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Das Linguistische Antiquariat

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Das Linguistische Antiquariat

Jean-Marie Zemb: Vergleichende Grammatik Französisch-Deutsch. Teil 1:

Comparaison de deux systèmes. Mannheim: Bibliographisches Institut, 1978 (Duden-Sonderreihe Vergleichende Grammatiken Bd. 1). 897 Seiten.

Jean-Marie Zemb: Vergleichende Grammatik Französisch-Deutsch. Teil 2:

L’économie de la langue et le jeu de la parole. Mannheim: Bibliographisches Institut, 1984 (Duden-Sonderreihe Vergleichende Grammatiken Bd. 2).

975 Seiten.

Besprochen von Marcus Kracht: Bielefeld, E-Mail: marcus.kracht@uni-bielefeld.de https://doi.org/10.1515/zfs-2017-0012

Manchen Werken kann man nicht wirklich Genüge tun. Sie sind sperrig und wollen sich in keine der Schablonen einpassen, die wir für sie parat haben. Zu dieser Sorte Werk gehört dieVergleichende Grammatik Französisch-Deutschvon Jean-Marie Zemb, mit – wie es heißt – Beiträgen von Monica Belin, Jean David, Jean Janitza und Hans-Ludwig Scheel. Als der erste Teil, Zemb (1978), heraus- kam, waren drei weitere ähnliche Werke in Vorbereitung, für Spanisch, Serbo- kroatisch (was es ja damals noch gab) und Japanisch. Erschienen ist im BI- Verlag jedoch nur noch die Grammatik für das Spanische. Es gibt eine verglei- chende Grammatik Serbokroatisch-Deutsch im iudicium Verlag. Ich kann nur vermuten, dass es sich um eben diese geplante Grammatik handelt. Man kann nur spekulieren, warum die Reihe so schnell abbrach. Vielleicht war es die Tatsache, dass das erste Werk so umfangreich und sperrig war, dass man sich daran vielleicht verhoben hatte.

Zemb war sicherlich bestens für dieses Unternehmen geeignet. Er war in Straßburg aufgewachsen, promovierte in Freiburg in Philosophie, arbeitete zeit- weise in Hamburg, später einige Jahre als Deutschlehrer in Frankreich, und wurde später Professor für germanistische Sprachwissenschaft in Paris. Die Ha- bilitationsschrift,Les structures logiques de la proposition allemande. Contribu- tion à l’étude des rapports entre le langage et la pensée, erschienen als Zemb (1968), legte den Grundstein zu der vorliegenden Grammatik. Überhaupt wird der Aufbau der Grammatik durch den Lebenslauf Zembs erklärlich: Er hat näm- lich wie gesagt auch als Lehrer gearbeitet, und zunächst war er Dozent für angewandte Sprachwissenschaft. Wahrscheinlich hat man deswegen in ihm die ideale Synthese aus Praktiker und Theoretiker der Sprache gesehen.

Doch es kam anders. Der erste Band, Zemb (1978), scheitert nach Ansicht des Rezensenten Hausmann grandios: „Nach des Autors eigener Aussage [...]

ist das Buch keine kontrastive Grammatik sondern das Postscriptum zu einem

Open Access. © 2017 Marcus Kracht, published by De Gruyter. This work is licensed under the Creative Commons Attribution-NonCommercial-NoDerivatives 4.0 License.

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mißlungenen Versuch eine solche zu schreiben, und diese Selbsteinschätzung darf als durchaus realistisch gelten.“ Und: „Jedem Praktiker, will er nicht das letzte Fünkchen Glauben an die Linguistik verlieren, ist dringend zu raten, das Buch mit größter Zurückhaltung in die Hand zu nehmen.“ (Hausmann 1981).

Was war geschehen?

