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Online Encyclopedia Philosophy of Nature Online Lexikon Naturphilosophie

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Person

Jörg Noller

Verbunden mit dem Personbegriff sind intensional Fragen nach der Individualität, transtemporalen Identität, Konstitution, Normativität und Rationalität eines Subjekts. Extensional stellt sich die Frage, ob alle Menschen Personen sind und ob es auch nichtmenschliche Personen gibt. In der Geschichte der Philosophie lassen sich drei Paradigmen unterscheiden: (1) Die ontologische Bestimmung der Person als „einer vernünftigen Natur individuelle Substanz“ (Boethius). (2) Die selbstbewusstseinstheoretische Bestimmung der Person als ein Wesen, das „sich selbst als sich selbst betrachten kann“ (John Locke). (3) Die moralphilosophische Bestimmung der Person als „Zweck an sich selbst“ (Immanuel Kant). In der gegenwärtigen analytischen Debatte hat sich der Fokus auf den Zusammenhang von Körperorganismus und Person verschoben. Die Theorie des Animalismus (Eric T. Olson) besagt, dass Personen wesentlich Tiere sind und für ihre Identität geistige bzw. psychologische Eigenschaften keine Rolle spielen. Die Konstitutionstheorie (Lynne Baker) hin- gegen versucht, die Person als ein natürliches und zugleich selbstbewusstes Wesen zu bestimmen: Der Körper- organismus konstituiert die Person, ohne dass diese mit ihm identisch ist. Sie bildet vielmehr mit ihm eine

„Einheit ohne Identität“. Als aussichtsreicher Kandidat, die natürlich-vernünftige Einheit der Person zu denken, hat sich in der jüngsten Debatte der Begriff der personalen Lebensform herausgestellt (Marya Schechtman).

Zitations- und Lizenzhinweis

Noller, Jörg (2019): Person. In: Kirchhoff, Thomas (Hg.): Online Encyclopedia Philosophy of Nature / Online Lexikon Naturphilosophie. ISSN 2629-8821. doi: 10.11588/oepn.2019.0.65542

Dieses Werk ist unter der Creative Commons-Lizenz 4.0 (CC BY-ND 4.0) veröffentlicht.

1. Zur Begriffs- und Problemgeschichte

Die Etymologie des Wortes „Person“ verweist uns in die Antike. „Persona“ bedeutet im Lateinischen so viel wie die „Maske“ eines Schauspielers (vgl. auch die griechi- sche Entsprechung πρόσωπον, prósopon). In der Folge wurde unter „persona“ dann die Rolle verstanden, die ein Mensch in der Gesellschaft einnimmt (vgl. zur Wort- geschichte Fuhrmann 1989: 269). Eine Definition des genuin philosophischen Begriffs der Person ist schwierig.

Wir verbinden mit ihm jedoch intensional die Vorstellung eines Trägers von Rechten und Würde, von individueller Existenz und transtemporaler Identität, von Imputabilität (moralischer Zurechenbarkeit), Rationalität und Freiheit.

Der Begriff der Person ist an der Schnittstelle von theore- tischer und praktischer Philosophie angesiedelt. Wir kön- nen einerseits (onto)logische Fragen nach der seins- mäßigen Verfasstheit von Personen stellen: Worin be- steht die Identität der Person über die Zeit hinweg, wenn

sich unser Körper materiell doch ständig erneuert? Wie verhalten sich Körperorganismus und Person zueinander?

Wir können aber auch nach der Extension des Person- begriffs fragen: Sind Kleinkinder und komatöse Menschen Personen? Sind alle Menschen Personen? Sind nur Men- schen Personen? Gibt es nichtmenschliche Personen?

