• Keine Ergebnisse gefunden

Ein Blick in die feministischen

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Ein Blick in die feministischen "

Copied!
17
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

Rezensionen

»Allein gegen den Rest der Welt«?

Ein Blick in die feministischen

Medienwissenschaften

Christiane Schmerl (Hrsg.): In die Presse geraten. Darstellung von Frauen in der Presse und Frauenarbeit in den Medien.

Köln, Wien: Böhlau 2. Aufl. 1989, 253 S„

DM 38,-

Gitta Mühlen-Achs (Hrsg.): Bildersturm.

Frauen in den Medien. München: Frau- enoffensive 1990, 219 S„ DM 24,50

Gruppe Feministische Öffentlichkeit (Hrsg.): Femina Publica. Frauen - Öf- fentlichkeit - Feminismus. Köln: Papy Rossa 1992, 227 S„ DM 28,-

Untersuchungen zum Thema »Frauen und Medien« haben in den letzten Jahren spür- bar zugenommen. Den Anfang machte ein von der Bielefelder Sozialpsychologin Christiane Schmerl herausgegebener Sam- melband mit dem doppeldeutigen Titel »In die Presse geraten«, der die schon fast klassisch zu nennenden Aspekte und Schwerpunkte des Themas anzugehen ver- sucht. Das Buch ist in zwei Hauptteile ge- gliedert: Im ersten geht es um die Darstel- lung von Frauen in den Medien, der zwei- te handelt von den Medien-Macherinnen, also von der Frauenarbeit in den Medien.

Im ersten Aufsatz dieses Sammelbandes untersucht die Herausgeberin Christiane Schmerl die Berichterstattung über Frauen und Männer in der bundesdeutschen Pres- se und arbeitet die - keineswegs neuen, aber immer noch vorherrschenden - Miß-

stände (z.B. die Unterrepräsentation von Frauen und ihre diskriminierende Darstel- lung) auf der Basis einer quantitativen und qualitativen Inhaltsanalyse kritisch heraus.

Der sich anschließende, aus dem Ame- rikanischen übersetzte Beitrag von Dane Archer u. a. geht einem bisher eher unter- belichteten Aspekt der inhaltsanalytischen Medienforschung nach, nämlich der Aus- wertung der visuellen Inhalte, d.i. der Er- schließung von Pressefotos. Auch hierbei stellt sich heraus, daß unterschiedliche Präsentationsformen für Männer und Frau- en existieren; mit Vorliebe bildet man auf Pressefotos Männer-Köpfe, aber Frauen- Körper ab.

Nach diesen phänomenologisch-de- skriptiv verfahrenden Medienanalysen wird versucht, die schwierige und deshalb oft ausgeklammerte Rezeptions- und Wir- kungsfrage zumindest ansatzweise anzu- gehen. Ein Beitrag von Ulrike Kaiser wid- met sich auf der Basis einer Leserinnen- umfrage dem Verhältnis von Frauen zu Tageszeitungen und versucht, Erwartun- gen und Kritik der Rezipientinnen an Me- dienproduzentinnen weiterzugeben. Dag- mar Duske beschreibt dann die Inhalte und Strategien kommerzieller Frauenzeit- schriften und wirft die Frage nach ihrer Funktion auf, also nach den Bedürfnissen und Erwartungen der Rezipientinnen die- ses oft belächelten Pressegenres.

Der zweite Teil des Buches befaßt sich mit der Produktionsseite von Medien, und

F e m i n i s t i s c h e Studien 2/92

(2)

zwar speziell mit den Produzentinnen.

Journalistinnen, Redakteurinnen und Vo- lontärinnen berichten über ihre Arbeitssi- tuation, wobei sie ihre persönlichen Erfah- rungen zum Ausgangspunkt verallgemei- nerbarer Kritik machen (z.B.: Gudrun Friese; Hanna Langreen). Der Ausstieg aus den herkömmlichen Strukturen (Anna Gebhardt), die unsichere Alternative der Freiberuflichkeit (Bärbel Döhring) und das Arbeiten in den - alternativen oder femini- stischen - »Gegen«medien (Brigitta Hent- schel; Cornelia Benninghoven u.a.) als mögliche Auswege und Alternativen wer- den daran anschließend, durchaus kontro- vers und zwiespältig, diskutiert und abge- wogen.

Der Schluß des Buches präsentiert ein Stück Mediengeschichte: Lore Walb, eine der ersten Frauenfunkredakteurinnen der Nachkriegszeit, berichtet über ihre Erfah- rungen in Rundfunkredaktionen der Jahre 1945 bis 1979 und versucht, in einer Art Fazit, Ratschläge an junge Journalistinnen weiterzugeben:

Fazit einer alten Medienfrau, ins Ohr der jungen: Schusterin, bleib nicht bei dei- nem Leisten! Tänzerin, tanze aus der Rei- he! Aber tanze nicht allein. Sucht Kraft und Mut bei den vielen neuen Frauen und den wenigen neuen Männern. Lernt euer Handwerk, Beinwerk gut. Qualifiziert euch. Werdet starke Frauen. Lernt atmen, ruhig atmen. Ihr habt noch einen weiten, steinigen Weg vor euch Und der Wind bläst euch ins Gesicht. (S. 248)

Der Sammelband liefert eine gute und vielseitige Bestandsaufnahme zum Thema Frauen und Medien, bleibt aber der De- skription von Einzel befunden leider allzu- sehr verhaftet. Den Versuch einer Fortset- zung und Weiterführung stellt ein 1990 erschienener, von der Münchner Medien- psychologin Gitta Mühlen-Achs herausge- bener Aufsatzband mit dem Titel »Bilder- sturm« dar. Auch er beginnt mit der Dar- stellung von Frauen in den Medien, wobei, über Printmedien hinausgehend, Film und Femsehen einbezogen werden. Dabei steht das - zweifellos berechtigte, aber doch

hinlänglich bekannte - Anprangern der sy- stematischen Verunglimpfung und Herab- würdigung von Frauen, also des in den Medien überall wirksamen Sexismus' im Mittelpunkt der z.T. recht popularistisch abgefaßten Beiträge.

So bietet der Artikel von Luise F.

Pusch nur eine beispielhafte Aneinander- reihung von »Ekelproben« (S. 45), d.h.

von frauenverachtenden Textproben aus den Zeitschriften »Spiegel«, »Zeit« und

»Stem«, wobei die als Sprachkritikerin ausgewiesene Autorin sich einer eher ka- lauernden als originellen Kommentierung befleißigt, z.B. wenn sie »Artikel über einfache Frauen« kritisiert, »die vom Schicksal medienreif geschlagen worden sind« (S. 28 f.). Dafür, daß das Thema

»Frauen und Medien« mit nicht-wissen- schaftlicher Sprache durchaus differenziert und überzeugend an die Frau gebracht werden kann, ist der abgedruckte Vortrag von Irmgard Gebhardt über sexuelle Ge- waltdelikte in der Münchener Tagespresse ein gutes Beispiel. Hier stellt die Autorin einen Zusammenhang her zwischen der Berichterstattung und der davon nur scheinbar unabhängigen sexistisch-porno- graphischen Abbildungspraxis dieser Me- dien. Anknüpfend an die sog. Küchenhoff- Studie über die »Darstellung der Frau und die Behandlung von Frauenfragen im Femsehen« aus dem Jahr 1975 verfolgt die Herausgeberin Gitta Mühlen-Achs die

»psychologische Funktion männlicher und weiblicher Rollen in Film und Fernsehen«.

Sie versucht mit Hilfe zahlreicher Beispie- le aufzuzeigen, daß sich das Verhaftet- sein in Geschlechtsstereotypen seitdem eher noch verstärkt hat und daß die filmi- schen Unterhaltungsproduktionen im Hin- blick auf diese Stereotypen geradezu den Charakter einer latent wirkenden Propa- ganda angenommen haben.

Die Arbeit von Frauen, vor allem in den herkömmlichen Medien, steht, wieder- um erfahrungsbezogen, im Mittelpunkt des zweiten Teiles dieses Aufsatzbandes.

Hier geht es neben der Beschreibung des Status Quo auch um die Bemühungen von

(3)

Medienarbeiterinnen, sich in Gruppen und Berufsverbänden zusammenzuschließen, um ihren Forderungen Nachdruck zu ver- leihen (Inge von Bönninghausen), wobei auch die meist vergessenen Anliegen und Probleme von Nicht-Journalistinnen, also der Sekretärinnen, Assistentinnen, Sachbe- arbeiterinnen und Technikerinnen in den Medienanstalten Berücksichtigung finden (Eva Meier). Andere Beiträge dokumentie- ren die Möglichkeiten und Schwierigkei- ten feministischen Arbeitens in herkömm- lichenden Medien und werfen einmal mehr die Frage nach den sog. »Frauenni- schen« auf. Der von Resignation gekenn- zeichnete Bericht einer Redakteurin der TAZ-Frauenseite, Gunhild Schöller, zeigt, daß feministisches Engagement in fort- schrittlichen, sich alternativ verstehenden Medien keinesfalls automatisch unter bes- seren Vorzeichen steht.

Autonome feministische Medien blei- ben in diesem Band eher unterrepräsen- tiert; immerhin wird die Idee von Frauen- rundfunk- und Frauenfernsehsendern, die in der Landschaft der sog. Neuen, bzw.

