• Keine Ergebnisse gefunden

Archiv "Zur Stellung der deutschen Onkologie in Europa" (17.03.2000)

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Archiv "Zur Stellung der deutschen Onkologie in Europa" (17.03.2000)"

Copied!
4
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

nlässlich der Jahrestagung der Deutschen und der Österrei- chischen Gesellschaft für Hä- matologie und Onkologie im Oktober 1999 in Jena war der Autor vom Kon- gresspräsidenten, Prof. K. Höffken, gebeten worden, in der Plenarsitzung das Thema „Deutschland in Europa;

zur Stellung der deutschen Onkologie in Europa“ zu behandeln. Der folgen- de Beitrag ist eine modifizierte Versi- on dieses Referats, das in Jena eine kontroverse Diskussion auslöste und dessen Veröffentlichung an dieser Stelle eine Fortführung der Diskussi- on anregen soll.

Für seine Analyse untersuchte der Autor, wie sich deutsche Onkolo- gen, besonders die deutschen interni- stischen Onkologen in europäische Organisationen wie die European So- ciety for Medical Oncology (ESMO), die Federation of European Cancer Societies (FECS) und die European Organisation for Research and Treat- ment of Cancer (EORTC) während der letzten zwei Jahre eingebracht ha- ben. Weil eingewandt werden könnte, dass diese Organisationen nicht be- deutsam genug sind, um daraus valide Rückschlüsse auf die Position der deutschen Onkologie im internationa- len Konzert zu ziehen, wurden auch die deutschen Beiträge zum Kongress der American Society of Clinical On- cology (ASCO) berücksichtigt. Es werden dann die Fünf-Jahres-Überle- benszeiten von Patienten mit einigen ausgesuchten Krebserkrankungen be- schrieben, wie sie im vergangenen Jahr von der europäischen Kommissi- on der International Agency for Re- search on Cancer (IARC) für 17 eu- ropäische Länder im Rahmen der Eu- rocare-2-Studie publiziert wurden (8).

Zunächst sollen noch einige be- rufspolitische Anmerkungen voraus- geschickt werden. Auf die Frage, wer die internistische Onkologie in Deutschland berufspolitisch vertritt,

lautet die etwas zögerliche Antwort:

die Deutsche Gesellschaft für Hä- matologie und Onkologie (DGHO).

Wenn weiter gefragt wird, wie die DGHO den medizinischen Onkolo- gen definiert, wird die Antwort lauten:

In Deutschland gibt es die internisti- sche Onkologie als Teilgebiet der In- neren Medizin; die Teilgebietsqualifi- kation wird über eine mündliche Prü- fung vor einer Landesärztekammer erworben. Hier ist allerdings der Hin- weis angebracht, dass die Erweiterung des Teilgebiets Hämatologie in Häma- tologie-Internistische Onkologie erst vor einigen Jahren erfolgte, sodass da- von auszugehen ist, dass die Mehrzahl der DGHO-Mitglieder in leitenden Positionen die Prüfung, welche Onko- logie beinhaltet, nicht abgelegt hat, weil sie „übergeleitet“ wurde. Im Hin- blick auf eine qualifizierte Weiterbil- dung muss erwähnt werden, dass es in Deutschland bislang keinerlei ver- bindliche Kriterien gibt, wie diese strukturiert sein und welche Weiterbil- dungsinhalte sie umfassen sollte. Die- ses nicht nur für Deutschland spezifi- sche Vakuum hat sich die European Society for Medical Oncology (ESMO) durch Einführung des ESMO-Exa- mens angenommen, das seit 1979 jähr- lich anlässlich der ESMO- und FECS- Kongresse angeboten wird. ESMO hat darüber hinaus ein System zur konti- nuierlichen Rezertifizierung in Fünf- Jahres-Abständen eingeführt sowie detaillierte Vorschläge gemacht, wie Kliniken beschaffen sein und welche Weiterbildungsinhalte vermittelt wer- den müssen, um eine qualifizierte Wei- terbildung des medizinischen Nach- wuchses zu ermöglichen (9). ESMO definiert den medizinischen Onkolo- gen wie folgt:

❃Grundlegende Weiterbildung in Innerer Medizin mit sich anschließen- der Spezialisierung für eine umfassen- de Versorgung von Patienten mit bös- artigen Erkrankungen,

❃ Weiterbildung in den wissen- schaftlichen Grundlagen der Onkolo- gie, in Diagnostik, multidisziplinärer Therapie, Therapieforschung, Thera- pieevaluation,

❃Weiterbildung in palliativer Me- dizin und psychosozialer Betreuung.

