Einheit 10:
offene Handels- gesellschaft (oHG)
Gesellschaftsrecht im Überblick
Univ.-Professor Dr. Timo Fest, LL.M. (Pennsylvania)
Übersicht zur heutigen Veranstaltung Einheit 10: oHG
I. Einführung
II. Systematik der §§ 105 ff. HGB III. Geschäftsführung
IV. Stellvertretung
V. Persönliche Haftung der Gesellschafter VI. Gesellschafterwechsel
VII. Auflösung der oHG
I. Einführung Einheit 10: oHG
Was ist eine offene Handelsgesellschaft (oHG)?
Die Antwort gibt § 105 I HGB:
„Eine Gesellschaft, deren Zweck auf den Betrieb
eines Handelsgewerbes unter gemeinschaftlicher
Firma gerichtet ist, ist eine offene Handelsgesell-
schaft, wenn bei keinem der Gesellschafter die
Haftung gegenüber den Gesellschaftsgläubigern
beschränkt ist.“
I. Einführung Einheit 10: oHG
Was ist eine offene Handelsgesellschaft (oHG)?
Die Antwort gibt § 105 I HGB:
„Eine Gesellschaft, deren Zweck auf den Betrieb eines Handelsgewerbes unter gemeinschaftlicher Firma gerichtet ist, ist eine offene Handelsgesell- schaft, wenn bei keinem der Gesellschafter die Haftung gegenüber den Gesellschaftsgläubigern beschränkt ist.“
Die Vorschrift nennt vier Voraussetzungen:
1. „Gesellschaft“
2. „Zweck auf den Betrieb eines Handelsge- werbes … gerichtet“
3. „unter gemeinschaftlicher Firma“
4. „bei keinem der Gesellschafter (ist) die Haf- tung gegenüber den Gesellschaftsgläubi- gern beschränkt“
I. Einführung Einheit 10: oHG
1. Gesellschaft
Da die §§ 105 ff. HGB für den Gesellschaftsvertrag einer oHG keine Sonderregelungen enthalten, be-darf es nach § 105 III HGB i.V.m. § 705 BGB:
(1) Wirksamer Gesellschaftsvertrag (2) Gemeinsamer Zweck
Der gemeinsame Zweck muss nach § 105 I HGB
„auf den Betrieb eines Handelsgewerbes …
gerichtet“ sein. Hierdurch unterscheidet sich die oHG von der (Außen-)GbR (dazu sogleich).
(3) Vereinbarung einer Förderungs- und/oder
Beitragspflicht
I. Einführung Einheit 10: oHG
2. Betrieb eines Handelsgewerbes
• Der Begriff des Handelsgewerbes ist in § 1 II HGB definiert.
• Betreibt die Gesellschaft kein Handelsgewerbe, sondern ein Kleingewerbe oder nur die Verwaltung eigenen Vermögens, ist sie keine oHG kraft Gesetzes. Zu unterscheiden sind zwei Fälle:
Fall 1: Ist die Gesellschaft noch nicht in das Handels-
register eingetragen, ist sie nach § 105 II 1, 2 i.V.m. § 2 Satz 2 HGB (nur) berechtigt, sich unter einer Firma in das Handelsregister eintragen zu lassen. Durch die (konstitutive wirkende) Eintragung würde sie zur oHG.
Fall 2: Ist die Gesellschaft als oHG in das Handelsregister eingetragen, gilt sie aufgrund der Fiktion des § 2 Satz 1 HGB auch dann als oHG, wenn ihr früher betriebenes
Handelsgewerbe zu einem Kleingewerbe geschrumpft ist.
Sie kann die eingetragene Firma aber nach § 2 Satz 3 HGB
I. Einführung Einheit 10: oHG
2. Betrieb eines Handelsgewerbes
• Die Fälle lassen erkennen, dass die oHG nicht notwendig den gegenwärtigen Betrieb eines Handelsgewerbes voraussetzt.
• Wesentliche Bedeutung hat auch die Frage, ob die Gesellschaft – wie es § 106 I HGB vorsieht – unter gemeinschaftlicher
Firma als oHG in das Handelsregister eingetragen ist.
