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Die Emergenz irrelevanzkonditionaler Subjunktoren des Typs egal was

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(1)

Flor Vander Haegen

Die Emergenz irrelevanzkonditionaler Subjunktoren des Typs egal was

Variation und Grammatikalisierung anhand des Deutschen Referenzkorpus

Es gibt somit eine Interdependenz von Sprachsystem und Rede; ersteres ist gleichzeitig sowohl das Instrument als auch das Produkt der letzteren.

Ferdinand de Saussure (2013: 89) Building on earlier research on the grammaticalisation of concessive conditionals (Irrelevanz- konditionale), the present article investigates lexical and syntactic variation in a subtype of German concessive conditionals which is marked by the WH-word was (‘what’) in combi- nation with expressions of irrelevance like egal (‘no matter’). More than 12,800 examples from the German DeReKo corpus (Deutsches Referenzkorpus) were analysed manually for eight different variables. Both the quantitative and the qualitative results suggest that com- binations of was with an expression of irrelevance constitute part of an emergent paradigm of concessive-conditional subordinators in contemporary German. The on-going grammaticalisa- tion of the paradigm is motivated by discourse-functional factors and proceeds through synchro- nised processes of deassertion and desententialisation. As a result, a new layer of concessive-con- ditional markers is emerging beside the older layer, which consists of a WH-word and the irre- levance particles auch and/or immer (‘-ever’) and does not show a corresponding range of va- riation between discourse and syntax.

Keywords: concessive conditionals; subordinators; emergence from discourse;

grammaticalisation; schematisation

(2)

Einleitung

1

Wie bereits Saussure erkannte, besteht zwischen Sprachgebrauch und Sprachsystem eine Wechselwirkung. Im Sprachgebrauch entstehen u. a.

aus lockeren Wortverbindungen allmählich kompaktere Kombinations- muster grammatischen Charakters, die Teil des Sprachsystems werden und ihrerseits im Sprachgebrauch angewendet werden können. Diese Beobach- tung veranlasst Haspelmath (2002: 270) dazu, Grammatik als “geronne- ne[n] Diskurs”, d. h. aus dem Diskurs emergierte Grammatik, zu bezeichnen.

Eines der Beispiele, die Haspelmath (ebd.) als Beleg für diese Charak- terisierung anführt, sind die sog. universalen Irrelevanzkonditionale. Es handelt sich um adverbiale Satzgefüge wie (1), in denen der Inhalt des Ne- bensatzes als irrelevant für den Inhalt des Hauptsatzes dargestellt wird:

(1) Egal was passiert, es ist immer jemand für Dich da!

(DeReKo: Braunschweiger Zeitung, 27.11.2010)2

Formal besteht die Protasis eines solchen universalen Irrelevanzkonditio- nals aus einem eingebetteten Interrogativsatz, der von einem W-Wort wie was eingeleitet wird, und einem dem W-Wort vorangehenden Irrelevanz- ausdruck wie egal oder gleich (Leuschner 2005a: 288). Im Gefüge besetzt meist eine weitere Konstituente (hier: das Subjekt es) das Vorfeld der Apo- dosis, sodass die Protasis syntaktisch eher schwach in den Hauptsatz inte- griert ist.

In semantischer Hinsicht können Irrelevanzkonditionale als Konditio- nalgefüge betrachtet werden, die nicht eine, sondern mehrere Anteze- densbedingungen mit ein und derselben Apodosis verbinden. Dieses Ver- hältnis lässt sich folgendermaßen paraphrasieren (Leuschner 2005a: 284):

(2) wenn {p1, p2, p3, ...}, dann q

In Irrelevanzkonditionalen wie (1) wird das W-Wort mittels des Irrele- vanzausdrucks auf eine Free-Choice-Lesart festgelegt, sodass das Anteze- dens alle beliebigen Alternativen entlang des im Interrogativsatz umschrie- benen Parameters – im Beispiel (1): mögliche Ereignisse – erschöpft.3

1 Zwei anonymen Gutachter/innen verdanke ich hilfreiche Anmerkungen und Denk- anstöße.

2 Sofern nicht anders angegeben, stammen sämtliche Belege in diesem Aufsatz aus dem Deutschen Referenzkorpus (DeReKo) des IDS.

3 Da das Antezedens alle kontextuell möglichen Alternativen umfasst, schließt es auch extreme Bedingungen ein, unter denen das Eintreten oder die Wahrheit von q nicht

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(3)

Angesichts der Beliebigkeit der Antezedensbelegung drücken Irrele- vanzkonditionale aus, dass das Konsequens q unabhängig davon gilt, welcher Antezedenswert p genau eintritt oder gilt. Diese Eigenschaft, die in der Forschung als die “Dekonditionalisierung” des Konsequens be- zeichnet wird (vgl. Zaefferer 1987; Leuschner 2005a: 292, 2006: 70; Bos- suyt 2016: 46), lässt sich gut anhand von (3) veranschaulichen:

(3) Egal was passiert, es ist immer jemand für Dich da! (= q) - Wenn A passiert (= p1), ist immer jemand für Dich da! (= q) - Wenn B passiert (= p2), ist immer jemand für Dich da! (= q) -

- Wenn X passiert (= px), ist immer jemand für Dich da! (= q) Wie man sieht, ist das Konsequens q für jeden beliebigen p-Wert dassel- be. Das Konsequens eines Irrelevanzkonditionals ist somit gewöhnlich faktisch statt hypothetisch (Bossuyt 2016: 46). Dies unterscheidet Irrele- vanzkonditionale von prototypischen Konditionalgefügen, die in der Regel ein nichtfaktisches Konsequens aufweisen, und verleiht ihnen eine eigenständige argumentative Funktion: Während prototypische Kondi- tionalgefüge den Zusammenhang zwischen p und q in einer hypotheti- schen Welt assertieren, dienen Irrelevanzkonditionale dazu, q zu assertie- ren, und dies rhetorisch umso überzeugender, als q ja bezüglich jeder be- liebigen Bedingung p dekonditionalisiert wird (Leuschner 2005a, 2006).

Da dabei die Offenheit der Antezedensbelegung der entscheidende se- mantische Faktor ist, überrascht es nicht, dass Irrelevanzkonditionale im Deutschen und vielen anderen Sprachen nicht oder nur teilweise kondi- tional markiert sind (Haspelmath/König 1998).

Der vorliegende Beitrag verfolgt zwei Ziele. Diesen sind – nach einer Übersicht über die Variationsmuster universaler Irrelevanzkonditionale im Übergangsbereich zwischen Diskurs und Syntax in Abschnitt 2 – je- weils die Abschnitte 3 und 4 bzw. 5 und 6 gewidmet. Das erste Ziel be- steht darin, die syntaktische Variation gegenwartssprachlicher Irrelevanz- konditionale wie in (1) präziser und detaillierter als bisher zu dokumen- tieren. Wie in Abschnitt 3 näher dargelegt wird, wurden zu diesem Zweck gut 12.000 Belege aus dem Deutschen Referenzkorpus manuell

zu erwarten wäre. In dieser Hinsicht erinnern Irrelevanzkonditionale an Konzessiv- gefüge, weshalb sie in der Literatur gelegentlich als “konzessive Konditionalsätze”

bezeichnet werden (vgl. z.B. König/Eisenberg 1984 u. v. a.). Im Englischen ist die Bezeichnung “concessive conditionals” sogar weithin geläufig (z.B. König 1992, Leuschner 2006, Bossuyt et al. 2018).