Privaten Sender anzusiedeln wären, von Hilke Schlaeger aufgeworfen und disku- tiert. Den Schluß des Buches bilden zwei thematisch etwas herausfallende Beiträge von Christiane Schmerl über »Frauenbil- der in der Werbung« und von Ilse Brehmer über »Rollenklischees in Schulbüchern«.

Das vielfältige, aber sehr heterogene Informationsangebot des Buches steht un- ter der Prämisse eines universell anmuten- den Unterdrückungsparadigmas, das die Opferrolle der Frauen beklagt und unge- brochen fortschreibt und dabei allzu pau- schalierend von einer »Gleichschaltung aller Medien in Erfüllung des patriarcha- len Grundprinzips« ausgeht (Einleitung S. 8). Ein Paradigmenwechsel von der Opfer- zur Täterinnenrolle ist für die jüng- ste Neuerscheinung auf dem Gebiet der fe- ministischen Medienwissenschaften zu konstatieren. Unter dem Titel »Femina Pu- blica« hat eine aus dem Umkreis des Dort- munder Instituts für Journalistik stammen- de »Gruppe Feministische Öffentlichkeit«

versucht, das Thema Frauen und Medien aus einem erweiterten Blickwinkel, näm- lich dem der Öffentlichkeit und Gegenöf- fentlichkeit anzugeben.

Die ersten Beiträge des Sammelbandes befassen sich mit der Konstituierung und den Prämissen feministischer Gegenöf- fentlichkeit und konkretisieren diese an re- gionaler und überregionaler Frauenbewe- gungspresse. Eine Erhebung zu regionalen feministischen Zeitschriften in der (alten) Bundesrepublik (Ulrike Röttgcr, Petra Werner) und eine Untersuchung der Dort- munder Frauenzeitschrift »igitte« im Hin- blick auf ihre Rezipientinnen (Kerstin Mahnke) machen den Anfang, gefolgt von einer kritischen, allerdings nicht empirisch gestützten, Analyse der derzeit einzigen überregionalen feministischen Zeitschrift, der »Emma«. In diesem Beitrag von Diet- mut Roether wird deutlich, daß die »Em- ma« nicht als Spiegel und Sprachrohr un- terschiedlicher feministischer Bewegun- gen gelten kann, sondern daß die Zeitschrift eine bestimmte Linie vertritt und profiliert unter Aussparung oder Dif- famierung gegenläufiger Tendenzen.

Medien von und für Frauen in der Nachkriegszeit unter Berücksichtigung der alliierten Pressepolitik stehen im Mittel- punkt eines Aufsatzes von Lissi Klaus, der interessante biographische Informationen über Nachkriegsjournalistinnen enthält.

Der Frauenzeitschrift Brigitte und die von ihr propagierten Leitbilder in der Zeit ab 1970 widmet sich ein auf einer Disserta- tion beruhender Aufsatz von Jutta Röser.

Dem Sammelband gelingt es, viele ak- tuelle Debatten der Frauenbewegung auf- zunehmen und unter dem Aspekt »Gren- zen und Perspektiven feministischer Öf- fentlichkeit« zu behandeln. Thesen zu neuen Informations-Technologien (Ute Bertrand, Ingrid Hüchtker) werden aufge- stellt und mit feministischen Fragezeichen versehen. Dem Thema Rassismus in der Frauenbewegung versuchen Yolanda Que- sada und Elke Sieker näherzukommen, wobei sie auch die hierauf bezogene Zeit- schrift »Afrekete« erwähnen, aber leider

(4)

nicht genauer untersuchen. Ein Interview mit den Redakteurinnen der Bochumer Lesbenzeitschrift »ihrsinn« schließt sich an (Kerstin Mahnke u.a.).

Die Stärke des Buches liegt zweifellos in seinem Themenschwerpunkt »feministi- sche Gegenöffentlichkeit«. Es steckt dar- überhinaus den Rahmen derzeitiger femi- nistischer Medicnwissenschaft ab und ver- sucht, sich dabei auf die allgemeine aktuelle feministische Theoriebildung zu beziehen. Allerdings bleiben durch die zu- grunde gelegten theoretischen Prämissen einige Fragen unberücksichtigt, bzw. un- zureichend beantwortet. Etwa die Frage, inwieweit die von den Autorinnen nach wie vor als gültig angesehenen »be- währten« Kategorien Öffentlichkeit - Pri- vatheit mit ihrer polarisierenden Zuord- nung nach Geschlechtern (z.B. Margret Lünenborg, S. 84) überhaupt die Wirklich- keit von Frauen nachzuzeichnen vermö- gen. Oder die Überprüfung, wie tragfähig und fruchtbar die Inanspruchnahme des Thürmer-Rohr'schen Mittäterinnen-Kon- zeptes wirklich ist, sowohl im Hinblick auf Journalistinnen als auch für die Bewer- tung traditioneller Formen von Frauenöf- fentlichkeiten (»Klatsch und Tratsch«), Unterschlägt die Dichotomisierung Frau- enöffentlichkeit/feministische Öffentlich- keit (z.B. Lissi Klaus, S. 98ff.), wobei er- stere aus dem Mittäterinnen-Blickwinkel heraus kritisiert wird, nicht gerade die wichtigen Verbindungslinien zwischen beiden Bereichen? Könnten die traditio- nellen Frauenkommunikationszusammen- hänge, die Frauennetzwerke, die »Freun- dinnenkultur« nicht auch untersucht wer- den im Hinblick auf ihre wichtige Funktion für die Entstehung einer Frauen- bewegung und damit auch einer feministi- schen Gegen-/Öffentlichkeit? Vielleicht wären hier weitere Perspektiven der mit diesem Buch aufgenommenen For- schungsdiskussion zum unverzichtbaren Thema »Frauen - Öffentlichkeit - Femi- nismus« anzusiedeln.

Ulla Wischermann

Heide Wunder und Christina Vanja (Hrsg.): Wandel der Geschlechterbezie- hungen zu Beginn der Neuzeit, stw Frankfurt/M. 1991, 231 S„ DM 1 8 - Über die Bedeutung von Epochengrenzen für die »Frauengeschichte« wird innerhalb der historischen Frauenforschung schon lange nachgedacht Dabei spielt der Über- gang vom Mittelalter zur (frühen) Neuzeit eine besondere Rolle; schon 1977 fragte Joan Kelly-Gadol provokativ: »Gab es die Renaissance für Frauen?« - und kam zu einer negativen Antwort, die jedoch in der Folge immer wieder kritisiert und ange- zweifelt wurde.1 Zu Recht wurde an ihrem Entwurf bemängelt, daß hier eine höchst komplexe Fragestellung - die Veränderung der gesellschaftlichen Lage der Frau und ihrer ideellen bzw. ideologischen Einbin- dung - auf wenigen Seiten abgehandelt wurde; viele Aussagen sind ohnehin nur für Frauen der Oberschicht gültig, wie Kelly-Gadol selbst einräumen mußte, und die Quellenbasis (meist literarische Texte) ist in ihrer Aussagekraft ebenfalls höchst eingeschränkt.

Die Herausgeberinnen des Bändchens über den »Wandel der Geschlechterbezie- hungen zu Beginn der Neuzeit« sind des- halb ihr Thema etwas anders angegangen.

Ihr Ziel ist es nicht länger, »Verbesserun- gen« oder »Verschlechterungen« des Sta- tus von Frauen zu ermessen, sondern viel- mehr, die Ergebnisse neuerer sozialge- schichtlicher Forschungen zu verfaßten wie informellen Geschlechterbeziehungen mit denen der Kunst-, Literatur- Theolo- gie- sowie Kirchengeschichte zu verbin- den, um »Veränderungen im Verhältnis der Geschlechter am Beginn der Neuzeit als politisch wie kulturell hoch bedeutsamen Vorgang (...) zu rekonstruieren.« (S. 8)

Vielgestaltigkeit, Widersprüchlichkeit und Brüchigkeit dieser Entwicklung soll- ten dabei nicht eingeebnet, sondern viel- mehr deutlich herausgestellt werden; auch sollte dieser »dialektische Prozeß« als ei- ner erforscht werden, »in dem beide Ge- schlechter an der Herausbildung und Wei-

(5)

terentwicklung neuer Rollenverteilungen und Machtverhältnisse mitwirkten und - nach dem Verständnis der Menschen des

15. und 16. Jahrhunderts - teilnehmen sollten.« (S. 9)

Diesem Programm entspricht die Zu- sammenstellung von 9 Einzelbeiträgen, in denen Wissenschaftlerinnen und Wissen- schaftler der genannten Disziplinen zu verschiedenen, für die Epoche zentralen Themen Stellung nehmen - etwa zu Liebe, Ehe und Familie (in der Literatur: Jan- Dirk Müller; in der bildenden Kunst: Bert- hold Hinz), zum Frauenbiid und zur Stel- lung der Pfarrfrau im Protestantismus (Gerta Scharffenorth; Luise Schom-Schüt- te), zur Mädchen- und Frauenbildung (An- ne Conrad) und zu Kriminalität bzw. zur Hexenverfolgung (Lyndal Roper; Ingrid Ahrendt-Schulte). Den Diskussionsrahmen steckt dabei der einleitende Beitrag von Heide Wunder ab, die »Überlegungen zum Wandel der Geschlechterbeziehungen im

15. und 16. Jahrhundert aus sozialge- schichtlicher Sicht« anstellt

Ausgehend von der Überzeugung, daß es nicht (oder nicht allein) die Vorstellun- gen und Wünsche der Reformatoren (und insbesondere Luthers) gewesen sein kön- nen, die zu einem grundlegenden - oder doch recht weitgehenden - Wandel der Geschlechterbeziehungen im 15. Jahrhun- dert führten, zeigt sie einerseits wirtschaft- liche und soziale Voraussetzungen, ande- rerseits gesellschaftliche Trägergruppen für diese Entwicklungen und Veränderun- gen auf: einmal die seit der »Krise des 14.