Einbindung in

internationale Aktivitäten

Wenn ESMO versucht, eine Vor- reiterrolle für die internistische Onko- logie in Europa zu übernehmen, mag die Frage berechtigt sein, wie groß das Interesse der deutschen internisti- schen Onkologen an dieser Gesell- schaft ist. ESMO hat zur Zeit 2 750 Mitglieder aus 81 Ländern. Etwa jedes vierte Mitglied hat das ESMO-Ex- amen abgelegt. Bezogen auf die Be- völkerungszahl stellen England und Deutschland die geringste (2,0 be- ziehungsweise 2,8 pro 1 Million Ein- wohner), Frankreich, die Niederlande, Italien und Spanien eine deutlich höhere Mitgliedszahl (4,0 bis 5,5). Et- wa jedes sechste DGHO-Mitglied ist Angehöriger von ESMO. 19 von 34 Direktoren universitärer Abteilungen für Onkologie und Hämatologie sind ESMO-Mitglieder, fünf von ihnen ha- ben das ESMO-Examen abgelegt. Un- ter den Chefärzten nichtuniversitä- rer Abteilungen ist das Interesse an ESMO-Aktivitäten bezüglich Mit- gliedschaft und Examen geringer.

Es könnte eingewandt werden, dass solche Zahlen wenig besagen, dass Angaben zur deutschen Betei- ligung an ESMO-Kongressen auf- schlussreicher sind. Auf dem letzten ESMO-Kongress in Athen (1998, 5 800 Teilnehmer; 760 Abstracts) stell- ten die Deutschen – wiederum bezo- gen auf die Bevölkerungszahl – im Vergleich zu England, Frankreich, den Niederlanden, Italien und Spanien das kleinste Kontingent. Bezüglich der ak- A-689

T H E M E N D E R Z E I T AUFSÄTZE

Deutsches Ärzteblatt 97,Heft 11, 17. März 2000

Zur Stellung der deutschen

Onkologie in Europa

Dieter K. Hossfeld

A

(2)

tiven Beteiligung am Kongressgesche- hen (Anzahl der eingereichten Ab- stracts pro Teilnehmer, Anzahl der aus den Abstracts ausgewählten Vorträge, Anzahl der eingeladenen Referenten) nahm Deutschland einen Mittelplatz ein.

Ähnlich ist die deutsche Reprä- sentation in der Federation of Euro- pean Cancer Societies (FECS) zu se- hen. Die FECS, mit Sitz in Brüssel, ist die Dachorganisation der European Association for Cancer Research (EARC), der European Oncology Nursing Society (EONS), der Euro- pean Society of Surgical Oncology (ESSO), der European Society for Medical Oncology (ESMO), der Eu- ropean Society of Therapeutic Radio- logy and Oncology (ESTRO) und des European Branch of the Internatio- nal Society of Paediatric Oncology (SIOP). FECS repräsentiert mehr als 12 500 Ärzte, Wissenschaftler und Pflegepersonen. Der letzte Kongress der FECS, bekannter unter dem Na- men ECCO (European Conference on Clinical Oncology), fand im Sep- tember letzten Jahres in Wien statt.

Mehr als 7 700 Teilnehmer hatten 1 600 Abstracts eingereicht. Hinsicht- lich der Teilnehmerzahl rangierte Deutschland – bezogen auf die Be- völkerungszahl – im Mittelfeld, hin- sichtlich der Anzahl der Abstracts pro Teilnehmer, Anzahl der Vorträge, Anzahl der eingeladenen Referenten lag Deutschland hinter England, Frankreich, Italien, den Niederlan- den und Spanien. Diese Angaben be- ziehen sich auf die gesamte Onkolo- gie-Szene, einschließlich der interni- stischen Onkologie.

