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Krankheitsbewältigung, soziale Unterstützung und posttraumatische Reifung am Beispiel von Brustkrebspatientinnen / eingereicht von Verena Schwarz

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Academic year: 2021

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Krankheitsbewältigung, soziale Unterstützung

und posttraumatische Reifung

am Beispiel von Brustkrebspatientinnen

Diplomarbeit

zur Erlangung des akademischen Grades Mag. rer. soc. oec.

im Diplomstudium Soziologie eingereicht von

Verena Schwarz

angefertigt am Institut für Soziologie Abteilung für Empirische Sozialforschung

bei

Mag. Dr. Alfred Grausgruber

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1 Eidesstattliche Erklärung

Ich erkläre an Eides statt, dass ich die vorliegende Diplomarbeit selbstständig und ohne fremde Hilfe verfasst, andere als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel nicht benutzt bzw. die wörtlich oder sinngemäß entnommenen Stellen als solche kenntlich gemacht habe.

Die vorliegende Diplomarbeit ist mit dem elektronisch übermittelten Textdokument identisch.

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2 Inhaltsverzeichnis

1 Einführung ... 4

1.1 Problemstellung ... 4

1.2 Krankheitsbezogene Selbsthilfegruppen ... 7

2 Forschungsziele und Forschungsfragen ... 9

2.1 Forschungsziele ... 9

2.2 Forschungsfragen... 10

3 Theoretische und konzeptionelle Grundlagen ... 12

3.1 Theorien und Ansätze zu Bewältigungsformen ... 12

3.1.1 Krankheitsbewältigung ... 12

3.1.2 Soziale Unterstützung ... 18

3.1.2.1 Soziale Netzwerke ... 18

3.1.2.2 Typen sozialer Unterstützung ... 19

3.1.2.3 Wirkung sozialer Unterstützung ... 20

3.1.2.4 Soziale Unterstützung im privaten Umfeld ... 21

3.1.2.5 Erwartungen des Patienten/der Patientin ... 23

3.1.2.6 Mögliche negative Auswirkungen sozialer Unterstützung ... 24

3.1.2.7 Soziale Unterstützung im Krankheitsverlauf ... 25

3.1.3 Posttraumatische Reifung ... 27

3.1.3.1 Konzepte und Abgrenzungen ... 27

3.1.3.2 Posttraumatische Reifung und Bewältigung ... 31

3.1.3.3 Posttraumatische Reifung und soziale Unterstützung ... 33

3.2 Befunde aus empirischen Studien ... 35

3.3 Erlebnisberichte ... 39

3.3.1 Erlebnisbericht Nr. 1: Annette Rexrodt von Fircks ... 39

3.3.2 Erlebnisbericht Nr. 2: Ken und Treya Wilber ... 44

3.3.3 Erlebnisbericht Nr. 3: Muriel Simon ... 49

3.3.4 Zusammenfassung ... 53

4 Forschungsdesign für die empirische Studie... 55

4.1 Methodische Anforderungen ... 55

4.2 Vorgehensweise ... 56

5 Empirische Ergebnisse ... 59

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5.1.1 Hauptquellen sozialer Unterstützung ... 59

5.1.2 Art der Unterstützung ... 63

5.1.3 Erleben der Unterstützung ... 71

5.1.4 Unterschiedliche Unterstützung im Krankheitsverlauf ... 76

5.1.5 Auswirkung sozialer Unterstützung auf die Krankheitsbewältigung ... 79

5.2 Posttraumatische Reifung... 81

5.2.1 Intensivierte Wertschätzung des Lebens ... 81

5.2.2 Intensivierung persönlicher Beziehungen ... 85

5.2.3 Bewusstwerden der eigenen Stärke ... 88

5.2.4 Entdeckung neuer Möglichkeiten ... 90

5.2.5 Intensiviertes spirituelles Bewusstsein... 91

5.2.6 Posttraumatische Reifung und soziale Unterstützung ... 92

6 Zusammenfassung kritische Würdigung und Empfehlungen ... 95

6.1 Zusammenfassung ... 95 6.2 Kritische Würdigung ... 96 6.3 Empfehlungen ... 97 Literaturverzeichnis ... 99 Anhang ... 102 Interviewleitfaden Expertin ... 102 Interviewleitfaden Betroffene ... 104

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4 1 Einführung

1.1 Problemstellung

Krebserkrankungen sind ein allgegenwärtiges Thema. Es gibt in unseren Breiten kaum noch einen Menschen, der nicht eine Betroffene/einen Betroffenen kennt, der/die an einer Krebserkrankung leidet bzw. gelitten hat.

