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Die biblisch-hebräische Metrik.
Vortrag, gehalten auf dem XV. Internationalen Orientalistenkongreß
Obwohl ich bereits im Mai 1905 in einer der besten belletristischen Zeitschriften, der , Gottesminne *, die Hauptergebnisse meiner neuesten
Untersuchungen über die biblische Metrik veröffentlicht habe, sind
diese leider — soviel ich weiß — von den fachmännischen Kreisen
B unbeachtet geblieben. Jeden Tag fast erscheint eine neue Schrift,
die vom hebräischen Metrum redet, ohne eigentlich zu sagen, worin
es bestehe und was sein Wesen ausmache. Daher kommt es denn
auch , daß die Verwirrung immer größer wird ; spricht man doch
vom Metrum der Psalmen, vom Metrum des Jesaja usw. usw., als
10 ob jedes poetische Buch ein eigenes Metrum hätte. Wenn jemand
von der Metrik Schillers , Goethe's usw. oder gar von der Metrik
einer einzelnen Ballade Schiller's oder Goethe's sprechen woUte,
würde er gewiß nur verlacht. So gibt es im Hebräischen nur
eine Metrik , welche allen poetischen Büchern der hebräischen
15 Bibel gemeinsam ist. Der beste Beweis dafür ist das Resultat
meiner soeben angestellten Untersuchung sämtlicher poetischen
Bücher und aller in den prosaischen Büchern enthaltenen Lieder
und Verse. Ich ging von einer textkritisch sehr gut erhaltenen
Stelle des Propheten Jesaja aus. Um nicht irre zu gehen, ließ ich
20 alle bisherigen Theorien über das hebräische Metrum unberück¬
sichtigt und untersuchte im masoretischen Texte die Beziehung
zwischen der Zahl und Quantität der Silben einer- und dem Wort¬
akzent andererseits, um so die Regeln für den metrischen
Akzent zu erforschen. Zu diesem Zwecke bezeichnete ich eine
25 Silbe , bestehend aus Konsonant -|- kurzer Vokal , als leichte (-)
und eine Silbe, bestehend aus Konsonant -|- kurzer Vokal -f- Konso¬
nant oder Konsonant -(- langer Vokal, als schwere (-). Hier
möchte ich bemerken , was auch Sievers längst betont hat, daß es
sich in der Metrik nicht wie bei der Musik um rationale, sondern
so um irrationale Zeiten handelt. Während also in der Musik d =
in Kopenhagen (17. Aug. 1908).
Von
Prof. Dr. P. Nivard Schlögl.
5 I
Schlögl, Die biblisch-hebräische Metrik. 699
ist, entspricht die metrische Länge, wenn man die Kürze als J um¬
schreibt, etwa J-, d. i. . Zählt man mit Grimme Konsonanten
und kurze Vokale als einmorig und lange Vokale als zweimorig,
dann ist wirklich die schwere Silbe gleich anderthalb leichten.
Außer diesen beiden Arten von einfachen Silben gibt es 5
im Hebräischen noch zwei Arten zusammengesetzter Silben (Doppel¬
silben), nämlich 1. die sogenannte geschlossene Silbe mit
langem Vokal, welche nur am Wortende vorkommt und eigent¬
lich aus einer schweren und einer leichten Silbe besteht, nur daß
letztere ihren Vokal schließlich ganz abgeworfen hat, wofür der 10
Vokal der ersteren noch mehr gedehnt wird, die einzige Zerdehnung,
welche dem Wesen der hebräischen Sprache entspricht (gegen
Sievers, der die Zerdehnung willkürlich anwendet), z. B. Di-« jö-^-m
(für jau-mu); Dr 'ä-'^ m (für 'ä-mu, entstanden aus 'äm-mu), nitt
mö-''-th (für maü-thu). Während in diesen Beispielen der Vokal 15
der ersten offenen Silbe zerdehnt wird, weisen die Dual- und die
zerdehnten Segolatformen einen Hilfsvokal nach der geschlossenen
ersten Silbe auf, z. B. D^ba'n rSg-laj-im (für räg-ldj-mi), rjb» mal-
ä-kh (für mal-ku) , niM mav-e-th (für maü-thu), "isO sef-e-r
(für stf-ru) , «jnp kod-e-s (für kud-iu) ; 2. die durch das s 0 - 20
genannte Schwa medium geschlossene Silbe, welche
eigentlich aus zwei ganz leichten (flüchtigen) Silben , nämlich ans
einem doppelten Schwa mobile besteht. Während das zweite Schwa
fast ganz geschwunden ist (doch beachte das Fehlen des DageS lene
bei ncsisn), ist dafür das erstere zum Vollvokal geworden; z. B. 2.'>
ibap für ibüj? und iMDn fur iM2n.