Um dem Einwand zu begegnen, dass die europäischen Konferenzen für die deutschen Onkologen zu unbe- deutend seien, wurde die Beteiligung am Kongress der American Society of Clinical Oncology (ASCO), der im letzten Jahr in Atlanta stattfand (15 600 Teilnehmer; 2 490 Abstracts), untersucht. Legt man die gleichen Kri- terien zugrunde wie für die ESMO- und ECCO-Kongresse, ergibt sich ein sehr ähnliches Gesamtbild.

Eine andere Möglichkeit, die Stellung der deutschen Onkologie in Europa zu beschreiben, bietet die European Organisation for Research and Treatment of Cancer (EORTC).

Verglichen mit England, Frankreich, den Niederlanden und Italien hat kein Land im Jahre 1998 relativ und absolut weniger Patienten in EORTC-Studien eingebracht als Deutschland. In kei- nem dieser Länder gibt es weniger EORTC-affiliierte Institutionen als in Deutschland. Eine EORTC-affiliierte Institution ist definiert als ein Klini- kum, das sich an mindestens zwei EORTC-Studien beteiligt und minde- stens 15 Patienten jährlich in diese Studien einbringt.

Eine Zusammenfassung der vor- gelegten Daten besagt, dass im Ver- gleich namentlich mit Frankreich, den Niederlanden und Italien in Deutsch- land deutlich weniger ESMO-zertifi- zierte internistische Onkologen arbei- ten, dass die deutsche Onkologie auf internationalen Konferenzen unterre- präsentiert ist und dass die deutsche Einbindung in EORTC-Studien gera- dezu kümmerlich ist.

Therapieresultate im internationalen Vergleich

Die entscheidende Frage ist, ob diese Daten die Versorgung der Pa- tienten in Deutschland tangieren. Die derzeit einzige Möglichkeit zur Be- antwortung dieser Frage bietet die Eurocare-2-Studie, die kürzlich von der European Commission der Inter- national Agency for Research on Cancer veröffentlicht wurde (8). Der Schwachpunkt dieser Untersuchung ist, dass wegen des Fehlens flächen- deckender nationaler Krebsregister in den meisten der in dieser Studie berücksichtigten 17 Länder Extrapo- lationen vorgenommen werden muss- ten. So beruhen die Angaben zum Verlauf von Krebserkrankungen bei Erwachsenen aus Deutschland aus- schließlich auf Erhebungen des saar- ländischen Krebsregisters. An dieser Stelle sollen nur die Fünf-Jahres-Über- lebensraten der häufigsten Krebs- erkrankungen benannt und in Rela- tion zu England, Frankreich, den Nie- derlanden, Italien und Spanien ge- setzt werden. Bezüglich des Lungen- karzinoms nimmt unter diesen Län- dern Deutschland den vierten Platz, des kolorektalen Karzinoms den drit- ten Platz, des Mammakarzinoms den vierten Platz, des Zervixkarzinoms

den dritten Platz und des Kopf-Hals- Karzinoms den vierten Platz ein. Ei- nen Spitzenplatz bekommt Deutsch- land bei dem Prostatakarzinom zuge- wiesen. Gesamthaft haben die Nie- derlande die besten Resultate vorzu- legen, während England am schlech- testen abschneidet. Für die Misere in England werden unter anderem öko- nomische Probleme und ein Mangel an Strahlentherapeuten sowie an in- ternistischen Onkologen verantwort- lich gemacht (6).

Schlussfolgerungen, Perspektiven

Der Autor gelangt zu dem Resü- mee, dass Deutschland, gemessen an seiner Größe, seinem Bruttosozialpro- dukt und den für das Gesundheitswe- sen aufgewandten Kosten bezüglich der onkologisch-klinischen Forschung und der Therapieresultate bei onkolo- gischen Erkrankungen in Europa ei- nen untergeordneten Platz einnimmt.

Es soll im Folgenden nach den mögli- chen Ursachen dieser Situation ge- fragt werden.

