Herwsgeber. Ösferreichisches Schu/kompefenenfrum
Jugendgewalt- Gewalt an Schulen
Anton Schmid, Jugendanwaitschaft Wien
Kriminalitätsstatistik und Medienberichterstat- tu ng
In regelmäßigen Abständen veröffentlicht das Innenministerium die monatliche, aber auch die jährliche Polizeiliche Kriminalitätsstatistik, in der die ermittelten Tatverdächtigen für den entspre- chenden Zeitraum angegeben werden . Das be- deutet jeweils ein gefundenes Fressen für Me- dien, deren Berichterstattung zu diesen Zahlen in der Regel mit einem Jammern über die zuneh- mende Gewaltausübung unserer Jugendlichen einhergeht .
Wenige Zahlen sind schnell in einer Grafik zu- sammengestellt, ein passender Text dazu und ganz Österreich trauert wieder über unsere im- mer brutaler werdende Jugend . Wenn zufällig in zeitlicher Nähe ein Jugendgewaltdelikt verübt wird, lässt sich der Hype in den Medien nicht
mehr aufhalten .
Seriöse Auseinandersetzungen mit dem Thema bleiben im Dunkeln, denn darüber lässt sich keine wirklich interessante Medienberichterstattung auf-
bauen .
Im Folgenden versuche ich einige Punkte anzu- führen, wie diese teilweise völlig falschen Annah-
men über Jugendgewalt zustande kommen . Jugend als Außenfeind
Berichte über Jugendgewalt sind u .a . deswegen so beliebt, weil sich die Medienkonsumentlnnen während des Lesens oder bei TV - Reportagen gemütlich zurücklehnen können und dabei ohne irgendeine Verantwortung bei sich selbst suchen zu müssen, die ach so bedauerliche Situation der Jugend bedauern können . Die Jugend wird zum Außenfeind, die Schuldigen an der derzeitigen Situation sind gefunden, man erspart sich jegliche Mitverantwortung .
Polizeiliche Kriminalitätsstatistik
Die Zahlen dieser Statistik geben jene Anzeigen wieder, die gegen Jugendliche durchgeführt wer- den, ohne zu berücksichtigen, ob überhaupt eine Schuld vorliegt, die ja glücklicherweise nicht die Polizei, sondern die Gerichte festzustellen hat . Die Gründe für das Ansteigen der Zahlen in die- ser Statistik sind vielfältig, lassen aber keinesfal- los den Schluss zu, dass Jugendliche krimineller, brutaler etc . werden .
Die Polizei gibt selbst zu, dass das Anzeigenver- halten sich geändert hat, es wird von ihrer Seite, aber auch von der Bevölkerung wesentlich mehr angezeigt als früher .
Aber auch die Anzeigenfreudigkeit der Bevölke-
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rung ist in allen Belangen gestiegen . War früher ein körperlich ausgetragener Streit eine Angele- genheit der Betroffenen, findet sich heute bald jemand, um eine Anzeige zu erstatten .
Kriminalitätsentwicklung aus der Sicht der Bevölkerung
Es gibt ausreichende Untersuchungen über das subjektive Empfinden von der Bevölkerung, dass die Kriminalität steigt . Befragungen und Untersu- chungen haben enorme Unterschiede zwischen dem subjektiven Gefühl und der tatsächlichen Kriminalitätsentwicklungen festgestellt, bei der die Einschätzung um mehr als das 400fache der Re- alität danebenliegt . Dies gilt natürlich auch bei der Jugendkriminalität . Aber wieso ist das so?
Die Vermutung liegt also ganz nahe, dass eine gesteigerte Berichterstattung ein subjektives Ge- fühl der Gewaltzunahme in der Gesellschaft mit sich bringt, obwohl tatsächlich weniger Gewalt statifand .
Wie ist die Situation von Jugendgewalt wirk- lich?
Übereinstimmend wird im europäischen Raum davon ausgegangen, dass in etwa 90 - 95 % der straffällig gewordenen Jugendlichen im jungen
Erwachsenenalter ihre Jugenddelinquenz verlie- ren . Langfristig gesehen werden also nur ca . 5- 10 % der Jugendlichen weiter delinquent bleiben . In etwa 6% aller Jugendlichen sind gewaltbereit, die das auch nach der Jugendzeit bleiben . Warum finden Jugendliche ihr zu Hause in einer gewaltbereiten Gruppe?
In der Regel werden in der Forschung (leider nicht: österreichischen Forschung, es gibt näm- lich keine!) einige Kategorien erwähnt, die verant- wortlich dafür sind, dass neben einer entspre- chenden Persönlichkeitsdisposition (die allein aber nicht zu Gewaltbereitschaft führt) folgende Risken gegeben sind :
Persönlichkeitsdisposition gewaltbereite Peer - Group o Gewalt in der Familie
o niedriges Bildungsniveau/schlechte Zu- kunftschancen
o exzessives Spielen gewalthaltiger PC - Spiele etc .
