• Keine Ergebnisse gefunden

Sie können bauen, ohne den Gürtel enger zu schnallen...

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Sie können bauen, ohne den Gürtel enger zu schnallen... "

Copied!
23
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

Fiktion und Wirklichkeit im Wildwest-Roman

There is something romantic about him. He lives on horseback, as do the Be- douins; he fights on horseback, as did the knights of chivalry, he goes armed with a strange new weapon which he uses ambidextrously and precisley; he swears like a trooper, drinks like a fish, wears clothes like an actor, and fights like a devil. He is gracious to ladies, reserved towards strangers, generous to his friends, and brutal to his enemies. He is cowboy, a typical westerner.1

D e r typische Westerner: ganze Generationen von Amerikanern ha- ben ihn gesucht und bis heute nicht gefunden. Ist es wirklich der C o w - boy? U n d was ist ü b e r h a u p t der Cowboy? In Rundfunk und Fernsehen und auch in der Literatur ist "cowboy" synonym mit drover, wrangler, foreman oder gar gunman.2 U n d wer ist legitimiert, uns eine Antwort auf diese Fragen zu geben? D i e meisten Cowboy-Geschichten, so sagt A n d y Adams (der es wissen m u ß ) , stammen von Leuten, die keine A h - nung vom Leben eines Cowboys haben. Selbst den Virginian Owen W i - sters erleben wir niemals bei der A u s ü b u n g seines eigentlichen Berufs:

er hat offenbar gar nichts mit V i e h zu tun. A b e r : " A cowboy without cattle is comparable to a lord without lands or a master without slaves".3 H a m l i n Garland, so teilt uns A n d y A d a m s mit, sammelte um 1900 in Colorado Material für Westerns. A b e r , so meint Adams, "the west cannot be written from mere observation"4. Seine resignierende Schlußfolgerung ist: D i e Literatur des Westens gibt es noch nicht.

Wenn es sie zu Zeiten A n d y Adams nicht gab (der A r t i k e l stammt aus dem Jahre 1924), so gibt es sie heute auch nicht - und es wird sie nie ge- ben, denn der Wilde Westen ist tot und die fron tier-Tage sind vorbei.

Das w u ß t e schon Owen Wister, der in der Einleitung zu seinem Virgin- ian w e h m ü t i g e ubisunt-Klagen anstimmt: W o ist diese großartige na- türliche Welt, die ich noch erlebte? W o der Reiter, der ü b e r die Prairie preschte? " H e will never come again. H e rides in his historic yesterday.

It is a vanished world. N o journeys, save those which memory can take, will bring you to it n o w " .5 Dennoch betrachtet Wister sein W e r k als h i - storischen R o m a n , denn er selbst hat die dargestellte Welt noch erlebt, und er versucht, sie so getreu wie möglich im W o r t darzustellen: " A n y narrative which presents faithfully a day and a generation is of necessity

(2)

historical; and this one[gemeint ist The Virginian] presents Wyoming between 1874 and 1890".6

Literatur ü b e r den Wilden Westen ist immer echter und authenti- scher als Literatur des Wilden Westens.7 D e r G r u n d dafür liegt auf der Hand: sowie eine Landschaft sich literarisch darstellt, ist sie nicht mehr D o m ä n e des Pioniers, des Jägers oder des Wilden, sondern des Litera- ten. D e r Cowboy schreibt meist nicht, und die shakespearekundigen Virginians werden recht selten gewesen sein. A l l e , die das Leben des Westerners darstellten, stammten aus anderen Kreisen. Buffalo B i l l brauchte einen E . Z . Judson, alias N e d Buntline, um sich zu verbalisie- ren. Selbst wenn die Autoren das Handwerk des Cowboys noch so gut beobachtet und erforscht hatten, so brachten sie doch literarische V o r - stellungen, Schemata und Idiome mit, die dem Cowboy-Leben, der frontier und dem Wilden Westen wie Matrizen übergestülpt wurden und dem Stoff eine F o r m gaben, die von fernher stammte und verfremdend wirkte. Daher ist es eigentlich kein Wunder, d a ß die tägliche Arbeit des Cowboy im Western nur selten eine Rolle spielte - zur großen V e r w u n - derung der Kritiker, die das Brennen der Rinder und Stiere beim round- up genau so faszinierend finden wie ein Rodeo. D e r G r u n d liegt weni- ger darin, d a ß die A u t o r e n sich scheuten darzustellen, was sie nicht ge- nau kannten, als in dem allgemeinen Charakter der Literatur, die immer self conscious ist und sich an einen bestimmten Leserkeis richtet - der

wohl kaum jemals aus Cowboys bestanden hat. Timothy Flin^ kannte den Westen wie kaum ein anderer A u t o r der Zeit; aus seinen Romanen aber ist sicherlich kein zutreffendes B i l d des Westens zu rekonstruieren:

sie wirken unrealistisch und klischeehaft. Ähnlich wie Alexander Pope Windsor Forest mit den Augen der antiken Dichter sah, so schauten die Western-Autoren auf L a n d und Menschen mit den Augen Rousseaus, Byrons, Wordsworths und (natürlich) Coopers. Es wird niemanden ver- wundern, d a ß sich die amerikanische Wildnis nur in den seltensten Fäl- len den romantischen Vorstellungen der S c h w ä r m e r anbequemen wollte; immer wieder prallten Ideal und Wirklichkeit unversöhnlich aufeinander, oft genug innerhalb desselben Werkes. In zahlreichen R o - manen gibt es A n s ä t z e zu realistischer Schilderung von L a n d und L e u - ten; aber weder Pioniere, Trapper, Cowboys noch Indianer entsprachen bei genauerer Prüfung den Vorstellungen des "gentleman of nature"

bzw. des "edlen W i l d e n " .

Viele Kritiker haben daher bedauert, d a ß es so wenige authentische Zeugnisse von Westerners gibt, die selbst dabei waren und genau h ä t t e n beschreiben k ö n n e n , wie es wirklich war. D e m steht im Wege, d a ß die

(3)

Helden selbst zum guten Teil nicht schreiben konnten. A b e r selbst wenn sie es gekonnt hätten, wäre das Ergebnis wahrscheinlich nicht nach dem Geschmack der realitätsbesessenen Kritiker gewesen. Einer der bekanntesten Westerners war K i t Carson. E r war bis zu seinem L e - bensende Analphabet, aber offenbar ein recht gebildeter. Viele Freunde lasen ihm in M u ß e s t u n d e n aus B ü c h e r n vor, darunter auch B e - richte ü b e r den Wilden Westen, die insgesamt sein Mißfallen erregten.

E r stellte jedenfalls des öfteren fest, d a ß nicht ein einziger A u t o r das Leben "along the trail", "the experience of a hunter", "western life"

zutreffend dargestellt habe. Eines Tages las ihm Captain A . W . A r c h i - bald (aus Trinidad, Colorado) den Anfang von Walter Scotts Lady of the Lake vor:

The stag at eve had drunk his fill . . . Immediately he asked me who wrote that and what was the poem. He begged me to find a copy of the entire poem, which I did, and every night for three weeks I read it to him. He regarded it as the finest expression of out door life that he had ever heard, and frequently afterward quoted with genuine approval stanzas from it.8

Ganz ähnlich reagierte K i t Carson auf Byrons Mazeppa, ein Gedicht, das M r s . Fremont ihm vorlesen m u ß t e .

Vielleicht brauchen wir es also gar nicht zu bedauern, d a ß so wenige frühe Westerners zur Feder griffen. Einige authentische Berichte früher Siedler stehen in scharfem Kontrast zu allem, was wir via Western N o v e l vom Wilden Westen wissen. So begegnet uns etwa in den Narratives of the Captivity of Alexander Henry Esq. written by Himself ein gänzlich unheroischer Westerner, der vor den Indianern Angst hat, sich bei ei- nem Angriff auf das Fort versteckt, bereitwillig und ohne Gegenwehr in Gefangenschaft geht und bei der ersten besten Gelegenheit davonläuft.

E i n indianischer Freund nimmt ihn in seinen Wigwam auf. In dem D o r f werden am selbigen Tage sieben W e i ß e getötet; einer wird an Ort und Stelle zerlegt und gesotten. A u c h der indianische Gastgeber der W e i ß e n wird zum M a h l geladen, und er rüstet sich, indem er Teiler und Löffel mitnimmt. Die Bewirtung war reichlich, denn der Indianer bringt vom Schmaus eine gekochte H a n d mit nach Hause. Alexander Henry flieht entsetzt in den W a l d , wo er sich aber sofort verirrt - er ist dem Leben in der Natur offenbar ü b e r h a u p t nicht gewachsen. D r e i Tage irrt er umher, dann findet er durch Zufall wieder zu den Indianern zurück, die ihm später die Heimkehr zu seinen Freunden e r m ö g l i c h e n .1 0

Natürlich k ö n n e n solche und ähnliche Berichte (von denen es zahlrei- che gibt)nicht als typisch für die erste Generation der Siedler im Wilden Westen angesehen werden. M i t Alexander Henry allein hätte es wahr-

(4)

scheinlich keine Eroberung des Westens gegeben. D i e Western-Helden der Literatur sahen anders aus - und die historischen Prototypen wer- den ihnen ähnlicher gewesen sein als Alexander Henry E s q . Timothy Flint schildert sie als

dregs of society who have gone west to become frontiersmen. They . . . were, more or less, imbued with an instinctive fondness for the reckless savage life, al- ternately indolent and laborious, full and fasting, occupied in hunting, fighting, feasting, intriguing, and amours, interdicted by no laws, or difficult morals, or any restraints, but the invisible ones of Indian habit and opinion.1 1

Flint gibt sich also keinen T ä u s c h u n g e n hin bezüglich des Charakters der Siedler. A b e r die mit den Sinnen ergriffene Realität wird doch im- mer wieder durch philosophische Sophismen überlagert. D i e unverbil- dete Natur m u ß einen guten Einfluß auf die physische und moralische Seite des Menschen ausüben, daher ist nach Flint das ländliche Leben dem Stadtleben überlegen. Sein etwas naiver Fortschrittsglaube hört beim Agrarstand auf. D e r größte Vorteil des Mississippi-Tales ist für ihn, d a ß dort alle Menschen vom A c k e r b a u leben.

