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Wissen Klima
Falls es Niederschlag gibt, bestimmt die Temperatur, ob dieser in Form von Schnee oder Regen fällt. Die Tempera- tur bestimmt auch, wie lange sich der Schnee am Boden hält, bevor er weg- schmilzt.
Am Beispiel des vergangenen Winters lässt sich diese Temperaturabhängig- keit einer Schneedecke gut aufzeigen.
Die häufigen und intensiven Nieder- schläge von Dezember bis Februar ha- ben am Alpennordhang für eine über- aus mächtige Schneedecke gesorgt. Im Mittelland war es während dieser Mo- nate so warm – circa 1 °C wärmer als im langjährigen Durchschnitt –, dass der meiste Niederschlag in Form von Regen fiel oder sich der wenige Schnee nicht lange halten konnte.
Drei Modelle
Der Klimawandel wird mit grosser Wahrscheinlichkeit zu wärmeren Tem- peraturen und leicht erhöhten Winter- niederschlägen führen (vgl. S. XX).
Wir zeigen am Beispiel des Kantons Graubünden, wie sich dies auf einen durchschnittlichen Winter im Zeit- raum 2070-2100 auswirken wird. Es werden hauptsächlich die Veränderun- gen im Vergleich zur Gegenwart ge- zeigt. Diese Referenzgrösse besteht aus
dem Durchschnitt der zehn Winter zwischen 2001 und 2010. Es wurde mit drei unterschiedlichen Klimamodellen gerechnet, wobei eines einen geringen (2,2 °C), eines einen mittleren (3,1 °C) und eines einen starken Temperatur- anstieg (3,9 °C) vorhersagt.
Dünnere Schneedecke
Die Analysen zeigen recht drastische Veränderungen für die Schneedecke.1 Ende Jahrhundert ist die maximale Schneehöhe pro Winter nur noch halb so hoch wie heute. Ausserdem ist zu sehen, dass sich die Dauer der Schnee- bedeckung verringert: Hat es im Refe-
renzzeitraum von 2001 bis 2010 auf etwa 2800 m noch bis Juli Schnee, so dauert die Schneebedeckung im Kan- ton Graubünden Ende Jahrhundert nur noch bis Juni.
Schneegrenze steigt
Ähnlich sehen die Resultate für die Dauer der Schneebedeckung in Ab- hängigkeit der Meereshöhe aus (Grafik oben). Nicht unerwartet ist der Rück- gang umso drastischer, je höher die Temperaturänderung ausfallen wird.
Es zeigt sich ein deutlicher Trend hin zu späterem Einschneien und dann insbesondere zu einem um einen Mo-
Schneegrenze steigt um 500 Meter
Wie mächtig eine Schneedecke wird und wie lange sie erhalten bleibt, hängt vom Niederschlag und der Temperatur ab. Die Klimaerwärmung wird zu mehr Niederschlägen im Winter führen. Weil es wärmer wird, wird die Schneedecke dünner, die Schneegrenze steigt.
Text und Grafik: Christoph Marty und Mathias Bavay, WSL-Institut für Schnee- und Lawinenforschung (SLF)
1 Da die Klimamodelle den Schnee als gefrore- nes Wasser simulieren, wird Mächtigkeit der Schneedecke häufig als Schneewasseräquiva- lent dargestellt.
0 1000 2000 3000
Höhe (m)
Schneesaison Graubünden
Jan Feb Mär Apr Mai Jun Jul
Nov Dez
Permanente Schneedecke bei starker Erwärmung Permanente Schneedecke
des Referenzwerts
Entwicklung der Dauer der Schneebedeckung im Kanton Graubünden für die Referenzperiode 2001-2010 (schwarz) und die drei Szenarien mit geringem (2,2°C blau), mittlerem (3.1°C grün) und starkem (3,9°C rot) Temperaturanstieg bis 2100. Die Doppelpfeile in der Mitte zeigen als Beispiel die Dauer der Schneebedeckung auf etwa 1600m.
Juni 2012 51 nat früheren Ausapern. Das heisst,
dass sich die heute für eine Höhen- lage und einen Zeitpunkt bekannte Schneesituation bis Ende Jahrhundert um circa 500 Meter nach oben ver- schieben wird. So kann man heute zum Beispiel Anfang März oberhalb circa 700 Metern mit einer geschlos- senen Schneedecke rechnen. Ende des Jahrhunderts wird diese Grenze auf circa 1200 Metern liegen. Dies liegt an der Verschiebung der Schneefallgren- ze nach oben und am schnelleren und damit früheren Abschmelzen der Schneedecke.
Weiterhin auch sehr kalte Winter Das Beispiel Graubünden zeigt: Die Schneebedeckung in den Alpen wird also aufgrund der steigenden Tempe- raturen bis Ende dieses Jahrhunderts stark zurückgehen.
Die Zusammenhänge rund um den Kli- mawandel sind aber komplex, darum kann es auch in Zukunft Perioden mit viel Schnee oder grosser Kälte geben.
So hat die Erwärmung der letzten Jahr- zehnte dazu geführt, dass grosse Flä- chen des arktischen Ozeans im Nord- westen Russlands im Winter nicht mehr eisbedeckt sind. Neuste For- schungsergebnisse zeigen, dass dies
dort die Bildung eines Hochdruckge- biets begünstigt, das kalte Luft nach Europa lenkt. So kann die massive Käl- tewelle in den ersten Februarwochen 2012 erklärt werden. Der Winter war aber im Durchschnitt trotzdem nicht zu kalt, weil es in der übrigen Zeit mas- siv zu warm war. Es ist deshalb gut möglich, dass es auch in Zukunft zu Kaltlufteinbrüchen kommen wird. Ur- sache für beide Tendenzen ist parado- xerweise der menschgemachte Klima- wandel.
Schneewasseräquivalent
Gletscher
>500 mm 400–500 mm 300–400 mm 200–300 mm 100–200 mm 0–100 mm 0 mm
Mittleres Schneewasseräquivalent am 15 April für den Referenzzeit- raum (2001-2010) und für Ende die- ses Jahrhunderts (unten) wie es für den mittleren Temperaturanstieg berechnet wurde. Kein oder nur we- nig Schnee ist in grünen Farbtönen wiedergegeben, viel Schnee gelb bis orange. Die Gletscher sind blau.