Statistik Austria (2014: 76f) zufolge stellt Brustkrebs mit 30% die häufigste Krebser-krankung unter Frauen dar. 2011 erkrankten 5.349 Frauen in Österreich. Die Inzi-denzrate betrug 75,2 und die Mortalitätsrate 15,9 (jeweils altersstandardisiert und bezogen auf 100.000 Frauen). In absoluten Zahlen sind 1.481 Frauen im Jahr 2011 an Brustkrebs gestorben. Bezogen auf alle Krebssterbefälle bei Frauen waren 16% auf Brustkrebs zurückzuführen. Die Krebsprävalenz betrug 64.560. Trotz dieser ho-hen Zahlen ist die Überlebenswahrscheinlichkeit kontinuierlich gestiegen. Das relati-ve 5-Jahres-Überleben ist zwischen 1987 und 2007 von 67% auf 86% gestiegen. Dies lässt sich sowohl auf verbesserte Vorsorge und Früherkennung als auch auf Fortschritte in der Therapie zurückführen. Männer können ebenfalls an Brustkrebs erkranken (85 Männer im Jahr 2011). Aufgrund dieser kleinen Fallzahl und wegen der spezifischen Belastung, die Brustkrebs für Frauen darstellt, werden für die fol-gende Diplomarbeit ausschließlich Frauen befragt.

Krebs, so Tschuschke (2006: 3ff), ist eine Sammelbezeichnung für bösartiges Zell-wachstum in verschiedenen Ausformungen. Es gibt zahlreiche Ausformungen der Krebserkrankungen, die sich teils stark voneinander unterscheiden. Sowohl die Ent-stehung der Krankheit als auch ihre Prognosen sind je nach Krebsart unterschied-lich. Obwohl in Österreich mehr Menschen an Herz-Kreislauf-Erkrankungen sterben als an Krebserkrankungen, ist Krebs eine besonders gefürchtete Diagnose und wird

„mit dem Bösen schlechthin identifiziert“ (ebd.: 3), was unter anderem auch dazu

führt, dass Krebspatienten/Krebspatientinnen gemieden werden, um einer Ausei-nandersetzung mit diesem Thema aus dem Weg zu gehen. Viele an Krebs Erkrankte fühlen sich durch Freunde oder Bekannte gemieden und berichten von Veränderun-gen in der Kommunikation und Brüchen in sozialen BeziehunVeränderun-gen.

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5 Schon seit langem ist bekannt (Aymanns 1992: 90f), dass während der Phase der Diagnosemitteilung und wenn Behandlungen durchgeführt werden, welche Neben-wirkungen nach sich ziehen, sich auch die psychische Befindlichkeitverschlechtert. Der Krebspatient/die Krebspatientin leidet nicht tatsächlich unter der Krebserkran-kung, sondern vielmehr unter den kognitiven, psychischen und körperlichen Folgeer-scheinungen, die damit verbunden sind; zu nennen sind hier beispielsweise Verän-derungen im körperlichen Erscheinungsbild, Unsicherheit über den weiteren Verlauf der Erkrankung, Niedergeschlagenheit, Angst vor operativen Eingriffen oder Chemo-therapie und damit verbundene Schmerzen. Auch wenn sich Patienten/Patientinnen mit der Besserung des Gesundheitszustandes immer mehr an Gesunde angleichen – bezogen auf Ängste und Depressionen – so bleiben die Sorgen vor einer neuerli-chen Verschlechterung dennoch latent im Bewusstsein vorhanden, was eine gestei-gerte Sensibilität für körperliche Veränderungen nach sich zieht. Eine besonders hohe Belastung der Patienten/Patientinnen führt laut Aymanns (1992: 91) auch im Zeitverlauf zu einer anhaltenden Beeinträchtigung des psychischen Befindens. Mit einer Krebserkrankung gehen laut Tschuschke (2006: 40f) vor allem die folgen-den physischen, psychischen und sozialen Belastungen einher: Gleichsetzung der Krebsdiagnose mit Tod und Sterben, Verletzung der körperlichen Unversehrtheit, Autonomieverlust, Verlust von Aktivitäten und Gewohnheiten, soziale Isolie-rung/Distanzierung, Stigmatisierungsangst und Bedrohung der sozialen Identität und des Selbstwertgefühls. Zwischen den ersten Symptomen und der Diagnose vergeht oft einige Zeit, in der die Symptome oftmals aus Angst verleugnet werden. Durch die Stellung der Diagnose, die bei Vielen einen schwerwiegenden Einschnitt ins bisheri-ge Leben darstellt, wird der/die Betroffene mit der Realität konfrontiert und muss sich damit auseinandersetzen. Die erste Reaktion auf eine Krebsdiagnose ist bei den Betroffenen meist Schock, Bestürzung, Traumatisierung und der Verlust persönlicher Kontrolle. Krebspatienten/Krebspatientinnen fühlen sich oft hilflos und voller Angst, Wut und Trauer. Die psychischen Nöte sind von den Angehörigen, aber auch von den Ärzten/innen, kaum nachvollziehbar. Somit sind angemessene Reaktionen des sozialen Umfeldes meist nicht möglich, wodurch die Genesung erschwert wird und sich auch die Beziehungen verschlechtern können.