Eine der Ursachen ist die Stel- lung der internistischen Onkologie in Deutschland, die nie stark war und die in den letzten Jahren immer schwächer wurde. Der Autor, der sich lange für ein Zusammengehen der Hämatologie mit der internistischen Onkologie eingesetzt hatte, glaubt in- zwischen, dass mit der Adoption der internistischen Onkologie durch die Deutsche Gesellschaft für Hämatolo- gie ein gravierender strategischer Fehler gemacht wurde. Die Adoption war eine Reaktion auf die aufrütteln- de Publikation von Schmidt und Scheerer 1975 im Deutschen Ärzte- blatt „Zur Situation der Onkologie in Deutschland“ (5) und auf die Grün- dung der Arbeitsgemeinschaft Inter- nistische Onkologie in der Deut- schen Krebsgesellschaft. Retrospek- tiv ist festzustellen, dass damals eine Deutsche Gesellschaft für Internisti- sche Onkologie hätte etabliert wer- den müssen, so wie es in den letzten Jahren in neun von 15 Ländern der Europäischen Union geschah. In der Schweiz wurde kürzlich die Hämato- logie von der internistischen Onkolo- gie abgetrennt.

A-690

T H E M E N D E R Z E I T AUFSÄTZE

Deutsches Ärzteblatt 97,Heft 11, 17. März 2000

(3)

Dass die Adoption der internisti- schen Onkologie durch die Deutsche Gesellschaft für Hämatologie ein Fehler war, hat zwei Wurzeln. Erstens wurde die internistische Onkologie mit Chemotherapie gleichgesetzt;

Chemotherapie war die Domäne der Hämatologen, die auf eindrucksvolle Therapieresultate bei Patienten mit Leukämien und Lymphomen verwei- sen konnten; im Vordergrund der Chemotherapietoxizität steht die Hä- matotoxizität; aus diesen Aspekten wurde abgeleitet, dass die internisti- sche Onkologie zur Hämatologie gehört. Es wurde nicht realisiert, dass es zwischen hämatologischen und on- kologischen Erkrankungen funda- mentale Unterschiede gibt, und unter diesen ragt der unabdingbare Zwang zur Multi- und Interdisziplinarität für den Onkologen heraus, dem ein ver- gleichsweise fast autistisches Denken und Handeln des Hämatologen bei der Versorgung von Leukämiepatien- ten gegenübersteht. Die Mehrheit der in verantwortlicher Position stehen- den Hämatologen hat diese Spezifika der internistischen Onkologie nicht erkannt, folglich nicht umgesetzt und dadurch deren Entwicklung behin- dert.

In einem inhaltlichen Zusammen- hang damit steht die zweite Fehlent- wicklung. Zumindest an deutschen Universitätskliniken hat sich die „or- ganorientierte“ Onkologie in einer in Europa einzigartigen Weise durchge- setzt. Das betrifft nicht nur gynäkolo- gische und urologische Tumorerkran- kungen sowie die der Neurologie, En- dokrinologie, des Kopf-Hals-Berei- ches, sondern auch Tumorerkrankun- gen der Lunge und des Gastrointesti- naltraktes. Gefördert wurde diese Ent- wicklung durch eine scheinheilige Be- rufungspolitik nicht weniger deutscher Fakultäten. Diese haben, auch um

„modern“ zu erscheinen, zwar Lehr- stühle für Hämatologie und Onkolo- gie ausgeschrieben; berufen wurden aber meistens Personen, die einen ein- deutigen hämatologischen Schwer- punkt bekundeten, um „Interessens- konflikte“ mit anderen Fächern von vornherein auszuschalten. Es gab ver- einzelte Bestrebungen, diese Schein- heiligkeit abzulegen, das Kind beim Namen zu nennen und dem wieder zu besetzenden hämatologisch-onkologi-

schen Lehrstuhl nur noch die Hämato- logie zuzuweisen, worauf dann aber verzichtet wurde.