(4)

annotiert und statistisch analysiert; die Ergebnisse werden in Abschnitt 4 im Einzelnen präsentiert. Dank dieser erheblich erweiterten Datengrund- lage vertieft der vorliegende Beitrag die Untersuchung von Leuschner (2006), in der die Variationsmuster von Irrelevanzkonditionalen anhand des aus heutiger Sicht sehr kleinen Mannheimer Korpus beschrieben werden, und ähnelt er den umfangreichen Korpusuntersuchungen von Bossuyt (2016) und Bossuyt et al. (2018), die ebenfalls eine inhaltliche und methodische Vertiefung von Leuschner (2006) bieten. Allerdings konzentrieren sich Bossuyt (2016) und Bossuyt et al. (2018) auf eine an- dere Strategie der Irrelevanzmarkierung, nämlich die Partikeln auch und/

oder immer wie in Beispiel (4).

(4) Was immer wir auch probieren, das Auto macht nicht mit.

(Bossuyt 2016: 46)

Anders als solche nebensatzinternen Irrelevanzmarker, die ausführlich von Leuschner (2000), Bossuyt (2016) und Bossuyt et al. (2018) unter- sucht werden, sind nebensatzeinleitende Irrelevanzmarker wie egal oder gleich in der Literatur bisher nur relativ oberflächlich behandelt worden (Leuschner 2005a, 2005b, 2006). Indem sich der vorliegende Beitrag die- ser Forschungslücke widmet, verhält er sich komplementär zu den ge- nannten Arbeiten über nebensatzinterne Irrelevanzmarker. Analog zu Bossuyt (2016), der ausschließlich W-auch/immer-Subjunktoren mit dem W-Wort was behandelt, beschränkt sich der vorliegende Beitrag jedoch vorläufig auf Subjunktoren mit was. Es handelt sich also um eine Pilot- studie, die in einem zukünftigen Schritt – analog zu Bossuyt et al. (2018) – um das Paradigma von wer erweitert werden soll.

Das zweite Ziel des vorliegenden Beitrags besteht darin, den emer- genten Charakter irrelevanzkonditionaler Nebensatzeinleitungen des Typs egal was im heutigen Deutsch anhand der vorgefundenen Varia- tionsmuster qualitativ und quantitativ nachzuweisen. Auch diese Absicht teilt der Beitrag mit den oben genannten Studien von Bossuyt (2016) und Bossuyt et al. (2018), jedoch sind die zu berücksichtigenden Variations- muster bei nebensatzeinleitenden Irrelevanzmarkern von ganz anderer Art als bei nebensatzinternen. Wie oben angedeutet, koexistieren im Ge- genwartsdeutschen hypotaktische Verbindungen wie (1) nämlich mit pa- rataktischen Konstruktionen wie (5):

(5) Es ist egal, was ich bin, ich bin ich.

(DeReKo: Rhein-Zeitung, 25.10.1999)

(5)

Der Irrelevanzausdruck egal erscheint in (5) nicht als Einleitung einer syntaktisch unselbständigen Protasis wie in (1), sondern als Prädikatsno- men im Rahmen des selbständigen Satzes Es ist egal, was ich bin. Mit dem nachfolgenden Satz ich bin ich bildet er eine unverkennbar irrelevanzkon- ditionale Sinneinheit, syntaktisch handelt es sich jedoch lediglich um lo- ckere Parataxis. Im Anschluss an Leuschner (2005a) wird im Folgenden davon ausgegangen, dass hypotaktische Gefüge wie (1) einen höheren Grammatikalisierungsgrad aufweisen als parataktische Verbindungen wie (5) und dass die beiden Typen synchronisch durch ein Spektrum forma- ler Variation miteinander verbunden sind, wie es etwa Beleg (6) nahelegt:

(6) Mir doch egal, was du willst, du machst das jetzt.

(DeReKo: St. Galler Tagblatt, 17.09.2014)

Beleg (6) nimmt eine Mittelstellung zwischen hypotaktischen Belegen wie (1) und parataktischen Konstruktionen wie (7) ein:

(7) Mir ist es egal, was andere über mich denken, mich interessiert das Thema halt. (DeReKo: Nordkurier, 03.07.2002)

Zwar fehlt Mir doch egal in (6) das Finitum und damit die syntaktische und illokutorische Selbstständigkeit, die Mir ist es egal in (7) noch eigen ist. Je- doch sind in (6) eine Modalpartikel (doch) und ein Experiencerausdruck (Mir) vorhanden, die die Irrelevanz in kontextbezogener Weise pragma- tisch und semantisch modifizieren. Somit liegt in (6) eine elliptische Proto- Protasis vor, die weniger vereinfacht und schematisiert ist wie die Protasis in (1), aber auch keine syntaktische Selbständigkeit mehr zeigt wie in (7).

Wie im Anschluss an König (1992) schon Leuschner (2006: 53-56) anhand entsprechender Belege feststellte, reicht das Spektrum der Varia- tion von kaum oder gar nicht grammatikalisierten Satzverbindungen wie (5) bis hin zu relativ stark grammatikalisierten Gefügen wie (1), sodass universale Irrelevanzkonditionale als ein besonders klarer Fall emergen- ter Grammatik im Sinne von Haspelmath (2002) bzw. von “syntacticized discourse” im Sinne von König (1992: 428) erscheinen (Grundsätzliches zum Emergent-Grammar-Ansatz bei Hopper 1988). In Abschnitt 5 wer- den die synchronischen Daten des vorliegenden Beitrags daraufhin ana- lysiert, ob sie Indizien dafür liefern, dass im heutigen Deutsch ein bereits grammatikalisiertes Paradigma irrelevanzkonditionaler Subjunktoren des Typs egal was existiert. In Abschnitt 6 werden die Ergebnisse zusammen- gefasst und wird ein Versuch zur Beantwortung der Frage unter- nommen, inwieweit universale Irrelevanzkonditionale des Typs egal was

(6)

im heutigen Deutsch in synchronischer Hinsicht tatsächlich als “geron- nener Diskurs” im Sinne Haspelmaths zu betrachten sind.

Universale Irrelevanzkonditionale zwischen Diskurs und Syntax In der Einleitung wurden egal-W-Irrelevanzkonditionale als ein Beispiel geronnenen Diskurses vorgestellt. Leuschner (2006: 301) nimmt für Ir- relevanzkonditionale dieses Typs eine dialogische Diskursbasis an, die sich gut anhand des folgenden Dialogs, eines Auszugs aus einem Ge- spräch zwischen Mitarbeiter/innen einer Kinderbetreuungseinrichtung, veranschaulichen lässt:

(8) HM [ich bring euch catweazle] mit des könn ma gucke des gefällt denne [kids ich sa]g_s

euch [((lacht)) des ist gut] ((lacht)) °h SZ [°hhh]

SZ [h°]

AW [((räuspert sich))]

AW ich bring_n [paar filme mit den könne ma auch gucke]

SZ [mir is des völlig egal was wir gucken] hauptsach sie sin aufgeräumt

BS [((Lachansatz))]

[Hervorhebung F.V.H.]

