eine Nachlese
Von Paul Kunitzsch, Köln ''
In einer Heidelberger Dissertation bat jüngst B. F. Lutz die deutscbe
Bearbeitung des unter der Bezeicbnung „Liber Alfadhol" bekannten
mittelalterlichen Losbuches herausgegeben*. Damit trat dieses seit
einem Jahrhundert lediglich aus bibliographischen Notizen bekannte
Losbuch* zum ersten Mal voll ins Licht der Forschung. Für Lutz' Arbeit
standen insgesamt sieben Handschriften zur Verfügung, davon vier
lateinische* :
C = Cambridge, Universitätsbibliothek Kk. 4. 2 (Clare College 15),
mn 1280;
F = Florenz, Laur. 29, 4; 14. Jhd.;
P = Paris, B. N. lat. 7323; 14. Jhd.;
B = Berlin, quart. 559; 2. Hälfte des 14. Jhd.
eine deutsche :
V = Wien 2804; 15. Jhd.;
und zwei arabische :
L = London, Brit. Mus. or. 1004 (= Add. 9607), datiert 1216 h =
1801/02;
R = Rom, Bibliothek Vittorio Emmanuele Nr. 35 (Guidi), 18. Jhd.
Der Text des Losbuches enthält folgende Hauptelemente, die sich in
den einzelnen Rezensionen abgewandelt darstellen: eine Einleitung
nebst Gebrauchsanweisung, eine Liste von 144 Fragen, sowie einen
Katalog von je zwölf Antworten zu jeder der 144 Fragen (also insgesamt
1728 Antworten). Die genannten sieben Handschriften weisen sämtlich
> Das Buch 'AlfadoV, Untersuchung und Ausgabe nach der Wiener Hand¬
schrift 2804, Heidelberg 1967 (Fotodruck). Die Aufklärung der arabischen
Elemente lag dabei in den Händen des Verfassers dieser „Nachlese" .
* Angaben von Wüstenpeld, Suteb, STErNSCHNSiDEB und Thobndike
(cf. die Bibliographie bei Lutz) ; dazu noch G. Flügel, Über die Loosbücher der Muhammadaner, Ber. Verh. kgl. sächs. Ges. d. Wiss., Philol.-hist. Classe, I, Leipzig 1861, speziell S. 37ff.
" In Speculum 2, 1927, S. 326 weist Thobndike auch auf die Handschrift
Math 8 des alten Katalogs der amplonianischen Sammlung von 1412 hin:
Aphathol, Liber de Auguriis. Die Handschrift ist im jetzigen Bestand nicht
mehr erhalten, dürfte aber mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit ein Alfadhol- Text gewesen sein, welcher Version, bleibt freihch ungewiß.
298 Pattl Kunitzsch
alle drei Grundelemente auf und stimmen auch im Sachgehalt von Fra¬
gen und Antworten überein, zeigen dabei jedoch Unterschiede in Wort¬
laut und äußerer Disposition. Es lassen sich mehrere verschiedene
Rezensionen unterscheiden: C repräsentiert eindeutig eine unmittelbare
Übersetzung aus dem Arabischen. Hiervon verschieden ist die lateinische
Version in den untereinander gleichlautenden Handschriften FPB, die
auch ein eigenes Vorwort aufweist. Welche dieser beiden lateinischen
Versionen dem „Liber Alfadhol .i. est arab de bachi" im Katalog der
Übersetzungen und Werke des Gebhajbd von Cremona entspricht, ist
nicht ersichtlich. FPB sind im Wortlaut meist weitschweifig und scheinen
sich von der (arabischen?) Vorlage zu entfernen. Die Abweichungen im
Wortlaut deuten darauf hin, daß es sich bei FPB um eine eigene, von C
verschiedene Übersetzung handelt. Dabei ist jedoch nicht ausgeschlos¬
sen, daß die Version FPB in gewissen Einzelheiten (Autorenname, persi¬
scher Werktitel, Losrichternamen) von C abhängt. V, die deutsche Ver¬
sion, ist aus der lateinischen Fassung FPB übersetzt imd berührt sich
eng mit B. Die beiden arabischen Handschriften L und R enthalten die
gleiche Grundsubstanz wie die europäischen Texte, weichen jedoch im
Wortlaut sowohl untereinander wie auch von den europäischen Texten
ab. Engere Beziehungen ergeben sich hauptsächlich zwischen R und C.
Eine vollständige Klärung der gesamten Überlieferungsgeschichte
des Alfadhol-Komplexes, zumal in den älteren Stadien, konnte infolge
unzureichender Auskunft der Texte bei Lutz nicht erfolgen. Offen ge¬
blieben sind unter anderem auch die Frage nach dem Autor (und damit
zusammenhängend nach der Rolle des Kalifen Härün ar-Ra§id bei der
Entstehung des Losbuches) sowie diejenige nach der Herkunft der Na¬
men, mit denen in den europäischen Texten die 144 Fragen und die zu¬
gehörigen Antwortgruppen gekennzeichnet sind (Losrichternamen).
Lutz mußte sich damit begnügen festzustellen, daß der in den euro¬
päischen Versionen genannte Autorenname (am besten C: Alfadhol
filius sehel) mit Sicherheit einem arabischen al-Fadl b. Sahl entspricht.
Von den beiden arabischen Handschi-iften ist R anonym, enthält jedoch
im Titel ein Wort, das anderswo im Zusammenhang mit al-Klindi auf¬
tritt*, während L als Autor einen gewissen 'Abdallah b. 'Ubayd al-'sni
al-Munaggim nennt.
Hinsichtlich der 144 Losrichternamen ließ sich ermitteln*, daß sie in
den europäischen Texten einheitlich überliefert sind, wobei C meist die
besten, der alten Übersetzung am nächsten stehenden Transkriptionen
bietet«. 139 Namen kormten mit den entsprechenden arabischen Origi-
* Lutz S. 86.
* Lutz S. 115ff.; P. Kunitzsch bei Lutz S. 321ff.
* Bei acht Namen haben einzelne Handschriften der Version FPBV die
nalwörtern identifiziert werden; zu fünf Namen ergab sich keine ein¬
deutige Assoziation. Die meisten der erkannten Namen sind arabische
Sternnamen (darunter in regelmäßiger Verteilung die 28 Mondstationen).
Die beiden arabischen Handschriften L und R enthalten keine Losrich¬
ternamen, sondern bezeichnen die Fragen und Antworten lediglich mit
durchlaufender Numerierung von 1 bis 144. Eine quellengeschichtliche
Analyse der identifizierten Namen zwingt jedoch zu dem Schluß, daß
diese bereits in der arabischen Übersetzungsvorlage enthalten gewesen sein
müssen, da der lateinische Übersetzer diejenigen Texte nicht gekannt
haben dürfte, in denen einige dieser Namen ausschließlich vorkommen'.
Nach Abschluß der Arbeiten an Lutz' Dissertation sind nun noch
fünf weitere arabische Handschriften in Fotokopien zugänglich gewor¬
den, die hier in einer „Nachlese" mitgeteilt werden sollen.
Vorweg soviel, daß auch diese fünf neu hinzutretenden arabischen
Handschriften keinen Beitrag zur Lösung der beiden oben berührten
Fragen erbringen: keine davon nennt den Autor al-Fadl b. Sahl, und
keine benutzt die 144 Losrichternamen — auch hier findet man stets
nm Zahlen zur Kermzeichnung der Fragen und Antworten*.
Es sind folgende fünf Handschriften :
U = Istanbul, Universitätsbibliothek A 6292, datiert 1179 h =
1765/66»;
bessere Form (cf. Lutz S. 322). Übrigens ist die Glosse zu Nr. 17 in C (bei
Lutz S. 118) zu lesen: .i. sedes in qua reuoluunt (reuoluerunt?) se mulieres.
' P. Kunitzsch bei Lutz S. 335.
