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Schütteln tötet

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PRAXIS SCHÜTTELTRAUMA

S

o geschehen 2016 in Ham- burg-Altona. Und die Ge- schichte ist beileibe kein Einzelfall: Dass ein Eltern- teil sein Kind aus schierer Über- forderung heftig schüttelt, passiert sehr häufig – rund 200mal im Jahr mit Todesfolge. 20 Prozent aller ge- schüttelten kleinen Kinder sterben, 66 Prozent leben schwerstbehindert weiter. Und die Dunkelziffer ist na- turgemäß hoch.

Verheerende Schäden Und das passiert beim Schütteln eines Kin- des: Wer einen Säugling am Rumpf packt und auch nur wenige Male kräftig hin und her schüttelt, verur- sacht mit großer Wahrscheinlichkeit ein Schütteltrauma-Syndrom. Denn dabei wird der Kopf des Kindes in eine heftige unkontrollierte rotie- rende Bewegung versetzt. Die entste- henden Scher- und Rotationskräfte wirken besonders stark und verhee-

rend, da das Gehirn des Säuglings und die umgebenden Strukturen noch besonders zart und verletzlich sind. „Außerdem hat ein Säugling aufgrund seiner noch schwachen Nackenmuskulatur kaum Kontrolle über seinen Kopf. Daher fliegt der Kopf ungebremst hin und her“, er- klärt der Neuropathologe und Pri- vatdozent Dr. med. Jakob Matschke vom Universitätsklinikum Ham- burg-Eppendorf (UKE).

Durch Scher- und Zugkräfte kön- nen Blutgefäße einreißen, was zu Blutungen im Schädelinneren und Netzhautblutungen führt. Auch Ner- venfasern werden geschädigt; über- lebenden Kindern drohen nicht nur lebenslang Seh- und Sprachstörun- gen, sondern auch motorische Stö- rungen. Lebensbedrohlich sind die Schädigungen des Hirngewebes.

Durch das gewaltsame Überstrecken des Halses kann der Hirnstamm ge- schädigt werden. In dieser Region befindet sich das Herz-Kreislauf- und Atemzentrum. Kommt es hier zu Schädigungen, erleiden die Opfer einen Herz-Kreislauf- oder einen Atemstillstand. Durch den Sauer- stoffmangel sterben zudem in kür- zester Zeit zahllose Hirnzellen ab.

Bildgebende Verfahren offenbaren die Spuren des Sauerstoffmangels – das Gehirn sieht dann im Spätsta- dium wie eine Walnuss aus.

Alle Gesellschaftsschichten be- troffen Die API Kinder- und Ju- gendstiftung hat nun eine Kam- pagne namens #schüttelntötet ins Leben gerufen. Bundesweit ging sie Ende des letzten Jahres mit Plaka- ten sowie einer Online- und Kino- kampagne an die Öffentlichkeit. Ziel dabei: Das tödliche Schütteltrauma bei Säuglingen und Kleinkindern zu verhindern. Denn: Kindesmisshand- lungen gibt es in allen Bevölkerungs- schichten, auch gebildete Menschen können die Nerven verlieren und ihr Kind grob schütteln. „Gewalt gegen Kinder ist eine chronische Krank- heit, die über Generationen weiter- gegeben wird. Man spricht auch von einem Kreislauf der Gewalt“, sagt

DIE PTA IN DER APOTHEKE | März 2018 | www.diepta.de

Schütteln tötet

© AntonioGuillem / iStock / Thinkstock

Das Baby schrie und schrie und schrie. Schließlich verlor der Stiefvater

des kleinen Tayler die Beherrschung: Er schüttelte das Kind so heftig,

dass es ein Trauma erlitt und wenig später starb.

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DIE PTA IN DER APOTHEKE | März 2018 | www.diepta.de

Professor Dr. Klaus Püschel, Direk- tor des Instituts für Rechtsmedi- zin am UKE. Dabei ist ein Trend er- kennbar: „Nach Untersuchungen in verschiedenen Ländern stellen ins- besondere Stiefväter im Vergleich zu leiblichen Vätern ein mehrfach er- höhtes statistisches Risiko für eine Verletzung oder gar Tötung eines Kindes dar“, sagte der Wiener Evo- lutionsforscher Professor Harald Euler. Aber auch Mütter, die mit der Erziehung überfordert sind, begehen diese schwere Straftat und schütteln ihr eigenes Kind.