(Datenbank für gesprochenes Deutsch:

FOLK_E_00022_SE_01_T_03)

In (8) greift Sprecherin SZ mittels eines eingebetteten Interrogativsatzes (hier: was wir gucken) die Filmvorschläge der Gesprächspartner HM und AW auf, um sich als kooperative Gesprächspartnerin zu präsentieren, der es gleichgültig ist, welcher Film genau ausgewählt wird. Danach stellt SZ allerdings sogleich klar, dass nicht die Feststellung der Irrelevanz an sich der Hauptzweck ihres Redebeitrags ist, sondern die Forderung nach einem Film, der die Kinder in eine aufgeräumte Stimmung versetzt. Die Feststellung des Irrelevanten bildet mit der Feststellung des Relevanten (der “hauptsach”) also eine rhetorische Einheit, mit deren Hilfe SZ die Irrelevanz in einem einzigen Turn assertieren und zugleich in den Redehintergrund verweisen kann.

Die Neigung von Sprechern, Irrelevanz als Hintergrund zu einer anderen, wichtigeren Assertion zu behandeln, spiegelt sich in einer Nei- gung zur weitreichenden Erosion der Verbalphrase in der Protasis wider, die letztendlich nur den lexikalischen Irrelevanzausdruck wie egal in (1) übriglässt und sich mit Lehmann (1988: 183) als “Desentenzialisierung”

beschreiben lässt. Das sich dadurch ergebende, einleitend schon ange-

(7)

deutete Variationsspektrum zwischen Parataxe und Hypotaxe bzw. zwi- schen Diskurs und Syntax wird in der weiter unten vorgestellten Kor- pusuntersuchung näher untersucht, wobei auch die lexikalische Variation bei den Irrelevanzausdrücken zu berücksichtigen ist. Die Beispiele (9)- (12) illustrieren die verschiedenen Grammatikalisierungsgrade anhand von Belegen mit unterschiedlichen Irrelevanzausdrücken. Dabei entspre- chen (10)-(12) strukturell den in der Einleitung zitierten egal-Belegen (7), (6) und (1). Hinzu kommt in (9) als Vorstufe ein es-loser Beleg mit To- pikalisierung des mir:

(9) Mir ist völlig schnurz, was ihr für wahrscheinlich haltet oder was nicht oder was noch alles möglich sein könnte; für den Artikel ist nur relevant, was die Wissenschaft sagt. (DeReKo: Wikipedia-Diskussion Jesus von Nazaret, 2006).

(10) Vertreter der Gemeinden hätten sich zu einer Aussprache gefunden und das Anliegen der Schifffahrtsgesellschaft erörtert. Den Ge- meinden sei es nicht gleichgültig, was mit der Fähre passiere.

(DeReKo: Neue Zürcher Zeitung, 13.02.2007)

(11) Uns doch wurscht, was die Jungs davon halten, jetzt sind wir an der Reihe! (DeReKo:Süddeutsche Zeitung vom 22.06.2013)

(12) Gleichviel was Dichtung und Wahrheit ist, die neue deutsche Daviscup-Ära hat auf jeden Fall phantastisch begonnen.

(DeReKo: Frankfurter Rundschau, 03.04.1998)

Im Einklang mit den vier Belegen lassen sich vier Strukturtypen unter- scheiden: Matrixsätze mit Finitum und topikalisiertem Experienceraus- druck (und daher ohne vorläufiges Subjekt) wie in (9), Matrixsätze mit vorläufigem Subjekt (und daher notwendigerweise auch mit Finitum) wie in (10), Matrixsätze ohne Verb und Subjekt, aber mit Experiencer wie in (11) und schließlich völlig erodierte Matrixsätze, die weder Subjekt noch Finitum noch Experiencer enthalten wie in (12).

Die im Übergang von (10) bis (12) eintretende formale Desenten- zialisierung korrespondiert funktional mit der zunehmenden “Deasserti- vierung” der Irrelevanzaussage (Leuschner 2005a: 92). Dieses Zusam- menspiel von Form und Funktion ist laut Leuschner (2005a: 295ff.) im Rahmen der “Grammatik der kommunikativen Gewichtung” (Hoffmann 2002: 32–34; siehe auch Hoffmann 2016: 497–511) zu deuten. In Fällen, wo die Irrelevanz nicht wie noch in (9) und (10) selbständig assertiert wird, sondern rhetorisch ganz der Dekonditionalisierung des Konse- quens q dient, liegt es nahe, eine stark desentenzialisierte Ausdrucksform zu wählen, die dieser “pragmatischen Herabstufung” (Leuschner 2005a:

296) entspricht. An diesem Ende des Variationsspektrums fungiert der

(8)

lexikalische Irrelevanzausdruck nur noch als Teil einer stark schemati- sierten Nebensatzeinleitung im Rahmen eines hypotaktischen Satzgefü- ges, wie wir es zu Beginn in Beleg (1) vorfanden.

Methodologie

Um das beschriebene Variationsspektrum gründlicher als bisher doku- mentieren, statistisch analysieren und als Fall geronnenen Diskurses bzw.

emergenter Grammatik interpretieren zu können, bietet sich eine korpusbasierte Untersuchung an. Anders als die Studie von Leuschner (2006), in der syntaktische Variationsmuster in Irrelevanzkonditionalen anhand des aus heutiger Sicht sehr kleinen Mannheimer Korpus mit etwa 2,5 Millionen Wortformen (IDS 2019) untersucht wurden, stützt sich der vorliegende Beitrag auf Daten aus dem viel größeren Deutschen Refe- renzkorpus, das 2017 über mehr als 43 Milliarden Tokens verfügte und das Mannheimer Korpus als eines von vielen Teilkorpora umfasst (Kupietz et al. 2018: 4353).

Zu Beginn der Untersuchung wurde im März 2018 mittels COSMAS II, des Konkordanzprogramms des DeReKo, für eine Reihe unterschied- licher lexikalischer Irrrelevanzausdrücke die Suchanfrage [Irrelevanzaus- druck] /+w3,s0 was durchgeführt. Dank dem Abstandsoperator /+w3 erfasst die Suchanfrage auch Belege, in denen der Irrelevanzausdruck bis zu drei Wörter vom W-Wort entfernt ist; der Operator s0 stellt sicher, dass nur Belege gefunden werden, in denen der Irrelevanzausdruck und das W-Wort im selben Satz vorkommen. Neben den von Leuschner (2006: 35) berücksichtigten Irrelevanzausdrücken egal, gleich, gleichgültig, gleichviel und einerlei wurden auch Banane, Jacke wie Hose, latte, schnuppe, schnurz, wurscht, schnurzpiepe sowie die vier egal-Komposita schnurzegal, schnurzpiepegal, scheißegal und stinkegal einbezogen. Als bei weitem am häu- figsten erwies sich egal mit 27.298 Treffern (bei einer Gesamtzahl von 37.141 Treffern). Weil in COSMAS II jedoch nur maximal 10.000 Belege exportiert werden können, wurden aus den egal-Treffern randomisiert 10.000 Belege selektiert. Die dadurch entstehende quantitative Verzer- rung der Ergebnisse wird weiter unten kommentiert

Aus den insgesamt 19.843 exportierten Belegen wurden manuell 6.949 ungültige Belege getilgt. Bei 6.081 davon handelte es sich um gleich- Belege, in denen nicht der Irrelevanzausdruck gleich (wie etwa in ganz gleich, was passiert) sondern das Temporaladverb gleich (wie etwa in ich kom- me gleich) vorlag, sodass nur 1.319 gültige gleich-Belege übrigblieben. Bei den anderen Irrelevanzausdrücken erwies sich die große Mehrheit der

(9)

Belege als gültig, obwohl immer noch 868 Belege aus unterschiedlichen Gründen aussortiert werden mussten.