Weil Onkologie im Interesse der Patienten unausweichlich inter- und multidisziplinär betrieben werden muss, auch weil es im Eid des Hippo- krates heißt: „Auch werde ich den Bla- senstein nicht operieren, sondern es denen überlassen, deren Gewerbe es ist“, wurden durch die Berufungspoli- tik vieler deutscher Fakultäten Wei- chen gestellt, die die Position der in- ternistischen Onkologie für die näch- sten 10 bis 20 Jahre negativ prägen werden. Und das, obgleich der Anteil der Patienten mit soliden Tumoren um den Faktor 100 über dem hämatologi- scher Erkrankungen liegt und damit gerechnet wird, dass in zehn Jahren Krebs die häufigste Todesursache sein wird. Hinzu kommt, dass die Zerfled- derung der Onkologie durch die Or- ganspezifizierung eine umfassende on- kologische Weiterbildung des medizi- nischen Nachwuchses massiv behin- dern wird. Und über allem steht die allgemeine Überzeugung, dass die optimale Anwendung unseres aktuel- len Wissens innerhalb eines multi- modalen Konzeptes den Krebspatien- ten auch in den nächsten 10 bis 20 Jahren mehr Heilung oder Linderung ermöglichen wird als alle derzeitigen experimentellen Therapieansätze zu- sammen.

Defizite in der

deutschen Onkologie

Es herrscht ein bedrückender Mangel an Institutionen für Wirk- stoffentwicklungen, obwohl wir in ei- nem Land leben, das über eine Fülle hervorragender Chemiker verfügt, die überaus erfinderisch sind. Weder die Deutsche Forschungsgemein- schaft noch andere Fördereinrich- tungen sahen sich in der Lage, die von der Arbeitsgemeinschaft Interni- stische Onkologie der Deutschen Krebsgesellschaft angestoßene Initia- tive zur Wirkstoffentwicklung fort- zuführen.

Es fehlt an den Kliniken die not- wendige Infrastruktur zur Durch- führung klinischer Studien (4, 7). Die deutsche forschende Pharmaindustrie findet zu wenige adäquat ausgestatte-

te Einrichtungen, sodass originelle deutsche Wirkstoffentwicklungen zur Prüfung ins Ausland vergeben wur- den und werden. Es wird in Deutsch- land unverändert der Respekt vor der Bedeutung klinischer Therapiefor- schung vermisst. Dabei liegt der Un- terschied zwischen dem Grundlagen- forscher und klinischen Forscher im Wesentlichen im Objekt, nämlich Maus beim ersteren und Mensch beim letzteren. Es ist daran zu erinnern, dass wir beispielsweise die Molekular- biologie des Burkitt-Lymphoms in- zwischen sehr genau kennen, dass der Anstieg der Heilungsrate von 20 auf 90 Prozent innerhalb der vergangenen 20 Jahre jedoch alleine der klinischen Forschung zuzuschreiben ist. Die in den 80er-Jahren politisch geprägte Vorgabe, wonach jedem Krebspatien- ten überall (wohnortnahe Versor- gung) eine optimale Versorgung zu garantieren ist, bedarf einer Revision.

Es ist mehrfach nachgewiesen wor- den, dass es eine positive Korrelation zwischen Umfang der Erfahrung und Therapieergebnissen gibt (1, 2). Dar- aus folgt, dass zumindest Patienten mit potenziell kurativen Erkrankun- gen und Patienten mit hohem Risiko für eine Rezidiventwicklung zentriert werden müssen. Diese Zentrierung von Patienten schafft andererseits die Voraussetzung für die Durchführung klinischer Forschung. Um die klini- sche Forschung auch praxisorientiert gestalten und die notwendigen Nach- sorgeuntersuchungen vornehmen zu können, müssen die Kliniken für die ambulante Versorgung zugelassen werden.

Was dringlich in Deutschland benötigt wird, sind ein nationales um- fassendes Krebsregister und regionale Tumorregister. Das eine liefert über- wiegend epidemiologische Daten, die letzteren sind das entscheidende In- strument zur Messung der Qualität der Krankenversorgung. Die Überbe- tonung individueller Rechte behindert die Einrichtung derartiger Register, behindert aber auch die klinische For- schung und damit den medizinischen Fortschritt. Auf Evidenz basierende Medizin kann nur durch klinische Stu- dien, nicht aber durch individuelle Heilversuche etabliert werden.

Ein weiteres, vom Autor als be- drückend empfundenes Problemfeld A-695

T H E M E N D E R Z E I T AUFSÄTZE

Deutsches Ärzteblatt 97,Heft 11, 17. März 2000

(4)

ist kein deutsches Spezifikum, viel- mehr ein fast paneuropäisches. Es be- trifft die so genannte Palliativmedizin.