' Da somit alle sieben bekannten arabischen Handschriften den Autoren¬
namen al-Fadl b. Sahl imd die 144 Losrichtemamen nicht enthalten, ergeben
sich aueh Folgerungen für die Beurteilung der beiden abendländischen Ver¬
sionen C und FPB. Sie scheinen dem Wortlaut naeh zwei verschiedene Über¬
setzungen aus zwei versehiedenen arabischen Rezensionen darzustellen.
Doch ist kaum anzunehmen, daß beide arabischen Übersetzungsvorlagen
— im Gegensatz zu sämtlichen bis jetzt bekannten arabischen Handschriften
— den Autorermamen al-Fadl, den persischen Werktitel und die 144 Los¬
richtemamen aufwiesen. Es sieht am ehesten danach aus, daß nur die eine
lateinische Übersetzung, nämlich 0, diese Elemente in ihrer Vorlage vor¬
fand, und daß die zweite lateinische Version, FPB, — wie auch immer sie
zustande gekommen sein mag — diese Elemente aus der ersten Übersetzung,
die für uns in C sichtbar wird, herübernahm. C enthält das gleiche Vorwort
wie die unter dem Namen al-Kindi gehenden arabischen Handschriften
UKM, der knappe Wortlaut der Fragen dagegen entspricht meist der Version
in der anonymen arabischen Handschrift Q. Das Vorwort der zweiten latei¬
nischen Version FPB (auch in V) hat keine Entsprechung in den uns vor¬
hegenden sieben arabischen Handschriften.
• Cf. P. Kunitzsch, Fihris al-Mahtütät al-Musawwara, Teü 3, Kairo,
Arabische Liga, 1958, S. 35, Nr. 62; T. Fahd, La divination arabe, Leiden
1966, S. 216, Fn. 4.
300 Pattl Ktootzsch
K = Kairo, Där al-Kutub, hurüf 15, nicbt datiert*";
M = Istanbul, Aya Sofya 1999, datiert 700 h = 1300/01, fol. 59'-fF.";
Q = Istanbul, Aya Sofya 1999, fol. 19'-fF.*2;
H = Istanbul, Aya Sofya 2685, datiert 764 b = 1362/63, fol. llrff.xs.
Zur besseren Übersicht folgt hier zunächst eine Darstellung der
Textordnung in den sieben verschiedenen arabischen Handschriften :
U, in etwas ungelenkem nashi, mit orthographischen Fehlern, aber zu¬
weilen besserem Text als die ältere Handschrift M, hat zunächst auf V
einen ausführlichen Titel mit Autorenangabe. Die ziemlich lange Vor¬
rede reicht von 1^ bis 7' unten. Mit 7^ beginnen die Antworten. Jede
Seite enthält ein Kapitel; die oberste Zeile nennt dabei die Kombina¬
tion ,, Tierkreiszeichen + Planet", wobei die Tag- und Nachthäuser der
Planeten zugrunde liegen (das erste Kapitel : Krebs -f Mond, das zweite
Kapitel: Löwe -\- Sonne). Darunter erscheint der Fragegegenstand.
Sodann folgen in zwölf Zeilen die 12 Antworten. (Die vorliegende Foto¬
kopie endet mit fol. 8'", Antworten zu Frage 2. Der gesamte Text um¬
faßt 79 Blatt, was genau der Gesamtzahl der Seiten von Vorwort und
den 144 Antwortkapiteln entspricht. Die 144 Fragen sind in dieser
Handschrift also nicht in einem eigenen Abschnitt aTifgeführt, sondern
erscheinen lediglich jeweils am Kopf einer Seite, die darimter zugleich
die zugehörigen zwölf Antworten enthält).
K, in voll punktiertem, nur selten vokalisiertem nashi, stimmt im Auf¬
bau mit U überein. Auf 1' steht der Titel nebst Autorenangabe, die Vor¬
rede reicht von 1^ bis 5^ unten. Ab 6'' beginnen die Seiten wie in U, d.h.
am Kopf erscheint die Frage, darunter jeweils 12 Antworten. Dabei ist
jedoch die Reihenfolge der Fragen gestört : von 6"" bis 13^ folgen aufein¬
ander die Fragen Nr. 7, 8, 9, 10, 1, 2, 3, 4, 5, 6, 11, 12, 29, 30, 31, 32;
ab 14^ bis zum Ende der Kopie (21^) folgen ungestört Nr. 49—63. Im
Gegensatz zu U (und R) weist K den astrologischen Bezug auf die Pla¬
netenhäuser nicht auf.
M, in sorgfaltigem, durchgehend vokalisiertem nashi, beginnt mit einem
künstlerisch gerahmten Titel auf 59'", der auch den Autor angibt. Das
*• Cf. H. Suteb, Die Mathematiker und Astronomen der Araber und ihre
Werke, Abh. z. Gkisch. d. math. Wissenschaften X, Leipzig 1900, S. 25, Nr.
45 (al-Küidi) und „Nachträge" hierzu (ebda. XIV, 1902), S. 161. Die Be¬
schaffung der Fotokopie verdanke ich den freundlichen Bemühungen von
Herrn Dr. H. Klopfer, Kairo.
" Cf. Fahd, a.a.O. S. 216, Fn. 4.
»2 Cf Fahd, a.a.O. S. 216, Fn. 4.
" Cf. Suteb, Mathematiker S. 7, Nr. 10; id., Bibliotheca Mathematica 4, Leipzig 1903, S. 25f., Nr. 6; Fahd, a.a.O. S. 490, Fn. 1.
Vorwort reicht von 59^ bis 62^. Auf 63^ bis 65' erscheinen die 144 Fra¬
gen (hägät), wobei jede Seite in 24 Quadrate unterteilt ist, deren jedes
eine Frage nebst ihrer Ordmmgszahl enthält. Die Antworten setzen an¬
schließend auf 66'' ein. Jede Seite trägt in großer Überschrift die laufende
Nummer des bäb sowie den Fragewortlaut, darunter folgen, sorgfältig
eingerahmt und durch ab^ad-Zahlen numeriert, in 12 Zeilen die 12 Ant¬
worten. (Die vorliegende Kopie endet mit fol. 70'', Antworten zu Fra¬
ge 9).
R ist in maghrebinischem Duktus geschrieben, und zwar in sehr sorg¬
faltiger Hand; Punkte sind durchgehend, Vokale gelegentlich gesetzt.
Nach sehr kurzer Einleitung beginnt auf der gleichen Seite (1^) unten
der Fragenkatalog, der nach 144 Fragenzeilen mit fol. 6' unten endet.
Der Antwortenteil ist seitenweise gegliedert: oben erscheint zur Orien¬
tierung die laufende Nummer der Frage, darunter ist der Frage Wortlaut
wiederholt, sodann folgen in 12 Zeilen die 12 Antworten. Am Außen¬
rand jeder Antwortseite wird in fortschreitender Reihenfolge jeweils ein
Tierkreiszeicben genannt (beginnend mit ELrebs) nebst seinem zugehöri¬
gen Planeten (die Tag- und Nachthäuser, wie in U). (Die vorliegende
Kopie reicht bis fol. 11'', Antworten zu Frage 10).
Q, in gleicher Sorgfalt wie M, beginnt auf 19' mit einem künstlerisch
ausgestalteten Titel ; ein Autor ist dabei nicht genannt. Das kurze Vor¬
wort umfaßt nur zwei Seiten (IQ"^ —20''). Von 20^^ bis 22' erscheinen die
144 Fragen in abweichender Anordnung : jede der vier Fragenseiten ist
in drei Kolumnen geteilt, deren jede als bäh (insgesamt von 1 bis 12)
gezählt ist; jede Kolumne enthält jeweils 12 Fragen, die durch voran¬
gestellte abgad-Zahlen von 1 bis 144 durchgezählt sind. Auf 22' begirmen
die Antworten: jede Seite enthält zwei Kolumnen (die Kolumnen sind
mit ob^ad-ZaMen von 1 bis 144 durchgezählt), deren jede zu oberst noch
eirunal den Fragewortlaut wiederholt, worauf in 12 Zeilen die 12 Ant¬
worten folgen. Alle Antworten sind ständig mit ah^ad-ZsiMen von 1 bis
12 bezeichnet. (Die vorliegende Kopie reicht bis fol. 25'', bäb 12.)