Die insgesamt 12.894 gültigen Belege wurden manuell in Excel hin- sichtlich acht unterschiedlicher Variablen annotiert. So wurde für jeden Beleg notiert, ob der Matrixsatz ein vorläufiges Subjekt (meist es, gele- gentlich das), ein (finites) Verb und einen Experiencer-Ausdruck(entweder einen freien Dativ wie mir oder eine Präpositionalphrase wie für mich) ent- hält. Die Variablen Modalpartikel/Satzadverb, Gradpartikel und Irrelevanzaus- druck beziehen sich auf zusätzliche Elemente im Matrixsatz: Modalparti- kel/Satzadverb erfasst, ob im Matrixsatz eine Modalpartikel wie ja oder doch und/oder ein Satzadverb vorhanden ist. Im Anschluss an das Gram- matische Informationssystem des IDS (grammis) wurden nur Adverben, die die in (13) ausgedrückte Bedingung erfüllen, als Satzadverb aufge- fasst. Dabei steht k für das Satzadverb und s für den Satz, der dieses Ad- verb enthält:

(13) Es ist k der Fall, dass s′, wobei s′ aus s entsteht durch Weglassen von k.

(Breindl 2018)

Gemäß dieser Paraphrase wurden auch das Adverb nicht sowie komplexe Phrasen wie ehrlich gesagt als Satzadverben annotiert. Als Gradpartikelwur- den Partikeln wie ganz oder völlig gezählt, die Intensitätsgrade angeben.

Auch komplexe Ausdrücke wie echt komplett in “echt komplett scheiß- egal” wurden als Gradpartikel gezählt. Die Variable Irrelevanzausdruck er- fasst, welcher lexikalische Irrelevanzausdruck aus der obigen Menge in dem jeweiligen Beleg vorliegt. Die Variable Satzzeichen schließlicherfasst, ob zwischen dem Irrelevanzausdruck und dem W-Wort ein Komma steht wie in allen obigen Belegen außer (1) und (12).

Ergebnisse

Frequenz der Irrelevanzausdrücke

Wie Abbildung 1 und Tabelle 1 zeigen,4 unterscheiden sich die Frequen- zen der untersuchten Irrelevanzausdrücke stark. Weitaus am häufigsten erscheint egal, das in unserem Korpus zusammen mit seinen Komposita scheißegal, schnurzegal, schnurzpiepegal und stinkegal 9.909 Belege (oder

4 Sämtliche Abbildungen und Tabellen sind in größerem Format auf der GM-Website abrufbar: http://www.bgdv.be/wordpress/wp-content/uploads/2018/11/gm45- vanderhaegen_anhaenge.pdf.

(10)

76,85% der Irrelevanzausdrücke) ausmacht. Von den Komposita ist scheißegal mit 194 Belegen das häufigste. Die anderen Komposita kom- men viel seltener vor: Schnurzegal und schnurzpiepegal treten in 11 bzw. 12 Belegen auf, stinkegal bildet ein Hapaxlegomenon. Da, wie oben erwähnt, aus technischen Gründen nur 10.000 der 27.298 Treffer des Simplex egal analysiert werden konnten, ist dessen Frequenz in unserem Korpus teil- weise verzerrt.5 Deswegen wird für egal in Abbildung und Tabelle 1 auch die extrapolierte Häufigkeit 26.454 angegeben, die auf Basis des Verhält- nisses zwischen gültigen und ungültigen Belegen bei den analysierten egal-Sätzen errechnet wurde und eine Einschätzung angibt, wie viele gül- tige egal-Belege es gegeben hätte, wenn es möglich gewesen wäre, alle 27.298 Treffer zu analysieren.

Die Irrelevanzausdrücke gleich, gleichgültig und wurscht sind mit 10,23%, 7,27% und 3,94% bzw. 1.319, 938 und 508 Belegen relativ frequent. Dies gilt auch für einerlei und schnuppe (jeweils 0,58% bzw. 75 Belegen). Sehr selten sind gleichviel, schnurz, Jacke wie Hose, latte, Banane und schnurzpiepe mit Frequenzen zwischen 0,21% und 0,02% bzw. zwischen 27 und 2 Tref- fern. Da so geringe Frequenzen gegen die Voraussetzungen einiger sta- tistischer Tests verstoßen, werden diese sechs Irrelevanzausdrücke im Folgenden in den meisten Statistiken nicht mehr berücksichtigt. Sofern nicht anders angegeben, wird somit von den sechs häufigsten Irrelevanz- ausdrücken egal, gleich, gleichgültig, wurscht, schnuppe und einerlei ausgegangen, die zusammen 12.824 Belege ausmachen.

5 Auf das Problem der verzerrten Häufigkeit hat mich eine/r der Gutachter/innen auf- merksam gemacht.

(11)

Abbildung 1: Absolute Frequenz der Irrelevanzausdrücke, mit extrapolierter Frequenz für egal

Tabelle 1: Absolute und relative Frequenz der Irrelevanzausdrücke, mit extrapolierter Frequenz für egal

Ellipse im Matrixsatz

Anhand der Variablen Subjekt, Verb und Experiencer wurde der Grad an Ellipse im Matrixsatz untersucht, und zwar gemäß den vier Strukturtypen, die in Abschnitt 2 anhand der Belege (9)-(12) unterschieden wurden:

Matrixsätze mit vorläufigem Subjekt (und daher notwendigerweise auch mit Finitum) wie in Beispiel (10), Matrixsätze mit Finitum, aber ohne

(12)

Subjekt wie in (9), Matrixsätze ohne Verb und Subjekt, aber mit Ex- periencerausdruck wie in (11) und schließlich völlig erodierte Matrixsätze, die weder Subjekt noch Finitum noch Experiencerausdruck enthalten wie in (12). Insgesamt weisen 70,3% der Belege (9.044) vollständige Erosion auf. Matrixsätze mit vorläufigem Subjekt und Finitum machen 21,9%

(2.827) der Belege aus, Matrixsätze mit Verb, aber ohne vorläufiges Sub- jekt 7,62% (982). Belege mit Experiencer, aber ohne vorläufiges Subjekt und Verb kommen nur 41-mal vor (0,32%). Tabelle 2 und Abbildung 2 zeigen die absolute und relative Frequenz der verschiedenen Stufen in Abhängigkeit von den sechs häufigsten Irrelevanzausdrücken (n = 12.824).

Abbildung 2: Relative Frequenz von Ellipse in Matrixsätzen mit den sechs häufigsten Irrelevanzausdrücken

Tabelle 2: Absolute und relative Frequenz von Ellipse in Matrixsätzen mit den sechs häufigsten Irrelevanzausdrücken

(13)

Wie Abbildung 2 und Tabelle 2 zeigen, machen völlig erodierte Matrix- sätze bei den Irrelevanzausdrücken egal (samt Komposita) und gleich mehr als die Hälfte der Belege aus. Bei egal weisen 73,9% der Matrixsätze voll- ständige Ellipse auf, bei gleich sogar 91,2%. Vollständige Ellipse ist auch bei einerlei und gleichgültig relativ häufig belegt (46,7% bzw. 40,3% der Be- lege). Wurscht und schnuppe dagegen treten selten mit vollständiger Ellipse der anderen Prädikatsteile auf (15,9% bzw. 1,3%).

