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Geschichte formaler Herrschaft

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Academic year: 2022

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Gesch i ch te

form a l er H errsch a ft

N orm i eru n g, Kon trol l e u n d San kti on i m Wan del der Zei t

I n jeder Situ ation wirken M ech anism en, die die H andlu ngsmöglich keiten der M en sch en besch ränken u nd u ngleich verteilen. Es ist ständig so, als wen n ein B ewaffneter au f ein e Unbewaffnete trifft − n u r dass die Waffe selten ein Säbel oder ein e Knarre ist, sondern ein Titel oder ein e Uniform, das Eigentu m z. B. an P rodu ktionsmitteln, privilegiertes Wissen, form ale M acht (z. B. H au srecht) oder eine disku rsive Vorm achtstellu ng (z. B. von M ännern gegenü ber Frau en , von Erwach senen gegenü ber Kin dern , von Deu tsch en gegenü ber N icht-Deu tsch en ). N u r Einige davon sind in stitu tion ell verankert, dadu rch kau m verrü ck- bar, aber bei einigermaßen genau en H in seh en gu t zu erkennen. Um diese in stitu tion ellen Form en der H errsch aft soll es in dieser ersten Abh andlu ng geh en. I n ih nen ist, wenn au ch oft versch leiert, die Gewalt u nd ih re H erku nft, n och erkennbar. Oft lässt sich der Urspru ng sogar personalisieren , d. h . Ross u n d ReiterI n könn en in Form von N amen oder Organisa- tionen genannt werden .

Was l an ge wäh rt . . . :

D i e kl assi sch en Form en form al er Mach t

H errsch aft als I nstitu tion: Oben u nd Unten ganz fü h lbar

Die bekan nteste Form der H errsch aft ist die der direkten B eh errsch u ng. Direkte Gewaltan- wendu n g ist die au ffälligste von ih nen u n d zielt au f zeitlich begrenzte oder absolu te Unter- werfu ng der Person (en), gegen die Gewalt an gewendet wird. B eispiele sind Kinder, die von ih ren Eltern gesch lagen werden, aber au ch jede andere Form der körperlich en Gewalt zu m Zweck der B eh errsch u ng in m ensch lich en B ezieh u ngen, die Verh aftu n g du rch Polizei oder der erzwu n gene Au fenth alt in Gefängnis, Psych iatrie u .ä. Gewalt reicht vom Alltag z. B. gegen M ensch en bestim mter H au tfarbe, Gesch lechter oder sozialem Statu s bis zu m Krieg. Die Androh u ng der Anwendu n g von Gewalt diszipliniert äh nlich der tatsäch lich en Anwen du ng, sie kann dah er gleich gesetzt werden. Das gilt au ch fü r das als Droh u ng wir- ken de Potential der Gewaltanwendu n g, selbst wen n kein e Droh u n g au sgesproch en wird.

Die u ntersch iedlich en M öglich keiten direkter Gewaltanwendu ng sch affen sch on dann ein e Dom inan z, wenn ein e Anwendu n g von Gewalt im B ereich des M öglich en u nd Vorstellba- ren liegt. Diese Form ist zwisch en M ensch en versch ieden en Gesch lechts, N ationalität, Al- ters, B ildu ngsgrades u sw. sowie zwisch en I nstitu tion en u nd von ih nen abh ängigen M en- sch en h äu figer als die tatsäch lich e Anwendu ng oder Androh u n g von Gewalt. Eine kon- krete H an dlu ng ist in der Regel nicht nötig, das H errsch aftsverh ältnis entsteht dennoch . Ge- sch ieht sie gelegentlich doch , erh öht sie zu gleich au ch die Glau bwü rdigkeit der latenten Droh u n g.

Zu r direkten H errsch aft geh ört neben der Androh u ng von Gewalt in B ezieh u ngen zwi- sch en Personen oder Person engru ppen au ch die H errsch aft der I nstitu tionen, also der Poli-

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zei, Ju stiz, der Ämter (Au sländeramt, Finanzamt, B au beh örde u sw. ), Sch u len u nd H och - sch u len, des M ilitärs (zu r Zeit noch vor allem gegenü ber M ensch en u n d I nstitu tionen im Au slan d) u sw. Sie verfü gen ü ber das Recht, Denken u nd H andeln von M ensch en zu beein- flu ssen u nd diese B eeinflu ssu n g au ch m it der Androh u ng von Gewalt du rch zu setzen.

Direkte Gewaltanwen du ng bzw. ih re Androh u ng sind zwar nach wie vor stark verbreitet, werden aber in modern en H errsch aftssysteme Stü ck fü r Stü ck du rch die M ittel der manipu - lativen B eeinflu ssu ng sowie die Sch affu ng von Verh ältnissen ersetzt, deren Zwang nicht au f direkter Gewalt besteht. Zu mindest ist das das Ziel m oderner H errsch aftssystem e, da direkte Gewaltanwendu n g die dah intersteh enden H errsch aftsform en offensichtlich er werden lässt als Formen der Verh alten ssteu eru n g oh ne direkte Gewaltwendu ng. I n den m odernen „ De- m okratien“ deh nen sich dah er die weniger offen sichtlich en H errsch aftsformen imm er meh r au s, die in den folgen den P u nkten besch rieben werden.

Ökonom isch e Klassen u nd soziale Sch ichtu ngen

Große B edeu tu ng fü r die M achtverteilu ng in der Gesellsch aft h atten frü h er soziale Sch ich - tu ngen u nd Klassen. Diese waren du rch ih re B eteiligu ng an gesellsch aftlich em Reichtu m u nd Au fstiegsm öglich keiten (soziale Sch ichten ) oder du rch ih re Stellu n g zu den P rodu k- tionsmitteln definiert. Au s dieser angenom menen Einh eitlich keit erwu ch s die H offn u ng au f eine klassenspezifisch e Revolte, verbu nden bei vielen m it der H offnu ng au f eine M acht- ü bernah me du rch diejenigen, die keinen eigen en Zu griff au f P rodu ktionsmittel h atten: Die ArbeiterI nn en klasse. Sie war von den P rodu ktionsmitteln getren nt u nd mu sste, mangels Alternative, ih re Arbeitskraft verkau fen, u m zu ü berleben. Die B esitzerI nn en der P rodu k- tionsmittel u n d des Kapitals h in gegen konnten dieses einsetzen , u m − als kritisch er Vor- wu rf form u liert: leistu ngslos − zu Reichtu m zu kom men u nd diesen sogar an zu h äu fen, z. B. in Form weiterer P rodu ktion sm ittel.

Diese Gesellsch aftsbetrachtu ng wies bereits zu den H och zeiten der I n du striearbeit be- träch lichte Lü cken au f, wen n au ch frü h er imm erh in die B esitzverh ältnisse noch personali- sierbar waren. Doch die Übergänge zwisch en KapitelbesitzerI nnen u nd ArbeiterI nnen wa- ren fließender u n d mit vielen Grau zonen garniert als es in den der Du alität zwisch en Arbeit u nd Kapital meist formu liert wu rde. Diese Vereinfach u ng sch u f klare Feindbilder u nd war dah er zu r politisch en Agitation nü tzlich . Aber es war immer mit dem P roblem beh aftet, den Statu s vieler M en sch en nicht h inreich end besch reiben zu können, die z. B. gleich zeitig oder nach einander ih re Arbeitskraft verkau ften u nd selbstän dig tätig waren − oder die als Fü h ru ngsperson al ein er Firm a als KapitalistI nn en h andelten, aber den en das Kapital nicht geh örte. M it der zu n eh m en den B edeu tu ng der B anken u nd Aktiengesellsch aften geriet die Eindeu tigkeit ebenfalls im mer m eh r ins Wanken , waren die KapitalbesitzerI nnen so doch imm er weniger au szu mach en als konkrete Personen.