Jahrhunderts« beobachtbaren demographi- schen Einbrüche und deren Folgen, wie die Zentralisierung politischer Macht in den entstehenden Nationalstaaten, die (teilweise) Auflösung feudaler Produk- tions- und Rechtszusammenhänge, bis hin zum Wandel des Welt- und Menschenbil- des in Wissenschaften und Künsten, zum anderen die hieraus resultierende Neube- wertung von Ehe und ehelicher Ge- schlechterbeziehung, die einhergeht mit einer Differenzierung der Tätigkeiten von Männern und Frauen im Bereich der neu

organisierten Lohnarbeit. Diese bildet, nach H. Wunder, die Grundlage für das emanzipatorische Modell des »Ehe- und Arbeitspaares« vor allem in den unteren Schichten, dem allerdings im entstehenden

»Bildungsbürgertum« ein weiteres neues Modell ehelicher Geschlechterbeziehun- gen an die Seite tritt, das vor allem durch die recht modern anmutende Konstellation Mann = Erwerbsarbeit, Frau = Familienar- beit charakterisiert ist und das gerade für die gesellschaftlich Bessergestellten lang- fristig zum attraktiveren Modell avanciert, nicht zuletzt, weil sich hier familiäre und gesellschaftliche Ordnung - in der Unter- ordnung der Ehefrau unter den Ehemann - besser reproduzieren läßt als im tenden- ziell egalitären, aber auch konfliktreichen Modell des »Ehe- und Arbeitspaares«.

Doch ist die gesellschaftliche Durchdrin- gung des »bürgerlichen« Modells im 15.

und 16. Jahrhundert noch verhältnismäßig schwach; und auch die »häusliche« Frau- enrolle ist selbst idealiter noch lange nicht so »privatisiert« wie im 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts.

Daß diese Neuordnung auch auf ande- re Bereiche und Beziehungen der Ge- schlechter zurückwirkt - und auch das Beziehungsgefüge innerhalb des weibli- chen wie des männlichen Geschlechts ver- ändert - , umreißt H. Wunder abschließend leider nur sehr skizzenhaft und beschreibt damit ein Forschungsprogramm, das auch in den folgenden Beiträgen eher am Rande in den Blick gerät

Abgesehen von den zölibatären Non- nen bzw. religiös bewegten Frauen der Ge- genreformation, um die es im Beitrag von Anne Conrad im Zusammenhang mit der Geschichte der katholischen Mädchenbil- dung geht, steht in den übrigen Beiträgen die Beziehung von Frauen und Männern innerhalb von Ehe und Familie im Mittel- punkt. Doch erweist sich gerade hier auch eine besondere Stärke des Sammelbandes:

seine überwiegend interdisziplinäre Aus- richtung auf dem Hintergrund einer zu- nächst sozialgeschichtlichen, ins mentali- täts- und kulturgeschichtliche ausgreifen-

(6)

den Thematik, die vielfach den »klassi- schen« Kanon von Forschungstraditionen sprengt So zeigt etwa Ingrid Ahrendt- Schulte auf der Grundlage lippischer He- xenprozeßakten Aspekte des »Alltagsle- bens« von Frauen und insbesondere von Konfliktsituationen, denen sich Frauen in der Stadt und auf dem Land ausgesetzt sa- hen. War hier die eheliche bzw. familiäre Einbindung von Frauen auch entscheidend für deren Schicksal als Angeklagte in ei- nem Hexenprozeß, so legen die Quellen doch auch breit Zeugnis ab über Beziehun- gen unter Frauen auch über den familiären Rahmen hinaus.

In ähnlich komplexer Weise analysiert auch Lyndal Roper zunächst Kriminalfäl- le, die unmittelbar nach der Einführung der Reformation vor dem Augsburger Rat verhandelt wurden und in denen »Sittlich- keits- und Ehesachen« zur Anklage bzw.

zur Sprache kamen. Über Fragen von vor- ehelichem Geschlechtsverkehr, Eheanbah- nung und neuer protestantischer Moral hinaus versucht L. Roper hier jedoch, un- terschiedliche Redeweisen von Frauen und Männern sichtbar zu machen und damit Aufschlüsse über das sexuelle Selbstver- ständnis von frühneuzeitlichen Menschen zu bekommen: Wo der Rat vor allem von

»Sünde« spricht, benutzten Männer und Frauen, die hier vermeintlich gegen das Gesetz verstoßen hatten, vielmehr Begriffe wie »Wille« resp. »Ehre« zur Kennzeich- nung ihres Verhaltens. Dabei zeigt sich denn auch ein geschlechtsspezifisch höchst differenzierter Zugang zu Körper- lichkeit und Erotik, der im übrigen von Widersprüchen keineswegs frei war:

Für den Mann war Geschlechtsverkehr immer Ausdruck seines Willens, so daß er in gewisser Weise auch Beweis seiner Überlegenheit war. Gleichzeitig aber be- deutet »Mannsein«, rationaler und weni- ger begehrlich zu sein als die Frauen. So wurde die »weibliche Verführungskrafi«

als solche konzipiert und von den Män- nern gefürchtet: während er »sie gehabt«

hat, war er eigentlich der Begierde der Frau unterlegen. (S. 197)

Ebenfalls um die Irrungen und Wimin- gen einer männlich definierten Rationalität und Moral geht es im Beitrag von Maria E. Müller. Sie zeigt anhand von Ehelehren der frühen Neuzeit die »Dialektik von Herrschaft und Knechtschaft« im Rahmen frü hm odemer Ehevorstellungen. Dabei stößt sie nicht nur auf eine Art von »Ver- ständigungstexten« unter friihhumanisti- schen Autoren, sondern entlarvt auch eine Vorstellung vom »Naturwesen Mann«, die nur durch die moralisierende und morali- sierte Haltung der - komplementär ge- dachten - Ehefrau »erlöst« bzw. zivilisiert werden kann, eine These, die auch durch den Beitrag von Jan-Dirk Müller gestützt werden kann, der am Werk des Elsässers Jörg Wickram den Übergang von höfi- schen zu »bürgerlichen« Ehevorstellungen um 1600 nachzeichnet

Vieles von den Erkenntnissen, die aus dem Sammelband fraglos zu gewinnen sind, verdankt sich also dem hohen Grad an interdisziplinärer Methodik, welche die Herausgeberinnen ja auch einleitend zum Programm erhoben hatten. Doch auch dis- ziplinarer angelegte Einzelstudien, wie et- wa die von Luise Schorn-Schütte über die protestantische Pfarrfrau oder die von An- ne Conrad über die katholische Mädchen- bildung sind durchaus ertragreich insofern, als sie Wissenslücken schließen helfen bzw. belegen, daß erst eine konsequente Anwendung historischer Fragestellungen und Methoden auch auf Bereiche, die tra- ditionell Frauen zugewiesen werden (Fa- milie, Haushalt) oder die die weibliche Sonderentwicklung beleuchten (Mädchen- bildung), zu einer umfassenden histori- schen Erkenntnis führen. Einzig die von Gerta Scharffenorth versuchte Deutung der Vorstellung von Mann und Frau bei Martin Luther scheint allzusehr einer theo- logischen Annäherung verhaftet, die sich eher um positive Ortsbestimmung denn um kritische Sichtung des »Erbes« be- müht.

Neben all den positiven Anregungen und Aspekten gilt es jedoch auch, einen grundsätzlichen Einwand zu formulieren,

(7)

der sich aus dem ambitionierten Titel des Sammelbandes ergibt; Über den Wandel von Geschlechterbeziebungen erfährt die Leserin, neben den sehr interessanten und einleuchtenden, aber leider allzu knapp ausgeführten Überlegungen von Heide Wunder wenig bzw. nur sehr Punktuelles.

Und daß die Reformation und ihr neues Ehe- und Geschlechterbild als Hintergrund für viele der Aufsätze fungiert, reicht ja, folgt man Heide Wunder, gerade nicht aus als Erklärungshintergrund für eine spezi- fisch sozialgeschichtliche Betrachtung von Geschlechterbeziehungen und deren Ver- änderungen. So bietet denn der vergleichs- weise schmale Band zwar eine Fülle von Anregungen, ohne jedoch zur gleichen Zeit den »Wandel der Geschlechterbezie- hungen zu Beginn der Neuzeit« erschöp- fend darstellen und abhandeln zu können.

Durch seine vielfältigen, methodisch höchst anregenden Beiträge wird er die hi- storische Frauenforschung aber dennoch ein gutes Stück weiterbringen.

