. Jahrhunderts. Michael Geyer

Heinrich Volberg: Auslandsdeutschtum und Drittes Reich. D e r Fall Argentinien.

Köln, W i e n : Böhlau 1981. X I V , 221 S.

D e r Verfasser arbeitete zwischen 1928 und 1970 in Südamerika als Vertreter wirtschaftlicher U n - ternehmen sowie als amtlicher Marktbeobach- ter. Bis 1945 fungierte er zusätzlich als Ver- trauensmann Buenos Aires des Außenhandels- amtes der N S D A P . D a r ü b e r hinaus leitete Vol- berg damals das »Deutsche Hilfswerk« in Ar- gentinien (wie die dortige NS-Volkswohlfahrt seit 1939 firmierte).

V o r diesem Hintergrund und nach Abschluß ei- nes Geschichtsstudiums entstand das vorlie- gende Buch über die Deutschen in Argentinien, ihr Verhältnis zum »Dritten Reich« und die T ä - tigkeit ihrer Nationalsozialisten. Darüber w u r d e bereits eine ebenso umfangreiche wie unseriöse Literatur zusammengeschrieben, deren Pamphletisten die tatsächlichen Verhältnisse bis zur Groteske zu verzerren wußten. Ihre Anga- ben sind mittlerweile auch in wissenschaftliche Monographien eingeflossen. Dieser Strömung will Volberg mit Fakten entgegenwirken. Seine Studie versteht sich aber nicht als umfassende Untersuchung des Themas, sondern nur als Bei- trag f ü r ein solches Vorhaben. Er soll die Ereig- nisse in Argentinien zwischen 1933 und 1945 aus der Sicht beteiligter Auslandsdeutscher fest- halten. D e r Autor stützt sich dabei auf einige amtliche Quellen (des Bundesarchivs), vornehm- lich aber auf seine Erinnerungen und die ande- rer ehemaliger NS-Funktionäre, die ihm am Ende der 70er Jahre ihre Arbeit in Argentinien schilderten. Zusätzlich wurden die zeitgenössi- sche rechtsorientierte Publizistik des dortigen Deutschtums, Jahres- und Tätigkeitsberichte seiner politischen, sozialen oder kulturellen O r - ganisationen sowie einige moderne Darstellun- gen ausgewertet. D e r Text ist durch Reproduk-

tionen von Schreiben, Amtsdrucken oder Plaka- ten aufgelockert sowie durch einen Bildteil (30 Fotos) ergänzt. Ein Sach- und Personenregister spricht f ü r die Sorgfalt bei der Herstellung des Buches.

Zur Einleitung wird die Situation des Deutsch- tums am La Plata vor 1933 skizziert. Die Bevöl- kerungsgruppe hatte 1914—18 nur kurzfristig zu solidarischen Verhaltensformen gefunden, um sich gegen Polemik und Boykotts behaupten zu können. In den 20er Jahren kamen die politi- schen, sozialen und kulturellen Gegensätze zwi- schen Arbeitern, Siedlern und Handelsleuten, zwischen Deutsch-Argentiniern und Deutschen in Argentinien wieder zur Geltung.

Als Zielgruppe der Auslandsorganisation (AO) der N S D A P kamen nur die Reichsdeutschen in Betracht. Sie wurden 1931 von einem völkischen Redakteur in Buenos Aires zur G r ü n d u n g einer Nationalsozialistischen Vereinigung aufgerufen, die zunächst 120, 1932 ca. 220 Mitglieder zählte. Die Eintrittsgesuche mehrten sich ab

1933, doch insgesamt umfaßte die N S D A P - L a n - desgruppe Argentinien wohl nie mehr als 2000 Parteigenossen (Stand 1935): meist Arbeiter, H a n d w e r k e r und Angestellte. Sympathisanten konnten sich einem »Opferring« anschließen, der maximal ca. 4—5000 Anhänger umfaßte. Als größte NS-Organisation in Argentinien vereinte schließlich die Deutsche Arbeitsfront etwas mehr als 9000 Mitglieder.

Verschiedene NS-Organisationen brachten den Reichs- und Volksdeutschen in Argentinien greifbare Vorteile. So arbeitete etwa die Wirt- schaftsstelle der Landesgruppe in K o n k u r r e n z zur Außenhandelsabteilung der Botschaft. Ü b e r das AO-Außenhandelsamt und die Dienststelle A O beim Reichswirtschaftsministerium konnte sie dank intensiver Marktbeobachtung der deut- schen Wirtschaft bis weit in die Kriegszeit Auf- träge in ganz Südamerika vermitteln. Eine nicht minder emsige Aktivität entfaltete die N S V bei den jährlichen Wohlfahrtssammlungen. Die bis 1944 beachtlich steigenden Erträge w u r d e n vor 1935 größtenteils nach Deutschland abgeführt, danach aber auf einschlägige Organisationen im eigenen Land verteilt.

Generell hatten es die Funktionäre der Landes- gruppe Argentinien um 1933 verstanden, be- stimmenden Einfluß auf die Vorstandsposten wichtiger Deutschtumsorganisationen zu gewin- nen bzw. diese selbst zu besetzen. Allmählich la- gerten sich um den harten Kern der Parteige- nossen immer breitere Kreise von Auslandsdeut- schen, die dem Nationalsozialismus in seiner f ü r sie erfahrbaren Gestalt Anerkennung, ja Zustim-

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m u n g zollten. Dies wurde bei Massenkundge- bungen sichtbar, bei denen bis zu 20 000 Teil- nehmer aufmarschierten.