Eine überzeugende Theorie der Person muss Antworten auf die drei folgenden Problempunkte geben: (1) Das logi- sche Identitätsproblem: Wie kann die numerische Identität der Person über die Zeit hinweg erklärt werden? (2) Das ontologische Einheitsproblem: Wie muss das Verhältnis von selbstbewusster Person und belebtem Körperorganismus gedacht werden? (3) Das normative Würdeproblem:

Inwiefern können Neugeborene und Menschen ohne Selbstbewusstsein schon als Personen gelten, ohne dass dazu auf einen Spezies-Chauvinismus bzw. „Speziesismus“

– also die These, dass Personalität allein in der Art Mensch bestehe – rekurriert werden muss? (Vgl. Singer 2002: 6.)

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2. Person als individuelle Substanz (Boethius)

Einen der ersten wirkmächtigen Versuche, die Person zu definieren, hat der spätantike Philosoph Boethius unternommen. Er entwickelt seinen Personbegriff vor dem Hintergrund der theologischen Frage, wie viele Naturen und Personen Christus hat. Dabei rekurriert Boethius auf den Begriff der Natur: „Natur haben die Dinge, die auf gewisse Weise von der Vernunft erfaßt werden können, weil sie sind.“ (Boethius [um 515]

1988: 69) Unter diesen umfassenden Naturbegriff fallen körperliche und unkörperliche Substanzen sowie Akzi- denzien. Boethius definiert die Substanz als „das, was anderen, Akzidenzien gewissermaßen, als Zugrunde- liegendes dazu verhilft, daß sie sein können.“ (Ebd.: 79) Personen können dadurch weiter bestimmt werden, dass sie natürlich-individuelle und vernunftbegabte Substanzen sind. Dazu gehören Menschen, aber auch Engel, und nicht zuletzt Gott, während Tiere zwar natürlich-individuelle Substanzen sind, ihnen aller- dings das Vermögen der Vernunft fehlt. Boethius definiert deshalb Person als „einer vernünftigen Natur individuelle Substanz“1 (ebd.: 75).

Thomas von Aquin bestimmt in der Folge die individu- elle Person des Menschen weiter, indem er auf ihr Vernunftvermögen fokussiert: „Doch in einer noch einzigartigeren und vollkommeneren Weise findet sich das Besonderte und Vereinzelte in den vernunft- begabten Substanzen, die Herrschaft haben über ihr Tun, und nicht bloß zum Tun getrieben werden wie die anderen, sondern durch sich selbst tun.“2 (Thomas [Summa theologica I, 3, q. 27] 1939: 43) Damit hebt Thomas den subjektiven Charakter der Person hervor, der darin besteht, dass sich die Person selbst bestim- men kann, d.h. dass sie ein freies Subjekt ist.

1 Meine Übersetzung; lateinischer Originaltext: „naturae rationabilis individua substantia“.

2 Übersetzung P. Heinrich M. Christmann, O. P.;

lateinischer Originaltext: „Sed adhuc quodam special- iori et perfectiori modo invenitur particulare et indi- viduum in substantiis rationalibus, quae habent dominium sui actus et non solum aguntur, sicut alia, sed per se agunt.“

3. Person als selbstbewusstes Subjekt (John Locke)

Die neuzeitliche Debatte um die Person findet vor dem Hintergrund des Leib-Seele-Problems statt, welches prominent in der Philosophie René Descartes‘ formu- liert wurde. Nach Descartes muss strikt zwischen körperlich-ausgedehnten Dingen (res extensae) und solchen Entitäten unterschieden werden, die durch Vollzüge des Selbstbewusstseins bestimmt sind (res cogitantes). Dadurch aber wird die Frage virulent, wie körperliche und geistige Dinge miteinander interagieren können. Das Phänomen des Selbstbewusstseins ist für Lockes Personbegriff von zentraler Bedeutung.

Nach John Locke ist Person „ein juristischer Ausdruck, der sich auf Handlungen und ihren Lohn bezieht;

er findet also nur bei vernunftbegabten Wesen Anwendung, für die es Gesetze geben kann und die glücklich und unglücklich sein können“ (Locke [1690]

1981: 435 f.). Locke entwickelt seinen Person-Begriff im Kontext einer Untersuchung über Identität und Verschiedenheit und das „Dasein der Dinge selbst“.