Matrixsätze ohne vorläufiges Subjekt und Verb, aber mit Experien- cerausdruck wie in (11) sind sehr selten. Die relative Häufigkeit solcher Belege ist bei dem Irrelevanzausdruck wurscht am höchsten (1,2%). Bei egal und gleich beträgt sie nur 0,3% bzw. 0,2% der Belege. Bei den ande- ren Irrelevanzausdrücken ist diese Stufe nicht belegt.

Etwas häufiger sind Matrixsätze mit finitem Verb, aber ohne vorläu- figes Subjekt wie in (9). Bei egal, einerlei und gleichgültig machen sie jeweils 7,1%, 6,7% und 11,5% der Belege aus. Schnuppe und wurscht verfügen in 22,7% bzw. 22,6% der Belege über einen solchen Matrixsatz. Dagegen weisen nur 1,6% der gleich-Belege einen Matrixsatz mit Finitum, aber ohne vorläufiges Subjekt auf.

60,2% der wurscht-Belege sowie 76,0% der Belege mit schnuppe verfü- gen über einen Matrixsatz mit Verb und vorläufigem Subjekt. Bei den anderen Irrelevanzausdrücken kommen nicht-elidierte Matrixsätze stets in weniger als der Hälfte der Belege vor: Matrixsätze mit einerlei und gleich- gültig haben in 46,7% bzw. 48,2% der Belege ein Finitum und ein Sub- jekt, bei gleich und egal sind dies nur 7,0% bzw. 18,7% der Belege.

Die statistische Signifikanz der beobachteten Variation kann nicht mit einem Chi-Quadrat-Test überprüft werden, weil manche der erwar- teten Häufigkeiten zu gering sind. Deshalb wird auf einen Fisher-Exakt- Test ausgewichen, dessen p-Wert wegen des großen Umfangs der Zahlen mit Monte-Carlo-Simulationen simuliert werden muss. Auf der Basis von 2.000 Simulationen erweist sich die beobachtete Variation als statistisch hochsignifikant: p < 0,001.

Nicht nur Experiencerausdrücke, sondern auch Modalpartikeln und Satzadverben kommen (viel) häufiger in vollständigen Matrixsätzen als in elliptischen vor. Die Belege mit Finitum im Matrixsatz verfügen in 39,1% der Fälle (oder 1.490 der 3.809 Matrixsätze) über ein Satzadverb und/oder eine Modalpartikel, während es bei den Belegen ohne Finitum nur 0,67% sind (61 der 9.085 Matrixsätze). Insgesamt enthalten 1.554 der 12.894 Belege (oder 12,1%) im Matrixsatz ein Satzadverb und/oder eine Modalpartikel.

(14)

Um zu untersuchen, inwieweit die Abwesenheit eines Verbs mit der Ellipse anderer Konstituenten im Matrixsatz zusammenhängt, wurde in R mittels der Funktion ctree() ein conditional inference tree mit den Variablen Verb, Subjekt, Experiencerund Modalpartikel/Satzadverb ermittelt. Conditional inference trees basieren auf einer Abfolge binärer Fragen bezüglich der Ausprägungen der Prädiktoren (hier: Subjekt, Experiencerund Modalparti- kel/Satzadverb)undvisualisieren, wie wahrscheinlich es ist, dass eine be- stimmte Ausprägung der Antwortvariablen (hier: Verb) eintritt (Taglia- monte/Baayen 2012:159).Gemäß den Antworten teilt der Algorithmus die Daten in verschiedene Untergruppen auf, die in Bezug auf die Aus- prägungshäufigkeiten der Antwortvariablen zunehmend homogen sind (ebd.). Abbildung 3 zeigt den anhand der genannten Variablen ermittel- ten Inferenzbaum.

Abbildung 3: Conditional inference tree mit den Variablen Verb, Subjekt, Experiencer und Modalpartikel/Satzadverb; EXPER = Experiencer, PARTADV = Modalpartikel/Satzadverb;

ja = Matrixsatz mit Verb; n/a = Matrixsatz ohne Verb

Laut der Inferenzbaumanalyse bildet Subjekt den signifikantesten Prädiktor für die Ausprägung von Verb. Da alle Matrixsätze mit vorläufigem Subjekt auch ein Verb aufweisen, ist dies nicht überraschend. Innerhalb der Belege mit Matrixsatz ohne Subjekt-es erweist sich Experiencer als ein wichtiger Prädiktor für die Ausprägung der Variable Verb. Über 90% der Belege ohne Subjekt, aber mit Experiencerausdruck verfügen über ein finites Verb im Matrixsatz. Auch dies nimmt nicht wunder, da laut Abbildung 2 Matrixsätze mit Experiencerausdruck, aber ohne Verb und Subjekt äußerst selten sind. Bemerkenswert ist aber, dass sich die Variable Modalpartikel/

(15)

Satzadverb als wichtiger Prädiktor innerhalb der Teilgruppe ohne vorläu- figes Subjekt und Experiencer erweist. Matrixsätze, die weder Subjekt noch Experiencer noch Modalpartikeln und/oder Satzadverben aufweisen, haben niemals ein finites Verb. Ist dagegen eine Modalpartikel oder ein Satzadverb vorhanden – aber kein Subjekt und kein Experiencer –, kommt in über 60% der Matrixsätze ein Finitum vor.

Gradpartikeln

In 2.253 der 12.894 untersuchten Belege (17,5%) tritt vor dem Irre- levanzausdruck eine Gradpartikel auf. Bei den Belegen mit finitem Verb im Matrixsatz erscheinen Gradpartikeln etwas häufiger (866 der 3.809 Belege oder 22,7%) als bei denen ohne finites Verb (1.387 der 9.085 oder 15,3%).

Tabelle 3 und Abbildung 4 zeigen die absolute und relative Frequenz von Gradpartikeln in Abhängigkeit von den sechs häufigsten Irrelevanz- ausdrücken. Wie sich herausstellt, sind Gradpartikeln v. a. bei gleich mit über drei Vierteln sehr häufig. Wurscht und schnuppe treten in immerhin 33% bzw. 41% der Belege mit einer Gradpartikel auf. Bei egal, einerlei und gleichgültig kommen Gradpartikeln hingegen selten vor.

Abbildung 4: Relative Frequenz von Gradpartikeln bei den sechs häufigsten Irrelevanzausdrücken

(16)

Tabelle 3: Absolute Frequenz von Gradpartikeln bei den sechs häufigsten Irrelevanzausdrücken

Laut einem Chi-Quadrat-Test ist die Assoziation zwischen Gradpartikeln und Irrelevanzausdrücken statistisch hochsignifikant (χ2 = 3904,3; df = 5;

p < 0,001). Die Effektstärke ist mittelgroß (Cramérs V = 0,55).

Tabelle 4 zeigt die Pearson residuals des Chi-Quadrat-Tests. Aus den Residuen ist abzuleiten, dass der Irrelevanzausdruck gleich häufiger von einer Gradpartikel begleitet wird, als gemäß dem Algorithmus des Tests zu erwarten wäre. Die meisten anderen Ausdrücke werden dagegen selte- ner als erwartet von Gradpartikeln begleitet; bei egal ist diese Tendenz am ausgeprägtesten.

Tabelle 4: Pearson residuals der Gradpartikeln in Abhängigkeit von den Irrelevanzausdrücken

Kommasetzung

Tabelle 5 und Abbildung 5 zeigen die absolute und relative Frequenz eines Kommas nach Matrixsätzen mit den sechs häufigsten Irrelevanz- ausdrücken. Wie man sieht, steht nach allen Irrelevanzausdrücken außer egal in mehr als 80% der Fälle ein Komma. Bei gleichgültig, einerlei, wurscht und schnuppe werden jeweils u ber 90% der Matrixsätze kommatiert. Et- was weniger häufig belegt sind Kommata nach gleich und v. a. nach egal, dem in nur 71,2% der Belege ein Komma folgt.