Der zweite Band, Zemb (1984), gibt die Antwort: Der Autor ist im Grunde seines Herzens Philosoph geblieben. Und er konnte eigentlich ein solches Werk nicht schreiben, ohne ständig über die Philosophie der Grammatik zu spekulie- ren. Es heißt gleich am Anfang: „[... Ü]berall ist die Grammatik philologisch, und überall ist sie philosophisch.“ Dass er deswegen keine vergleichende Grammatik im Sinne des Wortes geschrieben hat, ist im Nachhinein kein Wun- der. Der Rezension von Hausmann ist zuzustimmen: Thema verfehlt. Und den- noch geht von dem Buch eine Magie aus, der man sich schwer entziehen kann – zumindest wenn man sprachphilosophisch angehaucht ist. Dieser lohnt es sich nachzugehen, ihretwegen musste das Buch geschrieben werden. Verges- sen wir deswegen den Titel und lesen das Werk einfach, wie es ist. Gern auch als „Prolegomena zu einer vergleichenden Grammatik“.

Zunächst ein Wenig über den Aufbau des Werks. Es besteht aus zwei Bän- den (genannt Teile). Der erste erschien 1978, der zweite 1984. (Hausmanns Re- zension erschien also genau dazwischen.) Beide sind so konzipiert, dass links (auf den Seiten mit gerader Nummer) ein deutscher Text steht, der primär die Eigenheiten des Französischen erläutert, rechts hingegen ein französischer Text, der sich mit analogen Eigenschaften des Deutschen befasst. Die eine Spra- che als Metasprache der anderen. Wer also etwas von diesem Werk haben woll- te, musste wohl oder übel sowohl Deutsch als auch Französisch können. Denn die Texte waren keineswegs Übersetzungen voneinander. Kontrastiert wurde also nicht einfach das Material, links Französisch rechts Deutsch, sondern die Sprachen bestimmten von Anfang an eigenverantwortlich, wie sie dargestellt werden wollten. So geht es auf Seite 301 unter der Überschrift Les particules inséparables sont-elles des morphèmes d’aspect etwa um die nichttrennbaren Präfixe des Deutschen (ent-,ver-,zer-etc.), während links gegenüber, auf Seite 300, noch das französische Imparfait behandelt wird. Parallelen existieren, aber eine direkte Kontrastierung ist das nicht und will es auch nicht sein. Das Werk ist in seiner Durchführung durchaus französisch zu nennen: ambitioniert, intellektuell, mit einer eigenwilligen Stringenz durchgeführt, die immer wieder große Räume öffnet, um sich dann plötzlich mit einer Verspieltheit irgendwel- chen teils durchaus abseitigen Themen zuzuwenden. Das kann man nicht wie ein Handbuch lesen, man muss sich dem wirklich widmen, um seine eigenwilli- ge Logik zu verstehen.

Thematisch wird so ziemlich alles abgehandelt, was in eine vergleichende Grammatik gehört: Teil 1 bespricht Lexematik, Morphematik, Taxematik und

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Graphematik (so lauten auch die Kapitelüberschriften). Dann, im Teil 2, Frei- spiel: Die Überschriften lauten jetztQuanten-Sinfonie in 5 Sätzen mit Nachspiel, Des Pudels Kern, Raum und Zeit, Semantik, Stilistik, Rhetorik und Pragmatik, Vorkritische und Nachkritische Philosophie, sowie Angewandte Sprachwissen- schaft. Ich muss nicht eigens erwähnen, dass dies nur die deutschen Über- schriften sind, und dass die französischen oberflächlich gesehen ganz andere Inhalte suggerieren.