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6 Die weitere Lebensführung, so führt Tschuschke (ebd.: 42f) weiter aus, wird stark beeinflusst und die Anpassungsbemühungen können bei den Patienten/Patientinnen individuell sehr unterschiedlich sein. Dennoch gibt es gemeinsame Erfahrungen, die bei allen Betroffenen gleichermaßen vorkommen. Schon bei den ersten Symptomen und beim ersten Verdacht tritt Stress auf. Am belastendsten werden die Phase der diagnostischen Abklärung der Symptome sowie auch der operative Eingriff erlebt. Der Anpassungsprozess geht noch lange Zeit danach weiter und wird zu einem Langzeitproblem. Ein kritischer Punkt in Bezug auf die Krankheitsbewältigung ist die Frage, ob der/die Erkrankte sich aufgibt oder sich für die eigene Heilung engagiert, wobei die Anpassung beim Großteil der Patienten/Patientinnen gut gelingt.

Untersuchungen zeigen erhöhte Werte an Depressionen, Angst und Stress bei Über-lebenden verschiedener Krebserkrankungen. 48% der KrebsüberÜber-lebenden weisen krankheitsbezogene posttraumatische Stresssymptome auf, darunter beispielsweise die ständige Erinnerung an den Eingriff, Versuche, schmerzvolle Gedanken an die Erkrankung zu vermeiden, das wiederholte Auftauchen emotionaler krankheitsbezo-gener Belastungen oder die Angst vor Rezidiven (ebd.: 63).

Brustkrebs stellt für die betroffenen Frauen eine große Herausforderung für die Be-wältigung der Erkrankung dar. In unserem Kulturkreis kommt der weiblichen Brust eine hohe symbolische Bedeutung zu. Im Falle einer Entfernung des Tumors wird der Körper der Betroffenen nach außen sichtbar verändert, was zu einer zusätzli-chen psychiszusätzli-chen Belastung werden kann.

Wer Betroffene kennt, hat meist schon miterlebt, dass die Lebensqualität der Betrof-fenen oft in erheblichem Ausmaß unter der Erkrankung und unter den medizinischen Behandlungsformen leidet. Die Patientinnen haben nicht nur körperliche Schmerzen, sondern leiden auch emotional unter ihrer Krankheit. Es treten Ängste vor Zweittu-moren auf und eine Chemotherapie geht mit starken körperlichen Symptomen einher (Übelkeit, Erbrechen). Der gesamte Alltag muss neu organisiert und ausgerichtet werden. Nach der Therapie bleiben Ängste und Unsicherheiten oftmals weiter be-stehen. Auch wenn Betroffene den Krebs überlebt haben, leiden sie manchmal noch an Folgen wie beispielsweise soziale Folgen durch Stigmatisierung und Selbststig-matisierung oder auch körperlichen Folgeerscheinungen, welche die Lebensqualität

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7 beeinträchtigen. Zudem werden sie mit ihrem Tod konfrontiert, was eine erhebliche psychische Belastung und eine Herausforderung in Bezug auf die Krankheitsbewäl-tigung darstellen kann, aber auch eine Chance für persönliches Wachstum bietet. Dieses persönliche Wachstum wird als posttraumatische Reifung bzw. posttraumati-sches Wachstum bezeichnet. Es handelt sich dabei um positive Veränderungen, die als Folge der Bewältigung von Krisen und schweren Schicksalsschlägen auftreten können und wobei die Betroffenen über sich hinauswachsen (Zöllner et al 2006: 37). Unter Punkt 3.1.3 wird die posttraumatische Reifung näher erläutert.

Betrachtet man all dies, so wird deutlich, wie entscheidend es für Betroffene ist, emotionale Unterstützung zu erhalten, um mit den vielfältigen Belastungen zurech-tzukommen und die Krebserkrankung gut bewältigen zu können.

Bei der ersten Durchsicht der Literatur wurde deutlich, dass es zwar zahlreiche Un-terlagen und Forschungsergebnisse in Bezug auf Brustkrebs und Bewältigung bzw. soziale Unterstützung gibt, jedoch vergleichsweise noch relativ wenig über Brust-krebs und posttraumatische Reifung, vor allem bezogen auf Österreich. Aus diesem Grunde ist ein Schwerpunkt der Untersuchung die posttraumatische Reifung bei Brustkrebspatientinnen.

Da für die vorliegende Untersuchung Frauen aus Selbsthilfegruppen befragt werden, ist nachfolgend das Wesen von krankheitsbezogenen Selbsthilfegruppen in Öster-reich kurz umrissen.

