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Naturschutz in den Wäldern Brandenburgs. Beiträge der Naturschutztagung vom 2. November 2006 in Eberswalde

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Ministerium für Ländliche Entwicklung, Umwelt und Verbraucherschutz

des Landes Brandenburg

Referat Presse- und Öffentlichkeitsarbeit Heinrich-Mann-Allee 103

14473 Potsdam

Telefon: 03 31 / 8 66 72 37 und 03 31 / 8 66 70 17 Fax: 03 31 / 8 66 70 18

E-Mail: pressestelle@mluv.brandenburg.de Internet: www.mluv.brandenburg.de

Landesforstanstalt Eberswalde Alfred-Möller-Straße 1

16225 Eberswalde Telefon: 0 33 34 / 6 50 Fax: 0 33 34 / 6 52 06

E-Mail: lfe@lfe-e.brandenburg.de Internet: www.lfe.brandenburg.de

ISBN 978-3-933352-66-8

Ministerium für Ländliche Entwicklung, Umwelt und Verbraucherschutz

Forst

Eberswalder Forstliche Schriftenreihe Band XXVIII

Naturschutz in den Wäldern Brandenburgs

Beiträge der Naturschutztagung vom

2. November 2006 in Eberswalde

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Naturschutz in den Wäldern Brandenburgs

Beiträge der Naturschutztagung vom 2. November 2006

in Eberswalde

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Eberswalder Forstliche Schriftenreihe Band XXVIII

Naturschutz in den Wäldern Brandenburgs

Beiträge der Naturschutztagung

vom 2. November 2006 in Eberswalde

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Impressum

Herausgeber: Ministerium für Ländliche Entwicklung, Umwelt und Verbraucherschutz des Landes Brandenburg Referat Presse- und Öffentlichkeitsarbeit

Heinrich-Mann-Allee 103, 14473 Potsdam

Telefon: 03 31 / 8 66 72 37 und 03 31 / 8 66 70 17, Fax: 03 31 / 8 66 70 18 E-Mail: pressestelle@mluv.brandenburg.de

Internet: www.mluv.brandenburg.de Landesforstanstalt Eberswalde

Alfred-Möller-Straße 1, 16225 Eberswalde Telefon: 0 33 34 / 6 50, Fax: 0 33 34 / 6 52 06 E-Mail: lfe@lfe-e.brandenburg.de

Internet: www.lfe.brandenburg.de

Redaktion: Jan Engel, Landesforstanstalt Eberswalde Gesamtherstellung: hendrik Bäßler verlag · berlin

1. Auflage: 1.500 Exemplare ISBN 978-3-933352-66-8

Potsdam und Eberswalde, im April 2007 Titelfoto: Anne Clodius

Diese Druckschrift wird im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit des Ministeriums für Ländliche Entwicklung, Umwelt und Verbraucherschutz des Landes Brandenburg kostenlos abgegeben und ist nicht zum Verkauf bestimmt. Sie darf weder von Parteien noch von Wahlwerbern während des Wahlkampfes zum Zwecke der Wahlwerbung verwendet werden. Dies gilt für Landtags-, Bundestags- und Kommunalwahlen.

Missbräuchlich sind insbesondere die Verteilung auf Wahlveranstaltungen, an Informationsständen von Parteien sowie das Einlegen, Aufdrucken oder Aufkleben parteipolitischer Informationen und Werbemittel.

Untersagt ist gleichfalls die Weitergabe an Dritte zum Zwecke der Wahlwerbung. Unabhängig davon, wann, auf welchem Weg und in welcher Anzahl diese Schrift dem Empfänger zugegangen ist, darf sie auch ohne zeitlichen Be- zug zu einer Wahl nicht in einer Weise verwendet werden, die als Parteinahme der Landesregierung Brandenburgs zugunsten einzelner Gruppen verstanden werden könnte.

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Inhaltsverzeichnis

Begrüßung

Prof. Dr. KLAUS HÖPPNER (LFE) . . . 7 Naturschutz im Wald – aktuelle Entwicklungen

Prof. Dr. habil. PETER A. SCHMIDT (TU Dresden) . . . 8 Waldnaturschutz in Brandenburg – Stand und aktuelle Entwicklungen

Dr. MICHAEL EGIDIUS LUTHARDT (MLUV) . . . 23

Komplex 1: Biodiversität in Wäldern

Umsetzung der Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie in den Wäldern Brandenburgs

Dr. MICHAEL GÖDDE (MLUV) . . . 31 Artenerfassung und Artenschutz im Wald

KLAUS RADESTOCK (AfF Wünsdorf) . . . 37 Erfassung und Erhaltung forstlicher Genressourcen und der genetisöchen Diversität von Wäldern

Dr. habil. RALF KÄTZEL, SONJA LÖFFLERUND FRANK BECKER (LFE) . . . 39 Entwicklungen in den Naturwäldern Brandenburgs

OLAF RÜFFER (LFE) . . . 50

Komplex 2: Naturschutzintegrierende Waldentwicklungskonzepte

Zur Berücksichtigung naturschutzfachlicher Aspekte in der forstlichen Planung

JÖRG MÜLLER (LFE) . . . 63 Programm zum Schutz der Waldmoore in Brandenburg – Zwischenbilanz und Ausblick

LUKAS LANDGRAF (LUA) und HEIDRUN KOCH (AfF Templin) . . . 69 Moorschutz im Naturschutzgebiet „Winkel“ – Darstellung einer Moorrenaturierung

im Rahmen des Waldmoorschutzprogramms im Amt für Forstwirtschaft Templin

HEIDRUN KOCH (AfF Templin) . . . 75 Konzeptionelle Empfehlungen für ein dauerhaftes Vorhalten alter Rotbuchen-Bestände (Fagus sylvatica)

in Nordostbrandenburg

STEFFEN SCHMIDT (LFE) . . . 80 Schlusswort: Wertung und künftige Schwerpunkte

Prof. Dr. KLAUS HÖPPNER (LFE) . . . 90

Ausgewählte Posterpräsentationen der Tagung

Naturschutzfachliche Inhalte von Betriebskonzepten für den Landeswald

TIM SCHERER (MLUV) und JAN ENGEL (LFE) . . . 95 Moorschutz im Brandenburgischen Wald

LUKAS LANDGRAF (LUA) . . . 96

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Praktischer Moorschutz am Beispiel des NSG Winkel

HEIDRUN KOCH (AfF Templin) . . . 97 Wanderfalkenschutz in Brandenburg

Dr. TORSTEN LANGGEMACH (LUA) und PAUL SÖMMER (LUA) . . . 98 Das Methusalem-Projekt im Landeswald Brandenburgs

JENS JAKOBITZ (LFE), ROLF THIELE (LFE) und STEFFEN SCHMIDT (LFE) . . . 99 Alteichen in Nordostdeutschland

STEFAN PANKA (LFE) und ROLF THIELE (LFE) . . . 100 Bundesweite Erfassung und Dokumentation der Ulmenarten (Ulmus laevis, U. glabra und U. minor)

in Deutschland

ANDREAS REICHLING und Dr. habil. RALF KÄTZEL (LFE) . . . 101 Bundesweite Erfassung und Dokumentation der Schwarz-Pappel (Populus nigra) in Deutschland

WANDA KRAMER und Dr. habil. RALF KÄTZEL (LFE) . . . 102 Ehrenamtliche Arbeit für den Naturschutz

Landschaftsförderverein Friesacker Pforte e. V. . . . 103 Inhaltsverzeichnis

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Begrüßung

Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen,

ich möchte Sie alle recht herzlich begrüßen zu unserer heutigen Fachtagung zum Thema „Naturschutz in den Wäldern Brandenburgs“.

Mehr als 150 angemeldete Teilnehmer aus dem Forst- und Naturschutzbereich belegen ein großes Interesse an diesen Fragen. Das ist meines Erachtens auch ein Ausdruck für die sich entwickelnde Zusammenarbeit zwischen Vertretern der Forstwirtschaft und des Natur- schutzes und zugleich auch eines gegenseitigen Akzep- tanzgewinns.

Seit 100 Jahren sind Naturschutzmaßnahmen in Deutsch- land vordringlich auf das naturnaheste Ökosystem – den Wald – ausgerichtet. So befindet sich heute ein Großteil der gesicherten flächigen Schutzgebiete Brandenburgs in Wäldern. Förster, Waldbesitzer und Naturschützer tra- gen damit gemeinsam eine hohe Verantwortung für die Umsetzung der Naturschutzaufgaben im Land.

Ein Blick zurück zeigt, dass Förster lange mit der Tat- sache zu kämpfen hatten, dass sie nicht mehr die Ein- zigen sind, die sich mit dem Wald befassen und et- was von ihm verstehen. Immer mehr Nichtforstleute in- teressieren sich mit ebenfalls großem Sachverstand für den Wald. Gerade wegen der Differenziertheit und Spe- zifik, die sich aus den vielgestaltigen Schutzfunktionen des Waldes ergeben, z. B. der aktuellen Anforderungen aus NATURA 2000, bedarf es des Spezialwissens von Biologen, Geografen u. a. Das kann die Arbeit von Forst- leuten in sinnvoller Weise ergänzen. Auf Arbeitsebene gab es in der Vergangenheit zahlreiche Beispiele ei- ner konstruktiven Zusammenarbeit. Nicht grundlos sah z. B. HUGO CONWENTZ, der Begründer des Staatlichen Na- turschutzes in Preußen, in den Forstleuten seine eng- sten Verbündeten, was sich auch in der engen Zusam- menarbeit mit dem Oberförster von Chorin, Dr. MAX

KIENITZ, äußerte und 1907 zur Sicherung des ersten Naturschutzgebietes in Preußen – dem Plagefenn – führte.

Der Gesetzesauftrag für die Forstwirtschaft besteht be- kanntlich in der gleichrangigen Beachtung und nachhal- tigen Sicherung der Nutz-, Schutz- und Erholungsfunk- tion des Waldes. Dies ist nach wie vor wichtigste Grund- lage aktueller Forstpolitik. Zu den Zielen einer multifunk- tionalen Forstwirtschaft gibt es keine Alternative. Die Zielstellungen von Forstwirtschaft und Naturschutz müs- sen dabei in einer Gesamtzielstellung verbunden und möglichst flächendeckend umgesetzt werden.

