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Archiv "Ist phosphatreduzierte Kost eine Hilfe für Kinder mit hyperkinetischem Syndrom?" (02.04.1987)

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Ist phosphatreduzierte Kost eine Hilfe für Kinder

mit hyperkinetischem Syndrom?

Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und

Jugendpsychiatrie, der Deutschen Gesellschaft für Kinderheilkunde und der Gesellschaft für Neuropädiatrie

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ffentlichkeit und Fachwelt haben sich seit Ende der 70er Jahre wiederholt mit der Behauptung auseinan- dergesetzt, Phosphatverbindungen in der Nahrung seien Auslöser für Verhaltensauffälligkeiten bei Kin- dern und Jugendlichen. Die Ausein- andersetzung dauert an. Es wird deshalb für notwendig erachtet, den aktuellen Stand darzustellen.

Die Kinder und Jugendlichen, um die es geht, präsentieren sich mit Verhaltensauffälligkeiten, die unter- schiedlich dargestellt werden. Die Rede ist von minimaler zerebraler Dysfunktion, Leistungsstörungen, Hyperaktivität und Kriminalität.

Phosphate, so heißt es, wirkten to- xisch und lösten die genannten Ver- haltensauffälligkeiten aus. 1980 wur- de die „Phospat-Liga" gegründet, eine Selbsthilfegruppe von Eltern betroffener Kinder. 1984 erschien in 3. Auflage das von Hertha Hafer verfaßte Buch: „Nahrungsphosphat

— die heimliche Droge. Ursache für Verhaltensstörungen, Schulversagen und Jugendkriminalität". Eltern wenden die empfohlenen diäteti- schen Maßnahmen bei ihren Kin- dern an; das erwähnte Buch gibt hin- reichend präzise Anweisungen, um selbst einen Ernährungsplan aufzu- stellen. Außerdem wird die Empfeh- lung zur Selbstmedikation mit Alu- miniumhydroxid zur Phosphatelimi- nation gegeben.

Eine wissenschaftliche Ausein- andersetzung mit der Frage diäteti- scher Behandlungsmöglichkeiten für Kinder mit Aufmerksamkeits- und Leistungsstörungen und/oder moto- rischer Unruhe gibt es seit Jahrzehn-

ten aufgrund von Annahmen zur Verhaltenspathogenese, die einan- der ähnlich sind, teils mit unter- schiedlichen Begriffen das gleiche meinen. Drei hypothetische Rich- tungen zur Erklärung hyperkineti- schen Verhaltens bei Kindern und Jugendlichen sind erkennbar:

1. In Nahrungsmitteln enthal- tene Farbstoffe und andere ar- tifizielle Zusätze (zum Beispiel Salizylate) wirken toxisch.

2. Mit der Nahrung aufge- nommene Phosphate wirken toxisch.

3. Nahrungsmittel enthalten Allergene, auf die eine allergi- sche Reaktion in Form von auffälligem Verhalten erfolgt.

Die Farbstoff- hypothese

Die von Feingold formulierte sogenannte Farbstoffhypothese hat in den 70er Jahren in den USA viel Aufsehen erregt und eine Reihe, zum Teil groß angelegter Untersu- chungen nach sich gezogen, in denen eine Eliminationsdiät (Feingold-Di- ät) auf ihre Wirksamkeit methodisch zuverlässig überprüft wurde. Das Ergebnis hat das nationale Berater- komitee dahingehend zusammenge- faßt, daß „ . . eine spezifische Wirksamkeit nicht nachgewiesen wurde, sich gleichwohl aber nütz- liche Plazeboeffekte hätten erken- nen lassen ... "