Bis auf weiteres wird gelten, dass On- kologen nur selten heilen, aber häufig helfen und immer trösten können.

Helfen und Trösten prägen ganz we- sentlich den Begriff der Palliation, so- dass diese Tätigkeiten einen integra- len Aspekt des Berufs eines Onkolo- gen darstellen. Palliation ist weit mehr als die Umsorgung des Patienten in seiner letzten Lebensphase. Für viele Patienten beginnt die Palliation, wenn sie richtig verstanden wird, schon mit der ersten Begegnung ihres Onkolo- gen. Es sind diese und andere Gründe, die den internistischen Onkologen veranlassen müssten, die Palliation krebskranker Patienten nicht Anäs- thesisten, Hospizen und Sterbeklini- ken zu überlassen.

Es ist fraglich, ob es in Deutsch- land in den nächsten Jahren gelingt, die Onkologie im Allgemeinen zu ver- bessern und insbesondere der interni- stischen Onkologie den Stellenwert zu- zuordnen, den sie neben der chirurgi- schen Onkologie und der Radioonko- logie benötigt. Die Grundlage der in- ternistischen Onkologie, die Pharma-

kotherapie, ist in Deutschland in ei- nem rechtlich unbefriedigend definier- ten Raum angesiedelt, den zu betreten die Approbation genügt. Der Autor setzt auf die Etablierung der internis- tischen Onkologie durch die Euro- päische Union ebenso wie auf die Einführung verpflichtender Weiterbil- dungs- und Fortbildungskriterien, so wie sie in den USA seit Jahrzehnten üblich sind. Er setzt auch auf die Be- völkerung, die unter anderem durch Zugang zum Internet immer infor- mierter wird und den Onkologen nach seinen Qualifikationsmerkmalen fra- gen wird. Er setzt schließlich auf den medizinischen Nachwuchs, der spürt, welche faszinierende Dynamik die On- kologie charakterisiert. Dies kommt unter anderem darin zum Ausdruck, dass in den USA die internistische On- kologie nach der Kardiologie und Ga- stroenterologie das Teilgebiet der In- neren Medizin ist, für das die meisten Prüfungen abgelegt wurden; die Hä- matologie lag an Position neun (3).

Zitierweise dieses Beitrags:

Dt Ärztebl 2000; 97: A-689–696 [Heft 11]

Literatur

1. Begg CB et al.: Impact of hospital volume on operative mortality for major cancer sur- gery. JAMA 1998; 280: 1 747–1 751.

2. Collette L et al.: Impact of the treating insti- tution on survival of patients with „poor- prognosis“ metastatic nonseminoma. J Natl Cancer Inst 1999; 91: 839–846.

3. Kennedy BJ: Medical oncology. Its origin, evolution, current status, and future. Cancer 1999; 85: 1–8.

4. Queißer W: Zum Dilemma der klinischen Forschung in Deutschland. Onkologie 1996;

19: 354–359.

5. Schmidt CG, Scherer E: Zur Situation der Onkologie in Deutschland. I. Die Situation der Klinischen Onkologie. Dt Ärztebl 1975;

27: 2 009–2 019.

6. Sikora K: Cancer survival in Britain. Br Med J 1999; 319: 461–562.

7. Strohmeyer T, Weißbach L: Arzneimittel- entwicklung in der Onkologie. Status und Ausblick unter besonderer Berücksichti- gung des Standorts Deutschland. Dtsch Med Wschr 1999; 124: 231–235.

8. Survival of cancer patients in Europe: The EUROCARE-2 study. IARC Scientific Pu- blications No. 151 1999.

9. Wagener DJT, Vermorken JB, Hansen HH, Hossfeld DK: The ESMO programme of certification and training for medical onco- logy. Ann Oncol 1998; 9: 585–597.