Was waren das für Zeiten, in denen so etwas publiziert wurde, obwohl sich die Nachfrage dafür in Grenzen halten musste? Einerseits die Ausläufer einer Epoche, in der man grenzenlos intellektuell sein durfte, eine Epoche, die in Frankreich (oder sagen wir Paris) länger dauerte als anderswo. Andererseits sei zur Ehrenrettung des Autors und der Herausgeber erwähnt, dass in jener Zeit das Französische als Fremdsprache durchaus hoch im Kurs stand und die Ang- lisierung der Welt und Wissenschaft im Besonderen nicht so weit fortgeschrit- ten war, dass nur noch eine einzige Sprache als Metasprache zugelassen war und nur eine einzige Denkkultur als wirklich rational galt. Zu der weiteren Wirkungsgeschichte kann ich nur soviel beisteuern, dass das Werk auf einen Mathematikstudenten traf in Personalunion verhinderter Student der Sprach- wissenschaft (das gab es damals nicht, jedenfalls nicht in Tübingen, wo er studierte) und der daraufhin in Ermangelung professoralen Rats, was zu lesen oder nicht zu lesen sei, sich auf alles stürzte, was versprach, schräg oder inte- ressant zu sein. Und so kaufte er kurzerhand dieses Monstrum und verbrachte anschließend einen Gutteil seiner Semesterferien damit, es tatsächlich zu lesen.

Um es gleich zu sagen: Er hat es nicht bereut. Und was ihn dabei am meisten fasziniert hatte, davon sei im Folgenden berichtet.

Den Kern des Werkes bildet die analytische Trichotomie Thema-Phema- Rhema. Das erinnert an die Prager Schule (dencommunicative dynamism), die allerdings nur die Einteilung in Thema und Rhema kannte und kennt. Die Idee ist, dass in der ideellen Struktur eine Proposition aus einem Rhema besteht und einer Menge (!) von thematischen Angaben. Hier die erste Skizze, von S. 397 in Zemb (1978), leicht vereinfacht wiedergegeben:

das Wetter

heute leider unbeständig sein dürfte

in der Normandie

THEME PREDICATEUR RHEME

Die drei Themata sind hier ungeordnet, während das Rhema eine Struktur be- sitzt:[[unbeständig sein] dürfte]. Genauer gesagt ist es so, dass die Grammatik

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keine Vorgaben macht, wie die thematischen Angaben zu ordnen sind, wäh- rend das Rhema nicht anders als der Hierarchie folgend linearisiert werden darf.

Der prédicateur, im 2. Band dann Phema genannt (zu Ehren von Peirce), ist das Äquivalent zum Urteilsstrich bei Frege. Mit dem Unterschied, dass das Universum der Prädikatoren kein Zweigestirn ist (affirmativ/negativ), sondern die Modalität und Perlokution und einiges mehr ausdrückt.

Hat man dies als Grundlage, geht die eigentliche Arbeit los. Ich kann nur anreißen, welche Verzweigungen es jetzt anschließend zu kartieren gilt. Zu- nächst einmal muss man klären, wie die Konstituenten jetzt im Französischen und Deutschen jeweils linearisiert werden. Die Regel für das Deutsche ist relativ einfach, wenn wir uns auf den Nebensatz beschränken (also ohne das lästige Verbzweit, das zu gegebener Stelle im Buch durchaus zur Sprache kommt).

[Deutsch]

Es gibt immer ein Rhema und einen Prädikator (= Phema). Die Anzahl der thematischen Elemente variiert. Die Abfolge der thematischen Angaben ist syntaktisch gesehen frei, wird deswegen von außergrammatischen Faktoren determiniert (Stil, Rhetorik etc.). Die thematischen Angaben werden vom Prädikator gefolgt, der sie von dem Rhema trennt.

Die französische Satzstellung ist von dieser Warte aus komplizierter, weil sie eher in grammatischen Funktionen denkt (Subjekt, Objekt).

Hat man den Prädikator einmal als Scharnier entdeckt, tauchen neue Fra- gen auf. Zum einen kann ein und dieselbe Konstituente sowohl thematisch wie rhematisch auftreten, hierviele Bücher, Beispiele 30 und 31 auf S. 418 und 420 in Zemb (1978):

1. ..., weil er viele Büchernicht gelesen hat.

