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Die chronologische Bedeutung von □"'3"iy und anna.
Von Ed. Mahler.
In seinem Artikel .Hebräisch temporal* *) erörtert W. Caspari
die wahre Bedeutung des Wörtchens und tritt dafür ein, daß
man dort, wo eine Zeitgröße von dieser Präposition abhängig ist,
dieselbe nicht — wie allgemein üblich — mit .zwischen' sondern
mit .während' zu übersetzen habe. Dabei bringt C. auch die Dual- 5
form D"'3"iy zur Sprache und meint, daß dieser Dual, „der zu lexi¬
kalischen Umständlichkeiten geführt hat, lediglich eine Polge davon
ist, daß sich mit der Präposition gerne die Vorstellung einer
Zweiheit assoziierte'. .In einem solche Palle muß der Dual als
ein reines Pormenspiel an der Pormulierung betrachtet werden ; der 10
Übersetzer kann daraus nur gewinnen: im Laufe des Abends, während
des Abends — m. a. W. er gibt den Dual auf.'
Gegen diese Ansicht wendet sich jüngst H. Bauer*); er erklärt
dieselbe für ganz unhaltbar, .denn D"'3")y ist von Dinns nicht zu
trennen, hier steht aber immer der .Dual", obwohl die Porm nie- 15
mais mit yn verbunden ist". Er ist deshalb der Ansicht, daß
D''3"i5' und C"'in5£ gar nicht Duale sind , sondem Varianten von D3-iy und onriJS darstellen in der Bedeutung .ihr Abend, ihr Mittag"
für .abends, mittags".
Da die Erörterung der hier aufgeworfenen Prägen sich aufs 20
innigste mit der Besprechung von Problemen berührt, die in das
Gebiet der orientalischen Chronologie gehören, so sei es gestattet,
die chronologische Seite dieser Präge in Betracht zu ziehen.
Und da müssen wir wohl sagen, daß D"'any und a'^nnS in
der Tat verwandte Pormen sind , doch in so fern , als beide aus 25
wohl erwogenen und selbstverständlichen Gründen .Duale" sind.
Was bedeutet denn a"""ins? OfFenbar, streng genommen, den Zeitpunkt, in dem die Sonne während ihres Tageslaufes ihren höchsten
Punkt über dem Horizont erreicht. Es ist dies eigentlich bloß ein
Moment, und zwar jener Moment, da die Sonne ihre größte Höhe so
1) Orientalistiscbe Literaturzeitung, 1913, Sp. 337Ö'.
2) Die bebräiscben .Duale' D'^SIS und D"'in3S. Orientalist. Literatur¬
zeitung, 1914, Sp. .7.
678 Mahler, Die chronologische Bedeutung von u^yyf und D"''l!ll£,
erreicht hat und nun anfängt sich allmählich wieder dem Horizonte,
von dem sie sich während des Vormittags immer mehr und mehr
entfernt hat, zu nähern, also der Zeitpunkt, der zwei wichtige Zeit- ahschnitte : den Vormittag und den Nachmittag von einander scheidet.
5 Da es unter solchen Umständen nicht leicht sein kann zu entscheiden,
ob dieser Zeitpunkt noch zum Vormittag oder schon zum Nachmittag
gezählt werde, und in der Tat — weil an der Grenze beider liegend
zu beiden Tagesabschnitten gehört, so ist es selbstverständlich, daß
man zur Bezeichnung dieses Zeitpunktes die Dualform, also D"'"inK
logewählt hat. Vgl. z. B. Gen. XLIII, 16; Gen. XLIII, 25; Deut
XXVIII, 29; Reg. A., XVIII, 26; Reg. A., XVIH, 29; Jes. XVI 3-
Jes. LVIII, 10; Jes. LIX, 10; Jer. XX, 16; Am. VIII, 9 ; Job. V, 14 •
Ps. XXXVII, 6.
Genau so verhält es sich mit dem Worte D''ai5>. Eigentlich
15 ist dies vollkommen synonym mit dem Worte ai?, welches Wort
zur Bezeichnung jenes Tagesabschnittes dient, der mit Sonnenunter¬
gang beginnt und mit Eintritt der vollen Dunkelheit (nb-ib) schließt.
Ex. XVI, 8 lesen wir: »afflb -ipna nnbi bsNb -11253 a-i»a.
Ex. XVL 12: nnb isaion -ipaai 1125a ibsitn d-aiyrTpa^
«0 Es ist also an^a dem Sinne und seiner Bedeutung nach voll¬
kommen identisch mit D"'aiyn yn.
Dasselbe sehen wir auch im folgendem Palle. Ex. XII, 6 ordnet
an, daß man das Passah-Lamm am 14. Tage des ersten Monats,
abends, schlachten soll. Als Zeitbestimmung dient hier der Aus-
25 druck: D-iaiyn pa. Genau so geschieht dies Lev. XXIH, 5, Num.
