„Notwendigkeit der Energiewende“
Ebersberg 6. Juni 2019
Prof. Dr. Wolfgang Seiler, Direktor i.R.
Institut für Meteorologie und Klimaforschung (IMK-IFU) Karlsruhe Institute of Technology KIT
prof.seiler @t-online.de
Energie. Zukunft. Wind
Energieagentur Ebersberg
1. Nutzung fossiler Energien verursacht Klimawandel mit kaum
abschätzbaren ökologischen, ökonomischen und sozialen Folgen.
Klimabedingte Schäden sind zwischen 1992 und 2014 um den Faktor 4 auf mehrere 100 Mrd. US-Dollar pro Jahr angestiegen.
2. Maßnahmen zur Anpassung an den Klimawandel sind um mehr als Faktor 10 teurer als Maßnahmen zur Vermeidung von THG-
Emissionen.
3. Verlust an Wertschöpfung und Kaufkraft durch Importe von fossilen Energieträgern (1,17 Billionen Euro von 1990 bis 2015).
4. Zunehmende politische Abhängigkeit und Erpressbarkeit durch hohe Energieimporte (40% der Erdöl und Erdgasimporte aus
Russland).
5. Kohle, Erdöl und Erdgas sind wichtige Grundbaustoffe für pharma- zeutische und chemische Industrie.
Warum ist Energiewende zwingend notwendig?
Jahresmittel
Geglätteter Verlauf Unsicherheitsbereich
Mittel 1951 bis 1980
Weltweit: + 1.1-1.2°C (50% in letzten 27 Jahren)
Pinatubo
Der globale Klimawandel
Temperaturänderung über Land/Ozean 1880 - 2018
El Nino
Deutschland: + 1.7°C Alpengebiet: + 2°C
T emperat uranomali e in Gra d Celsius
Gewinner und Verlierer
Der globale Klimawandel
Trend der jährlichen Niederschlagsmengen (1900-2000)
Anstieg der Niederschlagsmenge: ca. 8%
Quelle: NASA GISS World Radiation Center
Ursachen des globalen Klimawandels
Ist es die zeitliche Änderung der Solarstrahlung?
35
2010:
33.5 Mrd. t
2018:
38 Mrd.t +2.7% vs 2017
Fossile CO2-Emissionen 1850 - 2018
ohne Zementherstellung und Landnutzungsänderung in Mrd.t CO2 p.a.
40
2014:
36.0 Mrd. t
THG-Emissionen 2017:
53,5 Mrd. t CO2e
THG-Emissionen 2030:
ca. 58 Mrd. t CO2e bei Einhal-
tung der in Paris vereinbarten
nationalen Ziele (IPPC 2018)
A
Konzentrationsänderungen der Treibhausgase
in letzten 2000 Jahren
Mai 2019:
415 ppm
Ende 2018:
1.9 ppm
CH4 vorindustriell:
0.7 ppm CO2 vorindustriell:
280 ppm
Ähnlich hohe CO2- Konzentrationen wie heute vor 3-5 Mio. Jahren
Damals war es zwei bis drei Grad
wärmer und der
Meeresspiegel lag
10 bis 20 Meter
höher als heute
Klimawandel: Rückkopplungen
Systemänderungen durch Klimawandel
11.6 GtCO 2 p.a.
29%
8.9 GtCO 2 p.a.
22%
34.4 GtCO 2 p.a., 87%
5.3 GtCO 2 p.a., 13%
17.3 GtCO 2 p.a.
44%
Quellen und Senken des anthropogenen CO 2 (2008–2017)
Gesamt: 39.7 GtCO 2 p.a.
Abschwächung der terrestrischen biosphärischen CO2-Senken u.a. durch (a) Auftauen der Permafrostgebiete, (b) höhere Mineralisationsraten von
organischem Material in Böden aufgrund steigender Bodentemperaturen und (c) Rückgang des tropischen Regenwaldes im Amazonasgebiet und
Absterben der borealen Wälder.