Für Brandenburg wurde dazu die Strategie der ökolo- gischen Waldbewirtschaftung abgeleitet, die zudem zer- tifizierungskonform ist.

Was so einfach klingt, ist, so zeigen aktuelle Entwick- lungen der Forstwirtschaft, schwierig zu händeln.

Ich war unlängst, am 20. September, zur Forstwissen- schaftlichen Tagung in Dresden, wo Prof. VOLZ von der Universität Freiburg einen außerordentlich interessan- ten Vortrag zum Thema „Prinzip Nachhaltigkeit – ein Bei- trag zum Umgang mit konstruierten Idealbildern“ hielt.

Er verglich dabei die multifunktionale Nachhaltigkeit mit einer dreieckigen Fläche, die man in der Mitte an einem Faden aufhängt und in einem dauernden Gleichgewicht halten will. Da aber auf den drei Ecken dieser schwan- kenden Fläche mit der Ökonomie, der Ökologie und den sozialen Bedürfnissen der Gesellschaft ganz unter- schiedliche Gewichte lagern, ist es nach VOLZ nahezu un- möglich, das erstrebte Gleichgewicht zu halten. Noch schlimmer: Die (politischen) Gewichte der drei Ecken verlagern sich permanent. Also entstehen Schieflagen und kritische Situationen, bei denen jeweils eines der drei Elemente abzustürzen droht. In den letzten 1–2 Jah- ren, so zeigt auch der Blick nach Brandenburg, hat mit der rasanten Holznachfrage bei steigenden Preisen die Nutzfunktion des Waldes deutlich an Gewicht gewonnen.

Das ist aus Sicht aller Waldbesitzarten positiv. Zu- gleich birgt dies die Gefahr, dass bei der Waldbewirt- schaftung die gemeinwohlorientierten Leistungen der Schutz- und Erholungsfunktion, wie Waldnaturschutz, Klima-, Wasserschutzwirkung, Erholungsnutzung, an Ge- wicht verlieren.

Es ist daher ein wesentliches Anliegen unserer heu- tigen Tagung, sich diesen Fragen mit möglichst über- zeugenden Antworten zu stellen. Im ausklingenden Jahr der Naturparke ist es an der Zeit, Bilanz zu ziehen.

Der Blick in das Tagungsprogramm macht zwei Schwerpunkte sichtbar:

Komplex 1 zur Biodiversität in Wäldern und

Komplex 2 zu naturschutzintegrierenden Waldentwick- lungskonzepten.

Bei beiden Komplexen kommen sowohl Referenten aus dem Forst- als auch Naturschutzbereich zu Wort. Wir werden also unterschiedliche Sichten hören und disku- tieren können. Auch möchte ich nicht versäumen, Ihre Aufmerksamkeit auf die interessanten Poster im Vor- raum zu lenken.

In diesem Sinne wünsche ich uns interessante Vor- träge und eine rege Diskussion.

Prof. Dr. KLAUS HÖPPNER

Leiter der Landesforstanstalt Eberswalde

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Prof. Dr. habil. PETER A. SCHMIDT

TU Dresden, Fachrichtung Forstwissenschaften, Institut für Allg. Ökologie und Umweltschutz

Pienner Str. 7, 01737 Tharandt E-Mail: schmidt@forst.tu-dresden.de

www.forst.tu-dresden.de/Oekologie/Landes/index.htm

1 Einführung

Das Thema des Vortrages und damit dieser Publikation entspricht einer Bitte des Veranstalters, dem für die Ein- ladung zu dieser Tagung gedankt sei. Man kann sich dem Thema auf verschiedene Weise nähern, aber stets nur einige der aktuellen Entwicklungen andeuten. Zu- dem erhebt sich die Frage, ab wann ist denn etwas (noch) aktuell in zeitlicher oder neu in inhaltlicher Di- mension? Sollen neue Erkenntnisse oder rechtliche In- strumente und ihre Umsetzung im Vordergrund stehen, also eher naturschutzfachliche Aspekte oder -politische Probleme thematisiert werden? Die Themenstellung ist sehr komplexer Natur. Dies birgt die Gefahr, dass dieser oder jene Akteur oder Interessent aus den Reihen des Naturschutzes oder der Forstwirtschaft ein ihn bewegen- des Thema vermissen wird. Der Autor bittet um Verständ- nis, dass nur Teilaspekte angesprochen bzw. manche der Entwicklungen lediglich gestreift werden können. In einer aus Sicht des Autors sinnvollen Erweiterung eines bekannten Mottos – „global denken, international agie- ren, national planen, regional und lokal handeln“ – wer- den globale und europäische Entwicklungen vorange- stellt und an einigen Beispielen Konzepte und Aktivitäten zum Naturschutz im Wald in Deutschland dargestellt.

2 Internationale Entwicklungen und ihre Auswirkungen auf Naturschutzstrategien in Deutschland

2.1 Globale Ebene

Die Wurzeln der wesentlichsten aktuellen Entwicklungen in Naturschutz wie Forstwirtschaft reichen in die 1980/

90er Jahre zurück:

– Globale Naturschutz- bzw. Umweltschutzstrategien, gemeinsam von Weltnaturschutzunion (IUCN), Um- weltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) und Weltnaturschutzstiftung (WWF) herausgegeben: World

Conservation Strategy 1980, Caring for the Earth – A Strategy for Sustainable Living 1991,

– Bericht der Weltkommission für Umwelt und Entwick- lung (Brundtland-Bericht „Our Common Future“) an die Vereinten Nationen 1987,

– Weltgipfel der Vereinten Nationen für Umwelt und Ent- wicklung (UNCED) 1992 in Rio de Janeiro.

Sie begründeten den Rio-Prozess (bzw. -Folgeprozess) mit den im Mittelpunkt stehenden Leitlinien der nachhal- tigen Entwicklung. Trotz aller Schwierigkeiten, aus der meist als Schlagwort gebrauchten „Nachhaltigkeit“ kon- krete Prinzipien zu entwickeln, diesen im Einzelfall ge- recht zu werden und ihre Umsetzung zu evaluieren, gibt es weitestgehende Übereinstimmung darin, dass dauer- haft-umweltgerechte Nutzung der Naturressourcen und Sicherung biologischer Vielfalt Voraussetzung für eine nachhaltige Entwicklung sind, auch und vor allem als Lebensgrundlage des Menschen. In Rio 1992 wurde ei- ne Grundsatzerklärung zu den Wäldern, aber keine Wald- konvention verabschiedet. Bis heute existiert keine völ- kerrechtlich verbindliche Handlungsgrundlage für Wälder auf globaler Ebene. Nachhaltige Nutzung der Waldres- sourcen und Erhalt der Biodiversität der Wälder sind je- doch als wesentliche Inhalte und Handlungsfelder in in- ternationalen Prozessen und Abkommen (vgl. Waldforum der Vereinten Nationen UNFF, Biodiversitäts- und Klima- rahmen-Konventionen) fest verankert. Beispielhaft sei dies anhand ausgewählter Schwerpunktthemen der Ver- tragsstaatenkonferenzen (COP) des Übereinkommens über biologische Vielfalt (CBD) belegt:

– COP 5/2000: Ökosystemarer Ansatz als zentraler Hand- lungsrahmen

– COP 6/2002: Schutz und nachhaltige Nutzung der bio- logischen Vielfalt der Wälder

– COP 7/2004: Errichtung eines globalen Netzwerkes von Schutzgebieten

– COP 8/2006: Zugang zu genetischen Ressourcen und gerechter Vorteilsausgleich

– COP 9/2008 (Konferenzort Deutschland): Agrobiodiver- sität, nachhaltige Nutzung der Böden, Umsetzung des Wald- und Schutzgebietsprogramms, Invasive Arten.

Ökosystemarer Ansatz der Waldbewirtschaftung

Ökosystem-Management als Ansatz für Landnutzung und Naturschutz wird seit zwei Jahrzehnten weltweit viel diskutiert, auch als Leitlinie forstlicher Bewirtschaf- tung implementiert (z. B. US Forestry Service, PHILLIPS &

RANDOLPH 1998). Allerdings werden Begriff und Konzept

Naturschutz im Wald – aktuelle Entwicklungen

Prof. Dr. habil. P

ETER

A. S

CHMIDT

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9 P. A. SCHMIDT: Naturschutz im Wald – aktuelle Entwicklungen von den verschiedenen Akteuren sehr unterschiedlich

angewandt (vgl. HABER 2004, LANGANKE 2005). Als Hand- lungsrahmen der CBD für die Bewahrung von geneti- scher, Arten- und Lebensraumvielfalt sowie ihrer nach- haltigen Nutzung als natürliche Ressourcen wurde der ökosystemare Ansatz von der Vertragsstaatenkonferenz 2000 (COP 5) herausgestellt. Ökosystem-basierte Kon- zepte sind nicht neu, sie haben bereits in der Vergangen- heit bestimmte Entwicklungen in Forstwirtschaft (Dauer- waldidee, naturnahe Waldwirtschaft, ökologisch orien- tierter Waldbau) oder Naturschutz (vom Arten- zum Le- bensraum- bzw. Ökosystemschutz, Integrationsstrategie etc.) beeinflusst oder befördert (vgl. THOMASIUS & SCHMIDT

2003). Die Einordnung in gesellschaftliche Prozesse (bis hin zur Sicherung der Lebensgrundlagen zukünfti- ger Generationen), globale Dimension der Probleme und Erfordernis interdisziplinärer Lösungen erhöhen die An- sprüche und Anforderungen an die Konzepte. Im globa- len Maßstab nahm die UNO eine auf dem ökosystema- ren Ansatz basierende Bewertung der weltweiten Um- weltsituation vor (Millenium Ecosystem Assessment, MA 2005) vor. In dieser Einschätzung kommt die herausra- gende Bedeutung der Wälder mit ihren Produktions-, Lebensraum-, Sozial- und Regulationsfunktionen (eco- system services) im Beziehungsgefüge zwischen Öko- system, Biodiversität und menschlichem Wohlergehen klar zum Ausdruck, aber ebenso das von zunehmender Intensität und Reichweite ausgehende Bedrohungs- potenzial anthropogener Umweltveränderungen für die Waldökosysteme und die Verantwortung des Menschen für ein zukunftsorientiertes Ökosystem-Management von lokaler bis globaler Ebene.