Selbst bei den literarischen Western-Helden nach Cooper war vom veredelnden Einfluß der Natur zunächst nichts zu spüren. Sie werden von den A u t o r e n als verwilderte polygame Monstren geschildert, die insgesamt die Zivilisation hassen und wie die Tiere ihren niedrigen In- stinkten und Gelüsten leben. A b e r mit der steam-literature (so genannt, weil sie auf Dampfpressen gedruckt wurde) setzte sich ein neues B i l d des Westerner durch. E r war mittlerweile offenbar lange genug in der freien Natur gewesen, um sich zum vornehmen, edlen, wahrhaftigen und generösen Naturmenschen zu l ä u t e r n . D i e wilde Natur hat dafür ge- sorgt, d a ß er alle Laster aufgegeben, alle Tugenden aber erworben hat.

In ständiger Kommunikation mit der Allmutter (wie sie bei Words- worth nicht inniger sein k ö n n t e ) und in fast eremitischer Abgeschlos- senheit von der bösen Welt entwickelt der Westerner das Ideal reinen und edlen Menschentums. Allerdings darf er (zumindest in der Litera- tur) die Tugend nicht ü b e r t r e i b e n , da er sonst in Konkurrenz zu den hei- ligen Eremiten treten würde. V o m Westerner erwartete man helden- hafte Taten, Kampf gegen Indianer und wilde Tiere, Rettung gefange- ner M ä d c h e n etc. E t w a um 1850 war die populäre Abenteuer-Story voll entwickelt. Es gab daneben zwar auch noch unzählige pseudogotische Spukerzählungen u. ä., aber der trend führte eindeutig in den Fernen Westen, zur Western Story.

Im Jahre 1858 traf Erastus Beadle in New Y o r k ein, um dort billige Unterhaltungsromane für die breite Masse der B e v ö l k e r u n g zu druk-

(5)

k e n .1 2 Die Romane wurden für einen Dime (= 10 Cent) verkauft und hießen daher bald dime-novels. Beadle verlegte ab 1860 insgesamt über 300 in der ursprünglichen Serie. D i e durchschnittliche Auflage betrug 30000 Exemplare. D e r Erfolg der Hefte lockte weitere Verleger auf den Plan, die sich einen heftigen Konkurrenzkampf lieferten. Tausende von Titeln erschienen bis 1890 in etwa 30 Serien - alle mit erstaunli- chem Erfolg. Seth Jones von Edward Ellis z.B. erreichte bis 1890 eine Gesamtauflage von 400000 Exemplaren.

Beadle hatte ein neues Publikum entdeckt. Sein Chefredakteur (na- mens Victor) zeigte ein geradezu seismographisches G e s p ü r für das, was ankommen w ü r d e , und gab entsprechende Anweisungen an seine A u t o r e n , die ihre Persönlichkeit aufgeben m u ß t e n , um die W ü n s c h e der Leser zu befriedigen. Beadles Westerns stehen eindeutig in der Tradi- tion von Cooper. D e r H e l d ist häufig ein gütiger, menschlich gereifter J ä g e r ohne festen Wohnsitz, unverheiratet, manchmal schon h ö h e r e n Alters, der mit seiner Büchse tödlich zu treffen weiß, ein ausgezeichne- ter Pfadfinder, der sich im K a m p f M a n n gegen M a n n allen Indianern überlegen zeigt.1 3

A l s Beispiel für dieses Genre nenne ich Seth Jones. M a n kann den Roman auch heute noch mit Anteilnahme und Spannung lesen; ein Vergleich mit dem [stereotypen] Cowboy-Roman fällt in jedem F a l l zu- gunsten von Seth Jones aus. B e d r ü c k e n d empfindet der moderne Leser die primitive S c h w a r z - W e i ß - Z e i c h n u n g der Personen.

Die weißen Siedler sind schlichte, harmlose, gutmütige (wenn auch zivilisationsmüde) Menschen, die R o t h ä u t e dagegen blutgierige, grau- same Barbaren. N u r gut, d a ß die Indianer als Rasse dem weißen M a n n unterlegen sind: " W h e n the Anglosaxon's body is pitted against that of the N o r t h American Indian, it sometimes yields; but when his mind takes the place of contestant, it never loses."1 4 Seth ist ein hundertprozen- tig sicherer Spurenleser, stark wie ein B ä r (einmal gibt er einem India- ner die Hand, d a ß dieser vor Schmerz aufbrüllt), er erträgt mit stoischer Ruhe die Martern der Indianer, bewahrt jederzeit kritische Ü b e r l e g e n - heit und ist so listig wie eine Schlange. Seine etwas r ü d e und vulgäre Ausdrucksweise erweist sich später als Verstellung. D e r green moun- tains boy ist in Wirklichkeit " a scholar and polished gentleman" (S. 94):

" H i s whole appearance was that of the gentleman which he was — a brave soldier, a true-hearted m a n " (S. 120).

Der Trapper entwickelt sich allmählich zum Ideal der Pionierzeit. E r ist immer d r a u ß e n in der freien Natur, weit von der Zivilisation entfernt, verachtet Luxus und Bequemlichkeit, sucht ständig nach neuen A b e n -

(6)

teuern in der Weite des Landes und bereitet so das Feld für die nachfol- genden Siedler. Unschwer erkennt man in diesen Trappern Nachfolger von Coopers D . Boone, der offensichtlich bei hunderten von dime nov- els Pate gestanden hat. Darin ist ein Hauptgrund für den archaischen,

hinter der historischen Entwicklung herhinkenden Charakter dieser L i - teratur zu sehen. So b e n ü t z e n die Helden immer noch die Feuerstein- Flinte, obwohl es längst das sechsschüssige Repetiergewehr gab. Aber natürlich kann diese nach rückwärts gerichtete Grundeinstellung nicht nur auf das literarische V o r b i l d zurückgeführt werden. D e r Western konserviert ganz allgemein eine untergegangene Welt, die in der Ver- gangenheit aufgesucht bzw. konstruiert wird. A u s dem historischen Westerner wird allmählich eine A r t mythischer culture hero. Der alte Jäger weicht dem jüngeren, der weniger auf einen bestimmten Typ f i - xiert ist und als Ahnherr der eigentlichen Western-Helden gilt, von de- nen vor allem Deadwood D i c k und Buffalo B i l l zu nennen sind.

Noch Buffalo B i l l hat vor allem mit entführten damzels in distress zu tun, die er dutzendweise aus den Klauen m o r d l ü s t e r n e r Indianer rettet.

Im Grunde unterscheidet er sich kaum von den Cowboys, seinen unmit- telbaren Nachfahren, die seit etwa 1 8 8 51 5 die W e s t e r n - B ü h n e bevöl- kern. A u c h sie sind zunächst recht ungehobelte und unzivilisierte Bur- schen, barbarisch und grausam und mit geisttötender Arbeit beschäf- tigt. D e r literarische Cowboy bekämpft um die Jahrhundertwende (wie seine literarischen Vorgänger) Indianer, rettet Frauen und zieht gegen Banden zu Feld, hat aber kaum jemals mit V i e h zu tun. D i e Cowboys wurden in die Literatur eingeführt, weil man sie aus der zeitgenössi- schen Wirklichkeit kannte; die Motive und Ereignisse aber entstamm- ten der Cooper-Tradition - sie hinken Jahrzehnte hinter der W i r k l i c h - keit her.