Rückgang der ozeanischen CO2-Senke u.a. durch (a) zunehmende Versauerung des Meerwassers (marine Nahrungskette, Transport von Kohlenstoff in die Tiefsee -biologische Pumpe) und (b) steigende Ozean- temperaturen (Korallensterben)
Steigende CH4-Emissionen durch thermischen Zerfall von Methanhydraten (Gesamtmasse: 12.000 Mrd. t C) im Sediment der Ozeane
Eis-Albedo-Rückkopplung (Meereis, Gletscher)
Rückkopplungsmechanismen
mit Einfluss auf die weitere Klimaentwicklung
Gesamte Wirkung der bisher untersuchten Rückkopplungsmechanismen:
> 0.5°C bis 2100 bei Begrenzung des Klimawandels auf +2°C.
Nach 2100 weiter steigend.
Quelle: Steffen et al., 2018
Ein weiterer Klimawandel ist nicht mehr vermeidbar!
Wesentliche Gründe dafür sind:
1. Zeitliche Verzögerung des globalen Klimawandels (mehr als 30 Jahre) und der atmosphärischen CO2-
Konzentration (mehrere hundert Jahre) gegenüber den CO2-Emissionen
2. Maskierung des Temperaturanstiegs u.a. durch
die zeitliche Änderung der Solarstrahlung und
die Wirkung von Smog (Aerosole)
mit einem negativen Treibhauseffekt von 0.3-0.5°C
Klimawandel: Quo Vadis?
Ist der Klimawandel noch zu stoppen?
CO2 -Emis sionen ( Gt C)
- +3-4°C bei voller Umsetzung der INDCs (Nationally
Determined Contributions), Paris 2015
- Wahrscheinlicher Temperatur- anstieg bis 2100: +3°C relativ zur vorindustriellen Zeit
(Tendenz: weiter teigend) - Ein solcher Wert ist in letzten
450.000 Jahren zu keinem Zeitpunkt erreicht worden - Globale Temperaturdifferenz
zwischen letzter Eiszeit und heutiger Warmzeit: ca. 4°C
Klimawandel: Quo Vadis?
CO2-Emissionen und mögliche globale Temperatur bis 2100
2018
2010
≈ 1.6°C
≈ 5°C
RCP2.6 RCP8.5
A
2100
Klimawandel: Quo Vadis?
Regionale Änderung der bodennahen Temperatur (2100)
Bei einer durchschnittlichen globalen Erwärmung von 3°C
Europa ca. +5°C
Klimawandel: Quo Vadis?
Änderungen der Niederschlagsmengen bis 2050
Quelle: Hadley Centre for Climate
Prediction and Research. Änderungen der Niederschlagsmengen (mm pro Tag)
Starke saisonale
Unterschiede
Eisverlust in Grönland und Antarktis durch schnelleres Auftauen (Grönland: 270 Mrd. t p.a.; Antarktis: 252 Mrd. t p.a.) mit Auswirkungen auf den Golfstrom
Anstieg des globalen Meeresspiegels um mehr als 100 cm bis 2100, verbunden mit Verlust an fruchtbaren Böden und Lebensraum von mehreren hundert Mio. Menschen
Zunahme der Extremwetterlagen (Hitzerekorde, Dürren, Waldbrände, Überschwemmungen, Stürme, Tornados, tropische Wirbelstürme u.a.)
Veränderungen des El Nino und des Monsun (z.B. in Indien und Pakistan) mit extremen regionalen Folgen
Mangel an sauberem Wasser:
• bei Anstieg auf +2°C sprunghafter Anstieg der von Wassernot betroffenen Menschen auf >3.500 Mio.
• Landwirtschaft: große Ernteausfälle
Globaler Klimawandel: globale Auswirkungen
ausgewählte Beispiele
Folgen: Kriege um Wasser und Nahrungsmittel
2016 1984
Veränderung des Polarjetstream (sich dynamisch verlagerndes und mäandrierendes Starkwindband zwischen 40° und 70°N in ca. 10 km Höhe)
Abnehmende Dynamik und Verlängerung der
„Omega-Lagen“ mit extremen Wettersituationen
Stefan Rahmstorf, 2018
H T
Klimawandel: Auswirkungen
Abnehmender Temperaturgradient Nordpol-Äquator
Klimawandel: Auswirkungen
Arctic Outbreak (Beispiel 31. Januar 2019)
Polarwirbel Antarktis
Polarwirbel Arktis
Ausbruch arktischer
Luftmassen nach Süden
beim Zusammenbruch
Klimawandel: Auswirkungen
Änderung der Sommertemperaturen
Beispiel: Schweiz
Zunahme der Extremwetterlagen (u.a. Starkniederschläge, Dürre- und Hitzeperioden, Orkane und Tornados)
Biologische Invasion (Ausbreitung von nichteinheimischen Tieren, Pflanzen, Pilzen, Viren und Parasiten).