Diese Entpersonalisieru ng der Kapitalbesitzverh ältnisse h at sich deu tlich versch ärft. H eu te ist die Einteilu ng in Klassen sch on von dah er gar nicht m eh r möglich , befin det sich doch das meiste Kapital nicht m eh r in der H and konkreter Person en, sondern ist − wenn au ch u ngleich verteilt − breit gestreu t. So sind viele, die ih re Arbeitskraft verkau fen, Kleinanlege- rI n nen . Als Aktien besitzerI nnen wären sie aber form al au f der Seite des Kapitals. Du mmer- weise verh ilft das jedoch n icht au tom atisch zu meh r Gestaltu n gsm acht in der Gesellsch aft.

Wäh renddessen sin d die Top-M anagerI nnen au s B anken u n d Firmen au s Kapitalbesitzsicht

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nichts als An gestellte dieser entpersonalisierten Gebilde. I mm er h äu figer sin d sie beliebig au stau sch bar. Stattdessen treiben I mpu lse, die von den konkreten VollstreckerI nnen der so- genan nten Kapitalinteressen u n abh ängig sind, den ständigen Kreislau f von P rodu ktion u n d Verwertu ng, Au sbeu tu ng u n d P rofit an .

Die au s dem Festh alten an der sch on im mer u ngenau en, h eu te aber gänzlich u nsinn igen B eh au ptu ng einer Du alität zwisch en ArbeiterI nn en u nd KapitalistI nn en abgeleiteten Th eo- rien, Konzepte u n d Forderu ngen steh en denn au ch in einem seltsam en Gegensatz zu − au ch vereinfach enden − B eh au ptu n gen, die Finanzmärkte oder die Großbanken wü rden die Welt regieren. Denn diese vermeintlich en Strippenzieh erI nnen per Telefon oder Kra- keelen au f dem B örsen parkett h aben mit personalisierbarem Kapitalbesitz wirklich nichts m eh r zu tu n.

H inzu kommt, dass m en sch lich es Leben (glü cklich erweise! ) im mer au s meh r als Arbeit be- stan d u nd besteht. I n Kaninch enzü chtervereinen, Feu erweh r, Gemein deräte, Kirch envor- stän den oder Fam ilien h errschten aber ebenfalls derbe H ierarch ien ein sch ließlich des u n- tersch iedlich en Zu griffs au f Eigentu m − u nd zwar au ch innerh alb der Angeh örigen der Ar- beiterI n nen klasse bzw. der KapitalbesitzerI n nen. I nsofern erweist sich die B eh au ptu ng ei- ner ArbeiterI nnenklasse als frü h er sch on deu tlich e, h eu te aber seh r starke Vereinfach u ng der ökonomisch en Verh ältnisse, oh ne dass das dah intersteh ende Untersch eidu ngskrite- riu m (B esitz oder N ichtbesitz von P rodu ktionsm itteln) gänzlich u nsin nig wäre. Eine Ana- lyse fü h rt nu r zu anderen Ergebnissen .

Schwerwiegen der aber war der I rrtu m , au s der − wie zu seh en war: lü cken h aften − B e- sch reibu ng sozialer u n d B esitzverh ältnisse eine Gru ppe von B etroffen en zu form ieren , die plötzlich au ch als Ein h eit h an dlu n gsfäh ig, ja sogar das revolu tionäre Su bjekt der Ge- sch ichte sein sollte. Das nu n h atte ü berh au pt gar keine B ezu gspu nkte m eh r u nd bedu rfte der h errsch aftsförmigen Vereinnah m u ng du rch Einzelne oder Wenige, die sich zu m Sprach roh r der ArbeiterI nnenklasse au fschwangen u nd diese dadu rch erst als Su bjekt ins Leben riefen. So waren die ArbeiterI nnen u ntereinander weder politisch einig noch stellten sie inner- u nd au ßerh alb der P rodu ktionsprozesse ein e Einh eit h insichtlich ih rer M achtpo- tentiale dar. Sch on im B etrieb gab es klare H ierarch ien, oh n e dass Vorgesetzte desh alb sch on zu den KapitalbesitzerI nnen geh ört h ätten . Dennoch traten sie als VollstreckerI nnen von Kapitalinteressen au f. Erst recht ergaben sich au s dem sonstigen Leben , au s u nter- sch iedlich en B iografien, fam iliären Verh ältnissen , Woh nort u sw. Abweich u ngen bei den I n- teressen, die sch n ell zu Gegensätzen werden konnten u nd wu rden.

Wer eine solch e h eterogene M en ge von M ensch en zu r einh eitlich en Klasse erklärt, ih r ein gem einsames I nteresse zu diktiert u nd sogar von der „ Diktatu r des P roletariats“ träu mt, ver- wandelt die Vielfalt in ein e Einh eit mit Gesamtwillen, also ein h andelndes Su bjekt. Wie in vergleich baren Fällen, z. B. der Konstru ktion von „Volk“, kann dieser Akt nicht selbstbe- stimmt erfolgen, weil das tatsäch lich e Su bjekt der Klasse nicht existiert, sondern h öch stens ein e besch reibende Kategorie ökonom isch er Verh ältnisse ist. Sch on das ist zweifelh aft, wie gezeigt − aber ein e einh eitlich e Persön lich keit entspringt darau s n icht. Diese erfolgt au s der Vereinn ah mu n g, d. h . sie bildet wie das „Volk“ den du rch die Sprech erI nnen selbst er- sch affen en Legitimation sh intergru nd fü r den M achtan spru ch von Wenigen.

N ichtsdestotrotz gibt es soziale Sch ichtu n gen u nd Untersch iede im Zu gang zu wirtsch aftli- ch en Ressou rcen. Wer Eigentu m an P rodu ktionsm ittel, ja sch on wer ein eigenes H au s

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oder eine M enge Geld besitzt, verfü gt ü ber beständig bessere H andlu ngsmöglich keiten als die N icht- oder Wenigbesitzenden. Diese Untersch iede sind m essbar u n d verlangen zu ih - rer Überwindu ng nach konkreten, m ateriell wirksam en Veränderu ngen. Sie geh ören zu den institu tionellen Formen der H errsch aft.

Patriarch at, Alterspyram iden, Rassism en: Sch u bladen u nd P rivilegien Eine M ischform mit disku rsiver H errsch aft bilden soziale Kategorien, bei denen vermeintli- ch e M erkmale von M en sch en m it bestimmten Deu tu n gen verbu n den werden. H ierzu zäh - len das Gesch lecht, das Alter u nd die H au tfarbe als Zu ordnu ngskriteriu m zu sogenan nten Rassen. Sie alle entbeh ren nicht völlig einer Gru ndlage. Diese wird allerdings − disku rsiv oder ganz praktisch − in ih rer Ein deu tigkeit u nd Wertu ng gesellsch aftlich h ergestellt.

Denn die Trennu ngslinien zwisch en Gesch lechtern, Kind, Ju gen d u nd Erwach senen dasein sowie zwisch en versch iedenen H au tfarben sind bei näh erem H inseh en verschwom men bis kau m existent. Statt dessen dominieren willkü rlich e Grenzzieh u ngen plu s bru taler Eingriffe (z. B. gesch lechtsvereinh eitlich ende Operationen nach der Gebu rt), u m eine − dann dis- ku rsive − Gru ndlage fü r die Einteilu ngen zu sch affen, die dann als Legitim ation fü r H ierar- ch ien u n d als Zu ordnu n g zu bestimmten sozialen Rollen dienen. Frau en können besser m it Kindern u mgeh en, M änner wein en nicht, Afrikan erI n nen h aben den B lu es im B lu t, AsiatI nnen sin d arbeitswilliger, ein I ndianer kennt keinen Sch m erz, die Frau soll beim Ge- sch lechtsverkeh r u nten liegen, weil sie wen iger wert ist (M artin Lu th er) u nd all solch er B lödsinn kann sich plötzlich als ernstgenommene Position du rch setzen. Ein barbarisch er M en sch wie M artin Lu th er, der nicht n u r ü ber Frau en solch e Sprü ch e abgelassen h at, gilt bis h eu te als große Persönlich keit. Offenbar ist das Denken in Sch u bladen u nd das Sortie- ren von M ensch en in gu t u nd sch lecht(er) nichts An stößiges.