Er unterscheidet drei Weisen der Identität hinsichtlich dreier Arten von individuellen transtemporalen Existenzen: (1) materiellen Körpern, (2) Lebewesen bzw. Organismen und (3) Personen. Die Identität materieller Körper besteht in der Identität ihrer Teile bzw. Elemente: „Wird […] eines dieser Atome weg- genommen oder ein neues hinzugefügt, so ist es nicht länger dieselbe Masse oder derselbe Körper.“ (Ebd.: 413)

„Die Identität der lebenden Wesen“, so Locke, „beruht jedoch nicht auf einer Masse derselben Partikel“; viel- mehr gilt: „[B]ei ihnen beeinflußt der Wechsel großer Teile der Materie nicht die Identität.“ (Ebd.) Ein leben- des Ding erhält seine Identität nur dadurch, dass seine materiellen Elemente „in einem zusammenhängenden Körper organisiert sind und an einem gemeinsamen Leben teilnehmen.“ (Ebd.: 414) Diese lebendige Orga- nisation „macht das individuelle Leben aus“ (ebd.).

Auch ein Mensch ist nach Locke ein solches Lebe- wesen: Seine Identität besteht „in nichts anderem als in der Teilnahme an demselben Leben, welches durch beständig in Fluß befindliche Partikel der Materie fort- gesetzt wird, die in ihrer Aufeinanderfolge mit dem- selben organisierten Körper lebensfähig verbunden

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sind.“ (Ebd.: 415) Zentral für die Identität von Personen ist ihr Bewusstsein, d.h. die Fähigkeit zur Selbstreflexion.

Eine Person ist nach Locke „ein denkendes, verständiges Wesen, das Vernunft und Überlegung besitzt und sich selbst als sich selbst betrachten kann.“ (Ebd.: 418) Das Bewusstsein der eigenen Handlungen und Wahrneh- mungen ist das Kriterium für personale Identität:

„Jeder wird dadurch für sich selbst zu dem, was er sein eigenes Ich nennt.“ (Ebd.: 419) Für Locke folgt daraus die gegenseitige ontologische Unabhängigkeit von Substanz, Lebewesen und Person: „’[D]ieselbe Substanz sein‘, ’derselbe Mensch sein‘ und ’dieselbe Person sein‘ sind drei ganz verschiedene Dinge.“ (Ebd.: 416) Hinsichtlich der einheitsstiftenden Funktion des Bewusst- seins besteht damit eine strukturelle Analogie zum entsprechenden Prinzip der Lebewesen: „[V]erschiedene Substanzen werden durch dasselbe Bewußtsein (wo sie daran teilhaben) ebenso zu einer Person vereinigt, wie verschiedene Körper durch dasselbe Leben zu einem Lebewesen vereinigt sind, dessen Identität beim Wechsel der Substanzen durch die Einheit eines fortdauernden Lebens gewahrt wird.“ (Ebd.: 421) Hier stellt sich freilich die Frage, wie die Person qua Selbst- bewusstsein mit ihrem lebendigen Körperorganismus genau zusammenhängt. Ein weiteres Problem besteht darin, dass nach Locke solche Menschen, die über kein Selbstbewusstsein verfügen, nicht als Personen gelten könnten. Im Ausgang von Locke hat deshalb Gottfried Wilhelm Leibniz personale Identität von der Zuschrei- bung und Mit-Erinnerung einer Personengemeinschaft abhängig gemacht (vgl. Leibniz [1704] 1996: 224).