Die Phosphat- hypothese

Die Phosphathypothese hat im wesentlichen in der Bundesrepublik Deutschland von sich reden ge- macht. Sie leitet sich von den von Feingold geäußerten Vorstellungen her und erweitert diese. Sie fand ih- re Ausformulierung durch Hafer in einer Schrift, in der die Begriffe mi- nimale zerebrale Dysfunktion, Ver- haltensstörungen, Kriminalität, Hy- perkinese und andere über eine an- genommene gemeinsame konstitu- tionelle Grundlage willkürlich in Be- ziehung zueinander gebracht und aufgrund einer ebenso angenomme- nen individuellen Phosphatempfind- lichkeit als Phosphatschäden erklärt werden („. . . minimale zerebrale Dysfunktion ist die Folge einer Nah- rungsmittelintoxikation . . ."). Die Schrift enthält Mitteilungen von Einzelfällen und lediglich den Hin- weis auf eine noch zu erwartende Publikation wissenschaftlicher Er- gebnisse (Seite 32). Die einzige bis- her zur Phosphattheorie unabhängig durchgeführte kontrollierte Unter- suchung (Walther, 1982) konnte ei- nen Zusammenhang zwischen Bela- stung mit Nahrungsmittelphosphat und hyperkinetischem Verhalten nicht herstellen.

Die Nahrungsmittel- Allergene

Die Theorie von Nahrungsmit- telallergenen, die über allergische Reaktionen hyperkinetische Verhal- tensstörungen bedingen, hat neuer- A-914 (50) Dt. Ärztebi. 84, Heft 14, 2. April 1987

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r-

Die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft informiert

Das Bundesgesundheitsamt veröffentlicht neuerdings Hinweise zur Ri- sikoermittlung im „Bundesgesundheitsblatt". Die Arzneimittelkommis- sion der deutschen Ärzteschaft unterstützt diese neuen Aktivitäten durch Informierung der Ärzte und die Bitte, einschlägige Beobachtun- gen auf dem im „Deutschen Ärzteblatt" abgedruckten Berichtsbogen oder formlos an sie zu berichten.

1111M1111,

Human-Choriongonado- tropin: Ungeeignet zur Behandlung des ernährungsbedingten Übergewichts

Human-Choriongonadotropin (HCG) wird in einigen Schlankheits- studios mit irreführender Werbung zur raschen Gewichtsabnahme ange- boten und angewendet. Das im Or- ganismus von Schwangeren natürlich vorkommende Hormon ist bei der Behandlung des ernährungsbeding- ten Übergewichts unwirksam. Dieses Anwendungsgebiet ist für diese Sub- stanz nicht zugelassen.

HCG wird wegen seiner Wir- kungsanalogie mit ICSH bzw. LH zur Stimulierung der Produktion von Androgenen beziehungsweise Proge- steron verwendet. Es besitzt damit Steuerungsfunktionen in der Regula- tion der Sexualhormone. Zugelasse- ne Indikationen sind: Kryptorchis- mus, sekundärer Hypogonadismus

bei Jungen beziehungsweise beim Mann, bestimmte Formen der Arne- norrhoe allein oder in Kombination zur Ovulationsauslösung.

HCG hat keine „fettmobilisieren- de" Wirkung und keinen Einfluß auf Appetit oder Hungergefühl. Der Ge- wichtsverlust übergewichtiger Pa- tienten durch HCG ist nicht höher als durch eine hypokalorische Diät. Es verbessert auch nicht das Befinden während einer Abnahmediät. Zur unterstützenden Behandlung des er- nährungsbedingten Übergewichts ist HCG nicht wirksam und nicht zuge- lassen.

Zu beachten sind allerdings die unerwünschten Wirkungen, die wäh- rend einer Behandlung mit HCG im Rahmen einer sogenannten Schlank- heitskur auftreten können. Es sind dies: Kopfschmerzen, Reizbarkeit, Unruhe, Depressionen, Müdigkeit, Ödeme, Gynäkomastie, Ovarialzy- sten und Schmerzen an der Injek- tionsstelle.

Patienten sollte deshalb von einer derartigen Behandlung abgeraten werden. 111 dings Auftrieb erfahren, nachdem

am Hospital for Sick Children in London in größerem Umfang Be- handlungsversuche mit einer soge- nannten oligoantigenen Diät bei Kindern mit verschiedenen Störun- gen (Migräne, hyperkinetisches Syn- drom) unternommen wurden (Egger et al., 1983 und 1985). Es handelt sich um kontrollierte Studien, die ei- ne über den Plazeboeffekt hinausge- hende Wirksamkeit eindeutig nach- gewiesen haben.