Claudia Opitz

Anmerkung

1 deutsch in: Männer Mythos Wissenschaft.

Hrsg.: v. Ci. Schaeffei-Hegel und B. Watson- Franke. Pfaffenweüer 1989, S. 3 3 - 6 6 .

Susanne Günthner/Helga Kotthoff (Hrsg.):

Von fremden Stimmen. Weibliches und männliches Sprechen im Kulturver- gleich. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1991, es

1721, 369 S., DM 1 8 -

In der neuen S uhrkamp-Reihe Gender Stu- dies. Vom Unterschied der Geschlechter erschien im November 1991 (neben Judith Butlers Unbehagen der Geschlechter und Barbara Hahns Unter falschem Namen) der Band Von fremden Stimmen. Weibli- ches und männliches Sprechen im Kultur- vergleich. Herausgegeben und zum größ-

ten Teil auch übersetzt wurde die Aufsatz- sammlung von den Konstanzer Sprachwis- senschaftlerinnen Susanne Günthner und Helga Kotthoff. Von fremden Stimmen um- faßt hauptsächlich Beiträge der jüngsten amerikanischen Diskussion (hier erstmals dem deutschen Publikum in einer Überset- zung zugänglich) zur Frage des »gender- lects«: Gibt es in verschiedenen Sprach- und Kulturgemeinschaften eine Frauen- sprache, die sich von einer Männersprache unterscheidet? Wie sehen die Unterschiede im Gesprächsverhalten von Männern und Frauen in China, Deutschland, Georgien, Japan, Java/Indonesien, Kenia, Madagas- kar, Österreich, den USA und Lateinameri- ka aus? Und inwiefern konstituiert die Sprache Geschlechterrollen und Ge- schlechteridentität? Allerdings kann die linguistische Beschreibung des »gender- lect« nur unter der Bedingung gelingen, daß der Mensch als soziales Wesen ver- standen wird. Gerade dagegen aber sperrt sich die Linguistik immer wieder, da viele Linguistinnen glauben, ihren Gegenstand, die Sprache, unabhängig vom sozialen, kulturellen und historischen Umfeld (Spre- chen als soziales Handeln) untersuchen zu können. Mittlerweile plädieren viele Wis- senschaftlerlnnen dafür, »Weiblichkeit«

und »Männlichkeit« nicht als biologische Kategorien aufzufassen, die von Natur aus festgelegt wären (engl, sex), sondern eben als kulturell-gesellschaftliche Konstrukte (engl, gender).

Welche Zusammenhänge lassen sich herauskristallisieren zwischen allgemei- ner, gesellschaftlicher Rollenzuweisung und Gesprächsrollenzuweisung von Frau- en und Männern? Gibt es universelle ge- schlechtsspezifische Unterschiede im In- teraktionsverhalten? Welche Eigenschaf- ten weiblichen und männlichen Sprechens werden in der jeweiligen Kultur positiv oder negativ bewertet? (S. 7f.) - mit die- sen Fragestellungen skizzieren die Heraus- geberinnen das gemeinsame Anliegen der einzelnen Beiträge. Neben der Schicht-, Berufs-, Herkunftsidentität u.a. - so die Ausgangsthese - ist die Geschlechtsidenti-

(8)

tat eine unserer wichtigsten gesellschaftli- chen Identitäten, die den gesamten Alltag durchdringt. Allerdings ist sie nicht ein- fach gegeben, sondern wird in jeder zwi- schenmenschlichen Interaktion neu kon- struiert und damit perpetuiert.

Von Reiseberichten aus dem 17. Jahr- hundert über Jespersen und die frühen Sprachforscher, die korrelativ-quantitative Soziolinguistik (Labov, Trudgill, Matthei- er) bis hin zur neuen Frauenforschung in der Linguistik verfolgen Günthner/Kott- hoff die Entwicklung des Forschungsinter- esses am Phänomen »Frauensprache« bzw.

»genderlect«.

Daß Mädchen sprachlich anders sozia- lisiert werden als Jungen und über einen

»weiblichen« Gesprächsstil verfügen, das zeigen neuere Untersuchungen zum Spra- cherwerbsprozeß. Entgegen bisherigem Forschungskonsens kann Jenny Cook- Gumperz nachweisen, daß geschlechtsspe- zifisches Sprechen und Leben schon sehr früh, das heißt noch vor dem Mädchenal- ter beginnt Schon im frühen Spracher- werbsprozeß bilden sich eine grundsatzli- che kulturelle Geschlechterdifferenz und unterschiedliche männliche und weibliche soziokulturelle Subkulturen heraus, auf die Daniel N. Maitz und Ruth Broker kommu- nikaüve Fehlschläge zwischen amerikani- schen Männern und Frauen zurückführen.

Diese These wird durch Nancy J. Smith- Hefners Untersuchungen auf Java zum Erwerb männlicher und weiblicher Sprachvertialtensmuster in der frühen So- zialisationsphase gestützt. Mit der Mutter- Kind-Beziehung in den beiden Kulturen Österreich und USA beschäftigen sich Ruth Wodak und Muriel Schulz.

Der erworbene »weibliche« Stil soll sich durch Prestige-Armut, Kooperation, Zurückhaltung, Personenbezogenheit und Höflichkeit auszeichnen, im Gegensatz zum »männlichen«, der Konfrontation, Selbstbezogenheit und Sachorientierlheit favorisiert. Frauen können selbstverständ- lich den - das deuten die Anführungszei- chen an - »männlichen« Stil benutzen, nur führt das meistens dazu, daß sie als un-

weiblich, arrogant und berechnend gelten.

Mit den genannten Merkmalen »weibli- chen« Stils setzen sich weitere Aufsätze des Bandes auseinander. Penelope Brown leitet von ihrem in einer Maya-Gemeinde im Hochland von Chiapas/Mexiko gesam- melten Datenmaterial die Universalie ab, daß Frauen generell höflicher handeln als Männer und eher darauf bedacht sind, das Gesicht der anderen zu wahren, was ihren zweitrangigen Status spiegele. Ihre These wird durch das auf Java gesammelte Da- tenmaterial Smith-Hefners widerlegt, wel- ches folgenden Befund aufweist: In der Öffentlichkeit sind es die javanischen Männer, die höflicher sind und dadurch gerade nicht ihre Unterlegenheit, sondern ihre Macht und Autorität zum Ausdruck bringen.

Laut Robin Lakoff läßt sich »weibli- cher« Stil an einer frauenspezifischen Wortwahl (beispielsweise der Adjeküve

»süß« oder »reizend«), an vermehrten Fra- geformen und angehängten Frageparükeln (z.B. »ne« und »gell«), an höflicheren Formen (mehr »bitte«, »danke« und Kon- junktivformen), an Unschärfemarkierern

(»finde ich«, »irgendwie«, »oder so«), an korrekteren grammatischen Formen, (mit gebildetem Sprechen versuchen Frauen, ihren niedrigen gesellschaftlichen Status aufzuwerten), an weniger Flüchen und an häufigen Tabuwörtem ablesen. Diesen

»weiblichen« Stil beurteilte die frühe Frauenforschung als defizitär und lehnte ihn als Zeichen der Unterdrückung, weib- licher Zurückhaltung und mangelnden Selbstbewußtseins ab. Die neuere For- schung dagegen wertet das zurückhalten- dere, dialogischere und höflichere »weibli- che« Sprechen als Stärke. Als Ursache für die Differenzen zwischen »weiblichem«

und »männlichem« Sprechen lassen sich die asymmetrische Machtverteilung zwi- schen Frauen und Männern in der Gesell- schaft, die in Gesprächssituaüonen ständig aktualisiert wird, aber auch kulturelle Un- terschiede zwischen den Geschlechtern an- führen. Den Nachweis, daß »männliches«

und »weibliches« Sprechen keine Überzeit-

(9)

liehen Kategorien sind, sondern solche, die einem historischen Wandel unterlie- gen, liefert Katsue Akiba Reynolds mit ih- rer Untersuchung zu geschlechtsexklusi- ven Unterschieden bei der Verwendung der Pronomina der ersten Person im heuti- gen Japanischen. Erst um die Jahrhundert- wende haben sich im Japanischen ge- schlechtspräferentielle Unterschiede zu geschlechtsexklusiven entwickelt: im heu- tigen Japanisch muß von einer Frauen- und einer Männersprache gesprochen wer- den.

Das »ewig Weibliche« wird in neueren ethnologischen Arbeiten als lediglich

»kulturell Weibliches« entlarvt. In allen durch Feldstudien analysierten Kulturen haben die Geschlechter unterschiedliche Rollen inne. Immer gibt es bestimmte kul- turspezifische Stereotypen von »weibli- cher« bzw. »männlicher Natur«. Wie die Geschlechterrollen in einer bestimmten Gesellschaft aber besetzt sind, hängt von den jeweiligen kulturellen Vorstellungen männlicher und weiblicher Identitätsrollen ab. In Madagaskar beispielsweise (s. Elio- nor Keenans Beitrag) betreiben die Frauen aufgrund ihrer »direkten« Sprechweise den Handel (»indirekt« sprechen die Män- ner, und deren »indirekte« Sprechweise hat mehr Prestige als die Sprechweise der Frauen), bei uns waren es traditionsgemäß die Männer.