Um aber die einfachen , leichten und schweren Silben richtig
zu unterscheiden, muß man über die Quantität der Vokale
im Klaren sein. In dieser Beziehung haben die hebräischen Gramma¬
tiker des Mittelalters eine große Verwirrung angerichtet, indem sie so
Kames für langes a, Pathach für kurzes a, §ere für langes e,
Segol für kurzes e und Cholem für langes 0 erklärten und die
Regel aufstellten, daß jede offene Silbe langen Vokal habe. Diese
Regel ist aber ganz falsch; alle genannten Vokale können bald
lang, bald kurz sein. Denn die hebräischen Vokalzeichen be- s»
zeichnen nicht so sehr die Quantität als vielmehr die Qualität, die
Klangfarbe. Dies hat längst Grimme in seiner hebr. Akzent- und
Vokallehre nachgewiesen. Man komme daher ja nicht mehr mit
dem Einwände, daß uns die Aussprache des Hebräischen nicht hin¬
länglich bekannt ist. Nicht die Qualität, sondern die Quantität m
ist für die Metrik entscheidend. Ob nun die Vokale kurz oder
lang sind, muß in jedem einzelnen Falle die Wortbildungs- oder
Flexionslehre angeben. Betreffs der Wortbildung beti-achtet man
am besten die zugrundeliegende Form im Arabischen oder im
Assyrischen, nur hat man zu beachten, daß der hebräische Wort- 4r,
700 Schlögl, Die biblisch-hebräische Metrik.
akzent in der Endsilbe des N o m e n s den Vokal dehnt und seine
Klangfarbe ändert (vgl. 321C73 und SBi^tt , yn und •'^n, und
•yi usw. usw.) , während dies in der geschlossenen Endsilbe der
Verbalformen nicht der Fall ist. So z.B. enthält büp- 't nicht
5 zwei schwere (--), sondern eine offene leichte (]5) und eine ge¬
schlossene (schwere) Silbe (blz) also : - -; !^bü(5 enthält nicht zwei
schwere und eine leichte, sondern zwei leichte (]7 und :;) und eine
(durch Ersatzdehnung) schwere Silbe (nb für nb) , also : -;
ferner enthält büp scheinbar nur zwei Silben (eine offene und eine
10 zusammengesetzte Silbe der ersten Art), die aber ursprünglich drei
waren (- - -), wie das arabische kätilu{n) und das assyrische Jcääi-
du(m) zeigen. Da die Endsilbe den Vokal abgeworfen hat, wird
der Vokal e durch die Macht des Akzents lang und zerdehnt
{-te-'-l}. Für die Prosodie ist die Silbe aber als Doppelsilbe
15 (schwer + leicht) zu rechnen. Ebenso ist in ibpp die scheinbar
durch Schwa medium geschlossene Silbe pp als doppelte leichte
(--) zu rechnen. Bei den Verbalformen, d. h. bei den kon¬
jugierten Formen ist die geschlossene Endsilbe außer Hiphil
ind. perf. (b'itppti) und imperf. (biup;^) usw. immer nur eine einfache
20 schwere SUbe mit kurzem Vokal (vgl. den arab. Jussiv jdk-tül).
Mag man also jiktol mit oder ohne t schreiben , mit Cholem oder
Kames chatuf oder Chatef Kames punktieren, der o-Vokal ist stets
kurz. Femer darf man sich weder durch die scriptio plena noch durch
die scriptio defeetiva irre machen lassen; so z. B. ist i in 'nbyp
23 kurz, das 1. u in inbpp lang. HD" oder nn- als Suffix der 2. pei-s[
sing, ist eine leichte Silbe, da n nicht organisch, sondern Zeichen
des Wortendes ist. Ähnlich ist Kames , Sere und Cholem in den
zweisilbigen Segolatformen und den von solchen gebildeten Plural¬
formen nicht langer Vokal. Bei diesen ist wieder auf die ent-
80 sprechende arabische oder assyrische Gmndform zu sehen, -jb^i,
nin, ICD, lälp sind bei Pänultimabetonung als schwer -)- leicht
(- -) , bei Ultimabetonung als leicht -(- schwer {- -) zu rechnen ;
bei diesen Formen schwankt nämlich die Betonung. Im ersten Falle
liegen Formen wie malku, mauthu, sifru, kudSu zu gründe; im
35 zweiten Falle die Form bcp (wobei Schwa aus verschiedenen
Vokalen entstanden sein kann), von der auch gewöhnlich der Plural
gebildet wird. Bei den Femininpluralformen (der Segolata wie der
anderen Formen) ist der Vokal der vorletzten Silbe kurz , z. B. n
in nilHTi;??, y in niasin, is in nibisaiN. Übrigens möchte ich
40 betreffs der Segolatformen bemerken: wie immer man sie aus¬
gesprochen und betont haben mag, sie bestehen ursprünglich aus
einer schweren und einer leichten Silbe, mögen Origenes und
Hieronymus auch yitj mit aqg, D'i3 mit ^a^fi, irtT mit zw und
"jjnri mit thas umschreiben (gegen Zorell, Bibl. Zeitschr. VI, 16).