Waldbewirtschaftung als Ökosystem-Management ist von grundlegender Bedeutung für den Erhalt der Bio- diversität der Wälder sowie eine dauerhaft-umweltge- rechte Nutzung ihrer Naturressourcen und bietet beste Voraussetzungen als ein Modellbeispiel für nachhaltige Entwicklung. Um dem gerecht werden zu können, sollen (in Anlehnung an den Ökosystem-Ansatz der COP und RANDOLPH 2003, aber stark verändert und auf den Wald bezogen) folgende Grundprinzipien für Nutzungs- und Bewirtschaftungsstrategien formuliert werden:

1) Ökologische Ausrichtung: „das Ökosystem“ (der je- weiligen Hierarchieebene: von Geobiozönose über Biom bis Biosphäre) setzt die Rahmenbedingungen für Schutz, Pflege, Nutzung und Entwicklung, d. h. die Waldbewirtschaftung versteht sich als Waldökosys- tem-Management und orientiert sich an den jeweils gegebenen naturräumlichen Bedingungen (Naturdar- gebot an Leistungspotenzialen, natürliches Biodiver- sitätspotenzial).

2) Zeitliche und räumliche Dimension: langfristiger Zeit- horizont und verschiedene räumliche Skalenebenen der Ökosysteme (topische – chorische – ökoregio- nale – globale Dimension) bilden wesentliche Rah- menbedingungen für die Nutzung und Bewirtschaf- tung der Wälder.

3) Beziehungsgefüge Mensch und Ökosystem: Nutzung und Bewirtschaftung tragen der komplexen Vernet- zung zwischen ökosystemaren und gesellschaftli- chen Prozessen Rechnung, berücksichtigen soziale Ansprüche und kulturelle Werte.

4) Wissenschaftlich fundiertes Management: Strategien und Maßnahmen basieren auf dem jeweils aktuellen Wissensstand („best science“-Lern- und Auswerte- prozesse), um das Leistungsvermögen der Ökosys- teme und tolerierbare Spielräume für die Inanspruch- nahme der Naturressourcen beurteilen zu können so- wie Risiken zu minimieren.

5) Variables, anpassungsfähiges Management: Strate- gien werden durch vielfältige, sich verändernden Be- dingungen anpassende (adaptives Management) und mit allen relevanten Akteuren abgestimmte (partizi- patives Management) Maßnahmen umgesetzt.

Dringender Bedarf besteht an geeigneten Instrumenten und Kriterien zur Evaluierung der Managementeffek- tivität bei der Erhaltung und nachhaltigen Nutzung der Wälder und ihrer biologischen Vielfalt. Zur Entwicklung von Kriterien und Indikatoren laufen internationale und nationale Bestrebungen (s. 2.2, 3.1–2), teilweise koordi- niert, aber auch konkurrierend, teilweise interdiszipli- när und alle Lebensbereiche oder Landnutzungen erfas- send, aber auch sektoral. Die Berichtserstattungen zum Stand der Umsetzung der nationalen Nachhaltigkeits- strategie der Bundesregierung sehen ebenfalls eine Erfolgskontrolle vor. Zu dem Indikatorenset, das Aussa- gen zum Stand nachhaltiger Entwicklung, zu Fortschritten und Handlungsbedarf ermöglichen soll, gehört mit dem Nachhaltigkeitsindikator für Artenvielfalt ein einziger In- dikator für den Bereich Natur und Landschaft (mit Teil- bereich bzw. „Hauptlebensraumtyp“ Wälder). Dieser auf der Bestandsentwicklung ausgewählter Vogelarten ba- sierende Indikator (vgl. ACHTZIGER et al. 2004) soll „Erfolge und Fehlentwicklungen bei der Sicherung der biologi- schen Vielfalt“ (Bundesregierung 2002, S. 101) doku- mentieren.

Schutzgebietsmanagement und Schutzgebiets- systeme

Eine Naturschutzziele integrierende Landnutzung wie die ökologisch orientierte Waldbewirtschaftung wird dem Ökosystem-Ansatz gerecht, kann aber allein nicht die Bewahrung der biologischen Vielfalt, die Funktions- fähigkeit der Ökosysteme oder eine lebenswerte Um- welt sichern. Hierzu sind Schutzgebiete unverzichtbar, wenn sie auch bisher nur unzureichend ihre Aufgaben erfüllen. Im globalen Maßstab zeichnet sich zudem ein Paradigmenwechsel im Schutzgebietsmanagement ab.

In den letzten Jahren haben sich sowohl Vertrags- staatenkonferenzen der CBD als auch die Weltnatur- schutzunion (IUCN) und ihre Schutzgebietskommis-sion (WCPA) in Weltkongressen (World Park Congress Dur- ban 2003, World Conservation Congress Bangkok 2004) mit dieser Problematik auseinandergesetzt. Einige Schwerpunkte, die auch für Deutschland relevant sind, seien genannt:

– Entwicklung von Schutzgebieten, die gleichzeitig gesell- schaftliche und ökologische Anforderungen erfüllen, – Bewertung der Managementeffektivität von Schutzge-

bieten als Voraussetzung für die Verbesserung ihrer Qualität,

– Beteiligung der lokalen Bevölkerung bei Planung und Verwaltung der Schutzgebiete,

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10 P. A. SCHMIDT: Naturschutz im Wald – aktuelle Entwicklungen – Errichtung eines globalen Netzwerkes von Schutzge-

bieten unter Einbeziehung grenzüberschreitender bzw.

transnationaler Schutzgebiete und privater Schutzge- biete.

Die 7. Vertragsstaatenkonferenz der CBD beschloss 2004 ein verbindliches Arbeitsprogramm für Schutzgebie- te, dessen Ziel die Schaffung eines globalen Schutzge- bietssystems (für terrestrische Bereiche der Erde bis 2010, für marine bis 2012) ist, bestehend aus ökologisch repräsentativen nationalen und regionalen Schutzge- bietssystemen mit effektivem Management. Diese sollen – unter anderem durch internationale Vernetzung – dazu beitragen, die drei Hauptziele des Übereinkommens und das 2010er Ziel der erheblichen Reduzierung der derzei- tigen Verlustrate an biologischer Vielfalt zu erfüllen. Bezo- gen auf den im Schutzgebietssystem einen hohen Stel- lenwert einnehmenden Wald bedeutet dies:

– Erhalt biologischer Vielfalt der Wälder,

– Nachhaltigkeit der Nutzung biologischer Ressourcen der Wälder,

– gerechte Verteilung der sich aus der Nutzung erge- benden Vorteile.

Die Vertragsstaaten müssen bis 2008 eine Bewertung der Managementeffektivität der Schutzgebiete ein- führen (ab 2008 Teil der Berichtspflicht), bis 2010 soll sie für 10 % der Schutzgebiete vorliegen. Als Grundlage dient ein Rahmenkonzept der IUCN-Weltkommission für Schutzgebiete zur Bewertung der Managementeffekti- vität, definiert als Grad, bis zu dem das Management die Werte, die Anlass für die Festsetzung des Schutzgebie- tes waren, erhält (vgl. WÖRLER et al. 2006). Eckpunkte der Evaluierung sind gegenwärtiger Zustand, Vision und Pla- nung, Input (Einsatz von Ressourcen: Mittel, Personal), Prozess der Umsetzung, Output (Ergebnis der Maßnah- men), Outcome (Wirkungen, Erreichtes).

Als Schutzgebiete im Rahmen globaler Programme und Abkommen sollen die Biosphärenreservate und Weltna- turerbestätten der UNESCO besondere Erwähnung fin- den, da sie aus ganz unterschiedlicher Sicht für den Naturschutz im Wald bedeutungsvoll sind. Im Kontext differenzierten Schutzgebietsmanagements mit integrier- ter, nachhaltiger Entwicklung dienender Landnutzung und partieller Segregation sind die Biosphärenreser- vate des UNESCO-Programms Mensch und Biosphäre (MAB) hervorzuheben. Anfangs (1970er Jahre) konzent- rierte sich die Etablierung des globalen Netzes der neu- artigen Schutzgebietskategorie auf Erhalt der Biodi- versität repräsentativer Ökosysteme der Erde, Erfor- schung der Mensch-Umwelt-Beziehungen, Bildung und Monitoring. Seit der Sevilla-Strategie für Biosphärenre- servate rückte der in diesen Gebieten lebende und Na- turgüter nutzende Mensch noch stärker in den Mittel- punkt. Der überwiegende Flächenanteil eines Biosphä- renreservates (bedauerlicherweise mit dem nichts sa- genden Begriff transition area belegt, in Deutschland sinnvoller Entwicklungszone) soll zu einem Modellraum für nachhaltige Nutzung von Naturressourcen und Na- turschutzziele integrierendes Landnutzungs-Manage- ment entwickelt werden. Damit sollen Biosphärenreser- vate die regionalwirtschaftliche Entwicklung fördern und einen Bildungsauftrag im Sinne der Bildung für nach- haltige Regionalentwicklung wahrnehmen (UNESCO

2000). Es geht also um weit mehr als Untersuchung an- thropogener Auswirkungen auf Ökosysteme. Integra- tive Schutz- und Nutzungskonzepte, naturverträgliche und umweltschonende Wirtschafts- und Lebensweisen sollen beispielhaft umgesetzt werden, entweder durch Erhaltung entsprechender traditioneller Landnutzung oder durch neue Nutzungskonzepte. Dabei sind innova- tive Wege für anpassungsfähiges Schutzgebiets- und aktives, zielorientiertes Prozess-Management gefragt (HAMMER 2005).

Es besteht ein zunehmendes Interesse der Staaten, nati- onale Schutzgebiete mit natürlichen Ökosystemen bzw.