Die Komplexität der geschlechtsspezi- fischen Verteilung verbaler Gattungen und Sprechcrrollen führt Joel Sherzer am Bei- spiel der (traditionellen, nichtliteraren, egalitären) Kuna-Indianerlnnen in Panama vor.

Im Chinesischen existiert zunächst kei- ne grammatisch markierte »Frauenspra- che« und damit keine morphologische, syntaktische oder lexikalische Markierung der Geschlechtszugehörigkeit der/des Sprechenden. Dennoch weist Susanne Günthner im heutigen sozialistischen, aber von konfuzianistischen Idealen noch im- mer geprägten China den geschlechtsspe- zifischen Gebrauch bestimmter verbaler Gattungen nach (nur Männer rezitieren

beispielsweise humoristische Gattungen).

Zu einem ähnlichen Befund gelangt Helga Kotthoff in ihrer Untersuchung von »Ala- verdi«, Trinkspruchwettkämpfe im kauka- sischen Georgien, die bis heute eine

»männliche« Gattung darstellen. Dagegen sind Klagelieder ein »weibliches« Genre.

Inwiefern wird die gesellschaftliche Rollen- und Machtverteilung auf der Mi- kroebene der Kommunikation reprodu- ziert? Ethnolinguistische Untersuchungen beantworten diese Frage, indem sie auf die enge Verbindung zwischen Sprechverhal- ten, Wertesystem und sozioökonomischem Status innerhalb einer Gesellschaft verwei- sen. Geschlechtsspezifische Unterschiede im Gesprächsverhalten und deren kulturel- le Funktionen können daher nicht losge- löst vom kulturellen Kontext betrachtet werden. Haben Frauen beispielsweise eine wichtige ökonomische Position inne, so wird auch dem weiblichen Sprechen ein höherer Status zugeschrieben. Meist aber, so das Fazit der Untersuchungen, ist die Rolle der Frauen im öffentlichen, politi- schen Diskurs zweitrangig, was die beste- hende Asymmetrie der Geschlechterver- hältnisse tradiert. Wer die Macht hat, hat auch den »besseren« Stil - so lautet die saricastische Zusammenfassung der gegen- wärtigen Zustände durch die Herausgebe- rinnen. Den empirischen Nachweis liefert Susan F. Hirschs Analyse von Ehe- und Scheidungsfällen vor kenianischen Kadhi- Gerichten, die den narrativen Gesprächs- stil der Frauen gegenüber dem autoritati- ven, vortragsähnlichen männlichen Stil vor Gericht abwerten.

Vor MADness, jener gefährlichen, bei Frauen auftretenden Immunschwäche, die mit vollem Namen »male approval desire«

heißt, warnt Luise F. Pusch uns nochmals in ihrem ironischen Nachwort

Die interdisziplinäre Herangehenswei- se an die Phänomene macht die Aktualität und Stärke des Bandes aus. Fragenkom- plexe, wir wir sie aus der feministischen Linguistik, der Ethnolinguistik, der Kul- turanthropologie, der Soziolinguistik und der Konversationsanalyse kennen, werden

(10)

aufgerufen. Vorgeführt wird gute Wissen- schaft, die verständlich bleibt, ohne kom- plexe Sachverhalte zu reduzieren. Die Lei- stung der einzelnen Beiträge hegt darin, die kulturspezifischen Konventionen, de- nen »weibliches« und »männliches« Spre- chen unterstellt sind, in verschiedenen Ge- sellschaften detailliert und wissenschaft- lich-reflektiert zu untersuchen, auch wenn die Überzeugungskraft der in den einzel- nen Aufsätzen vertretenen Thesen unter- schiedlich ist. Da jeder Beitrag mit einer ausführlichen Bibliographie versehen ist, stellt der Band für alle am Themenkreis

»genderlect« Interessierten einen idealen Einstieg in die Diskussion dar.

Gabriele Rippl

Chris Weedon: Wissen und Erfahrung.

Feministische Praxis und poststruktura- listische Theorie. (Übers, ins Deutsche:

Elke Henschel). Zürich 1990, eFeF-Ver- lag, 350 S„ DM 34,-

Das 1987 in Großbritannien erschienene Buch Feminist Practice and Poststructura- list Theory ist nun auch einem deutsch- sprachigen Publikum zugänglich. - Die Autorin, die in dieser Zeitschrift bereits zwei Beiträge veröffentlicht hat (vgl. Heft 2/90), untersucht Ansätze poststrukturali- stischer Theoriebildung. Sie stellt die Bei- träge von Lacan, Althusser, Foucault, Der- rida, Kristeva, Cixous und Irigaray zu den zentralen Themen Sprache, Subjektivität, Diskurs, Macht und Widerstand dar und fragt, welche für eine feministische Praxis nutzbar gemacht werden können. Femini- stische Praxis ist für sie »eine Politik, die auf eine Veränderung der realen gesell- schaftlichen Machtverhältnisse zwischen Männern und Frauen abzielt.« (11) Not- wendig sei eine Theorie, die es ermöglicht, die Machtverhältnisse zu analysieren, und zugleich Perspektiven für deren Verände- rung aufzeigt. Damit wendet sich Weedon explizit gegen einen theoriefeindlichen Fe- minismus, den sie in Ansätzen identifi-

ziert, die sich durch Rekurs auf eine un- mittelbare weibliche Erfahrung legitimier- ten. Erfahrung sei immer sprachlich ver- mittelt und entstehe in den Diskursen, die ein Individuum zur Verfügung hat, um sei- ne Existenz zu begreifen. In den poststmk- turalistischen Ansätzen sieht Weedon ein wichtiges Instrumentarium für die Analyse der Diskurse, durch die ein anderer, pro- duktiver Umgang mit Erfahrung ermög- licht werde. Sie seien eine Methode, die Beziehungen zwischen Sprache, gesell- schaftlichen Einrichtungen und individuel- lem Bewußtsein in einer Weise begrifflich zu fassen, die sich darauf konzentriert, wie Macht ausgeübt wird und welche Verände- rungsmöglichkeiten bestehen. (32)

Weedon stellt die einzelnen Ansätze klar und verständlich vor und arbeitet ihre Unterschiede heraus - immer mit der Fra- ge, ob sie dazu beitragen, eine Verände- rung der Geschlechterverhältnisse denkbar zu machen. Ein wichtiges Kriterium ist da- bei die Subjektkonstruktion. Ausgehend von ihrer Kriük des einheitlichen Subjek- tes des humanistisch-liberalen Diskurses wendet sich Weedon gegen Tendenzen in- nerhalb der feministischen Diskussion, Frauen eine weibliche Essenz zuzuschrei- ben.

Für den poststrukturalistischen Femi- nismus ist weder der liberal-feministische Versuch, die Wahrheit der weiblichen Na- tur im Rahmen der vorhandenen Gesell- schaftsverhältnisse näher zu bestimmen und die völlige Gleichstellung von Frauen und Männern zu etablieren, noch die radi- kal-feministische Betonung des feststehen- den Unterschieds und seiner Verwirkli- chung in einem separatistischen Kontext adäquat. Beide Formen des feministischen Diskurses sind in ihren Versuchen gefan- gen, die weibliche Natur ein für allemal festzulegen. (172)

Diese Position führt dazu, daß Weedon als theoretischen Rahmen für feministi- sche Praxis nicht die Ansätze von Luce Iri- garay oder Helene Cixous heranzieht.

Auch sie setzten durch ihr Anknüpfen ;ui Lacan essentialisüsch-biologistische Sub-

(11)

jektbestimmungen voraus. Statt dessen orientiert Weedon sich an Dekonstruk- tionstheorien, vor allem an der Foucaults.

Subjektivität sei hier nicht wesenhaft, son- dern allenfalls als vorübergehende Sub- jektposition zu bestimmen, die sich im

Kampf um Bedeutungen ständig verände- re. Zentral in dieser Auseinandersetzung sei die Vergeschlechtlichung der Sprache, in und mit der die Konstrukte von Männ- lichkeit und Weiblichkeit um ihre gesell- schaftliche Bedeutung ringen.

Dabei ist die Bedeutung des biologi- schen Geschlechtsunterschieds niemals festgelegt. Sie ist ein Schauplatz des

Kampfes um die Bedeutung und Ausübung patriarchalischer Macht. Dieser diskursi-

ve Kampf, in dem Frauen bestimmten Be- deutungen und Machtverhältnissen Wider- stand entgegensetzen können, ist dem historischen Wandel unterworfen. Zu ver- stehen, wie Diskurse über den biologi- schen Geschlechtsurüerschied in einer be- stimmten Gesellschaft zu einem bestimm- ten Zeitpunkt ins Feld geführt werden, ist die erste Stufe des Eingreifens, dessen letztendliches Ziel in der Veränderung be- steht. (ebd.)

Im letzten Kapitel verspricht Weedon, den Nutzen der Diskursanalyse für femini- stische Praxis am Gegenstand der Literatur vorzuführen. Sie umreißt das Konzept ei- ner feministischen Literaturwissenschaft.