2. ..., weil ernicht viele Bücher gelesen hat.

Der Sinn ist durchaus verschieden, und die dort gegebenen Übersetzungen zei- gen dies:

1. ..., parce qu’il y abeaucoup de livresqu’iln’a pas lus.

2. ..., parce qu’il n’a pasfait de vastes lectures.

Man beachte: Die Analyse geht hier davon aus, dass es sich beinicht jeweils um Satznegation handelt. Wir haben es also im zweiten Satz nicht mit dem Quantornicht vielezu tun.

Zum anderen gibt es offenbar auch teils phematische Konstituenten:

a 11 2 12 1 0

daß ab Mitternacht keine Bahn mehr nach Frankfurt geht

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(Zur Erläuterung: Die thematischen Konstituenten heißen a, b und so weiter, die rhematischen n,neine ganze Zahl, und die Prädikatoren werden mit angezeigt.) Zemb will hier partout nicht, dass man sich eine Konstituente keine Bahn mehrdenkt. Eher will er, dass man sich einen Verbalkomplexeine Bahn nach Frankfurt gehtdenkt, dessen Gültigkeit um Mitternacht abläuft. Wie das auch nur ansatzweise gehen kann, dazu gibt es keinen Hinweis. Wie auch, Montague Semantik begann ja gerade erst, die linguistischen Hörsäle zu er- obern. Und die hatte zu den Tücken der Form herzlich wenig zu sagen. Das ewige Problem der syntaktischen Struktur, die nicht semantische sein will, ver- folgt Zemb bis an das Ende seiner Grammatik.

Was man bei all dem schmerzlich vermisst, ist eine kategorische Ansage, wie etwa: Im Deutschen ist es so, im Französischen dagegen so. Hausmann wollte das, er wollte ein Referenzwerk, das die Fakten aufzählt. Zemb war sich hingegen nie sicher, ob er dort angekommen war. Rückblickend gesprochen war das goldrichtig. Zemb beharrte darauf, dass es irgendwie die Theorie noch nicht gab, die einen vernünftigen Vergleich zuließ. Das Dilemma, vor dem er stand, war ganz einfach: Sprache will nie ganz so sein wie das System es will, so logisch, so transparent, und so weiter. Will man jetzt ein exaktes Register- schema mit abfragbaren Kategorien, dem die Sprache eben nur teilweise ge- nügt? Dann muss man halt die renitenten Sonderfälle irgendwo in den Anhang schieben. Oder will man ein System, in das sich die Sprache freiwillig fügt?

Dann muss man an verschiedenen Stellen vage bleiben. Der Praktiker sucht Antwort, der Theoretiker hüllt sich dagegen andeutungsvoll in Schweigen.

Als die Grammatik entstand, gab es statt Antworten nur dicken Nebel. Die theoretischen Fragen, von denen das Werk nur so strotzt, waren damals keines- wegs geklärt, und das Verdienst ist es eben, den Finger darauf gelegt zu haben und auf Nachbesserung zu insistieren.

Ein Beispiel mag genügen, um dies zu illustrieren. Wie die syntaktische Struktur eines Satzes aussieht – und zwar ausgehend von seiner sogenannten

„logischen Struktur“ –, war und ist bis jetzt alles andere als klar. Das beginnt mit dem Problem, dass wir nicht wissen, was jetzt die logische Struktur eines gegebenen Satzes ist. So leid es mir tut, es ist noch nicht einmal klar, in welcher Sprache diese verfasst ist. Braucht es dazu Prädikatenlogik (erster, zweiter Stu- fe, intensional oder mehrsortig), sollen die Ausdrücke getypt sein oder unge- typt, und soll es anstatt Prädikaten mit fester Stelligkeit lieber Ereignisse ge- ben? Müssen wir uns eigentlich zwischen all dem entscheiden oder ist jede der Sprachen gleich gut? (Ein Wink an die Linguisten: Es geht nicht um grammati- sche Funktionen. Es geht um die Welt, also darum, was der Fall ist, um mit Wittgenstein zu reden.) Und dann war da noch die Frage nach eingebetteten Sätzen. Sind die jetzt eigene Sätze oder werden sie in den übergeordneten Satz

