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Archiv "Teratogene Effekte von Lenotan?" (05.06.1980)

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DEUTSCHES

ÄRZTEBLATT Zur Fortbildung Aktuelle Medizin

Heft 23 vom 5. Juni 1980

Teratogene Effekte von Lenotan?

Jörg Michaelis, Ewald Glück, Hedwig Michaelis, Siegfried Koller und Karl-Heinz Degenhardt

Aus dem Institut für Medizinische Statistik und Dokumentation der Universität Mainz

Meldungen über mögliche te- ratogene Effekte von Leno- tan® wurden in einer Son- derauswertung der von der Deutschen Forschungsge- meinschaft geförderten pro- spektiven Untersuchungsrei- he „Schwangerschaftsverlauf und Kindesentwicklung"

überprüft. Bei 13 645 prospek- tiv beobachteten Schwanger- schaften wurde Lenotan'® in insgesamt 1001 Fällen verab- reicht. Weder bei Lenotan®

noch bei anderen, in größerem Umfang verabreichten Anti- emetika ergab sich ein Anhalt dafür, daß die Einnahme zu einer Erhöhung des Grundrisi- kos von Mißbildungen führt.

Problemstellung:

Aktuelle Meldungen über unerwünschte Wirkungen von Lenotan®

Übelkeit und Erbrechen treten in der Mehrzahl aller Schwangerschaften auf. Antiemetika gehören deshalb zu den am häufigsten in der Gravidität verordneten Medikamenten. Dies er- klärt, daß Pressemeldungen über mögliche teratogene Effekte von An- tiemetika besonders große Kreise betroffener Frauen und behandeln- der Ärzte beunruhigen und verunsi- chern. Zuletzt waren dies Berichte über das Auftreten von Mißbildun- gen nach der Einnahme von Leno- tan®*).

Diese Berichte führten bereits zu ei- ner Anfrage in der Fragestunde des Deutschen Bundestages am 7./8.

11. 1979. Die Bundesregierung er- klärte dazu, daß es nach ihrem Er- kenntnisstand keine stichhaltigen Anhaltspunkte für einen Zusammen- hang zwischen der Einnahme von Lenotan® und einem erhöhten Risi- ko angeborener Mißbildung gibt.

Diese Erklärung bezog sich auf ent- sprechende Ausführungen der ame- rikanischen Arzneimittelbehörde (FDA) über das in den Vereinigten Staaten unter dem Namen Bendec- tin® vertriebene Medikament. Ende März 1980 teilte die Firma Merrell Pharma in einem Ärzterundschrei- ben mit, daß in einem entsprechen- den Gerichtsverfahren in den USA

festgestellt worden sei, daß kein Zu- sammenhang zwischen der Einnah- me von Bendectin® (Lenotan®) und den möglichen Mißbildungen, die Gegenstand des Verfahrens waren, bestehe. Da die zitierten Angaben der FDA sich lediglich auf nicht nä- her bezeichnete epidemiologische Untersuchungen in den USA bezo- gen, erschien es angezeigt, entspre- chende Untersuchungen in der Bun- desrepublik Deutschland durchzu- führen. Hierzu bot sich eine Sonder- auswertung im Rahmen der pro- spektiven Untersuchungsreihe (PU)

„Schwangerschaftsverlauf und Kin- desentwicklung" an, die seit 1963 von der Deutschen Forschungsge- meinschaft (DFG) gefördert wird.

DFG-Studie:

Schwangerschaftsverlauf und Kindesentwicklung

In der PU wurden in den Jahren 1964 bis 1972 rund 15 000 Schwangere aus 21 Kliniken von Beginn bis Ende der Schwangerschaft vierwöchent- lich ärztlich untersucht und führten darüber hinaus Tagebücher nach vorgegebenem Schema. Die Erhe- bung wurde so breit angelegt, daß eine große Zahl möglicher Einfluß- faktoren auf Schwangerschaftsver- lauf und Kindesentwicklung erfaßt wurde. Unter den präsumtiven Ein-

.) Lempke, Klaus; Paul, Rainer: „Die Hinweise lagen im Stahlschrank", stern magazin 43 (1979)

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Aktuelle Medizin

Teratogene Effekte von Lenotan?

flußfaktoren wurde der Medikamen- teneinnahme besondere Aufmerk- samkeit gewidmet — alle eingenom- menen Medikamente wurden so- wohl von den Frauen wie von den sie betreuenden Ärzten aufgezeichnet.

