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Archiv "Die erste Vollnarkose: 1804 in Japan" (21.11.1991)

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Die erste Vollnarkose: 1804 in Japan

Arztfrau Kaye war als Probandin tagelang bewußtlos Akira Hori

Porträt von Seishu Hanaoka (freundlich überlassen von der Ernie hungskommission der Gemeinde Naga, Wakayama-Präfektur, Japan)

D

ie erste Vollnarkose in der Welt zwecks chirur- gischer Operation wur- de im Jahre 1804 von Hanaoka- Seishu (1760 bis 1835) in Japan vorgenommen, das heißt etwa 40 Jahre vor der im Westen be- kannten ersten Äther-Narkose im Jahre 1842 durch Clarke (Keys 1968), veröffentlicht durch Morton (1846) bezie- hungsweise der ersten Chloro- form-Narkose (Simpson 1847).

Nach dem Menschenversuch mit einem von Hanaoka selbst aus der Pflanze Mandragora hergestellten Extrakt an seiner eigenen Frau wurde die Opera- tion unter Vollnarkose bei ei- ner an Brustkrebs leidenden Patientin am 13. Oktober 1804 mit Erfolg durchgeführt.

Seishu (Vorname• Seishu, Familienname: Hanaoka) wur- de am 23. Oktober 1760 in Na- te/Wakayama geboren (heute Nate, Nagagun, Wakayama- Präfektur in Mitteljapan; domi- nierend bewohnt von Bauern und Forstwirten; Reis und Obst sind Haupternte). Wakayama findet sich an der Westseite der Kii-Halbinsel, die neurolo- gisch-epidemiologisch bekannt ist wegen häufiger myatrophi- scher Lateralslderose (MLS).

In der Familie Hanaokas gab es seit Seishus Großvater Arzte; die Urväter waren Bau- ern, aber nebenbei auch ärzt- lich tätig. Seishu studierte mit 23 Jahren (1782) in Kyoto. Da- mals war Japan gegenüber der Außenwelt verschlossen (bis 1868); nur Nagasaki war einzi- ger und beschränkter Eingang ausländischer Kultur, von hier aus penetrierte auch die von Holländern hergebrachte euro- päische Medizin in Japan, die von eifrigen jungen Medizinern mit viel Mühe gelernt wurde.

1785 fing Seishu in der Hei- mat bei seinem Vater an zu praktizieren. Während seiner Tätigkeit als Landarzt merkte er die narkotische Wirkung ei- ner Pflanze namens „Mandar- age" (Mandragora), im Volks- mund „Verrückt-Aubergine"

oder „Korea-Trichterwinde"

genannt. Er stellte ein Narko- semittel „Tsu-sen-san" in Ge- tränkeform her, dessen Haupt- bestandteil Stramonium war.

Nach Fujikawa (1911) stellte Hanaoka sein Narkosemittel Tsu-sen-san durch Abkochen von fünf Kräutern her: Aconi-

tum, Angelica, Canoselium, Datura alba und Ligusticum.

Er experimentierte mit zahlrei- chen Tieren, vor allem mit Kat- zen und Hunden, um die Dosis zu bestimmen, und zuletzt ver- suchte er die Wirkung bei sei- ner eigenen Frau Kaye, die sich spontan als Versuchsobjekt geopfert hatte. Beim ersten Versuch erholte sie sich erst nach unerwartet langer mehr- tägiger Bewußtlosigkeit. Bei der Wiederholung des Versu- ches verlor sie dann sogar ihren Visus (Hirasawa 1987).

Seishu lebte mit seiner Frau und seiner Mutter Otsugi zu- sammen; die Liebe und Kon- flikte beider Frauen um Seishu sind Thema eines zum Teil ge- schichtstreuen Romans „Die Frau von Hanaoka-Seishu" von Sawako Ariyoshi (1938 bis 1980), einer der bekanntesten Schriftstellerinnen Japans aus Seishus Heimat.