Denen Ziel müsse es sein, die Konstitution von Weiblichkeit in literarischen und lite- raturwissenschaftlichen Diskursen aufzu- spüren. Zentrale Fragen seien, wie Texte den Lesern und Leserinnen Subjektpositio- nen anbieten und somit »Geschlecht« im Diskurs herstellen. Die vorrangige Aufga- be feministischer Praxis innerhalb der In- stitution Literaturwissenschaft bestehe darin, durch Diskursanalysen an der Über- windung der humanistisch-liberalen Inter- pretation des Geschlechtsunterschiedes zu arbeiten.

Das Verbleiben auf der programmati- schen Ebene auch da, wo es um die Kon- kretisierung feministischer Praxis gehen sollte, führt zu unfriedigenden Redundan-

zen in Weedons Text Dennoch ist das Buch zu empfehlen. Seine Stärke liegt in der sehr gut verständlichen Darstellung der komplizierten und oft verschlüssel- ten Konstruktionen poststrukturalistischer Theorie, so daß es einen guten Einstieg in dieses Feld ermöglicht.

Angela Hohmann

Wörterbuch der Feministischen Theolo- gie. Hg. von Elisabeth Gössmann, Elisa- beth Moltmann-Wendel, Herlinde Pissa- rek-Hudelist, Ina Praetorius, Luise Schot- troff, Helen Schüngel-Straumann.

Gütersloher Verlagshaus 1991, 476 S„

DM 7 8 -

»Von Erfahrungen von Frauen auszugehen und diesen Erfahrungen verpflichtet zu bleiben, ist ein grundlegender Anspruch Feministischer Theologie.« Mit diesem Satz beginnt Christine Schaumberger ihren Artikel zum Stichwort >Erfahrung<, er könnte auch als Motto dem Wörterbuch der Feministischen Theologie vorange- stellt sein. Sechs ausgewiesene Theologin- nen, drei katholisch, drei protestantisch, Frauen sehr unterschiedlichen Alters mit sehr unterschiedlichen Erfahrungen, haben das Wörterbuch erarbeitet und herausgege- ben und eine Anzahl der Artikel zu knapp

100 Stichworten verfaßt. In ihrem gemein- samen Vorwort schreiben sie:

Das Wörterbuch ist unser Experiment. Die feministisch-theologische Diskussion hat

viele Bücher und Aufsätze hervorgebracht.

Sie existiert auf Papier - viel Papier - und in der mündlichen Tradition. Mit unserem Experiment >Wörterbuch Feministische Theologie< wollen wir den Zugang zu Frauenschätzen erleichtern.

Und das ist in vielen Artikeln gelungen, manche Überraschung ist dabei.

Seitdem vor etwa 15 Jahren auch im deutschen Sprachraum erste feministisch-

(12)

theologische Gedanken formuliert und bald auch veröffentlicht wurden, ist eine große Fülle von einschlägiger Literatur er- schienen; »Empörungsliteratur« ebenso wie religiös und biblisch orientierte »An- sprechliteratur«, wie Elisabeth Moltmann- Wendel das einmal kategorisiert hat, also die vielen Bücher z.B., die biblische Frau- engestalten in ünmer neuen Gewändern vorführen, alte Mythen wiederentdecken, Märchen »ganz neu« erzählen. Das Wör- terbuch ist dagegen in erster Linie Be- standsaufnahme und Orientierung, eine gründliche, fundierte Information und Darstellung feministisch-theologischer Er- fahrung und Theoriebildung, in einer Form, die es so bisher nicht gab. Ganz an- ders als das bereits 1986 von Christine Schaumberger und Monika Maaßen her- ausgegebene »Handbuch Feministische Theologie«, das »dazu einladen (sollte), Blickweisen, Fragestellungen, Themen und Standpunkte feministischer Theologie kennenzulernen« und dazu eine Art Auf- satzsammlung lieferte, ist das neue »Wör- terbuch« formal ganz an traditionellen theologischen Lexika orientiert. Die Her- ausgeberinnen bemerken dazu im Vorwort:

Ausgerechnet ein Wörterbuch.' Die patri- archale Organisationsform männlicher Wissenschaft kulminiert nicht ungern in dicken Wörterbüchern. Wir meinen, daß gegenwärtig eine Bestandsaufnahme Fe- ministischer Theologie sinnvoll ist. Dabei haben wir versucht, die Schätze der Femi- nistischen Theologie zu sammeln uiui zu- gänglich zu machen. Wir haben also die

Wörterbuchform auch immer in Frage ge- stellt und bewußt Artikel, die diesen Rah- men überschreiten, mit aufgenommen.

Trotzdem ist es ein veritables Wörterbuch geworden, das den Vergleich mit her- kömmlichen theologischen Wörterbüchern - Herausgeberinnen und Autorinnen mö- gen mir den Vergleich nachsehen - nicht zu scheuen braucht. Aber es werden kei- neswegs nur Schätze Feministischer Theo- logie gesammelt (für mich sehr eindrucks-

voll z.B. die Interpretation der »Sünden- fallgeschichte« durch mittelalterliche My- stikerinnen im Artikel »Eva«), sondern es wird durchaus auch immer wieder auf bis- lang unerledigte Arbeit, auf offene Fragen und Probleme, auf vernachlässigte The- men hingewiesen.

Das Wörterbuch versammelt Artikel zu insgesamt 95 Stichworten, als Autorinnen zeichnen insgesamt 77 Frauen, überwie- gend Theologinnen, von denen viele durch z.T. auflagenstarke Veröffentlichungen mehr oder weniger bekannt sind. Es sind Frauen, die sich weit überwiegend der be- freiungstheologischen Richtung Feministi- scher Theologie verpflichtet wissen, Frau- en, die den christlichen Kontext nicht ver- lassen haben.

Ein gewisses Erstaunen hat bei mir die Lektüre des Inhaltsverzeichnisses hervor- gerufen. Das beginnt mit »Ämter/Charis- men«. fährt fort mit »Androzentrismus«, es folgt die »Anthropologie« und der »An- üjudaismus«, da steht der Begriff »Aufer- stehung« neben »Autonomie/Emanzipa- tion«, also ganz traditionelle Begriffe ne- ben »typisch feministischen«, aber auch ganz »kleine« Stichwörter, wie Diakonin oder Diakonisse, ja sogar »Ministrantin«

und »Kommunionhelferln« mit je einem eigenen Artikel finden sich neben Artikeln zu Begriffen wie »Eschatologie«, »Herme- neutik« oder »Liturgie«. Und dann gibt es für ein theologisches Wörterbuch so unge- wöhnliche Stichworte, wie etwa »Erinne- rung«, »Ganzheit«, »Gegenseitigkeit«,

»Lust« oder »Phantasie«, um nur einige zu nennen. Die Länge der jeweiligen Artikel schwankt zwischen 16 Zeilen (Kommu- nionhelferln) und 26 Seiten von insgesamt sechs Autorinnen zum Thema »Theolo- gin«. Ein gutes Viertel der Artikel ist sechs Seiten lang oder länger.

In ihrem Vorwort schreiben die Her- ausgeberinnen:

Als eine Reaktion auf eine Theologie, die Tod und Sunde allzusehr ins Zentrum stellt, sind uns andere Standpunkte wie Heil, Ganzheit und Gelingen wichtig. Die

(13)

Stichworte dieses Wörterbuchs sind aus der feministisch-theologischen Diskussion erwachsen. So werden die Leserinnen das Stichwort »Heilung« finden, nicht aber das Stichwort »Rechtfertigung«. Doch sollten die Leserinnen das Sachregister zu Kate ziehen, wenn sie Stichworte oder gängige Lexikoruirtikel bei uns vermissen.

Ein ausführliches Sach- und Personenregi- ster und oft umfangreiche Literaturanga- ben am Schluß jedes Artikels machen das Buch zu einem weiterführenden Arbeits- buch, wozu auch die vielen Querverweise innerhalb der Artikel beitragen. Das heißt aber auch, daß dieses Buch sich nicht nur an Leserinnen mit einem erklärten Interes- se an Fragestellungen und Antwortversu- chen Feministischer Theologie wendet, sondern daß seine Lektüre häufig erst dann Gewinn bringt, wenn gewisse und manch- mal sogar relativ umfangreiche theologi- sche Vorkenntnisse vorhanden sind.

Gleichwohl ein Buch, das bisher gefehlt hat und von dem man erst beim Lesen so recht merkt, wie sehr es gefehlt hat Und deswegen sind ihm auch viele Herren Theologen als Leser zu wünschen, denn

»Feministische Theologie«, schreibt Elisa- beth Moltmann-Wendel in ihrem Beitrag zum Stichwort »Zukunft«,

wird langlebig, aber stets bedroht sein.

Langlebig, weil sie nicht einfach eine Theologie einer sozialen oder kulturellen Bewegung ist, sondern die Anliegen der Hälfte der Menschheit vertritt. Bedroht, weil sie mehr als andere theologische Ent- würfe mit Abwehr und Ängsten der in ihrer Rolle bedrohten Männer konfrontiert sein wird.

Angelika Schmidt-Biesalski

Die vorgeburtliche Diagnostik.

Taschenbuchausgaben

Barbara Katz-Rothmann: Schwanger- schaft auf Abruf. Metropolis-Verlag, Marburg 1989, 280 S„ DM 29,80.

Eva Schindele: Gläserne Gebär-Mutter.

Fischer, Frankfurt/M. 1990, 288 S„

DM 14,80.

