• Keine Ergebnisse gefunden

Archiv "Zigarettenrauchen: Die Einstellung hat sich geändert" (26.10.1989)

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Archiv "Zigarettenrauchen: Die Einstellung hat sich geändert" (26.10.1989)"

Copied!
2
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

DAS EDITORIAL

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Zigarettenrauchen

Die Einstellung hat sich geändert

Rainer Tälle

I)

ie Meldungen sind widersprüchlich:

Einerseits hört man, der Anteil der Raucher in der Bevölkerung gehe zurück; andererseits soll es mehr starke Raucher und Kettenraucher geben. Manche Länder melden einen abneh- menden Tabakkonsum, andere eine Zunahme.

Die einen prangern die gesundheitsschädigende Wirkung des Zigarettenrauchens mit unvermin- derter Heftigkeit an, während andere bereits das Bild einer raucherfreien Gesellschaft ausmalen.

Ist das Zigarettenrauchen rückläufig?

Was ist nun richtig? Ob das Zigarettenrau- chen rückläufig ist, läßt sich nicht mit einem Satz beantworten. Tatsächlich gehen die Konsumzah- len in einigen westlichen Ländern zurück, am deutlichsten und schon seit gut zwanzig Jahren in den USA, wo nur noch 29 Prozent der Er- wachsenen rauchen. Dieser Trend ist auch in Großbritannien und in den skandinavischen Ländern festzustellen, aber nicht in den meisten übrigen westlichen Ländern. In den Ostblock- staaten und vermutlich auch in der Mehrzahl der Entwicklungsländer nimmt der Zigarettenkon- sum weiter zu.

Die Bundesrepublik nimmt eine Mittelstel- lung ein. Die Konsumkurve, die jahrzehntelang anstieg, flachte in den 70er Jahren ab und scheint nun ein Plateau erreicht zu haben. 1987 wurden 118 Milliarden Zigaretten verkauft, hin- zu kommen zirka 14 Milliarden, die aus Fein- schnittabak selbst gedreht wurden. Das bedeutet zirka 2000 Zigaretten pro Kopf jährlich oder 2600 je Bundesbürger über 15 Jahre. Die Zahlen

schwanken ein wenig von Jahr zu Jahr, ein ein- deutiger Rückgang ist bisher in der Bundesrepu- blik nicht festzustellen.

Wie viele Menschen rauchen, ist statistisch schwer zu ermitteln. Die deutschen Bundeslän- der haben in den letzten Jahren wiederholt Re- präsentativbefragungen durchgeführt. Diese zei- gen, daß die Raucherrate nicht mehr bei 50 Pro- zent liegt, sondern nur noch zwischen 35 und 40 Prozent. Der Rückgang betrifft vor allem rau- chende Männer. Frauen, die früher in kleinerer Zahl und weniger intensiv rauchten, haben in- zwischen aufgeholt; die Geschlechtsdifferenz ist kleiner geworden. Besonders schwerwiegend ist die Feststellung, daß das Rauchen unter Kindern und Jugendlichen weiter zunimmt.

Die Epidemiologie des Rauchens ergab zahl- reiche interessante Befunde, die in der einschlä- gigen Literatur nachzulesen sind, zum Beispiel über frauenspezifische Rauchergewohnheiten.

Inzwischen hat sich eine Einstellungsände- rung abgezeichnet: Rauchen wird nicht mehr stillschweigend toleriert. Nicht mehr das Rau- chen gilt als selbstverständlich, sondern das Nicht-Rauchen. Wurde früher den Anwesenden das Passivrauchen ungefragt zugemutet, wird heute von Rauchern Verzicht erwartet. Wo frü- her um Rücksicht gebeten wurde, wird heute Nicht-Rauchen selbstverständlich durchgesetzt.

Die Raucher sind in die Minderheit geraten, was die zitierten Raucherraten ebenso deutlich zeigen wie die kleinere Zahl der Raucherabteile in den Eisenbahnzügen. Das gilt allerdings mehr für den öffentlichen Bereich. Aber auch in den privaten Gepflogenheiten zeichnet sich allmäh- lich der Umschwung ab. Wer bietet zum Beispiel seinen Gästen noch Zigaretten an?