Saisonale Änderung der Niederschlagsmengen bei zunehmenden Temperaturen
Globaler Klimawandel: regionale Auswirkungen
weitere ausgewählte Beispiele
Anopheles
Ökologische, ökonomische und soziale Folgen:
Veränderungen der natürlichen Ökosysteme (u.a. Wälder durch Feuer und Windbruch, ibs. in Fichtenbeständen)
Überschwemmungen und Murenabgänge
Niedrigwasser der Flüsse mit Einfluss auf Schifffahrt, Grundwasserbildung und Trinkwasserversorgung
Gesundheit (u.a. Kreislauferkrankungen, tropische Infek- tionskrankheiten wie z.B. Malaria, Dengue-Fieber)
Land- und Forstwirtschaft (Verlust der Fichte als
„Brotbaum“ der Forstwirte) und Tourismus
Zerstörung von wichtiger Infrastruktur
Ziele des Übereinkommens sind in Artikel 2 des UNFCCC (United Nations Framework Convention on Climate Change, 21st Conference of the Parties, COP 21) wie folgt geregelt:
Begrenzung des globalen Klimawandels auf deutlich unter 2 °C - wenn möglich auf 1,5 °C - über dem vorindustriellen Niveau.
Erarbeitung von nationalen Klimaschutzplänen auf freiwilliger Basis bis 2018, die alle fünf Jahre überprüft und überarbeitet werden.
Stärkung der Fähigkeit zur Anpassung an die nachteiligen Auswirkungen des Klimawandels.
Finanzielle Unterstützung der Entwicklungsländer durch Industriestaaten;
bereits zugesagte Klimafinanzierung von 100 Mrd. USD.
Internationale Klimaschutzziele
Klimaabkommen Paris Dezember 2015
IPCC-Report SR1.5 (2018): Begrenzung auf 1,5 °C erforderlich, um unumkehr-
bare Klimaveränderungen mit bereits verheerenden Folgen zu vermeiden.
Zwischen 1870 und 2018 wurden durch die Nutzung der fossilen Energie-träger bereits insgesamt ca. 2250 Mrd. t CO2 in die
Atmosphäre emittiert.
Bei Begrenzung des Temperaturanstiegs auf 1.5°C dürfen ab 2017 global nur noch 420 Mrd.t CO2 emittiert werden. Soll das 2°C-Ziel nicht überschritten werden, erhöht sich das globale CO2-Budget auf 1170 Mrd.t.
CO2-Emissionen in 2018: 42 Mrd. t. Damit verbleiben ab 2019 noch 378 Mrd. t CO2 bzw. 1128 Mrd. t CO2.
Nach Kürzung um ca. 100 Mrd. t CO2 bei Berücksichtigung der heute bekannten Rückkopplungsmechanismen beträgt das Restbudget 278 Mrd. t CO2 bzw. 1028 Mrd. t CO2.
Bei Annahme einer weiteren globalen CO2-Emission von 42 Mrd.t
Zulässige globale CO2-Emissionsbudgets
bei Begrenzung auf 1.5°C bzw. 2.0°C (IPCC-Bericht SR1.5 (2018))
Bei mittlerem Szenario (1.75°C) und Annahme einer linearen CO2-
Emissionsminderung darf ab 2035 kein CO2 mehr emittiert werden (Rahmstorf, 2019). Die dann noch verbleibenden unvermeidbaren THG- Emissionen (z.B. aus der Landwirtschaft) müssten durch „negative CO2- Emissionen“ in gleicher Größenordnung ausgeglichen werden.
Zulässige nationale CO2-Emissionsbudgets
in Gt CO2 bei Begrenzung auf 1.5, 1.75 bzw. 2.0°C
Bei einer für Deutschland großzügigen Annahme, dass jedem Menschen das gleiche Emissionsbudget zusteht, würde Deutschland ab 2019 noch ein Budget von maximal
3 Mrd. t CO2 bei einer Begrenzung auf 1.5°C,
7 Mrd. t CO2 bei einer Begrenzung auf 1.75°C bzw.
11 Mrd. t CO2 bei einer Begrenzung auf 2.0°C zustehen.
Schnelle Umsetzung der Energiewende und komplette Dekarbo-
nisierung der Energiewirtschaft sind zwingend erforderlich!