(17)

Abbildung 5: Relative Frequenz von Kommata bei den sechs häufigsten Irrelevanzausdrücken

Tabelle 5: Absolute Frequenz von Kommata bei den sechs häufigsten Irrelevanzausdrücken

Ein Chi-Quadrat-Test weist die Variation in der Häufigkeit von Satzzei- chen in Abhängigkeit von den Irrelevanzausdrücken als statistisch hoch- signifikant aus (χ2 = 460,6; df = 5; p < 0,001). Die Effektstärke dieser Variation ist eher gering: Cramérs V = 0,19.

Die Pearson residuals dieses Chi-Quadrat-Testes werden in Tabelle 6 dargestellt. Gemäß den Residuen ist egal der einzige Irrelevanzausdruck, der weniger oft als erwartet mit einem Komma vorkommt. Bei den ande- ren Irrelevanzausdrücken sind v. a. die Residuen von gleichgu ltig bemer- kenswert, da dieser Irrelevanzausdruck viel häufiger als erwartet mit einem Komma auftritt. Wurscht, gleich, einerlei und schnuppe weisen die gleiche Tendenz auf, sei es auch in geringerem Maße.

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Tabelle 6: Pearson residuals der Satzzeichen in Abhängigkeit von den Irrelevanzausdrücken

Analyse

Variationsmuster zwischen Diskurs und Syntax

Um einen Einblick in die syntaktischen Variationsmuster von egal-W- Irrelevanzkonditionalen und in die funktionalen Motivationen ihrer Emergenz zu ermöglichen, werden im Folgenden die Strukturtypen (9)- (12) anhand der dargestellten Ergebnisse näher betrachtet. Für jeden Typ wird untersucht, wie typisch er ist, welche interne Struktur er prototypi- scherweise aufweist und, falls Hinweise darauf vorhanden sind, in wel- chen Registern er üblicherweise vorkommt. Danach wird in Abschnitt 5.2. der Schematisierungsgrad der in Typ (12) auftretenden irrelevanz- konditionalen Subjunktoren eingehend erörtert, damit im Fazit eine Ant- wort auf die Frage formuliert werden kann, ob im Gegenwartsdeutschen ein schematisiertes Paradigma irrelevanzkonditionaler Subjunktoren des Typs egal-W vorliegt.

Wie oben deutlich wurde, liegt in 29,5% der untersuchten Belege ein vollständiges Irrelevanzprädikat vor, in dem der Irrelevanzausdruck als Prädikatsnomen zu einer Kopula fungiert. Viel häufiger als elliptische Matrixsätze enthalten Irrelevanzprädikate Experiencerausdrücke sowie Modalpartikeln und Satzadverben; wie auch die obige Inferenzbaum- analyse bestätigt, sind diese Konstituenten wichtige Prädiktoren für das Vorhandensein eines Finitums im Matrixsatz. Experiencerausdrücke, Modalpartikeln und Satzadverben tragen alle zur Assertivität des Matrix- satzes bei, weil sie, wie oben bemerkt, die Irrelevanz semantisch und pragmatisch auf einen bestimmten Kontext beziehen. Laut der Duden- Grammatik (2016: 602) signalisieren Modalpartikeln nämlich “Einstel- lungen, Annahmen, Bewertungen und Erwartungen des Sprechers be- züglich des geäußerten Sachverhalts” und ähneln Satzadverben zumin- dest insofern Modalpartikeln, als “sie eine Bewertung bzw. eine Stellung- nahme, den »Kommentar« des Sprechers zum gesamten Sachverhalt, ausdrücken können” (ebd.: 598). Dass assertionsunterstützende Elemen- te häufiger in vollständigen Irrelevanzprädikaten vorkommen als in ellip- tischen Matrixsätzen, ist nicht überraschend, weil nur Erstere die selb-

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ständige Assertion der Irrelevanz zum Zweck haben (Leuschner 2005a:

295ff.). Dies zeigt besonders Beleg (14):

(14) Es ist mir schnurzpiepegal, was nach irgendwelchen für mich völlig irrelevanten Rechtsvorschriften der korrekte Name dieser mehr oder minder unwichtigen österreichischen Bildungseinrichtung ist.

(DeReKo: Wikipedia-Diskussion Universität Graz, 2011)

Der Zweck des Irrelevanzprädikats in (14) besteht darin, zu assertieren, dass der korrekte Name der Universität Graz irrelevant ist. Der Expe- riencerausdruck mir, der die Irrelevanz auf den Autor des Diskussions- beitrags bezieht, wirkt dabei assertionsunterstützend.

Funktional unterscheiden sich vollständige Irrelevanzprädikate ohne vorläufiges Subjekt (7,6% aller Belege; 25,8% der Belege mit Finitum) kaum von Irrelevanzprädikaten mit es, da beide Strukturtypen Indif- ferenz assertieren. Die Frequenz von Modalpartikeln und/oder Satzad- verbien ist bei diesem Typus nicht signifikant höher als bei Irrelevanz- prädikaten mit es (39,9% bzw. 39,1%), während dies für die Frequenz der Experiencerausdrücke sehr wohl gilt (84,5% der Belege ohne es vs.

69,2% der anderen Matrixsätze enthalten einen Experiencerausdruck).

Die erhöhte Frequenz von Experiencerausdrücken in Matrixsätzen ohne vorläufiges Subjekt liegt daran, dass das Fehlen des Korrelat-es oft durch die Topikalisierung eines Experiencerausdrucks wie mir oben in (9) moti- viert ist. Gelegentlich werden auch Satzadverben topikalisiert wie in (15):

(15) Eigentlich ist egal, was sie für Texte bemüht, was sie singt.

(DeReKo: Nordkurier, 17.06.2002)

Beleg (16) zeigt, dass bedeutungsleeres es aber auch entfallen kann, ohne dass eine andere Konstituente ins Vorfeld verschoben wird:

(16) Ist mir völlig wurscht, was dort steht. (DeReKo: Wikipedia-Diskussion De Rosa (Unternehmen) von 2011)

Matrixsätze ohne Finitum, aber mit Experiencer (0,3% aller Belege) kommen v. a. im mündlichen oder konzeptuell mündlichen Sprachge- brauch vor: 9 der 41 relevanten Belege entstammen Wikipedia-Diskussio- nen; in 19 Belegen deuten Anführungszeichen auf direkte Rede hin. Da solche Matrixsätze assertionsunterstützende Elemente wie Experiencer- ausdrücke und in 16 der 41 Belege auch Modalpartikeln/Satzadverben enthalten, können sie nicht als (deassertivierte) Protasis eines Irrelevanz- konditionals fungieren (Leuschner 2006: 79). Oftmals stellen sie sogar il- lokutionär selbstständige Sätze dar:

(20)

(17) Denn, wie sagt der Spießer: Mir doch wurscht, was Trend ist!

(DeReKo: Nürnberger Nachrichten, 05.09.2013)

Dass Konstruktionen wie Mir doch wurscht, was Trend ist! in (17) unabhän- gige Sätze bilden, ist u. a. an markierten Intonationsmustern zu erkennen (hier schriftsprachlich anhand des Ausrufezeichens angedeutet) (vgl.