Die geistige Haltung der Cowboy-Romane des 19. Jahrhunderts ist archaisch. Sie weicht der zeitgenössischen Wirklichkeit aus und gestal- tet in der Vergangenheit eine fiktive, romantische Welt, die sich von der Realität immer weiter entfernte. A l l e Cowboys sind im Grunde E n k e l der frühen Rancheros, die in Mexico und den Südstaaten mit der V i e h - zucht begannen. Diese Rancheros wiederum sind keineswegs Söhne der Einwanderer, sondern Nachfahren C h i l d Harolds. A l s Beispiel möchte ich den R o m a n The Mexican Ranchero; or the Maid of the Chapparal von Charles E . A v e r i i i e r w ä h n e n .1 6 D e r amerikanische Protagonist

(7)

heißt Herbert Harold. Sein Gegner ist der mexikanische Rancher, ein Guerilla-General namens Rejon, der trotz Waffenstillstand gegen die amerikanische Invasion weiterkämpft. Rejon und Herbert haben ver- blüffende Ähnlichkeiten mit den Rittern des späten Mittelalters. Beide folgen einem strengen Ehrenkodex, der die A r t der Auseinanderset- zung regelt. So kämpft Rejon nur dann mit der Lanze, wenn der Gegner auch eine hat; er greift zum Schwert, wenn die Lanze des Gegners zer- splittert ist. Wie die Helden bei Malory kämpfen beide "to the utter- aunce", und wie Lancelot und Tristan erkennen sie plötzlich, d a ß sie gleichwertige Gegner sind. Das ist ein völlig ausreichender G r u n d , den K a m p f unentschieden abzubrechen. Beide vertrauen sich in edler A u s - sprache die Familiengeschichte an und entdecken m e r k w ü r d i g e Paral- lelen: Beide haben eine Schwester und einen Bruder verloren, beide sind homeless und orphaned. Diese Entdeckung führt zur Peripetie:

"Stranger American, added the Mexican abruptly, - this strange similar- ity in our fortunes shall make us friends" (S. 10). A b e r schon n ä h e r t sich ein Trupp amerikanischer Dragoner. Rejon galoppiert auf sie zu, entreißt einem Amerikaner das Banner, stößt ihm das Schwert in den Leib und schreibt mit der Spitze des Schwertes und dem Blut des A m e - rikaners, in das er seinen Schwertkiel des öfteren eintaucht, auf das Banner die Worte: Vengeance on the Invader. Diesen Schlachtruf erläu- tert er in längeren Ausführungen, denen alle mit geduldigem Interesse lauschen. Dann kommt es den Dragonern in den Sinn, d a ß sie Feuer- waffen bei sich tragen. Sie schießen fast gleichzeitig eine Salve auf R e - jon, die aber nur die Luft durchlöchert. Dafür aber trifft Rejon mit sei- nem Karabiner, der offenbar zur zusätzlichen ritterlichen A u s r ü s t u n g gehört, den Dragonerleutnant tödlich. D a n n jagt er mit seinem Pferd auf die Stadtmauer und springt auf der anderen Seite herab: " A superb yet fearful picture was that daring Mexican Ranchero, as in that sub- limely terrific attitude horse and rider were for a single moment of time poised above the terrible abyss!" (S. 12) Dieser Satz macht nicht nur auf den modernen Leser Eindruck; auch der A u t o r m u ß davon angetan ge- wesen sein, denn er wiederholt ihn zwei Seiten später (S. 13).

D i e späteren Cowboys hätten von Rejon manches lernen k ö n n e n , denn Rejon reitet ohne Sattel und Steigbügel und auch ohne Z a u m - zeug! " A pat in the neck and a grasp of the mane were all the bold ranch- ero needed to guide that wild steed of the prairie". (S. 13)

Das Leben im Westen wird ebenso romantisch verfremdet wie die kriegerischen Auseinandersetzungen. D e r Wilde Westen sieht dem idyllischen Garten Eden ähnlich, ". . . where hospitality and generous

(8)

feelings, and true warmth of friendship are ever cherished by the frank and liberalminded people" (S. 14). D e m edlen Menschentum der B e - wohner entsprechen Landschaft und M i l i e u . Allerdings w ü r d e es dem Leser nicht gelingen, aus der Schilderung des Autors den zutiefst ro- mantischen Charakter der Landschaft zu erschließen. Daher hilft der A u t o r nach, indem er die Erlebniskategorien expressis verbis mitliefert, und zwar recht häufig in Zwillingsformeln, bestehend aus Adverb und Adjektiv: "wildly romantic", "superbly picturesque", "sublimely thrill- ing", "grandly beautiful".

D e r Einfluß der englischen Romantik, insbesondere Wordsworths, Scotts und Byrons ist nicht zu ü b e r s e h e n - er wirkte nachhaltig auf die gesamte Erzählliteratur des amerikanischen Westens und hat auch den Cowboy-Roman b e e i n f l u ß t .1 7 Manchmal sind romatische Z ü g e auf eth- nische Gruppen im Lande, etwa auf die Spanier zurückgeführt worden.

B e i genauerer Untersuchung ergibt sich aber, d a ß meist ein englischer Romantiker als Vermittler fungierte, im Falle der spanischen Schönheit z.B. Byron, der sich ein Leben lang für die schönen Frauen des spani- schen Typs begeisterte. A u ß e r d e m spielt der Ritterroman, insbeson- dere Cervantes eine bedeutsame Rolle; Timothy Flint bezieht sich recht häufig auf Cervantes. A u c h M r s . Radcliffe hat auf die amerikanische Erzählliteratur des Westens nicht unerheblich eingewirkt.

W i r stehen damit vor dem P h ä n o m e n des Weiterlebens der romance in A m e r i k a . Es ist immer wieder festgestellt worden, d a ß die amerikani- schen E r z ä h l e r die eigene Identität und die Wahrheit nicht in der zeitge- nössischen Umwelt gesucht haben, sondern in der Vergangenheit, der Literatur, den symbolbeladenen Erlebnissen der Kindheit, der heimi- schen Folklore. Daraus ergibt sich der unrealistische, romantische, im eigentlichen Sinn poetische Charakter der amerikanischen Erzähllite- ratur, die zum guten T e i l die Tradition der romance fortsetzt.1 8 Nicht selten versuchen die Autoren, sich ü b e r ihr Verhältnis zur romance R e - chenschaft abzulegen, und dabei stellen sie manchmal fest, d a ß romance etwas ähnliches für sie bedeutet wie die Poesie des Lebens und der N a - tur, im Gegensatz zur Alltagswelt, in der es nur um G e l d und Gut geht.

In Francis Berrian (1826) von Timothy Flint heißt es:

'You matter-of-fact people here in the States, are, I am sensible, inclined either to ridicule romantic feeling and adventure, or, still worse, to view it as having immoral tendencies, and tending to unnerve the mind and unfit it for the severer and more important duties of life.' 'Have no fear upon that score', I cried, 'for I, at least, am not one of them. It is so long since I have heard of nothing but dol- lars and cents, the mere mercenary details of existence, that I languish to be in-

(9)

troduced to another world. I heartily despise the idle declamation against ro- mances, which I so often hear. Poetry and romance are the higher and holier matters of the intellectual world.' (I.12)1 9

Diese Vorliebe für romance fand man damals vor allem unter den Mexikanern und den benachbarten Südweststaatlern, die den Autoren

"a real as well as spiritual ' E l D o r a d o ' " b o t e n .2 0

D i e zu dieser Zeit in England modische Form der romance war die Gothic Novel. Sie hatte zwar um 1820 ihren H ö h e p u n k t längst ü b e r - schritten, lebte aber in der volkstümlichen Unterhaltungsliteratur kräf- tig fort - nicht zuletzt in den sogenannten chap-books, der Triviallitera- tur des 19. Jahrhunderts. Diese A r t von Schauerromantik gab es n a t ü r - lich auch in A m e r i k a .

A b e r wichtiger sind die autochthon amerikanischen Entsprechungen der heimischen Literatur. D i e Autoren setzten sich b e w u ß t ab von der englischen romance, die mittelalterliches Material für die Erregung von Schauder und Schrecken benutzt. A m e r i k a hat ihrer Meinung nach die- sen exotischen Stoff nicht nötig, es besitzt eine heimische Variante des Gothicism. So sagte Charles Borckden Brown im Vorwort zu Edgar Huntly (1799):

One merit the writer may at least claim: that of calling forth the passions and en- gaging the sympathy of the reader by means hitherto unemployed by preceding authors. Puerile superstitions and exploded manners, Gothic castles and chime- ras, are the materials usually employed for this end. The incidents of Indian hostility and the perils of the Western wilderness, are far more suitable; and for the native of America to overlook these would admit of no apology.2 1

Die E n g l ä n d e r also mögen ruhig weiterhin ihre Stoffe und Motive aus dem Mittelalter beziehen - die Amerikaner haben g e n ü g e n d einheimi- sches "gotisches" Material zur Verfügung.

A u f jeden Fall m u ß t e der amerikanische Western-Autor versuchen, seine Helden den in A m e r i k a populären und gängigen Vorstellungen anzupassen, wenn er hoffen wollte, die Massen zu erreichen.2 2 Trotz ge- gensätzlicher Tendenzen in der Tagespresse, den Magazinen und der gelehrten Literatur erwies sich das romantische Ideal des Primitivismus als besonders zugkräftig. D i e Theorie dieser eher emotional als rational ansprechenden Lehre läßt sich dahingehend zusammenfassen, d a ß die früheren Formen der gesellschaftlichen Strukturen in jedem Fall die besseren waren, d a ß die agrarische Gesellschaft der industriellen ü b e r - legen war. D i e moralisch beste F o r m menschlichen Zusammenlebens ist folglich die der unzivilisierten Wilden, die noch im Naturstand leben.