Hauptbestandteile der oligoan- tigenen Diät sind bestimmte Fleisch- sorten, Kohlehydrate, Obst, Gemü- se, Wasser, Kalzium und Vitamine.

Trotz Verhaltensbesserung blieben bei vielen der so behandelten Kinder erhebliche Verhaltensprobleme be- stehen. Die Autoren konnten den Wirkungsmechanismus nicht aufklä- ren, meinen aber, mittels Provoka- tionstest einige Nahrungsbestandtei- le als pathogen erkannt zu haben.

Die Ergebnisse bedürfen, wie die Autoren selber fordern, der Repli- kation und der Spezifikation.

Resümee

Insgesamt ist die Situation unbe- friedigend. Zu einem nicht geringen Teil ist hierfür die Tatsache anzu- schuldigen, daß voreilige und von forcierter Publizität getragene Er- folgsmeldungen in der Fachwelt auf eine natürliche und notwendige Zu- rückhaltung gestoßen sind. Emotio- nale Reaktionen waren wiederum die Folge.

Die phosphatreduzierte Diät ist ernährungswissenschaftlich analy- siert und als bedenklich eingestuft worden (Droese et al. 1978), weil bei Phosphatreduktion unter eine bestimmte Grenze mit schweren Ge- sundheitsschäden zu rechnen ist.

Andererseits liegen jetzt ernst zu nehmende Ergebnisse nach Behand- lung hyperaktiver Kinder mit oligo- antigener Diät vor, die mit der soge- nannten phosphatreduzierten Kost in einigen Komponenten Überein- stimmungen aufweist. Es ist deshalb nicht ausgeschlossen, daß die phos- phatreduzierte Kost unspezifische oder andere von der Phosphatreduk- tion unabhängige Wirkungen hat.

Die hierdurch aufgeworfenen Fra- gen bedürfen der Uberprüfung, be- vor abschließend über diätetische Behandlungsmöglichkeiten, insbe- sondere über die phosphatreduzierte Kost, geurteilt werden kann.

Ausgewählte Literatur

1. Dröse, W.; Reinken, L.; Stolley, H.: Phos- phatzusätze in der Nahrung — hyperkineti- sches Kind? pädiat. prax. 20 (1978) 519-520 2. Egger, J.; Carter, C. M.; Wilson, J.; Turner, M. W.; Soothill, J. F.: Is migräine food aller- gy? A double blind controlled trial of oli- goantigenic diet treatment. Lancet II (1983) 865-869

3. Egger, J.; Carter, C. M.; Graham, P. J.;

Gumley, D.; Soothill, J. F.: Controlled trial of oligoantigenic treatment in the hyperkine- tic sydrome. Lancet I (1985) 540-545 4. Hafer, H.: Die heimliche Droge. 3. Auflage.

Kriminalistik-Verlag, Heidelberg 1984

5. Varley, Ch. K.: Diet and the Behavior of Children with Attention Deficit Disorder. J.

Am. Academy of Child Psychiat. 23 (1984) 182-185

6. Walther, B.: Nahrungsphosphat und Verhal- tensstörung im Kindesalter. Ergebnisse einer kontrollierten Diätstudie. In: Das konzen- trationsgestörte und hyperaktive Kind, H.

Ch. Steinhausen (Hrsg). Kohlhammer, Stuttgart/Berlin/Köln/Mainz 1982

Für die genannten Gesellschaften:

Peter Strunk, Freiburg, Felix Bläker, Hamburg, und Helmut Fichsel, Bonn, Vorsitzende

Korrespondenzanschrift:

Professor Dr. med. Peter Strunk Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie

Hauptstraße 5 7800 Freiburg i. Br.

Dt. Ärztebi. 84, Heft 14, 2. April 1987 (53) A-917

Referenzen

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