H, in sorgfältigem, teilweise auch vokalisiertem nashi, bietet auf 11'
den Titel, ohne Autorenangabe, woran sich unmittelbar der Fragen¬
katalog anschließt (11'— IV oben). Jede Frage nimmt eine Zeile ein und
wird als bäb mit einer durchlaufenden Ordnungszahl von 1 bis 144 be¬
zeichnet. Nun erst folgt (17'—18') ein Einleitungstext mit Gebrauchs¬
anweisung. 19' ist frei. Auf 19' setzen die Antworten ein : am Kopf jeder
Seite erscheint die Ordnungszahl je einer Frage, darunter ist der Frage¬
text wiederholt, sodarm folgen in 12 Zeilen die 12 Antworten. (Die vor¬
liegende Kopie reicht bis fol. 23', bäb 8.)
302 Paul Kunitzsch
L, in maghrebinischem Duktus, mit häufigen orthographischen Fehlern
und Vulgarismen, hat eine kurze Einleitung (1' bis 2' oben), auf die
zeilenweise bis 4' unten die 144 Fragen folgen. Daran schließen sich
fortlaufend die Antworten in 144 bäb zu je 12 Antworten (je eine Zeile
pro Antwort), wobei der Wortlaut der Frage in der Titelzeile zu jedem
bäb wiederholt ist. (Die vorliegende Kopie endet auf 8' unten mit der
fünften Antwort des vierzehnten bäb).
Alle diese Texte enthalten die immer gleiche Substanz an Fragen und
Antworten. Der Wortlaut dagegen ist meist verschieden". Als Beispiel
seien je eine Frage imd eine Antwort vorgeführt :
Frage 125 (cf Lutz S. 110 und 164):
M : hädihi l-ard tazkü fi hädihi asana am läl ,, Dieser Boden wird dieses
Jahr gedeihen oder nicht?"
R: kayfa yakün al-'äma [adv.] fi r-rahä' [ms: 'ü-rÄ'] tva-t-tamrl ,,Wie
wird es dieses Jahr sein mit [dem Wohlstand?] und den Datteln?"
Q: kayfa yakün az-zar' wa-ä-Sa^ar fi hädihi l-ard'i ,,Wie werden die
Saat und die Bäume auf diesem Boden sein?"
LH: fi hädihi s-sana kayfa takün al-fäkiha'i „Wie wird dieses Jahr das
Obst sein?"
0: Qualiter erunt in hoc anno seminaria et plante?
FPB: Hoc anno erunt hone seminationes bladi et hone plantationes
arborum uel non?
V: Ob dis iar wert gut sat deß treideß weren vnd bäum plantzen vnd
öbs?
Antwort 5 zu Frage 1 (cf. Lxrrz S. 166):
U: yakün fi hädihi s-sana matar katir fi s-sana kullihä ,,Es wird in
diesem Jahr viel Regen geben das ganze Jahr über."
K: yakün fi hädihi s-sana matar katir wa-llähu a'lam „Es wird in
diesem Jabr viel Regen geben. Grott weiß es am besten!"
M: hädihi s-sana yakün al-matar fihä näfi'an wa-huwa fi awwal as-
sana yakün qalilan wa-llähu a'lam ,,Der Regen in diesem Jahr
wird nützlich sein, wobei er zu Beginn des Jahres nur geringfügig ist. Gott weiß es am besten!"
1* Ubereinstinamung herrscht mu: zwischen U imd K sowie zwischen H
und L. Für das bei Lutz S. 314 im Glossar s.v. „zinß" erwähnte bayt al-mäl
(R in Antwort 12 zu Frage 1) haben U und K: al-ganä' uxi-l-mäl „Reichtum
und Vermögen", M und Q: al-mäl „Vermögen", H und L: murädaka „dein
Gewünschtes" (acc). In R dürfte es sich um ein Versehen des Schreibers
handeln, vgl. die Häuseraufzählimg im Vorwort von UKM : an zweiter Stelle
erscheint dort bayt al-mäl = C : domus census, also astrologisch „das 'Haus' des Vermögens".
R : yakün jl hädihi s-sana al-matar al-katir wa-yakün näfi'an wa-läkin
fi awwal aS-Sitä' „Es wird in diesem Jahr reichhehen Regen geben
und er wird nützlich sein, aber zu Beginn des Winters."
Q: yakün fi hädihi s-sana matar katir läkinnahü fi awwal aS-Sitä' ,,Es
wird in diesem Jahr viel Regen geben, jedoch zu Beginn des Win¬
ters."
H: hädihi s-sana yakün mataran katiran [sie] wa-yakün mubärakatan
[sie] ,, Dieses Jahr wird es viel Regen geben, und er [!] wird ein
gesegnetes [!] sein."
L: fi hädihi s-sana yakün matar katir wa-takün muqbila ,,In diesem
Jahr wird es viel Regen geben, und es wird ein erfolgreiches
[Jahr] sein."
C: erit in hoc anno pluuia multa et melior ipsius in principio anid.
FPB : pluuia uentura anni (P : uenturi anni, B : anni venturi) erit multa
et bona et utUis et melior ex ea que ueniet (P: ex ea erit que
ueniet, B : ex ea erunt que venient) in principio anni.
V : Der regen dis zukunftigen iares wirt vil sin vnd gut vnd nütz vnd
der im ersten teyl deß iareß feilet der ist der beste.
Was den Autor anbetrifft, so liegen verschiedene Angaben vor. Die
europäischen Texte, geführt von C, folgen einer arabischen Version, die
einen al-Fadl b. Sahl als Autor nannte. Hinter diesem Namen ist bisher
am ehesten der Höfling und Astrologe, später auch Wesir des Kalifen
al-Ma'mün vermutet worden, dem jedoch in den arabischen Bibliogra¬
phien keine Titel zugeschrieben werden. An der Eindeutigkeit der latei¬
nischen Transkription ist indes nicht zu zweifeln. Es sei darum hier auf
einen anderen, bibliographisch belegten Mann gleichen Namens hinge¬
wiesen: Abo l-Qäsim al-Fadl b. Sahl b. al-Fadl al-HarM (im Fihrist, ed. ~t
Flügel I, 311, 21—23; im zweiten fann der achten maqäla, welches die
Literatur zu Zauberwesen und Aberglauben behandelt!), dem ein Werk
über bestimmte Zaubertechniken beigelegt wird. Wie unten noch zu
zeigen sein wird, dürfte es jedoch am wahrscheinlichsten sein, in der
Autorenangabe al-Fadl b. Sahl — sei damit nun der Wesir oder der uns
ansonsten unbekannte Zauberbuchautor gemeint — lediglich eine pseud¬
epigraphische Zuweisung zu erblicken.
Drei der insgesamt sieben arabischen Handschriften (UKM) weisen
das Losbuch dem bekannten arabischen Naturwissenschaftler, Philo¬
sophen und Astrologen al-Kindi zu, der noch unter dem Kalifen al-Ma'¬
mün sowie dann dessen Nachfolgern wirkte und erst nach 870 gestorben
ist. Über die Wahrscheinlichkeit dieser Zuweisung wird weiter imten
ausführlicher zu sprechen sein.
H und L gehören einer Redaktion an, die unter dem Namen 'Abdalläh
b. 'Ubayd al-'sni al-Munaggim (L) bzw. 'Abdalläh b. 'Ubaydalläh al-'nsi
r
304 Pattl Kttnitzsch
al-Munaggim (H, fol. 17', 4—5) umläuft. Dieser Name tritt sonst in der
arabisclien Literaturgescbicbte nicht auf und dürfte auch Suter** nur
aus den beiden von ihm angeführten Handschriften (hier : H und L) be¬
kannt gewesen sein. Q und R schließlich sind anonym.
