3.3 Austauschsatz, Basiserg¨ anzungssatz und Di- mension
Montag, 15. Dezember 2003 Es sei V ein Vektorraum. Jedes Teilsystem eines linear unabh¨angigen Systems von V ist dann wieder linear unabh¨angig in V . Ferner f¨uhrt jede Erweiterung ei- nes Erzeugendensystems von V wieder zu einem Erzeugendensystem von V . Wir nennen ein Erzeugendensystem v
1, v
2, . . . , v
nvon V unverk¨ urzbar, falls kein echtes Teilsystem von v
1, v
2, . . . , v
nein Erzeugendensystem von V ist. Entspre- chend nennen wir eine linear unabh¨angiges System v
1, v
2, . . . , v
nmaximal linear unabh¨ angig, falls jede echte Erweiterung linear abh¨angig ist.
Um die Unverk¨urzbarkeit eines Erzeugendensystems v
1, v
2, . . . , v
neinzusehen, reicht dabei der Nachweis, dass jedes durch Weglassen eines einzigen Mitglieds v
ientstehende System v
1, v
2, . . . , v
i, b v
i, v
i+1, · · · , v
nkein Erzeugendensystem von V ist. F¨ur den Nachweis der maximalen lineare Unabh¨angigkeit von v
1, v
2, . . . , v
nreicht es zu zeigen, dass jedes Hinzuf¨ugen eines einzigen Vektors v zu einem linear abh¨angigen System v
1, v
2, . . . , v
n, v f¨uhrt.
Satz 3.1 (Kennzeichnung von Basen) F¨ur ein System v
1, v
2, . . . , v
nvon Vek- toren von V sind ¨aquivalent:
(a) (v
1, v
2, . . . , v
n) ist eine Basis von V .
(b) (v
1, v
2, . . . , v
n) ist ein unverk¨urzbares Erzeugendensystem
11von V . (c) (v
1, v
2, . . . , v
n) ist maximal linear unabh¨angig in V .
(d) Jedes v ∈ V l¨asst sich aus v
1, v
2, . . . , v
neindeutig linear kombinieren.
Beweis. Wir orientieren den Nachweis am folgenden Schema (b)
m
(d) ⇔ (a) ⇔ (c).
Dabei ist uns die Implikation (a) ⇒ (d) schon aus Satz 1.14 bekannt. Wir setzen nun (d) voraus. Ersichtlich ist dann v
1, v
2, . . . , v
nein Erzeugendensystem von V . Ferner besitzt der Nullvektor wegen (d) nur die Darstellung 0 = 0.v
1+ 0.v
2+
· · · + 0.v
n, woraus die lineare Unabh¨angigkeit von v
1, v
2, . . . , v
nund dann auch die Basiseigenschaft, somit (a), folgt.
(a) ⇒ (c): Als Basis ist v
1, v
2, . . . , v
nnat¨urlich linear unabh¨angig. Ist dann v irgendein ein Vektor aus V , so k¨onnen wir v als Linearkombination v = a
1.v
1+
· · · + a
n.v
nschreiben, woraus sich wegen a
1.v
1+ · · · + a
n.v
n+ (−1).v = 0 die li- neare Abh¨angigkeit von v
1, v
2, . . . , v
n, v ergibt. Das System v
1, v
2, . . . , v
nist daher maximal linear unabh¨angig.
11Auch die Bezeichnungminimales Erzeugendensystem ist gebr¨auchlich.
(c) ⇒ (a): Wenn v
1, v
2, . . . , v
nein maximal linear unabh¨angiges System in V ist, so ist zur Basiseigenschaft noch zu zeigen, dass sich jeder Vektor v aus v
1, v
2, . . . , v
nlinear kombinieren l¨asst. Nach Voraussetzung ist v
1, v
2, . . . , v
n, v li- near abh¨angig. Es gibt daher eine lineare Relation a
1.v
1+ · · · + a
n.v
n+ a.v = 0, bei der nicht alle Koeffizienten verschwinden. Dabei kann a nicht gleich Null sein, da sonst die Vektoren v
1, v
2, . . . , v
nlinear abh¨angig w¨aren. Wegen a 6= 0 l¨asst sich die obige Beziehung daher nach v aufl¨osen, was die Behauptung zeigt.