• Hinsichtlich der Wirkung der Eintragung ist zu unterscheiden:
Fall 1: Betreibt die Gesellschaft tatsächlich ein Handels- gewerbe, hat die Eintragung der oHG lediglich deklaratori- sche Bedeutung.
Fall 2: Betreibt die als oHG eingetragene Gesellschaft kein Handelsgewerbe (mehr), wird die Firma gemäß § 2 Satz 3 HGB nur auf Antrag gelöscht. Solange sie fortbesteht, wirkt die Eintragung konstitutiv dergestalt, dass die Gesellschaft eine oHG ist.
I. Einführung Einheit 10: oHG
2. Betrieb eines Handelsgewerbes
• Da die oHG auf den Betrieb eines Handelsgewerbes gerichtet ist, ist sie stets eine Außen-Gesellschaft.
• Nach § 123 I HGB tritt die Wirksamkeit der oHG „im Verhältnis zu Dritten mit dem Zeitpunkt ein, in welchem die Gesellschaft in das Handelsregister eingetragen ist.“
• Der Wortlaut verleitet zu dem verfehlten Umkehrschluss,
dass eine Gesellschaft solange keine oHG ist, bis sie als solche in das Handelsregister eingetragen wird.
• Richtig ist aber:
Eine Gesellschaft, die ein Handelsgewerbe betreibt, ist kraft Gesetzes oHG und als solche (auch) im Verhältnis zu Dritten wirksam. Eine Innen-oHG existiert nicht.
Zutreffend ist der Wortlaut des § 123 I HGB nur für Gesell- schaften, die kein Handelsgewerbe betreiben. Sie werden erst mit der (konstitutiven) Eintragung zur oHG.
I. Einführung Einheit 10: oHG
2. Betrieb eines Handelsgewerbes
• Da die oHG auf den Betrieb eines Handelsgewerbes gerichtet ist, ist sie stets eine Außen-Gesellschaft.
• Nach § 123 I HGB tritt die Wirksamkeit der oHG „im Verhältnis zu Dritten mit dem Zeitpunkt ein, in welchem die Gesellschaft in das Handelsregister eingetragen ist.“
• Der Wortlaut verleitet zu dem verfehlten Umkehrschluss,
dass eine Gesellschaft solange keine oHG ist, bis sie als solche in das Handelsregister eingetragen wird.
• Richtig ist aber:
Eine Gesellschaft, die ein Handelsgewerbe betreibt, ist kraft Gesetzes oHG und als solche (auch) im Verhältnis zu Dritten wirksam. Eine Innen-oHG existiert nicht.
Zutreffend ist der Wortlaut des § 123 I HGB nur für Gesell- schaften, die kein Handelsgewerbe betreiben. Sie werden erst mit der (konstitutiven) Eintragung zur oHG.
Der Wortlaut des § 123 I HGB wird verständlicher, wenn man ein
„spätestens“ ergänzt.
I. Einführung Einheit 10: oHG
3. Gemeinschaftliche Firma
• Da die oHG ein Handelsgewerbe betreiben muss ( § 105 I HGB), ist sie eine Handelsgesellschaft.
Für sie gelten jedenfalls nach § 6 I HGB die „in
betreff der Kaufleute gegebenen Vorschriften“, u. a.
§ 17 I HGB.
• Dies ermöglicht es, die oHG unter „gemeinschaft- licher Firma“ in das Handelsregister einzutragen,
§ 106 II Nr. 2 HGB.
• Der Gebrauch einer nach den §§ 17 ff. HGB unzu- lässigen Firma, steht der Wirksamkeit der oHG
nicht entgegen. Möglich ist aber u. a. eine
registergericht-liche Beanstandung nach § 37 I
HGB.
I. Einführung Einheit 10: oHG
4. Unbeschränkte Gesellschafterhaftung
• Die Voraussetzung dient der Abgrenzung der oHG von der Kommanditgesellschaft (KG, §§ 161 ff.
HGB).
