Tempus – Modus – Genus verbi
J.C. Freienstein Uni Augsburg
I. Übersicht:
Die grammatischen Kategorien des Verbs
II. Tempus
1. Die Unterscheidung Tempus/Temporalität
Es gibt keine 1:1- Entsprechung der Tempus-Flexion des Verbs mit den verschiedenen Zeitbedeutungen. Es ist zwischen Tempus und Temporalität zu unterscheiden.
Tempus: grammatische Zeitformen des Verbs (Präsens, Präteritum, Perfekt, Plusquamperfekt, Futur I, Futur II)
Temporalität: Bedeutung der objektiv-realen Zeit, Zeitinhalt (z.B.
Vergangenheit, Gegenwart)
J.C. Freienstein Uni Augsburg
2. Kennzeichnung von Temporalität
a) durch die Morphemkategorie Tempus
Die morphologisch gekennzeichneten Tempusformen sind nur ein Merkmal zur Kennzeichnung von Temporalität:
Hans schrieb einen Brief. Æ Präteritum indiziert Vergangenheit
Hans wird einen Brief schreiben. Æ Futur I indiziert Zukunft
II. Tempus
2. Kennzeichnung von Temporalität b) durch Temporalangaben
Ausdruck von Zeitinhalten durch lexikalische Mittel:
Jetzt bringt Hans das Buch.
Morgen bringt Hans das Buch.
Neulich bringt Hans das Buch.
Æ gleiche grammatische Tempusform (Präsens), aber unterschiedliche objektiv-reale Zeit (Gegenwart, Zukunft, Vergangenheit)
J.C. Freienstein Uni Augsburg
II. Tempus
2. Kennzeichnung von Temporalität c) durch die Aktionsart des Verbs
Die Aktionsart eines Verbs beschreibt die Verlaufsweise des vom Verb bezeichneten Geschehens; häufig sind Aspekte der
Temporalität betroffen:
Aktionsart Temporalität
durativ/ imperfektiv die Dauer eines Vorgangs blühen, sein iterativ/ frequentativ Wdh. gleichartiger Vorgänge flattern, gackern intensiv Verstärkung des Geschehens brüllen, sausen diminutiv Abschwächung des Geschehens lächeln, hüsteln
II. Tempus
2. Kennzeichnung von Temporalität c) durch die Aktionsart des Verbs
Aktionsart Temporalität
terminativ/perfektiv zeitliche Eingrenzung eines Geschehensverlaufs oder Übergang von einem Geschehen zu einem anderen inchoativ/ingressiv Beginn eines Geschehens erblühen, losrennen resultativ/egressiv Ende/Abschluss eines Geschehens aufessen, verblühen mutativ Übergang von einem Zustand in einen anderen
rosten, sich erkälten kausativ/faktitiv Bewirken bzw. Veranlassen tränken
punktuell/momentan: punkthaftes Geschehen finden, ergreifen
J.C. Freienstein Uni Augsburg
II. Tempus
2. Kennzeichnung von Temporalität d) durch Konjunktionen
Ausdruck temporaler Bezüge in komplexen Sätzen:
Nachdem die Reparatur erfolgt war, bekam sie die Rechnung.
II. Tempus
3. (Zeit-)deiktische Ausdrücke und Temporalität
Deiktische Ausdrücke beziehen sich auf die Raum-Zeit-Struktur einer Äußerungssituation und sind nur vor diesem Hintergrund zu verstehen (Ausdrücke wie ich, hier, gestern).
Heute ist ein sonniger Tag.
Æ Die Zeitreferenz ist nur vor dem Hintergrund des Sprechzeitpunktes interpretierbar.
J.C. Freienstein Uni Augsburg
II. Tempus
4. Sprechzeit, Aktzeit, Betrachtzeit
Welche temporale Bedeutung ein grammatisches Tempus hat, kann mit Hilfe der Unterscheidung Sprechzeit – Aktzeit –
Betrachtzeit beschrieben werden:
1) Sprechzeit: Zeit, in der der Kommunikationsakt stattfindet 2) Aktzeit: Zeit, in der das dargestellte Ereignis stattfindet
3) Betrachtzeit: Zeit, von der aus das dargestellte Ereignis durch den Sprecher betrachtet wird
II. Tempus
5. Bedeutung und Verwendung der Tempusformen im Deutschen a) Präsens
1) einmalige oder wdh. Ereignisse der Gegenwart (aktuelles Präs.) Die Erde bebt. [Sprechzeit=Aktzeit=Betrachtzeit]
2) generelle zeitlose Sachverhalte (atemporales Präs.)