4. Person als moralischer Akteur (Immanuel Kant)

Immanuel Kants Begriff der Person weicht insofern von den bisher betrachteten Begriffen ab, als er aufs Engste mit moralphilosophischen Bestimmungen ver- knüpft ist. Kant konzipiert seinen Personbegriff im Wesentlichen unter Bezug auf das moralische Gesetz des kategorischen Imperativs: „Handle so, daß die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne.“ (Kant KpV, AA V: 30) Er unterscheidet ausdrücklich zwischen

„Person“ und „Persönlichkeit“. Während „Person“ das

natürlich-vernünftige Wesen meint, das naturgesetzlich- empirisch existiert, bestimmt Kant die „Persönlichkeit“

als „die Freiheit und Unabhängigkeit von dem Mechanism der ganzen Natur“ (ebd.: 87). Die Person ist „ihrer eigenen Persönlichkeit unterworfen […], so fern sie zugleich zur intelligibelen Welt gehört“. Diese rein intelligibele Struktur des Menschen als Persön- lichkeit ist neben seiner natürlichen Anlage „seine zweite und höchste Bestimmung“, die er „mit der höchsten Achtung betrachten muß.“ (Ebd.) Anders als bei Boethius, bei dem der Begriff der Natur aufs Engste mit demjenigen der Person verbunden war (Person als „einer vernünftigen Natur individuelle Substanz“), wird „Natur“ bei Kant geradezu zum Gegenbegriff der Person, zum Bereich der Hetero- nomie gegenüber demjenigen personal-vernünftiger Autonomie. Indem Kant die Persönlichkeit ins Intelli- gible versetzt und von der Natur löst, kann diese nicht mehr als etwas Individuelles und Unterscheidbares verstanden werden, sondern ist, als reine praktische Vernunft, eine allgemeine, rein-vernünftige und über- sinnliche Struktur. Die Persönlichkeit lässt sich nur durch die empirische Person individuieren. Sie ist deshalb nichts anderes als „die Menschheit in seiner [scil. des Menschen] Person“ (Kant MS, AA VI: 435), sie ist „heilig“ und „Zweck an sich selbst“ (Kant KpV, AA V: 87). Die Würde der Person besteht darin, dass sie ein Bewusstsein vom Sittengesetz hat, ihre Maximen als gut oder böse qualifizieren und sich für die eine oder andere Alternative frei entscheiden kann.

5. Person als psychophysisches Individuum (Peter Strawson)

In seinem philosophischen Hauptwerk Individuals. An Essay in Descriptive Metaphysics (1959; deutsch 1972:

„Einzelding und logisches Subjekt. Ein Beitrag zur de- skriptiven Metaphysik“) trifft Peter Strawson eine für seine Bestimmung des Personbegriffs wichtige Unter- scheidung zwischen zwei Arten von metaphysischem Denken – zwischen revisionärer und deskriptiver Metaphysik: „Deskriptive Metaphysik begnügt sich damit, die tatsächliche Struktur unseres Denkens über die Welt zu beschreiben, revisionäre Metaphysik hat

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das Ziel, eine bessere Struktur hervorzubringen“

(Strawson 1972: 9). Strawson möchte auf Basis einer deskriptiven Metaphysik den Begriff der Person analy- sieren. Es geht ihm ganz allgemein darum, „die zentrale Position aufzuzeigen, die materielle Körper und Personen unter den Einzeldingen im allgemeinen einnehmen.“

(Ebd.: 12) Dabei versucht Strawson zu zeigen, „daß in unserem faktischen Begriffssystem Einzeldinge dieser beiden Kategorien die grundlegenden Einzeldinge sind; daß der Begriff anderer Typen von Einzeldingen im Verhältnis zu ihnen als sekundär betrachtet werden muß.“ (Ebd.) Andere Arten von Einzeldingen, zu denen Strawson z.B. Ereignisse zählt, können nur durch Rekurs auf materielle Dinge und Personen identifiziert werden. Wir müssen demnach den Begriff der Person

„als primitiven Begriff anerkennen“ (ebd.: 130).