Die operierte Patientin na- mens Ashinoya-Kann, Mutter des Apothekers Ashinoya-Ri-

hei, war nach Seishus „Thera- piedokumentation von Brust- krebs" mit insgesamt 156 Fäl- len die vierte Patientin, die er betreut hatte. Vermutlich we- gen einer Vergrößerung des Tumors und eines verschlech- terten allgemeinen Zustandes der Patientin (Matsuki 1973) entschloß er sich statt konser- vativer Therapie zur ersten

Operation. Die Patientin über- lebte viereinhalb Monate post- operativ. Nach Matsuki (1973) hatte Seishu am 13. Oktober 1804 die erste klinische Voll- narkose vorgenommen und dies erst am 16. Oktober nach intensiver postoperativer Nach- versorgung in seine Dokumen- tation eingetragen.

Seishu wurde vom Volk nicht nur wegen der „Wunder- heilung während des Schla- fens", sondern auch als ein hu- maner praktischer Arzt weit akzeptiert. Er lehnte wegen sei- ner Praxis für die allgemeine Bevölkerung ein Angebot zu- nächst ab, als Leibarzt des ört-

lichen Daimyos (Regierender Samurai in den Bezirken, die etwa heutigen Präfekturen ent- sprechen) berufen zu werden (1802), das er später schließlich doch annahm (1833). Trotz die- ses Amtes durfte er als unge- wöhnliche Ausnahme wegen seiner Popularität sein Leben meist in der Praxis verbringen.

Er eröffnete die Schule „Shun- rin-ken"; in seinem Leben hat- te er insgesamt etwa 1300 Schü- ler aus ganz Japan (Kanbara 1969), die sich selbst stolz Ha- naoka-Schüler nannten.

Die Vollnarkose wurde je- doch nicht von allen Kollegen in Japan bedingungslos akzep- tiert. In Sakura, nicht weit von Narita — dem Ort des Interna- tionalen Flughafens Tokyo —, war zum Beispiel ein anderer westmedizin-orientierter Pio- nier-Arzt Sato-Taizen (1804- 1872) tätig, der aufgrund seines humanistischen Glaubens die Klinik Juntendo eröffnete (1843), („Junten" bedeutet lite- rarisch „dem Himmel [ = Him- melsgesetz] folgend"), in der Therapie und Lehre eng ver- bunden sein sollten.

Der Name dieser Klinik ist bis heute als Juntendo Univer- sität in Tokyo erhalten. Diese allererste medizinische Privat- schule in Japan war deswegen von Bedeutung, weil sie weiter- hin gedieh, unabhängig von der etwas später eröffneten (1860), vom Shogun anerkannten und dann von der Regierung direkt errichteten „Westmedizin- Schule", Vorgängerin der heu- tigen Medizinischen Fakultät der Tokyo Universität.

In der Klinik Juntendo wur- den, wie damals üblich, chirur- gische Operationen ohne Nar- kose praktiziert, wie bei Brust- krebs, Fingeramputation und so weiter. Ein Arzt dokumen- tierte damals seine Brustkrebs- Operation an einer Frau wie folgt „. . während der Opera- tion beklagte die Patientin kaum Schmerzen; die Blutung war gering. Dies lehrte mich, daß die gefährliche Narkose nach Hanoka absurd ist."

Hanaoka-Seishu wurde vom Medizinhistoriker Gurit (1898) wahrscheinlich zum ersten Mal im Westen vorgestellt:

„. . wurden durch Hanaoka neue Verfahren in die Chirur- gie eingeführt und darauf ein von ihm stammendes neues Sy- Dt. Ärztebl. 88, Heft 47, 21. November 1991 (87) A-4151

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stem begründet. . .. Vor der Operation erhielt der Patient eine sehr große Dosis Stramo- nium, in Folge deren er drei Tage lang betäubt blieb." Eini- ge Dokumente über Seishu sind in der deutschsprachigen Literatur ersichtlich (Fujikawa 1911; Keys 1968).

Es war jedoch erst 1963, als Seishu von den japanischen Medizinern (wieder-)aner- kannt und geehrt wurde, anläß- lich der alle vier Jahre stattfin- denden 16. Generalversamm- lung der "Japanese Medical Association" in Osaka. Seitdem ist die Bekanntheil dieses Arz- tes im Westen gestiegen, vor- wiegend im Bereich der Chirur- gie und Anästhesie.