Unter diesen Bedingungen wird es auch für den Arzt leichter, seine Patienten auf das Rau- chen, die gesundheitlichen Schäden des Tabaks, die Vorteile der Abstinenz und die heutigen Dt. Ärztebl. 86, Heft 43, 26. Oktober 1989 (31) A-3167

(2)

1

Möglichkeiten der Entwöhnung anzusprechen.

Dabei denken Ärzte realistisch und gehen um- sichtig vor. Tabak ist giftig, und Nikotin macht abhängig; zugleich aber ist die Zigarette ein Ge- nußmittel und ein Psychopharmakon, auf das mancher Raucher schwer verzichten kann. Des- halb bedürfen viele Raucher einer systemati- schen Entwöhnung.

Über die Methoden der Raucherentwöh- nung gibt es inzwischen umfangreiche Erfahrun- gen, so daß gezieltes Vorgehen empfohlen wer- den kann. Der Entwöhnungsprozeß ist ein kom- plexer Vorgang. Voraussetzung ist immer eine uneingeschränkte Motivation zur Abstinenz.

Entschluß und Durchhaltevermögen sind für den Erfolg mehr entscheidend als die Vorgehenswei- se im einzelnen.

Manche Raucher sind erfolgreich in der Selbstentwöhnung, insbesondere mit der Punkt- Schluß-Methode. Aber auch bei diesen sind Be- stätigung und Verstärkung durch den Arzt indi- ziert, zumal die Umgebung eher im entgegenge- setzten Sinne auf den Ex-Raucher einwirkt.

Die systematische Raucherentwöhnung ver- zichtet heute praktisch ganz auf Medikamente und bedient sich bevorzugt der Verhaltenstherapie.

Die Programme werden aus verschiedenen verhal- tenstherapeutischen Elementen (Bausteine) zu- sammengestellt, zum Beispiel Erhöhen der kogni- tiven Dissonanz, Raucherverhaltensanalyse, Reizkontrolle, systematische Desensibilisierung, Durchbrechen von Verhaltensketten, Selbstver- stärkung beziehungsweise Selbstbestrafung sowie vertragliche Vorsatzbildung. Diese Programme der Raucherentwöhnung, die auch in Gruppen durchzuführen sind, finden zunehmend Interesse.

Die Erfolgsraten liegen unmittelbar nach der Ent- wöhnungstherapie sehr hoch, danach sinken sie erwartungsgemäß ab, betragen aber bei Katamne- sen nach mehreren Jahren immer noch um 30 Pro- zent. Zwar werden viele rückfällig; aber auch bei diesen ist positiv zu werten, daß sie eine Zeitlang nicht Tabak konsumierten und manche nun weni- ger rauchen als früher.

Entwöhnung in zwei Schritten

Neuerdings wurde die Raucherentwöhnung durch einen Kunstgriff verbessert, der von fol- gender Überlegung ausgeht: Beim gewohnheits- mäßigen Zigarettenrauchen besteht sowohl eine physische Abhängigkeit (erkennbar unter ande- rem an Nikotinabstinenzsymptomen) als auch ei- ne psychische Abhängigkeit (Nicht-aufhören-

Können, Zigarettengier, craving). Beides greift ineinander, was die Entwöhnung erschwert. Da- her versucht man nun, die beiden Vorgänge zeit- lich voneinander getrennt zu beeinflussen. Zu- erst wird die psychische Abhängigkeit, also die Gewöhnung an den sb häufig geübten Vorgang des Rauchens, mittels der geschilderten Verhal- tenstherapie in Angriff genommen. Um dem Pa- tienten dabei den Verzicht auf die Zigarette zu erleichtern, wird ihm vorübergehend Nikotin auf andere Weise zugeführt. Das geschah eine Zeit- lang mit Nikotinkaugummi. Bald wird hierzu die transdermale Applikation mittels Nikotin-Pfla- ster bevorzugt werden. Erst wenn der Patient von seiner „lieben Gewohnheit" des Rauchens abgekommen ist, wird ihm schrittweise auch der Nikotinentzug zugemutet, indem er Pflaster mit geringerer Dosierung erhält. Dieses zweischritti- ge Vorgehen hat sich bewährt. Es ist auch geeig- net, unschlüssigen Rauchern Mut zur Entwöh- nung zu machen.