Naturlandschaften als Weltnaturerbestätten der UNES- CO anerkennen zu lassen. In der Nominierung als Welt- erbestätte muss der Antragsteller nachweisen, dass die Schutzgebiete mindestens eines von vier Kriterien der Welterbekonvention, die an ein Naturerbe der Menschheit gestellt werden, erfüllen. Dabei gelten strenge Maßstäbe bezüglich eines aus internationaler Sicht herausragen- den Wertes (outstanding universal value) und einer „Un- versehrtheit“ (integrity) des Gebietes. Im Rahmen des Deutsch-Russischen Umweltabkommens unterstützte Deutschland in den letzten zehn Jahren die Nominierung von Weltnaturerbestätten in Russland (SCHMIDT & BUTORIN

2006), wo Zapovedniks (Totalreservate bzw. IUCN-Kate- gorie Strict Nature Reserve mit Verwaltungs- und For- schungspersonal) und Nationalparke mit großflächigen Naturwäldern existieren. In Deutschland, das bisher mit einem paläontologischen Objekt (Grube Messel) über ei- ne einzige Naturerbestätte verfügt, wurden von PLACHTER

et al. (2006b) nach einem fachlichen Entscheidungsras- ter für eine Nominierung zur Welterbeliste grundsätzlich in Frage kommende Gebiete mit potentiellen Natur- werten identifiziert. Zu den möglichen Kandidaten zählt der Waldökosystemtyp Buchenwälder. In einer vom BfN im Auftrag des BMU und in Abstimmung mit den betref- fenden Bundesländern vergebenen „Machbarkeitstudie für eine UNESCO-Welterbenominierung eines ausge- wählten deutschen Buchenwaldclusters“ wurden Bu- chenwald-Schutzgebiete (Nationalparke bzw. Teile der Nationalparke Jasmund, Müritz, Hainich und Kellerwald, Totalreservat Grumsin im Biosphärenreservat Schorf- heide-Chorin) einer kritischen Evaluierung hinsichtlich ihrer Eignung unterzogen (PLACHTER et al. 2006a). Erfolgt eine Meldung in der deutschen Vorschlagsliste an die UNESCO, dann würde sich im Falle einer Einschrei- bung der 2005 nominierten, derzeit im Evaluierungspro- zess befindlichen „Buchenurwälder der Karpaten“ (slo- wakisch-ukrainische Nominierung) in die Welterbeliste anbieten, eine Erweiterung dieser Weltnaturerbestätte durch ausgewählte deutsche Buchenwälder zu prüfen (Abb. 1).

2.2 Europa

Die 2. Europäische Ministerkonferenz über den Schutz der Wälder (MCPFE, Helsinki 1993) stellte einen we- sentlichen Meilenstein im pan-europäischen Prozess zur Umsetzung der Leitlinien der nachhaltigen Entwicklung dar. Sie leitete den so genannten Helsinki-Prozess ein, der von den Signatarstaaten den Nachweis der Nach- haltigkeit ihrer Waldbewirtschaftung verlangt. Um aufzei- gen zu können, ob und wie nachhaltige Waldbewirt-

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11 P. A. SCHMIDT: Naturschutz im Wald – aktuelle Entwicklungen

schaftung erreicht wird, wurde von den europäischen Forstministern ein Katalog von sechs Kriterien, 17 Hand- lungsfeldern und 27 quantitativen Indikatoren politisch verbindlich beschlossen (Lissabon 1998). Dessen An- wendbarkeit wurde in einigen Waldgebieten Deutsch- lands getestet, dabei wurden zehn Schlüsselindikatoren identifiziert, unter anderem Naturnähe der Wälder und Landschaftsdiversität (STOCK 2004). Zu den Helsinki-Kri- terien gehört Erhaltung und angemessene Verbesse- rung der biologischen Vielfalt in den Wirtschaftswäldern.

Damit verbunden ist die Verpflichtung nachzuweisen, dass die Biodiversität in den forstlich bewirtschafteten Waldbeständen der einzelnen Staaten zumindest nicht abnimmt, womit zugleich ein Beitrag zum 2010er Ziel des Abkommens über die Biologische Vielfalt (CBD, s.

2.1) geleistet wird. Um dies zu realisieren, müssen die Tätigkeiten identifiziert werden, die erhebliche nachteili- ge Auswirkungen auf die Erhaltung und nachhaltige Nut- zung der biologischen Vielfalt haben (könnten). Wenn der Nachweis, dass die Biodiversität in Wirtschaftswäl- dern nicht abnimmt, mittels der vorgegebenen Indikato- ren geführt werden soll, besteht Klärungsbedarf. Selbst bei solch gut bekannten Organismengruppen wie den Gefäßpflanzen ergeben sich offene Fragen, wenn bei- spielsweise als Indikator zur Bewertung der Artenvielfalt eines Waldgebietes die Veränderung des Anteils gefähr- deter Arten an der Gesamtzahl der Arten der Wälder eines Staates oder anderen Bezugsraumes dient. Die Frage er- scheint banal, aber um einen solch einfachen Indikator anwenden zu können, muss erst geklärt werden, welche

Art denn eine (typische) Waldart ist. Dies war Anlass zu einer Erarbeitung einer Liste der Waldgefäßpflanzen Deutschlands (M. SCHMIDT et al. 2003). Aus den Helsinki- Kriterien wurden auch Standards zur Zertifizierung nach- haltiger Waldbewirtschaftung abgeleitet. Für die Zer- tifizierung werden praktikable Indikatoren benötigt, die auch auf Betriebsebene anwendbar sind. Die Ziele und Methoden der parallel entwickelten Verfahren (z. B. FSC, PEFC) weichen voneinander ab, teils werden sie aus forstpolitischer Sicht kritisch hinterfragt (KÖPF 2002).

PEFC-Standards, die Anforderungen an die Waldbesit- zer für die Waldbewirtschaftung auf betrieblicher Ebene präzisieren (PEFC Deutschland 2006), beziehen das Kriterium Biodiversität weitestgehend auf die Baum- schicht, auf geschützte Biotope und gefährdete Arten soll aber ebenfalls Rücksicht genommen sowie Totholz und Höhlenbäume in angemessenem Umfang erhalten wer- den.

Für die Länder der Europäischen Union (EU) wurde mit der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie (FFH-RL) ein Instru- ment zur Sicherung von Arten und Lebensräumen „von gemeinschaftlicher Bedeutung“ in FFH-Gebieten (SCI) geschaffen. Hervorzuheben ist die Berücksichtigung nicht nur seltener, sondern für die EU repräsentativer, Le- bensraumtypen wie der Buchenwaldökosysteme. Ge- meinsam mit den auf Basis der Vogelschutz-Richtlinie ausgewiesenen Vogelschutzgebieten (SPA) bilden die FFH-Gebiete das Grundgerüst für Natura 2000. Das ent- stehende kohärente Netz von Schutzgebieten in der EU Abb. 1: Buchen-Naturwald im ukrainischen Naturreservat Cernohora (Karpaten-Biosphärenreservat),

einem Teilgebiet der slowakisch-ukrainischen Nominierung „Buchenurwälder der Karpaten“ für die Welterbeliste

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ist zwar kein Europäisches Schutzgebietssystem, wie es fälschlich (Europa reicht bis zum Ural und Kaukasus) oder EU-zentrisch genannt wird, bildet aber mit der vor- gesehenen Gesamtfläche (bis 15 % der Fläche der EU) einen wesentlichen Grundstock eines gesamteuropä- ischen Schutzgebietssystems, so auch im Rahmen des

„Pan-European Ecological Network“ des Europarates.

Natura 2000 stellt bisher im globalen Maßstab den wohl wirksamsten Beitrag zur Sicherung von Biodiversität dar (WEBER & CHRISTOPHERSEN 2002). Das in der FFH-RL fest- gelegte Monitoring bietet Grundlagen für Erfolgskon- trollen, womit erstmalig in beträchtlichem Umfang (alle EU-Staaten) Bewertungen der Managementeffektivität er- möglicht werden, wie sie die CBD fordert (s. unter 2.2).

Das Spektrum der Auffassungen zur FFH-RL bzw. von Natura 2000 durch einzelne Interessentengruppen ist sehr breit gefächert, es reicht von Euphorie und Aner- kennung innovativer Ansätze im staatenübergreifenden Biotop- bzw. Habitatschutz und Biotopverbund über kriti- sche Stimmen bis hin zu offener Ablehnung (vgl. LANG-

ANKE 2005). Da sich ein Beitrag zu dieser Tagung der Umsetzung der FFH-Richtlinie speziell widmet, soll hier nicht näher auf Erfolge und Konflikte, Managementpläne oder Monitoring eingegangen werden.

Eine wichtige Grundlage für Konzepte und Planungen von Naturschutz und Forstwirtschaft im gesamteuropä- ischen Rahmen und in den europäischen Staaten wurde mit der digitalisiert und gedruckt vorliegenden Karte der natürlichen Vegetation Europas (BOHN et al. 2000/2003) geschaffen. Zu den vielfältigen Möglichkeiten der Anwen- dung und Auswertung (u. a. durch Verschneidung der Vegetationskarten mit anderen Landschafts- und Öko- systeminformationen) gehören ökologische Raumglie- derungen, Ermittlung der Verbreitung (potenziell-)natürli- cher Waldökosystemtypen und naturbürtiger Phyto- diversität der Wälder und Szenarios ihrer möglichen Ver- änderungen durch Klimawandel, Vergleich aktueller und potenzieller Bioproduktivität, naturnahe Waldbewirtschaf- tung oder Überprüfung von Schutzgebietssystemen hin- sichtlich der Repräsentanz der Waldökosysteme (vgl.

BOHN et al. 2005).

3 Entwicklungen in Deutschland

3.1 Naturschutzpolitische Strategien und Aktivitäten

Nur ökologisch, ökonomisch und sozial ausgewogene naturschutzpolitische Strategien für den Wald können den steigenden Anforderungen der Gesellschaft an den Wald gerecht werden. Waldbewirtschaftung als Ökosys- tem-Management (s. 2.1) bietet die beste Chance, die dauerhafte Erfüllung der produktiven, protektiven und rekreativen Funktionen bei sich wandelnden Rahmen- bedingungen, seien sie gesellschaftlicher oder privater, kultureller oder ökologischer (z. B. klimatischer) Art, zu gewährleisten. Multifunktionalität des Waldes bedeutet nicht, dass auf einer Fläche alle Funktionen zu erfüllen sind, auf konkreten Flächen können oder müssen auch Vorrangfunktionen ausgewiesen werden, so Vorrang Produktion ebenso wie Vorrang Arten-, Biotop- oder Prozessschutz (Abb. 2).