Aller Anfang ist schwer. [Betrachtzeit=Sprechzeit;
Aktzeit während, vor oder nach Betracht- und Sprechzeit]
3) zukünftige Ereignisse (kontextgebunden)
Morgen beginnen die Ferien. [Betrachtzeit=Sprechzeit;
vor Aktzeit]
4) „historisches Präsens“ (kontextgebunden)
Im Jahre 1774 erscheint Goethes Werther.
5) in die Ggw. hineinreichende Ereignisse und Zustände aus der Vergangenheit (kontextgeb.)
Sartre lehrt, dass ...
J.C. Freienstein Uni Augsburg
II. Tempus
5. Bedeutung und Verwendung der Tempusformen im Deutschen b) Präteritum
ein vor der Sprechzeit abgeschlossener Vorgang (v. a. in epischer Darstellung)
Ich saß zwei Stunden im Wartezimmer.
Es war einmal ein armes Mädchen ...
II. Tempus
5. Bedeutung und Verwendung der Tempusformen im Deutschen c) Perfekt
1) ein in Vergangenheit abgeschlossener Vorgang (in der gesprochenen Sprache, v. a. im Süddeutschen, statt des Präteritums)
Ich habe dich gestern gesehen.
Ich habe/ bin zwei Stunden im Wartezimmer gesessen.
2) wie 1), aber in die Gegenwart hineinwirkender Vorgang („Resultatsperfekt“)
Ich habe mir ein Auto gekauft.
3) abgeschlossene Handlung in der Zukunft (statt Futur 2) Sobald ich dies beendet habe, komme ich.
J.C. Freienstein Uni Augsburg
II. Tempus
5. Bedeutung und Verwendung der Tempusformen im Deutschen:
d) Plusquamperfekt
1) ein in der Vergangenheit abgeschlossener Vorgang
Nachdem er das Geld veruntreut hatte [dann hatte er es!], flog er nach Las Vegas.
2) wie 1), aber mit resultativem Charakter Ich hatte mir (gestern) ein Auto gekauft.
II. Tempus
5. Bedeutung und Verwendung der Tempusformen im Deutschen:
Futur 1:
1) ein zeitlich auf die Sprechzeit folgendes, in der Zukunft liegendes Ereignis
Morgen werden die Ferien beginnen.
2) Ausdruck einer Versicherung, Aufforderung oder Vermutung Sie werden ihr Geld schon noch erhalten.
Wirst Du wohl arbeiten!
Er wird [wohl] bei seinen Eltern sein. J.C. Freienstein Uni Augsburg
II. Tempus
5. Bedeutung und Verwendung der Tempusformen im Deutschen:
Futur 2
1) abgeschlossene Handlung in der Zukunft
Sobald ich die Arbeit beendet haben werde, komme ich.
2) Ausdruck einer Versicherung, Aufforderung oder Vermutung in der Vergangenheit
Er wird [wohl] zu seinen Eltern gefahren sein. [nach vergeblichem Klingeln]
II. Tempus
III. Modus
1. Die Unterscheidung Modus/Modalität
Wie beim Tempus gibt es keine 1:1- Entsprechung der Modus- Flexion des Verbs mit den verschiedenen Modal-Bedeutungen.
1) Mit dem Modus wird die Einstellung des Sprechers zum
dargestellten Sachverhalt gekennzeichnet durch die grammatisch- morphologische Kennzeichnung des Verbs (Ind., Konj., Imp.).
Er sagte, das sei auszuschließen.
Æ Kennzeichnung, dass die Nebensatz-Aussage aus Sprechersicht wiedergegeben wird
J.C. Freienstein Uni Augsburg
III. Modus
1. Die Unterscheidung Modus/Modalität
2) Die Modalperspektive dient der Darstellung der Disposition eines Geschehensbeteiligten (vor allem durch Modalverben):
Er muss arbeiten.