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einverleibt, und wenn ja, wie geht das? Ich deute nur an, dass die Idee einer allein selig machenden Struktur des Satzes eigentlich nicht funktionieren kann (Groenink 1997). Am Ende kommt man dahin, die flexible Lösung zu favorisie- ren, siehe etwa die – wie ich finde bisher unübertroffene – Analyse des Clitic- Climbing in Aissen und Perlmutter (1983), welche Clitic-Climbing mit dem Phä- nomen der Clause Reduction verschränkt, welches ein einziges komplexes Prä- dikat schafft. Die formale Grammatiktheorie hat sich an diesen Beispielen ziem- lich abgearbeitet und daraufhin in viele Lager gespalten. Da gibt es die Idee des „Verbknödels“ in GB, deren unzählige Variationen ich hier nicht aufzählen möchte, die Diskussion um den Kontrast zwischen Deutsch und Niederländisch einerseits und Züritüütsch andererseits im Rahmen von GPSG (Huybregts 1984;

Shieber 1985; Ojeda 1988), und schließlich die trans-kontextfreien Grammati- ken wie TAGs (Tree Adjoining Grammars, Joshi 1985) und MCFGs (Multiple Con- text Free Grammars, Kasami et al. 1987), welche ohne eine nachgeschobene Transformationskomponente arbeiten. Alle haben letztlich ein etwas anderes Verständnis von der syntaktischen Struktur. Und das ist ja nur die Beschrei- bung jeweils einer einzigen Sprache; was daraus jetzt für die Organisation einer vergleichenden Grammatik folgen würde, ist noch unklar.

Und da war dann noch die Idee einer Tiefenstruktur, die in den 1970er Jahren noch in der Tiefe war, nicht in den Höhen der LF, und die eine Einheit von Logik und Syntax versprach, die nicht funktionieren konnte. Die Transfor- mationsgrammatik konnte dies nur unter Verzicht auf ein klares Verständnis aufrechterhalten, was eigentlich Semantik ist oder sein soll. Zemb hat dies durchaus gesehen. Dass das Minimalistische Programm eigentlich gar keine Antworten mehr darauf liefert, ist ein selbstverschuldetes Geschick. Theoriean- sätze gibt es immer noch. Die Kategorialgrammatik hat sich in diesem Zusam- menhang durchaus bewährt, schon weil sie die Einheit von logischer Form und syntaktischer Ableitung immer ernst genommen hat. Aber das muss hier nicht ausgeführt werden.

Der Student von damals hat sich ebenfalls an den theoretischen Fragen abgearbeitet. Die Trichotomie Thema-Phema-Rhema erschien ihm von Anfang an plausibel. In der Logik hat sie durchaus Tradition. Trotzdem ist es eine Geschichte von Irrungen und Wirrungen. Zunächst einmal hat man in der Logik an Subjekt und Objekt festgehalten, und dies blieb auch in der Linguistik so, bis das Ende des Kommunismus dazu führte, dass man sich im Westen der Prager Schule näherte. Und voilà, es begann eine intensive Suche nach Thema und Rhema (siehe zum Beispiel Rooth 1992; Vallduví 1990), die ein völlig neues Licht auf Semantik warf. Zusammen mit der altgedienten Dichotomie Topic/

Focus hat sich inzwischen ein eigenes Forschungsfeld etabliert, wobei mir als Logiker oft nie ganz klar war, inwiefern es sich jetzt um mehr handelt als bloße

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Notation oder typentheoretische Buchungstricks. Denn Thema und Rhema (oder Topic und Focus) wurden eigentlich immer nur von Linguisten bearbeitet, Logiker hat das irgendwie nie interessiert. (Eine Ausnahme, die die Regel bestä- tigt, ist Strawson [1959].) Und das hängt eng mit dem Phema zusammen.