Der Titel des Losbuches variiert ebenfalls :
U: kitäb ad-dawäyir humruj (so vokalisiert), K : kitäb al-dtv'rdkmz^,
M : cd-qur'a al-mubäraka al-mai'müniya, R : hädihi qur'cU dw'zd hmrg,
Q: cd-qur'a ad-dawäzad hamra^ (sie),
H: kitäb cd-fä'l cd-mu'tahar wad' al-hukamä' wa-l-'ulamd' li-a^i l-halifa
Härün ar-RaSid,
L: hädä fl (sie pro fo'i) Härün ar-RaSid.
Das älteste greifbare Datum** aus der Geschichte des Losbuches ist
die zweite Hälfte des 12. Jahrhunderts. Damals müssen ein — oder
mehrere — Exemplare des arabischen Textes im islamischen Spanien
vorhanden gewesen sein, denn mit dem Namen des zu jener Zeit in
Toledo wirkenden Gerhard von Cremona ist die Entstehung der bzw.
einer lateinischen Version des „Liber Alfadhol" verknüpft. Unsere arabi¬
schen Handschriften M/Q und H stammen aus dem 14. Jahrhundert,
und noch am Ende des 18. Jahrhunderts wurden sowohl im arabischen
Osten (U, vielleicht K) wie im fernen Maghrib (LR) Abschriften davon
angefertigt. Hieraus ist zu entnehmen, daß es sich bei unserem Losbuch
um ein sehr beliebtes, weitverbreitetes Werk gehandelt haben muß. Und
darin wiederum dürfte die Erklärung liegen für das eigenartige Phäno¬
men des außerordentlichen Variantenreichtums und die schwankenden
Autorenangaben. Der Archetyp muß früh große Popularität erlangt
haben. Zahlreiche Kopien entstanden, vor allem im volkstümlichen Be¬
reich, die im Wortlaut immer stärker vom Ursprung abwichen und
ihrerseits weiter überliefert wurden. Infolge des populären Charakters
spielte sich die Überlieferung in einem wesentlich nachlässigeren Milieu
ab als etwa diejenige wissenschaftlicher oder literarischer Texte. Wäh¬
rend es bei diesen auf jedes Detail ankam und die Kopisten um äußerste
Sorgfalt bemüht waren, auch wohl durch Autoren, Käufer, Buchhändler,
Leser korrigiert wurden, fehlte in dem populären Bereich jegliche Kon¬
trollinstanz. Wilde Kopien wurden beliebig hergestellt und wucherten
aus zu hybriden Varianten. Um 1300 werden ähnliche Versionen dessel¬
ben Grundtyps nicht mehr als identisch angesehen : die Handschrift Aya
" Mathematiker 8. 7, Nr. 10; Bibl. Math. a.a.O.
*• Zur Erwähnung des Titels in zwei späten Handschriften des 377 h =
987 fertiggestellten Fihrist s. weiter unten.
Sofya 1999 enthält gleichzeitig zwei solcher verschiedenen Rezensionen
(M und Q) hintereinander. Diese Entwicklung wird ebenfalls bezeugt
durch die groben Schreibfehler in L und U. Die Version HL zeigt dazu
auch mngangssprachliche Züge*'. Ähnlich wie im Abendland an einigen
Stellen spezifisch Christliches in den Text Eingang fand**, hat im Orient
M einen spezifisch islamischen Gegenstand in das Fragen- und Antwor¬
tensystem eingefügt**.
Vergleicht man die sieben arabischen Handschriften miteinander, so
zeichnen sich ganz grob zwei Textgruppen ab: einerseits die ,,Eandi-
Gruppe" (UKMR, mit spezifischen Gremeinsamkeiten bei U-K und bei
U-R), an die sich auch die lateinische Übersetzung C anschließt, und
andererseits die Rezension von 'Abdalläh al-Munaggim (HL). Letztere
wird gleichlautend überliefert und scheint innerhalb des variantenreichen
Alfadhol-Komplexes einen jüngeren, dann selbständig weiter überliefer¬
ten Zweig darzustellen, an dem besonders eine gewisse Vulgarisierung
hervortritt. Q ist als Derivat der Kindi-Gruppe anzusehen.
Die Zusammengehörigkeit der Kindi-Gruppe wird vor allem unter¬
strichen durch das aufschlußreiche Vorwort, das den arabischen Hand¬
schriften UKM und der lateinischen Übersetzung C gemeinsam ist.
Zwei Passagen daraus zeigt auch das kürzere Vorwort von R, ebenso
finden sich einige Reminiszenzen in der Einleitung der arabiscben Ver¬
sion HL. (Das Vorwort der zweiten abendländischen Version FPBV
zeigt keine Anklänge an die bis jetzt aufgefundenen arabischen Texte).
Der Autor — in UKM : al-Kindi, in C : al-Fadl — beginnt mit einem
Lobpreis der schönen Zeit des Kalifen, in der allgemeiner Wohlstand
herrsche. Dabei beißt es in U (1', 8—9) und K (1', 7—8): ... bi-hiläfat
sayyidinä amir al-mu'minin atäla Uähu baqä'ahü ...; M kürzer : bi-
hiläfat amir al-mu'minin (59', 5). Der Name des Kalifen selbst wird
nicht genannt! C dagegen schreibt gemäß seiner arabischen Vorlage:
... Imperatoris Aaron Arasseid cuius moram perlonget deus (145',
3—4). Hier ist ein Kalifenname eingesetzt, und zwar derjenige des
Härün ar-Ra§id (reg. 786—809). Damit ist ein doppeltes Problem aufge¬
worfen, denn das Kalifat Härüns würde nicht besonders gut zum Autor
Alfadhol = al-Fadl b. Sahl as-Sarahsi stimmen, der ja vor allem mit
*' Z.B. in Frage 87: eS rä'ayt anä fl manämi (dafür R : ayya Say'in ra'ä
fl l-manäm; M: abweichender Fragegegenstand; Q: ayya äay'in ra'aytu [sie]
fl l-manäm).
*8 Cf. Lutz S. 80f und III.
*» Frage 1: al-ha^^ fl hädihi s-sana sälih am lä „Wird es Heil bringen, die
Pilgerfahrt nach Mekka in diesem Jahr zu machen, oder nicht?" Die ent¬
sprechende Antwort zieht sich dann weiter durch den Antwortenteil, imd
zwar nach dem Schema: Frage 1 — Antwort 1; Frage 2 — Antwort 2;
Frage 3 — Antwort 3; usw.
306 Paul Kunitzsch
Härüns Selm al-Ma'mün verbunden war, bis ihn dieser 818 ermorden
ließ. Zum Autor al-Kindi, der erst nach 870 gestorben ist, würde Härün
noch viel weniger passen. Der Kalif, dessen Tage al-Kindi preist, könnte
frühestens Härüns Sohn al-Ma'mün (reg. 813—833) sein*", oder dann
dessen Bruder und Nachfolger al-Mu'tasim (reg. 833—842), dem al-
Kindi besonders nahe stand**. Für beide Autoren, al-Kindi wie al-Padl,
wäre also Härün gleichermaßen unpassend. Sein Name hat aber im
12. Jahrhundert in derjenigen arabischen Rezension gestanden, aus der
die lateinische Ubersetzung C hervorging. Es gäbe keinen plausiblen
Grund, warum der Übersetzer aus eigenem Ermessen an dieser Stelle
den Namen Härüns eingesetzt haben sollte — den er außerdem von sich
aus überhaupt nicht gekannt haben dürfte. Die jüngere arabische Re¬
daktion HL weist den Namen ebenfalls noch auf**.
al-Kindi spricht dann weiter von seinen Studien in der astrologischen
Literatur der Griechen, Inder und Perser (U 2', 9—10; K 2', 6—7; M
59', 10—11; C 145', 11)**, die ihn dazu geführt hätten, nun selbst ein
umfassendes, dabei leicht zu handhabendes Wahrsagebuch zu schreiben.