Strawson interessiert besonders das Verhältnis von mentalen und physischen Prädikaten hinsichtlich einer individuellen, raum-zeitlich identifizierbaren Person.

Im Gegensatz zum Begriff eines reinen Ichs, einer denkenden Substanz, argumentiert Strawson, dass der Begriff der Person „logisch primär gegenüber dem des individuellen Bewußtseins“ ist: „Der Begriff der Person ist nicht als der Begriff eines beseelten Körpers oder einer in den Körper eingebetteten Seele zu analysieren“

(ebd.: 133) und er „zerfällt nicht in isolierte Gegen- stände“ (ebd.: 145). Die Person stellt also nach Strawson eine nicht weiter reduzierbare Einheit von mentalen und körperlichen Prädikaten dar. Er unterscheidet diesbezüglich zwischen (materiellen) M-Prädikaten wie

„wiegt 5 kg“ oder „befindet sich im Wohnzimmer“ und (personalen) P-Prädikaten wie „lächeln“, „Spazieren- gehen“, „Schmerzen leiden“, „angestrengt nachdenken“

oder „an Gott glauben“ (ebd.: 134).

Trotz all seiner Vorzüge, Personalität nicht auf Mate- rialität zu reduzieren, besteht die Problematik von Strawsons Personbegriff darin, dass die Person in ihrem spezifischen Personsein noch nicht hinreichend bestimmt wird. Denn auch Tiere weisen sowohl M- als auch P-Prädikate auf: Sie besitzen einen eindeutigen Ort in Raum und Zeit und können phänomenales Bewusstsein von Schmerzen besitzen. Eine treffende Kritik findet sich diesbezüglich bei dem amerikanischen Philosophen Harry Frankfurt. Er schreibt in seinem bedeutenden Aufsatz Freedom of the Will and the

Concept of a Person (1971, deutsch „Willensfreiheit und der Begriff der Person“): „Was unter Philosophen [wie z.B. Strawson] neuerdings als Analyse des Begriffs der Person angesehen wird, ist in Wirklichkeit gar keine Analyse dieses Begriffs […]. Wir tun unserer Sprache Gewalt an, wenn wir akzeptieren, das Wort ‚Person‘

für all die zahllosen Kreaturen zu verwenden, die zwar sowohl psychische wie materielle Eigenschaften haben, die aber offensichtlich in keinem gebräuchlichen Sinne des Wortes Personen sind.“ Es scheint damit, dass eine ontologische Rede von Personen nicht ohne Rekurs auf den Begriff des freien Willens möglich ist.

6. Person als Tier (Eric T. Olson)

Nach Eric T. Olsons Theorie des Animalismus ist die menschliche Person nichts anderes als ein Lebewesen der Art ’Mensch’: „When I say that we are animals, I mean that each of us is numerically identical with an animal. There is a certain human organism, and that organism is you. You and it are one and the same.“

(Olson 2003: 318) Wir sind als Personen Tiere, und zwar wesentlich, auf nicht-abgeleitete Weise. Die Theorie des Animalismus besagt jedoch nicht, dass menschliche Tiere ausschließlich biologische und keine kulturellen Eigenschaften besitzen. Olson möchte nicht ausschließen, dass menschliche Tiere nicht auch in ganz anderen

’Rollen’ auftreten könnten: „An animal can have pro- perties other than being an animal, and which don’t follow from its being an animal. Our being animals does not rule out our being mathematicians, French- men, or Roman Catholics“ (ebd.: 321). Nach Olson ist

„animal“ ein „substance concept“ (Olson 1997: 121), während „person“ diesem nur nachgeordnet ist. Das psychologische Persistenzkriterium erscheint gegen- über dem lebendigen Organismus einer Person nur als

„a temporally accidental attribute“ (ebd.: 122).