Das Phema wurde eigentlich von Frege eingeführt. Dass man in der Logik sich von dem Urteilsstrich ideologisch (aber keineswegs notationell) verab- schiedet hat, ist seltsamerweise das Verdienst seines Erfinders selbst. Frege bekämpfte den Psychologismus, der damals grassierte, um den Preis, dass man nicht mehr verstand, warum der Urteilsstrich eigentlich Urteilsstrich hieß.

Peirce hatte da ein dezidiert anderes Verständnis, aber seine Auffassung setzte sich nicht durch. Das Phema als eigene Kategorie schlummert deswegen bis heute in der Logik vor sich hin; lediglich die Typentheorie von Per-Martin Löf weist ihm einen eigenen Platz zu. Meine eigenen Versuche, es zum Leben zu erwecken, gipfelten in den Arbeiten Kracht (2010a) und Kracht (2010b). Von der Lektüre der Grammatik bis zu diesen Arbeiten vergingen knapp dreißig Jahre. Und dies zuallererst deswegen, weil die Verwirklichung des Traums die Eroberung eines neuen Kontinents im Denken erforderte. Ich weiß nicht, ob Jean-Marie Zemb zugestimmt hätte, dass er dorthin hatte fahren wollen. Wir können ihn nicht mehr fragen. Aber er hat zumindest mir eine Idee davon gegeben, wie man Semantik noch einmal völlig denken neu kann. Das war es wert.

Literatur

Aissen, Judith L. & David M. Perlmutter. 1983. Clause reduction in Spanish. In David M.

Perlmutter (ed.), Studies in Relational Grammar, Vol. 1, 360–403. Chicago, IL: The Chicago University Press.

Groenink, Annius. 1997. Surface without structure. Word order and tractability issues in natural language analysis. Utrecht: Universiteit Utrecht dissertation.

Hausmann, Franz Josef. 1981. Rezension zu Jean-Marie Zemb: Vergleichende Grammatik Französisch Deutsch. Teil 1. Archiv für das Studium der neueren Sprachen und Literaturen 218. 154–156.

Huybregts, Riny. 1984. Overlapping dependencies in Dutch. Utrecht Working Papers in Linguistics 1. 3–40.

Joshi, Aravind. 1985. Tree adjoining grammars. In David Dowty (ed.), Natural language parsing, 206–250. Cambridge: Cambridge University Press.

Kasami, Tadao, Hiroyuki Seki & Mamoru Fujii. 1987. Generalized context-free grammars, multiple context-free grammars and head grammars. Technical report. Osaka: Osaka University.

Kracht, Marcus. 2010a. Gnosis. Journal of Philosophical Logic 39. 397–420.

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Kracht, Marcus. 2010b. The inner dialog: Pragmatics for one person. In Sebastian Bab &

Klaus Robering (eds.), Judgements and propositions (Logische Philosophie 21), 39–59.

Berlin: Logos Verlag.

Ojeda, Almerindo E. 1988. A linear precedence account of cross-serial dependencies.

Linguistics and Philosophy 11. 457–492.

Rooth, Mats. 1992. A theory of focus interpretation. Natural Language Semantics 1. 75–117.

Shieber, Stuart. 1985. Evidence against the context-freeness of natural languages.

Linguistics and Philosophy 8. 333–343.

Strawson, Peter F. 1959. Individuals. An essay in descriptive metaphysics. London: Methuen.

Vallduví, Enric. 1990. The information component. Philadelphia, PA: University of Pennsylvania dissertation.

Zemb, Jean-Marie. 1968. Les structures logiques de la proposition allemande. Contribution à l’étude des rapports entre la langue et la pensée. Paris: O.C.D.L.

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