Damit ist es möglich, auch nachträg- lich noch im Rahmen dieser Studie die Effekte der Medikamente pro- spektiv zu analysieren, welche in dem genannten Beobachtungszeit- raum verabreicht wurden. Lenotan®

gehört zu den Medikamenten, die von den Teilnehmerinnen an der Studie besonders häufig eingenom- men wurden.

Eine Zwischenauswertung der PU, bei der 7870 Fälle berücksichtigt wurden, ist 1977 zusammen mit ei- ner Kurzdarstellung der Studienpla- nung und -durchführung sowie ei- nem umfangreichen Verzeichnis bis- heriger Einzelpublikationen veröf- fentlicht worden (1). Inzwischen ste- hen für aktuelle Auswertungen der PU die Daten von 13 645 Schwan- gerschaften zur Verfügung.

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Erste Ergebnisse aus der DFG-Studie

Bei den 13 645 Schwangerschaften wurde Lenotan® in insgesamt 1001 Fällen während der 1. bis 12.

Schwangerschaftswoche verab- reicht. Bei diesen Fällen wurden 20 schwere Mißbildungen beobachtet (2,0 Prozent), im Vergleich dazu bei dem Restkollektiv 175 (1,4 Prozent).

Dieser geringe Unterschied ist stati-

stisch nicht signifikant. Die beob- achteten Mißbildungen waren sehr heterogen, so daß sich nicht etwa ein bestimmter Schädigungstyp charakterisieren ließ. Üblicherweise gibt man die Häufigkeit der Mißbil- dungen bezogen auf die ausgetrage- nen Schwangerschaften an. In die- sem Fall lauteten die Häufigkeiten für Lenotan® 2,1 Prozent und für die Restgruppe 1,5 Prozent.

Bei diesem Vergleich kam nicht zum Ausdruck, daß die Aborthäufigkeit mit 10,1 Prozent im Restkollektiv et- wa doppelt so hoch war wie bei den Fällen, die Lenotan® erhielten (5,0 Prozent). Dieser Unterschied dürfte jedoch nicht auf das Medikament zurückzuführen sein, sondern ent- spricht dem Unterschied, wie er ge- nerell zwischen Schwangeren, die über Übelkeit klagten, und denen, bei denen keine Übelkeit aufgetre- ten war, bestand (1).

Das Medikament, das am zweithäu- figsten in der PU gegen Übelkeit ein- genommen wurde, war Peremesin®.

Bei den entsprechenden Fällen wur- den sieben schwere Mißbildungen beobachtet (1,4 Prozent), bei einer weiteren Gruppe von insgesamt vier Medikamenten (Bonamine®, Vomex A®, Psyquil® und Rodavan®) 1,6 Pro- zent. Ein Teil dieser Fälle hatte eben- falls Lenotan® eingenommen. Wür- de man die genannten Mißbildungs- häufigkeiten mit Hilfe statistischer Tests vergleichen, so ergäbe sich ebenfalls kein signifikanter Unter- schied.

Methodisch

weitergehende Analysen

Da generell der Verdacht der Terato- genität von Lenotan® geäußert wur- de und in der PU tatsächlich eine leichte Erhöhung der Mißbildungs- häufigkeit zu beobachten war, ist es zweckmäßig, nichtsignifikante Test- ergebnisse bei Prüfung der Häufig- keitsunterschiede durch weitere Analysen zu ergänzen. Das metho- disch angemessene Vorgehen ist hier die Betrachtung von Risikoquo- tienten, wie sie in der Epidemiologie üblicherweise angegeben wird. Die Bildung des Risikoquotienten (odds ratio) kann am besten an einer Vier- feldertafel veranschaulicht werden.

Hierzu sind in Tabelle 1 die vorher bereits erwähnten Häufigkeiten zu- sammengestellt.