Unter der einschlägigen Literatur erwähnt er besonders ein schwieriges
indisches Werk, dessen Titel korrupt zitiert wird : al-humar^ (U 2', 7—8;
so vokalisiert), al-hsm'rh (K 2', 3), cd-fuiSta hrh, (M 60^, 4; diese Variante zeigt Anklang an pers. haSt bur^ ,,die acht Tierkreiszeiehen/Häuser",
was aber wohl lediglich Zufall ist, da doch diucbweg von einem indi¬
schen Werk die Rede ist und da acht Häuser sinnlos wären — in der
astrologischen Lehre handelt es sich ja um zwölf Zeichen bzw. Häuser);
analog zu letzterer Lesart C 145', 20: alhestemeragi. Ein Inder habe ihm
das Verständnis dieser schwierigen Werke erschlossen (U 2', 12 — 3', 5;
K2', 6— 11;M60', 6—11).
In diesem Sinne könnte man den Titel von M, der ja direkt auf al-Ma'¬
mün verweist, hier für „echt" nehmen im Gegensatz zu den anderswo be¬
haupteten Berufungen auf Härün. Im übrigen ist diese qur'a in Anlage, Auf¬
bau und Methode völlig verschieden von derjenigen Art, die G. Weil als
qur'a ma'münlya beschreibt {EI, s.v. Kur'a, col. 1202b, sub 3). Die beiden
ma'münisehen qur'aa bei Ahlwardt 4242 imd 4243 gehören ebenfalls einer
anderen Art an. „Ma'münische qur'a" ist also keine bestimmte Losbuchart;
es werden Losbüeher mit den verschiedensten Losmethoden so genannt.
21 Unter einem Sohn und späteren Nachfolger des letzteren, al-Mutawak-
kü (reg. 847—860), war al-Kindi aus religiös-weltanschauhchen Gründen
Verfolgungen ausgesetzt, so daß sich das Lob der schönen Tage am wenig¬
sten auf dessen Regierungszeit beziehen kann.
22 Hier wird im Vorwort berichtet, Härim habe eine Konferenz vieler Ge¬
lehrter nach Baghdad einberufen, die ihm aus der WahrsageUteratur der
Inder und Perser und Griechen (!) ein praktisches, allumfassendes Buch
zusammenstellen sollten. 'Abdallah nennt sieh als einen dieser versammel¬
ten Fachgelehrten und als Autor des Buches.
23 Ein Reflex davon ün Vorwort der arabischen Redaktion HL (cf. Fn. 22).
Nach Aufzählung der Absichten und Grundideen seines Buches, das
jenem indischen entgegengestellt wird, nennt al-Kindl dann auch den
Titel, den er dafür gewählt habe : U 3', 2—3: wa-sammaytuhü d-dawäyir
hmr^ min ^umlat [mit tä' !] al-hurüj al-itnä'aSar [sie] ; etwas besser K 3',
6—7: wa-sammaytuhü al-dw'rdhmzh ma'hüd min ^umJat ... ,,und ich
narmte es al-d.h. nach der Gesamtheit der zwölf Tierkreiszeicben" (in
M 60', 3 korrupt) ; C 145', 19—20: et nominaui ipsum dhucedemeragi,
dahinter Z. 21 noclimals: Ego autem posui adhucedemeragi secundum
XII Signa ...
Anschließend verbreitet er sich über die astrologischen Prinzipien in
dem Buch und zählt dabei die zwölf „Häuser" mit ihrer Bedeutung auP*
(U 3', 8flf.; K 3', llfF.; M 6F, m Tabellenform; C 145^, 26 ff.).
Danach kommt er in U noch einmal auf die Entstehungsgeschichte
seines Buches zurück und nermt jetzt als unmittelbare Quelle (4', 9—10)
ein kitäb gawämid al-asrär von AbO Ma'lar**, das in 288 Kapitel gegUe-
dert gewesen sei und das er auf 144 Kapitel gekürzt und vereinfacht
habe. Diese Passage fehlt in KMC. Hieran schließt sich in UKC eine
längere Erörterung von Wahrsagemethoden und moralischen Prinzipien,
bis der Autor wieder den Herrscher anredet (U 5', 7 und K 4', 7 in
direkter Aiuede; M 61', 6 in der dritten Person; C 145', 10 dafür nur:
Qui ergo uult operari ...) und ihm darlegt, mit welcher geistigen Ein¬
stellung man an die Benutzung dieses Buches herangehen solle.
Nun folgt die eigentliche Gebrauchsanweisung: K ö*", 7 — 5', 3; M
61', uit. — 62', uit.; in U ist die Passage ausgelassen und auf 6' Mitte
bis 7' unten nachgetragen. In UK lautet der Anfang: wa-asl al-'amai
[U: al-'lm] bi-hädä l-kitäb al-musammä al-dw'rdhmrh [so K; dafür U:
ad-dawäyir hmr^] an. ..; M bat: wa-a§l al-'atnal fi hädä l-kitäb al-ma'rüf
bi-l-itnay 'aäara burian an. .. ; Q 20', 1: wa-sürat al-'amal fi hädihi d-
dw'zdhmrh an. .. ; C 145', 21 nach abweichender Vorlage: Scias quod
in hoc adheguecemaregi sunt ... Diese Anfangsstelle liefert nun auch
den eindeutigen Beweis für die Richtigkeit von Sxjtees alter Erklänmg
des Ausdrucks al-dw'zd hmrj u.ä. im Titel des Losbuches*«. In M ist
nämlich an der entsprechenden Stelle für das fremde Wort die arabische
Übersetzung eingetreten (cf. im gleichen Sirme auch bereits oben die
Stelle U 3', 2—3 = K 3', 6—7). Es handelt sich also bei al-dw'zd hmr^
** Bei Lutz S. 104 wird mißverständhch gesagt, das erste Haus fehle. Es
ist jedoch vorhanden, die Bezeichnung lautet in C: ascendens, analog zu
UKM: at-täli'.
25 Bei Bbockelmaiw, QAL, erscheint dieser Titel nicht; cf. dort lediglich
I, 222 Werke 10 und 11; Suppl. I, 395 Werke 16 und 25, mit Nachtrag auf
S. 960. Auch der Fihrist erwähnt unter Abü Ma'öar den Titel nicht (I, 277).
" „Nachträge" (a.a.O.) S. 161; Lutz S. 86.
308 Paul Kunitzsch
bzw. ad-dawäyir humru^ in der Tat um den persiscben Ausdruck dawäz-
dah bürg „die zwölf Häuser (des Tbierkreises)" (Suteb a.a.O.). Gemein¬
sam mit dem gesamten Vorwort wurde der Ausdruck in Transkription
auch in die lateinische Übersetzung C übernommen*'. Und die irrefüh¬
renden Formen „de merengi" u.ä. im Vorwort der Version FPBV stellen
mit Sicherheit wiederum nichts anderes dar als eine weitere Korruption
aus der in C gebotenen Transkription. Der Bearbeiter, dem die Formu¬
lierung des Vorwortes von FPBV zu verdanken ist, war offenbar selbst
nicht des Arabischen kundig; so faßte er das Glied ,,de" als die gleich¬
lautende lateinische Präposition auf und verband ,,de merengi", gleich¬
sam als Herkunftsbezeichnung (nisba), mit dem Autorennamen Alfadhol,
während der Ausdruck in Wirklichkeit als Bestandteil des Titels zu
,, Liber. .." zu ziehen wäre. Auch die Forschung ist, verleitet durch die
lateinische Formulierung im Incipit von FPBV, bisher ständig dem
gleichen Irrtum erlegen**. Dieser Abschnitt der „alten Einleitung" ist
in gekürzter Form auch in R aufbewahrt 1', (3—8).
" dhucedemeragi (145^, 19); adhucedemeragi (ib. 21); adhegue cedemeragi
(145', 10); adheguecemaregi (ib. 21). Auch die Araber erkannten in dem
fremden Wort keinen Sinn und haben es gelegentlich arabisch adaptiert
(U: od-dawäHr ,,die Kreise").