Au s B ookch in , Mu rray (1 992 ): „D ie N eu gestal tu n g d er Gesel l sch aft“, Trotzd em in Grafen au Schließlich entschied noch ein dritter biologischer Umstand, nämlich das Alter, über die Zu- gehörigkeit zu einer Gruppe. Wie wir noch sehen werden, sind die frühesten wahrhaft ge- sellschaftlichen Beispiele für Statusunterschiede durch die Altersgruppen verkörpert und durch die Zeremonien, die den jeweiligen Altersstatus legitimierten. Blutsverwandtschaft machte die einfache Tatsache bewußt, dass man dieselben Vorfahren hatte wie die anderen Gruppenmitglieder. Sie definierte die Rechte und Verantwortlichkeiten gegenüber anderen aus derselben Blutlinie − Rechte und Verantwortlichkeiten, die auch darüber bestimmten, wer wen innerhalb einer Abstammungsgruppe heiraten durfte, wer mit Hilfe und Unterstüt- zung in seinem Alltag rechnen konnte und an wen sich ein Hilfesuchender bei irgendwel- chen Problemen wenden konnte. Die Blutlinie definierte ganz buchstäblich den Einzelnen oder eine Gruppe, etwa in der Art, wie unsere Haut eine Grenzschicht formt, die uns von anderen Menschen unterscheidet. (S. 41 ) . . .

Die Erniedrigung des Menschen durch den Menschen begann schon sehr frühzeitig in der

„Männerhütte“, wo die auf der Erde kauernden Jungen den Hohn für ihre Unerfahrenheit aus dem Munde erwachsener Männer ernteten und den „kleinen Leuten“ Verachtung entge- genschlug, da doch ihre Verdienste um so vieles geringer waren als die der „Großen“.

Hierarchie, die zum ersten Mal und zögernd mit der Gerontokratie ihr Haupt erhob, ist nicht schlagartig in die Frühgeschichte hineingeplatzt. Sie breitete sich langsam aus, vor- sichtig und oft unmerklich, durch eine fast metabolische Art von Wachstum, als „Große Männer“ über „Kleine Männer“ zu herrschen begannen, Krieger und ihre „Gefolgschaft“

über ihre Landsleute, Häuptlinge über ihre Gemeinschaft und schließlich der Adel über Bauern und Leibeigene. (S. 47)

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Fü r all diese Kategorien gilt: I h re Diskriminieru ng beginnt nicht erst bei der Unterdrü cku ng au fgru nd zu geordn eter Eigensch aften , sozialer Rollen u nd gesellsch aftlich er Au fgaben, sondern bereits bei der B ildu n g der vermeintlich einh eitlich en Kategorie. Denn diese n e- giert die innere Vielfalt u nd Untersch iedlich keit eben so wie die u nklaren Abgrenzu ngen u n d vielfach en Übergän ge. Es gibt also weder ein einh eitlich es „ I nnen“ noch eine klare Gren ze zu m „ Au ßen“. Die Kategorie ist eine begrifflich e Erfindu n g, deren Existen zberechti- gu ng als besch reiben de Vereinfach u ng n och nachvollzieh bar sein könnte, die als M ittel der Zu ordnu ng zu sozialen Ein h eiten aber zu r Waffe gegen die I ndividu en wird.

Dieser Feh ler wiederh olt sich erneu t, wenn die Kategorie an geru fen, d. h . rekonstru iert wird, u m sie als revolu tion äres Su bjekt oder zu mindest einh eitlich e gesellsch aftsgestal- ten de Kraft zu wecken. Wo immer das gesch ieht, h errscht Vereinnah mu ng der Vielen du rch Wenige, die sich als Sprach roh r inszenieren u nd damit die Einh eitlich keit der Vielen erst selbst ersch einen lässt.

N eu e Wel tordn u n g:

Modern i si erte, form al e H errsch aft

H errsch aft m u ss sich modern isieren, will sie ü berleben. Lu th er mü sste sich h eu te etwas Gediegeneres einfallen lassen, u m sein au toritäres Den ken so rü berzu bringen , dass es au f Akzeptanz stößt. Allzu h och sind die Anforderu n gen aber nicht, wie die h oh e Zu stimm u ng zu den reich lich veralteten Th esen von Th ilo Sarrazin zu r genetisch en B edin gth eit von Ar- m u t, Rasse oder gar Religion im Jah r 201 0 zeigte. M oderne Fü h ru ngsstrategien sah en im Sarrazin s H etzjah r sch on anders au s.

Fu nktions- u nd Deu tu ngseliten

Allgemein steht der B egriff der Elite „ fü r einen besonders h ervorgeh obenen Teil einer B e- völkeru ng, einer Organisation , eines sozialen Systems“. Je n ach der Art u nd Weise, wie ein e Elite das Gesch eh en prägt, kann z. B. n ach „ M einu ngs-, Einkommens-, Fü h ru n gs-, Partei-, M ilitär-, Unterneh mens-Eliten“ u ntersch ieden werden (Sch u bert, Klau s/M artina Klein (4. Au fl. , 2006): Das Politiklexikon, Dietz-Verlag B on n). Zu samm enfassender wird h eu te oft in Fu nktions- u n d M achteliten u ntersch ieden . Erstere dom inieren in der Gesell- sch aft au fgru nd ih rer Fäh igkeiten in Verbindu ng m it entsprech en den Position en . I h r Ein- flu ss gesch ieht ü ber M edien, B ildu ngsinh alte oder ü ber N orm ieru ngen, d. h . ih re M acht ist inform eller Art. Zweitere, die M achteliten , verfü gen ü ber die formale M acht, also die Ent- sch eidu ngspositionen in Politik, insbeson dere in der Exeku tive. B eide Elitesph ären ü ber- sch neiden sich praktisch u n d personell. Wer in einer Person beide H andlu ngsoption en ver- binden kan n, sch afft sich besondere Gestaltu ngsmöglich keiten. H inzu kommt noch die Sph äre der Deu tu ngseliten. Dam it ist gemeint, dass gesellsch aftlich es Gesch eh en, von ta- gesaktu ellen Vorgängen bis zu r Gesch ichtssch reibu ng, nicht von allen M ensch en gleich er- m aßen interpretiert werden kann , sondern dass bestim mte Personenkreise einen besonde- ren Einflu ss au f die Art von Wah rneh m u ng u nd Wertu ng h aben , d. h . ih re Positionen ver- vielfältigen sich ü ber die Köpfe der N icht-Eliten tau send- oder millionenfach . Ob die Spiel- weise einer Fu ßballmann sch aft gu t oder sch lecht war, ob ein 80% -Ergebnis ein er Vorsit- zendenwah l ein Erfolg oder eine Abstrafu ng darstellt, ob eine militärisch e I ntervention ein e

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h u manitäre B efreiu n gsaktion oder sch licht ein kriegerisch er Überfall ist oder ob eine Strafe h art oder weich ist − das entsch eiden ganz Wenige, die die Deu tu n gselite darstellen.

I n terview m it dem Mich ael H artm an n , E l iteforsch er an der TU D a rm stad t, in : Tagessp iegel , 23. 2 . 2 008

Wie viele Personen gehören in Deutschland zur Elite? Es sind etwa 4000, zumeist Männer.

Wie definieren Sie Elite? Wenn man die gesellschaftliche Entwicklung qua Position oder qua Geld maßgeblich beeinflussen kann. Die Möglichkeit besitzen Großunternehmer, Spit- zenmanager, Spitzenpolitiker und die Spitzen in Justiz und Verwaltung. Mit ihren Entschei- dungen greifen sie konkret ins Leben der Bevölkerung ein.