Der Nutzungsgradient von Waldbeständen ist breit ge- fächert, er reicht vom Totalreservat mit Unterlassung jeg- licher Einflussnahme (Naturwaldregeneration) bis zu Kulturwäldern, die mittels verschiedener Waldbautech- nologien bewirtschaftet wurden und/oder werden (vgl.

THOMASIUS & SCHMIDT 2003). Es wurde bereits betont, dass für bestimmte Naturschutzziele im Wald Schutzgebiete unverzichtbar sind (s. 2.1). Ebenso besteht (oder – muss in Anbetracht aktueller Entwicklungen in der Forst- wirtschaft gesagt werden – bestand?) weitgehend Kon- sens, dass Naturschutz nicht nur in Schutzgebieten, sondern auf der gesamten Waldfläche (Integration durch Kombination und Verbund, s. 3.2–3.3) umzusetzen ist (AMMER 1992, SCHMIDT 1997, PLACHTER 1997, WAGNER 2000 u. a.; s. auch Waldentwicklungsprogramme und Wald- baurichtlinien der Bundesländer, z. B. EISENHAUER 2006).

Hinzugekommen sind aber neue Verpflichtungen aus globalen Konventionen, europäischen Abkommen oder EU-Richtlinien (s. 2.1–2.2) und neue Impulse durch die Novellierung nationaler Gesetze, dazu gehören auch Forderungen nach Erfolgskontrolle bzw. Bewertung der Managementeffektivität oder naturschutzfachlichen Min- deststandards (Gute fachliche Praxis, s. unten), deren Umsetzung natürlich differenziert, in Abhängigkeit von Eigentumsverhältnissen und Bewirtschaftungszielen, er- folgen muss.

Aktuelle Tendenzen wie Strukturänderungen in der Forst- wirtschaft und Gewinnmaximierung durch stärker auf den Holzertrag orientierte Wirtschaftsweisen lassen Ver- lagerungen des Dreiecks der Nachhaltigkeit zuunguns- P. A. SCHMIDT: Naturschutz im Wald – aktuelle Entwicklungen

Abb. 2: Multifunktionale Forstwirtschaft schließt räumlich differenzierte Vorrangfunktionen nicht aus:

bei Vorrang Produktion (Wirtschaftswald) werden Naturschutzziele bei der Bewirtschaftung integriert, bei Vorrang Naturschutz ordnet sich die Waldbehandlung und -nutzung entweder dem Naturschutzziel unter (z. B. Arten- oder Biotopschutz im Wirtschaftswald oder Schutzgebiet) oder unterbleibt (Prozessschutz im Schutzgebiet)

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ten des ökologischen Eckpunktes und neue Konflikt- potenziale zwischen Nutzung und Schutz befürchten.

ANDERS (2006), der sowohl alte Konflikte und Lagermen- talitäten als auch neue Chancen von „Förstern“ und „Na- turschützern“ herausarbeitet, sieht in „Forst und Na- turschutz“ Pole einer produktiven Partnerschaft, wenn sie die Perspektivvielfalt auf den Wald als eine Chance zur Ausdifferenzierung begreifen. Es gibt sogar aus- reichend Gründe, diese Partnerschaft zu erweitern. Ei- nerseits ist der Wald strukturell und funktional vielfäl- tig vernetzt mit den anderen Ökosystemen und Land- nutzungen in der Landschaft und Wald-/Offenland-Öko- systemkomplexe, die Habitatangebot und Biodiversi- tät steigern, sind räumlich und zeitlich verknüpft. Ande- rerseits erlangen für die Erzeugung des nachwachsen- den Rohstoffs und Energieträgers Holz alle Gehölzbe- stände in der Landschaft bis hin zur Kurzumtriebsplan- tage auf landwirtschaftlichen Flächen zunehmende Be- deutung. Nicht nur die Lebensräume diverser Arten oder Biotopverbundsysteme sind waldübergreifend, sondern zahlreiche Naturschutzziele sind landschaftsbezogen, erfordern also ein integriertes Landschafts-Manage- ment.

Im Folgenden wird beispielhaft auf einige umwelt- und forstpolitische Aktivitäten der letzten Jahre, die sich mit Naturschutz im Wald auseinandersetzen, eingegan- gen.

Umweltgutachten 2000 des Rates von Sachverständigen

In einem für das Umweltgutachten 2000 des Rates von Sachverständigen für Umweltfragen gemeinsam von wissenschaftlichen Institutionen der Forstpolitik und des Naturschutzes vorgelegten Beitrag „Waldnutzung in Deutschland – Bestandsaufnahmen, Handlungsbedarf und Maßnahmen zur Umsetzung des Leitbildes einer nachhaltigen Entwicklung“ (HOFMANN et al. 2000) wurden sowohl Konsenslösungen herausgearbeitet als auch Al- ternativen vertreten, wenn kein Konsens zwischen den Vertretern der Forstwissenschaft und des Naturschutzes erzielt werden konnte. Von grundsätzlicher Bedeutung er- weist sich die Konsenslösung zu anzustrebenden Leit- bildern:

Ökologisch mehrdimensionale, nutzungsbezogene und dynamische Leitbilder des Naturschutzes, orientierend an den „Grundmotiven“

– Natürlichkeit (im Sinne fehlender oder geringer an- thropogener Eingriffe),

– Artenreichtum (eines Ökosystems, einer Landschaft oder der Erde),

– Stabilität (im Sinne raum-zeitlicher Konstanz),

– schonende Nutzung (im Sinne des Nachhaltigkeits- Theorems),

– Einmaligkeit (in einer Bezugsregion oder auf der Er- de).

Geringer erwies sich die Übereinstimmung bei den We- gen (Strategien, Planung, Maßnahmen), die zur Er- reichung der von den Leitbildern abzuleitenden Ziele beschritten werden sollen. Alternativen in den Auffas- sungen ergaben sich beispielsweise in folgenden Fäl- len:

– ungesteuerte Prozesse oder gesteuerte Entwicklung, – verstärkte Regulierung oder Selbststeuerung der

Waldeigentümer,

– partielle oder generelle Integration, – lokale oder regionale partizipative Planung,

– naturschutzorientierte großflächige Schutzgebiete oder großflächige Schutzgebiete unter besonderer Berück- sichtigung der globalökologischen Bedeutung des Rohstoffes Holz,

– restriktive oder generelle Honorierung von Sonder- leistungen der Waldeigentümer.

Bundesnaturschutzgesetz: Gute Fachliche Praxis Die „Gute fachliche Praxis“ (GfP) wurde mit dem Bun- desnaturschutzgesetz (BNatSchG) 2002 auch für die Forstwirtschaft eingeführt. Da es sich um einen unbe- stimmten Rechtsbegriff handelt, bedarf es der Konkre- tisierung der GfP durch Kriterien bzw. der Entwicklung naturschutzfachlicher Mindeststandards. Mit der Veröf- fentlichung der Ergebnisse eines vom Bundesamt für Naturschutz geförderten Vorhabens (WINKEL & VOLZ 2003, WINKEL et al. 2005) wurde ein bis heute anhaltender Dis- kussionsprozess in Gang gesetzt, an dem sich Akteure aus Forstwirtschaft und -wissenschaft sowie Natur- schutz, Eigentümer und Bewirtschafter ebenso wie Ver- bände und Verwaltungen, beteiligen. Nach einer Analyse der Zielkonflikte zwischen forstlicher Produktion und Naturschutzzielen, die auch Transparenz schaffen sollte, wurden Kriterien (17 Kriterien von Naturverjüngung über Walderschließung, Schutz sog. Biotopbäume bis fremd- ländische Baumarten und Kahlhiebverbot) zur Konkreti- sierung der GfP unterbreitet (WINKEL & VOLZ 2003). Dieser erste Versuch wissenschaftlich begründeter Regelungs- vorschläge löste einen intensiven forst- und naturschutz- politischen Diskurs aus. Es überwogen von beiden Sei- ten kritische bis ablehnende Haltungen, Ablehnung vor allem seitens der Forstwirtschaft (DFWR 2003, THOROE et al. 2003), während „der Naturschutz“ letztlich eine eher positive Grundhaltung erkennen lies. Im Ergebnis er- neuter, die Kritiken auswertender Prüfung und Analysen zu den ökologischen, ökonomischen und sozialen Impli- kationen der Kriterienvorschläge bestätigen Winkel et al.

(2005) die GfP als naturschutzfachliche Mindestanfor- derung. Wenn das Instrument der GfP als Bestandteil ei- ner ganzheitlichen und möglichst effektiven naturschutz- politischen Strategie für den Wald in Deutschland entwi- ckelt wird, befürchten die Autoren im Gegensatz zu den Kritikern weder „gravierende ökonomische und soziale Auswirkungen“ noch erwarten sie „naturschutzfachlich eine erhebliche Verbesserung des aktuellen Niveaus der deutschen Forstwirtschaft“ (S. 221). Als zentrale Funktion sehen sie die Sicherung des ökologischen Niveaus und die Bindung aller Forstbetriebe an dieses Mindestniveau an. Einen Fortschritt stellt die Erarbeitung naturschutz- fachlicher Grundlagen (übergeordnetes Zielsystem, Qua- litätsziele, Bewertungsmaßstäbe) für eine ergebnis- orientierte Honorierung ökologischer Leistungen der Forstwirtschaft dar. Für die Naturschutzpolitik im Wald schlagen WINKEL et al. (2005) ein Instrumentenmix aus rechtlichen, ökonomischen und informationellen Instru- menten vor. Die Autoren haben, wie sie selbst betonen, kein „fertiges“ Strategiepapier vorgelegt, aber ihr Beitrag soll und wird sicher zur weiteren Diskussion anregen.