IX, 3 und Num. IX, 5. Dagegen ist in Ex. XII, 18, Deut. XVL 6
und Jos. V, 10 die Zeit derselben Pflichtbandlung durch ansa hervor¬
gehoben. Vgl. z. B. :
Lev. XXIII, 5: Deut. XVI, 6:
so mrrib noo p-'anyn y a aiya nocn r» naTn
aiy und D''aiy sind also hier vollkommen identische Begriffe.
Warum also dann O-'aiy? Im l^alender der Hebräer beginnt der
bürgerliche Tag mit Eintritt der vollen Dunkelheit, d. i. mit Ein¬
tritt jener Tageszeit, die mit dem Worte nb-'b bezeichnet wird,
S5 nicht aber — wie dies allgemein behauptet wird — mit Sonnen¬
untergang. Mit Sonnenuntergang beginnt jener Tagesabschnitt, der
mit , Abend = aiy = D^'aiy" bezeichnet wird, und dieser gehört
noch dem laufenden, nicht aber dem kommenden bürger¬
lichen Tage an. Daß dem so ist, lehrt Lev. XXIII, 32, wo-
40 selbst das am 10. Tage des 7. Monats zu feiernde Versöhnungsfest
mit folgenden Worten angeordnet wird:
DDTWDi nN Dn-'iyi Dsb «in iinaia nai25
aiy ly aiy» aiya »nnb nyiisna
.Dana» inaffln
Mahler, Die chronologische Bedeutung von D^aiS und CIMS. 679
Die Feier, die in der Kasteiung bestehen soll, hat also ,am
aiy des neunten Tages zu beginnen und soll an» any73 d. h.
von diesem any an bis inkl. der any-Zeit des andern Tages dauern.
Würde die Zeit des any nicht mehr zum laufenden, sondern schon
zum folgenden Tage gehören , so brauchte nicht hervorgehoben zu 5
sein: anya TDnnb nyiona, es hätte genügt als erklärender Nach¬
satz: DDraffl nnaisn any ny any».
Und dasselbe bezeugen die biblischen Vorschriften, die inbezug
auf das Passah-Lamm zu beachten sind. Dieses soll am 14. Tage
des ersten Monats geschlachtet Vierden , und als Zeitpunkt hierfür lO
wird anya oder DianyJn va genannt. Sowohl die eine als die
andere Bezeichnung dient also zur Charakterisierung einer Zeit, die
jedenfalls noch zum laufenden, d. i. 14. Tage gehört.
Mit dem Worte „Abend* wird also jene Tageszeit bezeichnet,
welche den Schluß des bürgerlichen Tages bedeutet und sonach den 15
einen bürgerlichen Tag von seinem folgenden trennt. Er beginnt
mit Sonnenuntergang und schließt mit Eintritt der vollen Dunkel¬
heit (nb-ib), d. i. mit dem Momente, da (vgl. Babyl. Talm., Sabbat, Sö*»)
drei Sterne mittlerer Größe mit freiem Auge sichtbar werden, und
wird im allgemeinen mit dem Worte any ausgedrückt. Da es aber 20
eben wegen dieser Definition des .Abend* oft zweifelhaft ist, ob der
so an der Grenze zweier bürgerlicher Tage gelegene Zeitabschnitt
noch zum laufenden oder bereits zum folgenden Tage gehört und
sonach von vielen Beobachtern hierher, von anderen wieder dorthin
gezählt wird *), so ist aus any zuweilen die Dualform a^'any ent- 25
standen, analog dem Sprachgebrauche für Mittag = Dinnsc. Doch
ist any als Zeitmerkmal vollkommen gleich mit D"'any, und
ebenso ist anya seiner Bedeutung nach völlig gleich mit D'ianyn ya
= .abends, am Abend, zur Zeit des Abends, während des Abends*
oder dergl. Und somit hat Caspari recht, wenn er dagegen Stellung so
nimmt, daß man das bei Zeitbegriffen angewendete ya mit
.zwischen , binnen etc." übersetzt , und dafür eintritt , daß hierfür
das Wort .während' gebraucht werde.