2* Für ähnliche Mißverständnisse in den Titeln lateinischer Übersetzun¬
gen aus dem Arabischen gibt es weitere Beispiele: In seiner Bibliographie Arahic Astronomical and Astrological Sciences in Latin Translation, Berkeley
und Los Angeles 1956, liest und versteht F. J. Cabmody S. 140, Nr. 2a den
Titel „Liber Abhomadym alfegyr. . ." falsch; cf. meuie Rezension in ZDMG
109 (1959), S. 432. Kürzlich hat A. I. Sabba m Isis 58, 1, No. 191 (1967),
77—85 triftige Gründe dafür beigebracht, daß sich hinter dem Autoren¬
namen Abhomady nieht, wie bisher durchgehend angenommen, Abü 'Ali
Ibn al-Haytam (Alhaeen) verbirgt, sondern Ibn Mu'äd. Dabei will er das
m vor alfegeir als Derivat aus arab. mä ,,was" verstehen. Diese Deutung
entspräche jedoch erstens nicht der typischen arabischen Titelformel, in
welcher der Gegenstand des Inhalts einer Schrift stets dureh die Präposition fl ,,über" (klass.-lat. de) angezeigt wird, was der mittelalterliche lateinische
Übersetzer hier wörtlich mit der lateinischen Präposition in wiedergab, die
dann zu m verlesen wurde; und zweitens wäre arab. mä in der Praxis der
lateinischen Übersetzer in Spanien phonetisch, mit starker Imäla, als „me"
wiedergegeben worden (cf. z.B. den Namen Messahala = Määä'allah).
Steinschneidbb hat einmal sogar das Wort Malfegeir mit Abhomadus zu¬
sammen als Namen des Autors aufgefaßt (Die europ. Übersetzungen a. d.
Arahischen, SB Wiener Ak., Phil.-hist. Kl., Bd. 149, Wien 1904, sub Gerhard
von Cremona, Werk 54), während er die Stelle anderenorts richtig deutet
(Die hebr. Übersetzungen des Mittelalters und die Juden als Dolmetscher,
Berlin 1893, S. 559). In der zitierten Bibliographie wird von Cabmody auf
S. 142 im Explicit eines Astrolabtraktats von Abü l-Qäsim Maslama al-
Magriti dessen nisba (lateinisch: qui dietus est Alaiacherica ; lies richtiger:
Almacherita) falsch auf „liber ..." bezogen und als Titel der Schrift auf¬
gefaßt (cf. meine bereits erwähnte Rezension).
Als letztes erscheint die bei Lutz S. 94 (Fn.) aus R (1', 8—12) wieder¬
gegebene Passage, deren Text jedoch in der „alten Einleitung" besser
erhalten ist. Hier ist nämlich „die Lüge" Subjekt des Nachsatzes, so daß
zu übersetzen ist: ,,Die Gelehrten gelangten einmütig zu der Ansicht,
daß, wenn der Mond in Konjunktion mit Mars oder im Aspekt der
Opposition oder der Quadratur zu ihm steht, während Mars sich in
einem der vier Kardinalpunkte aufhält, welche ..., daß dann die Fragen
imd das Denken und das Reden und das Handeln und die Arten der
Erledigung von Dingen unter dem Einfluß der Lüge stehen, sodaß das
Wahre der Lüge ähnlich wird und die Lüge dem Wahren".
Die Stelle lautete in R verstümmelt : ... auTia l-qamar idä qärana
l-mirrih .. . wa-käna l-gälib 'alä l-masä'il al-fikr wa-l-qawl wa-l-'amal
wa-anwä' tadbir al-umür wa-l-kidb hattä yasir. .. ; bessser heißt es dafür
in U 6', 5 — 6', 1 und K 5', 4—-9: ... anna l-qamar idä qärana l-mirrih
.. . käna l-gälib fi l-masä'il wa-l-fikr wa-l-qawl wa-l-'amal wa-anwä'
tadbir al-umür al-kidb hattä yasir .. . (eine Zeile der Vorlage ist vom
Abschreiber in U zweimal geschrieben worden). M hat denselben Wort¬
laut, doch ist hier eine Textzeile im wenn-Satz ausgelassen (62'", uit. —
62', 4). In C steht die gleiche Passage vor der Gebrauchsanleitung (145',
17 fif.): Sapientes uero narrauerunt quo modo [Korruption statt: quod
lima] separatur a marte ...
Die grundsätzliche Identität des Textes in Ost und West ist also mit
Sicherheit ermittelt. Dagegen reichen die bis jetzt bekannten Hand¬
schriften nicht aus, um die Entstehung der unterschiedlichen Versionen
in den verschiedenen Sprachen lückenlos zu verfolgen.
Die Berufung auf den Kalifen Härün ar-Rasid als Anreger des Werkes
ist zwar mindestens seit dem 12. Jahrhundert nachweisbar. Doch würde
die Regierungszeit Härüns (786—809) zur Wirkungszeit keines der bei¬
den namentlich genannten Autoren (al-Kindi und al-Fadl) stimmen.
Seine Erwähnung muß daher als sekundäre arabische Zutat angesehen
werden. Innerhalb des volkstümlichen Milieus, in dem das Buch haupt¬
sächlich zirkulierte, sollte der zugkräftige Name den charismatischen
Wert des Werkes erhöhen und ihm die Fiktion einer greifbaren, zugleich
autoritätsvollen Herkunft sichern. Aus dem gleichen Motiv heraus
haben im Abendland europäische Bearbeiter die Cleopatra-Sage hinzu¬
erfunden*».
Schwierig bleibt das Autorenproblem, für das vor allem die Angaben
des Vorworts in UKMC von Bedeutung sind. Dabei fällt zunächst grund¬
sätzlich das Schwanken in der Zuweisung auf (al-Kindi bzw. al-Fadl).
Man könnte daher von vornherein geneigt sein, an beiden Zuweisungen
zu zweifeln und beide für pseudepigraphische Fiktionen zu erklären.
2» Lutz S. 87f.
22 ZDMG 118/2
310 Paul Kunitzsch
Beide, al-Kindi und der Wesir al-Fadl, waren Männer etwa der gleichen
Zeit, und von beiden ist bekannt, daß sie sich mit astrologischen und
ähnlichen Afterkünsten befaßt haben. al-Fadl ist durch die lateinische
Übersetzung C bezeugt, die den Namen jedoch in ihrer arabischen Vor¬
lage voraussetzt. Innerhalb der arabischen Literaturgeschichte wird,
soweit bekannt, dem Wesir al-Fadl nirgends ein Werktitel zugeschrieben.
Bei ihm ist die Wahrscheinlichkeit einer pseudepigraphischcn Zuschrei¬
bung am größten. Daneben käme noch ein lediglich aus dem Fihrist be¬
kannter Zauberbuchautor al-Fadl in Frage (cf. oben), der sich nicht
näher einordnen läßt.
Anders sieht es bei al-Kindi aus. Die Zahl seiner überlieferten Werk¬
titel ist schier endlos*", und es findet sich darunter nicht nur „exakt
Wissenschafthches", sondern auch vieles, was wir Heutigen in die Kate¬
gorie des Aberglaubens einreihen würden. Das Vorwort des Losbuches
mit seinen Berufungen allgemein auf die einschlägige persische, indische
und griechische Literatur, vor allem aber speziell auf ein mit seinem
fremden Namen genanntes indisches Werk könnte in dieser detaillierten
Form nicht so leicht als Erfindung eines späteren Fälschers abgetan
werden.
Grundsätzlich anzuzweifeln ist allerdings die nur in U vorhandene
Angabe, al-Kindi habe das 144-Fragen-Buch aus dem größeren 288-
Fragen-Buch kitäb gawämid al-asrär von Abü Ma'Sar gezogen. AbO Ma'iar
(gest. 886, über hundert Jahre alt) war ein Zeit- und etwa auch Alters¬
genosse von al-Kandi und soll erst im Alter von 47 Jahren von diesem
zur Astrologie bekehrt worden sein**. Dieser Vorgang muß demnach vor
832, also noch unter dem Kalifat von al-Ma'mün, erfolgt sein. Es klingt
daher nicht sehr wahrscheinlich, daß al-Kindi, der ältere und größere
Meister, ein Werk eines von ibm eingeführten Novizen in der betreffen¬
den Wissenschaft ausgezogen und bearbeitet haben sollte**. Zeitlich
wäre das umso weniger naheliegend, da sich al-Kindis Eingangslob im
*» Bbockelmann, OAL; Fihrist; A. Nagy, Stdle opere di ... al-Kindl,
Rendiconti R. Accad. dei Lincei, Classe di scienze morali, storiche e filolo- giche, ser. 5, vol. 4 (Rom 1895), 157ff. Cf. die umfassenden jüngsten Zusam¬
menstellungen von N. Rescheb, Al-Kindl, An Annotated Bibliography,
Pittsburgh 1964 (Sekundärhteratur) und R. McCabthy, at-ta^änlf al-man-
8id)a ilä faylasüf al-'arab, Bagdäd 1962 (Werkeverzeichnis nach arabischen Quellen). (Die Einsicht in die beiden letztgenannten Publikationen verdanke ich der Freundhchkeit von Herrn Prof R. Sellheim, Frankfurt).