Schlögl, Die biblisch-hebräische Meträc. 701
Die Umschreibung deckt sich nie ganz mit der Aussprache, man
vergleiche nur das polnisch-jüdische lölem mit cibic !
Dies alles vorausgesetzt, muß mit Rücksicht auf die Macht
der hebräischen Wort-Akzente als Hauptregel für die Metrik auf¬
gestellt werden : Jeder Hauptton muß auch metrischer 5
Akzent sein, wenn er nicht behindert ist.
Der Hanptton kann nämlich sogar in der Prosa behindert
sein, so z. B. "^jba n^n, aib -iMN, üj-'N-bü]?;; usw. In solchen
Fällen tritt regelmäßig die nesigä ein, der Ton weicht zurück,
Dasselbe Gesetz gilt umsomehr für die Prosodie, da der Wohlklang lo
in der Poesie noch weit mehr zur Geltung kommt als in der
Prosa. Das die Hauptregel einschränkende Gesetz lautet also:
Zwei Hebungen (apff«j, Arsen) können nicht unmittelbar
aufeinander folgen, sondern es muß wenigstens eine, wenn
/ /
auch noch so flüchtige Silbe dazwischen sein, z. B. aia Di'' - - -). 15
Natürlich muß man bei der Rezitation zwischen beiden Wörtern
eine Pause machen, wie auch in Arndt's Blücherliede in dem drei-
hebig gebrauchten .Földmärschäll''. Ist aber die Endsilbe des
ersten haupttonigen Wortes ofi'en oder einfach geschlossen, so muß
der eine der beiden Akzente weichen, seine Silbe gilt metrisch als 20
nebentonig, z.B. bt< "in«, DN !T;nt} , ffi-'N-büp'; usw. Gewöhnlich
weicht, wie in der Prosa, der Akzent des vorausgehenden Wortes,
in welchem Falle der Nebenton mehr hervortritt. Es kann aber
auch der Akzent des folgenden , an erster Silbe betonten Wortes
weichen; dies hängt davon ab, auf welchem Worte der Nachdruck 25
liegt; z.B. möchte ich danach Prov. 6, *27 skandieren: äit* nnn^ri
f ß * / /
ijsTia ffiN; möglich wäre nämlich auch: ijs-ina »■'N nnn^n.
Nun ist es hier wieder wichtig, die geschlossenen und offenen
Silben zu unterscheiden. Dies ist nicht so leicht, als es beim
ersten Anblick scheint. Daß Silben mit quieszierendem t und 30
ofiFen sind, ist klar. Daß y und n noch als silbenschließend em¬
pfunden wurden, zeigt das pathach furtivum der Masoreten vor y
und ~ nach langem heterogenen Vokal sowie das dages lene und
swa quiescens nach y, n vor den Verbalsuffixen, z. B. iriyn^s,
nnaa ; vgl. auch die Umschreibung rofioQQct für rrnw". Ob aber 35
N immer wirklich quiesziert, ist fraglich; ich habe es bei meiner
Untersuchung anfangs angenommen , bin aber schließlich zur ent¬
gegengesetzten Ansicht gelangt, da bei Annahme dieser eine
große Anzahl von Korrekturen wegfUllt, die bei ersterer Annahme
nötig wären. So möchte ich z. B. Eccl. 31, 13 a als metrisch 40
"korrekt ansehen : bür NSiis■■ vy' - '; sönS' ist wie Miel zu behandeln (cf. 2eiQccx = N'n-'C).