Leuschner 2006: 79). Dies gilt auch für Beleg (11) – der unten einfach- heitshalber wiederholt wird –, wo die Irrelevanz jedoch sogleich in den Redehintergrund verwiesen wird:

(11) Uns doch wurscht, was die Jungs davon halten, jetzt sind wir an der Reihe! (DeReKo: Süddeutsche Zeitung, 22.06.2013)

Anders als der Ausruf in (17) fungiert der Matrixsatz Uns doch wurscht, was … in (11) als eine Proto-Protasis, die mit einer Proto-Apodosis (jetzt sind wir an der Reihe) verbunden wird. Zwar beziehen der Experiencer- ausdruck Uns und die Modalpartikel doch die Irrelevanz auf die Perspek- tive eines einzelnen Sprechers, hier steht aber nicht die Irrelevanz der Ansicht der Jungen, sondern vielmehr die unbeschränkte Gültigkeit des Proto-Konsequens jetzt sind wir an der Reihe im Vordergrund.

In (11) erlaubt es die Ellipse des Finitums, die (Proto-)Protasis über- geordneten Interaktionszielen anzupassen und kommunikativ entspre- chend zu gewichten. Wenn auch die assertionsunterstützenden Expe- riencerausdrücke elidiert werden, entstehen aus Sätzen wie (11) Irrele- vanzkonditionale mit erodiertem Matrixsatz wie in (12), die mit einer relativen Frequenz von 70,5% den weitaus am häufigsten belegten Struk- turtyp bilden. Da die matrixsatzinterne Ellipse funktional durch die De- assertivierung der Protasis motiviert ist (Leuschner 2005a: 295ff.), nimmt es nicht wunder, dass elliptische Matrixsätze wie (12) selten assertions- unterstützende Elemente wie Modalpartikeln und/oder Satzadverbien enthalten (in 0,53% oder 48 der 9.044 Belege). Völlig ausgeschlossen sind Satzadverben in der Protasis eines elliptischen Matrixsatzes aber nicht, wie (18) und (19) zeigen:

(18) Eigentlich egal, was bei den von Bonn und Washington vermittelten Verhandlungen zwischen Vertretern der Industrie und der Opfer hin- ter verschlossenen Türen erörtert wird – Eizenstat bleibt stets Diplo- mat. (DeReKo: Frankfurter Rundschau, 17.07.1999)

(19) Beinahe egal, was er gerade wieder geschrieben hat: Wer es sich von Edward St Aubyn selbst vorlesen lassen kann, sollte das tun.

(DeReKo: die tageszeitung, 30.08.2014)

(21)

Bemerkenswert ist, dass Neben- und Hauptsatz in Belegen wie (18) und (19) oft nicht anhand eines Kommas, sondern anhand eines Gedanken- strichs oder Doppelpunkts getrennt werden. Das verstärkte Auftreten al- ternativer Satzzeichen dürfte darauf hindeuten, dass Nebensätze mit el- liptischen Matrixsätzen, die ein Satzadverb enthalten, weniger stark in den Hauptsatz integriert sind als Matrixsätze, die bis auf den Irrelevanz- ausdruck vollständig elidiert sind.

Schematisierung irrelevanzkonditionaler Subjunktoren

Wie in der Einleitung bereits angemerkt, resultieren aus der Desentenzia- lisierung elliptische Matrixsätze des Typs egal was, die als Nebensatzeinlei- tung fungieren können. Die Frage stellt sich, inwieweit sich solche Ma- trixsätze strukturell von vollständigen Irrelevanzprädikaten unterschei- den und somit ein neues Paradigma schematisierter Subjunktoren bilden, das zusätzlichen, vor der Grammatikalisierung von egal-W-Irrelevanz- konditionalen nicht aktiven, Regeln unterworfen ist.

Wie oben ausführlich dokumentiert, enthalten Matrixsätze ohne Fini- tum aus funktionalen Gründen nur selten Experiencer oder Satzad- verbien/Modalpartikeln. Die extrem geringe Frequenz von Experiencer- ausdrücken sowie Satzadverben und Modalpartikeln in elliptischen Ma- trixsätzen (0,45% bzw. 0,70% der Belege ohne Finitum) spricht dafür, dass elliptische Matrixsätze zu einem anderen Schema gehören als Irrele- vanzprädikate, die häufig Satzadverbien und/oder Modalpartikeln auf- weisen.

Ferner unterscheiden sich elliptische Matrixsätze dadurch von den Irrelevanzprädikaten, dass das Komma zwischen Irrelevanzausdruck und W-Wort standardsprachlich nur bei Ersteren ausgelassen werden darf (vgl. Duden 2016: 250). Dies bestätigen auch die Daten des vorliegenden Beitrags: Während 3.647 der 3.809 Matrixsätze mit Finitum (oder 95,7%) kommatiert werden, steht nach nur 6.081 der 9.085 (66,9%) elliptischen Matrixsätze ein Komma. Die 162 nicht-kommatierten Matrixsätze mit Finitum stammen fast ausschließlich aus Textsorten wie Wikipedia-Dis- kussionen oder Plenarprotokollen, in denen die standardsprachlichen Kommaregeln oft nicht eingehalten werden.

Dass das Komma zwischen Irrelevanzausdruck und W-Wort i. d. R.

nur in elliptischen Matrixsätzen ausgelassen wird, ist nicht überraschend.

Nur in elliptischen Matrixsätzen können fehlende Kommata nämlich auf die Reanalyse der Kombination aus Irrelevanzausdruck und W-Wort als komplexer Subjunktor hindeuten:

(22)

(20) a. [Es ist gleichgültig,] [wer kommt]

> b. [Gleichgültig, wer kommt] (Leuschner 2005a: 291).

> c. [Gleichgültig wer kommt]

Anders als im Irrelevanzprädikat (20)a. fungiert der Irrelevanzausdruck im elliptischen Matrixsatz (20)b. nicht länger als Prädikatsnomen zu einer Kopula, sondern bildet zusammen mit dem W-Wort eine unterordnende Konjunktion. Der gelegentliche Wegfall des Kommas zwischen Irrele- vanzausdruck und W-Wort wie in (20)c. ist durch diese Reanalyse moti- viert und stellt folglich eine Aktualisierung dieser Reanalyse dar. Wie sich aus den Ergebnissen ableiten lässt, treten solche Aktualisierungen am häufigsten nach stark grammatikalisierten Irrelevanzausdrücken wie egal und gleich auf, die beide in über 80% der Belege in elliptischen Matrixsät- zen vorkommen. Die Aktualisierung der besprochenen Reanalyse liefert ein deutliches Indiz dafür, dass elliptische Matrixsätze einem Schema an- gehören, das eine andere interne Struktur aufweist als vollständige Irrele- vanzprädikate und dass sich irrelevanzkonditionale Subjunktoren syn- chronisch nicht einfach als elliptische Irrelevanzprädikate analysieren las- sen.

Ferner spricht auch die Tatsache, dass bestimmte Irrelevanzausdrü- cke nur in elliptischen Matrixsätzen, andere nur in vollständigen Irrele- vanzprädikaten auftreten können, für Schematisierung. Die wenig fre- quenten, umgangssprachlichen Irrelevanzausdrücke Banane, Jacke wie Ho- se, schnurzpiepe sowie das Hapaxlegomenon stinkegal finden sich nie in elliptischen Matrixsätzen, während sich gleichviel und gleich auf verblose Matrixsätze spezialisieren. So treten das 27-mal belegte gleichviel aus- schließlich und der häufige Irrelevanzausdruck gleich in 91,4% seiner Belege in elliptischen Matrixsätzen auf. Gleich dürfte in absehbarer Zeit, genau wie gleichviel dies inzwischen schon getan hat, seine Funktion als Prädikatsnomen aufgeben.