Man könnte allerdings fragen : warum denn immer anya und
aianyn va, warum nicht auch D"'anya analog dem D'^nnsa? Doch ss
ein Rückblick auf die Grundbedeutung beider Begriffe gibt hierüber
m. E. genügenden Aufschluß, cnni: = Mittag als Inbegriff jener
Zeit, da die Sonne während ihres Tageslaufes ihren höchsten Stand
über dem Horizont erreicht, ist streng genommen der Begriflf eines
1) In ganz präziser Weise äußert sicli hierüber Maimonides in seinem
Werke na© msbn, lol. 9a, Halachah 4. Hier heißt es: nWnn ypiSn-^M
bsa mcwisn yn Nnp:n iwin »t, D'':i:">a o-iaDia laba iNn-'« ny
Nb ibt< D-'aaiaT nb-ibn to pcp -^ri pep sim .aipw
n-';i;''a «b« nb-'ba Nb« v'*"!^ V^*^ n-'cap «bi ara a-'Nnrn c^binj
.iNm nb^b m inn B'>:i:-'an ibt« o^aDiD «b« nsn-^cm
680 Mahler, Die chronologische Bedeutung von Q'any und ailflS.
einzigen Augenblicks, eines Zeitpunktes; da kann unmöglich bei
klarer Hervorhebung dieses Zeitpunktes das Wort pa, das immer
eine gewisse Kontinuität der Zeit voraussetzt, angewendet werden ,
da ist keine andere Präposition am Platze, als die durch a aus-
6 gedrückte. Und darum ist auch (vgl. Gen. XLIII, 25; Deut. XXVIII, 29;
Jes. LIX, 10; Am. VIII, 9; Job. V, 14) onnsa = ,am Mittag,
mittags, zur Zeit des Mittags'. Anders ist dies bei DiaiT. Dies
ist nicht der Begriff eines Zeitmoments , sondern der eines , von
Sonnenuntergang bis Eintritt völliger Dunkelheit sich kontinuierlich 10 fortsetzenden Zeitraumes, der — weil am Schlüsse des bürgerlichen
Tages gelegen — in kontinuierlicher Weise den Übergang von einem
bürgerlichen Tage zum andern herstellt. Wird nun bei einer Hand¬
lung, die nicht an einen bestimmten Zeitpunkt geknüpft ist, sondem
innerhalb der beiden Grenzen des als ai? oder D'^aiy bezeichneten
16 Zeitraumes geschehen kann, die Zeit dieser Handlung durch D-iaiy
ausgedrückt, so ist es ganz natürlich, daß man dann nicht das auf
einen präzisen Teilpunkt sich beziehende a, sondern das Wörteben
ya benutzt. Und so ist denn: aiya = „am Abend, zur Zeit des
Abends", und D-^a-iyn = .während des Abends" (vgl. Caspari
20 a. a. 0.), also die Zeit zwischen den beiden Grenzpunkten des Abends, d. i. zwischen Sonnenuntergang und Eintritt der vollen Dunkelheit.
Allerdings gilt es als Tradition im Judentum, daß der mit dem
Worte aiy bezeichnete Zeitbegriff schon mit der ersten Nachmittags¬
stunde (eine halbe Stunde nach dem Mittag), da die Sonne sich gen
26 Westen zu neigen beginnt, seinen Anfang nimmt und sich nach
Sonnenuntergang bis zum Eintritt der vollen Dunkelheit erstreckt.
Das Wort aiy hat demnach eine zweifache Bedeutung: einmal ist
es die Zeit von Sonnenuntergang bis Aufgang der Sterne, und dann
ist es auch gebraucht für die Zeit des ganzen Nachmittags von
80 dem Momente an, da die Sonne sich gen Westen neigt (nyipiB ny
anyb rmnn msc ny in o^aaiDn nNS iy rrnnn), so daß man zu
unterscheiden hätte zwischen nwnn m:D nyw aiy und \ött73 aiy ^).
Der Ausdruck n-iaiyn ya ist in dieser Auffassung der Inbegriff
der Zeit, die zwischen diesen beiden als aiy bezeichneten Zeit-
85 räumen liegt, also die Zeit unmittelbar vor und nach Sonnenunter¬
gang. Nach Raschi*) ist es die ganze Zeit vom Mittag an, da der
Schatten größer wird.
Daß dem aber nicht so sein kann, oder wenigstens in der
biblischen Periode nicht so war, lehrt das Bibelwort zur Genüge.
40 An vielen Stellen (z. B. Lev. XV, 18) lesen wir: ly INMÖT
anyn, oder (siehe: Lev. XXII, 6): aiyn iy HNTiUi, während der
darauffolgende Vers (Lev. XXII, 7) so lehrt: inüi löMBn NaT.
Während also nach Lev. XXII, 6 der unreine Zustand bis zum aiy
1) Vgl. Fürst, Konkordanz, 859, Sp. 4.
2) Raschi (vgl. Babyl. Talm., Pasachim, 55«) gibt für D-iaiyn ya folgende Definition: Q-'iiyn ya p'^lp ITJIS bj£l25 nbynbl my«
Mahler, Die chronologische Bedeutung von D^3"iy wnd D''3tlS. 681
dauert, hat derselbe nach Lev. XXII, 7 mit eingetretenem Sonnen¬
untergang sein Ende; es müssen sonach beides synonyme Begriffe
sein, d. h. ©'aiön N2 (Sonnenuntergang) und Beginn des aiS müssen
sich ihrem Sinne nach vollkommen decken.