THG-Emissionen Deutschland
1990 – 2018 und Ziele aus Entwurf des Klimaschutzgesetzes 2018
A
Klimaschutzziele
Weitgehend THG-neutral
- 90%
Ist
Vorr. Ist - 40%
- 55%
- 70%
2018:
866 Mio. t
2020: - 32%
Wieder- vereinigung
„Export“ von CO2-Emissionen
Energie- und Klimawende: Wie?
Alle Möglichkeiten schon heute vorhanden
Technischen Voraussetzungen zur Erreichung der Energiewende sind vorhanden, aber es fehlen der politische Wille und ein klares ganzheit- liches Konzept
Kein „Königsweg“, sondern Bündel von Maßnahmen notwendig
(nachhaltig, sektorübergreifend, sozial verträglich und laufend auf dem Prüfstand)
Wesentliche Säulen einer nachhaltigen Entwicklung:
(i) Effizienzsteigerung (Anlageneffizienz, Sektorenkopplung, Verhalten…) (ii) Substitution (erneuerbare Energien anstatt von Kohle/Erdöl/Erdgas…) (iii) Innovation (Intelligente ganzheitliche Systeme, Speichersysteme…) (iv) Politische Rahmenbedingungen (CO2e-Preis, Überprüfung von
Verordnungen und Gesetze, Förderprogramme für Entwicklung und Markteinführung…)
Abschied nehmen von alten Gewohnheiten und Anpassung an neue
Energie- und Mobilitätssysteme. Die Energiewende ist nicht nur eine Aufgabe
für Ingenieure, sondern auch für Psychologen und Sozialwissenschaftler
Stromerzeugung
Tempo beim Ausbau der Erneuerbaren Energien muss verdreifacht und effiziente Energiespeicher entwickelt werden. Notwendiger Ausbau wird aber durch
politische Vorgaben und gesellschaftliche Hindernisse behindert.
Kohleausstieg möglichst schnell umsetzen
Kohlekraftwerke müssen bis spätestens 2030 stillgelegt und durch Strom aus Erneuerbaren Energien ersetzt werden.
Wende im Mobilitätsbereich verwirklichen
Mit Elektromobilität, Power-to-Gas (Methan), Wasserstofftechnologie und Biokraft- stoffen stehen dazu gleich vier Technologiezweige zur Verfügung.
Wende im Wärmebereich umsetzen
Alle notwendigen Instrumente/Technologien (u.a. Gebäudesanierung, Solarwärme, Wärmepumpen, Power-to-heat, Wärmerückgewinnung) sind vorhanden.
Preis auf Treibhausgasemissionen einführen
Erst eine „Müllgebühr“ für „schmutzige“ Emissionen (CO2, CH4, N2O) schafft faire Wettbewerbsbedingungen für Einsatz von Erneuerbarer Energie.
Energie- und Klimawende: Wie?
Deutschland 2019
Preise von Solarstrom aus neuen Solar- parks der Megawattklasse: derzeit bei rund vier Cent je Kilowattstunde
2018
Weg in das Solar- und Windzeitalter
Strom aus Photovoltaik immer preisgünstiger
Solarstrom seit 2012
günstiger als Haushaltsstrom
Entwicklung der Photovoltaik: schneller, höhere Effizienz und niedrigere Kosten
Die Modulpreise in
2018 um mehr als
30 % gesunken.
Nennleistung 30 kW 80 kW 250 kW 600 kW 1.500 kW 3.000 kW 6.000 kW 5.000 kW
Rotordurchmesser 15 m 20 m 30 m 46 m 70 m 90 m 126 m 126 m
Nabenhöhe 30 m 40 m 50 m 78 m 100 m 105 m 135 -150 m 80 m
Jahresenergieertrag 35.000 kWh 95.000 kWh 400.000 kWh 1.250.000 kWh 3.500.000 kWh 6.900.000 kWh 24.000.000 kWh 20.000.000 kWh
Volllast Benutzungsstunden 1.166 h 1.188 h 1.600 h 2.083 h 2.333 h 2.300 h 3.333 h ~ 4.000 h