• Die KG kennt nach § 161 I HGB zwei Arten von Gesellschaftern, nämlich sog. Komplementäre und Kommanditisten. Bei letzteren ist die Haftung
gegenüber den Gesellschaftsgläubigern „auf den Betrag einer bestimmten Vermögenseinlage be- schränkt“ (siehe § 171 I Hs. 1 HGB).
• In Abgrenzung dazu ist die Gesellschaft eine oHG,
wenn die persönliche Haftung ( §§ 128 ff. HGB) für
keinen Gesellschafter in dem Gesellschaftsvertrag
beschränkt ist, §§ 105 I, 128 Satz 2 HGB.
I. Einführung Einheit 10: oHG
5. Verleihung der (Teil-)Rechtsfähigkeit
• Als Außen-Gesellschaft ist die oHG nach und im Umfang von § 124 I HGB (teil-)rechtsfähig.
• Träger des Gesellschaftsvermögens ist daher ausschließlich die oHG. Die Gesellschafter sind nur Mitglieder der oHG, nicht aber Bruchteils- eigentümer des Gesellschaftsvermögens.
• Soweit dennoch (unglücklich) der Begriff des
„Gesamthandvermögens“ verwendet wird,
beruht dies darauf, dass die oHG keine juristi-
sche Person, sondern eine Personenhandels-
gesellschaft ist.
I. Einführung Einheit 10: oHG
5. Verleihung der (Teil-)Rechtsfähigkeit
Beispiel (in Anlehnung an BGHZ 59, 64 ff.):
• Die X oHG, bestehend aus den Gesellschaftern A und B, pachtet ein Grundstück.
• In dem Pachtvertrag verpflichtet sich die X oHG auf dem Grundstück keine Auskiesungen vorzunehmen.
• Wenige Monate nach dem Beginn des Pachtvertrags gründen A und B die Y oHG, die wenig später mit
Auskiesungen auf dem gepachteten Grundstück beginnt.
Kann der Verpächter gestützt auf die Vereinbarung im
Pachtvertrag Unterlassung verlangen?
I. Einführung Einheit 10: oHG
5. Verleihung der (Teil-)Rechtsfähigkeit Lösungshinweise:
• Vertragspartner des Pachtvertrags ist die (teil-)rechts- fähige X oHG. Diese nimmt die Auskiesungen nicht vor.
• Mit der Y oHG besteht kein Pachtvertrag. Insoweit käme ein Anspruch aus § 1004 I 2 BGB in Betracht.
• Aber: Die Gesellschafter der X oHG und der Y oHG sind identisch.
• Daher ist durch Auslegung (§§ 133, 157 BGB) zu ermit-teln, ob sich nur die X oHG oder auch ihre
Gesellschafter A und B zu der Unterlassung verpflichtet haben.
• Letzteres hat der BGH in diesem (Ausnahme-)Fall bejaht.
II. Systematik der §§ 105 ff. HGB Einheit 10: oHG
Die Vorschriften betreffend die oHG ( §§ 105-160 HGB) gliedern sich in sechs Titel:
1. Errichtung der Gesellschaft ( §§ 105-108 HGB) 2. Rechtsverhältnis der Gesellschafter untereinander
( §§ 109-122 HGB)
3. Rechtsverhältnis der Gesellschafter zu Dritten ( §§ 123-130a HGB)
4. Auflösung der Gesellschaft und Ausscheiden von Gesellschaftern ( §§ 131-144 HGB)
5. Liquidation der Gesellschaft ( §§ 145-158 HGB) 6. Verjährung, zeitliche Begrenzung der Haftung
( §§ 159, 160 HGB)
III. Geschäftsführung Einheit 10: oHG
1. Gesetzliche Regelung
• Bei der GbR besteht – sofern der Gesellschafts- vertrag keine abweichende Regelung enthält – nach § 709 BGB Gesamtgeschäftsführung.
• Bei der oHG besteht kraft Gesetzes hingegen Einzelgeschäftsführung, §§ 114 I, 115 I HGB.
• Die Befugnis jedes Einzelnen wird dadurch ein-
geschränkt, dass er die übrigen Gesellschafter
grds. zuvor über das beabsichtigte Geschäft
unterrichten muss, um diesen einen Wider-
spruch ( § 115 I Hs. 2 HGB) zu ermöglichen.