5 0*
702 Schlögl, Die biblisch-hebräitche Metrik.
Ferner ist noch die Frage, ob denn nicht auch die geschlossene
Endsilbe des Verbums so zu behandeln ist, wie eine Silbe mit
Schwa medium, also als doppelte leichte Silbe. Ein Blick auf das
arabische kdtSlä jdktulü könnte irreführen. Da ist es für uns ein
5 Glück, daß uns altkananäische Formen überliefert sind, welche uns
nicht im Zweifel lassen. So finden sich in den El-Amama-Briefen
kananäische Verbalformen nur ohne Endvokal, z. B. die Perfecta
äakan, patar, Sapar, iStappar , kaSad usw. Es ist also die ge¬
schlossene Endsilbe des Verbums außer den Hiphilformen als ein-
10 fache, schwere Silbe zu betrachten.
Wenn es einen wohlklingenden Ehythmus gehen soll, kann es
nicht gleichgültig sein, wie viele Silben zwischen den einzelnen
Hebungen zu sprechen sind; auch kann es nicht gleichgültig sein,
ob die in der Senkung stehenden Silben leicht oder schwer
16 sind. In dieser Beziehung habe ich folgende Resultate durch meine
genaue Untersuchung aller poetischen Bücher und Stellen der Bibel
gewonnen.
1. Es können höchstens vier Silben in der Senkung
stehen, und zwar darf davon höchstens eine Silbe schwer sein,
'
go z. B. Jes. 1, 24: fl'^JJSNn (---i-). Wenn die Masoreten hier und
in ähnlichen Fällen das Metheg vor dem Schwa mobile setzen,
deuten sie an, daß dieses als Silbe zu gelten hat. Ja wenn die
erste von vier nebentonigen Silben schwer ist, kann sie Hebung
werden; z.B. Prov. 21, 28a D-'nTS-iy (--^^-- -^); ähnlich Job 15,21 a^
K 20, 16a. Da es viele Verse dieser Art gibt, die ohne diese An¬
nahme um eine Hebung zu wenig hätten, so glaube ich, daä dieses
Gesetz allgemein gilt : Ist die erste von vier neben¬
tonigen Silben schwer, so wird sie zur Arsis. Be¬
merkt sei , daß es nie vier volle Silben in der Sefakung
so g i b t ; ein Schwa ist regelmäßig darunter, meist sogar zwei. Da
das Schwa in der Prosodie wahrscheinlich nicht zu sprechen ist,
gibt es also prosodisch eigentlich nur höchstens drei volle Silben
in der Senkung. Noch einen Fall gibt es, wo bei vier nebentonigen
Silben der Nebenton zur Hebung wird , auch wenn nur eine der-
86 selben schwer ist: wenn nämlich am Anfang einer solchen Silben -
gruppe eine Silbe mit Schwa medium oder kurze offene Silbe -(-
Schwa mobile) steht; in diesem Falle bekommt die erste Silbe den
metrischen Akzent ähnlich wie in der griechischen und lateinischen
Prosodie die erste der beiden Kürzen , die an Stelle der langen
40 betonten Silbe stehen ; z. B. inniaaa (-^^ - - - cf. -^^- - i). Natür¬
lich darf nicht unmittelbar eine einfache Silbe als Arsis voraus¬
gehen. Sobald aber unter vier nebentonigen Silben mehr als eine
schwere Silbe sich finden, muß jene schwere Silbe Hebung werden.
5 0*
Schlögl, Die hiblisch-hebräitehe Metrik. 703
welche den stärkeren Nebenton trägt ; z. B. Jes. 1,10: nip '3"'Kp
(.^- = ■• • =
Von drei nebentonigen Silben muß die mittlere Hebung
werden , wenn alle drei schwer sind , z. B. inr-'btini (- i - i -).
Ist die erste leicht (---), bleiben alle drei in der Senkung : 8
tjbagv Ist die dritte leicht, dann muß die erste schwere Silbe
Hebung werden, wenn sie nicht behindert ist und den Nebenton-
trägt, z. B. ibüp: iib (- - -)i i^^S^oa iisw. Doch kann der Dichter
in solchem Falle den Nebenton auf die zweite schwere Silbe legen
und alle drei in der Senkung lassen : nasnwa (----), mjyty^i lo
(_ i - i _). Ist nur die mittlere der drei nebentonigen Silben
leicht, dann wird die erste (schwere) Silbe Hebung, wenn nicht
etwa unmittelbar eine einfache Silbe als Hebung vorausgeht,
z. Bi y\H "ihsb (-- ---)• Wenn mehr als eine leichte Silbe vor¬
handen sind, stehen alle drei Silben in der Senkung. i5
Eine Gruppe von zwei nebentonigen Silben, mögen sie
schwer oder leicht sein, kann nur in der Senkung stehen.