Der Risikoquotient beträgt:

20 931

• = 1,37 175 11 192

Wenn die Mißbildungshäufigkeit in beiden Gruppen genau gleich ist, beträgt der Risikoquotient 1. Werte über 1 zeigen ein erhöhtes Risiko bei Lenotan®-Einnahme an, Werte unter 1 ein verringertes Risiko. Um sich ein Bild davon zu machen, wie groß zufallsbedingte Schwankun- gen bei den gegebenen Beobach- tungszahlen sein können, berechnet man für den beobachteten Risiko- quotienten einen Vertrauensbereich (Konfidenzintervall). Das ist der Be- reich, in dem mit einer vorgegebe- nen Wahrscheinlichkeit der Quo- tient als Parameter der Grundge- samtheit liegt, aus der die Stichpro- be der beobachteten Fälle stammt.

Da die aktuellen Beobachtungen zu einer Aussage über die Grundge- samtheit verallgemeinert werden sollen, ist dieses Intervall, in dem der wahre Wert zum Beispiel mit einer Wahrscheinlichkeit von 90 Prozent liegt, von Interesse. Für das vorlie- gende Beispiel erhält man als 90- Prozent-Vertrauensbereich 0,89 bis 2,06. Das heißt also, da der Wert 1 innerhalb dieses Intervalls liegt, es mit der Wahrscheinlichkeit von 90 Prozent noch vereinbar wäre, daß der Risikoquotient für die Lenotan®- Einnahme bei der Grundgesamtheit auf 0,89 erniedrigt ist, jedoch auch Tabelle 1: Vierfeldertafel mit den Häufigkeiten schwerer Mißbildun-

gen für das Gesamtmaterial der PU (ohne Aborte)

Schwere Mißbildungen Ja Nein Zusammen

Schwangerschaften

mit Lenotan®-Einnahme 20 931 951

Restgruppe 175 11 192 11 367

Zusammen 195 12 123 12 318

1528 Heft 23 vom 5. Juni 1980 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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Aktuelle Medizin

auf 2,06 erhöht sein kann. 95-Pro- zent- oder 99-Prozent-Vertrauensbe- reiche beinhalten ebenfalls die 1, zeigen jedoch weitere Grenzen, was im Rahmen dieser Analyse von ge- ringerer Bedeutung ist.

Die bisher beschriebene Analyse hat den Nachteil, daß die Lenotanfälle nur mit einer unscharf definierten Restgruppe verglichen wurden. Bei diesem Ansatz können möglicher- weise Faktoren, die für den Ausgang der Schwangerschaft relevant sind, selektiv wirksam werden und damit eine Verzerrung der Ergebnisse be- wirken. Eine methodische Verbesse- rung liefert hier die Bildung soge- nannter matched-pairs. Dabei sucht man zu jedem Fall mit Lenotan®-Ein- nahme, ohne Kenntnis darüber, ob eine Mißbildung beobachtet wurde, einen Partnerfall, der hinsichtlich re- levanter Einflußgrößen möglichst gut mit dem ersteren übereinstimmt.

Als Einflußgrößen für die mit dem Computer durchgeführte Matched- pair-Bildung haben wir für eine wei- tere Analyse das Alter der Schwan- geren, die Zahl der vorangegange- nen Schwangerschaften und Aborte sowie die behandelnde Klinik be- rücksichtigt. Der Einfluß des letztge- nannten Faktors mag primär nicht evident erscheinen, die Berücksich- tigung hat sich jedoch in der PU als sehr zweckmäßig erwiesen.

Da die Auswertung der PU in den oben erwähnten Teilgruppen erfolg- te, wurde auch die Matched-pair-Bil- dung innerhalb dieser Gruppen von 7870 und 5775 Fällen vorgenom- men. Hierbei konnten 406 und 468 Paare gebildet werden. Mit Hilfe des Verfahrens von Mantel und Haenszel wurde festgestellt, daß die entspre- chenden Vierfeldertafeln zu einer Tafel zusammengefaßt werden konnten, für die sich ein Risikoquo- tient von 0,95 mit einem 90-Prozent- Vertrauensbereich von 0,52 bis 1,73 ergab. Analoge Untersuchungen wurden für die oben erwähnten Gruppen mit Peremesin® und ande- ren Antiemetika durchgeführt; hier betrugen die Vertrauensbereiche 0,26 bis 2,08 und 0,42 bis 2,00. Es ist zu erkennen, daß sich alle Vertrau- ensbereiche der Risikoquotienten

Teratogene Effekte von Lenotan?

breit überschneiden und sich für keine Gruppe der Anhalt eines er- höhten Grundrisikos für Mißbildun- gen ergibt.