Jos. VIII schildert uns den Kampf Israels gegen die Stadt Ai. 5
Die Bewohner wurden niedergemetzelt, der Ort dem Boden gleich¬
gemacht, und der König wurde aufgeknüpft und so gelassen
aiyn ny , d. h. bis Eintritt der Abendzeit (vgl. daselbst V. 29);
und als die Sonne unterging (lawffln Niaai), da befahl Josua, daß
man den Leichnam des Königs vom Richtpflock herunternehme. — lo
Ähnlich erging es fünf Königen, mit denen Josua kämpfte (vgl.
Jos. X, 26—27). Ihre Leichname blieben aufgeknüpft aiyfi "ly,
d. h. bis zum Abend ; bei Sonnenuntergang (fflttUSn tna nyb) wurden sie auf Befehl Josuas von den Pfählen entfernt.
Es hat somit die mit aiy bezeichnete Zeit mit 15
iBMTöü Nia ny, d.i. mit der Zeit des Sonnenunterganges
begonnen.
Wir flnden übrigens auch noch anderweitige Bestätigungen
hierfür. In Ps. LV, 18 lesen wir: DiinST Ipai aiy. Hier sind
die drei Hauptpunkte der Sonnenbahn während ihres Tageslaufes «o
hervorgehoben: Sonnenuntergang und Sonnenaufgang,
sowie Mittag; d. h. die Zeit, da die Sonne unter den Hori¬
zont tritt , sowie die Zeit , da sie über den Horizont tritt,
und der Moment, da sie ihren höchsten Stand über dem Horizont
erreicht. 25
Und somit ist auch die allgemein für D"<aiy und D'^aiyn vn
gegebene Auslegung unrichtig. Und unrichtig ist die Meinung der
Pharisäer , denen die heutigen Juden folgen , indem sie unter ya
D"'aiyn den Zeitraum zwischen der neunten und elften Tagesstunde
(d. i. zwischen 3 Uhr und 5 Uhr nachmittags) verstehen. Richtig so
ist dagegen die Meinung der Samaritaner, welche unter O'laiyn ya
die Zeit zwischen Sonnenuntergang und der völligen Dunkelheit
verstehen, aber nur in so fern, als (siehe oben) aiya und caiyn ya
identische Zeitbegriffe sind und n-'aiyn ya im Sinne Caspari's
übersetzt wird, d. i. „während des Abends'. 35
In Verbindung mit diesem Gegenstande möchte ich noch eine
andere, gleichfalls nicht unwichtige Frage erörtern.
Bekanntlich beginnt im Kalender der Juden — wie bei allen
Völkern, deren Kalender auf einem Lunarjahr oder Lunisolarjahr
aufgebaut ist — der bürgerliche Tag nicht mit Mitternacht und 40
nicht mit Sonnenaufgang, sondern mit Eintritt der Nacht. Es ist
dies etwas so natürliches und mit den primitivsten Kulturanschau-
nngen so innig verknüpftes, daß eine nähere Begründung der Sache
ganz und gar unnötig ist. Denn gleichviel, ob der Monat mit
Neumond oder Vollmond seinen Anfang nimmt, so ist es ganz natür- 45
lieh, daß die einzelnen Tage mit jener ihrer zwei natürlichen Hälften 4 9
682 Mahler, Die chronologische Bedeutung von D'SIS und D'"ins .
beginnen, in der der Mond am Firmament sichtbar wird, d. i. mit
Eintritt der Nacht.
Die Frage, die im Lager der Chronologen eine Erörterung
erheischte, ist die nach der Form des Jahres in der Urzeit der
»jüdischen Geschichte oder, wie man dies sonst zu bezeichnen
pflegt, in der ersten Periode der hebräischen Zeitrechnung, für die
der Pentateuch die Quelle bildet, aus der wir unsere Kenntnisse
schöpfen. Es entstand die Frage: welche Grundform hatte damals,
in der biblischen Urzeit, das Jahr der Hebräer? und damit in Ver¬
io bindung wurde auch die Frage nach dem Beginne des bürgerlichen
Tages erörtert. Einen Ausgangspunkt behufs Erörterung der ersten
Frage glaubte man in der biblischen Darstellung der Sintflutgeschichte
gefunden zu haben ; es gab keinen namhaften Chronologen, der sich
nicht mit dieser Frage beschäftigt hätte , und für alle Hypothesen
15 wurde das Bibelwort als Zeuge angerufen. Es ist somit gar nicht
auffallend, daß man auch behufs Beweises, daß der bürgerliche Tag
von jeher mit Sonnenuntergang begonnen habe, sich an das Bibel¬
wort und zwar Gen. I, 5. 8. 13. 19. 23 und 31 klammerte, woselbst
anläßlich der Schöpfungsgeschichte die Worte npa ifT'i any TiiT
20 wiederholt hervorgehoben werden und also zuerst any und dann
npa erwäbnt wird.