Robin J. R. Blatt Bekomme ich ein ge- sundes Kind? Rowohlt, Reinbek b. Ham- burg 1991, DM 14,80.

Wie lange liegen sie schon zurück, die Zeiten, als schwangere Frauen noch ein- fach »guter Hoffnung« waren? In unserer Gesellschaft wird heutzutage eine derarti- ge Sicht der Schwangerschaft bestenfalls belächelt, als bemitleidenswerte Unwis- senheit eingestuft oder auch als verantwor- tungslos bezeichnet. Im Extremfall kommt es sogar zur gerichtlichen Verfolgung der Schwangeren.

»Wir wollen nur sehen, ob >mit dem Kind< alles in Ordnung ist«, erklärt die Frauenärztin, und innerhalb kürzester Zeit findet sich die Schwangere gefangen in ei- nem fast unübersichtlichen Gewirr von Untersuchungen, Blutabnahmen, Ultra- schallbildem, dem Warten auf Befunde, dem Erhalt unklarer Nachrichten, der Kon- frontation mit Zusatzuntersuchungen und vor allem großen Ängsten. Insbesondere bei »älteren« Schwangeren (derzeit liegt das in der BRD festgesetzte »Risikoalter«

bei 35 Jahren, die Tendenz ist fallend) sind Ärzte und Ärztinnen inzwischen verpflich- tet, eine Chromosomenuntersuchung des Fetus anzubieten, die normalerweise mit Hilfe einer Fruchtwasserentnahme um die

16. Schwangerschaftswoche durchgeführt wird, in den letzten Jahren oft auch mit Hilfe einer Chorionzottenbiopsie um die

10. Schwangerschaftswoche.

In krassem Gegensatz zur Häufigkeit dieser Untersuchung - in bundesdeutschen Großstädten wird inzwischen bei bis zu

(14)

90% der Schwangeren im »Risikoalter«

eine Chromosomenuntersuchung des Fetus durchgeführt - steht eine meist nur vage Vorstellung über Aussagemöglichkeiten und Risiken dieser Tests. Selbst niederge- lassene Frauenärztinnen können oft nur ungenaue Informationen hierzu vermitteln, ganz abgesehen von der Tatsache, daß in der Praxis meist sehr wenig Zeit für Bera- tungsgespräche übrig zu sein scheint Kompetenter sind zwar die universitären genetischen Beratungsstellen, doch wer- den hier Schwangere, die Hilfen zur Ent- scheidungsfindung suchen, meist lediglich telefonisch mit Auskünften über Risiko- prozentzahlen abgespeist, eine Praxis, die den Frauen normalerweise wenig hilfreich ist. Die wichtigen psychologischen oder sozialen Aspekte bleiben völlig ausge- klammert Nicht ganz zu Unrecht stehen die genetischen Beratungsstellen auch in dem Ruf, nicht völlig uneigennützig zu be- raten, sind es doch meist die gleichen In- stitutionen, die an den Tests nicht unerheb- lich verdienen. So bleibt also den schwan- geren Frauen auf der Suche nach Informationen und Hilfe noch der Gang zum Buchladen. In den letzten Jahren sind auf dem deutschen Markt drei Bücher er- schienen, die den Anspruch erheben, in allgemeinverständlicher Art insbesondere Schwangeren im »Risikoalter«, denen eine vorgeburtliche Chromosomenuntersu- chung angeboten wurde, Hilfen bei der Entscheidungsfindung zu bieten.

Verändertes Schwangerschaftserleben

»Schwangerschaft auf Abruf«, das Buch der US-amerikanischen Soziologin Barba- ra Katz-Rothmann, kann inzwischen be- reits als Klassiker des Gebietes bezeichnet werden. Anhand von Interviews mit ver- schiedenen Gruppen von Schwangeren so- wie genetischen Beraterinnen stellt die Autorin schlüssig dar, welche Auswirkun- gen bereits die Entscheidung für oder ge- gen den Test auf das Schwangerschaftser- leben hat. Schwangere, die auf das Ergeb-

nis einer Fruchtwasseruntersuchung war- ten, das selten vor der 20. Schwanger- schaftswoche vorliegt bemühen sich - manche bewußt sehr viele aber auch un- bewußt bis zur Mitteilung des Ergebnis- ses keine starke emotionale Bindung zur Schwangerschaft zu entwickeln, um ein möglicherweise schlechtes Ergebnis besser verkraften zu können. Wie stark die unbe- wußte Komponente ist zeigt sich auch daran, daß Frauen, die eine Fruchtwasser- untersuchung vornehmen ließen, erst in ei- nem fortgeschritteneren Stadium der Schwangerschaft Kindsbewegungen ver- spüren als Frauen, die sich gegen eine Te- stung entschieden. Aufschlußreich ist ebenfalls, wie stark sich bereits das vorgeburtliche Wissen um das Geschlecht des Fetus - ein bisher weitgehend un- beachteter »Nebenaspekt« der Testung - auf das Schwangerschaftserleben auswirkt.

Das Ergebnis einer »Schwangerschaft auf Probe« mit der Konsequenz, ein Kind als Produkt anzusehen, das bestimmten Qualitätskriterien zu entsprechen hat, scheint die zwangsläufige Folge des Test- angebots zu sein. Die Autorin erläutert die begrenzten Aussagemöglichkeiten einer vorgeburtlichen Chromosomenuntersu- chung sowie die oft unterschlagene Gefahr von Fehldiagnosen.

Katz-Rothmann stellt die vorgeburtli- che Diagnostik schlüssig in einen histori- schen Zusammenhang mit der Entwick- lungsgeschichte der Abtreibung, der auf- kommenden Sicht auf den Fetus als

»Patienten« und der Etablierung der gene- tischen Beratung. Ausführliche Inter- viewzitate wurden thematisch zusammen- gefaßt und stellen anschaulich verschiede- ne Umgangsweisen von Schwangeren mit der Problematik dar. In zwei Anhängen sind auf wenigen Seiten noch einmal sehr differenzierte Argumente für und gegen die Testung aufgeführt, die Hilfen zur Ent- scheidungsfindung bieten. Insgesamt also ein sehr wichtiges Buch, das Schwangeren in verständlicher Form viel Nachdenkens- wertes vermittelt ohne einseitig beeinflus- sen zu wollen.

(15)

Bedauerlich ist nur, daß das Buch in ei- nem sehr kleinen deutschen Verlag er- schienen ist und in vielen Buchhandlungen nicht immer vorrätig ist

Der ärztliche Blick in die Gebärmutter

»Gläserne Gebär-Mutter«, das Buch der Bremer Sozialwissenschaftlerin Eva Schindele, ist die erste und bisher einzige allgemeinverständliche Untersuchung zum Thema vorgeburtliche Diagnostik im deutschsprachigen Raum. Die Autorin pro- blematisiert die zunehmende Umdeutung der Schwangerschaft in einen krankhaften Zustand, die Auflösung der Einheit von Mutter und Fetus, den rituellen Gang zum Frauenarzt und die Medikalisiening der Schwangerschaft. In den letzten Jahren er- lebten wir eine rapide Inflation des Be- griffs der »Risikoschwangerschaft«, ein- hergehend mit einer zunehmenden Enteig- nung der Schwangerschaft durch die Medizin. Nach einem Uberblick über den Stand der Technik in der BRD werden aus- führlich Methoden, Risiken, Aussagemög- lichkeiten und Auswirkungen der Tests beschrieben. Insbesondere findet sich hier eine sorgfältig recherchierte Zusammen- stellung über die altersspezifische Häufig- keit von Chromosomenanomalien, ein Punkt, über den oft erschreckend unreali- stische Vorstellungen vorherrschen.

Ausführlich dokumentiert wurden Ge- spräche mit Frauen, die sich aus verschie- denen Gründen für oder gegen eine vorge- burtliche Chromosomenuntersuchung ent- schieden. Einfühlsam und nachvollziehbar wurden hier sowohl die fast vorbehaltlose Testbejahung wie auch die ambivalente Haltung oder die eindeutige Ablehnung des Tests dargestellt.

Am Schluß des Buches wird die Bre- mer »Initiativgruppe pränatale Diagno- stik« vorgestellt, die sich zum Ziel gesetzt hat, Informationsmöglichkeiten außerhalb der staatlichen Stellen zu schaffen und Konfliktberatungen für Frauen und Paare durchzuführen.

Auf äußerst sensible Weise versteht es die Autorin, den Blick der Leserin für die verschiedenen Aspekte der Problematik zu schärfen. Das Buch ist somit sicher eine große Hilfe für Frauen, die sich mit der Entscheidung für oder gegen eine Testung auseinandersetzen.

Die vorgeburtliche Diagnostik als Ankreuztest

Auf einer gänzlich anderen Ebene bewegt sich das dritte auf dem deutschen Markt erbältliche Buch. »Bekomme ich ein ge- sundes Kind?« lautet der werbewirksame Titel der deutschen Ausgabe von »Prenatal Tests« der US-amerikanischen Kranken- schwester Robin J.R. Blatt Mißtrauisch machen bereits die einführenden Worte des Humangenetikers Miller, der das Buch als den ersten sorgfältig erarbeiteten Leit- faden zum Thema vorgeburtliche Diagno- stik bezeichnet Sollte er etwa das Buch von Barbara Katz-Rothmann nicht kennen oder hält er dieses für unsorgfältig erarbei- tet?