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Zusammenfassung

Die Auswertung von 13 645 Schwan- gerschaften, die in der DFG-Studie

„Schwangerschaftsverlauf und Kin- desentwicklung" (PU) prospektiv beobachtet wurden, ergab keinen Anhalt dafür, daß die Einnahme von

Lenotan®

zu einer Erhöhung des Grundrisikos für Mißbildungen führt. Das Ergebnis dieser Untersu- chung sollte jedoch nicht von dem Grundsatz abführen, in der Schwan- gerschaft die Medikamenteneinnah- me auf das unbedingt erforderliche Minimum zu beschränken. Das in der PU gesammelte Datenmaterial wird zur Zeit in großen Übersichten dargestellt. Zusätzlich ist es jeder- zeit möglich, kurzfristig die Frage unerwünschter Wirkungen von Me- dikamenten — die in den Jahren 1965 bis 1972 häufig verordnet wurden — auf den Schwangerschaftsverlauf zu analysieren.

Literatur

(1) DFG-Forschungsbericht: Schwanger- schaftsverlauf und Kindesentwicklung; H.

Boldt Verlag, Boppard (1977) — (2) Heinonen, B. P.; Slone, D.; Shapiro, S.: Birth defects and drugs in pregnancy; Publishing Sciences Group, Littletown, Mass. (1977) — (3) Smi- thells, R. W.; Sheppard, S.: Teratogenicity testing in humans: A method demonstrating safety of Bendectin; Obstet. Gynec. Survey 33 (1978) 582-84

Anschriften der Verfasser:

Direktor

Prof. Dr. med. Jörg Michaelis Dipl.-Inf. Ewald Glück Dr. Hedwig Michaelis

Prof. Dr. med. Dr. Siegfried Koller (emerit.)

Institut für Medizinische Statistik und Dokumentation der

Johannes Gutenberg-Universität Langenbeckstraße 1

6500 Mainz Prof. Dr. med.

Karl-Heinz Degenhardt Institut für Humangenetik am Klinikum der

Johan n-Wolfgang-Goethe- Universität

Paul-Ehrlich-Straße 41 6000 Frankfurt (Main) 70

FÜR SIE GELESEN

Cimetidin bei

Anastomosenulzera nach Magenteilresektion

Anastomosenulzera nach Magenteil- resektion, welche in fünf bis zehn Prozent der Fälle auftreten, sind mit bisheriger konservativer Therapie nur schwer angehbar. Eine erforder- liche Nachoperation weist eine hohe Komplikationsrate auf.

Seit Einführung des Histamin-H 2 -Rezeptor-Antagonisten Cimetidin (Handelsname Tagamet®) scheinen sich die Möglichkeiten der konser- vativen Therapie grundlegend ge- wandelt zu haben.

In einer kontrollierten Doppelblind- studie an 15 Patienten (sieben in der Verumgruppe und acht in der Place- bogruppe), bei denen die Magenteil- resektion nach Billroth I und II zwi- schen einem halben und 33 Jahren zurücklag, wiesen die Autoren die überlegene Wirksamkeit von Cimeti- din nach. Die Dosierung erfolgte mit einem Gramm täglich in Einzeldo- sen zu 200 Milligramm (dreimal eine und zweimal eine vor dem Nacht- schlaf).

Nach acht Wochen Therapie waren alle Ulzera der sieben Cimetidin-Pa- tienten abgeheilt, während in der

Placebogruppe nur bei einem der acht Patienten eine Heilung auftrat.

Die Studie, die mit einer höheren Fallzahl geplant war, mußte nach diesem hochsignifikanten Zwi- schenergebnis abgebrochen wer- den.

Die sieben nicht geheilten Placebo- patienten erhielten anschließend Ci- metidin, worauf diese Ulzera alle ab- heilten.

Auch eine günstige Beeinflussung der Ulkussymptome konnte durch Cimetidin erreicht werden, wobei besonders die nächtlichen Schmerz- anfälle signifikant verhindert werden konnten. Cme

Gugler, R. et al.: Cimetidine for Anastomotic Ulcers after partial Gastrectomy, New Engl. J.

Med. 301 (1979) 1077-1080

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 23 vom 5. Juni 1980

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