Da Kinder- und Jugendärzte sowie Rechtsmediziner immer wieder er- leben, dass die Täter ihre Tat nicht zugeben, gibt es mittlerweile zuver- lässige Verfahren, um ein solches Schütteltrauma zu entdecken: Am UKE werden alle Kinder, die eine verdächtige neurologische Symp- tomatik zeigen, mit bildgebenden Verfahren wie Magnetresonanzto- mografie (MRT) und Computerto-

mografie (CT) untersucht. Augen- ärztliche Untersuchungen erhärten zudem die Diagnose. Dabei lässt die Kombination dreier typischer Leit- symptome keinen Zweifel an einem Schütteltrauma: Blutungen unter der harten Hirnhaut, Netzhautblutungen sowie diffuse Hirnschäden schließen eine andere Ursache beispielsweise durch einen Sturz aus und verweisen auf grobes Schütteln.

Die Schreiphase des Säuglings Wie kommt es, dass manche El- tern derart die Beherrschung ver- lieren? Tatsache ist, dass exzessives Schreien des Babys von manchen Be- treuern als starke Belastungen erlebt

wird. Oft wissen Eltern auch nicht, dass es im ersten Lebensjahr eines Babys eine besondere Schreiphase gibt; in dieser Zeit lernt der Säug- ling in einem Anpassungs- und Rei-

fungsprozess und mit der Unterstüt- zung seiner Betreuungspersonen Schlaf- und Wachzustände, Hunger und Sättigung zu regulieren. Es ist also völlig normal, dass in den ers- ten Monaten auch gesunde Säuglinge im Durchschnitt zwei bis drei Stun- den täglich weinen, vor allem in den Abendstunden. Dabei kann sich die Anspannung und Erregung der El- tern auf das Kind übertragen – mit der Folge, dass das Kind noch mehr schreit. Ein Teufelskreis entsteht.

Alles ist besser als ein Kind zu schütteln Die API-Werbekam- pagne zeigt, begleitet von einem fröh lichen Kinderlied, Bilder einer

teilzerstörten Wohnung mit zersplit- tertem Fernseher, einer gebrochenen Computertastatur bis hin zum vol- len Aschenbecher auf dem Balkon.

Das hinterlässt beim Betrachter das Gefühl: Fast wäre hier etwas Schlim- mes passiert. Das Kinderkompe- tenzzentrum am UKE gibt dazu fol- gende Tipps: Das Wichtigste an einer Überforderungssituation mit einem schreienden Baby ist es, sich erst ein- mal dessen bewusst zu werden. Um den Kopf frei zu bekommen, kann man das Baby jemand Drittes über- lassen. Dabei ist es im Vorfeld be- reits ratsam, sich in der Betreuung mit dem Partner oder anderen ver- trauten Personen abzuwechseln. Je ruhiger die Eltern bleiben, desto eher kann sich auch das Kind entspannen.

Es gibt Hilfe Darüber hinaus kön- nen Eltern sich an die entsprechen- den Beratungsstellen wenden (siehe Kasten), um an den eigenen Res- sourcen zu arbeiten und zu lernen,

das Kind beruhigen beziehungs- weise solche Situationen besser er- tragen zu können. „In Situationen von Wut und Verzweiflung“, erklärt die Kinderärztin Dr. Katrin Fiebi- ger, „ermutigen wir Eltern dazu, ihr Kind in sein Bett oder seinen Kin- derwagen zu legen und einfach mal schnell und kurz die Wohnung zu verlassen. Es ist dabei wichtig, dass die jeweilige betreuende Person sich dem Geräusch nicht mehr länger machtlos ausgeliefert fühlt und diese das Schreien einfach mal kurz nicht mehr hört.“ ■

Alexandra Regner, PTA/Redaktion WER SICH ÜBER­

FORDERT FÜHLT …

… mit seinem Säugling kann folgende kostenlose Beratungs­

angebote nutzen:

www.bke.elternberatung.de www.elternsein.info www.trostreich.de Schreiambulanzen finden sich unter

www.schreibaby.de/

adressen-fuer-eltern- von-schreibabys/

Eine kostenlose Telefon­ und Online­Beratung für Eltern gibt es unter der „Nummer für Kummer“ 0800­1110550

Es ist völlig normal, dass in den ersten

Lebensmonaten auch gesunde Säuglinge zwei

bis drei Stunden täglich weinen.

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