Hat diese Machtfülle Einfluss auf die Mentalität der Eliten? Man hält sich für besonders, vor allem unter den Wirtschaftseliten. Es fängt bei den Kindern an, die feststellen, dass ihr Va- ter anders ist als andere Väter. Die Jugendlichen lernen, mit Macht umzugehen und mer- ken, dass die allgemeinen Regeln für die eigene Familie nur eingeschränkt gelten. Man empfängt keine Anweisungen, man weist an. Eine Haltung prägt sich aus: Es gibt uns, und es gibt die Gesellschaft.

Au s H offm an n -La n ge, U rsu l a: „D om in an z d er h errsch en den Kl asse? Oder E l iten p l u ral is- m u s?“, in : Ökol ogiePol itik Febr. 2 011 (S. 22 )

Den Klassikern der sozialwissenschaftlichen Elitetheorie verdanken wir die Einsicht, dass Gemeinwesen jenseits kleiner Gruppen ohne Organisation und Arbeitsteilung nicht funktio- nieren können. Arbeitsteilung bedingt jedoch immer auch die Delegation von Entschei- dungsbefugnissen an Einzelne oder Gremien, so dass die Herausbildung von Eliten unver- meidlich ist.

M it dem analytisch en B ild von Fu nktions- u nd Deu tu ngseliten wird sowoh l dem B ild eines gesch lossen en M achtblocks als au ch den in vielen Verschwöru ngsth eorien benannten, ge- h eimen Strippenzieh ern u nd Zirkeln eine Th eorie gesellsch aftlich er Kräfteverh ältnisse ent- gegengesetzt, die zwar die tatsäch lich e Komplexität sozialer P rozesse au ch nu r vereinfacht u nd sch ematisch abbilden kann, die aber keine personalisierte Täter-Opfer-Stru ktu r sch afft.

Zu dem ergibt sich ein flexiblerer B egriff gesellsch aftlich er Steu eru ngstätigkeit als in den starren Kategorien klassisch er H errsch aftsan alysen mit den eindimension alen Zu ordnu n- gen von Unterdrü ckerI nnen u nd Unterdrü ckten. „ Elite“ u ntersch eidet sich vom B egriff

„ Obersch icht“, obwoh l es viele Sch nittmengen gibt. Eine Elite m u ss aber n icht notwendi- gerweise au s M itgliedern privilegierter sozialer Sch ichten besteh en. Konzepte wie Sch icht u nd Klasse betonen die ökonom isch e Dim en sion sozialer Stru ktu ren, wäh rend mit dem Konzept „ Elite“ deren politisch e Fu nktionen u nd Einflu ssgröße betont wird. Zu dem zielt der „ Sch icht“ -B egriff au f in du strielle Gesellsch aften ab, wäh ren d der „ Elite“ -B egriff au f alle m öglich en Form en gesellsch aftlich er Differenzieru ng Anwendu ng gefu n den h at, bis zu - rü ck in die Ur- u nd Frü h gesch ichte, insoweit dort bereits feste Arbeitsteilu ng bzw. legiti- m ierte H errsch aftsformen ersch lossen werden kon nten . Die Grenzen zwisch en Elite u n d N icht-Elite sind fließend u nd du rch lässig. Dennoch ist die Abgrenzu ng möglich . Zu dem h errscht in privilegierten Teilen ein Verh altenscodex, der Vorau ssetzu ng fü r die Zu geh örig- keit ist. I nnerh alb einer Elite, die sich in ih rem Selbstbewu sstsein als solch e begreift, etab- liert sich typisch erweise ein besonderer H abitu s, in dem sich Fu n ktionen wie Erkennbar- keit, Abgrenzu ng, I dentitätsstiftu ng, Zu sam mengeh örigkeit, Selbsterkläru n g u nd Äh nli- ch es verkörpern. Diesen H abitu s bezeich net man ü berwiegend negativ m it dem Adjektiv elitär, wen n diese Fu nktionen n u r u nvollstän dig oder widersprü ch lich erfü llt werden, bei- spielsweise gepaart m it au ffälliger Arroganz h insichtlich der Abgrenzu ng n ach „ u nten“

oder bei Un zeitgem äßh eit identitätsstiftender M yth en (zu m B eispiel Glau be an Au serwäh lt- h eit). (Absatz verändert n ach Wikipedia)

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Dieser Sph äre von Fu nktions- u n d Deu tu ngseliten steht die M eh rh eit der M ensch en ge- genü ber, oh n e dass die Gren zen u nü berwindbar sin d. Sie sind sogar in sich versch oben, d. h . Personen, die z. B. am Arbeitsplatz nu r M itläu ferI nnen sind, können zu h au se oder in Vereinen eine prägende Rolle spielen. Wie sonst au ch , wiederh olen sich in den gesell- sch aftlich en Su bräu men, also den organ isatorisch en Teileinh eiten, die gleich en M ech anis- m en , die au ch das Gesamte prägen − wenn au ch im Vergleich mit den ü bergreifen den Ebenen weniger entpersonalisiert u n d noch als greifbare Sph äre. Doch au ch wenn die Gren zlin ie verschwom men ist u nd in jedem Su brau m neu gezogen wird, lassen sich doch Ch arakteristika fü r das Verh alten zwisch en den jeweiligen Eliten u nd dem Rest au smach en.

Typisch ist die B ittstellerI nn en-GönnerI nnen-Rollenverteilu ng im Dialog, wenn er denn ü berh au pt zwisch en Eliten bzw. P riviligierten u nd anderen zu stande kom mt. So drü ckt sich in Sprach e u nd Gestik der H öh ersteh enden regelm äßig deren gefü h lte Überlegen h eit au s.

Ob das in Form abweisen der oder bevormu n dender Arroganz oder als gn ädige H ilfeleis- tu ng erfolgt, m acht fü r die Empfän gerI n nen solch er B otsch aften zwar einen Untersch ied, basiert aber im mer au f dem Gefälle zwisch en den Komm u nizierenden.

Zu m prägnanten B eispiel, in einem gesellsch aftlich en Su brau m Entsteh u ng u nd Wirken von Fu nktionseliten zu beobachten, wu rde das I nternetlexikon Wikipedia, an deren Defin i- tion von Eliten obige Au sfü h ru ngen angeleh nt sind. H ier h at sich im Lau fe der Jah re ein e Sch icht von Personen m it privilegierten Zu griffsrechten h erau sgebildet, die zu näch st sch leich end, später ganz offen die komplette Kontrolle ü bernom men h a-

ben. Die h eu te imm er noch au ftau ch enden B eh au ptu ngen ü ber M itwir- ku ngsrechte u n d in nere Gleich berechtigu ng sind rein e Fassade.

Die Welt der Eliten ist selbstbestätigen d. Denn ih re An alysen u n d Denkm u - ster tau ch en ru nd u m sie h eru m imm er wieder au f. Das ist aber au ch nicht ü berrasch end, denn M edien, Verlage, fü h rende Kü nstlerI nn en u nd Politike- rI nn en sind die Eliten u nd produ zieren die M einu ng, die dan n als B estäti- gu ng zu rü ckkommt. Wer ein B u ch sch reibt, zitiert die anderen Angeh örigen der Eliten − u n d lässt Unbekannte weg. Parteien , Wissensch aftlerI nnen u n d Sozialverbände, die sich mit Armen u nd sozial Au sgegrenzten besch äftigen, geh ören zu den Eliten. Fü r sie sin d die Armen Objekt. I h n en feh lt die B innensicht. Gleich es gilt fü r Knast u nd Strafju stiz.

Strafen werden von Angeh örigen der Eliten verh än gt u nd von an deren via M edien interpre- tiert. Die das tu n, kennen Knast selten von inn en u n d h aben größtenteils au ch keine B e- kannten u n d Verwandten, au s deren B erichten sie erfah ren kön nten , was Strafe u n d Knast bewirken. Selbst in politisch er B ewegu ng fu nktioniert das Kartell der Eliten. B ewegu ngs- forsch erI nnen u nd Jou rnalistI nnen su ch en den Kontakt zu ih resgleich en − geh ören zu den Eliten der B ewegu ngen . Den Geru ch von Asph alt, kü h ler N acht, Klin kenpu tzen oder Poli- zeiau tos ken nt da kau m jemand oder h at sie n u r noch verschwom men in Erinneru n g.