Es soll nun hier überlegt werden, warum Hanaoka so lange Zeit in Japan nicht aner- kannt wurde:

e

Erstens wurde jede Art von Kunst in Japan traditionell und allgemein in jeder Schule geheim gehalten, und nur die Schüler, die vom Lehrer nach jahrelanger Ausbildung als qualifiziert anerkannt wurden, waren berechtigt, die Geheim- lehre zu meistern. Dies galt nicht nur im Bereich der Kul- tur, wie Theater, Tanzen, Tee- oder Blumenkunst, sondern

S

onniges, herbstnahes Zü- rich. Die Gassen der Alt- stadt, am Abend von Ver- gnügungssüchtigen in den Dienst genommen, sind am frü- hen Morgen wie leergefegt, ei- ne vorläufige Ruh~. vor dem nächsten Ansturm. Oberall be- gegnet der Reisende den zahl- losen Chiffren einer noch nicht in alberne Folklore abgeglitte- nen Tradition.

Alles in allem eine Stadt, die sich, wenn es um ihr Image geht, nicht entscheiden mag, ob sie sich als kleinste Großstadt oder als größtes Dorf der Welt in die Liste mythisierender Reiseführer eintragen lassen will. Alte Häuser mit niedli- chen Vorgärten, parallel zu langweiligen Bürozentren.

Kein kleiner, ein großer Unter- schied.

Mit Leben füllen sich die Cafes erst allmählich; in ihnen steht der in die Nase ziehende Morgenduft zischender Ex- pressomaschinen. Da heben sich gestylte von gammeligen

auch im Bereich der Kampf- kunst oder sogar des Hand- werks, also auch für die Heil- kunst.

Es wird berichtet, daß Sei- shu sehr wütend war, als einer seiner Schüler eine Behand- lungsmethode einfach einem anderen gezeigt hatte. Es war in Japan gar nicht üblich, eige- ne originelle Methoden zu de- monstrieren oder zu veröffent- lichen. Somit konnte die aller- erste allgemeine Anästhesie in der Welt nicht weiter entwik- kelt werden (Ogawa 1964).

Dies ist ein auffallender Kon- trast gegenüber Mortons Äthernarkose (1846), die sich in wenigen Jahren in ganz Eu- ropa verbreitet hat (Secher 1990).

e

Zweitens gab es seit der

Öffnung Japans zur Welt (1868) und dem Einstrom der Westkultur eine Tendenz oder sogar einen Glauben, daß die

"moderne" Westkultur besser sei als die "altmodische" ein- heimische. Daher wurde die während der etwa 200jährigen Verschlossenheit gegenüber der Außenwelt eigenständig enwickelte japanische Kultur durch Japaner selbst vernach- lässigt und nicht mehr akzep- tiert.

An dem Ort, wo Seishus ehemalige Praxis und das Schulgebäude waren, steht heute ein modernes Haus, das von den Nachkommen Seishus bewohnt wird. In der Nähe des Hauses stehen etwa vierzig Grabsteine der Hanaoka-Fami- lie sehr eng nebeneinander; un- mittelbar hinter dem Grabstein Seishus steht ein ganz kleiner Grabstein seiner Frau Kaye, dahinter anschließend ein noch kleinerer seiner Mutter Otsugi.

Am Eingang der Grabstätte steht ein Denkmal für Hana- oka-Seishu, das von seinen Schülern errichtet wurde.

Seishus Frau Kaye war aus der reichen Familie Imose auf dem Lande, einer Gegend nahe Seishus Wohnort. Ihr Geburts- haus war damals ein Aufent- halts- beziehungsweise Über- nachtungshaus des Daimyos, der unterwegs auf der Reise nach Yedo (heute Tokyo) war.

Kayes Vater war verpflichtet, den Daimyo und seine Begleit- personen zu versorgen.