Die freie Natur betrachteten diese Theoretiker als völlig ausreichenden

(10)

Praezeptor und als F ü h r e r zum guten L e b e n . D i e Zivilisation dagegen ist eine Verfallsstufe menschlichen Zusammenlebens; sie führt zu W o h l - leben, Luxus, Verweichlichung und Krankheit und auf geistigem Gebiet zu Degeneration und unnatürlicher S o p h i s t i k .2 3

Es gilt jedoch den Eindruck zu vermeiden, der C o w b o y habe sich in seiner literarischen Entwicklung zum lichten Vatersymbol emporge- steigert und throne nun zur Rechten von Helden und Heiligen. Denn neben der idealisierenden Tendenz, die sicherlich auf eine solche Figur abzielt, gibt es auch die ebenso einflußreiche "bad man"-Tradition, die immer wieder einige dunkle Farbtupfer in das recht idealistische B i l d mischte und für Abstufungen, wenn nicht gar für individualisierende Nuancierung sorgte. D e r rousseauistischen These vom guten Wilden und von der veredelnden Einwirkung der Allmutter Natur auf den Menschen trat bald die entgegengesetzte These der Verwilderung des Menschen a u ß e r h a l b des Einflusses der Zivilisation g e g e n ü b e r :

The Philosopher who speaks with delight, of the original simplicity, and primi- tive innocence of mankind, may here learn, that man, uncivilized and barba- rous, is even worse than the most ferocious wolf or panther of the forest.24

Diese Feststellung bezieht sich auf die Indianer, sie wurde aber in der Folgezeit auch auf Cowboys angewendet. D i e historischen Berichte über Cowboys im Wilden Westen n ä h r e n den Verdacht, d a ß die solcherart charakterisierten Cowboys der Wirklichkeit n ä h e r verwandt sind als die heroischen Vatertypen. C o w b o y bedeutete w ä h r e n d der mittleren Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts im Westen so viel wie V i e h - dieb, R ä u b e r , Betrüger oder gunman. In Texas haben sich diese Bedeu- tungskonnotationen des Wortes Cowboy besonders lange gehalten. In den Jahren nach der texanischen Revolution b e k ä m p f t e n sich mexika- nische und texanische Banden von herdsmen und cowboys, die sich ge- genseitig Viehherden stahlen und e n t f ü h r t e n und einen erbitterten Guerillakrieg führten. Cowboy war für die B e v ö l k e r u n g synonym mit Bandit.

This term, "cowboy", was even then - and still more emphatically later - one name for many crimes; since those engaged in it were mostly outlaws confess- edly, and if not so at the beginning, were driven into outlawry by the harsh and stern contingencies of their pursuit, which, as it was in violation of all law, com- pelled them frequently into the most heinous crimes, to protect themselves from entailed consequences.25

Diese A r t Cowboy hat sich in der Literatur nicht erhalten, wohl aber hören wir Klagen über ihn von Zeitgenossen, die unter ihm zu leiden hatten. Sie sind (nach Ansicht eines Beobachters in den achtziger Jah-

(11)

ren) "eine Landplage des Westens, zu faul, in den M i n e n oder auf der F a r m zu arbeiten, so gut wie ständig betrunken und ein Schrecken für die friedlichen E i n w o h n e r "2 6.

A u c h die entgegengesetzten Ä u ß e r u n g e n ü b e r den Cowboy bewei- sen dessen schlechten Ruf. Sie sind von zahlreichen ahnenstolzen A m e - rikanern gesammelt worden und daher leicht z u g ä n g l i c h .2 7 Schon die Zeitgenossen der texanischen Cowboys (zur Zeit der großen V i e h - triebe) glaubten, die Leute mit dem breiten Hut und dem six-gun in Schutz nehmen zu müssen gegen Verleumdungen:"It is not fair to be- smear the name of the cowboy with the deeds of every outlaw in the c o u n t r y "2 8. D e r B ü r g e r m e i s t e r von Dodge City sagte zur Zeit des "bo- vine heyday": "There are less cutthoats and murderers graduated from the cowboy than from the better c l a s s "2 9.

Die Kontroversen der Kulturhistoriker waren für das B i l d des C o w - boy in der Literatur aber nicht ausschlaggebend. E i n e bedeutendere Rolle spielt der M y t h i s i e r u n g s p r o z e ß der Volksüberlieferung, der durch B a l l a d e n s ä n g e r , Dichter und E r z ä h l e r in Gang gesetzt wurde. Sie entfernten sich ständig weiter von der historischen Wirklichkeit, indem sie auch die negativen Z ü g e des cattleman umstilisierten. D e r cowboy outlaw wurde ü b e r r a s c h e n d e r w e i s e zum amerikanischen R o b i n H o o d , und zwar bei Biographen und F o l k l o r i s t e n .3 0 Selbst ausgesprochene Verbrecher wie der Cowboy B i l l y the K i d gingen auf diese Weise in die Volkssagen e i n .3 1

Was aber hat ein solcher Verbrecher mit R o b i n H o o d zu tun? Wieso wird ein A m e r i k a n e r des 19. Jahrhunderts mit einem mittelalterlichen Volkshelden verglichen? Theodore Roosevelt gab die Antwort: W e i l in A m e r i k a dieselben Bedingungen für die Entstehung der Volksballaden vorherrschten wie im mittelalterlichen England. Gerechtigkeit und G e - setz waren in A m e r i k a zu dieser Zeit nicht dasselbe. Oft wurde das G e - setz als Werkzeug von Banden zum Unrecht, und die Leidtragenden waren meist die unteren Volksschichten. Jesse James raubte G e l d ü b e r - all da, wo er es bekommen konnte, und das war sicherlich nicht in den Armenvierteln der S t ä d t e der Fall. Daher wurde er zum Champion der sozial und wirtschaftlich U n t e r d r ü c k t e n . So wie im Mittelalter Robin H o o d gegen den korrupten Klerus und den A d e l kämpfte, um dem klei- nen M a n n helfen zu k ö n n e n , so war Jesse James (wenn nicht in W i r k - lichkeit, so doch zumindest in der Ballade) ein Freund der A r m e n und B e d r ä n g t e n . E r wurde zum volkstümlich mythischen Helden, dessen l i -

(12)

terarisches B i l d schließlich nichts mehr mit der Wirklichkeit des schäbi- gen, brutalen M ö r d e r s und R ä u b e r s zu tun hatte. D e r P r o z e ß der Ent- stehung heroischer Literatur ist in A m e r i k a aus nächster N ä h e zu ver- folgen. W ä h r e n d wir ü b e r R o b i n H o o d als historische Gestalt so gut wie nichts wissen, kennen wir sämtliche Fakten und Daten der Biographie Jesse James und W i l l i a m H . Bonneys (Billy the K i d ) .3 2

A l l e wesentlichen Elemente der Robin-Hood-Legende passen nicht zu dem historischen B i l d der Ü b e l t ä t e r . Sie schössen keineswegs nur zur Selbstverteidigung, wurden nicht durch Verwandte verraten, nahmen das G e l d , wo sie es bekommen konnten, und zwar nicht nur von R e i - chen, gaben vom Geraubten niemals den A r m e n etwas ab und kannten keine edlen Herzensregungen. A b e r selbst als Verbrecher sind sie in der Dichtung dramatis personae im Kampf gegen Korruption und Unge- rechtigkeit. E s ist sicherlich m e r k w ü r d i g , wenn nicht gar absurd, d a ß ausgerechnet Verbrecher zum Helden des Kampfes für eine bessere Welt gemacht werden. A b e r gerade darin zeigt sich die gestaltende, um- formende Kraft der Volksüberlieferung, die selbst das widerstrebendste Material vorgeformten Mustern und Modellen anpaßt.

D i e Gesetzlosigkeit des Cowboy bzw. seine moralische Autonomie a u ß e r h a l b des Gesetzes g e h ö r t seit dem 19. Jahrhundert zum B i l d des Cowboy in der Literatur. Dieser Aspekt seines Wesens hat vor allem für den freiheitsliebenden A m e r i k a n e r von jeher einen besonderen R e i z gehabt. W i r finden Parallelen im amerikanischen Kriminalroman (tough guy'-novel), wo der Detektiv nicht selten selbst Verbrecher ist, zu- mindest aber das Gesetz in die eigene H a n d nimmt, sich nicht auf den Sheriff oder die Polizei verläßt, sondern auf den eigenen Verstand, die eigenen F ä u s t e und den eigenen Colt 3 3

Der epische P r o z e ß , der den Cowboy der modernen Literatur schuf, ist dem Literaturwissenschaftler wohlbekannt: die Imagination des Volkes formt die historisch bekannten Fakten ständig nach dem Leit- bild eines Mythos um und reicht den einmal geschaffenen/o//:-/zero zur weiteren V e r v o l l k o m m n u n g an die nächsten Generationen weiter. Das Leitbild aber ist, wie mehrere K r i t i k e r festgestellt haben, dem E h r e n k o - dex des mittelalterlichen Ritters typologisch ä h n l i c h .3 4 Der Cowboy un- terzieht sich einem Initiationstest und wird danach von den anderen als gleichrangig anerkannt. E r sucht Abenteuer, setzt sich für Schwache und Entrechtete ein - insbesondere für damzels in distress - , ist seinem Herrn treu ergeben und setzt für ihn sogar sein Leben aufs Spiel. E r führt ein moralisch untadeliges Leben, achtet Frauen, heiratet aber nicht. Sexuelle Beziehungen zum anderen Geschlecht kann man h ö c h -

(13)

stens erahnen — es wird d a r ü b e r im klassischen Western kein Wort ver- loren. V o r notwendigen Auseinandersetzungen schreckt der Cowboy nicht zurück. D e m ü b e r w u n d e n e n Gegner g e g e n ü b e r ist er höflich und sogar hilfreich ("parcere subjectis"). E r steht auf der Seite von Recht und Ordnung, v e r s c h m ä h t g r o ß e Worte und bietet seine Hilfe ungefragt an. B e i all dem ist er auf sich allein gestellt wie der mittelalterliche Ritter auf der Quest.

Der C o w b o y wurde also mit allen Eigenschaften ausgestattet, die der Volksheld braucht. V o r allem gab man ihm die k o m p l e m e n t ä r e n E i g e n - schaften der prowess und der cleverness.35 D'ieprowess g e h ö r t e schon zu den ritterlichen Tugenden des Mittelalters. Ihre Wurzel hatte sie im ger- manischen Ideal der Tapferkeit und Treue, die beide im Ehrgefühl be- g r ü n d e t sind. Z u r prowess ge hört e die trouthe, zur fortitudo die discre- tio. Gerade die discretio spielte für den Cowboy eine g r o ß e R o l l e . Zwar wurde von ihm keine stoische Selbstbeherrschung verlangt, aber zumin- dest doch mesure (= M a ß h a l t e n ) in Z o r n , Stolz und L i e b e . A u c h die Treue gehört zu den Kardinaltugenden des Westerner. D e r Cowboy, der sein Wort " v e r p f ä n d e t " hat, ist dadurch genau so stark gebunden wie der germanische Gefolgsmann an den Lehnsherrn. D i e prowess ist eine aristokratische Eigenschaft, denn sie fragt nicht nach materiellem Gewinn, sie beruht nicht auf einem Kontrakt und ist letztlich auf den zentralen Wert der Ehre hingeordnet. Diese idealistische Haltung dem Leben g e g e n ü b e r setzt ö k o n o m i s c h e Sicherheit voraus bzw. ignoriert materielle Fragen.

D e m C o w b o y eignen also quixotische Z ü g e ; er bewegt sich als Idea- list in einer Welt, die materialistisch eingestellt ist. A b e r er scheitert dennoch nicht, da er auch Tugenden besitzt, die seinem Stand besser an- gemessen sind. Dazu gehört vor allem die cleverness, eine typische un- derdog -Tugend. Sie verhalf dem sozial Tiefstehenden zum Uberleben, sie setzte gegen das zur völligen A b h ä n g i g k e i t tendierende Ideal des Herrendienstes den Stolz der Selbstbehauptung und der geistigen U n - abhängigkeit, sie machte den zeitgenössischen fahrenden Ritter zum Helden der unteren Volksschichten, zum Individualisten.

D e r C o w b o y gehört also an die Seite des Heroen aus E p o s und L e - gende, neben Odysseus, R o b i n H o o d und Lancelot. D a r ü b e r hinaus aber m u ß es noch weitere G r ü n d e für den Respons geben, den er in aller Welt ausgelöst hat, und das kann nicht "pride and interest in ancestors"

s e i n .3 6 W i e w ä r e es sonst zu e r k l ä r e n , d a ß die jungen Burschen in T o k i o

(14)

heute mit Cowboystiefeln und Lederjacken herumlaufen, wieso spiel- ten sonst Kinder in aller Welt mit Colt und Lasso?

Das liegt nicht zuletzt daran, d a ß die Helden des Western als archety- pische Gestalten universale Gültigkeit besitzen, d a ß sie vergleichbar den kosmogonischen Helden eine ahistorische und ethnisch nicht limi- tierte Konstanz aufweisen. Damit ist weder behauptet, d a ß der W e - stern-Autor eine b e w u ß t mythisierende bzw. kosmogonische G e - schichte schreibt, noch das der Leser die mythologischen Korrelate er- kennt oder gar Westerns ihretwillen liest. Selbst die Heldensage der Vergangenheit war nicht von Anfang an als Mythos konzipiert. Das ge- schichtliche Ereignis wird erst dann zum Mythos, wenn sich das A k z i - dentelle und Einmalige in der Überlieferung oder Neugestaltung abge- schliffen hat und die Konturen des Archetypischen sichtbar werden.

Ganz ähnlich sieht es beim Wildwestroman aus; als der Cowboy zum er- sten M a l im amerikanischen Roman auftrat, hatte er kaum Ähnlichkei- ten mit seinen Nachfahren im 20. Jahrhundert. U m 1885 gab es weder den typischen Cowboy (d.h. den Cowboy als typisierte, wiedererkenn- bare Gestalt mit bestimmten Merkmalen und Attributen), noch die ty- pische dime-novel. Erst Prentiss Ingraham und William G . Patten be- g r ü n d e t e n den heute noch aktuellen T y p des literarischen Cowboy, und zwar durch Anleihen beim mittelalterlichen Ritter (Ingraham) sowie durch Stilisierung und Simplifizierung zum Volkshelden (Patten).3 7 D a ß heute sehr viel mehr Menschen Wildwestromane lesen als im M i t - telalter Ritterromane, liegt daran, d a ß Pergament damals teuer war und d a ß nur wenige Menschen lesen konnten. D i e Wunschbilder aber waren damals den heutigen recht ähnlich, wie uns die zahlreichen Versroman- zen beweisen, und offenbar wurde der damalige Leser auch hinsichtlich der Ursachen seiner Unzufriedenheit mit der Wirklichkeit in die Irre geführt, d. h., er wurde "manipuliert".

D a ß der Trieb nach Spannung und Erlebnis, nach dem starken aufre- genden Eindruck normal und gesund ist, w ü r d e n Pädagogen heute kaum noch bestreiten. D e n Psychologen ist klar, warum volkstümliche Literatur eine gewisse Vorliebe für Typen, Extreme, einfache Handlun- gen, Wiederholungen und ausgleichende Gerechtigkeit hat, lauter In- halts- und Ausdrucksformen, die Charlotte B ü h l e r bestimmten Phasen der Entwicklung des Jugendlichen zuordnet3 8, die aber gleichermaßen typisch für volksläufige Literatur s i n d .3 9 Gerade anonyme Unterhal- tungsbücher spiegeln die nur zum Teil auf Sozialisation z u r ü c k g e h e n - den seelischen Veranlagungen und Bedürfnisse, die unterhalb der B e - wußtseinsschwelle liegenden Strebungen von anima und damit einen

(15)

kollektiven seelischen Habitus, der pädagogisch nur schwer erreichbar ist.

D i e Einförmigkeit der vielen tausend Western in Rundfunk, Film und Fernsehen ist nicht zuletzt auf diesen seelischen Habitus zurückzufüh- ren. Seit der Cowboy aus der Wirklichkeit des cattle-country ver- schwand, reitet er ü b e r die Prairie der Imagination von Millionen Städ- tern (fast ausschließlich männlichen Geschlechts)4 0, und es sieht nicht so aus, als sei die Gattung zu baldigem Absterben verurteilt.

D e r historische Kampf an der amerikanischen frontier ist für die psy- chologisch bzw. psychoanalytisch geschulten Kritiker nur ein relativ un- bedeutendes Vordergrundgeschehen, das enigmatisch verrätselt eine ganz andere Auseinandersetzung widerspiegelt, nämlich den K a m p f je- des einzelnen Menschen um Frieden und Ausgeglichenheit auf dem Schlachtfeld der eigenen Seele.4 1 D i e psychoökonomische Funktion des Western w ä r e danach der des Traums ähnlich, in dem Ereignisse, E r l e b - nisse und Probleme - auch ins U n b e w u ß t e a b g e d r ä n g t e - auf verkürzte A r t gelöst werden. Kupiert werden alle Einzelheiten ( C h a r a k t e r z ü g e , V o r g ä n g e , Z ü g e der Umgebung, der Landschaft, des Milieus), die nicht unmittelbar mit dem Problem in Verbindung stehen. Im Western haben wir es - wie im Traum - nicht mit dem realistisch-geschauten/rom/er- man der amerikanischen Pionierzeit zu tun, sondern mit dem abstrakten Helden. D e r Cowboy (dieser A r t Literatur) ist nicht im A m e r i k a des vergangenen Jahrhunderts zu Hause, sondern spielt die archetypische Rolle des Sohnes, der sich gegen seinen Vater und die feindliche U m - welt durchsetzt und seinen Platz im Leben findet. D e r Cowboy handelt stellvertretend für das Millionenheer von männlichen Westernlesern, die ihr E g o u n t e r b e w u ß t in Analogie zu dem des Helden setzen.

Die einzelnen Ereignisse des Western sind von Psychoanalytikern auf subtile Weise gedeutet worden. D i e psychischen Analoga sind minde- stens so evident bzw. so dubios wie die der Traumdeutung. So bedeutet z. B . der Rancher ein Vater-Surrogat, der Bösewicht ist der schlechte Vater, die Rettung des M ä d c h e n s Wiedergutmachung des Inzests des Ranchers mit der Tochter, das Pferd des Helden ist narzistisch ü b e r b e - werteter Phallus — nach anderer (mir sehr viel ü b e r z e u g e n d e r vorkom- mender Deutung) weibliches Geschlechtssymbol. D i e ideale Mutter ist entweder die unschuldige Tochter des Ranchers oder die Schullehrerin;

Frauen in Saloons dagegen entsprechen dem Typ der " b ö s e n " Mutter.

Bemerkenswert scheint mir jedoch, d a ß sich auf den bekanntesten Ranches in Fernsehen und Literatur ü b e r h a u p t keine Frauen befinden.

Der Western ist eben vor allem Therapeutikum für das männliche G e -

(16)

schlecht, die Warnung des archetypischen Sohnes richtet sich an das männliche Geschlecht: "These are your dangerous inclinations! These are the dread consequences! But here are some possible solutions!"4 2 Die " L ö s u n g e n " jedoch sind nicht recht zu erkennen. Im Western kehrt der H e l d nach Erledigung des selbstgestellten Auftrags in das frauen- und freudenlose Heim zurück. Das Abenteuer war nur ein kurzes, ephemeres Ereignis, hat aber den Helden nicht verändert, seine Pro- bleme nicht gelöst. Daher bedeutet die R ü c k k e h r auch nicht, d a ß ent- wicklungspsychologisch Entscheidendes vor sich gegangen ist. V i e l - mehr ist der H e l d gleich nach A b s c h l u ß des Abenteuers bereit für ein neues, ähnliches - und mit ihm der Leser. D i e Psychoanalytiker halten es daher für bedenklich, wenn auch der Erwachsene immer noch W e - stern liest, denn eine solche Bindung beweist psychosexuelle Unreife oder das Vorhandensein ungelöster emotionaler Probleme. D a r ü b e r braucht der Western-Freund sich nicht zu g r ä m e n ; auch bei Psychoana- lytikern wird es wohl strittig sein, ob Literatur dieser A r t nur eine The- rapie für Pubertierende ist.

Die psychoanalytischen Deutungen haben bei den Literaturwissen- schaftlern nur ein geringes Echo gefunden, waren jedoch für die E n t - wicklung des Genre von Bedeutung und leiteten neue Tendenzen ein.

V o n Charlie Chaplin wird gesagt, er habe erst von Kritikern erfahren, wie tief seine Darstellungskunst sei, und daraufhin habe ersieh selbst i n - tellektuell mit den geistigen Problemen der Schauspielkunst beschäf- tigt. Ähnliches ist auf dem Gebiet der Western Novel zu beobachten.

M e h r und mehr dringt eine b e w u ß t e , teilweise gar aufdringliche Symbo- lik in den Western ein, Analogien werden expressis verbis zum A u s - druck gebracht, moderne Cowboys zu mythologischen Helden umstili- siert - in der Literatur wie in Film und Fernsehen. D . H . Lawrence sah schon 1923 in Natty Bumppo aus Coopers Lederstrumpfeine A r t Odys- seus, wie ü b e r h a u p t die frühe Landnahme recht häufig zu den bekann- ten Mythen in Parallele gesetzt w u r d e .4 3

Im modernen amerikanischen Western mehren sich die mythologi- schen Cowboys. Jack Schaefers Shane z . B . ist eine Gott-Vater-Figur.

E r kommt im romantischen C o w b o y - K o s t ü m auf einer kleinen Farm an, wo er sich als Arbeiter verdingt. Niemand weiß, woher er stammt. Es gibt G e r ü c h t e , nach denen er in einem anderen T e i l des Landes ein be- r ü h m t e r Revolverheld war. E r will aber mit dem Schießzeug nichts mehr zu tun haben, ölt seine Colts ein und verstaut sie im Schrank. B a l d aber wird die Farm von räuberischen Nachbarn und Banditen heimge- sucht. E i n gedungener M ö r d e r erschießt einen Farmer. Keiner wagt,

(17)

dem Terror entgegenzutreten; die meisten wollen aufgeben und weg- ziehen. Shane aber legt sein Arbeitsdrillich ab, zieht die Cowboy-Hosen an, holt den Six-shooter, den er für immer glaubte beiseite gelegt zu ha- ben und erschießt den Mörder. Danach m u ß er das L a n d verlassen - nicht, weil ihm das befohlen wird, sondern weil er wieder getötet hat, weil es wiederum nötig war, gegen das Unrecht zu Felde zu ziehen, die eigene Ruhe, das eigene Glück zugunsten der Mitmenschen zu opfern.

Shane reitet wieder hinaus ins Unbekannte, woher er auch kam.

Der H e l d wird aus der Perspektive eines kleinen Jungen geschildert, der ihn anbetet und bewundert. Erst durch diese Blickrichtung von un- ten nach oben kommt der Eindruck von Shanes Göttlichkeit zustande.

A b e r Shane ist ein leidender Gott - sein Schicksal ist es, sich immer wie- der für die Gemeinschaft zu opfern.

Daraus ergeben sich wichtige Schlußfolgerungen für die dargestellte historische und gesellschaftliche Wirklichkeit. D e r normale Mensch ist offenbar nicht mehr in der Lage, seine Freiheit und Selbständigkeit zu verteidigen: Shane schlägt den Vater seines kleinen Bewunderers Joey o h n m ä c h t i g , um zu verhindern, d a ß der im Umgang mit Waffen unge- übte M a n n sich den übermächtigen Verbrechern zu aussichtslosem Kampf stellt. Die Bösen sind in der Ubermacht, die Auflehnung gegen sie nahezu sinnlos - wenn es nicht Shane gäbe. Diese Auffassung kann man nicht optimistisch nennen. M a n spürt geradezu die l ä h m e n d e Furcht vor der Ü b e r m a c h t der Gewalt, das Bewußtsein, den M ä c h t e n der Dunkelheit ausgeliefert zu s e i n .4 4 Eine ganz ähnliche Situation und A t m o s p h ä r e finden wir in High Noon. V o r den herannahenden R ä u - bern und Banditen erstarrt eine ganze Stadt in Furcht und Schrecken.

Nur der Sheriff bewahrt Besonnenheit und Haltung, obwohl seine junge Frau, eine Q u ä k e r i n , aufgrund ihrer religiösen Haltung jede bewaffnete Auseinandersetzung ablehnt und ihn verlassen will. Erst im letzten A u - genblick wird ihr klar, d a ß sie auch g e g e n ü b e r der Gerechtigkeit ver- pflichtet ist. Pazifismus, so lautet die Moral von High Noon, ist eine gute Sache; aber unter bestimmten U m s t ä n d e n ist es nötig und moralisch, sich zu verteidigen, und zwar mit der Waffe und bis zum äußersten.

Es ist evident, d a ß diese Westerns aus der amerikanischen Nach- kriegssituation zu verstehen sind, d a ß Korea und Vietnam ihre Spuren hinterlassen haben. Vorbei ist es mit der fröhlichen U n b e k ü m m e r t h e i t dem Gegner gegenüber, Beleidigung, Diebstahl, Raub genügen nicht mehr als G r u n d , einen Menschen abzuschießen - selbst bei unmittelba- rer Bedrohung des eigenen Lebens wird noch ü b e r die Berechtigung des Waffengebrauchs reflektiert. Damit ist ein guter Teil der ursprüngli-

(18)

chen Selbstsicherheit und naiven Heiterkeit des Cowboys verloren ge- gangen. Waren ursprünglich Recht und Unrecht durch A b g r ü n d e von- einander getrennt und jeglicher Reflexion enthoben, so wird nunmehr sogar die eigene, nach allen Kriterien legitime Position problematisiert.

Besonders wesentlich scheint, d a ß der normale Sterbliche sich des B ö - sen kaum noch erwehren kann, und d a ß zur Rettung eine A r t Halbgott b e m ü h t werden m u ß . D i e Auffassung von Mensch und Gesellschaft nä- hert sich einem extremen Skeptizismus, wie etwa im Oxbow-Incident von Walter V a n Tilburg Clark (1947), wo alle Personen nur als Teil des M o b gesehen werden und die Umgebung, das M i l i e u , die Gesellschaft eine fast deterministische Herrschaft ü b e r das Individuum a u s ü b e n .4 5

*

D e r Wildwest-Roman gehört zur volkstümlichen Literatur, wie uns die Auflagenziffern beweisen. D e r Begriff " v o l k s t ü m l i c h " bedarf na- türlich der Definition. Ich beziehe ihn nicht auf eine soziologisch leicht festlegbare Gruppe von Menschen und benutze ihn auch nicht im Her- derschen Sinne (als Bezeichnung für etwas Wesenhaftes und U r s p r ü n g - liches, gekennzeichnet durch innere N ä h e zum V o l k und damit zum U r - sprung). Ich gehe vielmehr von der Hypothese aus, d a ß wir etwa den K r i m i n a l - und den Wildwestroman als nicht schichtenspezifische, volk- stümliche Literatur anzusehen haben. D i e Wildwest-Hefte werden of- fenbar von einem soziologisch anderen Publikum gelesen. A b e r die Grenzen sind doch nur schwer zu ziehen, wie man vor allem anhand der Fernsehwestern sehen kann: sie haben mit Sicherheit kein soziologisch bestimmbares Publikum, sondern sprechen alle Schichten an - vom Hilfsarbeiter bis zum Generaldirektor.

E s ist daher m . E . falsch, wenn man die minderwertige Qualität des Wildwest-Romans auf die Unfähigkeit der Massen, Kompliziertes zu verstehen, zurückführt, wie A d o r n o das tut. D i e Massen lesen primitive B ü c h e r , so sagt A d o r n o , weil man sie von der Bildung ausgeschlossen und daher zu geschmacklicher Primitivität verurteilt hat. In ihrer soge- nannten Freizeit sind sie kaum fähig, anderes aufzufassen, als was dem A r b e i t s p r o z e ß gleicht. D e r H a ß auf das Komplizierte birgt als innerstes Geheimnis die E m p ö r u n g d a r ü b e r , d a ß man es sich verbieten m u ß .4 6 Diese These ist sicherlich falsch. D e r Arbeiter sieht nicht deshalb z ä h n e k n i r s c h e n d einen Western, weil er kompliziertere Kost zu seinem Leidwesen nicht verdauen kann, sondern er sitzt sozusagen A r m in A r m mit dem höchst gebildeten Generaldirektor vor dem Fernsehschirm und genießt die Unterhaltung aus demselben G r u n d wie jener: weil er T r i -

(19)

vialunterhaltung und keine Probleme will, weil er Entspannung und nicht geistige Anstrengung sucht, kurz: weil er angenehm und spannend unterhalten werden m ö c h t e .

Parteilichkeit für den Western hat offenbar nicht p r i m ä r mit dem B i l - dungsstand zu tun, sondern mit einem allgemein-menschlichen Wunsch nach Glück. Für die Hochliteratur, d a r ü b e r belehrt uns A d o r n o , gilt G i ü c k s v e r b o t . In der Trivialliteratur aber, so sagt Weinrich, gibt es ge- radezu einen Zwang zum glücklichen V e r l a u f der Geschichte. Natürlich liegt nicht zuletzt darin das Geheimnis ihres Erfolges. Ä h n l i c h e s gilt für den Wildwest-Roman, nur geht es da wohl weniger um Glück als um Ordnung und Gerechtigkeit. Jens U l r i c h Davids schreibt: " D i e der V e r - ä n d e r u n g bedürftigen Verhältnisse im Western erzeugen kein Bedürf- nis nach V e r ä n d e r u n g " (S. 256). Das ist eine geradezu absurde Behaup- tung. D i e Fernsehzuschauer und Wildwest-Roman-Leser wissen gleich zu Beginn, wer der B ö s e ist, und sie erleben immer mit Anteilnahme und Zustimmung dessen Bestrafung. Es ist wie im M ä r c h e n : der Gute siegt, der Böse wird bestraft, die gestörte Ordnung wird wiederherge- stellt. D e r Leser bleibt Zuschauer, aber er ist nicht unbeteiligt, denn er bezieht alle Vorgänge auf sich selbst. D e r H e l d handelt stellvertretend für ihn, daher erlebt der Leser auch eine A r t Katharsis - eine Ersatzka- tharsis zwar, da er ja nicht selbst handelnd und leidend tätig ist, aber das gilt auch für das griechische Trauerspiel, anhand dessen der Begriff K a - tharsis formuliert wurde.

*

Es ist noch nicht lange her, d a ß Bernard D e V o t o feststellen konnte:

.. if a professor were to turn literary critic and give serious attention to a Western, he would run the risk of being called up for discipline before the board of governors"4 7. In Deutschland hätte man vor etwa zwanzig Jahren wohl keine Disziplinierung durch das Kultusministerium ris- kiert, wohl aber sein Ansehen als seriöser Literaturwissenschaftler aufs Spiel gesetzt. In A m e r i k a hatte man die Landnahme lange Zeit als eine A r t Kreuzzug angesehen, den K a m p f gegen die Indianer als heiligen Krieg gegen Aberglauben, Unwissenheit und R ü c k s t ä n d i g k e i t . D i e P o - litiker bezeichneten die Vertreibung der Indianer als eine notwendige, ja sogar lobenswerte M a ß n a h m e , G e n e r ä l e rieten zur völligen A u s l ö - schung der barbarischen (unzuverlässigen) I n d i a n e r v ö l k e r , Prediger und Priester glorifizierten die E r o b e r u n g des Landes und die V e r t r e i - bung der Indianer als eine Gott wohlgefällige Tat der von ihm selbst auserwählten angelsächsischen R a s s e .4 8

(20)

Das D e Voto Zitat ist Ergebnis eines geistigen Wandels, der sich Ende der dreißiger Jahre dieses Jahrhunderts in A m e r i k a anbahnte.

Die Entwicklung begann bei den Historikern, die sich kritisch mit dem frontier-Mythos auseinandersetzten und seine Unvereinbarkeit mit den G r u n d s ä t z e n der industriellen Gesellschaft und dem amerikanischen Credo der Gleichheit aller Menschen vor dem Gesetz darstellten. West- ern history, bis dahin Stolz aller Amerikaner, auch der Akademiker, wurde an den Katzentisch verbannt. Sie verschwand praktisch aus den Curricula der Schulen und Universitäten. "Western history came to be called provincial, colonial, antiquarian, superficial or just plain 'cow- boys and Indians' "4 9. D i e Cowboy-Romane hatten sich niemals der Beachtung seitens der Literaturwissenschaftler r ü h m e n k ö n n e n ; allen- falls gestattete man dem Volkskundler die Beschäftigung mit diesem su- spekten Genre.

Ebenso wie sich das B i l d des Indianers in der Literatur geändert hat - er wird nun eher als Individuum, als Mensch gesehen - so hat sich auch das Verhältnis zur Western Literatur allmählich gewandelt. Sie ist zwar nicht en bloc ästhetisch aufgewertet worden, gilt aber doch zunehmend als legitimer Gegenstand literaturwissenschaftlicher (bzw. literaturso- ziologischer) Forschung. Das trifft besonders auf die sogenannten pro- blem westerns zu, die sich vom stereotypen Cowboy-Roman immer wei- ter entfernen. E a r l Pomroy riet den Western-Autoren schon vor fünf- zehn Jahren, sie sollten den intellektuellen Wert ihrer Werke berei- chern durch die Darstellung der institutionellen und kulturellen K o n t i - nuität des Westens.5 0 D i e Autoren scheinen darauf zu reagieren. Jeden- falls sieht es so aus, als hätten wir im zukünftigen Western ein zutreffen- deres B i l d der frontier und des Lebens im Westen zu erwarten.

Regensburg Karl Heinz. Göller

(21)

Anmerkungen

1 Walter Prescott Webb, The Great Plains (Boston, 1931), S. 496.

2 Nach: Robert W. DuBose, Jr. "Updating the Cowboy", Southern Folklore Quarterly 26 (1962), 187, Anm. 1.

3 Andy Adams, ''Western Interpreters", Southwest Review 10 (1924), 71.

4 Ebd., S. 72.

5 Owen Wister, The Virginian. A Horseman on the Plains (New York, 1902), S. VIII.

6 Ebd.

7 Vgl. zum folgenden: Percy H . Boynton, The Rediscovery of the Frontier (Chicago, 1931), S. 34 ff.

8 Edwin L. Sabin, Kit Carson Days, 1809-1868. Adventures in the Path of Empire, 2 vols. (New York,2 1935), S. 817.

9 Western Scenes and Reminiscences together with Thrilling Legends and Traditions of the Red Men of the Forest (Auburn, 1853), S. 417-462.

10 Ebd.

11 Zit. bei: James F. Folsom, Timothy Flint (New York, 1965), S. 140.

12 Vgl. W. French, "The Cowboy in the Dime Novel", Texas Studies in English 30 (1951), 219-234; M . C. Boatright, "The Beginnings of Cowboy Fiction", Southwest Review 51 (1966), 11-28.

13 Die Helden der frühen dime novels waren fast ausnahmslos Trapper, Jäger, Scouts oder im Kampf mit Indianern berühmt gewordene Offiziere (vgl. E . J. Leithead,

"Legendary Heroes and the Dime Novel", American Book Collector 18, vii [1968], 22-27).

14 Edward S. Ellis, Seth Jones; or, the Captives of the Frontier (London-New York, o. J.

[1861]), S. 37.

15 Vgl. W. French, "The Cowboy in the Dime Novel", 221.

16 Boston, 1847. B. M . Pressmark 12706.k.30.

17 Vgl. Frederick S. Stimson, " 'Francis Berrian\ Hispanic Influence on American Ro- manticism", Hispania 42 (1959), 511-516.

18 Vgl. Daniel G . Hoffmann, Form and Fable in American Fiction (New York, 1961), Kap. I, S. 3-98.

19 Zit. bei Stimson, " 'Francis Berrian1 ", S. 512.

20 Ebd., S. 515.

21 Preface zu Edgar Huntly, zit. bei: Roy Harvey Pearce, "The Significance of the Captivity Narrative", American Literature 19 (1947), 15.

22 Vgl. Body C. Boatright, "The Beginnings of Cowboy Fiction", 11.

23 Vgl. H . M . Jones, The Frontier in American Fiction: Four Lectures on the Relationship of Landscape to Literature, Jerusalem, 1956.

24 A Selection of Some of the Most Interesting Narratives of Outrages Committed by the Indians... (Harrisburg, repr. 1888), zit. bei Pearce, "The Significance", S. 18.

25 Charles W. Webber, Tales of the Southern Border, S. 124, zit. bei Joe B. Frantz and Julian Ernest Choate, Hr., The American Cowboy. The Myth and the Reality (Nor- man, 1955), S. 74.

26 Ebd., S. 76.

27 Vgl. die Bibliographie zu The American Cowboy, S. 203-222.

28 Ebd., S. 76.

29 Ebd., S. 77. Vgl. M . C . Boatright, "The Western Bad Man as Hero", in: M . C.

Boatright et al. (eds.), Mesquite and Willow (Dallas, 1957), S. 96-104, und J. Clifford, Social and Political Attitudes in Fiction of Ranch and Range, Dissertation Abstracts 14

(1954), 2321.

30 Vgl. Kent L. Steckmesser, "Robin Hood and the American Outlaw", Journal of Ame- rican Folklore 79 (1966), 348-355.

(22)

31 Vgl. R. F. Adams, >4 Fitting Death for Billy the Kid, Norman, 1960. A . Adler, "Billy the Kid: A Case Study in Epic Origins", Western Folklore 10 (1951), 143-152; M . W.

Fishwick, "Billy the Kid: Faust in America. The Making of a Legend1', Saturday Re- view 35 (11.10.52), 11-12, 34-36; M . G . Fulton, "Billy the Kid in Life and Books1', New Mexico Folklore Record 4 (1950), 1-6.

32 Vgl. P. Durham, "The Cowboy and the Myth Makers", Journal of Popular Culture 1 (1967), 58-62; M . W. Fishwick, "The Cowboy: America's Contribution to World Mythology", Western Folklore 11 (1952), 77-92; J. B. Frantz and J. E . Choate, The American Cowboy: The Myth and the Reality, Norman, 1955; J. E . Choate, "The

Myth of the American Cowboy: A Study of the Cattle-Man's Frontier in History and Fiction", Dissertation Abstracts 14 (1954), 1057-76; T. P. Coffin, "The Cowboy and , Mythology", Western Folklore 12 (1953), 290-293.

33 Wer die Popularität des Western erklären will, muß sich mit der zugrundeliegenden

"Philosophie" auseinandersetzen. Sie ist auf klassische Weise von Owen Wister aus- gedrückt worden (The Virginian, S. 161):

"It was through the Declaration of Independence that we Americans acknowledged the eternal inequality of men. For by it we abolished a cut-and-dried aristocracy. We had seen little men artificially held up in high places and great men artificially held up in low places and our own justice-loving hearts abhorred this violence to human na- ture. Therefore, we decreed that every man would henceforth have equal liberty to find his own level. By this very decree we acknowledged and gave freedom to true aris- tocracy, saying: "Let the best man win, whoever he is." Let the best man win! That is America's word. That is true democracy. And true democracy and true aristocracy are one and the same thing."

34 Vgl. J. W. Waldmeir, "The Cowboy, The Knight, and Popular Taste", Southern Folk- lore Quarterly 22 (1958), 113-120.

35 Vgl. M . C. Boatright, "The American Myth Rides the Range. Owen Wister's Man on Horseback", Southwest Review 36 (1951), 157-163. Ferner: H . R. Holman, "Chival- ry's Last Stand: Some Comment on American Fiction, 1900-1920", Georgia Review 10 (1956), 161-167; R. E . Lee, From West to East: Studies in the Literature of the American West, Urbana, 1966; N. E . Lambert, "Freedom and the American Cow- boy", Brigham Young Univ. Stud. 8 (1967), 61-71.

36 R. W. DuBose, Jr., "Updating the Cowboy", Southern Folklore Quarterly 26 (1962), 191. Vgl. ferner M . W. Fishwick, "The Cowboy: America's Contribution to World Mythology", Western Folklore 11 (1952), 77-92; J. K. Folsom, The American Western Novel, New Haven, 1966; W. French, "West as Myth: Status Report and Call for Action", Western American Literature 1 (1966), 55-58.

37 Vgl. dazu Jens Ulrich Davids, Das Wildwest-Romanheft in der Bundesrepublik, (Tü- bingen, 1969), S. 244-248. (Volkleben Bd. 24); W. French, "The Cowboy in the Dime Novel", Studies in English 30 (1951), 219-234.

38 Charlotte Bühler, Das Märchen und die Phantasie des Kindes, München, 21958.

39 Zur Verwandtschaft von kindlichem und volkstümlichen Denken vgl. Adolf Bach, Deutsche Volkskunde (Heidelberg, 31960), S. 473.

40 Nach Bastei-Mediadaten 1969 lesen 2,8 % der Gesamtbevölkerung der Bundesrepu- blik Bastei-Wildwest-Romane (das sind 1,16 Mio. Leser pro Wochel). Davon sind 81 % Männer und 19 % Frauen. Bei den Silvia Romanen (einer typischen Frauenro- manserie) ist es genau umgekehrt: 81,9% weibliche Leser, 18,1 % männliche.

41 Vgl. W. J. Barker, "The Stereotyped Western Story. Its Latent Meaning and Psychoe- conomic Function", Psychoanalytic Quarterly 24 (1955), 270-280.

42 W. J. Barker, "The Stereotyped Western Story", S. 278.

43 Loy Otis West, "The Credible Literary West", Colorado Quarterly 8 (1959), 28-29.

44 Vgl. J. T. Frederick, "Worthy Westerns", English Journal 43 (1954), 281-286.

(23)

45 Vgl. Loy Otis Banks, 'The Credible Literary West", Colorado Quarterly 8 (1959), 48. Ferner: J. N. Malloy, The World of Walter Van Tilburg Clark, Dissertation Ab- stracts 29 (1969); M . Westbrook, "The Archetypal Ethic of The Ox-Bow Incident", Western American Literature 1 (1969), 105-118; V . Young, "Gods without Heroes:

The Tentative Myth of Walter Van Tilburg Clark", Arizona Quarterly 7 (1951), 110-119; L. L . Lee, "Walter Van Tilburg Clark's Ambiguous American Dream", College English 26 (1965), 382-387.

46 Das Zitat steht bei J. U . Davids, S. 255.

47 Zit. bei J. Golden Taylor, "The Western Short Slory",South Dakota Review 2 (1964), 38.

48 T. D . Clark, "The Common-Man Tradition in the Literature of the Frontier", Michi- gan Alumnus Quarterly Review 63 (1957), 208-217. Vgl. Wilson O. Clough, "The American Frontier as Metaphor" Rendezvous 4 (1969), 1-13.

49 Howard R. Lamar, "Historical Relevance and the American West", Ventures 8 (1968), 62-70, hier: 63 f..

50 Earl S. Pomroy, "Toward a Reorientation of Western History: Continuity and Envi- ronment", Mississippi Valley Hist. Rev. 41 (1955), 579-600. Idem: "The Changing West", John D . Higham (ed.), Reconstruction of American History, New York, 1962.

Sie können bauen, ohne den Gürtel enger zu schnallen...

. . . denn im eigenen Haus braucht Ihre Monatsrate auf lange Sicht nicht höher zu sein als eine entsprechende Miete. Wir bieten Ihnen: Mini-Monatsraten für Bausparverträge bis zu 25 Jahren Laufzeit. Geringe Kosten - nur 41/ 2 % Dar- lehnszinsen seit 1956 bei 3% Guthabenzinsen. Erstklassiger Service durch zusätzliche zinsgünstige Finanzierungshilfen. Hohe Prämien oder Steuervor- teile für Ihre jährlichen Sparleistungen. Sofort Informationsmaterial anfordern.

BHW Ihr Vorrecht auf Haus+

Bausparkasse für alle im öffentlichen Dienst — das Beamten- heimstättenwerk. 325 Hameln, Postfach 666, Fernruf (0 5151) 8 61

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Maria aber behielt alle diese Worte und bewegte sie in ihrem Herzen..

Sportvereinen, Freizeitangeboten, sozialen, kulturellen, wissenschaftlichen Initiativen sind prägend für die Entwicklung unserer Gesellschaft. Immer wieder wird hervorgehoben, dass

Berechtigung des Unternehmers zur Ausführung weiterer Arbeiten so lange, bis die Verpflichtung gegenüber der Stadt Bottrop restlos erfüllt ist. Einen Verzicht des Unternehmers auf

Für die Anwendung des Gütezeichens gelten ausschließlich die Güte- und Prüfbestimmungen für die Verleihung und Führung des Gütezeichens Hochwasserschutz der vom

Argentinien, Belgien, Brasilien, Dänemark, Frankreich, Finnland, Großbritannien, Irland, Island, Kanada, Luxemburg, Mexiko, Neuseeland, Niederlande, Norwegen, Portugal,

Damit verdeutlicht sie den Wandel, den die Hamas in Bezug auf ihre Position zu einer Staatlich- keit vollzogen hat und die auch von den militärischen Auseinandersetzungen

Solange sich die wirtschaft- liche Situation in Mexiko nicht verbessert und eine illegale Einwanderung dem Bedarf an ungelernten Arbeitskräften in Kalifornien treff-

Re- präsentativ bedeutet dabei, dass die Umfrageergebnisse nicht nur die Meinung der beispielsweise 1000 Be- fragten wiedergeben, sondern die Meinung der gesamten Zielgruppe, für