»* OAL Suppl. I, 221 (= Fihrist ed. Flügel I, 277, 6).
** Umgekehrt wird offen gegen Abü Ma'äar der Vorwmf erhoben, es mit
dem geistigen Eigentum nicht allzu genau genommen zu haben (OAL Suppl.
I, 395 und G. Sabton, Introduction to the History of Science, Baltimore 1929,
I 256 — beide gestützt auf O. Loth, Morgenländiache Forschungen, Leipzig
1875 (Festschrift H. L. Fleischer), S. 270fr.
Vorwort auf das Kalifat al-Ma'müns (bis 833) oder al-Mu'tasims (bis
842) zu beziehen scheint, während der neu bekehrte Astrologe Abü
Ma'sar eine nachahmenswerte Meisterschaft erst viel später erlangt
haben dürfte. Der Titel gawämid al-asrär ist übrigens bibliographisch
für Abü Ma'sar nicht belegt (cf. oben Fn. 25). Vielleicht handelt es sich
also bei diesem Titel (bzw. seiner Zuweisung an Abü Ma'Sar) selbst um
eine pseudepigraphische Fiktion.
Die Abo Ma'iar-Passage an sich steht in Widerspruch zu den voran¬
gehenden Angaben der Einleitung. Während es dort hieß, unser Losbuch
sei aus dem Studium der einschlägigen persischen, indischen und grie¬
chischen Fachliteratur hervorgegangen, wird es nun hier als Bearbeitung
eines angeblichen AbO Ma'äar-Werkes bezeichnet. Ähnlich wirkt auch
die oben zitierte Passage über den Einfluß bestimmter Positionen von
Mond und Mars innerhalb der Einleitung merkwürdig unmotiviert. Es
bleibt demnach zweifelhaft, wie weit das ganze Vorwort überhaupt als
geschlossen konzipierte Einheit und als echter Bestandteil des Textes
angesehen werden darf.
Jedenfalls führt uns das Vorwort in das undurchsichtige, wuchernde
Reich der pseudepigraphischen astrologischen Deuteliteratur, die Ele¬
mente verschiedener Kulturen und Sprachen enthält und mit ihren
Wurzeln in die altorientahsche und altägyptische Welt ziuückreicht**.
Diese Einordnung ergibt sich nicht niu aus dem Inhalt der Einleitung,
sondem ebenso deutlich auch aus dem persischen Werktitel, der bis in
die jüngsten Abschriften des 18. Jahrhunderts hinein beibehalten wurde
und den auch die abendländische Version zeigt.
Die Erwähnung des persischen Losbuchtitels im Werkeverzeichnis von
al-Kindi in zwei Handschriften des Fihrist^ erweckt im Hinblick auf
unsere Untersuchung höchstes Interesse. Leider lassen sich daraus keine
Rückschlüsse auf Alter und Echtheit des Textes ziehen, denn beide
Handschriften sind erst ganz jungen Datiuns**. Die Erklämng der
Fihrist-Stelle hat also im entgegengesetzten Sinne zu erfolgen: Wahr¬
scheinlich hat ein Fihrist-Koipiat den persischen Losbuchtitel unter al-
Die Aufzählimg einiger hellenistischer und anderer apokrypher qur'aa
im Fihrist 1, 314, 15—18 (ferner sogar auch Ptolemäus! — I, 268, 11) nünmt
G. Weh. zum Anlaß, für diese Losbuchart die Möglichkeit vorarabischer,
hellenistisch-antiker Herkunft zu erwägen (EI s.v. Kur'a).
'* Ed. Flügel I, 21 zu 256, 23: kitab al-dw'rd hmz^ qur'a fl nihäyat
al-husn; herangezogen bereits von Sdtee, MatherruUiker S. 25, Nr. 45.
" H, eine „neue Abschrift" (Flügel, Vorwort Fihrist I p. XVni); nach
Flügels Katalog der Wiener Handschriften I Nr. 33 datiert 1840; C, nach
Flügels Vorwort a.a.O. in Konstantinopel auf Veranlassung vmd unter
Aufsicht von de Slane hergesteUt, also ebenfalls aus der Mitte des 19. Jahr¬
hunderts.
22*
312 Patjl Ktotitzsch
Kjndls Namen gekannt (unsere beiden Handscbriften M und U waren
ja in Istanbul vorbanden!) und ibn in Kindis Werkeverzeicbnis im
Fihrist vermißt. Daraufbin scheint er den Titel dort als Zusatz einem
Werk angehängt zu haben, das seiner Meinung nach damit bezeichnet
gewesen sein körmte. Und zwar wies er den Titel der elften arithmeti¬
schen Schrift {fi l-hiyal al-'adadiya „Über Tricks mit Zahlen")** zu.
Diese Zuweisung will uns jedoch nicht sehr einleuchtend erscheinen, da
die genarmte Schrift schwerlich Losbuchcharakter gehabt haben dürfte.
Viel eher hätte es zutreffen körmen, den persischen Losbuchtitel mit der
siebenten arithmetischen Schrift {fi z-zagr wa-l-faH min ^ihat al-'adad
„Über Augmium und Los aufgrund von Zahlen")*' zu verbinden, oder
noch besser mit der außerhalb des Werkeverzeichnisses an anderer
Stelle separat genannten Schrift von al-Kindi: kitäb al-faH al-falaki
,, Astrologisches Losbuch" (I, 314, 14)**. Andererseits körmte es sich bei
dem Zusatz auch um den Einschub eines eigenen, selbständigen Titels
handeln, der jedoch hier unter den arithmetischen Schriften {al-kutub
cä-hisäblyät) ebenso deplaciert wäre wie ein Zusatz zu einem der darunter
aufgezählten Werktitel. Nach Flügels Textnote hat seine J'iArisMIand-
schrift H hinter dem ergänzten Titel noch die Worte: alhaqahü Ahmad;
mit diesem Ahmad dürfte al-Kindis bekannter Schüler Ahmad b. at-
Tayyib as-Sarahsi gemeint sein (dieser im Fihrist I, 261 f.), doch ist nicht
klar ersichtlich, was mit der Normung seines Namens hier ausgesagt
werden soll. Auf jeden Fall mag man diesen Zusatz bzw. Einschub aus
dem 19. Jahrhundert nicht als sicher verbürgt nehmen.
Werm man nach all diesem an dem Autorennamen al-Kindi festhalten
will, so wäre das nur mit der Einschränkung zulässig, daß man sich dabei
an die in der Vorrede erzählte Entstehungsgeschichte des Losbuches
hält. Man hätte es darm also mit einem Buch älterer Herkunft zu tun,
das aus einer fremden Sprache (indisch, evtl. persisch) zu den Arabern
gelangt war** und das al-Kindi bearbeitete und in einer gekürzten, ver-
Bei McCabthy Teil I, Nr. 42.
3' McCabthy Nr. 38. Diese Zuweisung erwog nach Suteb, Mathematiker
S. 25f., Nr. 45 auch bereits Vollebs, offenbar gestützt auf eine Passage im
Vorwort der Kairoer Handschrift (2'', —2: .. . badäH' al-fa'l al-'adadl uxi-l- hisäb an-nu^üml).
'* McCabthy Nr. 240. Zu vergleichen ist auch noch McCarthy Nr. 37:
fl stihräg al-habl' wa-d-damlr.