Ich will mich hier weder in eine Kritik bezüglich der sechs
Tage der Schöpfungstätigkeit noch in eine biblisch-exegetische Unter¬
suchung bezüglich des Ausdrucks Dii einlassen , aber hervorheben
25 möchte icb, daß damit, daß der Schöpfungsbericht zuerst den any
und dann den npa nennt, noch kein Beweis für den Beginn des
bürgerlichen Tages vorliegt. Schon die Tatsache an und für sich,
daß der mft any bezeichnete Tagesabschnitt — wie wir oben ge¬
sehen — stets zum laufenden und niemals zum folgenden Tage
30 gezählt werden darf, müßte uns belehren, daß hier ein bloßes Wort¬
spiel vorliegt, denn mehr denn einmal finden wir wieder zuerst
npa und dann any genannt, ganz so wie wir in vielen Fällen zu¬
erst nb''b und dann DT' erwähnt finden, in vielen Pällen aber wieder
umgekehrt. Es ist dies immer der Natur der Sache angepaßt worden,
35 mit der any oder npa und ebenso nbi"5 oder ct' verknüpft er¬
scheinen , aber stets ohne jeden chronologischen Hintergrund. In
der Schöpfungsgeschichte z. B. wird das jedesmalige Schöpfungs¬
werk aufgezählt, und da dies als am Tage und nicht in dunkler
Nacht vollbracht geschildert wird, so ist es natürlich, daß am Schlüsse
■40 eines jeden einzelnen vollbrachten Werkes das Dunkel (any) eintrat,
und daß erst mit Anbruch des folgenden natürlichen, d. i. lichten
Tages — also mit dem npa — der neue Schöpfungstag seinen An¬
fang nahm , oder der alte als abgeschlossen erscheint. Pür einen
als Schöpfungstag geschilderten Tag ist es auch ganz selbstver-
45 ständlich, daß derselbe von dem natürlichen Tag als Zeit der
Arbeit ausgeht, dem dann der any als Zeit der Ruhe folgt und
der mit dem folgenden npa endet, da erst dann wieder der neue
4 S
Mahler, Die chronologische Bedeutung von D^my und QiiiiS. 683
Arbeitstag — hier Schöpfungstag — folgen kann. Daß hier an»
und npa nicht im chronologischen Sinne als dunkle und lichte
Teile des bürgerlichen Tages aufgefaßt und somit nicht in dem
Sinne von „Nacht" und „Tag" genommen werden können, lehrt
eben der ümstand, daß hier nicht gemäß Gen. I, 5 rrbib und üv, 5
die üblichen Bezeichnungen für Nacht und lichten Tag, genannt
sind, sondem any und npa, die Zeiten des Sonnenuntergangs und
Sonnenaufgangs. Ich stimme daher — insofern hier von einem
Arbeitstag (Schöpfungstag), nicht aber vom bürgerlichen
Tag die Kede ist , vollkommen dem bei , was H. Strack zur Er- lo
läntemng jener Bibelstelle hervorhebt *): „Am ersten Tage leuchtet
das Licht auf und wird von der Finsternis geschieden; dann tritt
das Dunkel (an?) ein und schließlich beginnt das Licht wieder die
Finsternis zu durchbrechen (npa) und damit ist der erste Tag ab¬
geschlossen". In gleichem Sinne äußerst sich auch Ed. König, in- 15
dem er sagt *): „Mit Bestimmtheit ist also zu urteilen , daß in der
Formel „und es trat ein Abend und es trat ein Morgen ein" (5\
8. 13. 19. 23. 31) der Abend als der-S c h 1 u ß punkt des vorher¬
gehenden hellen Teiles vom 24-stündigen Tag gemeint ist."
Daß dem in der Tat keine nähere Bedeutung in chronolo- 20
gischer Beziehung als Kriterium für die Zeitteilung beigemessen
werden kann, und man daher die Reihenfolge von any und npa
nicht zur Grandlage chronologischer Bestimmungen nehmen darf,
erkennen wir daraus , daß bei Handlungen , die nur der Nacht zu¬
geteilt sind — wie z. B. das Brennen der ewigen Lampe (n^Un n3) ««
oder die zur Führung Israels bestimmte Feuersäule u. a. m. —,
immer das Wort any dem npa vorangesetzt ist (vgl. Ex. XXVII, 21;
Lev. XXIV, 3; Num. IX, 21), während wieder dort, wo von Tages¬
werken die Rede ist, immer zuerst die Zeit des npa und dann die
des any genannt ist (vgl. Ex. XVIII, 13. 14; Chron. A., XVI, 40; so
Chron. B., II, 3; Chron. B., XXXI, 3; Esr. 111,3; Ps. LXV, 9).