P. A. SCHMIDT: Naturschutz im Wald – aktuelle Entwicklungen

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Empfehlung des Rates für Nachhaltige Entwicklung 2004: Waldwirtschaft als Schwerpunkt für die nationale Nachhaltigkeitsstrategie

Der Rat für Nachhaltige Entwicklung sieht die Forstwirt- schaft in einem Dilemma. Obwohl gerade dieser Wirt- schaftszweig wie kein anderer deutlich machen kann, was es heißt, mit Ressourcen nachhaltig umzugehen und den Bedürfnissen zukünftiger Generationen gerecht zu werden, gelingt dies infolge diverser Zielkonflikte nicht. Da aber gute Voraussetzungen existieren und die Bundesregierung sich eine nationale Nachhaltigkeits- strategie zum Ziel gesetzt hat (Bundesregierung 2002), entschloss sich der Rat, einen neuen Anstoß geben. Er schlug der Bundesregierung die als Modell für eine nachhaltige Entwicklung besonders geeignete Waldwirt- schaft als einen neuen Schwerpunkt für die nationale Nachhaltigkeitsstrategie vor. Zum empfohlenen Maß- nahmepaket gehören (Rat für Nachhaltige Entwicklung 2004):

– Aufbau eines nationalen Schutzgebiets- und Biotop- verbundsystems,

– naturnahe Bewirtschaftung des Waldes auf der ge- samten Fläche,

– verstärkte Verwendung heimischen Holzes aus natur- naher Bewirtschaftung,

– Unterbindung von Holzimporten aus nicht nachhaltiger Nutzung,

– Lernen von Wald und Waldnutzung.

3.2 Integration durch Kombination von Nutzung und Schutz der Wälder

Ökologisch orientierte bzw. naturnahe Waldbewirtschaf- tung, ökologischer Waldbau und Waldumbau basieren auf dem Ökosystem-Ansatz bzw. kommen den Prinzi- pien von Bewirtschaftungsstrategien, die sich als Wald- ökosystem-Management verstehen, entgegen (s. 2.1).

Eine solche naturnahe Wirtschaftswälder fördernde Waldbewirtschaftung, die natürliche Prozesse toleriert und sie waldbaulich nutzt („Prozessnutzung“), imple- mentiert zugleich eine der Naturschutzstrategien, die Integrationsstrategie (Abb. 3; SCHMIDT 1997, 2003).

Auf Bestrebungen in der Forstwirtschaft, naturbürtige Po- tenziale verstärkt zu nutzen, womit eine Verbindung von Naturnutzung und Naturschutz in der Kulturlandschaft er- reicht wird, wurde bereits hingewiesen (s. 2.1, 3.1), P. A. SCHMIDT: Naturschutz im Wald – aktuelle Entwicklungen

Abb. 3 Umsetzung von Naturschutz im Wald durch verschiedene Strategien (SCHMIDT 1997):

unten links: Gewährleistung von Naturwalddynamik erfordert partielle Segregation durch Schutzgebiete mit Ökosystem-Selbstregulation („Prozessschutz“); unten rechts: an naturräumlichen Potenzialen orientierte Bewirtschaftung („Prozessnutzung“) fördert Integration von Naturschutzzielen in Wirtschaftswälder;

oben rechts: die Erhaltung und Förderung bestimmter Populationen und Biozönosen bedarf regulierender, natürli- che Abläufe einschränkender Maßnahmen („Prozess-Gegensteuerung“); oben links: Individuen besonders gefähr- deter Genotypen und Arten können nach Erhaltung und Vermehrung ex situ (vorübergehend „Prozessausschluss“) wieder am natürlichen Wuchsort ausgebracht werden

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ebenso auf die aktuellen Fragen nach der naturschutz- fachlichen Bewertung der Management-Effektivität bzw.

einer Erfolgskontrolle durch geeignete Kriterien und Indi- katoren (s. 2.1–2.2). Zu Naturschutzmindestanforderun- gen der Waldbewirtschaftung ist eine forst- und natur- schutzpolitische Diskussion durch die vom BNatSchG geforderte Gute fachliche Praxis im Gange (s. 3.1). Hier soll nur auf zwei Aspekte näher eingegangen wer- den, die Erhöhung des Natürlichkeitsgrades der Wirt- schaftswälder sowie Erhaltung und Förderung biologi- scher Vielfalt der Wälder. Naturnähe und Biodiversität an sich stellen noch keine Wertmaßstäbe dar. Wertzu- weisungen sind erst durch einen Zielbezug möglich.

Konfliktpotential bei naturschutzfachlichen Bewertungen, das oft aus unzureichend definierten Ziele resultiert, kann gemindert werden, indem von regionalen und ab- gestimmten Leitbildern der Waldentwicklung Natur- schutzziele für die konkreten Waldbestände und -flächen sowie waldbestockte Landschaften abgeleitet werden.

Aber auch Vielschichtigkeit und/oder Unbestimmtheit der Begriffe Naturnähe und Biodiversität bei ihrer Anwendung oder abweichende Auffassungen zur Bedeutung als Naturschutzkriterium führen zu divergierenden Positio- nen, wenn es z. B. um folgende Fragen bei der Bewer- tung von Waldzustand und Waldentwicklung geht:

– Welche Wälder entsprechen dem Kriterium Naturnähe bzw. dem natürlichen Waldökosystemtyp und sind als Referenzflächen geeignet?

– Weisen Naturwälder eine höhere Biodiversität als Wirt- schaftswälder auf?

– Wird mit der (ökologisch orientierten) Waldbewirtschaf- tung die Biodiversität erhöht oder die Entfaltung natur- bürtiger Biodiversität eingeschränkt?

– Kann Waldbewirtschaftung beiden Kriterien auf der gleichen Fläche gerecht werden oder konkurrieren sie?

Die Beurteilung der Naturnähe basiert auf der Analyse bisheriger Entwicklung und des gegenwärtigen Zustan- des des Wuchsortes (Geo- und Biotop) und des Wald- bestandes (Biozönose), dabei müssen strukturelle wie funktionale Parameter berücksichtigt werden. Neben historischen (Bezug ursprünglicher Zustand) werden ak- tualistische (Bezug potentieller natürlicher Zustand bzw.

natürliches Entwicklungspotential aktueller Zustände) oder auch gemischte Ansätze verfolgt. Als Referenz für Naturnähe bzw. Hemerobie sollten Naturwälder oder zumindest naturnahe, aus der Bewirtschaftung ge- nommene Waldflächen dienen, die eine Entfaltung na- türlicher Dynamik der jeweiligen Waldökosystemty- pen (biotopisch adäquater Naturwald entsprechenden Entwicklungsstadiums) oder Waldlandschaften (mög- lichst einschließlich zufallsbedingter Störungen) ge- währleisten. Existieren derartige Wälder im betreffenden Gebiet nicht mehr, muss auf gedanklich konstruierte Zu- stände (potenzielle natürliche Vegetation/pnV bzw. natür- liches Vegetationspotenzial, SCHMIDT 1997, 2005) zurück- gegriffen werden. Die Biodiversität ist meist nur für aus- gewählte Komponenten der einzelnen Ebenen bekannt, so bei genetischer Diversität für Baumarten oder Wild, bei Artenvielfalt besonders für Gefäßpflanzen, Vögel oder diverse Insektengruppen, bei Ökosystemvielfalt für be- stimmte Entwicklungsphasen von Schlusswaldstadien.

Für eine Gesamtbeurteilung sind die Kenntnisse unzu- reichend. Entscheidend ist nicht eine maximale (abso-

lute), sondern eine den entsprechenden Ökosystem- typen, Naturräumen und Landschaften eigene (für sie charakteristische) Biodiversität. Als Referenz sollten Waldflächen von einer Mindestausstattung an natur- bürtiger abiotischer und biotischer Vielfalt dienen, die die Erhaltung und Entfaltung einer der topischen und chorischen Dimension adäquaten (lokal- und regio- naltypischen) Biodiversität von Waldökosystemen und -landschaften (inkl. Wald-Offenland-Komplexen) ge- währleisten. Bei der Suche nach Kriterien, Indikatoren und Prüfgrößen für die Evaluierung von Naturnähe und Biodiversität in bewirtschafteten Wäldern ist also die Kenntnis der Strukturen und Prozesse in Naturwäldern bzw. naturnahen, aus der Bewirtschaftung genommenen Wäldern von ausschlaggebender Bedeutung, was die Dringlichkeit der Erhaltung von Naturwaldökosystemen (COMMARMOT & HAMOR 2005, GILG 2005) und die Notwen- digkeit von Naturentwicklungsräumen mit natürlicher Selbstorganisation unterstreicht (s. 3.3). Da es an sol- chen Wäldern oft mangelt, aber flächige Informationen für die Quantifizierung von Naturnähe und Biodiversität benötigt werden, müssen geeignete potenzielle Refe- renzzustände, die das naturräumliche Potenzial wider- spiegeln, herangezogen werden. Wird das Modell der potenziellen natürlichen Vegetation erweitert (inkl. Selbst- organisation des Waldökosystems, sukzessionale Pha- senmosaike), dann können derartige „potenzielle na- türliche Ökosystemzustände“ (JENSSEN & HOFMANN 2005) von pnV-Karten abgeleitet werden. Solche pnV-Kar- ten, wie sie jetzt für einige Bundesländer (z. B. HOFMANN

& POMMER 2005 für Brandenburg) vorliegen, sind flä- chenhafte Informationsträger für das natürliche Vege- tationspotenzial und die Phytodiversität, darüber hin- aus auch für weitere Naturraumpotenziale wie Netto- primärproduktivität, C- und N-Speicherung und Wasser- haushalt. Dabei darf nicht vernachlässigt werden, dass pnV-Karten das aktuelle naturräumliche Potenzial wi- derspiegeln, aber die Konsequenzen des Klimawandels in Planung und Handeln Eingang finden müssen (s. un- ter 4).

An zwei Beispielen soll auf die Entwicklung von Natur- schutzstandards bzw. die Ermittlung von Indikatoren zur naturschutzfachlichen Bewertung eingegangen werden, um Möglichkeiten der Evaluierung der Integration von Naturschutzzielen in die Waldbewirtschaftung aufzu- zeigen.