III. Geschäftsführung Einheit 10: oHG
1. Gesetzliche Regelung
Bei Anwendung der gesetzlichen Regelungen über die Geschäfts- führung sind drei Arten von Geschäften zu unterscheiden:
(1) „(A)lle Handlungen, die der gewöhnliche Betrieb des Han- delsgewerbes … mit sich bringt“ darf jeder Gesellschafter nach §§ 114 I, 115 I Hs. 1 i.V.m. § 116 I HGB alleine vor- nehmen.
(2) Für „Handlungen, die darüber hinausgehen“ bedarf es nach § 116 II HGB eines (zustimmenden) Beschlusses sämt-licher Gesellschafter.
(3) Sog. Grundlagengeschäfte (z. B. Änderung des Gesell-
schaftszwecks) bedürfen einer (einstimmigen) Änderung des Gesellschaftsvertrags. Hierfür genügt ein Beschluss, wenn der Vertrag keine andere Form vorschreibt.
III. Geschäftsführung Einheit 10: oHG
2. Abweichende Vereinbarungen
• Die §§ 114 ff. HGB sind ausweislich § 109 HGB dispositives Recht.
• Daher kann der Gesellschaftsvertrag die Geschäftsführung abweichend regeln, insbesondere vorsehen:
Geschäftsführung durch (nur) einen Gesellschafter (§ 114 II Fall 1 HGB)
Geschäftsführung mehrerer (§ 114 II Fall 2 HGB), ein- schließlich der Gesamtgeschäftsführung (§ 115 II HGB)
• Im Grundsatz können auch gesellschaftsfremde Dritte in die Geschäftsführung eingebunden werden. Eine Grenze ergibt sich aus dem Prinzip der Selbstorganschaft, d. h. wegen der persönlichen Haftung der Gesellschafter (§ 128 Satz 1 HGB) darf keine Abhängigkeit von Dritten entstehen.
IV. Stellvertretung Einheit 10: oHG
1. Einführung
• Sofern der Gesellschaftsvertrag einer (Außen-)GbR
keine Regelung enthält, orientiert sich die Stellvertretung nach § 714 BGB an der Geschäftsführung.
• Bei der oHG ist die Stellvertretung eigenständig geregelt, d. h. ohne Anlehnung an die Geschäftsführung.
• Nach § 125 I HGB besteht grds. Einzelvertretung durch jeden Gesellschafter.
• Diese Vertretungsmacht der Gesellschafter – Gleiches gilt für abweichende Regelungen – wird über die Ein- tragung in das Handelsregister (§ 106 II Nr. 4 HGB) publik. Eine unzutreffende Eintragung begründet einen Rechtsschein, der zu der Anwendung von § 15 HGB führen kann.
IV. Stellvertretung Einheit 10: oHG
2. Abweichende Regelungen
• Ausweislich § 125 I a.E. HGB kann die organschaftliche (Einzel-)Vertretungsmacht der Gesellschafter ausge-
schlossen werden.
• Hierfür bedarf es einer Regelung im Gesellschafts- vertrag, deren Eintragung in das Handelsregister nur deklaratorische Bedeutung (§ 15 HGB) hat.
• Möglich sind insbesondere zwei Arten der Gesamtver- tretung:
die sog. echte Gesamtvertretung durch mehrere oder alle Gesellschafter (§ 125 II 1 HGB);
die sog. unechte Gesamtvertretung, bei der der Gesellschafter die oHG nur zusammen mit einem Prokuristen vertreten kann (§ 125 III 1 HGB).
IV. Stellvertretung Einheit 10: oHG
2. Abweichende Regelungen
• Ausweislich § 125 I a.E. HGB kann die organschaftliche (Einzel-)Vertretungsmacht der Gesellschafter ausge-
schlossen werden.
• Hierfür bedarf es einer Regelung im Gesellschafts- vertrag, deren Eintragung in das Handelsregister nur deklaratorische Bedeutung (§ 15 HGB) hat.