Diese Entwicklung rief immer deutlichere anti- (NS-)deutsche Reaktionen hervor. Sie wurden zunächst von argentinischen Sozialisten und J u - den in Zusammenarbeit mit deutschen Emigran- ten (nicht immer fein) formuliert. Zeitweilige Kontakte zwischen der Landesgruppe und ein- heimischen Faschisten erregten bald auch die Besorgnis der Regierung. Sie erließ 1939 eine Präzisierung der Vereinsgesetzgebung, die jede Organisation in Argentinien auf demokratische Prinzipien verpflichtete. Doch die N S D A P und ihre Einrichtungen unterliefen die M a ß n a h m e , indem sie sich scheinbar auflösten, aber unter neuen N a m e n weiterbestanden. Sie mußten sich 1941—43 eine scharfe Ü b e r p r ü f u n g durch die parlamentarische »Kommission zur Untersu- chung anti-argentinischer Tätigkeiten« gefallen lassen, die ihnen jedoch keinerlei Umtriebe als

»5. Kolonne des Dritten Reiches« nachweisen konnte. Erst die Kriegserklärung Argentiniens vom 27. M ä r z 1945 leitete das Ende des natio- nalsozialistischen Kapitels in der Geschichte des Deutschtums am La Plata ein.

Volberg hat zur Erforschung dieses Kapitels wichtige Informationen geliefert und damit die selbstgestellte Aufgabe erfüllt. Freilich: w o seine Fakten aufhören, beginnen die Fragen. Eine Analyse der von ihm geschilderten Entwicklung wird nicht nur f ü r das Wissen um die Verbrei- tung des braunen Unheils unter den Deutschen im Ausland, sondern auch in Deutschland selbst Erklärungskraft haben. J. Kloosterhuis

Geheimdienste und Widerstandsbewegun- gen im Zweiten Weltkrieg. Mit Beiträgen von Jürgen Heideking, Franz Knipping, T h o m a s Koch, Hermann-Josef Mall- mann, Gerhard Schulz. Hrsg. von Ger- hard Schulz. Göttingen: V a n d e n h o e c k &

Ruprecht 1982. 230 S.

Schwer überschaubar und noch lange nicht ein- deutig zu bestimmen ist der Einfluß, den die re- gen Aktivitäten der verschiedenen Geheimdien- ste auf die Politik, die Strategie und die militäri- schen Operationen im Zweiten Weltkrieg hat- ten. Weitgehend im dunkeln liegt nach wie vor das Ausmaß der von sowjetischer Seite betriebe- nen Spionage und Subversion. Dagegen ist f ü r die westlichen Länder — Großbritannien, die

Vereinigten Staaten und Frankreich — seit Jah- ren eine Fülle von Literatur erschienen, zu der nach den schwer überprüfbaren Memoiren in- zwischen auch eine Vielzahl wissenschaftlicher Untersuchungen auf der Grundlage jetzt zu- gänglicher amtlicher D o k u m e n t e gekommen ist.

Die Probleme dieser »bisher fast ausschließlich außerhalb Deutschlands geführten Diskussion und betriebenen Forschung hierzulande be- kanntzumachen« — so Gerhard Schulz in seiner Einleitung »Alliierte Geheimdienste und Wider- standsbewegungen im Zweiten Weltkrieg« — ist die Absicht der fünf Tübinger Autoren. Sie wol- len eine Vorstellung von der Tragweite dieser Fragen auch f ü r die deutsche Geschichtswissen- schaft vermitteln. D a z u beschreibt Schulz selbst (»Englische Geheimdienste und europäische Wi- derstandsbewegungen«) die Geschichte der ent- sprechenden britischen Stellen vom 18. J a h r h u n - dert bis in den Zweiten Weltkrieg hinein. G r o - ßen W e r t mißt er ihren Erfahrungen mit der Guerillakriegführung in Irland bei, während die Aktivitäten im Ersten Weltkrieg — teilweise Bei- spiel und Anknüpfungspunkt f ü r die Geheim- dienstarbeit etwa im besetzten Belgien 1940 — weitgehend ausgespart werden. T h o m a s Koch (»Der amerikanische Geheimdienst OSS — O f - fice of Strategie Services — und die Wider- standsbewegungen«) untersucht die Entstehung des amerikanischen Pendants und geht auf die Probleme ein, die sich ihm im Mittelmeerraum, vor der Invasion in Frankreich und schließlich in China stellten. Franz Knipping (»Reseaux und Mouvements in der französischen Resistance, 1940—1945«) vermittelt ein anschauliches Bild von der komplizierten Geschichte der französi- schen Geheimdienste innerhalb und außerhalb des Mutterlandes und ihrem Zusammenwirken mit den Agentennetzen (reseaux) und Wider- standsbewegungen (mouvements) zum Schaden der deutschen Besatzungstruppen. Besonders in- teressant ist der Bericht von Jürgen Heideking (»Die >Schweizer Straßen< des europäischen Wi- derstands«) über die Bedeutung der immer we- niger neutralen Schweiz als K n o t e n p u n k t in ei- nem Kommunikationsnetz, das eine Vielzahl von Widerstandsbewegungen miteinander ver- band und schließlich auch Verhandlungen zwi- schen den Kriegsgegnern erleichterte. Zum Schluß schildert Hermann-Josef Mallmann (»Die Armia Krajowa und die alliierten Mächte.

Z u m polnischen Widerstand«) anhand der in den Westsprachen erschienenen Literatur die Genesis und das politische Scheitern des natio- nalen polnischen Widerstands. Das komplexe T h e m a ist, wie die Autoren sich selbst eingeste-

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