1.2 Krankheitsbezogene Selbsthilfegruppen

Selbsthilfe ist laut Grunow (2006: 1053-1061) dadurch definiert, dass sich eine Per-son oder ein Gefüge aus PerPer-sonen selbständig um Lösungen und Abhilfe bei Prob-lemen kümmert. „Selbsthilfegruppen (SHG) sind künstliche, d.h. zum Zweck der

Selbsthilfe geschaffene mikrosoziale Gebilde“ (ebd.: 1061). Personen mit den

glei-chen gesundheitliglei-chen Problemen bzw. Krankheiten schließen sich freiwillig zusam-men und treffen sich regelmäßig, um sich gegenseitig bei der Bewältigung zu helfen.

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8

„Die Gruppe ist dabei ein Mittel, die äußere (soziale, gesellschaftliche) und die inne-re (persönliche, seelische) Isolation aufzuheben“ (ebd.: 1061). Vor allem in Bezug

auf chronische Krankheiten haben Selbsthilfegruppen eine große Bedeutung, da kurative medizinische Maßnahmen auf das Anwachsen ebendieser Erkrankungen nicht ausreichend reagieren können. Neben der klassischen Funktion der gegensei-tigen Unterstützung ist auch die Außenorientierung in Form aktiver Interessensver-tretung von Bedeutung.

In den letzten Jahrzehnten, so Forster et al (2011: 9-15), haben die Gründungen von gesundheitsbezogenen Selbsthilfegruppen stark zugenommen. 2008 gab es etwa 1.650 themenspezifische, gesundheitsbezogene Selbsthilfegruppen in Österreich. Übergreifend gibt es in fast allen Bundesländern Dachverbände, welche alle Selbst-hilfegruppen im jeweiligen Bundesland verbinden, Ansprechpartner für Betroffene sind und die Interessen der Gruppen vertreten. Die ARGE Selbsthilfe Österreich wiederum ist ein Zusammenschluss der Dachverbände. Hauptsächlich engagieren sich die Aktivisten/Aktivistinnen der Selbsthilfegruppen unentgeltlich. Öffentliche Förderungen sind in Österreich nicht einheitlich und kaum transparent. Es gibt För-derungen der Bundesländer und vereinzelt auch auf Länder- und kommunaler Ebe-ne. Der größte finanzielle Unterstützer ist der Hauptverband der Sozialversiche-rungsträger.

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9 2 Forschungsziele und Forschungsfragen

2.1 Forschungsziele

Ziel der Forschungsarbeit ist es näher zu untersuchen, inwiefern von Brustkrebs be-troffene Frauen durch soziale Unterstützung des nahen sozialen Umfeldes ihr Leiden besser bewältigen, und ob und inwieweit es zu einem posttraumatischen Wachstum kommt.

Mit dem Begriff „Leiden“ wird in dieser Forschungsarbeit nicht die medizinische Krankheit an sich bezeichnet, sondern deren soziale Komponente. Ken Wilber trifft folgende Unterscheidung zwischen Erkrankung und Leiden:

„Bei jeder Krankheit steht man vor zwei ganz verschiedenen Dingen.

Zu-nächst einmal ist da der Krankheitsprozess selbst – ein Knochenbruch, eine Grippe, ein Herzinfarkt, ein bösartiger Tumor. Nennen wir diesen Aspekt der Krankheit ‚Erkrankung‘. Die Erkrankung ist mehr oder weniger wertfrei, weder wahr noch unwahr, weder gut noch schlecht – sie ist einfach. Zweitens aber hat ein Erkrankter mit der Haltung zu tun, die seine Gesellschaft oder Kultur gegenüber dieser Erkrankung einnimmt, also mit den Urteilen, Ängsten, Hoff-nungen, Mythen, Geschichten, Wertvorstellungen, kurz mit der Bedeutung, die eine bestimmte Gesellschaft mit jeder Erkrankung verbindet. Nennen wir diesen Aspekt der Krankheit ‚das Leiden‘. Krebs ist nicht nur eine Krankheit, ein medizinisch-wissenschaftliches Phänomen, sondern zugleich ein Leiden, das heißt ein mit kultureller und sozialer Bedeutung befrachtetes Phänomen. Die Wissenschaft sagt uns, wann und in welcher Weise wir krank sind; unsere Kultur oder Subkultur sagt, wann und in welcher Weise wir leidend sind“

(Wil-ber 2014: 54f).

Diese Unterscheidung wird für die Diplomarbeit übernommen und es wird auf den Begriff des Leidens fokussiert.

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10 Ziel dieser Forschungsarbeit ist es also, mittels theoretischer und empirischer Infor-mationen zu untersuchen, in welcher Art und Weise soziale Unterstützung durch den/Partner die Partnerin und andere nahe Angehörige als hilfreich für die Krank-heitsbewältigung von Brustkrebspatientinnen erlebt wird. Es soll untersucht werden, von wem soziale Unterstützung erhalten wird, um welche Art der Unterstützung es sich handelt und wie diese erlebt wird. Weiters wird untersucht, ob es durch die Be-wältigung und die soziale Unterstützung zu einem posttraumatischen Wachstum bei den Patientinnen kommt.