In einem FuE-Vorhaben zum Thema Biologische Vielfalt und Forstwirtschaft (gefördert vom BfN, bearbeitet an Landesanstalt für Großschutzgebiete Brandenburg) und einer in diesem Rahmen entstandenen Dissertation (WINTER 2005) wurden Naturschutzstandards für die Bewirtschaftung von Buchenwäldern im nordostdeut- schen Tiefland erarbeitet (inkl. Kriterien und Indikatoren naturnaher und naturschutzgerechter Buchenwaldbe- wirtschaftung). Vergleicht man die sich daraus ergeben- den naturschutzfachlichen Forderungen an den Waldbau in Tieflandbuchenwäldern (FLADE et al. 2003) mit den Waldbaurichtlinien für die Buchenwaldbewirtschaf- tung des Landes Brandenburg („Grüner Ordner“, 2004), dann ergeben sich bemerkenswerte Übereinstimmun- gen, d. h. es erfolgte eine weitgehende Integration der Naturschutzziele in die Richtlinien der Forstwirtschaft, z. B.:

P. A. SCHMIDT: Naturschutz im Wald – aktuelle Entwicklungen

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– Orientierung der Baumartenwahl an der pnV, Begren- zung des Anteils fremdländischer Baumarten auf insgesamt max. 5%,

– Dauerwaldbewirtschaftung, kein Kahlschlag, kein Großschirmschlag,

– Projekt Methusalem: pro ha werden 5 Altbäume dem natürlichen Altern überlassen,

– Belassen von Totholz und gezielte Verschonung von Sonderstrukturen im Bestand,

– Zielstärke Buche mindestens 60 cm, – keine Bodenbearbeitung, keine Biozide,

– Bestandesbegründung prioritär über Naturverjüngung, – Schutz und Wiederherstellung von Feuchtgebieten im

Wald.

Im Rahmen eines BMBF-Projektes wurden Auswirkun- gen des ökologischen Waldumbaus (überwiegend Bu- chenvoranbau in Nadelforsten; Tief- und Bergland Sach- sens) auf die Phytozönosen mit dem Ziel untersucht, Veränderungen in Natürlichkeitsgrad und Diversität zu ermitteln sowie Indikatoren (bezüglich Naturnähe, Arten- vielfalt) für die naturschutzfachliche Bewertung des Waldumbaus abzuleiten (SCHMIDT et al. 2004, SCHMIDT &

DENNER 2006, DENNER 2006). Dazu erfolgte eine verglei- chende Analyse der Vegetation (Abb. 4) von Chrono- sequenzen. Diese schlossen ein:

– Kiefern- und Fichten-Reinbestände (Ausgangszustand des Waldumbaus),

– Kiefern- und Fichtenbestände mit unterschiedlich al- ten Buchen-Voranbauten (im Tiefland teils mit Eiche), – standortgerechte Wirtschaftswälder (Buchenbestände

oder Mischbestände mit Dominanz der Buche; ange- strebtes Ziel des Waldumbaus)

– naturnahe Referenzwälder (extensiv oder nicht mehr bewirtschaftete Eichen-Buchenwälder und Buchen- Bergmischwälder des Luzulo-Fagetum).

Der Waldumbau bezweckt eine Annäherung an naturna- he Baumartenstrukturen, aber wie verändern sich die anderen Struktur- und Funktionskomponenten hinsicht- lich der Naturnähe? Es konnte nachgewiesen werden, dass die Naturnähe der Bodenvegetation im Verlaufe des Waldumbaus, gemessen am relativen Anteil der ty- pischen Arten naturnaher Buchenwälder, der geringere Hemerobie anzeigenden Pflanzenarten und der für ge- schlossene Wälder typischen krautigen Waldpflanzen bzw. der Offenlandpflanzen (Abb. 5–7), ebenfalls zu- nimmt.

Die Koniferen-Reinbestände und die Buchen-Wirtschafts- wälder weisen die höchsten Artenzahlen (Gefäßpflan- zen, epigäische Moose) auf. Rückgang der Artenzahl und Abnahme des Deckungsgrades in der Bodenvegetation der Umbaubestände sind vor allem eine Folge zuneh- menden Lichtmangels (vgl. auch ANDERS et al. 2002). Die geringere Artendiversität in den naturnahen Referenz- wäldern im Vergleich zu den ebenfalls von Buche domi- P. A. SCHMIDT: Naturschutz im Wald – aktuelle Entwicklungen

Abb. 4: Ausgangsbestände des Waldumbaus, Waldumbau-Bestände (Voranbau unterschiedlichen Alters), Wirtschafts- und Referenzwälder, deren Naturnähe und Phytodiversität untersucht wurde

(s. Abb. 5 –7, weitere Erläuterung im Text)

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17 P. A. SCHMIDT: Naturschutz im Wald – aktuelle Entwicklungen

Abb. 5: Mittlere relative Anteile typischer Buchenwaldarten an den Gesamtartenzahlen der Kraut- und Moos- schicht in den Probeflächen der Waldumbau-Chronosequenz der Dübener Heide (s. Abb. 4 obere Reihe;

DENNER 2006)

Abb. 6: Qualitative Hemerobie-Spektren in den Probeflächen der Waldumbau-Chronosequenz im Erzgebirge (s. Abb. 4 untere Reihe; DENNER 2006); Hemerobiestufen nach KLOTZ et al. (2002) nierten Wirtschaftswäldern hat verschiedene Ursachen.

Einerseits fehlen Arten, die als „Störungszeiger“ nach Bewirtschaftungsmaßnahmen durch Auflichtungen oder Bodenverwundungen und -verdichtungen gefördert wer- den. Andererseits musste bei der Auswahl von Refe-

renzwäldern auf „Kompromissbestände“ (überwiegend Reifephase repräsentierend, Mangel an Lücken bzw.

Licht) zurückgegriffen werden, da keine Naturwälder des entsprechenden Waldökosystemtyps (mit sukzessio- nalem Phasenmosaik und störungsbedingten Entwick-

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lungsstadien) in den betreffenden Naturräumen existie- ren. Bleiben anthropogene Störungszeiger unberück- sichtigt und werden nicht absolute Artenzahlen, sondern die relativen Anteile typischer Arten des geotop-adäqua- ten Waldökosystemtyps, zur Beurteilung herangezogen, so steigt deren Anteil mit dem Waldumbau und ist in den Referenzwäldern besonders hoch. Diese relative Arten- vielfalt korrespondiert sogar mit der Naturnähe. Gemes- sen am Anteil typischer Buchen(misch)waldarten an den Gesamtartenzahlen der Kraut- und Moosschicht bzw. am natürlichen Diversitätspotenzial des Waldökosystemtyps im jeweiligen Naturraum weisen die Nadelbaum-Rein- bestände und -Bestände mit 5–15-jährigen Voranbauten die geringste und die Referenzwälder die höchste Natur- nähe auf. Beimischung von Eichen in den Voranbauten erhöht die Biodiversität, wobei für die Bodenvegetation der Lichtfaktor entscheidend ist. Ein waldbaulich geför- derter höherer Bauwert der Eiche in Buchenbeständen kann also nicht nur ökonomisch sinnvoll, sondern auch aus ökologischer Sicht anzustreben (ANDERS et al. 2002, SCHMIDT 2005, DENNER 2006), sein.

Für eine erfolgreiche Integration von Naturschutzzielen in die Waldbewirtschaftung sind Kenntnisse der Biodi- versität ebenso wie ökologisches und forstfachliches Know-how wesentlich, aber dies allein ist unzureichend.

Die Umsetzung erfordert zudem weit mehr als rechtliche Regulierungen, denn diese bilden zwar legislative Gren- zen für Konsensverhandlungen, verschärfen aber teil- weise die ohnehin sich aus wirtschaftlichen, kulturellen oder emotionalen Ursachen ergebenden Konfliktpoten- ziale mit Eigentümer- und Bewirtschafterinteressen.

Kommunikation und Partizipation sind unerlässlich, wie bereits im Prinzipienset für eine Waldbewirtschaf- tung als Ökosystem-Management (s. 2.1) zum Ausdruck gebracht. So existieren durchaus Übereinstimmungen zwischen Prinzipien derartiger Bewirtschaftungsstrate- gien mit den von BRENDLE (1999) benannten Erfolgsfak- toren im Naturschutz wie

– Erfolgskommunikation (z. B. eine gemeinsame Spra- che sprechen),

– Gewinnerkoalition (z. B. zur Förderung der Regional- entwicklung),

– Flexibilität und Lernfähigkeit (z B. Anpassung an Verän- derungen),

– gesellschaftlich-politisches Wissen und Management- fähigkeiten (Prozesskompetenz).

3.3 Ökologische Vernetzung durch Biotopverbund und Schutzgebietssysteme

Nach dem BNatSchG (2002) soll ein zu entwickelnder länderübergreifender Biotopverbund (bestehend aus Kernflächen, Verbindungsflächen und -elementen) min- destens 10 % der Landesfläche Deutschlands erfassen.

Der angestrebte Biotopverbund soll nicht nur nach be- stimmten Kriterien ausgewählte Arten und Lebensräu- me (wie etwa bei der FFH-RL), sondern generell die ein- heimischen Arten und deren Populationen einschließ- lich ihrer Lebensräume und -gemeinschaften, sichern und zugleich funktionsfähige ökologische Wechselbe- ziehungen erhalten und entwickeln. Natura 2000, das EU-Schutzgebietssystem (s. 2.2), strebt ebenfalls eine P. A. SCHMIDT: Naturschutz im Wald – aktuelle Entwicklungen

Abb. 7: Qualitative Anteile an typischen Wald- bzw. Wald- und Offenlandarten in den Probeflächen der Waldum- bau-Chronosequenz im Erzgebirge (s. Abb. 4 untere Reihe; DENNER 2006); Zuordnung der Arten in die Gruppen B, S und K nach M. SCHMIDT et al. (2003)

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ökologische Kohärenz an. Da zahlreiche FFH-Gebiete relativ klein und voneinander isoliert sind, kann der Biotopverbund deren ökologische Vernetzung fördern.