Æ Kennzeichnung der Disposition des Subjekts des Satzes; hier: Disposition einer Notwendigkeit des Subjekt gegenüber dem Geschehen
III. Modus
2. Bedeutung und Verwendung der Modi des Deutschen 1) Konjunktiv I
a. indirekte Rede: Distanzierung von/ Objektivierung der vermittelten Aussage
Er behauptet, er sei krank gewesen.
b. irreale/ hyp. Vergleichssätze (s.Konj.II!):
Er tat so, als könne er nicht schwimmen.
c. Ausdruck eines Wunsches oder einer Aufforderung (z. B. in Rezepten)
Es lebe die Revolution!
Man nehme 3 Eier, 250 g Zucker ... J.C. Freienstein Uni Augsburg
III. Modus
2. Bedeutung und Verwendung der Modi des Deutschen 2) Konjunktiv II
a. „irreale“ Konditional-/ Bedingungssätze:
Wenn ich viel Geld hätte, würde ich mir ein Auto kaufen.
b. irreale/ hypothetische Vergleichssätze:
Der Student tat so, als verstünde er die Frage nicht.
c. irreale Aussagesätze:
III. Modus
2. Bedeutung und Verwendung der Modi des Deutschen 2) Konjunktiv II
d. irreale Wunschsätze:
Könnte ich [doch] jetzt am Strand liegen!
e. höfliche Fragen, Bitten (Modalverben:) Könnten Sie mir bitte die Sauciere reichen?
f. vorsichtige Vermutungen (Modalverben):
Sie könnte/ dürfte 40 Jahre alt sein.
g. Ersatzform für Konj.I in indir. Rede J.C. Freienstein Uni Augsburg
III. Modus
2. Bedeutung und Verwendung der Modi des Deutschen 3) Imperativ
a. Bitte
Leih mir mal bitte dein Wörterbuch!
b. Ratschlag
Trink nicht so viel Alkohol!
c. Aufforderung/ Befehl
IV. Genus verbi
1. Die grammatische Kategorie Genus verbi in der Satzanalyse Die Kategorie Genus verbi wirkt sich auf die Konstruktion des gesamten Satzes aus:
Aktiv: Der Pathologe untersucht die Leiche vor deren Freigabe.
Enom Vfin Eakk Atemp
Passiv: Die Leiche wird (von dem Pathologen) untersucht.
Enom Vfin (Epräp von) Vpart
Æ Enom kann im Passivsatz wegfallen oder wird als Epräp realisiert Æ Eakk des Aktivsatzes wird zu Enom des Passivsatzes
J.C. Freienstein Uni Augsburg
IV. Genus verbi
2. Von Passivkonstruktionen betroffene Verben
1) i. d. R. (97% aller Fälle) transitives Verb/ Akkusativergänzung im Aktivsatz
2) intransitiv-relative Verben:
– jdm. helfen Æ jdm. wird geholfen (Edat im Aktivsatz) – jds. gedenken Æ jds. wird gedacht (Egen im
Aktivsatz) – für jdn. sorgen Æ für jdn. wird gesorgt (Epräp im
Aktivsatz)
IV. Genus verbi
3. Vorgangspassiv vs. Zustandspassiv
Das Vorgangspassiv wird mit den finiten Formen des Hilfsverbs werden und dem Partizip Perfekt des Vollverbs gebildet. Es dient dem Ausdruck eines Vorgangs und kann nur mit Tätigkeitsverben konstruiert werden:
Der Laden wird um 8.55 Uhr geöffnet.
– transitive Verben: „persönliches Passiv“: Er wird gefeiert.
– intransitive Verben: „unpersönliches Passiv“: Es wird geredet.
J.C. Freienstein Uni Augsburg
IV. Genus verbi
3. Vorgangspassiv vs. Zustandspassiv
Das Zustandspassiv wird mit einer finiten Form von sein und dem Partizip Perfekt des Vollverbs gebildet. Es dient dem Ausdruck eines Resultats bzw. Zustands. Es verbindet sich nur mit Verben mit resultativer Bedeutung.
Der Laden ist um 9.00 Uhr geöffnet.