*' Die Rezeption älterer Texte aus dem Indischen imd Mittelpersischen
durch die Araber dürfte als Faktum indessen soweit gesichert sein, daß es
genügen mag, hier einige Namen und Begriffe ins Gedächtnis zu rufen. Für
das Indische vgl. die Rechenkunst und die indischen Ziffern; in der Medizin
u.a. die Auszüge bei 'Ali b. Sahl Rabban at-Tabari; in der Astronomie geht
u. a. das System der 28 Mondstationen (manäzil al-qamar) auf indischen Ur¬
sprung zurück, femer ist auf Kanaka und die durch ihn 773 nach Baghdad
einfacbten Fassung arabiscb herausgab. al-Kindi wäre also nicht der lu--
sprüngliche Autor des Losbuches, sondern niu" der Bearbeiter der arabi¬
schen Fassung davon.
Gegen die Echtheit der Kindi-Zuweisung spricht, daß im 12. Jahr¬
hundert auch eine arabische Redaktion des Losbuches zirkulierte, die
nicht unter dem hochberühmten, unverwechselbaren Namen des „Philo¬
sophen der Araber" umlief, sondern unter dem Namen al-Fadl b. Sahl.
Hiermit können der als Astrologe und Geheimwissenschaftler ebenfalls
gerühmte, als Autor jedoch bisher nirgends belegte Wesir des Kalifen
al-Ma'mün oder ein uns sonst nicht näher bekannter Zauberbuchautor
gleichen Namens gemeint sein. Die Einsetzung des Namens al-Fadl —
besonders, wenn damit der legendenumrankte Wesir gemeint wäre —
trägt freilich ganz vorzüglich pseudepigraphischen Charakter. Da al-
Fadl hier gleichwertig steht für den andernorts an derselben Stelle vor¬
handenen Namen al-Kindi, wird dann auch dessen Name auf den min¬
deren Rang einer pseudepigraphischen Zuweisung berabgedrückt.
Die Existenz einer Redaktion unter dem Namen 'Abdallah al-Munag¬
gim braucht nicht ebenso gegen die Echtheit der Kindi-Zuweisung zu
zeugen wie die Fadl-Redaktion. Es ist durchaus möglich, daß irgendwann
vor 1362 (dem Datum von H) der nur durch diesen Titel bekannte
'Abdallah al-Munaggim eine sprachlich vergröberte, volkstümlichere
Fassung des durch den Namen al-Kindi auf ein allzu hohes Niveau ge¬
hobenen Losbuches verfertigte und unter seinem Namen in Umlauf
brachte. Diese Redaktion fand ihre eigene Uberlieferung: wir haben
davon zwei völlig übereinstimmende Handschriften, eine von 1362 aus
dem arabischen Osten (H), die andere von 1801 aus dem Maghrib (L).
Ebensowenig wie in der europäischen Überlieferungsgeschichte des
Losbuches gelingt also in der orientalischen Überliefenmg eine völlige
Aufklärung der Zusammenhänge. Die Identität des Grundtextes ist
zwar sichergestellt, dabei sind die überaus auffälligen Varianten im
gebrachten indischen astronomischen Texte zu verweisen sowie auf zahl¬
reiche arabische Zitate aus indischen Quellen, die sich gelegentlich bis in die
lateinischen Übersetzungen hinein fortgesetzt haben (laphar Indus usw.);
cf. u.a. M. Steinsohneideb, Zur Geschichte der Übersetzungen aus dem Indi¬
schen ins Arabische, ZDMG 24 (1870), 325—392 und 25 (1871), 378—428,
und neuerdings vor allem die Arbeiten von D. Pingbee: Astronomy and
Astrology in India and Iran, Isis 54, 2 No. 176 (1963), 229—246; Representa¬
tion of the Planets in Indian Astrology, Indo-Iranian Journal 8, 4 (1965),
249—267; The Thousands of Abü Ma'shar, London 1968. Für das Persische
nenne ich u. a. die Geoponika, Vettius Valens, Dorotheas, Teukros, die sämt¬
lich von dort aus zu den Arabern gelangten. Darüberhinaus zeugen zahl¬
reiche termini indischen oder persischen Ursprungs in verschiedenen Fach-
disziplüien unzweideutig für die weitgehende Abhängigkeit der Araber von
derartigen Quellen.
314 Paxji KtTNiTZSOH, Zum „Liber Alfadhol" eine Nachlese
Wortlaut zunächst einfach hinzunehmen. Zweifel erheben sich hinsicht¬
lich der Echtheit imd Einheitlichkeit des Vorworts. Die Namen al-Fadl
b. Sahl und Härün ar-Raäid lassen sich mit großer Wahrscheinlichkeit
als fiktive Zutaten ausscheiden, die Zuweisung an al-Kindl dagegen
kann mit letzter Sicherheit weder bewiesen noch bestritten werden. Wie
in allen ähnlichen Fällen gilt es, hierzu die Auffindung weiterer mögüchst
alter arabischer Texte und Zitate sowie eventuell der zugehörigen vor¬
arabischen Quellen abzuwarten.
Von Gbbd Gbopp, Teheran
In. Sar-Pol-e Zohäb an der Straße KermänSäh — Bagdäd befindet sich
an demselben Felsen, der das berühmte Relief des Annubanini aus dem
3. Jahrtausend v. Chr. trägt, ein parthisches Relief mit Inschriften in
parthischer Schrift und Sprache. Das Relief wurde von Rawlinson
entdeckt und von Moegan 1896 p. 154, fig. 144 und 145 in Fotos be¬
kaimt gemacht. Hbezfeld 1920 p. 54, fig. 13 und 1924 I p. 84, fig. 39
legte eine Nachzeichnung der Inschriften vor, von denen er aber nur
die Anfänge las : ptkr ZNH NPSH ... ,,Dies ist das Bild selbst des ...".
1926 p. 228 las Hebzfeld den Namen des Königs Hartaban, den er mit
Artaban V. identifizierte. Henning 1958 p. 41 hält die Inschrift für
die Siegesinschrift Vologases II. (oder III.?) über Mithradates IV.
Da das Relief von Sar-Pol-e Zohäb das einzige arsakidische FelsreUef
mit Inschriften in parthischer Sprache ist — die übrigen Felsreliefs
tragen, wenn überhaupt, Inschriften in griechischer oder elymäischer
Schrift, — so kommt ihm eine besondere Bedeutung zu. Als ich im
Winter und Frühling 1966/67 mehrmals den Ort besuchte, bemühte ich
mich deshalb um eine Lesung, mußte aber den Versuch immer wieder
wegen Mangels an Leitern oder ungünstigen Wetters aufgeben. Im AprU
1967 brachte mir W. Hinz von einer Reise die hier abgebUdeten Fotos
mit, für die ich ihm herzlich danke. Im Dezember 1967 konnte ich dann
im Anschluß an die Grabung des Deutschen Archäologischen Instituts,
AbteUung Teheran, in Bisotün, an der ich teilnahm, durch das freund¬
liche Entgegenkommen des 2. Dir. Dr. Klbiss, noch einmal nach Sar-
Pol fahren und dort mit zwei zusammengebundenen Leitern das Relief
ersteigen und kopieren.
Das Relief ist 210 cm breit und 140 cm hoch; es ist etwa 7 m hoch an
der senkrechten Felswand angebracht. Es zeigt zur Linken einen Reiter
mit frontal dem Beschauer zugewandtem Kopf, von dessen Haaren eine
Schärpe nach links auf die Schulter herabfällt. Die Jacke mit langen
Ärmeln reicht unter den Gürtel auf die Oberschenkel herab. Der Reiter
trägt eine lange faltige Hose. Das Satteltuch ist an seiner Unterkante
in zwei Zipfel ausgezogen. Die rechte Hand des Reiters hält die Zügel,
die linke ist nicht wiedergegeben. Vor dem Reiter steht rechts ein Wür¬
denträger in gleicher Kleidung, die hier deutUch zeigt, daß die Jacke
vorn geschlossen wird und die Brust etwas frei läßt, ähnlich wie bei der