• Möglich sind insbesondere zwei Arten der Gesamtver- tretung:
die sog. echte Gesamtvertretung durch mehrere oder alle Gesellschafter (§ 125 II 1 HGB);
die sog. unechte Gesamtvertretung, bei der der Gesellschafter die oHG nur zusammen mit einem Prokuristen vertreten kann (§ 125 III 1 HGB).
Die Möglichkeit der unechten Gesamtvertretung (§ 125 III 1 HGB) wird durch das Prinzip der Selbstorganschaft dahingehend beschränkt,
dass diese Art der Vertretung nicht die einzig mögliche Vertretung der oHG sein darf.
IV. Stellvertretung Einheit 10: oHG
3. Umfang der organschaftlichen Vertr.-Macht
• Der Umfang der organschaftlichen Vertretungs- macht der Gesellschafter wird in § 126 I HGB festgelegt.
• Enthält der Gesellschaftsvertrag Beschränkun- gen des gesetzlichen Umfangs, ist zu unter-
scheiden:
Dritten gegenüber sind die Beschränkungen nach § 126 II HGB unwirksam.
Im Umkehrschluss dazu sind Beschränkun-
gen im Innenverhältnis der Gesellschafter
untereinander zulässig.
IV. Stellvertretung Einheit 10: oHG
3. Umfang der organschaftlichen Vertr.-Macht
Beispiel (in Anlehnung an BGH, NJW 1995, 596):
• Die X oHG, bestehend aus den Gesellschaftern A und B, betreibt einen Nachtclub.
• Der Gesellschaftsvertrag enthält keine Regelung der Stellvertretung.
• Ohne vorherige Rücksprache mit B veräußert A den Nachtclub (Grundstück inkl. Zubehör und Betriebserlaubnis) an die Y GmbH.
Ist die Veräußerung wirksam?
IV. Stellvertretung Einheit 10: oHG
3. Umfang der organschaftlichen Vertretungsmacht Lösungshinweise:
• Fraglich ist allein, ob das Geschäft von der Vertretungsmacht des A umfasst ist.
• Nach § 126 I HGB erstreckt sich die Vertretungsmacht auf „alle … außergerichtlichen Geschäfte … einschließlich der Veräußerung … von Grundstücken“.
• Aber: Die Veräußerung umfasst das ganze Vermögen der X oHG. Sie ist daher faktisch gleichbedeutend mit einer Betriebseinstellung.
• Die Betriebseinstellung zählt zu den Grundlagengeschäften.
• Was folgt hieraus?
• Nach BGH, NJW 1995, 596 fehlt es an der Vertretungsmacht. Die h. L. besteht auf der Trennung von Innen- und Außenverhältnis (nur fehlende Geschäftsführungsbefugnis) und sieht in dem Fall einen Missbrauch der Vertretungsmacht, wonach das Vertretergeschäft grds. wirksam wäre.
V. Persönliche Haftung der Gesellschafter Einheit 10: oHG
Für die Verbindlichkeiten der oHG haften alle Gesellschaf- ter nach Maßgabe der §§ 128-130, 160 HGB persönlich als Gesamtschuldner.
Beispiel (in Anlehnung an BGH, NJW 1996, 658):
• Obwohl G keine Forderung gegen die oHG hat, gelingt es ihm, einen rechtskräftigen Vollstreckungsbescheid ( § 794 I Nr. 4 ZPO) gegen die oHG zu erwirken.
• Da die oHG – wie G bekannt war – vermögenslos ist, nimmt G den Gesellschafter A persönlich in Anspruch.
Kann sich A noch gegen den Anspruch verteidigen?
V. Persönliche Haftung der Gesellschafter Einheit 10: oHG
Lösungshinweise:
• Die persönliche Haftung der Gesellschaft nach § 128 Satz 1 HGB ist akzessorisch, setzt also eine Verbindlichkeit der
oHG voraus.
• Die Einwendung, die Verbindlichkeit der oHG bestehe nicht, kann G nach § 129 I HGB nur insoweit geltend machen, als sie auch von oHG erhoben werden kann.
• Der oHG wäre diese Einwendung aufgrund der Rechtskraft des (unrichtigen) Vollstreckungsbescheids versagt.