Ob der ersten Hebung ein Auftakt vorausgeht und der letzten
eine oder mehrere Senkungen folgen oder nicht, ist für den
Rhythmus gleichgültig, wenn man auch den hebräischen Rhythmus so
mit Sievers am besten als anapästisch bezeichnet.
Dies sind die Hauptregeln für den metrischen Akzent, der
also auf dem Wortakzent und der Quantität der Silben beruht,
weshalb man in der hebräischen Poesie nicht blos von einem
Rhythmus, sondern mit Recht auch von einem Metrum sprechen 25
kann und muß.
Wenn man diese Regeln auf das Buch Jesaja auwendet, so
ergibt sich, daß
von 27 Zweihebern 25 dem Konsonantenbestand nach im
masoretischen Texte unversehrt erhalten sind, .»o
413 Dreihebem 329. d. i. 79«/s Proz.,
, 2270 Vierhebem 1981, d. i. 871/3 , ,
740 Fünfliebem 480, d. i. 64»/.^ ,
Am schlechtesten sind also die funfhebigen Stücke erhalten,
weil man das Gehör dafür verlor. Daher kommt es, daß in jüngeren 85
Büchern keine Fünfheber zu finden sind, z. B. im Jesus Sirach.
Übrigens möchte ich bemerken, daß die Vierheber beliebig kata-
lektisch sein können, daß sie sogar der Mehrzahl nach nur drei
Hebungen aufweisen. Ja, es kommen größere poetische Stücke vor,
worin nur ein oder zwei Verse vier Hebungen aufweisen, zugleich 41
aber so beschaffen sind, daß man sie textkritisch nicht korrigieren
704 Schlögl, Die biblisch-hebräische Metrik.
zu dürfen scheint. Ich bin daher am Schlüsse meiner Untersuchung
zur Überzeugung gelangt, daß für das hebräische Ohr Drei¬
heber und Vierheber eins sind , mag man die Dreiheber als
katalektische Vierheber oder umgekehrt die Vierheber als hyper-
5 katalektische Dreiheber erklären ; und zwar gelangte ich zu dieser
Ansicht, obwohl ich Grimme, der sie längst hegte und lehrte, nicht
glauben wollte. Zählt man demgemäß die Dreiheber und Vier¬
heber als eine Versart, dann ergibt sich ein noch weit günstigerer
Prozentsatz der metrisch unversehrten Verse. Übrigens ist betreffs
10 Jesaja zu bemerken, daß einige Kapitel, die ich als metrisch rechnete, entweder sehr schlecht erhalten oder besser gar nicht als poetische
Stücke zu betrachten sind. So sind einmal unter 15 Fünf hebern
nur 5, ein andermal unter 20 nur 8 und unter 13 nur 7 metrisch
gut erhalten. Rechnet man diese Kapitel ab , so ergibt sich auch
15 für die gut erhaltenen Fünfheber ein günstigerer Prozentsatz.
Ahnlich ist das Ergebnis der Untersuchung bei allen übrigen
Büchern. Bei den Psalmen sind von 783 Fünf hebern 500 metrisch
unversehrt, d. i. 64-/3 Proz. Von 3249 Vierhebern, die katalektisch
sein können, 3103 metrisch richtig, also 95 V2 Proz. Wenn man
20 annimmt, daß die Psalmen 12, 14, 19, 41 nur akatalektische Vier¬
heber enthalten, sind von 54 Versen 38 metrisch richtig, also
70^/3 Proz. Ebenso habe ich bei der Untersuchung die Psalmen 117,
118, 120, 127, 132, 135, 136, 138, 139, 142—144, 147—150
als rein dreihebig angenommen und von 1599 Versen 1332 als
28 metrisch richtig befunden, d. i. 831/3 Proz. Doch wie gesagt, am
besten rechnet man Dreiheber und Vierheber als eine Versart, dann
ist der Prozentsatz der metrisch richtigen Vierheber noch viel
größer als 95i/j Proz. Nur zwei Psalmen könnte man als aus
Siebenern im Sinne Sievers' bestehend betrachten, nämlich 140 und
30 141; doch sind diese Verse nichts anderes als regelmäßig ab¬
wechselnde akatalektische und katalektische Vierheber.
Was die Klagelieder anbelangt, sind die ersten vier Kapitel
fünfhebig. Von 242 Versen sind 162 gut erhalten, d. i. 67 Proz.