Der sich ständig au ffrisch ende Teilu ngsprozess in Eliten u n d M itläu ferI nnen basiert nicht nu r au f dem Willen zu r Gestaltu ngs- oder Kontrollmacht der Wen igen, son dern au ch au f den Unwillen dazu der Vielen. I n ersch reckender Weise verzichten M en sch en au f ih re Fä- h igkeit u nd M öglich keiten, ih r eigenes Leben u nd die Umweltbedingu ngen zu reflektieren.

Eigentlich zeich net genau das den M ensch en au s u nd u ntersch eidet ih n n ach dem Stan d der Wissensch aft gru ndlegend von allen anderen Lebewesen: Er kann sich au ßerh alb sei- ner selbst stellen u n d qu asi au s der Vogelperspektive sich selbst u nd sein Umfeld betrach - ten . Dadu rch sind Reflexion en des eigenen H andelns, das P lanen von Strategien, das Ab-

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Beispiel im Kapitel über

„ Com m ons“ ( Gem eingü- ter) . Kritik unter www.

projektwerkstatt.de/

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sch ätzen zu kü nftiger Entwicklu ngen u nd das Abwägen versch iedener Optionen möglich . Tatsäch lich verzichten die m eisten M en sch en in fast allen Situ ationen au f diese Fäh igkeit des m en sch lich en Geh irn s u n d B ewu sstseins. Das ist eine Folge von Zu richtu ng u nd man- gelndem Willen , sein eigenes Leben zu gestalten.

• Erzieh u ng u nd die fremdbestimmte Au srichtu ng des eigen en Lebens au f vorgege- bene Lebenswege sin d wichtige Grü n de dafü r, das M ensch en sich n u r inn erh alb des Gewoh nten bewegen . Selbst Au sbru ch sversu ch e bleiben dem B ewäh rten verh aftet, d. h . au ch P rotestku ltu ren z. B. u nter Ju gendlich en sind nu r Wiederh olu ngen im kol- lektiv-identitären Dasein. Das „ Fu nktionieren“ im Gewoh nten vermittelt Erfolgsgefü h l u nd Geborgenh eit.

• I n einer Gesellsch aft, die vorgegebene Lebensorientieru ngen beloh nt, ist das Verh ar- ren in diesen einfach er als der Weg selbstorgan isierten , kreativen Verh altens. Der dau ern de Dru ck der Verh ältn isse u nd des sozialen Umfelds zu r N orm alität m acht Selbstbestim mu n g zu einem kraftzeh renden Dau erkrieg zwisch en der h andelnden Person u n d dem Dru m h eru m . Softe Verweigeru n g oder P rotestfolklore sind h inge- gen attraktiv, weil die plu rale Gesellsch aft längst N isch en fü r den zeitweisen Au sstieg au s der dau ernden Verwertu ngslogik gesch affen h at.

I n der Folge verzichten die meisten M ensch en au f die B enu tzu ng ih rer Fäh igkeit zu m Den- ken in M etaebenen, d. h . zu r selbstbestim mten Gestaltu ng ih res Lebens. Dieses setzt vor- au s, dass der M ensch sich ein en Überblick ü ber seine H an dlu ngsm öglich keiten versch afft, u m zwisch en diesen wäh len oder sich neu e sch affen zu kön nen . Das Den ken in der M etae- bene analysiert den Zu gang zu Ressou rcen oder die sozialen Verh ältn isse innerh alb ein er Gru ppe ebenso wie Reaktionen ein es Umfelds, Gefäh rdu ngen oder vieles andere. I nner- h alb sozialer Gru ppen feh lt solch es Denken oft ganz. Die Personen, die zu mindest teil- weise in der M etaebene den ken, erreich en sch nell eine dom in ante Stellu ng. Oftmals redu - ziert sich ih r Denken aber au f bestim mte B ereich e, z. B. die H andlu n gsfäh igkeit der politi- sch en Gru ppe, WG, Fam ilie oder den B etrieb: I st genu g Geld da? Stim mt das M iteinander?

Wo sind Konflikte? Solch e u n d äh nlich e Fragen an alysieren die Lage in der Gru ppe au s ei- n er M etaebene. Wer so denkt, h at ein en Vorspru n g an H andlu ngsmöglich keiten gegen- ü ber denen, die au f solch e B etrachtu ngen verzichten. Das sch afft ständig Untersch iede.

Wer m eh r Überblick ü ber die Potentiale u nd Konflikte in ein er Gru ppe h at, verfü gt ü ber m eh r H andlu ngs- u nd Steu eru ngsmöglich keiten . Allerdings fü h rt die Dom in anz nicht zu m Glü ck − ganz im Gegenteil: Verzweifelu ng u nd Fru st sind bei denen, die au s der M eta- eben e sch au en, eh er das Alltag. Denn der Zu stand der meisten Gru ppen ist au s Effizien z- u nd h errsch aftskritisch er Sicht katastroph al. N u r merkt mensch das gar nicht, wenn nie- m als ein B lick au s der Vogelperspektive au f das eigen e Dasein versu cht wird. Sch eu klap- pen mach en froh .

I ngenieu rsdenken im Sozialen: Leben als Kosten-N u tzen-Faktor

Soziale Gestaltu ng wird im mer m eh r zu einer Disziplin der I ngenieu rsku nst. M ensch u n d Gesellsch aft liegen, bildlich gesproch en, u nter dem Seziertisch u n d werden h insichtlich ih - rer Fu nktion sfäh igkeit fü r vorgegebene Zwecke m anipu liert. Leben u nd M en sch sein sin d du rch diese tech n isch e B rille kein Selbstzweck m eh r, sondern werden verbessert wie Com- pu terch ips oder M otoren.

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Erläu tert sei das am B eispiel der Gentech n ik. Sie ist vom An satz h er ein Reparieren u n d Optimieren von N atu r u nd M ensch . Das gesch ieht m it rein tech nisch en M itteln. So wird der B lick vom Sozialen au f das Tech nisch e gelenkt. Die Ziele der Gentech nik aber sind fast au snah m slos soziale: Gesu n dh eit, Lebensmittelverteilu ng (nicht deren vermeh rte Erzeu - gu ng, den n die M enge war u n d ist au sreich end), Überwach u ng, Eu gen ik bis Eu th an asie.

Som it fördert die Gentech nik prin zipiell die Au sdeh nu n g des I ngenieu rsdenken s au f so- ziale Fragen. Die gesellsch aftlich e Debatte verlagert sich imm er weiter au f das oh neh in in Sozialpolitik, B ildu ng u n d Erzieh u ng, Strafwesen u nd M edienpolitik bereits prägende Op- timieren von M ensch en fü r bestim mte I nteressen u nd definierte Anforderu ngen statt einer Verän deru ng der Lebensbedingu n gen n ach den B edü rfnissen der M ensch en .

M etropole und Periph erie

Die M etropole verein igt die zentralen Ressou rcen gesellsch aftlich er Steu eru n g u n d H and- lu ngsmöglich keiten au f sich . Sie sch afft ein Zentru m fu nktionaler M acht, als den Ort des Wirkens von Fu nktionseliten. H ier werden ökonomisch e Abläu fe koordiniert, h ier sitzen die Zentralen der Verwaltu ngsmacht, Verkeh rssystem e bilden h ier Knoten- u nd Übergangs- pu nkte, B ildu ngseinrichtu ngen , M edien u n d Ku ltu rangebote konzentrieren sich in der M etropole. I n demokratisch en System en woh nt h ier sch licht au ch die M eh rh eit − ein Gru nd, waru m die m etropolitanen Eliten zu den M arktsch reierI nnen genau dieser, ih re Do- m inan z absich ernden Staatsform geh ören.