Erst wenn eine hohe Belastung in den meisten dieser Bereiche aufzufinden ist, ergibt sich ein hohes Gewaltpotential für junge Menschen . Welche Veränderungen stellen wir fest, die mit Jugendgewalt korrelieren?
o mehr Gruppengewalt
weniger Einfluss durch Elternhaus
o weniger informelle Kontrolle durch die Gesell-
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schaft
o Aufeinanderprallen von Kulturen erhöht Ge- waltpotential bei Jugendlichen
• Erweiterung der Gewaltwahrnehmung/- handelns - früher „hänseln", jetzt „Mobbing"
o Leistungskrise bei Burschen im Vergleich zu Mädchen . In der Schule sind Burschen in fast allen Belangen leistungsschwächer als Mädchen (Noten, Schulempfehlungen, Matura . . .) .
o Rückzug von männlichen Jugendlichen in Wohnungen, Medienwelten, Drogenwelten und auch in Gewaltszenarien . Kids sind daher oft hy-
peraktiv und depressiv .
• Burschen sind weniger bindungsbereit . Wir wissen, dass gute Bindungen sich eher gewaltre- duzierend auswirken .
o Burschen sind häufiger krank .
o Es gibt immer weniger Spiel- und später Be- wegungsraum .
o Medien sind nach Sensationen orientiert und nicht nach Solidarität oder ethischen Gesichts- punkten .
o Jugendliche haben keine Zeit für ihr Erwach- sen werden, weil niemand Zeit für sie hat oder auch keine Zeit zur Verfügung steht .
o Annäherungsarbeit fehlt: weil Zeit kurz sein muss, um ein Ziel zu erreichen . Im erreichten Ziel ist ein nächstes Ziel schon wieder definiert . o Zwei falsche Erziehungsansätze : extrem überbehütetlüberreagierend - extrem vernachläs- sigend .
Jugendgewalt und Schule
Gewalt an Schulen passiert täglich, das war so, ist so und wird wahrscheinlich immer so sein . Denn besonders Jugendliche, die ihre Grenzen ausloten müssen, sind natürlich auch in der Schule dazu bereit und warten nicht, bis sie die Schule verlassen haben . Wie die anderen Le- benswelten der Jugendlichen ist also auch Schu- le ein Platz für sie, ihren Platz in der peer-group, in der Klasse zu finden und reiben sich damit in vielfältiger Weise mit anderen Menschen und auch mit der Institution Schule an sich . Diese Ler- nerfahrungen sind natürlich auch begleitet von Gewalterfahrungen und Gewaltausbrüchen . In der Regel aber ist dieser Rahmen Schule eine gutes Lernfeld, denn es sind (in der einen und anderen Schulemehr oder weniger) klare Regeln vorhanden, die diesen Lernprozess steuern . Allerdings gibt es natürlich auch Gewaltszena- rien, die nicht mehr unter dieses Lernmodell fal- len, es sind jene Situationen, die massive Über- griffe und kriminelle Handlungen mit sich bringen . Hier gibt es einige klare Aussagen (leider wieder-
um nur aus Deutschland) dazu :
o Gewalt wird von außen durch die Schülerin- nen in die Schule mitgenommen .
o Das heißt, dass die Schule nur selten Entste- hungsort gefährlicher Gewaltübergriffe ist, son- dern meist wird von außen von gewaltbereiten Cliquen über einen kleinen Teil der Schülerinnen die Gewalt in die Schule hineingetragen . Für die- se Art der Gewalt ist Schule natürlich bloß geo- grafischer Raum und nicht schuld an den Gewalt- szenarien .
• Andererseits jedoch ist bewiesen, dass schul- immanente Strukturen dafür verantwortlich ge- macht werden können, wie hoch das Gewaltpo- tential an der Schule tatsächlich ist . Die Linzer Kepler-Universität hat nachgewiesen, dass bei verstärkter Mitbestimmung von Schülerinnen am Schulleben, die Schülerinnen weniger Gewalt erleben und ausüben . Es ist als eine direkte Be- ziehung zwischen Mitbestimmung (Partizipation)
und Gewaltausübung festzumachen .
o Besonders virulent werden physische Gewalt- initiativen von Burschen im Alter zwischen 13 - 16 Jahren gesetzt . Vorher und nachher sind phy- sische, schwere Gewaltübergriffe eher die Aus- nahme (6% der Jugendlichen sind auch später gefährdet) .
o Mädchen führen eindeutig verbal ihre Gewalt- attacken durch, wobei derzeit folgender Trend besteht :
Physische Gewalt nimmt im Schulbereich eher ab, verbale, psychische Gewaltszenarien sind im Steigen begriffen . Ständig gewaltbereite Schüler sind ein Fall für das Helferinnensystem (Schul- psychologlnnen, Jugendamt, Beratungsstellen, etc.) und letztlich für die Polizei (wenn Schülerin- nen schon strafmündig sind) . LehrerInnen allein sind macht- und daher hilflos .
„Etliche Studien zeigen : wenn Schüler gleichbe- rechtigt an der Setzung und Kontrolle der Regeln des Zusammenlebens und an fairer Konflikt- schlichtung beteiligt werden, fühlen sie sich stär- ker als in herkömmlichen Schulen füreinander verantwortlich und handeln entsprechend . Auch Gewalt und Vandalismus gehen deutlich zurück" . (G . Nummer-Winkler, Soziologin)
Daher ist die Frage Was können wir an der Schu- le gegen Jugendgewalt tun? leicht zu beantwor- ten : Eine Schule, in der Mitbestimmung der Schü- lerinnen an der Tagesordnung ist, braucht keine Videokameras im Gebäude und auch keine Kon- trollen an den Eingängen mit Metalldetektoren, und schon gar keine Boot-Camps, zu denen ge- fährliche Jugendliche geschickt werden müssen . Zur Person : Dr. Anton Schmid ist Jugendanwalt in Wien .
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