Für chronologische Zwecke , um daraus Argumente für die Be¬
stimmung des Anfanges les bürgerlichen Tages zur Zeit der ältesten
Epoche des jüdischen Kalenders gewinnen zu können, sind solche
Belege unbrauchbar, da sie absolut nicht das geringste Kriterium S5
enthalten, das für die Geschichte der Entwickelung der verschiedenen
Zeitbegriflfe von Nutzen sein könnte. Je nachdem es die Verhält¬
nisse erheischen, ist in den Texten das Wort any dem npa vor¬
gesetzt worden oder umgekehrt.
Und genau so verhält sich die Sache inbezug auf DT" und nbib. «
An vielen Stellen finden wir zuerst nbib und dann D11 genannt
(vgl. Deut. XXVIII, 66; Reg. A., VIII, 29; Jes. XXVII, 3; Jes.
XXXIV, 10; Jer. XIV, 17; Esth. IV, 16); an anderen Stellen wieder
1) Die Biiclier Genesis, Exodus, Leviticus und Numeri ausgelegt von D.
Hormann L. Strack. München 1894. S. dort pag. 1.
2) .Kalenderfragen im althebrKischen Schrifttum*. ZDMG., Bd. 60, pag.
607, Z. 17 V. u.
684 Mahler, Die chronologische Bede/utung von Q''315> und Di"i?l5t.
ist zuerst Dii genannt und dann nbib (vgl. Gen. I, 14; Gen. VIII, 22;
Gen. XXXI, 9; Ex. XIII, 21; Lev. VIH, 35; Num. IX, 21; Num.
XI, 32; Jos. I, 8; Jes. XXXVIU, 12. 13; Zach. XIV, 7; Ps. LXXIV, 16).
Es veäre wissenschaftlich sehr verfehlt, wenn wir hieraus irgend-
5 welche Schlüsse für die technische Chronologie folgern wollten. Wir
dürfen auch nicht den Autoren der einzelnen Bibelstellen derartige
Absichten imputieren *).
Wohin ein derartiges Spiel mit der Wortstellung einzelner
Bibeltexte führt, sehen wir im Babyl. Talm., Traktat Chagigah 12*.
10 Hier streiten zwei Schulen — das Haupt der einen ist Schamai,
das der andern Hillel —, ob zuerst der Himmel und dann die
Erde erschaffen worden ist, oder umgekehrt. Die Schamai'scbe
Schule nimmt das erstere an, weil in Gen. I, 1, womit die Schöpfungs¬
geschichte beginnt, zuerst der Himmel (DiWffl) und dann die Erde
15 (yiN) genannt ist. Die Schule Hillel's nimmt das umgekehrte an,
weil Gen. II, 4 zuerst die Erde und dann den Himmel nennt (mia
DittTDi yiN DinbN mni rniuy).
In diese Kategorie der Grübeleien , aber nicht der Forschung, gehört es, wenn wir in Gen. I, 5. 8 ... . die Belege dafür erblicken
20 wollen, daß im Kalender der Juden schon von jeher der aiy dem
ipa vorangegangen ist.
Bei dem heutigen Stande der Bibelkritik ist eine solche An¬
nahme um so weniger am Platze, da es doch feststeht, daß dieser
Teil des Genesisbuches der Priesterschrift angehört, bei deren
25 Abfassung die Grundlagen des jüdischen Kalenders, wenn auch
nicht im Rahmen eines durch Rechnung festgelegten Zykluses, so
doch ihrem Wesen nach — als auf dem Mondlauf basierend
— bereits vorhanden waren.
Am deutlichsten sehen wir dies aus den Daten, welche die
30 Priesterschrift über die Dauer der Sintflut uns überliefert hat. In
Gen. VII, 11 berichtet uns die Priesterschrift, daß die Flut am
17. Tage des zweiten Monats begonnen habe, und nacb Gen.
VIII, 14 soll dieselbe im folgenden Jahre am 2 7. Tage des
zweiten Monats vollkommen vorüber und die Erde wieder
35 trocken gewesen sein. Die Gesamtdauer erstreckt sich also auf
ein Jahr + 11 Tage. Dieser Überschuß von 11 Tagen, welcher
gleich ist der kalendarischen Differenz zwischen dem tropischen
Jahre und dem Mondjahre, nötigt uns zur Annahme, daß der Ver¬
fasser für die Flut die Dauer eines tropischen Jahres annahm, dem
«Kalender aber ein Mondjahr zugrunde legte*).