Raucherentwöhnung wird heute an vielen Orten angeboten, auch von Gesundheitsämtern und Volkshochschulen. Diese Möglichkeiten zu nutzen, liegt um so mehr im Interesse des einzel- nen und der Allgemeinheit, als sich die Erfolgs- aussichten mit der veränderten Einstellung zum Rauchen weiter verbessern dürften. Gesundheit- lich lohnt sich das Abstinentwerden immer; denn selbst nach langem Rauchen können sich Organ- schäden in der Abstinenz zurückbilden.

Vor einigen Monaten kündigte die Bundes- gesundheitsministerin an, sie werde nicht weiter gegen das Rauchen beziehungsweise die Rau- cher vorgehen, denn jeder müsse selbst wissen, was er tue oder unterlasse. Ärztlich kann solcher Liberalität nicht zugestimmt werden. Denn der Raucher weiß oft nicht, was er sich antut; er ver- drängt das Gesundheitsrisiko, von dem der Arzt weiß. Der Raucher kann zumeist nicht einfach aufhören, aber der Arzt weiß, wie er den Patien- ten unterstützen kann, seinen Entschluß zur Ab- stinenz in die Tat umzusetzen. Es hängt also auch von ärztlichen Initiativen ab, ob das Rau- chen zurückgehen wird.

Literatur

1. Buchkremer, G. und Bents, H.: Raucherentwöhnung: Psycholo- gische und pharmakologische Methoden. Deutsch. Med. Wschr.

112 (1987) 159-164

2. Tölle, R. und Buchkremer, B.: Zigarettenrauchen: Epidemiolo- gie, Psychologie, Pharmakologie und Therapie. 2. Aufl. (1989) Berlin Heidelberg New York: Springer

Prof. Dr. med. Rainer Tölle

Klinik für Psychiatrie der Universität Albert-Schweitzer-Straße 11

4400 Münster A-3168 (32) Dt. Ärztebl. 86, Heft 43, 26. Oktober 1989

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Diese Daten ließen befürchten, daß das Zigarettenrau- chen für eine weiter wachsende und globale Epidemie verantwortlich und auch Passivrauchen gesundheitsge- fährdend sei..

Freilich kann genau diese Hoff- nung auf ein Nachlassen der Fla- granz der Sucht auch zum Argument gegen Methadon werden, denn es scheint sich immer deutlicher her- auszustellen,

Die orale Gabe von 3 x 250 mg Erythromycin war während einer 4wöchigen probatorischen Therapie nicht so effektiv wie die intravenöse Applikation, führte jedoch ebenfalls zu

Da hat mich genau jener Diskussionsbeitrag eher über- zeugt, daß eben dann, wenn mehr rote Hüte verkauft werden als schwarze, auch vermehrt derartige Bedeckungen roter Farbe auf

Die symptomlimitierte ergometrische Belastungsintensität war in einem schlecht gelüfteten rauchigen Raum 22 Prozent und in einem nicht gelüfteten rauchigen Raum sogar 38

Daß da- bei trotz aller Schemata und Emp- fehlungen bei jedem einzelnen- Kranken immer wieder ein anderer therapeutischer Ansatz in Frage kommen kann, macht die Behand- lung

Patienten mit bioptischer Sicherung erhielten für 10 Tage Vidarabine (15 mg/kg über 12 Stunden) infun- diert; konnte das Virus nicht isoliert werden, so wurde die Therapie nach

Bei Töchtern von Müttern , die in der Schwangerschaft mit dem syn- thetischen Östrogen Diäthylstilbö- strol (DÄS) behandelt worden wa- ren , traten in einzelnen Fällen erst nach