• Aber: Die Beschränkung der Einwendung hat nach den Rechtsgedanken der §§ 242, 826 BGB ausnahmsweise keinen Bestand, wenn (1) der Vollstreckungsgläubiger weiß, dass die titulierte Forderung nicht besteht und (2) sein Vor- gehen aus dem (unrichtigen) Titel das Rechtsgefühl in
schlechthin unerträglicher Weise verletzt.
VI. Gesellschafterwechsel Einheit 10: oHG
Der Wechsel im Bestand der Gesellschafter kann auf zwei Weisen herbeigeführt werden:
1. Zweiaktiges Vorgehen, bestehend aus dem Austritt eines (Alt-)Gesellschafters und dem (zeitgleichen) Eintritt eines Neugesellschafters
Die oHG ist eine Personen(handels-)gesellschaft. Daher enthalten die §§ 105 ff. HGB keine § 15 I GmbHG ver- gleichbare Regelung über eine Sonderrechtsnachfolge.
Möglich ist sie unter bestimmten Voraussetzungen dennoch:
2. Sonderrechtsnachfolge gemäß § 413 i.V.m. § 398
Satz 1 BGB
VI. Gesellschafterwechsel Einheit 10: oHG
Worin besteht der wesentliche Unterschied?
• Das zweiaktige Vorgehen führt dazu, dass ein bisheri- ger Gesellschafter ausscheidet. Mit dem Ausscheiden erlangt er einen Abfindungsanspruch ( § 105 III HGB i.V.m. § 738 I 2 BGB), der i.d.R. durch Abflüsse aus dem Gesellschaftsvermögen befriedigt werden muss.
• Die Sonderrechtsnachfolge erfolgt i.d.R. aufgrund eines Rechtskaufvertrags. Als Verkäufer erhält der bis- herige Gesellschafter den von ihm ausgehandelten Kaufpreis ( §§ 453 I Alt. 2, 433 II BGB) von dem
Käufer als nachfolgenden Gesellschafter. Dadurch wird ein Abfluss aus dem Gesellschaftsvermögen
vermieden.
VI. Gesellschafterwechsel Einheit 10: oHG
1. Zweiaktiges Vorgehen
a) Ausscheiden eines Gesellschafters
• Den gesetzlichen Regelungen über die GbR ist ein Ausscheiden fremd. Es bedarf – ausweislich § 736 I BGB – einer sog. Fortsetzungsklausel im
Gesellschaftsvertrag.
• Bei der oHG differenziert das Gesetz zwischen
Auflösungsgründen in § 131 I, II HGB und
Gründen, die grds. nur zum Ausscheiden des
betroffenen Gesellschafters führen in § 131 III 1 Nr. 1-6 HGB.
• Aus § 131 III HGB folgt, dass es bei Vorliegen eines dieser Gründe keiner Fortsetzungsklausel bedarf.
VI. Gesellschafterwechsel Einheit 10: oHG
1. Zweiaktiges Vorgehen
a) Ausscheiden eines Gesellschafters
• Die Gründe für das (bloße) Ausscheiden eines Gesellschafters sind in § 131 III 1 Nr. 1-6 HGB aufgelistet.
• Bei dem Zeitpunkt des Ausscheidens ist zu unterscheiden:
bei § 131 III 1 Nr. 1, 2, 5 HGB: mit dem Eintritt des jeweiligen Ereignisses (§ 131 III 2 HGB)
bei § 131 III 1 Nr. 3, 4 HGB: mit dem Zugang der Kündi- gungserklärung, aber nicht vor Ablauf der Kündigungsfrist (§ 131 III 2 HGB)
bei § 131 III 1 Nr. 6 HGB: Im Unterschied zu § 737 BGB be-darf es nach § 140 I 1 HGB eines rechtskräftigen Gestal- tungsurteils, sofern der Gesellschaftsvertrag kein abwei-
chendes Verfahren (z. B. einstimmiger Gesellschafterbe- schluss) festlegt.
• Die nach § 143 II, I HGB zu veranlassende Eintragung in das Handelsregister hat nur deklaratorische Bedeutung.