Merkwürdig ist, daß jedes folgende Kapitel besser erhalten ist, als
35 das vorausgehende. Im ersten Kapitel sind von 66 Versen 35, im
zweiten von ebensovielen 48, im dritten von ebensovielen 51, im
vierten von 44 Versen 30 gut erhalten. Im fünften Kapitel sind
von 44 Vierhebern 40 gut erhalten, d. i. fast 91 Proz. (Betrachtet
man die Verse als Dreiheber, dann sind nur -37, d.i. nicht ganz
40 8 5 Proz. metrisch tadellos.)
Bei Jeremia sind von 686 Vierhebern 629, d. i. mehr als
91 "'3 Proz. gut erhalten. Von 114 Fünf hebern sind 77, d. i. über
67 Proz. metrisch richtig. Bei Ezechiel sind von 183 Vier¬
hebern 161, d. i. fast 88 Proz. gut erhalten. Von 83 Fünfhebern
45 sind 47 richtig, d. i. 56,62 Proz. Dabei ist zu bemerken, daß in
Kapitel 28 von 14 Fünf hebern nur 6 metrisch richtig sind. Es
ist also fraglich, ob hier überhaupt metrische Verse intendiert
Schlögl, Die hihlitch-hebräische Metrik. 705
waren. Rechnet man dieses Kapitel nicht, dann sind fast 60 Proz.
der Fünfheber richtig.
Bei Hose a sind von 68 Fünf hebern 49 richtig, d. i. über
72 Proz. Von 434 Vierhebern sind 382, d. i. über 88 Proz.
metrisch unversehrt. Von 10 Zweihebern sind alle gut erhalten, .'s
Bei Joel sind von 210 Vierhebern 189, d. i. genau 90 Proz. gut
erhalten. Von 5 Fünf hebern sind 4, von 5 Zweihebern sind alle
richtig. Bei Amos sind von 412 Vierhebem 375, also fast
901/3 Proz., und von 34 Fünfhebern sind 22, also über 64-/3 Proz.
richtig erhalten. Bei Ob ad ja sind von 52 Vierhebern 46, d. i. 10
fast 881/2 Proz. korrekt, von 9 Fünfhebern sind 6 richtig. Das
Lied bei Jonas Kapitel 2 besteht aus zwei Stollen von je 6 fünf-
hebigen Versen und einem AbgesaUg von 3 Fünfhebern. Von
diesen 15 Fünfhebern sind 14, d. i. 931/3 Proz. richtig. Bei
Micha sind von 250 Vierhebern 229, d. i. fast 92 Proz., und von 15
61 Fünfhebern 45, d. i. mehr als 73''/3 Proz. metrisch unversehrt.
Bei Nah um sind von 116 Vierhebem 106, d. i. 9I1/3 Proz., von
20 Fünf hebern 16 gut erhalten. Bei Habakuk sind von 170 Vier¬
hebem 144, d. i. über 841/3 Proz., und von 8 Fünfhebern 6 gut
erhalten. Bei Zephanja sind von 100 Vierhebern 83, von 46 Fünf- 20
hebern 32, d. i. fast 70 Proz. metrisch richtig. Bei Haggai sind
von 29 Vierhebern 28 richtig erhalten. Bei Zecharja von 148 Vier¬
hebern 134, d. i. mehr als 90i/._, Proz., und von 19 Fünfhebern 17,
d. i. 891/2 Proz. Bei Malachi von 117 Vierhebern 113, d. i. über
961/2 Proz. In den Gen., Ex., Num., Deut., Jos., Rieht., 1. und 2.5
2. Sam., 1. Kön. eingestreuten Liedern und Versen sind von 635 Vier¬
hebern 585, d. i. über 92 Proz. gut erhalten, von 190 Dreihebern
178, d. i. 93-/3 Proz-, von 18 Zweihebern alle.
Im Spruch buch sind von 1853 Vierhebern 1820, d. i. über
98 Proz. nach dem masoretischen Konsonantenbestande richtig er- 30
halten; im Buche Job von 2124 Vierhebern 1963, d. i. fast 92 Proz.
In Kapitel 42 finden sich am Schlüsse des poetischen Teiles 3 Fünf¬
heber (gut erhalten). Was den Prediger anlangt, so kann man
zwar das erste Kapitel ganz gut skandieren, unter 54 Versen sind
51 Vierheber, 3 Verse könnte man durch Streichung je eines Wortes 3.i
zu Vierhebern machen, allein das ganze Kapitel ist besser als
rhythmische Prosa zu betrachten. Wirklich metrisch sind nur die
im Buche eingestreuten Sprüche: 2,14; 4,13; 5,99; 6,7.9;
7, 1—11: 8, la. 5; 9, 7. 8. 17. 18: 10, 1. 2. 8. 9. 11—20; 11, 1.