2.2 Forschungsfragen

Damit ergeben sich die nachfolgenden Forschungsfragen.

Zum einen soll die soziale Unterstützung, die die betroffenen Frauen erhalten, in Be-zug auf die Krankheitsbewältigung näher untersucht werden.

 Wie sieht die soziale Unterstützung zur Krankheitsbewältigung von Brust-krebspatientinnen aus?

o Von welchen Personen werden Brustkrebspatientinnen unterstützt? o Um welche Art der Unterstützung handelt es sich?

o Wie werden diese Unterstützungsmaßnahmen erlebt?

o Welche Unterschiede gibt es bezüglich der Unterstützung in den ver-schiedenen Krankheitsverlaufsphasen?

o Auf welche Art und Weise wirkt sich soziale Unterstützung auf die Krankheitsbewältigung aus?

Zum anderen wird durch die Befragung untersucht, ob es bei den Betroffenen zu persönlichen Veränderungen, die als posttraumatische Reifung bezeichnet werden, gekommen ist und wie sich diese bei den befragten Frauen zeigt.

 Kommt es durch den Prozess der Krankheitsbewältigung zu einer posttrau-matischen Reifung?

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11 o Kommt es zu Veränderungen des sozialen Netzwerkes?

o Entwickeln die Betroffenen mehr eigene Stärke? o Entdecken die Betroffenen neue Möglichkeiten?

o Intensiviert sich das spirituelle Bewusstsein der Betroffenen?

o Welchen Einfluss hat soziale Unterstützung auf die posttraumatische Reifung?

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12 3 Theoretische und konzeptionelle Grundlagen

3.1 Theorien und Ansätze zu Bewältigungsformen

3.1.1 Krankheitsbewältigung

„Bewältigung oder Coping wird ganz allgemein definiert als die Summe der

Verhal-tensweisen und Gedanken, mittels deren Menschen versuchen, mit belastenden Si-tuationen fertig zu werden“ (Joseph 2015: 113)

Laut Tschuschke (2006: 19f) reichen die Untersuchungen in Bezug auf die Reaktio-nen auf Stress und Belastungen bis weit ins 19. Jahrhundert zurück, bis zu den Urs-prüngen der Psychoanalyse. Anfangs wurden lediglich die verschiedenen Abwehr-mechanismen erfasst. Ab 1967 gab es einen Aufschwung in der empirischen Krank-heitsbewältigungsforschung. Das Coping-Konzept ist dadurch allerdings begrifflich und methodologisch nicht klar abzugrenzen, was vor allem auf widersprüchliche Forschungsergebnisse zurückzuführen ist. Die Definition des Begriffes der Krank-heitsbewältigung ist umstritten und es „gibt keine allgemein anerkannte

Methodolo-gie zur Erfassung von Krankheitsverarbeitung und -bewältigung bei Krebspatienten“

(ebd.: 20).

Joseph (2015: 113) unterteilt Bewältigung generell in annäherungsorientierte Metho-den, im Folgenden als Coping bezeichnet, wobei die betroffenen Menschen sich bemühen, die belastende Situation zu ändern und/oder ihre damit verbundenen Ge-fühle zu bewältigen auf der einen Seite und auf der anderen vermeidungsorientierte Methoden, wobei die Situation ignoriert und die korrespondierenden Gefühle ver-leugnet werden, nachfolgend als Abwehr bezeichnet.

Im Folgenden wird der Unterschied zwischen Coping und Abwehr näher erläutert. Abwehr ist, Tschuschke (2006: 20f) folgend, ein psychoanalytisches Konzept und geht auf Siegmund Freud zurück, der Abwehr als unbewussten Kampf gegen Un-lustgefühle definiert hat. Seine Tochter Anna Freud erweiterte seine ursprünglich

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13 zehn Abwehrmechanismen, wobei sie beobachtete, dass sich Personen jeweils auf bestimmte Mechanismen beschränken. Man nahm in der Folge an, dass ein Zu-sammenhang zwischen Abwehr-Stilen und psychologischen Problemen besteht und dass es adaptive, reife, nicht-krankmachende und nichtadaptive, unreife, krankma-chende Formen gibt.

Abwehrmechanismen können daher sowohl psychopathologische Entwicklungen als auch konstruktive Anpassungsleistungen begünstigen. Sie sind weitgehend innere, unbewusste Prozesse, wirken Angst vermindernd und entziehen sich einer objekti-ven Beobachtung; Realität und Selbstwahrnehmung werden verzerrt. Ob Abwehr-mechanismen für die Krankheitsbewältigung hilfreich sind oder eher eine Fehlan-passung darstellen, ist umstritten. Dennoch wird Verleugnung als vorherrschender, weit verbreiteter Bewältigungsmechanismus betrachtet. Die Bedeutung der Erkran-kung wird bewusst oder unbewusst zurückgewiesen, wodurch Angst und dergleichen abgeschwächt werden (Broda/Muthny 1990: 43ff).