Obwohl Frau Blatt die gängigen Test- methoden teilweise sogar recht kritisch be- schreibt, Unzulänglichkeiten erwähnt und auf die Gefahr von Fehldiagnosen und Falschinterpretationen aufmerksam macht, ist sie der Meinung, daß Frauen heutzuta- ge mit Hilfe der neuen Testmethoden tat- sächlich die Wahl haben, sich für oder ge- gen ein behindertes Kind zu entscheiden.

Wie aber, fragt sich die erstaunte Leserin, kann die Autorin nach der Lektüre ihres eigenen Buches zu solch einer Schlußfol- gerung kommen?

Hier scheint eher der Wunsch der Vater des Gedankens gewesen zu sein. Emotio- nale Aspekte werden zwar nicht völlig ignoriert, aber in so wenigen Absätzen ab- gehandelt, daß sie kaum noch ins Gewicht fallen. Die schwierige Gefüihlslage einer schwangeren Frau, die ein schlechtes Testergebnis erhalten hat, wird auf einer Seite beschrieben, die nächsten sechs Sei- ten widmen sich dann aber den verschie-

(16)

denen technischen Möglichkeiten, einen Schwangerschaftsabbruch durchzuführen bis hin zu dem Rat, die psychischen Fol- gen des Abbruchs doch mit Homöopathie oder Meditation zu bewältigen. Sehr große Hoffnungen setzt die Autorin auch in die ethisch sogar in Fachkreisen heftig um- strittene zukünftige Entwicklung der Gen- therapie im Mutterleib.

Folgerichtig widmet sich dann auch ein längerer Abschnitt der korrekten Abfas- sung von Leihmutterschaftsverträgen im Hinblick auf eine verpflichtende vorge- burtliche Testung. Eine Anmerkung der deutschen Übersetzerin klärt uns darüber auf, daß solche Verträge in den USA er- laubt, in der BRD dagegen verboten sind.

Durch das gesamte Buch ziehen sich auf Boulevardzeitungsniveau gehaltene An- kreuztests (»Prüfen Sie Ihre Gründe für oder gegen den xy-Test!«). Diese gipfeln in einem 22teiligen »Fragenkatalog zur pränatalen Selbstbewertung«. Fragen wie

»Sind Sie 35 Jahre oder älter?« oder »Ha- ben Sie während der Schwangerschaft ge- raucht?« sollen mit »ja«, »nein« oder »un- sicher« beantwortet werden. Die Testaus- wertung ist kinderleicht. Frauen, die auch nur eine der Fragen bejaht haben, und dies dürfte auf etwa 99 % aller Leserinnen zu- treffen, werden angewiesen, sich an eine genetische Beratungsstelle zu wenden.

Äußerst erstaunlich ist, daß der Dank der Autorin für Kommentare und anregen- de Diskussionen ausdrücklich an zahlrei- che namhafte Feministinnen geht, unter anderem Ruth Hubbard, Rita Arditti und Shelley Minden. Welcher Art ihre Beiträge beim Zustandekommen dieses Buches wa- ren, würde sicher nicht nur mich brennend interessieren.

dem in Fachkreisen sehr kontrovers disku- tierten Triple-Test können Buchveröffent- lichungen gar nicht mehr Schritt halten. In Anbetracht der schwerwiegenden Konse- quenzen der Tests sowie angesichts der Tatsache, daß der Kreis von Frauen, denen eine Testung angeboten wird, immer grö- ßer wird, scheint es dringend notwendig, ein Netz von Beratungseinrichtungen zu schaffen, das ratsuchenden Frauen unab- hängig von den an der Testung verdienen- den Interessengruppen Informationsmög- lichkeiten und Hilfen zur Entscheidungs- findung geben kann.

Claudia Schulze

Fehlende Beratungseinrichtungen

So stehen also ratsuchenden Frauen auf dem deutschen Buchmarkt insgesamt nur äußerst begrenzte Informationsmöglich- keiten zur Auswahl. Mit neuen Entwick- lungen der Testung wie beispielsweise

(17)

Bücher, die bei uns eingegangen sind

Isobel Armstrong (Hrsg.): New Feminist Discourses. Critical Essays on Theories and Texts. London, New York (Rouüedge)

1992.

Arbeitskreis Frauengeschichte: FrauenLe- ben in Münster. Ein historisches Lesebuch.

Westf, Dampfboot, Münster 1992.

Logie Barrow; Dorothea Schmidt; Jutta Schwarzkopf: Nichts als Unterdrückung?

Geschlecht und Klasse in der englischen Sozialgeschichte. Westf. Dampfboot, Münster 1991.

Beate Besten: Sexueller Mißbrauch und wie man Kinder davor schützt. München

1991.

Judith Butler, Joan W. Scott (Hrsg.): Femi- nist Theorize the Political. New York, London (Routledge) 1992.

Clare Brant, Diana Purkiss (Hrsg.): Wo- men, Texts and Histories. ¡575-1760. Lon- don, New York (Routledge) 1992.

Anne Conrad: Zwischen Kloster und Welt.

Ursulinen und Jesuitinnen der katholi- schen Reformbewegung des 16JI7. Jahr- hunderts. Verlag Philipp von Zabern, Mainz 1991. 296 S„ DM 78,-.

Beate Fieseier; Birgit Schulze (Hrsg.):

Frauengeschichte gesucht - gefunden?

Auskünfte zum Stand der Historischen Frauenforschung. Köln/Weimar, Wien

1991.

Karin Fischer, Eveline Kilian, Jutta Schön- berg (Hrsg.): Bildersturm im Elfenbein- turm. Ansätze feministischer Literaturwis- senschaft. Tübingen (Attempto) 1992.

Helga Grubitzsch; Roswitha Bockholt:

Theroigne de Mericourt. Die Amazone der

Freiheit. Centaurus, Pfaffenweiler 1991.

560 S„ DM 58,-.

Renate Jost; Ursula Kubera (Hrsg.): Be- freiung hat viele Farben. Feministische

Theologie als kontextuelle Befreiungstheo- logie. Gütersloh 1991.

Chong Sook Kang; Ilse Lenz: »Wenn die Hennen krähen«. Frauenbewegungen in Korea. Westf. Dampfboot, Münster 1992.

Pnina Nav£ Levinson: Eva und ihre Schwestern. Perspektiven einer jüdisch-fe- ministischen Theologie. Gerd Mohn, Gü- tersloh 1992. 238 S„ DM 29,80.

Helga Lüdtke (Hrsg.): Leidenschaft und Bildung. Zur Geschichte von Frauenarbeit in Bibliotheken. Orlanda, Berlin 1992.

304 S., DM 39,80.

Bea Lundt (Hrsg.): Auf der Suche nach der Frau im Mittelalter. Fink, München 1991.

Sara Mills: Discourses of Difference.

Routledge, London 1991.

Offene Frauenhochschule Kassel Doku- mentation 1990. Frauen zwischen Ost und West. 2 Teile.

Particularisme et universalisme. Redak- tion Christine Delphi, Paris 1991.

Gertrude Postl: Weibliches Sprechen. Fe- ministische Entwürfe zu Sprache und Gleichheit. Wien 1991 (Passagen).

Monika Rosenbaum: Frauenarbeit und Frauenalltag in der Sowjetunion. Westf.

Dampfboot, Münster 1992.

Linda Wilken: Einmischung erlaubt?

Kommunale Frauenbüros in der Bundesre- publik. VSA, Hamburg 1992. 144 S„

DM 22,80.

Lindy Ziebell; Christiane Schmerl; Hanne- lore Queisser: Lebensplanung ohne Kin- der. Fischer TB, Frankfurt/M. 1992.

247 S„ DM 14,80.

Feministische Studien 2/92

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Die Kenntnis der Kulturgeschichte zeigt uns aber deut- lich, dass der bewusste Genuss vergorener Getränke in allen Epochen auch seine guten Seiten hatte, denn immerhin enthält ein

Bei der thermischen Desinfektion handelt es sich um eine Methode der Desinfektion, die auf einer starken Erhitzung der zu desinfizierenden

Action : Zivilschutz, Bevölkerungsschutz, Kulturgüterschutz = Protection civile, protection de la population, protection des biens culturels = Protezione civile, protezione

Autor gesucht, der als Geisteswissenschaftler mit Bildmedien umgehen kann und Interesse an einer gut dotierten Auftragsarbeit

Die Kernbotschaft ist, dass die Ziele der EU für ihre eigenen Bürger – Wohlstand, Frieden und ökologische Nachhaltigkeit – von ihrer globalen Verantwor- tung und

Die Langener Südgemarkung steht komplett als Natur- und Landschaftsschutzgebiet sowie als Flora-Fauna-Ha- bitat unter besonderem Schutz. Die Wiesenlandschaft beherbergt seltene

Hinweis zu §§ 60a, 60b UrhG: Das Werk oder Teile hiervon dürfen nicht ohne eine solche Einwilligung an Schulen oder in Unterrichts- und Lehrmedien (§ 60b Abs. 3 UrhG)

„Der erzielte Verhandlungserfolg für eine weitgehende Reform der EUAgrarpolitik lässt zwar noch viele Wünsche aus Naturschutzsicht offen, er stellt jedoch eine klare Verbesserung