(a) ⇒ (b): Als Basis ist zun¨achst v
1, v
2, . . . , v
nauch ein Erzeugendensystem.
Wir nehmen an, dass es verk¨urzbar ist, also durch Weglassen sagen wir des i-ten Mitglieds ein Erzeugendensystem v
1, . . . , v b
i, . . . , v
nverbleibt
12. Wir k¨onnen dann den ausgelassenen Vektor v
ials Linearkombination v
i= a
1.v
1+ . . . + a
i−1.v
i−1+ a
i+1.v
i+1+ · · · + a
n.v
nder ¨ubrigen Vektoren darstellen. Bringen wir alle Terme auf eine Seite, so erschließt sich die lineare Abh¨angigkeit von v
1, v
2, . . . , v
n, Wi- derspruch. Damit ist v
1, v
2, . . . , v
nein unverk¨urzbares Erzeugendensystem.
(b) ⇒ (a): Wir m¨ussen noch die lineare Unabh¨angigkeit eines unverk¨urzbaren Erzeugendensystems v
1, v
2, . . . , v
nzeigen. Wir nehmen dazu a
1.v
1+ · · · + a
i.v
i+
· · · + a
n.v
n= 0 und a
i6= 0 an. Durch Aufl¨osen dieser Gleichung nach v
ier- gibt sich, dass v
ieine Linearkombination von v
1, . . . , v b
i, . . . , v
nist. Die Vektoren v
1, v
2, . . . , v
n— und damit alle Vektoren aus V — liegen somit s¨amtlich in der linearen H¨ulle hv
1, . . . , v b
i, . . . , v
ni. Dies widerspricht der vorausgesetzten Minima- lit¨at des Erzeugendensystems v
1, v
2, . . . , v
n. ¤ Bemerkung 3.2 Es reicht nicht, nur eine einzige der vier Kennzeichnungen von Basen zu kennen.
Je nach Sachlage ist die eine oder die andere von ihnen — oft sogar sehr viel — vorteilhafter; wir sollten daher alle vier Kennzeichnungen kennen und sachgerecht anwenden k¨onnen.
Donnerstag, 18. Dezember 2003
Folgerung 3.3 Jedes endliche Erzeugendensystem eines Vektorraums V enth¨alt eine Basis von V .
Beweis. Wir lassen solange Elemente eines endlichen Erzeugendensystems weg, bis ein minimales Erzeugendensystem entsteht
13. ¤ Wir machen hier auf eine weit verbreitete Fehlinterpretation von Satz 3.1 auf- merksam. Die dort angef¨uhrte Kennzeichnung einer Basis B = {v
1, v
2, . . . , v
n} als
12Auch sp¨ater werden wir — wo dies nicht zu Mißverst¨andnissen f¨uhrt — durchbdas Weg- lassen des Elements aus einer Folge bezeichnen.
13Im Einklang mit den getroffenen Definitionen ist die leere Menge Basis jedes nur aus dem Nullvektor bestehenden Vektorraums{0}.
minimales (unverk¨urzbares) Erzeugendensystem bezieht sich nicht auf die An- zahl der Basiselemente, sondern auf die Minimalit¨at von B bez¨uglich Inklusion
⊆. Entsprechendes gilt f¨ur Eigenschaft einer Basis maximal linear unabh¨angig zu sein. Der Satz taugt daher nicht zu einer Begr¨undung, dass je zwei Basen B und B
0von V dieselbe Mitgliederzahl haben. Dieses zutreffende Faktum herzu- leiten, erfordert weitere Argumente (Austauschsatz), die wir gleich im Anschluss behandeln.
Lemma 3.4 (Austauschlemma) Sei v
1, v
2, . . . , v
neine Basis von V und w ein von Null verschiedener Vektor aus V , den wir als Linearkombination
(∗) w = a
1.v
1+ · · · + a
i.v
i+ · · · + a
n.v
nder Basis v
1, v
2, . . . , v
ndarstellen. Falls a
i6= 0, entsteht durch Austausch von w mit v
iaus der Basis v
1, v
2, . . . , v
neine neue Basis v
1, . . . , v
i−1, w , v
i+1, . . . , v
nvon V .