Coping-Reaktionen hingegen, so Tschuschke (2006: 21), sind bewusste Reaktionen auf belastende Situationen. Empirisch wurden zwei Grunddimensionen untersucht: emotionales und problemorientiertes Coping. Weiterentwicklungen durch Folkman und Lazarus in den 1970er und 1980er Jahren führten zu der Annahme, dass Co-ping-Strategien situationsgebunden und kontextabhängig sind. Coping wird als Pro-zess aufgefasst, in dem sich die Person mit der belastenden Situation auseinander-setzt und ein Gleichgewicht zwischen den Anforderungen und den Bewältigungsres-sourcen herstellt.

Im Coping-Ansatz wird also der Fokus auf die bewusste Verarbeitung der Erkran-kung gelegt (vgl. Broda/Muthny 1990: 45). Die Betroffenen werden nicht mehr als passive Opfer gesehen sondern als "aktive Gestalter einer eigenen erträglichen

Sichtweise und Neuanpassung an die Krankheit" (ebd.: 45). Die

Krankheitsbewälti-gung wird nicht nur durch soziodemographische Variablen beeinflusst, sondern vor allem auch durch Persönlichkeitsvariablen. Positiv wirken sich Selbstvertrauen, ein gutes Selbstwertgefühl, aktive Bewältigungsorientierung, Problemlösefähigkeiten und soziale Kompetenz aus. Negativ wirken Hilflosigkeit, Mangel an Hoffnung oder fatalistische Einstellungen.

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14 Abwehr und Coping weisen demnach, wie Tschuschke (2006: 22f) weiter anführt, unterschiedliche Funktionen und Wirkungen auf. „Während die Abwehr darauf zielt,

Bedrohung von sich fernzuhalten bzw. sie im unbewussten subjektiven Erleben mehr oder weniger zu modifizieren – sie also zu verleugnen, zu bagatellisieren, zu ver-drängen oder zu projizieren – quasi als unbewusster Filter für einkommende Infor-mationen über eine Bedrohung dient, greift Coping einen eher bewussten Umgang mit real gegebenen Fakten um die Erkrankungssituation herum auf“ (ebd.: 22).

Ab-wehr kann die Realität also mitunter verzerren und somit ein angemessenes Coping erschweren oder gänzlich verhindern.

Allerdings kann Vermeidung, wie bereits ausgeführt, auch eine hilfreiche Bewälti-gungsstrategie sein. Vermeidet eine onkologisch erkrankte Person beispielsweise den Gedanken an den möglichen Tod und hat dadurch die Kraft, sich in medizini-sche Behandlung zu begeben, so ist dies ein hilfreiches Verhalten. Wird jedoch die Krebserkrankung an sich vermieden bzw. verleugnet und lässt sich die betroffene Person deswegen nicht behandeln, so wirkt sich diese Verhaltensweise problema-tisch aus, vor allem wenn diese Vermeidungsstrategie über einen längeren Zeitraum anhält. Abwehr ist dann am wahrscheinlichsten, wenn die Belastung besonders groß, unkontrollierbar und unveränderlich wahrgenommen wird, was bei einer Brust-krebsdiagnose leicht der Fall sein kann. Man wird mit den eigenen Grenzen und mit einem möglichen frühen Tod konfrontiert, was nicht selten mit Vermeidung einher geht. Als erste Reaktion ist dies verständlich. Bleibt man jedoch in der Abwehr ge-fangen, führt diese Vermeidung dazu, dass eine bewusste Auseinandersetzung ver-hindert wird und die Betroffenen nicht über die Belastung hinwegkommen können. (Joseph 2015: 115f)

Canacakis (2006: 38) bezeichnet Verdrängungen als nicht gelungene Trauer. Es gibt viele Erscheinungsbilder der Trauer, die Ausdruck finden müssen damit ein Mensch auch wieder positive Gefühle und Lebensqualität erleben kann. „Sollten wir aus

ir-gendeinem Grund versuchen, das Fließen eines Gefühls zu blockieren, weil es zum Beispiel nicht erlaubt ist, dann blockieren wir diesen Weg auch für die anderen Ge-fühle und stören damit das Gleichgewicht und die selbstregulierenden Energien des sinnvollen Ganzen“ (ebd.: 38). Auch der Verlust von Gesundheit, von körperlicher