Waldbestockte Schutzgebiete (besonders Nationalpar- ke, Naturschutzgebiete, Kernzonen der Biosphärenre- servate, Naturwaldreservate) und gesetzlich geschützte Waldbiotope stellen einerseits Kernflächen des Biotop- verbunds für ganz oder teilweise an Wald gebundene Ar- ten und für Waldbiozönosen dar, andererseits können sie durch Wiederherstellung oder Entwicklung funktions- fähiger ökologischer Wechselbeziehungen mittels Ver- bindungsflächen und Trittsteinen des Biotopverbunds oder Natura 2000-Gebiete besser vernetzt werden. Für den räumlichen Verbund und die funktionale Vernetzung sind aber naturnah bewirtschaftete Wälder nicht weniger bedeutsam, d. h. die Waldwirtschaft kann einen wesent- lichen Beitrag zum länderübergreifenden Biotopverbund leisten (DRL 2004).

Verstärkt werden müssen die Bemühungen, aus dem Nebeneinander von Schutzgebieten verschiedenster Schutzgebietskategorien in den einzelnen Bundeslän- dern (vgl. DRL 2002) ein Schutzgebietssystem aus bundesweiter Sicht zu entwickeln, sowohl um den sich aus der CBD ergebenden Anforderungen an ein globa- les Netzwerk der Schutzgebiete gerecht zu werden (s.

2.1), aber auch unter dem speziellen Aspekt eines Wald- schutzgebietssystems Deutschlands und der europäi- schen Länder mit vergleichbaren Waldökosystemtypen.

Das erfordert eine Bündelung der Kräfte von Bund, Län- dern, Verbänden und Stiftungen ebenso wie internatio- nale Zusammenarbeit (s. 2.1: laufende Aktivitäten zu ei- nem Buchenwald-Welterbegebiet mit einem Cluster von Buchenwald-Schutzgebieten in Ukraine, Slowakei und Deutschland).

3.4 Partielle Segregation durch Schutzgebiete

Der Schutzzweck der Schutzgebiete umfasst ein brei- tes Spektrum möglicher Schutzziele, er kann eher spezifi- schen oder komplexen Zielen des Arten-, Ökosystem- und Prozessschutzes dienen (z. B. Naturschutzgebiete, Nationalparke oder Kernzonen von Biosphärenreserva- ten), aber ebenso sozialen und kulturellen wie natur- gebundener Erholung oder Erhaltung charakteristischer, vielfältiger Kulturlandschaften (z. B. Landschaftsschutz- gebiete, Naturparke) oder auch ökonomischen wie einer Nutzung und Schutz integrierenden Waldbewirtschaftung (z. B. Entwicklungszone der Biosphärenreservate). Auf dem überwiegenden Flächenanteil der Schutzgebiete in Deutschland wird mehr der Strategie der Integration ge- folgt. Kooperation und Akzeptanz bedarf es aber ebenso für Schutzgebiete, in denen die Behandlung der Wald- bestände sich dem Schutzziel nicht nur unterordnet oder dieses realisiert, sondern alle Maßnahmen unterlassen werden. Schutzgebiete (vor allem Naturschutzgebiete), deren vorrangiges Ziel die Erhaltung bestimmter Zustän- de (z. B. Mittelwald, Zwergstrauchheide auf Waldstandort), lichtbedürftiger Arten oder von Lückenbewohnern des Waldes ist, erfordern zur Sicherung ihrer Schutzgüter forstliche Maßnahmen, die sich gegen eine natürliche Dynamik („Prozess-Gegensteuerung“, Abb. 3) richten können. So sind waldbauliche Eingriffe zur Regulierung des Lichtregimes bzw. der Konkurrenzverhältnisse in Na-

turschutzgebieten mit ehemaligen Nieder- und Mittelwäl- dern auf Buchenwaldstandorten notwendig, wenn Arten- vielfalt oder Baumarten wie Mehl- und Elsbeere oder durch Hybridisation (Sorbus aria x S. torminalis) entstan- dene, nur in Thüringen oder Bayern vorkommende En- demiten aus der Artengruppe S. latifolia agg. (Abb. 8), die bisher einzigen in die Rote Liste der Weltnaturschutz- union (SCHMIDT 1998/ IUCN 2006) aufgenommenen Pflan- zenarten Deutschlands, erhalten werden sollen.

Noch unzureichend ist der Anteil von Schutzgebieten bzw.

der Flächen in Schutzgebieten, in denen sich natürliche Dynamik ohne direkte Einflussnahme („Prozessschutz“, Abb. 3) entfalten kann (vgl. KNAPP 1998, HOFMANN et al.

2000, DRL 2002). Partielle Segregation, d. h. Auswei- sung von Waldflächen ohne jegliche Nutzung von Na- turressourcen (Totalreservate nach Naturschutzrecht, Naturwaldreservate nach Forstrecht, Strict Nature Reser- ves als IUCN-Schutzgebietskategorie etc.), ist aber un- verzichtbar, nicht nur im Interesse der Verfügbarkeit von Referenzflächen (s. 3.1). Da eine Waldbewirtschaftung, sei sie auch so ökologisch ausgerichtet, so naturverträg- lich oder naturschutzgerecht wie möglich, stets mit Ein- griffen zur Nutzung der Dendromasse in das Ökosystem verbunden ist, wird die natürliche Walddynamik anthro- pogen abgewandelt oder partiell unterbunden (vgl.

Naturwald-/Kulturwaldvergleiche in THOMASIUS & SCHMIDT

2003, GILG 2005). Insbesondere Strukturen und Funktio- nen, die in Alters- und Zerfallsphasen (Abb. 9) oder Pio- nier- und Übergangswaldstadien prägend oder von die- sen abhängig sind, werden ausgeschlossen. Damit wird die für die entsprechenden Ökosystemtypen, Naturräu- me und Landschaften charakteristische Biodiversität der Waldökosysteme reduziert, insbesondere den an Altbäu- me und Totholz gebundenen Organismen und Zönosen fehlen Lebensräume (für Tieflands-Buchenwälder vgl.

WINTER 2005). Dynamische Prozesse, nicht Arten oder be- stimmte Zustände, stehen im Mittelpunkt aktueller Bemü- hungen zur „Wildnisentwicklung“ als Naturschutzstra- tegie. Dabei geht es nicht nur um Erhaltung noch natür- licher Wälder oder Naturwaldregeneration, sondern ge- P. A. SCHMIDT: Naturschutz im Wald – aktuelle Entwicklungen

Abb. 8: Eisenacher Mehlbeere (Sorbus isenacensis), eine der apomiktischen endemischen „Kleinarten“

Thüringens aus der Artengruppe S. latifolia (Hörsel- berge bei Eisenach)

(21)

20

nerell um die Akzeptanz von Naturentwicklungsgebie- ten durch Unterlassung. Das Zulassen sekundärer Wild- nisgebiete („Wildnis aus zweiter Hand“; vgl. ZUCCHI &

STEGMANN 2005) ohne direkte menschliche Einflussnah- me soll auf ausgewählten Flächen Lebensräumen und -gemeinschaften langfristig eine natürliche Entwicklung durch Selbstorganisation ermöglichen, selbst auf ehe- maligen Truppenübungsplätzen oder in Bergbaufolge- landschaften – bis hin zu städtischen Freiräumen mit

„urbaner Wildnis“ als Naturerlebnisraum. „Wild urban woodlands“ bieten sogar neue Perspektiven für eine Ur- ban Forestry (KOWARIK & KÖRNER 2005).

Wald-Nationalparke, die auf der weit überwiegenden Fläche Raum für Naturwaldregeneration und -dynamik bieten und zugleich der Erholung und dem Naturerleb- nis dienen, weisen in Deutschland ein unterschiedli- ches Management hinsichtlich der Wald- und Wildbe- handlung sowie einen differenzierten Zielerreichungs- grad auf. Anregungen zur weitergehenden Erfüllung in- ternationaler Kriterien und zur besseren Vergleichbarkeit ihrer Entwicklung sind von der vorgesehenen, sich auch aus internationalen Verbindlichkeiten ergebenden Be- wertung der Managementeffektivität von Schutzgebieten (s. 2.1; WÖRLER et al. 2006) zu erwarten. Sollen diese Evaluierungen nicht nur ein bürokratischer Akt bleiben, sondern einen wirksamen Beitrag zur Qualitätssicherung und -steigerung leisten, dann müssen wissenschaftlich fundierte und zugleich praktikable Standards für das Management der einzelnen Schutzgebietskategorien

(vorrangig für Großschutzgebiete) vorliegen. Für Biosphä- renreservate wird bereits seit 1996 eine Evaluierung nach einem Kriterienkatalog (zurzeit in Überarbeitung) durchgeführt. Gegenwärtig werden Qualitätskriterien und -standards für deutsche Nationalparke (FuE-Vorhaben EUROPARC Deutschland, gefördert durch BMU) erar- beitet.

4 Klimawandel und Naturschutz im Wald

Aus Zeitgründen konnte – trotz ausgesprochener Aktua- lität – auf dieses Thema im Vortrag nicht eingegangen werden. Einige Anmerkungen seien aber hier gestattet, da die in den bisherigen Ausführungen dargestellten Konzepte und Maßnahmen ständig den sich wandeln- den Bedingungen angepasst werden müssen (adapti- ves Management, s. 2.1). Die bevorstehenden Verände- rungen von Standort und Vegetation als Folge des Kli- mawandels führen zu neuartigen Strukturen und Funkti- onen der Waldökosysteme, teilweise bis hin zu deren Auflösung und Übergang zu Nichtwald-Ökosystemen, damit zu Entwaldungsprozessen und weiterer Frag- mentierung der Waldfläche. Aktuelle Waldbestände und ihr biotisches Inventar unterliegen einem Wandel, neue Waldökosystemtypen und potenzielle Waldzustände stellen sich ein. Strategien für Naturschutz im Wald müs- sen sich dem stellen, ebenso einer Akzeptanz der Un- vorhersagbarkeit bestimmter Entwicklungen. Handeln bei Risiko wird unvermeidbar, wobei Risikoabschätzungen P. A. SCHMIDT: Naturschutz im Wald – aktuelle Entwicklungen

Abb. 9: Strukturvielfalt in Baumsturzlücke eines Buchen-Naturwaldes (Reservat Havešová, slowakischer Nationalpark Poloniny)

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