2. 4. 6a. 7 (drei Zweiheber). 9aa. 10a; 12, 1—8. 11—14. Von4o
178 Vierhebern sind 166 gut erhalten, d. i. 93'/4 Proz. Alles
übrige ist mehr oder weniger rhythmische Prosa. Im Hohen-
liede finden sich 156 Vierheber, wovon 146, d. i. über 931/^ Proz.
richtig erhalten sind; 68 Zweiheber, wovon 59, d. i. über 86-/3 Proz.
richtig sind und 80 Fünfheber, worunter 54, d. i. 67i/o Proz. 45
metrisch richtig sind. Endlich habe ich auch den aufgefundenen
hebräischen Sirach untersucht, wie ihn Strack und Peters ediert
706 Schlögl, Die biblisch-liebräitche Metrik.
haben, und gefunden, daß von den erhaltenen 2204 Vierhebern
(einige Glossen nicht eingerechnet) 2125, also fast OG^/j Proz.
metrisch tadellos erhalten sind.
Wenn ich zu diesen sehr günstigen Besultaten noch bemerke,
5 daß ich anfangs zu viele Verse als metrisch mangelhaft zählte,
ferner: daß etwa die Hälfte, wenn nicht zwei Drittel der mangel¬
haften Verse leicht zu heilen sind , indem man den Artikel , tn ,
•1, S| usw. , Schluß-Nun (bei pluralischen Imperfektformen) , das
Relativpronomen najN usw. ergänzt oder wegläßt, ebenso wenn man
10 in mehreren Vereen Sirach's das nach Septuaginta überflüssige 153
tilgt, so muß jedermann zugeben, daß das geschilderte metrische
System gewiß nicht dem Texte aufgezwängt, sondern im Gegenteile
dem Texte abgelesen ist. Dagegen wäre ein Metrum, das wirklich
zum ganzen masoretischen Texte paßte, eben dadurch als unrichtig
15 erwiesen, weil der masoretische Text absolut nicht durchweg richtig
erhalten ist. Auch dürften obige Zahlen klar machen, daß es im
Hebräischen keine Wechselmetra gibt, wie Sievers will und ich
selbst anfangs annahm.
Zum Schlüsse möchte ich noch auf einige besonders wichtige
«0 Dinge aufmerksam machen. 1) ist die Frage zu beantworten :
Welche Wörter sind haupttonig und welche neben¬
tonig? Haupttonig sind sicher alle Substantiva und Adjektiva
im stat. absolut. ; im allgemeinen auch alle Verbalformen, nur ist mit
Grimme der Imperativ vor dem Vokativ nebentonig zu nehmen, z. B.
»5 Jes. 1, 2:' 131I" • nin"V!- -'S• yiti1 v^T -«rTsm wav:• - T wnä: • (--^-^ ---^-^ i^-
~ ~ ~ ~ " II " Jedenfalls braucht man bei dieser Annahme
weniger Verse zu korrigieren als bei der entgegengesetzten. Haupt¬
tonig sind gewiß auch die von Substantiven und Adjektiven ab¬
geleiteten Adverbia. Dagegen sind alle Status-constructus-Formen, 30 daher auch alle Präpositionen, Konjunktionen, Negationen und anderen
Partikeln , ebenso die Personalpronomina vor den entsprechenden
Verbalformen nebentonig. Sonst sind die Pronomina haupttonig;
nur V2 und nu scheinen stets nebentonig zu sein. scheint
als Relativum bald haupttonig, bald nebentonig (bes. Akkus.) zu
35 sein , ebenso manche Adverbia wie 13 , TN usw. Über diese und
andere Fälle werde ich nochmals eine genaue Untersuchung an¬
stellen und alle diesbezüglichen Textstellen sammeln und vergleichen,
um zu einem ganz sicheren Resultate zu kommen.
2) möchte ich darauf aufmerksam machen, daß der hebräische
••0 Dichter die Tonverschiebung auch dann anwenden kann, wenn nicht
zwei haupttonige Silben unmittelbar nebeneinander zu stehen kommen.