Beweis. Wegen a
i6= 0 l¨asst sich (∗) nach v
iaufl¨osen. Es ergibt sich v
ials Linear- kombination von v
1, . . . , v
i−1, w, v
i+1, . . . , v
n. Folglich liegen alle v
j, j = 1, . . . , n, im Unterraum hv
1, . . . , v
i−1, w, v
i+1, . . . , v
ni und damit auch V = hv
1, v
2, . . . , v
ni.
Das System v
1, . . . , v
i−1, w, v
i+1, . . . , v
nist folglich ein Erzeugendensystem von V . Um die lineare Unabh¨angigkeit des Systems zu zeigen, nehmen wir nun an, dass
c
1.v
1+ · · · + c
i−1.v
i−1+ c .w + c
i+1.v
i+1+ · · · + c
n.v
n= 0
ist. Falls c = 0 ist, erhalten wir aus der linearen Unabh¨angigkeit von v
1, v
2, . . . , v
ndas Verschwinden aller c
j. Falls c 6= 0 ist, k¨onnen wir w als Linearkombination w = a
01.v
1+ · · · + 0 .v
i+ · · · + a
0n.v
ndarstellen, was der Eindeutigkeit der Dar- stellung von w in der Basis v
1, v
2, . . . , v
nwiderspricht. ¤ Satz 3.5 (Austauschsatz) Es sei v
1, v
2, . . . , v
nsei eine Basis von V . Ist zudem w
1, w
2, . . . , w
rein in V linear unabh¨angiges System, so k¨onnen wir durch Um- nummerierung der v
1, v
2, . . . , v
nerreichen, dass durch Austausch von w
1, w
2, . . . , w
rmit den ersten r Elementen der Basis v
1, v
2, . . . , v
reine neue Basis
w
1, w
2, . . . , w
r, v
r+1, . . . , v
nvon V entsteht. Insbesondere ist r ≤ n .
Beweis durch Induktion nach r.
Induktionsverankerung: Der Fall r = 0 ist klar.
Induktionsschritt : Nun sei r ≥ 1 und per Induktionsannahme der Satz f¨ur jedes
System von r − 1 auszutauschenden Vektoren g¨ultig. Wir k¨onnen daher — nach
Umnummerierung der v
j— das linear unabh¨angige System w
1, . . . , w
r−1zu einer
Basis der Form w
1, . . . , w
r−1, v
r, . . . , v
nvon V erg¨anzen, und insbesondere w
rin der Form
w
r= a
1.w
1+ · · · + a
r−1.w
r−1+ a
r.v
r+ · · · + a
n.v
ndarstellen. Dabei k¨onnen a
r, . . . , a
nnicht alle 0 sein, da andernfalls die Vektoren w
1, w
2, . . . , w
rlinear abh¨angig w¨aren. Nach erneutem Umnummerieren k¨onnen wir daher a
r6= 0 annehmen. Per Austauschlemma k¨onnen wir dann den Vektor v
rder aktuellen Basis gegen w
raustauschen. Es folgt, dass w
1, w
2, . . . , w
r, v
r+1, . . . , v
neine Basis von V ist. ¤
Folgerung 3.6 (Invarianz der Dimension) Je zwei endliche Basen von V ha- ben dieselbe Anzahl von Mitgliedern.
Beweis. Sind v
1, v
2, . . . , v
nund w
1, w
2, . . . , w
mendliche Basen von V , so folgt aus dem Austauschsatz n ≤ m und m ≤ n, also n = m. ¤ Dieses Faktum erst erm¨oglicht die Definition der Dimension von Vektorr¨aum- en, die sich ¨uberhaupt als wichtigste Eigenschaft eines Vektorraums herausstellen wird.
Definition 3.7 (Dimension) Sei V ein endlichdimensionaler Vektorraum. Die Anzahl der Mitglieder einer Basis von V heißt die Dimension von V . Schreib- weise: dim
RV oder dim V .
Beispiel 3.8 Im R
nbilden die “Einheitsvektoren” e
1, e
2, . . . , e
ndie Standardba- sis. Somit ist dim R
n= n.
Einen Spezialfall der folgenden Aussage haben wir mit dem Dimensionsaxiom der anschaulichen Vektorrechnung (6.6) schon kennengelernt.