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15 Unversehrtheit, von Hoffnungen und anderen relevanten Komponenten einer chroni-schen Krankheit müssen entsprechend betrauert werden damit eine positive Weiter-entwicklung stattfinden kann – auch im Sinne einer posttraumatischen Reifung. Es ist daher, wie Joseph (2015: 116-119) schreibt, hilfreich, annäherungsorientierte Bewältigungsmethoden anzuwenden, also sich dem Thema der eigenen Krebser-krankung zu stellen, die damit verbunden Gefühle zu bewältigen und zu lernen, mit der Belastung gut umzugehen. Annäherungsorientierte Bewältigung (Coping) wird in aufgabenorientierte und gefühlsorientiere Bewältigung unterteilt. Aufgabenorientier-tes Coping ist eine praktische, aktive Herangehensweise an die traumatische Situa-tion und die dadurch ausgelösten Probleme. Stretegien zur Bewältiung werden be-wusst angewandt, Rat und Hilfe werden gesucht. Durch gefühlsorientiertes Coping werden Strategien eingesetzt, um die emotionalen Belastungen gut zu bewältigen. Dazu gehört auch, sich Unterstützung durch andere Menschen zu suchen. „Während

aufgabenorientierte Bewältigung dann wichtig ist, wenn die Situation einer Änderung bedarf, brauchen wir gefühlsorientiertes Coping bei übergroßer Belastung, da diese Form der Bewältigung uns hilft, mit unseren Gefühlen fertig zu werden“ (ebd.: 119).

In Bezug auf eine Anpassung an eine Krebserkrankung mitsamt deren Auswirkun-gen wirken aktive Coping-Strategien positiv auf die Lebensqualität, im GeAuswirkun-gensatz zu Resignation, Hoffnungslosigkeit oder Vermeidung, welche sich negativ auf den Krankheitsverlauf auswirken (Tschuschke 2006: 95). Werden aktive, aufgaben- und emotionsorientierte Coping-Strategien genutzt, kommen diese Menschen generell besser mit den Belastungen zurecht und berichten auch häufiger über posttraumati-sches Wachstum als Menschen, die mit Abwehr reagieren (Joseph 2015: 122). Coping ist laut Tschuschke (2006: 24f) – wie bereits ausgeführt – eine Reaktion im Denken und Verhalten, beispielsweise eine Reaktion auf eine Brustkrebserkrankung. Dazu gehören die Bewertung der Lage im Sinne der persönlichen Bedeutung, wel-che die Krebserkrankung für die betroffene Frau hat und die Reaktionen im Denken und Handeln, mit denen die Bedrohung gemildert wird. Krankheitsbewältigung ist nicht statisch und kein einmaliges Ereignis sondern ein Prozess der sich mit der Zeit ändern und unterschiedliche Phasen aufweisen kann.

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16 Diese Phasen der Krankheitsbewältigung sind:

 „Vorgeschichte: biographisch definierte Ängste und Fantasien über Krebs  erste Symptome: Wahrnehmung bzw. Vernachlässigung der ersten

Symp-tome

 erster Arztbesuch und anschließende Abklärung  Erstbehandlung (häufig chirurgisch)

 Auftreten eines Rezidivs bzw. von Metastasen

 Zweitbehandlung (häufig Chemo- bzw. Strahlentherapie)  Heilung/chronische Krankheit/Sterben und Tod“

(ebd.: 25)

Ein Phasenmodell haben auch Corbin/Strauss (1993: 11f) mit ihrem Konzept der Krankheitsverlaufskurven entwickelt. Dieses Konzept bezieht sich nicht nur auf den physischen Krankheitsverlauf, sondern auch auf die krankheitsbezogene Bewälti-gungsarbeit. Die verschiedenen Phasen haben je unterschiedliche Anforderungen und Konsequenzen für den Lebensentwurf des Patienten/der Patientin. Die Bezie-hung zu sich selbst, zum Körper und der äußeren Erscheinung, zum Lebensverlauf verändert sich und die Erkrankung muss ins gesamte Leben integriert werden. Die notwendige Bewältigungsarbeit im Krankenhaus bezieht sich auf die ärztlichen, me-dizinischen und pflegerischen Leistungen des Personals. Im Gegensatz dazu ist die Arbeit, die in der Familie geleistet wird, wesentlich komplexer.

Durch ihr Konzept der Bewältigungsarbeit nehmen Corbin/Strauss (ebd.: 29f) eine soziologische Perspektive ein. Sie unterscheiden diesbezüglich zwischen dem rein medizinischen Krankheitsverlauf und der Krankheitsverlaufskurve. Die Verlaufskurve umfasst nicht nur den physiologischen Krankheitsverlauf, sondern auch die gesamte Bewältigungsarbeit, welche in diesem Zusammenhang von den Betroffenen und de-ren Angehörigen geleistet wird und den Eingriff in das weitere Leben der Patien-ten/Patientinnen. Eine ähnliche Differenzierung nimmt auch Wilber vor, wenn er wie bereits erwähnt, zwischen Krankheit und Leiden unterscheidet. Beim Begriff der Ver-laufskurve kommt allen Beteiligten eine aktive Rolle zu. Der Verlauf wird neben der Krankheit an sich und den Reaktionen des/der Betroffenen darauf auch durch die Art

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17 des Handelns aller Beteiligten bestimmt. Der Hauptteil der Alltagsarbeit in Bezug auf die Krankheitsbewältigung ist von der erkrankten Person und dessen Part-ner/Partnerin zu leisten, wobei die Familie und andere nahestehende Personen sich vor allem um das Leiden und nicht um die Krankheit kümmern.