Die Periph erie verfü gt ü ber die Roh stoffe des Lebens. Doch M acht zieht sie darau s kau m, denn die Verfü gu ngsgewalt liegt in den M etropolen. Die B ewoh nerI nn en der Periph erie verkau fen ih re Arbeitskraft, u m die bei ih nen befindlich e Roh stoffe zu gewin nen oder h er- zu stellen, in die M etropolen zu sch affen u nd den Abfall der M etropolen wieder in Em pfang zu neh men.

M etropolen - u nd Periph erieverh ältnisse besteh en au f versch iedenen Ebenen, z. B. zwi- sch en den I n du striestaaten des globalen N ordens u nd den Län dern des globalen Sü dens, eben so aber au ch in nerh alb all dieser zwisch en Stadt u nd Lan d oder sogar in nerh alb einer Stadt zwisch en Reich en - u nd Armenvierteln, B ank-/Dienstleistu ngssektoren u nd den sch mu tzigen I ndu striegebieten.

Bildu ngspyram iden

Die Zertifikategesellsch aft, in der Titel u nd beu rku ndbares Wissen die Qu alität eines M en- sch en definieren, sch afft soziale H ierarch ien au fgru n d des B ildu ngsgrades. Dieser wird ein- seitig an der du rch lau fenen Au sbildu ng festgem acht, d. h . die besten AbsolventI nn en sin d die, die sich am gen au esten den vorgegebenen B ah nen angepasst, Lernformen u nd -in- h alte reprodu ziert h aben. Sie empfeh len sich fü r wichtige Au fgaben in ein er Gesellsch aft, die sich selbst der Zweck geworden ist u nd in der die Entfaltu ng der M ensch en zu gu nsten der Au frechterh altu ng einer m omentanen Ordnu ng u nterdrü ckt wird. Alltagswissen , Le- benserfah ru n g, Aneign u ng von Wissen du rch eigenes I nteresse oder H andeln − all das ist kau m bewertbar u nd desh alb wen ig geachtet.

Die sozialen Stu fu ngen du rch den B ildu ngsstand „ vererben“ sich − im Zu samm enspiel m it sozialem Statu s u nd Einkom mensh öh e. Das h eißt, dass N ach komm en au s den u nte-

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ren Sektoren der B ildu n gspyramide mit h oh er Wah rsch einlich keit au ch selbst in Au sbil- du n gen drän gen bzw. diese fü r sie nu r ü brig bleiben , die ih n en wiederu m einen P latz im u nteren Sektor zu weist.

E rsch ei n u n gsform en i n sti tu ti on al i si erter Mach t

I n den bish erigen B esch reibu ngen sind zwar die besteh en den Ersch einu n gsformen forma- ler M acht sch nell erkennbar, aber n och au f einem abstrakten N iveau . I n Alltag u n d Gesell- sch aft werden sie aber seh r kon kret u nd praktisch . Eine Au fzäh lu ng aller Form en wü rde al- lerdings ein eigenes, u nd zwar seh r dickes B u ch erfordern. Einige B eispiele seien genannt.

Personale H errsch aft

Eltern h aben ein sogenan ntes Erzieh u n gsrecht ü ber ih re Kinder, ü bertragen wird dieses als Au fsichtspflicht bezeich nete Recht au f LeiterI nnen in der Kinder- u nd Ju gen darbeit. Leh re- rI n nen h aben B efeh lsgewalt ü ber Sch ü lerI nnen, Vorgesetzte ü ber ArbeiterI n nen u nd An- gestellte, Komm andeu rI nnen ü ber SoldatI n nen u sw. Das sind einfach e u nd seh r direkte Verh ältnisse der M achtau sü bu ng du rch u nd ü ber M ensch en . Sie basieren au f gru ndlege- n en P rivilegien, die du rch Recht festgesch rieben sind u nd m eist folgenlos ü bersch ritten werden kön nen. Den n wer P rivilegien h at, kann seine M acht regelm äßig ü ber diese h in au s au sdeh nen. Sollte es zu einer Überprü fu ng dieser − h äu figen − Übersch reitu ngen du rch Dritte komm en, h at die oh neh in privilegierte Person die besseren Ch ancen, die eigene Sichtweise der Abläu fe zu r Gru ndlage der P rü fu ng zu mach en. Zu dem gibt es äh nlich e P rivilegien, die eh er oder nu r au f Traditionen u nd Wertvorstellu n gen beru h en , z. B. die Do- m in anzen zwisch en M ännern u n d Frau en , TitelträgerI nnen u nd „ N orm albü rgerI nnen“

u sw.

H errsch aft der I nstitu tionen

Seh r äh nlich der person alen H errsch aft ist die der Apparate m it form aler M acht. H ier be- steht kein e gru ndsätzlich e, sondern ein au f die jeweilige Au fgabe bezogenes M achtgefälle.

B eson ders au ffällig besteht dieses zwisch en den Au sfü h ren den beh ördlich er Gewalt gegen- ü ber den von ih nen beau fsichtigten, kontrollierten oder mit San ktionen bedrohten Perso- n en. Polizei u n d Ju stiz, Gesu ndh eits- u nd B au ämter, Au slän derI nn enbeh örden u n d Fi- n anzämter, Sozial- u nd Arbeitsagentu ren könn en diese Rolle spielen . I mm er treten kon- krete Personen au f, die aber im Au ftrag ih rer B eh örde agieren. Sie h aben konkrete Au fträ- ge, die sich au s den Au fgaben der entsen denden Ämter u n d I n stitu tion en ergeben . I n Ein- zelfällen wach sen sich diese konkreten Fälle aber zu gru ndlegenden Sch ikan ieru n gen au s, z. B. u m die Unterwerfu n g im Ein zelfall au ch du rch setzen zu können. Polizei u nd noch m eh r die Ju stiz neigen sogar als N ormalfall zu Akten gru ndlegender B eh errsch u n g. Zwar wird in Strafverfah ren n u r das konkrete, vermeintlich u nerlau bte Verh alten geah ndet, doch zu m indest bei H aftstrafen das gesamte Leben der bestraften Person versau t.

Dem H andeln der VollstreckerI nnen au s I nstitu tionen liegen in der Regel N ormen u nd Ge- setze zu gru nde. Die M achtfü lle, die sich au s diesen ergibt, vereinfacht aber au ch die dar- ü ber h inau sgeh en de, au ch im rechtstaatlich en Verständnis dann willkü rlich e M achtau s- ü bu ng. Diese bleibt fü r die TäterI nnen au s den I n stitu tion en regelm äßig folgenlos, weil sie

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ü ber meh r Definitionsm acht bezü glich der Gesch eh nisse verfü gen als die Opfer beh ördli- ch er Gewalt. Steigerbar ist das dadu rch , dass willkü rlich M acht au sü ben de AmtsträgerI n- nen zu m Eigensch u tz u nd zu r Versch leieru ng ih rer H andlu ngen erfu ndene Vorwü rfe ge- gen ih re Opfer richten. So resu ltieren viele Strafen wegen angeblich en Widerstands gegen Vollstrecku ngsbeamtI nnen au s Gewalttaten du rch die AmtsträgerI nnen, die diese du rch sch ikanierende An zeigen gegen ih re Opfer zu vertu sch en versu ch en − mit Erfolg, denn vor Gericht ist die Au ssage eines/r B eamtI n du rch die Gegen au ssage ih rer Opfer nicht wi- derlegbar. Die M acht der I nstitu tionen steigert sich du rch deren gegenseitige H ilfe. Finan z- ämter oder Gerichte organ isieren das Eintreiben von Geldern au s Anordnu ngen anderer B eh örden, Polizei prü gelt die Anweisu ngen von B eh örden du rch , RichterI nn en verh ängen B eu geh aft u sw.