Auch eine Analyse der Gradpartikeln legt nahe, dass sich im heutigen Deutsch derzeit ein schematisiertes Paradigma irrelevanzkonditionaler Subjunktoren herausbildet. Während Gradpartikeln in durchschnittlich nur 17,5% der Belege vorkommen, wird der häufig in elliptischen Ma- trixsätzen vorkommende Irrelevanzausdruck gleich in fast 80% der Belege von einer Gradpartikel modifiziert – und zwar in 97% der Fälle von ganz.

In elliptischen Matrixsätzen mit gleich treten Intensivierer verstärkt auf:

80,6% der gleich-Belege mit elliptischen Matrixsatz weisen eine Gradparti- kel auf, während nur 43,4% der nicht-elliptischen gleich-Matrixsätze eine Gradpartikel enthalten. Dass gleich in elliptischen Matrixsätzen fast aus- schließlich mit ganz kombiniert wird, könnte diachronisch durch die Ein-

(23)

silbigkeit von gleich motiviert sein, d. h. durch die Möglichkeit, mittels ganz-Intensivierung einen ebenso expressiven wie ökonomischen (da le- diglich zweisilbigen) Irrelevanzausdruck zu schaffen. Synchronisch dürf- te diese ursprüngliche Motivation jedoch kaum noch wirksam sein. Viel- mehr hat sich ganz gleich bereits weitgehend als eine lexikalisch vollspezi- fizierte Subkonstruktion im Rahmen des oben beschriebenen Kon- struktionsschemas irrelevanzkonditionaler Subjunktoren verselbständigt.6

Fazit und Ausblick

Hauptziel des vorliegenden Beitrags war es, die syntaktischen Variations- muster universaler Irrelevanzkonditionale des Typs egal was im heutigen Deutsch zu dokumentieren und im Lichte des Emergenzbegriffs zu in- terpretieren. Zu diesem Zweck wurden quantitative Ergebnisse in Bezug auf den Grad an Ellipse im Matrixsatz von Irrelevanzprädikaten und Ir- relevanzkonditionalen vorgestellt. Dabei zeigte sich, dass über 70% der untersuchten Matrixsätze bis auf den Irrelevanzausdruck und eventuelle Adverben vollständig elidiert sind. Gut 30% dieser Matrixsätze zeigen in Gestalt des Wegfalls des Kommas die Spuren einer Reanalyse der Kom- bination aus Irrelevanzausdruck und W-Wort zu einem komplexen Sub- junktor. Einen Sonderstatus nehmen die Subjunktoren egal(,) was und (ganz) gleich(,) was ein, da sie beide besonders frequent in desentenzialisier- ten Matrixsätzen vorkommen und die Reanalyse v. a. bei egal häufiger ak- tualisiert wird als bei anderen Irrelevanzausdrücken.

Da im heutigen Deutsch ein syntaktisches Variationsspektrum zwi- schen nicht grammatikalisierten Satzverbindungen mit vollständigem Ir- relevanzprädikat und relativ stark grammatikalisierten Irrelevanzgefügen mit elliptischem Matrixsatz vorliegt, müssen Irrelevanzkonditionale als ein Fall emergenter Grammatik im Sinne von Haspelmath (2002) und Leuschner (2005a, 2006) betrachtet werden. Die Ergebnisse des vorlie- genden Beitrags bestätigen diese Hypothese auch insofern, als deutlich wurde, dass assertionsunterstützende Elemente wie Experiencerausdrü- cke, Modalpartikeln und Satzadverben wichtige Prädiktoren für die An- wesenheit eines Finitums im Matrixsatz darstellen und somit fast nie in elliptischen Matrixsätzen auftreten.

6 Auf die Frage nach der Motivation für die gegenseitige Vorliebe von ganz und gleich sowie auf den Begriff “lexikalisch vollspezifiziert” hat mich eine/r der Gutachter/in- nen aufmerksam gemacht.

(24)

Die durch Desentenzialisierung gebildeten elliptischen Matrixsätze des Typs egal was fungieren im Gegenwartsdeutschen als irrelevanzkonditionale Nebensatzeinleitungen. Oben wurde dafür argumentiert, dass sich solche Subjunktoren strukturell von vollständigen Irrelevanzprädikaten unter- scheiden und somit ein neues Paradigma schematisierter Subjunktoren bilden, das zusätzlichen Regeln unterworfen ist, die vor der Grammatikali- sierung von egal-W-Irrelevanzkonditionalen nicht galten. Für diese Analyse spricht nicht nur die extrem geringe Frequenz von Modalpartikeln und Satzadverben in verblosen Matrixsätzen, sondern auch die Spezialisierung der Irrelevanzausdrücke gleichviel und (ganz) gleich auf elliptische Matrixsätze sowie die Tatsache, dass Irrelevanzausdrücke wie Jacke wie Hose und Banane nur in vollständigen Irrelevanzprädikaten auftreten. Außerdem deutet der gelegentliche Wegfall des Kommas zwischen Irrelevanzausdruck und W- Wort darauf hin, dass die schematische Kombination aus Irrelevanz- ausdruck und W-Wort als ein komplexer Subjunktor reanalysiert worden ist, in dem der Irrelevanzausdruck synchronisch nicht mehr als eine ellipti- sche Variante eines Irrelevanzprädikats behandelt wird. (Ganz) gleich, was bildet ein Beispiel eines solchen komplexen Subjunktors, wobei ganz we- gen dessen verstärkten Auftretens in elliptischen Matrixsätzen mit gleich nicht länger die lexikalische Semantik einer Gradpartikel besitzt, sondern Teil eines schematisierten Subjunktors geworden ist.

Um diese Ergebnisse zu überprüfen, bietet es sich an, die Daten- grundlage der Untersuchung zukünftig um das Paradigma von wer zu er- weitern. Des Weiteren sollten nicht nur Matrixsätze, sondern irrelevanz- konditionale Satzgefüge insgesamt erörtert und dabei auch Ausnahmen von der fehlenden Nebensatzintegration systematisch beschrieben werden.

Zudem wären intensivierende, meist umgangssprachliche Präfixoide wie scheiß- zu behandeln, die eine den Gradpartikeln ähnliche Funktion aus- üben, im vorliegenden Beitrag aber weitgehend ausgeklammert wurden.

Eine weitere Forschungsperspektive, die über die hier vorgestellten Er- gebnisse hinausgeht, besteht schließlich in einer diachronischen Untersu- chung. Eine solche Untersuchung könnte deutlich machen, ob irrelevanz- konditionale Satzgefüge und Subjunktoren tatsächlich in der jüngeren deutschen Sprachgeschichte (laut Leuschner 2006 seit etwa 1800) aus para- taktischen Satzverbindungen entstanden sind, wie es das gegenwarts- sprachliche Variationsspektrum nahelegt, und ob sie im heutigen Deutsch zu weitergehender Grammatikalisierung tendieren. Auch über die funktio- nalen Motivationen der Emergenz universaler Irrelevanzkonditionale könnte die diachronische Perspektive weitere Erkenntnisse liefern.

(25)

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Referenzen

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