Allerdings scheint dem die gleichfalls in der Priesterschrift
erwähnte Zahl von 150 Tagen (Gen. VII, 24 und VIII, 3") zu
widersprechen, welche für die Dauer vom 17. Tage des zweiten
1) Vgl. hier auch : Ed. König, ZDMG., Bd. 60, 606, woselbst das hierher gehörige Material in größter Ausführlichkeit niedergelegt ist.
2) Vgl. hier: Dillmann, Über das Kalenderwesen der Israeliten vor dem babylon. Exil. Monatsber. d. Kgl. Akad. d. Wiss. zu Berlin, 1881, p. 918.
Mahler, Die chronologische Bedeutung von DiSIS und Qiinst. 685
Monates bis zum 17. Tage des siebenten Monats (vgl. Gen. VII, 11
mit Gen. VIII, 4) hervorgehoben werden. Dabei scheint es so, als
ob der Verfasser für die Dauer von 5 Monaten 150 Tage, also für
die eines Monates 30 Tage gerechnet hätte. Diesen Standpunkt
haben auch in der Tat mehrere Chronologen verfochten, allen voran 5
Des Vignoles, der hieraus für das Jahr eine Dauer von 12 X 30 =
360 Tagen folgern wollte. Dem ist aber nicht so und kann nicht
so sein. Wenn der Verfasser jener Bibelstelle 5 Monaten die Dauer
von 150 Tagen gab, so wollte er damit keineswegs die volle Dauer,
sondern bloß eine abgerundete Tageszahl geben ; auch wir pflegen lo
ja in der Regel den Monat zu rund 30 Tagen zu rechnen, wiewohl
wir auch solche (und zwar 7 Monate im Jahre) mit 31 Tagen haben
und der Februar nur 28 Tage zählt. Wir sagen allgemein: das
Jahr hat 12 Monate, der Monat 30 Tage; und gar nicht selten ge¬
brauchen wir auch den Satz : 1 Monat = 4 Wochen. Allerdings hätte i5
der Verfasser, wenn er strenge Rechnung hätte üben wollen, bloß
147 oder 148 Tage nennen dürfen, nicht aber 150 Tage. Aber dies
war gar nicht beabsichtigt, und so nahm er für den Monat die Dauer
von rund 30 Tagen und für die von 5 Monaten = 150 Tage an. Er
tat also dasselbe, was wir im 20. Jahrh. n. Chr. heute noch tun. ünd 20
somit ist diese Zahl für den Stand der Sache gar nicbt entscheidend.
Auffallend und entscheidend ist aber die oben erwähnte Differenz
von 11 Tagen, mit denen nach Schilderung der Priesterschrift die
Gesamtdauer der Flut die Länge des bürgerlichen Jahres über¬
holte, ünd dies muß uns zur Überzeugung führen, daß dem Ver- 25
fasser der Priesterschrift — wie dies mit Rücksicht auf die Zeit
ihrer Abfassung ja anders gar nicht zu erwarten ist — als Grund¬
lage des bürgerlichen Jahres das Mondjahr galt. Dann ist es
aber ganz und gar selbstverständlich, daß der bürgerliche Tag mit
Eintritt der Nacht begonnen hat. Und so bedarf es gar nicht so
erst des Hinweises auf die Worte -ipa ^niT 3"iy irfi, denen wir
— wie wir bereits oben gezeigt haben — gar viele Bibelstellen
entgegensetzen können, in denen gerade die umgekehrte Wortfolge,
also zuerst ipa und dann aiS», hervorgehoben wird. Um so weniger
stichhaltig ist aber dieser Hinweis , als gerade im biblischen S5
Schrifttum der mit 313* oder O^aiy bezeichnete Zeitraum —
d. i. die Zeit zwischen Sonnenuntergang und Eintritt völliger
Dunkelheit — noch zum laufenden, nicht aber zum folgenden Tag
zu zählen ist.
Es ist diese Frage wohl schon oft erörtert worden, aber noch 40
immer sind die Ansichten der Gelehrten hier geteilt. Es gibt über¬
haupt keine Zeitrechnung, deren Elemente noch so sehr im Dunklen
liegen , wie die der Juden. Die allereinfachsten Fragen bedürfen
noch der eingehendsten Untersuchung. Man würdigt hier m. E.
viel zu wenig den Einfluß, den die Kulturverhältnisse Vorderasiens 45
(insbesondere Babyloniens) auf das jüdische Volk geübt haben. Und
daher kommt es, daß Probleme, wie Thekuphah, Jobel und selbst
49*
686 Mahler, Die chronologische Bedeutung von Q^Z~iy und a">ini£.
die primitivsten Fragen der Zeitteilung (Stundenteilung*) etc.) noch
immer ihrer Lösung harren. Aus diesem Grunde hielt ich es für
nötig, die hier besprochene Frage vom chronologichen Stand¬
punkte aus von neuem zu beleuchten, und so dürfte der vorliegende 6 Aufsatz zur Lösung eines für die altorientalische Chronologie nicht
unvrichtigen Problems in nicht unerwünschter Weise beitragen.