N orm u nd Gesetz

Alle Länder der Welt sind h eu te als Rechtstaat verfasst, au ch wenn sie nach dem Ernen- nu ngssystem der Exeku tive in Diktatu r, M onarch ie, P räsidial- oder parlam entarisch e De- m okratie − mit Übergan gs- u n d M ischform en − u ntersch ieden werden. Die tradierten Ge- pflogenh eiten u nd von den M ächtigen gewü nschten Verh altensweisen, Verteilu ngen for- m aler M acht u nd Sich eru ngen u ngleich verteilten Eigentu m s werden in Form gegossen als N ormen u nd Gesetze. Zu samm en bilden all diese das Recht. I n ih nen drü cken sich die M achtverh ältnisse au s, denn Recht bein h altet die Spielregeln gesellsch aftlich en Leben s. Es stam mt weder au s h öh eren , z. B. göttlich en Qu ellen, wie es m anch e P h ilosoph en dachten, die damit (imm erh in damals ein e M odernisieru n g) den personalen Gott gedanklich abzu lö- sen versu chten , n och sind es au s der N atu r des M ensch en stamm ende Setzu n gen . Sie sin d au ch nicht vom „Volk“ gem acht − jedenfalls nicht in dem Sinne, dass die B evölkeru ng das Recht setzt. Das steht zwar so in den Verfassu ngen, ist aber verblöden der Unsinn. Die Rechtsph ilosoph ie der Universitäten ist da eh rlich er als die disku rsbildenden (andere sagen:

verdu mm en den) Sch u lbü ch er: „ Die Rechtsordn u ng gilt, die sich faktisch Wirksamkeit zu sch affen vermag“, besch rieb das ganz trocken einer der beiden bedeu tsamsten deu tsch en Rechtsph ilosoph en, Gu stav Radbru ch . Un d fü gte h in zu : „Wer Recht du rch zu setzen ver- m ag, beweist dam it, dass er Recht zu setzen beru fen ist.“ M it dieser bemerken swert ein deu - tigen Position steht Radbru ch nicht allein: „ N atü rlich fällt das Recht n icht vom H immel. Zu - erst wird in Rechtssätze gegossen, was ü blich ist. Und ü blich ist, dass die Starken sich die Rechte neh men, die sie brau ch en“, form u lierte der SP D-Vordenker Erh ard Eppler u n d der zeitlebends von der Ju stiz verfolgte Georg B ü ch n er sch rieb: „ Das Gesetz ist das Eigentu m ein er u nbedeu ten den Klasse von Vorneh m en u nd Geleh rten, die sich du rch ih r eigenes M achtwerk die H errsch aft zu spricht.“ Das sind klare Worte. Recht ist das I nstru ment der H errsch en den. Es spielt immer die Rolle der Legitimieru ng des an sonsten als willkü rlich erken nbaren Verh altens von H errsch aftsinstitu tionen − ob in der Demokratie oder im N a- tionalsozialismu s. Denn die bish erigen Zitate au s der Welt des demokratisch en Rechtsstaa- tes u ntersch eiden sich nicht von der Rechtsph ilosoph ie im Dritten Reich : „ Recht bekommt, wer sich im Daseinskam pf du rch zu setzen versteht.“

N och stärker als person ale H errsch aft sch afft Recht das stru ktu relle P roblem, die M achtver- h ältnisse u nd Deu tu ngen der Vergangenh eit in die Zu ku nft zu exportieren. Personen u n d I nstitu tionen tragen dazu bereits au ch bei, wenn ih re Traditionen u nd Wertvorstellu ngen

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au s frü h eren Zeiten stammen. Eltern setzen gestrige Au ffassu ngen z. B. familiärer Ordnu ng oder Au sbildu ngsvorlieben gegen ih re Kinder du rch , Sch u len die Traditionen u nd Leh r- pläne der vergan gen en Jah rzeh nte (u nd das Wissen au s der Stu dien zeit der Leh rerI nnen), Ämter veraltete Au ffassu ngen von B au en, Zu samm en leben oder sozialen Rollen. Drama- tisch aber wird das bei N orm en u nd Gesetzen. I h r Werdegan g ist schwerfällig. Sie sind in der Regel das Resu ltat lan gjäh riger Verfah ren, die zu dem erst eingeleitet werden, wenn seh r deu tlich wird, dass bish erige Regelu ngen nicht m eh r zeitgem äß sin d. Dramatisch e B ei- spiele sind die Straffreih eit der Vergewaltigu ng in der Eh e bis 1 992 (bis 2004 au ch nu r au f Antrag) oder das Rechtsberatu ngsgesetz, dass nicht zu gelassen e ju ristisch e Tätigkeit u nter Strafe stellte. Es war von den N ation alsozialisten erlassen worden, u m jü disch e AnwältI n- n en au s ih ren B eru fen zu eliminieren − u nd galt bis 2002. Recht ist prinzipiell stru ktu r- konservativ. Da jedes Recht mit in stitu tion eller M acht in Form du rch setzender Vollstrecke- rI n nen verbu n den ist, wirkt sich dieses rü ckwärtsgewandte Korsett ein er Gesellsch aft als starke B rem se evolu tionärer Weiterentwicklu ng au s. Der M en sch h eit h ängen m it dem Recht, aber au ch mit Traditionen u n d Reichtu m su ntersch iede festigenden P rivilegien rie- sige Klötze am B ein, die absu rderweise penetrant als Erru n gensch aften dargestellt werden.

M it freien Verein baru ngen (freier M ensch en) h at das Recht nichts zu tu n. Recht spiegelt die M achtverh ältnisse wider − u nd damit du rch au s in einigen Fällen au ch soziale Kämpfe u n d Einflü sse du rch andere B evölkeru ngsteile als nu r den Eliten bzw. P rivilegierten. Das ist aber kein bedeu tender Anteil, meist dom in ieren die Konku rren zen innerh alb der Eliten das Tau zieh en u m das I nform gießen von Werten u n d Deu tu n gen. Rechtsetzu ng ist M acht- kampf, in dem die besteh enden P rivilegien zu r Form werden . Oder anders au sgedrü ckt:

Recht ist immer das Recht des Stärkeren. Das gilt ebenso fü r Regeln, soweit in diesem B e- griff ein e B estän digkeit gem eint ist, die n icht einfach du rch die B eteiligten in Frage gestellt u nd verändert werden können. Werden „ Regeln“ nu r fü r den Au genblick u nd eine kon- krete Situ ation von den daran B eteiligten vereinbart, sind es Vereinbaru ngen. Gelten sie

darü ber h inau s, werden es Regeln m it rechtsäh nlich em Ch arakter.

Verteilu ng von Reichtu m u nd P rodu ktionsm itteln

Formale M acht wirkt sich au f ökonom isch e P rivilegien u nd H andlu n gs- m öglich keiten au s. So sind die Reichtü mer der Welt seh r u n gleich verteilt

− abgesich ert du rch Rechte u nd institu tionelle Du rch setzu ng. Von Ämtern bis be- waffneten Ordn u ngsdienerI nnen wird nicht Gleich h eit, sondern die Ungleich h eit verteidigt.

Wen n eine Person eine M illionen Eu ro besitzt u nd die andere zeh n , die ärmere aber dem/r M illion ärI n zwei Eu ro wegnimmt, so wird nicht die reich ere dafü r bestraft, dass sie imm er n och 999. 986 Eu ro meh r besitzt als die ärm ere, son dern die B esitzerI n der 1 2 Eu ro wird von au fgeblähten Sich eru ngseinrichtu ngen der Reichtu m su ntersch iede angeklagt u nd ver- m u tlich bestraft.

Stru ktu rell wirkt die ebenso u ngleich e Verteilu ng an P rodu ktionsm itteln. Denn B oden, Roh stoffe, Gebäu de, M asch inen oder der B esitz an Wissen (Patente u .ä. ) sich ern die privi- legierte M öglich keit, die Reichtu m su ntersch iede au ch in Zu ku nft weiterh in h erstellen u n d au sweiten zu können.

