A 1288 Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 107|
Heft 26|
2. Juli 2010BUNDESGERICHTSHOF
Freispruch für Anwalt im Sterbehilfe-Prozess
Der Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen ist künftig nicht mehr strafbar, wenn ein Patient dies zuvor verfügt hat. Das entschied der zweite Strafsenat in Karlsruhe in einem Grundsatzurteil.
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er Bundesgerichtshof (BGH) hob am 25. Juni die Verurtei- lung des Medizinrechtlers Wolfgang Putz auf und sprach ihn frei. Zur Vorgeschichte: Frau K. lag seit Ok- tober 2002 in einem Wachkoma.Entsprechend einem von ihr im Sep- tember 2002 geäußerten Wunsch bemühten sich die beiden Kinder der Patientin um die Einstellung der künstlichen Ernährung, um ih-
rer Mutter ein Sterben in Würde zu ermöglichen. Nach Auseinanderset- zungen mit der Heimleitung kam es Ende 2007 nach Angaben des BGH zu einem Kompromiss, wonach das Heimpersonal sich um die Pflege - tätigkeiten im engeren Sinne küm- mern sollte, während die Kinder der Patientin selbst die Ernährung über die Sonde einstellen sollten.
Den Patientenwillen beachten Nachdem die Tochter die Nahrungs- zufuhr am 20. Dezember 2007 über die Sonde beendet hatte, wies die Geschäftsleitung des Gesamtunter- nehmens die Heimleitung an, die künstliche Ernährung wieder aufzu- nehmen. Daraufhin erteilte Putz der Angeklagten, Frau G., den Rat, den Schlauch der PEG-Sonde unmittel- bar über der Bauchdecke zu durch- trennen. Mit Unterstützung ihres Bruders schnitt die Angeklagte den Schlauch durch. Nachdem die Heimleitung dies entdeckt hatte, wurde Frau K. auf Anordnung eines Staatsanwalts in ein Krankenhaus gebracht, wo ihr eine neue PEG- Sonde gelegt wurde. Sie starb dort
zwei Wochen später eines natürli- chen Todes.
Das Landgericht Fulda hatte, so der BGH, das Handeln des Ange- klagten als einen gemeinschaftlich mit Frau G. begangenen versuchten Totschlag durch aktives Tun gewür- digt, der weder durch eine mutmaß- liche Einwilligung der Frau K. noch nach den Grundsätzen der Nothilfe oder des rechtfertigenden Notstands
gerechtfertigt sei. Soweit er sich in einem sogenannten Erlaubnisirrtum befunden habe, sei dieser für ihn als einschlägig spezialisierten Rechts - anwalt vermeidbar gewesen. Die Tochter war vom Landgericht frei- gesprochen worden.
Der Zweite Senat des Bundesge- richtshofs hat jetzt das Urteil gegen den Anwalt aufgehoben und den Angeklagten freigesprochen. Die Bewertung des Landgerichts, der Angeklagte habe sich durch seine Mitwirkung an der aktiven Verhin- derung der Wiederaufnahme der Er- nährung wegen versuchten Tot- schlags strafbar gemacht, treffe nicht zu. „Die von den Betreuern geprüfte Einwilligung der Patien- tin rechtfertigte nicht nur den Be- handlungsabbruch durch bloßes Unterlassen weiterer Ernährung, sondern auch ein aktives Tun, das der Beendigung oder Verhinderung einer von ihr nicht oder nicht mehr gewollten Behandlung diente“, schreibt der BGH.
Der Präsident der Bundesärzte- kammer (BÄK), Prof. Dr. med.
Jörg-Dietrich Hoppe, begrüßte das
Urteil. „Es stimmt mit den Grund- sätzen der Bundesärztekammer zur Sterbebegleitung voll überein. Denn auch darin heißt es, dass der Patien- tenwille Beachtung finden soll. Ob der Arzt dann auch bereit ist, weiter- hin den Patienten zu betreuen, falls dieser etwas von ihm wünscht, was er mit seinem Gewissen nicht ver- einbaren kann, steht auf einem ande- ren Blatt“, sagte Hoppe dem Deut- schen Ärzteblatt. In Notfällen sei der Arzt auf jeden Fall verpflichtet, den Patienten zu betreuen. Die BÄK empfehle, eine Vorsorgevollmacht und eine Patientenverfügung zu for- mulieren, „damit die Chance be- steht, den Patientenwillen so genau wie möglich zu ermitteln. Das Ge- richt hat bestätigt, dass diese Verfah- rensweise die richtige ist und außer- dem hat es auch unsere Auffassung bestätigt, dass zwischen Tötung auf Verlangen und Sterbenlassen eines sich im Terminalstadium befinden- den Patienten ein Unterschied be- steht“. Eine Therapiezieländerung sei nicht gleichbedeutend mit einer Tötung auf Verlangen, denn diese sei eine Maßnahme, die den „punkt- genauen Eintritt des Todes zur Folge hat, was mit dem Sterbenlassen mit entsprechender ärztlicher Sterbebe- gleitung nicht vergleichbar ist“.
„Kein Freibrief“
Der Marburger Bund warnt davor, das Urteil als Aufruf zu eigenmäch- tigem Handeln Angehöriger in Krankenhäusern und Pflegeeinrich- tungen misszuverstehen. „Der Frei- spruch für den Rechtsanwalt ist kein Freibrief für eigenmächtiges Vorge- hen bei der Entscheidung über die Fortsetzung von lebenserhaltenden Maßnahmen“, betonte der Erste Vorsitzende des Marburger Bundes, Rudolf Henke. Das Gericht habe lediglich die geltende Rechtslage klargestellt, nach der es einzig und allein auf den Willen des Patienten ankomme, ob ärztliche Maßnahmen beendet werden könnten. „Aus dem Zustand des Wachkomas darf nicht abgeleitet werden, dass solche Menschen per se nicht mehr leben wollen.“ Wachkomapatienten seien keine Sterbenden, und ihr Leben sei nicht sinn- oder wertlos. ■
Gisela Klinkhammer