Zwar vermag Olsons Animalismus das logische Identi- tätsproblem im Ausgang von Locke zu lösen. Doch kann seine Theorie nicht substanzielle personale Iden- tität erklären, da er diese nur als akzidentell organisch bedingt ansieht. Im Ausgang von Olson wäre deshalb zu fragen, ob nicht gerade in der „characteristic orga- nization“ (ebd.: 137), d.h. in der Form eines Organis- mus, personale Identität bestehen kann, etwa dann,

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wenn es sich um menschliche Lebewesen handelt, die durch ihre Freiheit und intersubjektive Bezogenheit qualitativ von tierischen Organismen verschieden sind.

7. Person als Konstitutum (Lynne R. Baker)

Eine der gegenwärtig elaboriertesten Theorien perso- naler Identität, die sowohl der ontologischen als auch praktischen Identität von Personen gerecht werden will, hat Lynne R. Baker im Rahmen ihrer Konstitutions- theorie entwickelt, die in vielerlei Hinsicht an Lockes Unterscheidung anknüpft (vgl. Baker 1999: 161, Fuß- note 3). Bakers ontologische Grundlage bildet dabei die Biologie (vgl. Baker 2005: 26). Sie fügt jedoch hin- zu, dass diese biologische Grundlage epistemisch zu unterbestimmt ist, um das Spezifische personaler Identität erklären zu können (vgl. ebd.: 37). Bakers

„Konstitutionsthese“ – englisch „Constitution View“ – besagt (siehe Baker 2000: 91–117), dass lebendiger Körper und Person einerseits nicht identisch sind (Differenz zum Animalismus), dass aber auf der anderen Seite auch nicht Körper und Person zwei ontologisch getrennt voneinander existierende Dinge darstellen (Differenz zu Dualismen cartesischer Prägung) (ebd.:

57). Entscheidend für den Status einer Person ist nicht der sie konstituierende (menschliche) Körper, sondern eine spezifische mentale Qualifikation, die Baker als Vermögen einer Erste-Person-Perspektive bestimmt.

Sobald ein Organismus eine Erste-Person-Perspektive entwickelt, tritt eine neue Entität in Gestalt der Person auf, während aus Sicht des Animalismus Personalität nur eine Verfeinerung des Lebens ist. Diese neue Entität der Person, die durch ihren Körperorganismus konsti- tuiert wird, ist nun aber keine separat neben oder ’über’

dem Körper existierende Entität. Sowohl der Körper als auch die durch ihn konstituierte Person haben eine Erste-Person-Perspektive – jedoch nicht im Sinne einer Verdopplung, sondern im Sinne eines differenten, ad- verbialen Modus des Habens. Die Person hat die Erste- Person-Perspektive auf eine unabgeleitete, privilegierte Weise, während der die Person konstituierende Körper diese nur auf abgeleitete Weise, gewissermaßen ’aus zweiter Hand’ hat, etwa in Form einer hirnorganisch parallel ablaufenden Aktivität. Dementsprechend sind

manche mentalen Zustände der menschlichen Person, wie etwa das Hoffen auf ein bestimmtes zukünftiges Ereignis, irreduzibel und primär personaler Natur, während solche mentalen Zustände wie Schmerzen irreduzibel und primär organischer Natur sind (vgl.

ebd.: 117). Die spezifische Einheit der Person besteht darin, dass ihr Körper sie ’von unten’ konstituiert, während die Person diesen ’von oben’ „umfasst“.

Durch diese gegenläufige ontologische Verzahnung und Fügung versucht Baker eine maximale Einheit der Person mit ihrem Körper zu denken, ohne diese Rela- tion als Identität fassen zu müssen (vgl. ebd.: 55). Hier stellt sich jedoch die Frage, wie zwei Substanzen – Körperorganismus und Person –, die unterschiedlichen Identitätskriterien gehorchen, zur selben Zeit am selben Ort koexistieren und koinzidieren können.

8. Person als Lebensform

In der aktuellen Debatte hat sich der Begriff des Lebens als ein aussichtsreicher Kandidat herausgestellt, die natürlich-vernünftige Einheit der Person zu denken.

