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Information contra Unterhaltung

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Academic year: 2022

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Menschen sind denkende, fühlende und sich verhaltende Lebewesen. Gemessen an ihrem Reifegrad kommen sie gut ein Jahr zu früh auf die Welt und bleiben für den Rest ihres Lebens Mängelwesen. Ihr Denken und ihre Gefühle bedürfen ei- ner dauerhaften Stimulation von aussen.

Sonst könnten sie sich nicht situations- gerecht verhalten und würden ziemlich schnell verkümmern. Ihr Kompensati- onsbedarf via Information und Unterhal- tung ist enorm.

Information heisst der Stoff für das Den- ken. Sie vermindert Ungewissheit im Bewusstsein einzelner Individuen und im Speicher sozialer Gruppen und Ge- sellschaften. Unterhaltung vermag Men- schen in angenehme Stimmungslagen zu versetzen, deren Wirkung primär der Be- einflussung von Spannungszuständen, vorab der Aktivierung dient. Die Opposi- tion von Information als Verminderung defizitärer, kognitiver Zustände durch Lernen und Unterhaltung als eine Er- weiterung affektiver Erlebnismöglich- keiten ist künstlich. In der Wirklichkeit bedingen sich Information und Unter- haltung gegenseitig. Lernprozesse wer- den durch die Beigabe unterhaltsamer Elemente verbessert, und Unterhaltung kann dem Körper, den Sinnen und Ge- fühlen genauso wie dem Witz bzw. Intel- lekt zum Vergnügen gereichen. Ein ho- her Intelligenzquotient steht sehr einsam in der seelischen Landschaft, wenn er nicht von einem ebenso hohen Emotionsquotient begleitet wird. «Der

Gegensatz von Information ist Desinfor- mation, der Gegensatz von Unterhaltung ist Langeweile» (Elisabeth Klaus). Infor- mation und Unterhaltung stehen auch im Journalismus nicht in einem funktio- nalen Gegensatz.

«Cum» statt «contra»

Die gegenseitige Durchdringung von In- formation und Unterhaltung war schon bei Aristoteles (22. Kapitel der Poetik) ein Thema. Wegleitend für die Dicht- kunst des Abendlandes wurde die von Horaz postulierte Verbindung von prodes- seund delectare. Bilden und erfreuen soll die Poesie, Angenehmes und Nützliches vereinen. Dass Information Vergnügen bereiten kann, findet sich in fast allen Lehrbüchern der Rhetorik unter dem Stichwort varietas delectat!Auch die Pres- segeschichte zeigt, dass Sensationen, Be- troffenheit, Prominenz, Dramatisierung, Personalisierung und Humor seit Beginn der Massenpresse Elemente boulevar- desker Medienaussagen waren. Der An- tagonismus zwischen anspruchsvollem Informationsjournalismus und po- pulärem Journalismus wurde erst im 19.

Jahrhundert konstruiert. In der real exi- stierenden Gegenwart zeigt sich dem Be- obachter zwar ein nahtloses Kontinuum vom Ungewissheit reduzierendem Infor- mationsjournalismus über Journalismus

«light», Infotainment, Boulevardjourna- lismus bis zu reiner Unterhaltung. Die meisten Medienangebote liegen aber in der Schnittmenge von Information und

Unterhaltung. Anlässlich der Preisverlei- hung des BZ-Preises Lokaljournalismus vom 23. November 2000 in Bern hat der Chefredaktor der hoch angesehenen Zeitschrift The Economist, Bill Emmott die wohl langlebigste Eigenschaft von gutem Journalismus wie folgt charakteri- siert: «It has been admired when the writing is clear, fluent, accurate and un- stuffy, when it both entertains and in- forms. ... And it has been valued in more practical terms as being a lot more fun to read than a scholastic textbook or more fun to listen to than a pompous speech by a high official.» Im Gedenken an Horaz wird darum an dieser Stelle die Über- schrift des vorliegenden Beitrags abgeän- dert von «Information contra Unterhal- tung» in «Information cum Unterhal- tung». Aus der Sicht der Medienwissen- schaft besteht kein Gegensatz zwischen Information und Unterhaltung. Auch beim Publikum schliessen sich Informa- tion und Unterhaltung nicht gegenseitig aus. Information ist ein Element des Wissens, Unterhaltung eine Rezeptions- qualität. Beide treten meist gemeinsam auf, und zwar nicht Seite an Seite, son- dern eng ineinander verschlungen. So ist etwa Infotainment nicht einfach eine Mi- schung von Information und Unterhal- tung. Infotainment ist vielmehr eine als angenehm empfundene Rezeptionswei- se von anregender Information. Man hört halt lieber einer spannenden Erzählung zu als einer langweiligen Predigt. Es geht letztlich um das Wechselspiel von Kogni-

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Liaison dangereuse?