Anschrift des Verfassers

Prof. Dr. med. Dieter Kurt Hossfeld Abteilung Onkologie und

Hämatologie

Universitätskrankenhaus Eppendorf Martinistraße 52 · 20251 Hamburg

A-696

T H E M E N D E R Z E I T AUFSÄTZE/FÜR SIE REFERIERT

Deutsches Ärzteblatt 97,Heft 11, 17. März 2000

Nabelkoliken, definiert als rezidi- vierende Bauchschmerzen, die minde- stens dreimal innerhalb eines Beobach- tungszeitraums von drei oder mehr Monaten auftreten und die normale Aktivitäten nicht zulassen, werden von Kindern häufig geklagt. Neben dem

„Schulstress“ wird auch eine akute Helicobacter-pylori-Gastritis als Aus- löser diskutiert. Die Autoren unter- suchten in einer prospektiven Studie die Prävalenz einer Helicobacter-pylo- ri-Infektion mittels Serologie und 13C- Harnstoff-Atemtest bei 100 Kindern mit rezidivierenden Bauchschmerzen und 100 gesunden Kontrollen. Die se- rologischen Tests waren nur bei drei Prozent beziehungsweise zwei Prozent positiv, der Atemtest bei vier bezie- hungsweise fünf Prozent, sodass die Autoren zu dem Schluss kommen, dass zwischen einer Helicobacter-pylori-In- fektion und rezidivierenden Nabelkoli- ken kein Zusammenhang besteht. w Macarthur C, Saunders N, Feldmann W, Ipp M, Winders-Lee P, Roberts S, Best L, Shermann P, Pencharz P, van Zanten SV:

Helicobacter pylori and childhood recur- rent abdominal pain: community based case control study. Brit med J 1999; 319:

822–823.

Department of Community, Health Sciences Center Calgery, Alberta, Kana- da T2N 4N1.

Nabelkoliken und Helicobacter pylori

Die klassische Fundoplicatio wird zunehmend durch das laparo- skopische Vorgehen abgelöst. An der Indikationsstellung hat sich dabei nichts geändert. Die Autoren berich- ten über Ergebnisse der klassischen Fundoplicatio nach Nissen bei 35 725 Patienten mit Refluxösophagitis, wo- bei zwischen einer erosiven Ösopha- gitis und einer Ösophagitis mit Ulzera und peptischen Strikturen differen- ziert wurde. Von den Patienten mit komplizierter erosiver Ösophagitis wurden 542 mit einer Fundoplicatio versorgt, 5 064 wurden konservativ behandelt. Die durchschnittliche Nachbeobachtungszeit betrug 4,2 Jahre (1 bis 12 Jahre), ferner wurden die Kosten für das Gesundheitswesen analysiert. Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass nur die Patienten mit Ösophagus-Ulzera und Striktu-

ren von einer Fundoplicatio profitie- ren, nicht jedoch Patienten ohne die- se Komplikationen. Durch den ope- rativen Eingriff kam es nicht zu einer Abnahme der Kosten im Gesund-

heitswesen. w

El-Serag HB, Sonnenberg A: Outcome of erosive reflux esophagitis, after nissen fundoplication. Am J Gastroenterol 1999; 94: 1771–1776.

Department of Veterans Affairs Medical Center and The University of New Mexi- co, Albuquerque, New Mexico, USA.

Fundoplicatio bei

Refluxösophagitis

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Randomized phase III trial of three versus six cycles of adjuvant carboplatin and paclitaxel in early stage epithelial ovarian carcinoma: a Gynecologic Oncology Group study..

In one large randomized phase III study (in patients with G2–3, deep, >5 cm soft tissue sarcomas), regional hyperthermia in addition to systemic chemotherapy was associated with

Patients not entering complete remission after induction therapy are at high risk for failure of treatment and should be considered candidates for allogeneic transplantation.. The

Autologous or allogeneic bone marrow transplantation compared with intensive chemotherapy in acute myelogenous leukemia. Stone RM, O’Donnell MR,

Randomized phase III trial of three versus six cycles of adjuvant carboplatin and paclitaxel in early stage epithelial ovarian carcinoma: a Gynecologic Oncology Group study..

Therefore, adjuvant chemotherapy is not standard treatment in adult-type soft tissue sarcomas, and can be proposed as an option to the high- risk individual patient (having a

Human leucocyte antigen (HLA) typing should be performed on patients who are candidates for an allogeneic bone marrow or stem cell transplant, and should include their family

EGFR-Inhibitoren im Vergleich Beim Jahreskongress der European Society for Medical Oncology (ESMO) in Madrid sind Daten einer großen prospektiven, randomisierten