Eine wichtige Grundlage dafür hat Robert Spaemann geliefert. Nach Spaemann zeichnet sich eine Person formal dadurch aus, dass sie „ihre Natur hat und nicht einfach ist“ (Spaemann [1996] 2006: 215): „Die funda- mentalen biologischen Funktionen und Bezüge sind beim Menschen nicht etwas Apersonales, sondern sie sind spezifisch personale Vollzüge und Relationen.“ (Ebd.:

255) Personen existieren nicht für sich, sondern „bilden miteinander ein Beziehungssystem, das jeder Person im Verhältnis zu allen anderen einen einmaligen Platz anweist.“ (Ebd.: 96) Diesen intersubjektiven Verband bestimmt Spaemann als „genealogischen Zusammen- hang […] mit der ’Menschheitsfamilie’“ (ebd.: 256).

Nach Marya Schechtman konstituieren nicht besondere Eigenschaften listenmäßig eine Person, sondern ein holistischer Kontext, in den die Person integriert wird (Schechtman 2014: 7). Schechtman grenzt sich sowohl von Lockes Identitätstheorie als auch von Bakers Kon- stitutionsthese ab, indem sie versucht, die Identität der Person durch Rekurs auf den Begriff des Lebens zu bestimmen. Es genügt demnach nicht, Personen als moralisch zurechenbare Entitäten zu charakterisieren, sondern sie versucht, dieses Identitätskriterium weiter

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in einem Lebensbegriff zu fundieren: „To be a person is to live a person life; particular persons are individuated by individuating person lives; and sameness of person over time is defined in terms of the sameness of a person life.“ (Ebd.) Personales Leben ist wie bei Spaemann nur in einem intersubjektiven Verbund möglich: „Being brought into the form of life of personhood may be described as being accorded a place in person-space“

(ebd.: 114). Dabei geht Schechtman jedoch nicht näher darauf ein, wie genau dieses personale Leben verstanden werden muss: Ist es ein organisch- natürliches Leben oder ein soziales Leben im Sinne einer „zweiten Natur“? Es darf daher als eine Heraus- forderung für die aktuelle Debatte gelten, einen trag- fähigen Begriff von Leben zu entwickeln, der der Komplexität des Personbegriffs gerecht wird.

9. Person in der (bio)ethischen Debatte

Der Personbegriff ist besonders in der aktuellen (bio)ethischen Debatte von Bedeutung. Denn Personen gelten als Wesen, die eine unantastbare Würde besitzen und daher einen besonderen Schutz genießen (vgl. Arti- kel 1 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutsch- land). Aufgrund dieser Normativität erhält die Frage nach der Intension und Extension des Personbegriffs ein besonderes Gewicht. So stellt sich etwa die Frage, ob Föten oder schwer demenzkranke Menschen noch unter den Begriff fallen, wo sie doch bestimmte personal konnotierte Eigenschaften wie Selbstbewusstsein nicht aufweisen. Besonders die Frage nach dem Beginn und dem Ende des menschlichen Lebens darf als ein zentrales Problem der Bioethik gelten (vgl. Quante 2002: 16). Die Auffassung, dass Menschen allein aufgrund ihrer bio- logischen Artzugehörigkeit Personen seien, Lebewesen anderer Arten hingegen nicht, hat in der gegenwärtigen Ethik Peter Singer in Analogie zum Begriff des Rassismus als „Speziesismus“ bezeichnet und kritisiert: „Speciesism […] is a prejudice or attitude of bias in favor of the inter- ests of members of one’s own species and against those of members of other species.“ (Singer 2002: 6) Es darf daher als eine Herausforderung der philosophischen Forschung gelten, einen Personbegriff zu entwickeln, der allen Menschen eine absolute Würde zuspricht, ohne dabei jedoch einen Speziesismus zu vertreten.

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