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Meh r zu Recht einsch l ieß-

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l ich der genauen Quel l en und weitere Zitate unter www. projektwerkstatt.de/

dem okratie/recht. htm l

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Au s ein em I n terview m it E l l en Maiksin s Wood, eh em a l ige H era u sgeber d er m axistisch en U S-Zeitsch rift „Mon th l y Review“, in : J u n ge Wel t, 2 9.1 . 2 01 1 (B eil age S. 1 )

„Ökonomischer“ Zwang allein genügt beispielsweise, um eigentumslose Arbeiter zu zwin- gen, ihre Arbeitskraft im Austausch für Lohn dem Kapital zu verkaufen. Selbst wenn also alle Erwachsenen formal gleiche politische Rechte wie das Wahlrecht besitzen, bleibt die ausbeuterische Macht des Kapitals weitgehend unberührt. Die Ausbeutung liegt also, wie auch andere Aspekte des materiellen und sozialen Lebens im Kapitalismus, außerhalb der Reichweite demokratischer Macht und wird entweder direkt durch das Kapital − am Ar- beitsplatz wie jenseits desselben − oder durch die Mechanismen des Marktes, die Zwänge des Wettbewerbs, der Akkumulation und Profitmaximierung kontrolliert, die die soziale Tä- tigkeit regulieren und Vorrang erlangen vor allen anderen menschlichen Zielen.

N ah egelegte Lebensweisen

Einen Übergan g zwisch en institu tioneller u nd disku rsiver H errsch aft bildet eine besonders wirksame Form der B eeinflu ssu n g. B estim mte Lebensweisen wirken fu nktion al, d. h . die Art u n d Weise, wie ich lebe u nd agiere, passen u ntersch iedlich gu t zu eingetrichterten Er- wartu ngen u nd fü h ren zu Reaktionen im Umfeld, die m ir nü tzen oder sch aden . Die freih eit- lich -dem okratisch e Gru ndordnu ng, wie sie z. B. in Deu tsch lan d als Gru ndlage des staatlich gesch affen en u nd ü berwachten öffentlich en Rau m es postu liert wird, su ggeriert ja die Ent- sch eidu ngsfreih eit, sich selbst fü r das eigene Lebensmodell entsch eiden zu kön nen. Zwar sch eitert Vieles bei näh erer B etrachtu ng bereits an Gesetzen, N ormen u nd sonstigen adm i- nistrativen Vorgaben, wirku ngsvoller aber ersch eint noch das System von Kon ditionieru ng u n d B eloh nu ng. Wer Lebenswege einsch lägt, die den vorgegeben en Standards entspre- ch en oder sich au s diesen zu sam mensetzen , vermeidet n icht nu r repressiven Ärger, son- dern kan n an etlich en B eloh nu ngssystem en partizipieren , die in dieser Welt fü r all die ein- gerichtet sin d, die sich der großen M asch in e von Arbeit, Verwertu n g, Unterordnu n g u n d gerichtetem Denken u nterwerfen. Wer in Robe oder Uniform , au f M anagerI n nensesseln oder Regieru n gsbänken H errsch aft au sü bt, P rivilegien sich ert, u ngleich e Verteilu ngen or- gan isiert oder abweich en des Verh alten maßregelt, h andelt dah er selten au s eigener Über- zeu gu ng, sondern so, wie es fu nktional ersch eint. M aßstab sind der zu erwartende Ärger oder Loh n, der entsteht je nach dem, wie m en sch h andelt. Dabei sin d die B eloh nu ngs- u n d B estrafu ngssysteme weit entwickelt u nd beginnen nicht erst bei der Anklageerh ebu ng vor Gericht, son dern bereits im Zu gang zu Überlebensressou rcen u nd bei Reaktionen im so- zialen Umfeld.

Wer das gewü nschte Wissen als Lernziel der Sch u le brav au fsagen kan n, bekommt ein e gu te N ote u n d genießt dah er Vorteile. Wer Form blätter brav au sfü llt u nd sich au ch anson s- ten korrekt verh ält, bekom mt H artz I V. Wer in Kleidu ng, Form u lieru n g u nd Au ftreten den M ain stream widerspiegelt, h at Au ssicht au f ein en Job u n d damit das u niverselle Überle- bensh ilfsmittel Geld. Wer als PolitikerI n die Etikette wah rt, lü gt u n d sich im Win d dreht, kann sch n eller au fsteigen. Usw.

Au s Ch ristoph Sp eh r (2003): „Gl eich er a l s an dere“, Karl D ietz Verl a g in B erl in

Der Vorteil von Herrschaft ist, dass sie bequem ist und funktioniert. Eine Politik der freien Kooperation kommt nicht umhin, eine Entfaltung sozialer Fähigkeiten zu betreiben, mit der sich die Individuen (und Gruppen) dabei unterstützen, die Entscheidung über sich tatsäch- lich in die eigene Hand zu nehmen. Aufgrund des Kahlschlags, den Herrschaft im demokra- tischen Zeitalter in diesem Bereich betrieben hat, sind wir ganz oft nicht fähig, unsere Kooperation selbst zu regeln − auch dies gilt wieder für alle Orte der Gesellschaft und alle

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ihre Kooperationen. Entfaltung sozialer Fähigkeiten ist nichts anderes als das, was subjek- tive Aneignung heute meinen kann: sich die gesellschaftlichen Erfahrungen und Fähigkeiten individuell und kollektiv verfügbar zu machen. . . . (S. 51 f. )

Wir gewöhnen uns daran, Probleme zu verdrängen, die wir eigentlich sehen, und unsere Umwelt nicht zu gestalten, obwohl wir es könnten. Wir erwarten, dass uns jemand sagt, was zu tun ist, und dass wir uns bei jemand beschweren können, wenn es nicht klappt. Wir erwarten sogar, dass uns jemand in eine Ecke führt, uns einen Pinsel in die Hand gibt und sagt: »Hier, gestalten!« und nennen das dann Zivilgesellschaft und Partizipation.

Freie Kooperation ist dagegen auf die Fähigkeit der Einzelnen zur aktiven Gestaltung an- gewiesen. In einer Kooperation von Freien und Gleichen gibt es niemand mehr hinter uns.

Aktive Gestaltung sucht sich selbst ihr Feld und ihr Objekt, sie definiert selbst ihre Ziele. Sie ist Selbstbeauftragung. . . . (S. 95 f. )

Kei n ru h i ges Leben oh n e Verdrän gu n g

Das alles wäre kau m au sh altbar, wenn die eigene Lage immer klar im Kopf wäre, wenn Zwän ge u nd frem degesetzte Gren zen ständig spü rbar wären. Es bedarf also zu sätzlich ei- n er gewaltigen Verdrängu n gsleistu ng, dass M en sch en nicht das tu n, won ach sie sich seh - n en u nd was sie wollen , son dern ih r H andeln u n d sogar ih r Denken nach dem au srichten, was u nter den gegebenen Umständen als mach bar ersch eint oder wozu der M u t reicht. Die Alltagsgestaltu n g der meisten M ensch en ist eine Anein anderreih u ng von H andlu ngen, die m it ih ren eigenen Vorstellu ngen, wie sich ih r Leben entwickeln soll, wen ig zu tu n h at. Ent- sch eidender Richtu ngsgeber ist die Gesamth eit der äu ßeren Einflü sse − von Verboten u n d Droh u n gen ü ber wirtsch aftlich e (Sch ein -)M ach barkeit bis zu Ängsten vor sozialer I solation, Risiken, Unsich erh eiten u sw. P raktisch u nterbleiben m eist sch on die Versu ch e, eigene Seh nsü chte oder Utopien, oft aber au ch nu r ganz kleine Veränderu ngen u mzu setzen. Ein Stadiu m , in dem Sch eitern oder Erfolg möglich wü rden, wird gar n icht erst erreicht. Die Orientieru ng am gefü h lt M öglich en u n d An gesagten wird im Lau fe der Zeit zu r neu en N or- m alität. Ein e permanente Verdrängu ng der Enttäu sch u n g begleitet das Dasein u n d wird zu r n eu en N ormalität.

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