Shogun Tokugawa der feu- dalistischen Zeit ließ alle Dai- myos im bestimmtem Jahresab- stand regelmäßig in die Haupt- stadt Yedo kommen, wobei ei- ne entsprechend luxuriöse Rei- seausstattung und die Beglei-

Lob der Einzelheit

oder Abschied von der Utopie

Gespräch mit dem Schriftsteller Adolf Muschg

Typen ab, alle auf Außenkon- takt, der eine zeitunglesend, der andere radiohörend. Au- ßerhalb der Stadt, am linken Ufer des Sees, sieht es ganz an- ders aus. Hier überwiegt die Macht reger Natur, verdörf- licht sich die Schweiz. Eine ziemlich vielbefahrene Straße führt längs des Sees; Ampeln drosseln das Autotempo; Häu- serreihen lichten sich. Nach ei- nigen Kilometern geht es hin- auf nach Meilen, wo mich, am Rande der Siedlung, der Schriftsteller Adolf Muschg empfängt.

Er erteilt mir, draußen auf der Straße beim Aussteigen, beiläufig Auskunft über seine etwas komplizierte Wohnsitua- tion. Als Gast eines befreunde-

ten Arztes wohne er hier, in- mitten von Möbeln, zu denen er kein inniges Verhältnis fin- de. Eine geliehene, eine ge- borgte Umgebung. Wie er sich einrichten würde, wenn es nach seinem Geschmack ginge? fra- ge ich. "Möglichst leer, mög- lichst wenig Möbel." Sein Le- ben auf dem Lande: ein Kom- promiß, eine Übergangslösung.

Mit ihr arrgangiert er sich seit seiner langsamen Heimkehr vor einigen Monaten, im Un- klaren darüber, wo er in Zu- kunft bleiben soll. Noch unge- klärt sind seine Verhältnisse, denen er sich aussetzt.

Um mit ihm ins Gespräch zu kommen, bedarf es keiner grö- ßeren Anstrengung. Er gibt sich offen, stellt diskret Fragen, A-4152 (88) Dt. Ärztebl. 88, Heft 47, 21. November 1991

tung durch zahlreiche Dienst- personen gefordert waren. Dies war eine der raffiniertesten poli- tischen Maßnahmen des Sho- guns, der die Daimyos dadurch ständig in ihrer Treue kontrol- lieren konnte. Auch belastete er auf diese Weise so stark, daß sie sich zum Beispiel keinen Auf- stand hätten leisten können.

Das Haus der Familie Im- ase wurde noch bis vor kurzem von einem kinderlosen Ehe- paar, beide über 80 Jahre, be- wohnt. Die Gebäude auf dem großen Grundstück, ummauert von der alten Japan-typischen Erdmauer, sind mittlerweile von der Behörde übernommen worden. Sie werden wegen Ein- sturzgefahr komplett renoviert und als Museum eingerichtet.

Der Autor dankt Dr. Ch. Barteis und Dr. V. von Hammerstein für die Beschaffung der alten deutschen Li·

teratur.

Literaturhinweise beim Verfas- ser

Anschrift des Verfassers:

PD Dr. med. Akira Hori Institut für Neuropathologie Medizinische

Hochschule Hannover Konstanty-Gutschow-Straße 8 W-3000 Hannover 61

erzählt in feindosierten Andeu- tungen die private Geschichte einer "zur Zeit etwas ausge- fransten Existenz", ohne die Grenzen unserer vertrauten Fremdheit zu ignorieren, eine angenehme Gesprächsatmo- sphäre. Man merkt, hier spricht einer, der es gelernt hat, sich mitzuteilen, ohne peinliche Selbstpreisgabe.

Ob er sich mit Gottfried Keller beschäftigt oder mit Goethe, stets steht hinter dem, was er tut, auch der unüber- windbare Wille: "Die Gedächt- nisleistung der Sprache frisch zu halten, um den ungeheuren Speicher an innerer Mobilität, Emotionalität und Bewegungs- freiheit, den die deutsche Spra- che in ihren besten Zeiten ge- habt hat, nicht zu vergessen."

Damit verbindet er, als Profes- sor an der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich lehrend, eine gute Chance, Kontaktstörungen, verflixte Kommunikationsbrü-

che aufzuzeigen. ~

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