1) Die Lösung, die B. Colin (ZDMG., Bd. 68, pag. 375) vorschlägt, ist nicht einwandfrei. Denn aus der Gleichung: 793 Chalakim = 44 Min. -|- 31/3 Sek. folgt nur, daß die Juden ihrem synodischen Monate den Hipparch- schen Wert (der übrigens auch der altbabylonische ist) zugrunde legten , nicht aber die Ursache dessen, warum bei den Juden Ih = 108O ch. ist. Meines Erachtens liegt da ein babylonisches Motiv vor: indem die Juden die Stunde
= 1080 ch. setzten, erhielten sie für den Tag 24 X 1080 = 25 920 eh., d. i.
eine Zahl, die in der Chronologie der Babylonier eine hervor¬
ragende Bolle gespielt hat. 25 920 Jahre zählte das babylonische Prä¬
zessionsjahr (72 X 360 == 25 920); 25 920 ist die Zahl der Suiäu im babylo¬
nischen Rundjahre (1 Rj. = 12 Mon., 1 Mon. = 30 T. , 1 T. = 12 Kasbu, 1 Kasbu = 6 Sussu, also 1 Rj. = 12 X 30 X 12 >c 6 = 25 920 Sussu) etc.
Es ist dies ein Motiv, das ich in meiner „jüdischen Chronologie', die ich im Auftrage der Berliner Ges. zur Förd. d. Wiss. d. Judentums schreibe, näher begründe. Vgl. auch meinen Aufsatz über „die Doppeldaten der aramäischen Papyri von Assuan' (ZA. XXVI, 61—76) und meinen Artikel „Der Kalender der Babylonier" (Hilprecht, Anniversary Volume, p. 10).
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Ein Beitrag zum türkischen Sprichwörterschatz.
Von St. MladenoT.
Im letzten Balkankriege hatte ich als Reserveoffizier öfters
Gelegenheit, von meinen Kameraden und Untergeordneten osmanisch-
türkische Sprichwörter und sprichwörtliche Redensarten zu hören.
Manche von ihnen, die obszönen nicht ausgenommen, schienen auf
ein gewisses Interesse rechnen zu dürfen, da sie sich durch typische 5
Form und Originalität des Inhalts auszeichneten. Andere waren
wieder für vergleichende Studien sicherlich nicht unwichtig, — jene
nämlich , die in anderen Balkansprachen ihre genaue Entsprechung
aufwiesen. In erster Linie kommt dabei das Bulgarische in Be¬
tracht , da türkische Bevölkerungselemente inmitten bulgarischer 10
Zentren in Bulgarien und Mazedonien ja massenhaft anzutreffen sind ;
siehe u. a. Jireöek, Fürstentum Bulgarien, I. Teil, II c ; Ders., Cesty
po Bulharsku; Kinöev, Makedonija. Etnografija i statistika (Sofia
1900), S. 53—69. Übrigens stammt gerade aus Deli-Orman,
einem nach Namen und Bevölkerung bis unlängst fast rein türki- 15
schem Landstriche in Nordostbulgarien, die Mehrheit der hier von
mir mitgeteilten Sprichwörter.
Von meinen Gewährsmännern ist folgendes zu bemerken : Sie
können türkisch weder lesen noch schreiben. Alle sind bulgarischen
Stammes, sprechen aber neben ihrer bulgarischen Muttersprache auch 80
das Türkische, und zwar so, wie es in ihren Heimatsorten gesprochen
wird. Alle haben die betreffenden Sprichwörter auch von ihren
türkischen Mitbürgern gehört.
B. = Boncev, Lehrer und Arzt am Staatsgymnasium für
Knaben in Widin. Geboren ist er in Razgrad, im Gebiet von Deli- 25
Orman.
I. = Ivancev, geboren in der Umgebung von Adrianopel,
jetzt im Bezirk von Karnobat in Südbulgarien wohnhaft.
G. = der in der zweiten Periode des Krieges schwer ver¬
wundete und an seinen Wunden verstorbene Reserveleutenant so
G i r d e V , Lehrer der Keramik an der Kunstgewerbeschule in Sofia, geboren in Jambol, Südbulgarien.
GG. = Gavril Georgiev, Reserveoberleutenant , geboren
in Nordmazedonien (Carevo Selo, nicht sehr weit von Gorna-
D&umaja). 35
Zeitschrift der D. M. O. Bd. 68 (1914). 45