Satz 3.9 Ist V ein Vektorraum der Dimension n, so sind je n + 1 Vektoren
x
1, x
2, . . . , x
n, x
n+1linear abh¨angig. ¤
Satz 3.10 (Basiserg¨ anzungssatz) V sei ein endlichdimensionaler Vektorraum.
Jeder Unterraum U von V ist dann ebenfalls endlichdimensional. Ferner l¨asst sich jede Basis w
1, w
2, . . . , w
rvon U zu einer Basis
w
1, w
2, . . . , w
r, v
r+1, . . . , v
nvon V erg¨anzen.
Beweis. Sei n = dim V , Wegen des Austauschsatzes hat jedes (endliche) line- ar unabh¨angige System w
1, w
2, . . . , w
rvon U h¨ochstens r ≤ n Mitglieder. Wir k¨onnen daher annehmen, dass r maximal gew¨ahlt ist. Als maximal linear un- abh¨angiges System von U ist w
1, w
2, . . . , w
rnach Satz 3.1 eine Basis von U .
Per Austauschsatz 3.5 l¨asst sich ferner das in V linear unabh¨angige Sy- stem w
1, w
2, . . . , w
rzu einer Basis der Form w
1, w
2, . . . , w
r, v
r+1, . . . , v
nvon V
erg¨anzen. ¤
Satz 3.11 (Dimension von Unterr¨ aumen) Ist U ein Unterraum des endlich- dimensionalen Vektorraums V so folgt dim U ≤ dim V . Gleichheit dim U = dim V gilt genau dann wenn U = V .
Beweis. Sei w
1, w
2, . . . , w
reine Basis von U . Mittels Basiserg¨anzungssatz k¨onnen wir dieselbe zu einer Basis w
1, w
2, . . . , w
r, v
r+1, . . . , v
nvon V erg¨anzen. Aus r = dim U = dim V = n folgt dann, dass w
1, w
2, . . . , w
rzugleich eine Basis von U und von V ist, woraus durch ¨ Ubergang zur linearen H¨ulle U = hw
1, w
2, . . . , w
ri = V
folgt. ¤
Satz 3.12 (Dimensionsformel f¨ ur Unterr¨ aume) Sind U
1, U
2Unterr¨aume des endlichdimensionalen Vektorraums V , so gilt
dim U
1+ dim U
2= dim U
1∩ U
2+ dim U
1+ U
2.
Beweis. Wir veranschaulichen die Verh¨altnisse durch das Hasse-Diagramm
U1+U2U1∩U2
U1 U2.
wobei die Verbindungslinien die vorhandenen Inklusionen angeben. Zum Beweis der Dimensionsformel starten mit einer Basis e
1, e
2, . . . , e
svon U
1∩U
2, dem klein- sten der beteiligten Unterr¨aume. Wir k¨onnen dann e
1, e
2, . . . , e
ssowohl zu ei- ner Basis e
1, e
2, . . . , e
s, f
1, f
2, . . . , f
pvon U
1als auch zu einer Basis e
1, e
2, . . . , e
s, g
1, g
2, . . . , g
qvon U
2erg¨anzen. Wir behaupten nun, dass die in dieser Konstruk- tion insgesamt auftretenden Vektoren
(∗) e
1, e
2, . . . , e
s, f
1, f
2, . . . , f
p, g
1, g
2, . . . , g
qeine Basis von U
1+ U
2bilden, woraus sich die behauptete Formel sofort ergibt.
Montag, 5. Januar 2004 Jedes Element aus U
1(bzw. U
2) l¨asst sich aus e
1, e
2, . . . , e
sund f
1, f
2, . . . , f
p(bzw. aus e
1, e
2, . . . , e
sund g
1, g
2, . . . , g
q) linear kombinieren. Jedes x ∈ U
1+ U
2ist daher eine Linearkombination der Elemente e
1, e
2, . . . , e
s, f
1, f
2, . . . , f
pund
g
1, g
2, . . . , g
q. Damit ist (∗) ein Erzeugendensystem von U
1∩ U
2.
Zum Nachweis der linearen Unabh¨angigkeit von (∗) betrachten wir eine ver- schwindende Linearkombination
X
si=1
a
i.e
i+ X
pj=1
b
j.f
j+ X
qk=1
c
k.g
k= 0.
Es folgt, dass das Element X
si=1
a
i.e
i+ X
pj=1
b
j.f
j= X
qk=1