VI. Gesellschafterwechsel Einheit 10: oHG
1. Zweiaktiges Vorgehen
b) Eintritt eines Gesellschafters
• Der Beitritt eines Gesellschafters als solcher hat in den §§ 105 ff. HGB keine Regelung erfahren. Er erfolgt durch einen sog. Beitrittsvertrag mit sämt- lichen (verbliebenen) Gesellschaftern.
• Geregelt sind nur die Rechtsfolgen:
(1) Persönliche Haftung des eintretenden Gesell- schafters nach § 130 HGB auch für Alt-Ver- bindlichkeiten
(2) Verpflichtung sämtlicher Gesellschafter (§ 108 Satz 1 HGB), den Eintritt zur Eintragung in das Handelsregister anzumelden, § 107 Fall 4
HGB
VI. Gesellschafterwechsel Einheit 10: oHG
1. Zweiaktiges Vorgehen
b) Eintritt eines Gesellschafters
• Der Beitritt eines Gesellschafters als solcher hat in den §§ 105 ff. HGB keine Regelung erfahren. Er erfolgt durch einen sog. Beitrittsvertrag mit sämt- lichen (verbliebenen) Gesellschaftern.
• Geregelt sind nur die Rechtsfolgen:
(1) Persönliche Haftung des eintretenden Gesell- schafters nach § 130 HGB auch für Alt-Ver- bindlichkeiten
(2) Verpflichtung sämtlicher Gesellschafter (§ 108 Satz 1 HGB), den Eintritt zur Eintragung in das Handelsregister anzumelden, § 107 Fall 4
HGB
Die persönliche Haftung nach
§ 130 I HGB setzt einen wirksamen Eintritt voraus.
Ist der Beitritt fehlerhaft, wird er aber gleichwohl in das Han- delsregister eingetragen und
bekanntgemacht, haftet der fehlerhaft Eintretende aufgrund
der positiven Publizität des Handelsregisters (§ 15 II 1 HGB)
als sog. Scheingesellschafter.
VI. Gesellschafterwechsel Einheit 10: oHG
2. Sonderrechtsnachfolge a) Grundsatz
• Dem Personengesellschaftsrecht ist eine § 15 I
GmbHG vergleichbare Regelung fremd. Vielmehr gilt
§ 717 Satz 1 BGB i.V.m. § 105 III HGB. Dieser Re-gelung sind zwei Aussagen zu entnehmen:
Zum einen können die abstrakten Mitglied-
schaftsrechte (z. B. Stimmrecht, Recht auf Ge- winnbeteiligung) nicht von der Mitgliedschaft als solcher getrennt werden.
Zum anderen gilt § 717 Satz 1 BGB nicht nur für einzelne Rechte aus der Mitgliedschaft, sondern auch für die Mitgliedschaft als solche.
• Daher kann die Mitgliedschaft grds. nicht nach
§ 413 i.V.m. § 398 Satz 1 BGB übertragen werden.
VI. Gesellschafterwechsel Einheit 10: oHG
2. Sonderrechtsnachfolge b) Ausnahme
• Die Mitgliedschaft als solche kann aber „übertragbar gestellt werden“.
• Hierfür bedarf es einer entsprechenden Regelung im Gesellschaftsvertrag oder einer Ad hoc-Zustimmung sämtlicher Gesellschafter.
• Nur in diesen Fällen ist eine Sonderrechtsnachfolge nach
§ 413 i.V.m. § 398 Satz 1 BGB möglich.
• Diese umfasst die Mitgliedschaft als solche und daher sämtliche daraus resultierenden Rechte (z. B. Stimm- recht, Recht auf Gewinnbeteiligung).
• Die Sonderrechtsnachfolge ist zur (deklaratorischen) Ein- tragung in das Handelsregister anzumelden. Insoweit gelten § 143 II, I und § 107 Fall 3 HGB analog.
VII. Auflösung der oHG Einheit 10: oHG
Nach der Systematik der §§ 131 ff. HGB sind bei der Auflösung zwei Fragenkreise zu treffen:
1. Auflösungsgrund
• Die in § 131 I HGB genannten Gründe gelten für jede Art der oHG.