Information contra Unterhaltung

Wenn Medien den Menschen dazu dienen, ihre Mängel zu überwinden, dann müssen sie sowohl informieren wie unterhalten. Diese beiden Funktionen schliessen sich indessen – wie der Autor in diesem Beitrag zeigt – nicht notwendig aus.

Von Louis Bosshart

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13 13 tion und Affekt, um das Spannungsfeld

zwischen Nachrichtenwerten und Ge- fühlsfaktoren (Claudia Mast).

Politik und Populärkultur

Bis hieher wurde Unterhaltung stets als eine meist hoch geschätzte Begleiterin der Information angesehen. Ein Blick auf die gegenwärtige Populärkultur zeigt aber, dass Medienunterhaltung mehr und mehr von politischer Information richtig umworben wird. Es zeigt sich ge- radezu ein Trend zu einer wesensver- wandten «Intimität zwischen Politik und Populärkultur» (Andreas Dörner). Nicht nur amerikanische Präsidentschaftskan- didaten drängen in die Talkshows reich- weitenstarker Medien, wo sie von jour- nalistischer Kritik unbeleckt Zugang zu den Stimmbürger/innen haben. Auch der Kanzlerkandidat Schröder packte die Chance und liess sich in eine Seifenoper einmischen, nämlich in Gute Zeiten, schlechte Zeiten. Politik mit ihrer Tendenz zur Inszenierung gleicht sich der Logik und Routine des Showbusiness an. Wahl- veranstaltungen haben den Charakter von Happenings.

Politik mutiert zu einem medienöffentli- chen Theater, in dem die Auftritte der wichtigsten Akteure einer medienwirk- samen Choreographie unterworfen wer- den. Man spricht bereits von Polit-Soaps.

Der Botschafter der Schweiz in Berlin verfügt mit seiner Mitteilungsfreude (In- formation) und der Attraktivität seiner Frau (Unterhaltung) über medienwirksa- me Informations- und Unterhaltungs- werte. Der Kongress hat schon einmal getanzt! Die SVP bemüht Folklore bei Anlässen mit anti-europäischer Zielset- zung. Medienunterhaltung tritt an die Stelle politischer Information.

Die Populärkultur greift ihrerseits natür- lich schnell und willig nach derartigen Angeboten und bringt Produkte auf den

Markt, in denen Politiker/innen als Hauptakteure in schrillem Licht gezeigt werden. Dabei wird politische Realität unterhaltsam mit Fiktionalität angerei- chert. Als Beispiel seien hier aufgeführt:

The Distinguished Gentlemen (1992), Dave (1993), The American President (1995), The Birdcage(1996), Wag the Dog (1997), Bull- worth (1998), Striptease (1998), Primary Colors(1998), Dick (1999). In diesen Fil- men werden politische Akteure als zyni- sche, untreue, korrupte, ignorante, machtbesessene, heuchlerische, drogen- abhängige und verbrecherische Personen gezeigt, die mit Hilfe ihrer Berater und der Medien ein einziges Ziel kennen, nämlich ihre Wiederwahl. Herrschafts- kritik ist auf diese Weise von der Öffent- lichkeit in die Unterhaltungsräume transferiert worden. Bei der Mischung von Fiktion und Realität in diesen Fil- men könnte der Titel dieses Beitrages ein weiteres Mal abgeändert werden, nämlich von «Information contra Unter- haltung» in «Unterhaltung contra Infor- mation».

Fazit: Journalismus ist nicht gleichzuset- zen mit Information. Mit der Ausklam- merung von Unterhaltung werden zu viele Genres und Texte des gesellschaft- lichen Zeitgesprächs ignoriert. Medien- angebote greifen tiefer in die Lebens- welt des Publikums ein als durch eine blosse Verabreichung von Nachrichten.

Unterhaltung ist Teil der Information und umgekehrt. Informationen über die wirkliche Realität werden in fiktive Räu- me der Unterhaltung transferiert und umgekehrt. Wir müssen lernen, Informa- tion und Unterhaltung, Rationalität und Emotionalität, Fiktion und Wirklichkeit als Ganzheit gesellschaftlicher Diskurse zu sehen.

Louis Bosshartist Pro- fessor für Medien- und Kommunika- tionswissenschaft an der Universität Fribourg-Freiburg.

Sein Spezialgebiet ist die Populär- kultur.

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