Nur gelten dann die oben betreffs nebentoniger Silbengruppen auf-
# * *
gestellten Regeln, z. B. Ps. 94, 14 b: ayy; iib irbmi, welcher Vers,
* ß
wie unzählige andere, nur zweihebig wäre, wenn man ary^ Nb inbn:'i
Schlögl, Die biblisch-hebräitefie Metrik. 707
mit der gewöhnlichen Betonung ausspräche. Interessant sind dies-
/ ' /
bezüglich drei Verse des Jesus Sirach 16, 2a: ü»S innn'ip-i,
3a: bsio onb innbirsni, 5a: ins'nn inna^?'-'!. Übrigens glaube
ich, daß es Fälle gibt, wo zwei Hebungen scheinbar unmittelbar
nebeneinander stehen: 6
a) wenn auf ein emphatisch zu sprechendes Wort ein vokalisch
anlautendes folgt, z. B. Prov. 21, 31b: (mnb)? D'i''b 1=1« DID)
nyitnnIT : ~ m'n-'bl; ähnUch 16,33 b; 24,20 b;
b) wenn der Hiatus zwischen zwei selbständigen Sätzen liegt,
' ' .»
z. B. Job 6, IIa; bn^N "'S inSTir; hier deuten die Masoreten lo
die zu machende Pause durch das Dage§ lene an. Ebenso Job 9, 12a:
/ » '
■<? tli^n^ lü- r.* • I • ' • ~
Ich hoffe, in einem Jahre eint erschöpfende Metrik heraus¬
geben zu können , in der ich auch die Strophik behandle , und
werde mich freuen, wenn Fachgenossen in diesem oder jenem Punkte i5
mir zu einer richtigeren Auffassung verhelfen. Denn mir ist es
nicht darum zu tun, daß ich recht habe, sondern darum, daß wir
alle endlich zu einer richtigen Ansicht vom biblisch-hebräischen Metrum gelangen.
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Zur Frage über das parasitische h des Minäischen.
Von Fr. Praetorins.
Auf Spalte 2564 der Deutschen Literaturzeitung von 1906 ist
auf ein eigentümliches, häufig im Wortinnern zutretendes h im
Soqo^ri hingewiesen und hierbei an das vielbesprochene sog. para¬
sitische h des Minäischen erinnert worden. Diese Notiz, sowie das
6 Soqotri überhaupt, ist von denen, welche sich neuerdings mit dem
A-Problem des Minäischen beschäftigt haben, wohl übersehen worden:
Nielsen, Der Vokalbuchstabe ~ im Minäischen (Mitt.V. As. Ges. 1906,
S. 295 ff.); derselbe. Studier over oldarabiske Indskrifter, S. 185 ff. ;
O.Weber, Der Vokalbuchstabe n im Minäischen (Mitt.V. As. Ges. 1907,
10 S. 87 ff.); Ungnad, Zur südarabischen Grammatik (Or. Litztg. 1907,
Sp. 495ff.); Nielsen, Zur westsemitischen Vokalbezeichnung (Or.
Litztg. 1908, Sp. 116); Nielsen in Or. Litztg. 1908, Sp. 252 ff.;
0. Weber ebenda Sp. 344. — Ich halte für sicher, daß jenes A des
Soqotri mit dem parasitischen Ä des Minäischen identisch ist, daß
15 mithin diejenigen irren, die minäisches h. in gewissen Fällen als
Vokalbuchstaben auffassen zu müssen glauben. Die von Mordtmann,
D. H. Müller und mir vertretene Ansicht, daß auch das parasitische h
im Minäischen stets Konsonant ist, wird durch das Soqotri als richtig
erwiesen. Im einzelnen bleiben freilich noch genug Fragen zu be-
20 antworten übrig. Vielleicht werden wir aber über Ursprung und
Bedeutung dieses h durch die Soqotri-Grammatik einst sicheren
Aufschluß erlangen.
Es scheint sicher (trotz Mordtmann, Beitr. min. Epigr. S. 54 f.), daß das Pronomen "jW im Minäischen mehrmals auch als "inw vor-
25 kommt. Hier soll dann ü Vokalbuchstabe für a sein! Nun hat
das Soqotri außer der von D. H. Müller in seinem 2. Bande S. 373
allein angeführten Form mon (mön) auch noch mfion, mkön; z. B.
men mhon denis I, 60, 14 von wem bist du schwanger?,
e-mhön 'di/gek II, 127, 1 wen willst du?, mügäam di-mhon
30 I, 65, 25 der Sohn wessen?, weiter I, 62, 13; 68, 9; 152, 12;
161,6; n, 316, 18. Dagegen mön Ut 1,62,1 wer bist du?'
mon des 'dzeh II, 63, 30 wer ist diese Frau?, weiter I, 62, 25: