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ABHANDLUNGEN FÜR DIE KUNDE DES

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ABHANDLUNGEN

FÜR DIE KUNDE DES MORGENLANDES

IM At:FTRAG DER DEUTSCHEN MORGENLÄNDISCHEN GESELLSCHAFT HERAUSGEGEBEN VON FLORIAN C. REITER

LIV,I

(2)

ISLAMSTUDIEN OHNE ENDE

FESTSCHRIFT FÜR WERNER ENDE ZUM 65. GEBURTSTAG

HERAUSGEGEBEN VON

RAINER BRUNNER, MONIKA GRONKE, JENS PETER LAUT UND ULRICH REBSTOCK

DEUTSCHE MORGENLÄNDISCHE GESELLSCHAFT ERGON VERLAG WÜRZBURG

IN KOMMISSION

2002

(3)

Inhaltsverzeichnis

Vorwort ...

x1

Gratulatio et Laudatio

Schriftenverzeichnis

V. ADAM: Wer sind die Türken und wer gehört zu ihnen?

R. BADRY: Religiös legitimierter >revoltierender< Terrorismus im Islam.

Eine phänomenologische Betrachtung und vergleichende Analyse ausgewählter vormoderner und zeitgenössischer

Xlll

XIX

extremistischer Bewegungen . . . 11 I. BALDAUF: »Wann sollen Mädchen schreiben lernen?« Aus der Praxis

der traditionellen Frauenbildung Nordafghanistans . . . 27 A. BÖTTCHER: Ayatollah Fa9lalläh und seine Wohltätigkeitsorganisation

al-Mabarrät

. . . 41 R. BREUER: »Fürchte dich nicht, kleine Herde!«

Leben und Überleben der Christen in der arabischen Welt 49 R. BRUNNER: »Siehe, was mich an Unglück und Schrecken traf!«

Schiitische Autobiographien . . . 59 W. BUCHTA: Die Inquisition der Islamischen Republik Iran. Einige

Anmerkungen zum Sondergerichtshof der Geistlichkeit . . . 69 B.G. FRAGNER: Große Spieler und Kalte Krieger: Von der Wahrnehmung

Mittelasiens im Wandel der Zeit

U. FREITAG: Gelehrtenbeziehungen im Spannungsfeld von Tradition und Modeme. Der hadhramische 'Älim AJ:imad b. f:Iasan

79

al-'A��äs (1841-1915) . . . . 87 D. GLASS: Geschichte als Projektionsfläche für Gegenwart. Notizen zu

Yüsuf Sähins Film

a/-Masfr

üher Ibn Rusd

()7

(4)

Vlll ISLAMSTUDIEN OHNE ENDE

E. GLASSEN: Autobiographische und sozialkritische Dimensionen im Fürstenspiegel Anfs an-näs von Su!W aus dem

timuridischen Schiras . . . 113 M. GRONKE: »Alles Neue ist ein Irrweg«. Zum mittelalterlichen

arabischen Schrifttum über religiöse Missbräuche . . . 127 S. GüNTHER: » ... nor have I learned it from any !Jook of theirs«.

Abü 1-Faraj al-l~fahän'f: a Medieval Arabic Author at Work 139 H. HALM: Die »Methode der Sekretäre«. Beobachtungen zur

Datierung in mittelalterlichen Quellen . . . 155 A. HAVEMANN: Lebanon's Ottoman Past as Reflected in Modem

Lebanese Historiography . . . 1 61 P. HEINE: Die Deutsche Gesellschaft für Islamkunde . . . 175 R. HERMANN: Türkische Kontroversen zum Opferfest . . . 183 CH. HERZOG: Ein verdienstvoller Muslim im Paradies. Einige

Überlegungen zur Einstellung Celal Nuris gegenüber dem Islam . . . 193 M. JARRAR: Some Aspects of lmami Influence on Early Zaydite Theology 201 G.H.A. JUYNBOLL: An lncident of Camel Rustling in Early Islam

As'AD E. KHAIRALLAH: Die blutige Straße zum Paradies.

Der Märtyrertod in der islamischen Bildersprache B. KRAWIETZ: Dschinn und universelle Ordnung des Islams bei

225

239

Ibn Taymiyya . . . 251 G. KROTKOFF: Büssing, Burchardt und Bagdad . . . 261 J.P. LAUT: Der rotköpfige Stationsvorsteher und das Haus der Scharia.

Zum sexuellen Argot des Türkeitürkischen . . . 267 S. MERVIN: Quelques jalons pour une histoire du rapprochement (taqrfb)

des alaouites vers Je chiisme . . . 281 H. MüLLER: Muslimische Minderheiten in Malawi, Sambia und Simbabwe 289 S. NAEF: L'histoire entre vision marxiste et tradition chiite: Ia >Grande

Discorde< vue par J:Iusayn Muruwwa

T NAGEL' v-Sv'f'- K . . as a 1 1s onzept es d

w··· ·

1ssens ... . Y. NAKASH: Iraqi and Iranian Shi'ism: How Similar Are They?

A. NEUWIRTH: Erzählen als Kanonischer Prozeß: Die Mose-Erzählung

299 307 315

im Wandel der koranischen Geschichte . . . 323

(5)

INHALTSVERZEICHNIS IX

E. PESKES: 'Abdallah b. Mui:tammad b. 'Abdalwahhab und die

wahhabitische Besetzung von Mekka 1803 . . . 345 A. PISTOR-HATAM: »Sage nichts Französisches«. Überlegungen zu

fremdsprachigen Entlehnungen im Deutschen und Persischen B. RADTKE: Sufik und rationalität. Einige zusammenfassende

355

bemerkungen . . . 365 U. REBSTOCK: Das >Grabesleben<. Eine islamische Konstruktion

zwischen Himmel und Hölle 371

A. RIECK: A Stranghold of Shi'a Orthodoxy in Northern Pakistan . . . 383 W.-E. SCHARLIPP: Aspekte islamischer Religiosität in der modernen

türkischen Literatur . . . 409 G. SCHOELER: Abü 1-'Ala' al-Ma'arrls Prolog zum Sendschreiben

über die Vergebung . . . 417 R. SCHULZE: Anmerkungen zum Islamverständnis von Muhammad

Asad (1900-1992) . . . 429 U. STEINBACH: Menschenbild, Menschenrechte und Demokratie

in Europa und der Islamischen Welt. Einige

vergleichende Anmerkungen . . . 449 J. STRAUSS: $if ne demekdir? Ein türkisches Traktat über die Schia

aus dem Jahre 1925 . . . 471 M. URSINUS: Die Briefe des mutasamf von Bagdad, Ahmed ~akir Bey,

von seiner Inspektionsreise entlang dem Euphrat im Jahre 1870,

abgedruckt und kommentiert von Zevra . . . 485 W. WAL THER: »Fa-qad yatjhabu bi-'l-hazli '4-cfagarü«. Scherze der

Gebildeten in Nagaf in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts 501 S. WILD: Die arabische Rezeption der >Protokolle der Weisen von Zion< 517

Kurzbiographien der Autorinnen und Autoren

529

(6)

»Siehe, was mich an Unglück und Schrecken traf!«

Schiitische Autobiographien

Rainer Brunner

Daß die Niederschrift des eigenen Lebensverlaufs eine mitunter nicht ganz unkom- plizierte Sache sein kann, weiß jeder, der einmal Laurence Sternes Tristram Shandy gelesen hat. Der (hier fiktive) Held müht sich, so gut es eben geht, ab, seiner Bio- graphie Herr zu werden, das rechte Maß an Vorgeschichte zu finden, Wichtiges von Nebensächlichem zu scheiden. Dabei gerät er erwartungsgemäß vom Hölzchen aufs Stöckchen und verzweifelt schier an der logischen Unmöglichkeit, sich selber in der Gegenwart schreibend einzuholen. Denn eine Autobiographie, soviel steht fest, ist notwendigerweise immer unvollendet. Kein Wunder, daß Sterne als Motto Epiktet zitiert, der erkannt hatte, daß es nicht die Dinge selbst sind, die die Menschen be- unruhigen, sondern ihre Meinungen und Urteile über die Dinge. 1

Es steht außer Frage, daß Autobiographien neben mitunter vergnüglicher Lektüre auch wertvolle historische Quellen sind, liefern sie doch aus erster Hand Spiegelbilder vom Lebensgefühl eines einzelnen Autors, eines Standes oder einer ganzen Epoche.2 Georg Misch, der Verfasser der bis heute unübertroffenen Geschichte der Autobio- graphie, definiert diese gar als »in einem gewissen Sinne eine Geschichte des mensch- lichen Selbstbewußtseins«.3 Für die Frage, woran man eine Autobiographie als solche erkennt, gibt es ein mittlerweile weithin anerkanntes Kriterium: Entscheidend ist der

>autobiographische Pakt<, den der Autor mit dem Leser schließt: Autor, Erzähler und

>Held< des Geschehens müssen ein und dieselbe Person sein, und die Entwicklung seiner Persönlichkeit, ihre Handlungen und Empfindungen müssen im Mittelpunkt stehen.4 Eine derartige Beschränkung hat vor allem den Vorteil, eine sinnvolle Ab-

1 Epiktets Einsicht ( Handbüchlein der Moral, Stuttgart 1992, 11) ziert auch das Mottoblatt eines anderen bedeutenden Buches: Wemer Ende: Arabische Nation und islamische Ge- schichte. Die Umayyaden im Urteil arabischer Autoren des 20. Jahrhunderts, Beirut 1977, S.

VI.

2 Wemer Mahrholz: Der Wert der Selbstbiographie als geschichtliche Quelle, in: Günter Niggl.

(ed.): Die Autobiographie. Zu Form und Geschichte einer literarischen Gattung, Darmstadt

21998, 72-74. In der Einleitung zu diesem Sammelband (S. 1-17) gibt der Herausgeber einen kurzen Überblick über die Forschungsgeschichte, in dem die wichtigsten Thesen knapp re- feriert werden.

3 Georg Misch: Begriff und Ursprung der Autobiographie, in: Niggl, 33-54, hier 42.

4 Philippe Lejeune: Der autobiographische Pakt, in: Niggl, 214-57; vgl. a. Tetz Rooke: »in my Childhood«. A Study of Arabic Autobiography, Stockholm 1997, 22-24.

(7)

60 R.AINER BRUNNER

grenzung zur autobiographisch gefarbten fiktiven Literatur oder zu anderen Formen der Erinnerungsliteratur, etwa Tagebüchern, Reiseberichten oder Memoiren zu schaf- fen. Besonders der Unterschied zur zuletzt genannten Gattung ist zu betonen: In der Autobiographie geht es um den Autor als Individuum, in den Memoiren um die Ge- sellschaft oder die politischen, zeithistorischen Umstände, an denen der Autor lediglich

teilnimmt.5 ·

Autobiographien gibt es in allen Kulturen,6 so auch in der arabisch-islamischen.

Darunter finden sich etliche, die es auch außerhalb der Fachwissenschaft zu Berühmt- heit gebracht haben, zuvorderst diejenigen von Avicenna und Usäma b. Munqig sowie AbU I:Iämid al-Gazzälis spirituelles Selbstzeugnis Erretteraus dem Irrtum (al-Munqitj min aq-qaläl), mit dem er das islamische Pendant zu Augustins Bekenntnissen schuf. 7 Weitere bedeutende Namen, die hier nur aufgezählt werden sollen, sind Ibn Haldün, Galäl ad-Din as-Suyü!f oder der mitteilungsfreudige 'Abd al-Wahhäb as-Sa'rini.8 Im 20. Jahrhundert hat sich diese Tradition fortgesetzt: Gurgi Zaidän, AJ::tmad Amin, Taufiq al-I:Iakim und natürlich 'fähä I:Iusain, dessen Lebenserinnerungen al-Ayyäm eines der bedeutendsten Werke der modernen arabischen Literatur darstellen. 9

Nicht um diese wohlbekannten und schon vielfach untersuchten Autoren soll es im folgenden jedoch gehen, sondern um einige Angehörige einer Gruppe, der -jedenfalls in diesem Zusammenhang - bislang nur am Rande Beachtung zuteil wurde: um Theo- logen der Zwölferschia. Der Hauptgrund dafür, daß diese Selbstzeugnisse so sehr vernachlässigt wurden, 10 dürfte nicht zuletzt darin liegen, daß wir es hier, von wenigen Ausnahmen abgesehen, mit vergleichsweise kurzen und verstreuten Äußerungen zu tun

5 Rooke, 27f.

6 Dies im Gegensatz zu der umstrittenen These von Georges Gusdorf: Voraussetzungen und Grenzen der Autobiographie, in: Niggl, 121-47, hier 122; ähnlich Edward Said, s. dazu das Vorwort von Sabrina Mervin zu ihrer Übersetzung von Mui)sin al-Amins Autobiographie (wie Anm. 26), 17.

7 Speziell zu diesen Werken Georg Misch: Geschichte der Autobiographie, Frankfurt 1962, m.2, 905-1076.

8 Einen zum Klassiker gewordenen Überblick über diese und zahlreiche verwandte Schriften liefert Pranz Rosenthal: Die arabische Autobiographie, Studia Arabica 1/1937/3-40 (wieder abgedruckt in idem: Muslim lntellectual and Social History. A Collection of Essays, Alder- shot 1990, Nr. V); speziell zu Suyüti s. EI2 IX/913-16 sowie E.M. Sartain: Jaläl al-dfn al-Suyütf, Cambridge I 975; zu Sa'ränl EI2 IX/3 I6 und Dwight F. Reynolds: Shaykh 'Abd al-Wahhäb al-Sha'ränf's Sixteenth-Century Defense of Autobiography, Harvard Middle East- em and Islamic Review 411997-98/l22-37.

9 Fedwa Malti-Douglas: Blindness & Autobiography. Al-Ayyäm of Tähä lfusayn, Princeton I 988; allg. s. Rooke: Childhood (wie Anm. 4), passim.

10 Die, soweit ich sehe, einzigen Ausnahmen sind Sabrina Mervin in ihrem bereits zitierten Vorwort zur Übersetzung von Mul)sin al-Amins Autobiographie (s. Anm. 26) sowie die beiden Aufsätze von Devin J. Stewart: The Humor of the Schofars. The Autobiography of Ni'mat Alläh al-Jazä'irf ( d. 1 I 1211701 ), Iranian Studies 22/1989/4/47-81 sowie Capital, Ac- cumulation and the Islamic Academic Biography, Edebiyät N.S. 711997/2/345--62.

(8)

SCHIITISCHE AUTOBIOGRAPHIEN 61

haben. Die meisten von ihnen umfassen gerade einmal wenige Seiten und sind in (teils mehrbändigen) biographischen Werken gut versteckt. Stärker noch als bei den sunni- tischen Gelehrten entstanden die schiitischen autobiographischen Texte im Rahmen einer allgemeinen Beschäftigung mit biographischer Literatur. Diese wiederum wurde nicht etwa zum Selbstzweck betrieben, sondern hatte eine wichtige theologische Funk- tion, nämlich die Sicherstellung und kontinuierliche Weitergabe der Imam-.f:Iadl!e. Wie bei den Sunniten ja auch, lag die Gewähr für die Richtigkeit einer Überlieferung in der Kette ihrer Tradenten, denen ein eigener Wissenschaftszweig, die >Wissenschaft von den Männern< ( 'ilm ar-rigäl) gewidmet wurde.11 Es war von schlichter Notwendigkeit, die Lebensumstände der Überlieferer zu kennen, zu wissen, wann sie sich wo aufge- halten hatten, ob sie also einander getroffen haben konnten, welche Werke sie gege- benenfalls geschrieben hatten, bei wem sie studiert und wem sie ihrerseits ihr Wissen weitergegeben hatten.

Schiitische Autobiographien sind eine vergleichsweise späte Erscheinung, wenn man von einigen frühen rigä/-Werken absieht, deren Autoren aber außer einer Auf- zählung ihrer Bücher nichts von sich mitteilen. 12 Erst im 17. Jahrhundert tauchen autobiographische Einträge in den Nachschlagewerken auf, wie es zu diesem Zeitpunkt überhaupt zu einem enormen Zuwachs an biographischer Literatur kam. Diese Pro- duktivität ging Hand in Hand mit dem Wiedererstarken der Agbäriya, die dem auto- ritativen Charakter des gesamten I:Iadi!-Korpus weitaus mehr Gewicht zubilligte als ihre Gegenspieler, die U~ülis, und deshalb größtes Interesse an den Lebensläufen der Überlieferer hatte. 13 Nicht alle dieser Autoren waren notwendigerweise selbst AlJ.bäris, so zum Beispiel der aus dem Gabal 'Ämil stammende 'Ali b. MuJ:tammad al-'Ärnili (ca. 1605-1691/92), der mit seinem ~adi!exegetischen Werk ad-Durr al-man!.ür den Anfang machte. 14 Darin berichtet er nach einer sehr kurzen Erinnerung an seine Kind-

11 Zum schiitischen J:Iadi! allg. Etan Kohlberg: Sh"fz ljadfth, in: A.F.L. Beeston et al. (eds.):

Arabic Literature to the End of the Umayyad Period, Cambridge 1983, 299-307; Art. 'Ilm al-ri4Jäl, EI2 III/1150-52.

12 Mu~ammad b. al-J:Iasan a~-Tusi (gest. 1067): Fihrist kutub as-sra, Beirot 140311983, 192-94;

I:Iasan b. Yusuf >al-'Alläma< al-J:Iil!I (gest. 1325): l:fulä~at al-aqwäl fi a~wäl ar-rigäl, Nagaf 196I, 45-49; al-J:Iasan b. 'Air b. Däwud a!-J:Iil!I (gest. 1338): Kitäb ar-riifäl, Teheran I342sl1964, Sp. 1 I I-I3. Zu den Autoren s. EI2 III/390 (al-'Alläma al-J:Iilli) und X/745f.

(at-Tüsi); zu den Büchern vgl. Ägä Bozorg at-Tehräni: acj-l]arra ilä tafiänrj as-sra, I-XXVI, Beirot I983 (im folgenden I}TS), XVI/384, VII/214f. bzw. X/84f.

13 Vgl. a. Stewart: Capital (wie Anm. I 0), 348; die von ihm und anderen erwähnte Autobio- graphie von Mul:lsin Fay<;l al-Käsäni, Sar~ a~-fjadr, war mir nicht zugänglich. Sie scheint überhaupt nicht sehr verbreitet zu sein. Zur AtJ.bärrya allg. s. Elr I/7I 6-18. Lesenswert ist 'AII b. al-Wa,lläb al-BangT: lfuzn ar-riwäyafi tjahäb an-nihäya, al-Qa~r al-l).urr 1423.

14 ad-Durr al-mantür min ma'tür wa-gair al-ma'tür, Qom I978, II/238-59; zu diesem Buchs.

I}TS VIII/76f.; zum Autor: ll?bahänf: Riyätj al-'ulamli' (wie Anm. 18), IV/197-99; Mul).sin al-Amin: A 'yän as-sra, Beirot I986 (im folgenden AS), VIII/328-30; al-J:Iurr al-'Ämi!I: Amal al-ämil (s. nächste Anm.), I/129f. al-'Ämi!I erwähnt unter seinen Büchern sogar eine Gegen- schrift zum Gründervater der Abbäriya, Mul).ammad Amin Astaräbädi. Der Urgroßvater al-

(9)

62 RAINER BRUNNER

heit ausführlich von einer Reise nach Mekka, die er im Alter von knapp 20 Jahren unternahm und auf der ihm allerlei wunderliche Dinge widerfuhren. Breiten Raum nimmt die Trauer über den Verlust eines Sohnes ein, wohingegen der Tod eines zweiten Sohnes nüchtern in nur einer Zeile erwähnt wird. Fast die gesamte zweite Hälfte der Autobiographie besteht in der Wiedergabe von Gedichten, die er seit seiner Jugend zu verschiedenen Anlässen geschrieben hatte.15

Die erste >richtige< Autobiographie, die etwas vom Lebensweg des Autors vermit- telt, stammt von dem 1640 im Südirak geborenen Ni'matalläh al-Gazä'iri, einem Schü- ler des großen Mul:).ammad Bäqir al-Maglisi. Sein Buch al-Anwär an-nu'mänfya ent- hält gegen Schluß eine längere Abhandlung, in der der Autor wortreich all jene Übel beklagt, die ihn in den ersten 39 Jahren seines Lebens, bis zur Abfassung seiner Autobiographie eben, heimgesucht haben.16 Diese begannen bereits im Alter von fünf Jahren, als ihn sein Vater zur Schule schickte, wo er doch viellieber weiterhin mit den anderen Jungen gespielt hätte. Seine Taktik, möglichst gut und schnell zu lernen, um wieder zum Spiel zurückkehren zu können, erweist sich bald als ein Schuß, der nach hinten losgeht, und so bleibt ihm nichts anderes übrig, als sich in sein Schicksal zu fügen und die Gelehrtenlautbahn einzuschlagen. In mancherlei Anekdoten berichtet er im folgenden von seinen Studien, seinen Reisen nach I~fahän (wo er acht Jahre lang blieb) und an die heiligen Stätten im Irak, den großen und kleinen Betrügereien, denen er begegnete und den generell nicht sehr erstrebenswerten Lebensumständen seiner Zeit. Am Ende wird er darüber zum Misanthropen, dem der Umgang mit Kollegen und anderen Menschen zusehends vergällt ist.

Auch Yüsuf al-Bal:).räni wollte in seiner Kindheit nicht zur Schule. Sein Leben- er wurde 1695/96 geboren - spielte in unsicheren Zeiten, wie er uns in einem vergleichs- weise kurzen, aber gedrängten Eintrag in seiner Biographiensammlung Lu'lu'at al-

'Ämi!Is war der bedeutende Theologe und Jurist Zain ad-Din b. Al).mad al-'Ämili, bekannt als

>as-Sahid a!-Täni< (gest. ca. 1558); über diesen s. ad-Durr al-man1ür, 111149-98 und EI2 IX/209f.

15 Ebenfalls hauptsächlich der Zitierung von Gedichten gewidmet ist der autobiographisch we- nig ergiebige Eintrag seines Zeitgenossen und Landsmannes Mul).ammad b. al-I:Iasan al-I:Iurr al-'Ämili in seinem Lexikon Amal al-ämil über sich selbst: Amal al-ämil, Bagdad 138511965-66, 1/141-54; über den Autor ( 1624-93) s. EI2 Ill/588f. und Elr 119 I 7f. (s. v. Amal al-ämel). Als I:Iasan a~-~adr 1915116 eine Ergänzung zu al-I:Iurr al-'Ämi!Is Lexikon schrieb, fügte auch er eine Autobiographie hinzu: Takmilat amal al-ämil, Beirut 1407/1986, 160-67.

16 al-Anwär an-nu'mänfya fi ma'rifat an-nas'a al-insänfya, ed. Mul).ammad 'AII Qä<;II Tabä~abä'f, I-IV, Tabrfz 138211962-63, Beirut 41984, IV/302-26 (das Zitat in der Überschrift meines Aufsatzes stammt aus diesem Abschnitt, S. 302); englische Übersetzung bei Stewart:

Humor (wie Anm. 10), 55ff.; zum Buch I}TS 111446; zum Autor (gest. 1701) s.a. at-Tuni- käbuni: Qi:fa~ al-'ulamä' (wie Anm. 21), 464-78; Rainer Brunner: Die Schia und die Koran- fälschung, Würzburg 2001, 23f.; fernerEdward G. Browne: A Literary History of Persia, Cambridge 1959, IV/361-67 (basiert auf at-Tunikäbuni; wiederabgedruckt bei Linda S. Wal- bridge (ed.): The Most Learned ofthe Shia. The Institution ofthe Marja' Taqlid (sie!), Oxford 2001, 17-20).

(10)

SCHIITISCHE AUTOBIOGRAPHIEN 63 ba!Jrain mitteilt.17 Zuerst wird seine Heimat BaJ:rrain zum Ziel \}ärigitischer Eroberer aus Oman, unter denen seine vonnals wohlhabende Familie sehr zu leiden hat. In späteren Jahren muß er in Iran den Untergang des Safawidenreiches miterleben, was ihn wiederum nach Karbalä' verschlägt, wo er vier Jahre nach Abfassung seiner Au- tobiographie sterben wird. Ein zeitlebens steter Wegbegleiter ist die finanzielle Not, die dadurch verschärft wird, daß er nach dem Tod des Vaters mit der Versorgung der Familie geschlagen ist (»ubtulftu bi-l-'iyäl«, sagt er wörtlich); 18 zeitweise muß er sich als Landwirt durchbringen. Erst am Ende, in Karbalä', vermag er sich seiner materiel- len Sorgen zu entledigen, finanzieller und geistiger Reichtum sind wieder im Lot, wovon die Aufzählung seiner zahlreichen Schriften kündet, mit der er seine Autobio- graphie beschließt.

Ein knappes Jahrhundert nach al-B$äni lebte und schrieb der 1777 in Kermänsäh geborene Al].mad b. Mo~ammad 'All Behbehäni. 19 Nach Kindheit und Jugend in seiner Geburtsstadt zieht es ihn mit 19 Jahren in den Irak zum Studium. Dazu muß er sich erst einmal gegen den Willen seines Vaters durchsetzen, der ihn lieber in Kermänsäh im Stande der Ehe sähe als in der vermeintlichen Einsamkeit (walJsat) an den heiligen Stätten. Statt dessen bleibt er an den 'atabät, wo er Zeuge der Angriffe und Plünde- rungen durch die Wahhäbiten wird, die sich 1802 am Heiligtum von Karbalä' ver- greifen.20 Die weiterbestehende Gefahr und die daraus resultierende Sorge um die Familie - mittlerweile hat er in Nagaf geheiratet - vertreiben ihn aus dem Irak. Seine Reisen, denen der gesamte Rest der Autobiographie gilt, führen ihn in alle größeren iranischen Städte und bis nach Indien.

Von gänzlich anderer Art ist das, was der um 1819 geborene Mu~ammad b. Sulai- män at-Tunikäbuni von sich zu sagen hat. 21 Wie schon seine Vorgänger führt auch er beredt Klage darüber, daß die Zeitläufte es nicht gut mit ihm meinten. Und das, wo er doch allem Weltlichen grundsätzlich abhold ist, aber die >Weltlinge< (ahl ad-dunyä) lassen ihn nicht in Frieden. Folgerichtig geht es ihm nicht darum, die einzelnen Sta- tionen seines realen Lebens zu referieren, als vielmehr seinen heiligmäßigen Charakter unter Beweis zu stellen. Das tut er unter anderem durch die detaillierte Wiedergabe

17 Lu'lu'at al-bal}rain, Beirot 1986, 442-51; dazu ausführlich Stewart: Capital (wie Anm. 10);

zum Autor (gest. 1772/73) ferner Elr IIV529f.; AS X/317f.; at-Tunikäbunl: Qi~~ al-'ulamä' (wie Anm. 21), 289-94; zum Buch QTS XVIIV379f.

18 Ähnlich klagt 'Abdalläh b. MuJ:!ammad $äliJ:! al-I~bahäni, der mit seiner angeheirateten Ver- wandtschaft gleichfalls seine liebe Müh und Not hatte: Riyäcj al-'ulamä' wa-l;iyäcj al-fucjafä>, Qom 198 I, IIV230-34 (hier 231).

19 Mir'ät ol-af;wäl. Gahän-namä, Teheran 1370s/l992, 181-247; zum Buchs. f2TS XX/261;

zum Autor (gest. I 819/20) Ägä Bozorg a~-Tehräni: Tabaqät a'läm as-sr<a, I/1-2: al-Kiriim al-barara fll-qarn at-!.iili!. ba'd al-'asara, Nagaf 1954, 1958, 100--02; vgl. a. Elr IV/97f.

20 Behbehäni nutzt die Gelegenheit, an dieser Stelle ein Sendschreiben Mul;lammad b. 'Abd al-Wahhäbs und eine Kritik daran aus seiner eigenen Feder einzuschieben: Mir'iit ol-a!Jwäl, 206-10.

21 Qi~a~ al-'ulamä', Beirot 1413/1992, 78-103; zum Buch l}TS XVIVI07; über den Autor (gest.

1884/85) s. AS IX/350; Browne: Literary History (wie Anm. 16), IV/404-11.

(11)

64 RAINER BRUNNER

etlicher Traumerscheinungen oder anderer Wunder, die ihm widerfuhren. Ihm erschei- nen der Mahdi, der Imäm Müsä al-K~im, Fä!ima al-Ma'~üma, die Schwester des achten Imäms, und er sieht die Schlacht von Karbalä'. Ein längerer Einschub befaßt sich mit dem Beweis, daß es nach Mul:J.ammad tatsächlich keinen weiteren Propheten mehr geben kann. Überhaupt erweist sich Tunikäbuni als ein Mann vieler Worte, mit denen er sogar noch den trockenen Witz seiner Theologenkollegen zerredet. 22 Hier steht uns nicht ein Mensch aus Fleisch und Blut gegenüber, sondern ein Heiliger, der von Heiligen abstammt, denn auch Vater und Großvater werden entsprechend be- schrieben: Ein Mollä hatte seinem Vater im Traum prophezeiht, er werde dereinst einen berühmten Sohn haben. Die Bezeichnung >Autohagiographie< für diese Form der Selbstbiographie ist darum nicht zu weit hergeholt.23

Ein ohne Unterlaß lesender und schreibender Gelehrter begegnet uns wiederum in der Gestalt 'Abdalläh al-Mämaqänis, der überdies mit buchhalterischer Akribie die Daten seines Lebens festhält, angefangen vom Geburtsdatum (25. Rabi' I 1290 = 23.

Mai 1873 in Nagaf) über diverse Unterrichtsstunden und Buchanfange bis hin zu seinen Reisen. Sogar wann er in jungen Jahren bei der Lektüre auf einen Ausdruck stieß, den er nicht verstand, was ihm eine schlaflose Nacht bescherte, weiß er noch auf die Stunde genau zu sagen. Er präsentiert sich als ein Gelehrter, der schon während des Studiums einzig am 'äsürä'-Tag freinahm und dem später seine Frau mit Fett be- schmierte Brotstückehen auf den Büchern deponieren mußte, die er als nächstes be- arbeitete, damit er das Essen nicht ganz vergaß. Die ob solchen Eifers fällige Augen- entzündung kuriert ein Besuch beim Heiligtum 'Airs in Nagaf. Mämaqäni konzentriert sich ganz und gar auf die Tätigkeit als 'älim, den es auch nicht aus der Bahn wirft, als ihm ein Schurke gut 20 Bände eines von ihm verfaßten Kommentarwerkes raubt.

Sogar die Reisen (Mekka, Qom, zweimal Mashad) werden nur relativ kurz abgehan- delt. Viel wichtiger ist ihm die lange Lehrbefugnis (igäza), die ihm sein Vater erteilte und die er in extenso zitiert. Die >Ahnengalerie< der Gelehrten, als deren Endpunkt er sich sieht, reicht von seinem Vater über dessen Lehrer sowie Mul:J.ammad Bäqir al- Maglisi, al-'Alläma al-J:Iilli, at-Tüsi und al-Kulaini bis zu den Imamen, und von diesen via Muhammad und Gabriel bis auf Gott höchstselbst zurück. Das ist für seine Zwecke wichtig, denn er schrieb diese Autobiographie für sein Werk Tanqz~ al-maqäl, einer Biographiensammlung von J:Iadi!-Tradenten. Von den alles in allem 13365 Einträgen taucht er an 7038. Stelle auf.24

Zwei der bedeutendsten 'ulamä' der Schia im 20. Jahrhundert haben ebenfalls Le- bensbeschreibungen hinterlassen: Mul:J.sin al-Amin (1867-1952) und 'Abd al-I:Jusain Saraf ad-Din (1873-1957).25 Beide Abhandlungen gehen im Umfang weit über dieje-

22 Qi~a~ al- 'ulamä', I 00 (über die Beweise dafür, daß der Mahdi existiere).

23 Mervin: Autobiographie (wie Anm. 26), 23.

24 Tanqf}J al-maqäl jf af;wäl ar-rigäl, Lith. Nagaf 134911930, Il/208-11; zum Werk I)TS IV/466f.; zum Autor (gest. 1933) EI2 VI/312f.

25 Über beide s. neuerdings ausführlich Sabrina Mervin: Un rejormisme chiite. Ulemas et lettres du Gabal 'Ämil (actuel Liban-Sud) de lafin de !'Empire ottoman

a

l'independance du Liban, Paris etc. 2000, Index s.v. et passim.

(12)

SCHIITISCHE AUTOBIOGRAPHIEN 65 nigen hinaus, die bisher zur Sprache kamen, und erreichen monographische Ausmaße.

MuJ:tsin al-Amins Autobiographie, die ursprünglich als Band 40 seines berühmten Lexikons A 'yän as-sf'a erschien und die seit kurzem in französischer Übersetzung vorliegt, 26 ist eine in einem anekdotischen Stil niedergeschriebene lockere Folge von Erinnerungen, deren Schwerpunkt auf der Jugend und dem Studium des Autors in Nagaf liegt. Die ersten beiden Drittel des Texts umfassen die Zeit bis Oktober 1901, als al-Amin nach über zehnjährigem Aufenthalt wieder aus Nagaf abreist. Ob unfahige Dorflehrer, gütige Bäcker, unnahbare Mitstudenten oder scharfzüngige Gelehrte - im- mer ist er aufs (manchmal skurrile) Detail bedacht, ohne darüber die Zeitumstände zu vernachlässigen. So liefert er interessante Einblicke in den Lehrbetrieb von Nagaf, beschreibt die Rivalität und das Cliquenwesen unter den Studenten, den regelrechten Bürgerkrieg, den zwei rivalisierende Banden anzettelten, eine Fieberepidemie, die zahlreiche Menschen dahinraffte27 sowie - daran hatte sich seit dem 18. Jahrhundert nichts geändert - die bedrückende materielle Situation, der sich die Studenten mitsamt ihren Familien ausgesetzt sahen.

'Abd al-J:Iusain Saraf ad-Dins Erinnerungen28 sind im Vergleich dazu in einem weit- aus strengeren Ton geschrieben, und es ist bezeichnend, daß er freimütig einräumt, in Nagaf außerhalb der Gelehrtenzirkel keinerlei Kontakte gepflegt zu haben und vom Land selbst außer den heiligen Stätten sowie Kufa und Bagdad nichts gesehen zu haben. Die Strenge mag er von seinem Vater ererbt haben, den er als einen außeror- dentlich anspruchsvollen ersten Lehrer charakterisiert. Verglichen mit MuJ:tsin al-Am"fn trägt seine Autobiographie stärkere Züge der Selbststilisierung, etwa, wenn er das hohe Sozialprestige der Lehrstätten hervorhebt oder den Konkurrenzkampf, ja den Verdrän- gungswettbewerb unter den 'ulamä' nachdrücklich verteidigt - schließlich sei es not- wendig, daß das Schiff Kurs halte und daß eine kundige Hand am Ruder stehe?9 Wichtiger als die Schilderung materieller Unbill (unter der zweifellos auch er zu leiden hatte) ist ihm die Statistik, welcher Gelehrter vor wie vielen Studenten seine Vorle- sungen abhielt: ijoräsäni vor 300, I~fahän"f und Mäzandarän"f vor jeweils gut 200.

Ausführlicher auch als al-Amin, zu dem sein Verhältnis wohl nicht ganz ohne Span-

26 Autobiographie d'un clerc chiite du Gabal 'Ämil ( ... ). Traduction et annotationspar Sabrina Mervin et Hai'tham al-Amin, Damaskus 1998; arab. Orig. in AS X/333--446; zum Werk allg. s.

Elr IIV130f.

27 Diese Form der Bedrängnis war zu jener Zeit sehr real: B:asan a~-,Sadr teilt mit, daß er um 1880 zuerst wegen der bitteren Armut von Sämarrä' nach N agaf auswanderte, ehe ihn die dort grassierende Pest wieder zurück nach Sämarrä' trieb: Takmilat amal al-ämil (wie Anm. 15), 161; dazu Anja Pistor-Hatam: Pilger, Pest und Cholera: Die Wallfahrt zu den heiligen Stätten des Irak als gesundheitspolitisches Problem im 19. Jahrhundert, Die Welt des Islams 31/1991/228-45; Art. Wabä', EI2 XI/2-4.

28 Bugyat ar-rägibTn fi silsilat Äl Saraf ad-Dfn, Beirot 1411/1991, II/63-254; vgl. a. Rainer Brunner: Annäherung und Distanz. Schia, Azhar und die islamische Ökumene im 20. Jahr- hundert, Berlin 1996, 37-58 und 147-49.

29 Bugyat ar-rägibm, 78ff.; auch Mol).ammad 'All Modarres gab sich als ein nicht sonderlich geselliger Zeitgenosse zu erkennen: Raily,änat al-adab fi tarägim al-ma'rüfin bi-l-kunya wa- l-laqab, Tabriz 1967-70, V /269-71.

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66 RAINER BRUNNER

nungen war,30 geht Saraf ad-Din auf sein späteres reformerisches Wirken ein, das ihn zum geistigen Oberhaupt der libanesischen Schia werden ließ.

Seinen beiden Vorgängern nicht unähnlich ist die Autobiographie, die der libanesi- sche Jurist Mu~ammad Gawäd Mugniya kurz vor seinem Tod verfaßte.3 t Ohne jede Sozialromantik, aber oft mit Selbstironie und sarkastischem Witz schildert er darin die bittere Armut seiner Kindheit, die ihn zum Tagelöhner in Beirot werden ließ, ebenso wie die Situation in Nagaf, das auch zu seiner Zeit, also in den 20er Jahren, von Krankheit und Not und der Rivalität der 'ulamä, gekennzeichnet war.32 Durchweg ist ihm anzumerken, wie stolz er darauf ist, der Armut entronnen zu sein und als Self- mademan den Aufstieg geschafft zu haben. Daß er seinen Lebenslauf für nachahmens- wert hält und für sein Buch zu Beginn eine Vorbildfunktion erhofft, macht ihn in unserem Zusammenhang zur Ausnahme: Er ist der einzige, der über den Sinn des autobiographischen Schreibens nachdenkt und auf eine moralische Besserung des Le- sers hofft. Der Schwerpunkt seines Buches liegt allerdings eindeutig auf seiner beruf- lichen Laufbahn, weswegen er seine Erinnerungen mit zahlreichen andernorts bereits publizierten Betrachtungen politischer, religiöser oder sozialer Natur garniert.

Zahlreiche weitere Beispiele könnten noch genannt werden - etwa I:Jusain Muruw- wa, der beschreibt, wie er von der Schia zum Marxismus konvertierte,33 Mohammad Sarif Räzi, den die Imame von körperlichen Gebrechen befreien,34 'Ali al-Jjäqäni, der mit unverhohlener Eitelkeit seine literarischen und publizistischen Erfolge feiert,35 oder

30 Brunner: Annäherung, 153; Mervin/Am!n: Autobiographie, 29, 71.

3t Tagärib Muf;,ammad Gawtid Mugnfya, Beirot 1980, passim; zu Mugniya (1904--79) s. ausf.

Karl-Heinrich Göbel: Modeme schiitische Politik und Staatsidee nach Taufiq al-Fukaikf, Muf;,ammad Gawtid Mugnrya, Rüf;,ulläh ljumainr, Op1aden 1984, 65ff., der im Zuge der Arbeit an seinem Buch Mugniya kurz vor dessen Tod aufsuchte und prompt in dessen Au- tobiographie verewigt wurde: Tagärib, 526.

32 Tagärib, 38.

33 Wulidtu sailJan wa-amütu tiflan, Beirut 1990; s. dazu Silvia Naef: Shr<r-Shuyü'r or: How to become a Communist in a Holy City, in: Rainer Brunner I Wemer Ende (eds.): The Twelver Shia in Modem Times. Religious Culture & Political History, Leiden 2001, 255-67. Daneben existieren zahlreiche Berichte, die vormalige Sunniten über ihre Konversion zur Schia ver- faßten, so zum Beispiel Mul).ammad Mar'I al-Amln al-Antiikl: Li-matjä ilJtart matjhab as-sf'a, matjhab ahl al-bait, Beirut ca. 1980, dessen Bruder AJ:tmad Amin al-Antiikl: Fr tarfqr ilä t-tasayyu', Nagaf 1965 oder MuJ:tammad at-Tigäni as-Samäwi: Tumma ihtadait, London o.J.

(nach 1970; englische Übersetzung u.d.T. Then I was guided, Karachi 1991); derartige Bü- cher sind allerdings eher der Gattung der Häresiographie denn der Autobiographie zuzurech- nen und bleiben deshalb außerhalb dieser Betrachtungen, auch wenn sie natürlich autobio- graphische Elemente enthalten.

34 Gangfne-ye dtindmandlin, Qom 1974--76, II/148-55; vgl. a. Michael Glünz: Das Ausserge- wöhnliche als Bestandteil der Biographie. Anmerkungen zu Sarif-e Razrs Gangrne-e dänef- mandän, in: Proc. of the First European Conference of lranian Studies, Rom 1990, II/38 9-40 1.

35 Su'arä, al-garry, I-XII, Nagaf 1954; Nachdruck Qom 1408/1987-88, XII/492-524.

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SCHIITISCHE AUTOBIOGRAPHIEN 67 Abü 1-Qäsim al-ijü'I, der sich mit einer Art tabellarischem Lebenslauf samt Schriften- verzeichnis begnügt36 -, jedoch mag es an dieser Stelle damit sein Bewenden haben.

Es bleibt die Frage nach den Motiven, die die einzelnen Autoren bewogen haben mochten, ihr Leben niederzuschreiben. Mugniya ist, wie gesagt, der einzige, der auf einen Nachahmungseffekt spekuliert, alle anderen äußern sich nicht dazu. Läßt man den Inhalt und den Stil dieser Selbstzeugnisse auf sich wirken, wird schnell klar, daß die meisten der Beweggründe, die etwa 'Abd al-Wahhäb as-Sa'räni im 16. Jahrhundert für sich in Anspruch nahm (Quelle der Nachahmung für die Schüler und der Ehrfurcht für die Zeitgenossen, Futter für die Historiker, Nacheifern früherer Vorbilder), hier kaum zutreffen.37 Einzig das Schreiben als Ausdruck des Dankes für die Gnade Gottes, die dem Autor zuteil wurde, findet sich in diesen Texten - auch bei jenen, die anson- sten mit ihrem Schicksal hadern.

Der eigentliche Antrieb derer, von denen hier die Rede war, lag woanders: Es ging ihnen darum, sich den ihnen gebührenden Platz innerhalb der schiitischen 'ulamä' zu sichern, an der Heilsgeschichte teilzuhaben und diese ihrerseits der Nachwelt weiter- zugeben. Deshalb ist es den Autoren ein Bedürfnis, mitzuteilen, in welchem Alter sie als Kind den Koran auswenig konnten, welche Bücher sie in der Schule und im Stu- dium lasen und bei wem sie das taten, denn damit gibt man die Tradition zu erkennen, in der man steht. Dieselbe Funktion erfüllen die unzähligen Lehrbefugnisse, mit denen sich die Autoren gerne schmücken und die sie manchmal seitenlang zitieren. 38 Auch die Reisen, die sie

fi

talab al- 'ilm unternommen haben (und deren Ziel letzten Endes immer Nagaf war), sind hier einzuordnen, waren sie doch unweigerlich mit neuen Kontakten, Büchern und Lehrbefugnissen verbunden. Hier spannten sich Netzwerke, als es den Begriff dafür noch gar nicht gab. Am wichtigsten aber sind die Bücher, die ein Gelehrter geschrieben hat. Sie allein überdauern ihn und machen seine Frömmig- keit für die Nachwelt greifbar. In so gut wie keiner Autobiographie fehlt ihre Aufli- stung, nicht selten mit kurzen Kommentaren zum jeweiligen Inhalt. Und die Länge der Listen beeindruckt: Tunikäbuni hat 171 Einträge, fein säuberlich klassifiziert, Mu~sin

al-Amin zählt 104 Titel auf, 'Abd al-J:Iusain Saraf ad-Din immerhin noch deren 33.

Nicht zu vergessen schließlich das religionspsychologisch höchst interessante Moment der Wunderheilungen und Traumerzählungen, die immer wieder - gleichsam als selbst- verständliche höhere Ebene der Realität - auftauchen. In ihnen tritt der Autor in di- rekten Kontakt mit den Imamen, wird in den Ablauf des Heilsgeschehens unmittelbar

36 Mu'gam rigal al-~adf!., Nagaf 1981, XXIII17-21 (laufende Nummer 14697!); ähnlich karg sind Mul,lammad Hädf al-Amfnf: Mu'gam rigal al-fikr wa-l-adab fi n-Nagaf billil alf 'am, I-III, Nagaf2141311992, 11182-85; 'AlfWä'e:? ijiyäbänf: Ketab-e 'olamä-ye mo'a.rerin, Tabnz 1366/1946-47, 406-09 sowie 'Abbäs Qommf: Fawä'id ar-ra<jawfya fi a~wal 'ulamä' al- maf!hab al-ga'farfya, o.O. 13278/1948, 220-22.

37 Reynolds: Defense (wie Anm. 8), 1 26f., 129-31.

38 Einzig 'Air al-Bal).ränf ist hier eine Ausnahme; er will von keinem seiner Lehrer eine igaza, um sich nicht dem Verdacht weltlicher Ziele und Absichten auszusetzen: An war al-badrain fi

tarägim 'ulama' al-Qa{ifwa-l-A~sa' wa-l-Ba~rain, Nagaf 1957, 271.

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68 RAINER BRUNNER

miteinbezogen.39 Wenn beispielsweise al-Mämaqän1 in aller Ausführlichkeit davon be- richtet, wie er im Traum zu Ga'far a~-$ädiq emporstieg, dieser ihm die Zunge in den Rachen steckte und er den Speichel des Imams einsog, dann mag das nicht unbedingt der Erwartungshaltung eines europäischen Lesers entsprechen, bringt aber genau die- ses Motiv zum Ausdruck.

Dazu paßt, daß die Entwicklung der Persönlichkeit der Autoren, ihre Lebenskrisen und Zweifel, weitgehend ausgeblendet bleiben. Die Anfechtungen des Lebens sind äußerlicher Natur. Auch private Dinge, Familienangelegenheiten zumal, kommen praktisch nicht vor. Daß die Autoren Frauen und Kinder hatten, erfährt der Leser nur beiläufig, die Namen von Müttern, Ehefrauen oder anderen weiblichen Verwandten werden grundsätzlich nicht genannt.40 Wiederum al-Mämaqän1 teilt dem überraschten Leser zwar mit, daß er in der Nacht des 4. Qü 1-l:ligga 1304 »die Mannbarkeit erreich- te« (balagtu l-ihtiläm) - seinen Hochzeitstag jedoch verschweigt er. Und wenn Mu-

~ammad Öawäd Mugn1ya schreibt, er habe in seiner Jugend ein Nachbarmädchen geliebt, dann hat das fast schon den Hauch des Erotischen. Die Grenze zwischen Privatheit und Öffentlichkeit verläuft eben nicht überall gleich.41

In letzter Zeit ist das Schreiben umfänglicher Erinnerungsbücher auch unter schii- tischen Geistlichen zusehends in Mode gekommen. Soeben erschienen die Erinnerun- gen Äyatolläh Monta~erls (über 600 Seiten), und die des früheren iranischen Präsi- denten Rafsangäm bringen es auf stattliche 1600 Seiten. Was für ein geschwätziger Gegensatz zu Yüsuf al-B~rän1, der sein bewegtes Leben auf knapp ftinf Seiten ein- zufangen wußte! Und erst zu al-'Alläma al-I:Jilll, der außer einer Vokalisierungshilfe für einen Namensteil gar nichts von sich preisgab und dennoch einer der bedeutendsten Theologen der Schia geblieben ist. Ein solches Maß an biographischer Kürze wurde auch andernorts später nur selten erreicht, am eindrucksvollsten zweifellos von John Aubrey im 17. Jahrhundert. Dieser faßte in seiner skurrilen Biographiensammlung Brief Lives zwar nicht sein eigenes, dafür das Leben seines Zeitgenossen Abraham Wheelock - seines Zeichens übrigens Arabist zu Cambridge - in die zwei Worte:

»Simple man«.42

39 Vgl. allg. Art. Dreams and Dream Interpretation, Elr VII/549-51; Karl-Heinz Pampus: Die theologische Enzyklopädie Bi~är al-anwär des Mul]ammad Bäqir al-Maglisl. Ein Beitrag zur Literaturgeschichte der

Sra

in der fjafawidenzeit, Diss. Bonn I 970, 48ff.

40 Vgl. a. Mervin/Amin: Autobiographie (wie Anm. 26), 139f.

41 Die einzige Ausnahme scheint Mol)ammad I:Iasan Ägä Nagaff Qücäni zu sein, dessen Au- tobiographie Siyäl]at-e sarq yä zendegfnäme wa safamäme be qalam-e !J "ls, Mashad

I 35 IS/1973 ein längeres Kapitel über seine Hochzeit und das Heiraten im allgemeinen enthält (S. 395ff.); dazu Michael M.J. Fischer: Portrait of a molla: the Autobiography & Bildungs- roman of Agha Najafi-Quchani (1875-1943), Persica 10/1982/223-57.

42 John Aubrey: Brief Lives, tagether with An Apparatus for the Lives of our English Mathe- matical Writers and The Life of Thomas Hobbes of Malmesbury, Selected and edited ( ... ) by John Buchanan-Brown, London 2000, 338; wer etwas ausführlicher über Wheelock (1593-1653) informiert sein möchte, sei verwiesen auf Michael Murphy/Edward Barrett:

Abraham Wheelock, Arabist and Saxonist, Biography 8/1985/2/163-85.

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