• Die in § 131 II HGB genannten Gründe gelten nur für eine (äußerst seltene) GmbH & Co. oHG.
• Die in § 131 III 1 HGB genannten Ereignisse führen grds. nur zum Ausscheiden des betroffenen
Gesellschaf-ters. Es handelt sich – ausweislich des Wortlauts – um dispositives Recht, weshalb der
Gesellschaftsvertrag auch die Auflösung der oHG als Rechtsfolge vorsehen kann.
2. Rechtsfolgen
VII. Auflösung der oHG Einheit 10: oHG
1. Auflösungsgrund
Für die oHG gelten die Auflösungsgründe nach § 131 I HGB. Im Einzelnen:
• Nr. 1: Ablauf der Zeit
• Nr. 2: (Auflösungs-)Beschluss der Gesellschafter
Es handelt sich um ein sog. Grundlagengeschäft, d. h.
der Beschluss muss einstimmig gefasst wer-den.
• Nr. 3: Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Ver-mögen der oHG
• Nr. 4: (rechtskräftige) gerichtliche Entscheidung
Die Begründetheit der sog. Auflösungsklage setzt nach
§ 133 I, II HGB einen wichtigen Grund voraus. Dieser entspricht im Wesentlichen § 723 I 2 BGB.
VII. Auflösung der oHG Einheit 10: oHG
2. Rechtsfolgen
Die Rechtsfolgen der Auflösung einer oHG sind in chronologischer Reihenfolge:
(1) Die Auflösung der oHG ist nach § 143 I 1 HGB grds. (Ausnahmen: § 143 I 2-4 HGB) von sämt- lichen Gesellschaftern zur Eintragung in das Handelsregister anzumelden.
(2) Infolge der Eintragung endet die werbende Tä- tigkeit der oHG, d. h. Zweck ist nicht mehr der Be-trieb eines Handelsgewerbes, sondern die Liqui-dation ( § 145 I HGB). Zum Zweck der
Abwicklung besteht die oHG als sog. Liquidations-
bzw. Ab-wicklungsgesellschaft fort.
VII. Auflösung der oHG Einheit 10: oHG
2. Rechtsfolgen
Die Rechtsfolgen der Auflösung einer oHG sind in chronologischer Reihenfolge:
(3) Die Liquidation erfolgt nach Maßgabe der
§§ 145-158 HGB.
• Ihr Ziel besteht – ausweislich § 149 Satz 1 HGB – darin, Vermögenswerte zu realisieren und die Gläubiger zu befriedigen.
• Liquidatoren sind grds. die Gesellschafter selbst ( § 146 I 1 HGB). Aufgrund der Vertre- tungsbefugnis ( § 149 Satz 2 HGB) sind sie als solche in das Handelsregister einzutragen
( § 148 HGB).
VII. Auflösung der oHG Einheit 10: oHG
2. Rechtsfolgen
Die Rechtsfolgen der Auflösung einer oHG sind in chrono- logischer Reihenfolge:
(4) Mit dem Abschluss der Liquidation tritt die sog.
Vollbeendigung ein, d. h. die oHG hört auf zu
existieren. Dieser Umstand ist nach § 157 I HGB zur Eintragung in das Handelsregister anzumelden.
Die Liquidation der oHG führt nicht notwendig zu deren Vollbeendigung. Solange die Liquidation noch nicht abgeschlossen ist, können die Ge- sellschafter nach h. M. durch einstimmigen Be- schluss (Grundlagengeschäft) den Gesellschafts- zweck ändern und die oHG wieder mit einer wer- benden Tätigkeit fortsetzen.
Lesehinweise zur Vertiefung:
Einheit 10: oHG
• BGHZ 59, 64 ff.
• BGHZ 80, 346 ff.
• BGH, NJW 1995, 596
• BGH, NJW 1996, 658
• Bitter/Heim, Gesellschaftsrecht, § 6
• Koch, Gesellschaftsrecht, §§ 12-18
• Windbichler, Gesellschaftsrecht, §§ 11-15
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
Gesellschaftsrecht im Überblick
Univ.-Professor Dr. Timo Fest, LL.M. (Pennsylvania)
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