Die Verlaufskurve ist nicht starr sondern verändert sich mit den Krankheitsphasen und passt sich verschiedenen lebens- und krankheitsbezogenen Ereignissen an. Physischer und emotionaler Zustand müssen nicht unbedingt zusammenhängen. Eine Phase ist akut, wenn die Krankheit eine umgehende medizinische Behandlung erforderlich macht. Die Bewältigungsarbeit in dieser Phase bezieht sich auf die kör-perliche und psychische Stabilisierung und die Förderung der Genesung. Diese Phasen werden vom medizinischen Personal bewältigt, nicht in der Familie. Die auf eine Krankheitsphase folgende Renormalisierung ist sowohl eine körperliche als auch eine emotionale Erholung. Die Verlaufskurve geht nach oben und es wird eine Wiederherstellung des Wohlbefindens angestrebt. In einer stabilen Phase tritt weder eine Verschlechterung noch eine Verbesserung auf. Die Bewältigungsarbeit in dieser Phase dient der Aufrechterhaltung der Stabilität. In einer instabilen Phase hingegen ist die Krankheit nicht unter Kontrolle. Die üblichen Strategien zur Bewältigung grei-fen nicht, also versucht man die Ursache der Instabilität und/oder alternative Bewäl-tigungsformen zu finden. Die Krankheit ist unberechenbar und kann die normale Le-bensführung stören. In einer Phase in welcher die Verlaufskurve nach unten gerich-tet ist, verschlechtert sich der Krankheitsverlauf. Das ist auch der Fall, wenn ein Mensch seinem Lebensende zugeht (Corbin/Strauss 1993: 36–40).

"Stoßen Menschen an die Grenzen der eigenen Bewältigungsmöglichkeiten, kann Unterstützung von außen neuen Halt geben und zur Wiedererlangung der individuel-len Handlungsfähigkeit beitragen" (Aymanns 1992: 12). Somit sind beispielsweise

Beziehungen zu Freunden und Familie wichtige soziale Ressourcen. Nicht nur der/die Betroffene, sondern auch Angehörige haben mit dem Prozess der Krank-heitsverarbeitung zu tun und können maßgeblichen Einfluss darauf nehmen.

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18 3.1.2 Soziale Unterstützung

Die betroffene Person, so Aymanns (1992: 91), muss sich sowohl mit der Erkran-kung selbst als auch mit dem sozialen Umfeld auseinandersetzen. Die Krankheits-bewältigung variiert also nicht nur mit dem objektiven Krankheitsverlauf, sondern auch mit den personalen und sozialen Ressourcen des Patienten/der Patientin.

„Angst und Ungewißheit über den Fortgang der Erkrankung, einsetzende Trauer-reaktionen angesichts der Bedrohung des eigenen Lebens, Einschränkungen der Funktionsfähigkeit und der Verlust sinnstiftender Handlungszusammenhänge wer-den für viele Patienten zu zentralen Themen der Krankheitsauseinandersetzung.“

(ebd.: 91) Infolge dieser Probleme mobilisieren viele Betroffene soziale Unterstüt-zung um Hilfe bei der Bewältigung der Erkrankung und deren emotionalen Folgeer-scheinungen zu erhalten. Sozialer Unterstützung kommt eine hohe Bedeutung zu, betrachtet man die Frage, warum bei manchen Patienten/Patientinnen die Wieder-anpassung besser gelingt als bei anderen mit derselben medizinischen Ausgangsla-ge.

3.1.2.1 Soziale Netzwerke

Hurrelmann (2010: 80ff) schreibt, dass durch die Einbindung in soziale Netzwerke eine Person Geborgenheit und soziale Integration im nahen und privaten Lebensum-feld erfährt, was nicht nur positiv auf das Selbstwertgefühl wirkt, sondern auch eine Ressource zur Bewältigung von Krisen und Unterstützung im Krankheitsfall darstellt. Somit haben soziale Netzwerke eine direkte gesundheitsrelevante Bedeutung. „Die

Existenz einer engen menschlichen Beziehung hat […] einen disziplinierenden und kontrollierenden Effekt für das Verhalten, bietet zugleich Unterstützung in Krisenla-gen und fördert auf diese Weise gesundheitsrelevante Handlungsmuster“ (ebd.: 81).

Darüber hinaus werden Krisensituationen besser bewältigt, wenn die soziale Unters-tützung über einen längeren Zeitraum hinweg gewährt wird. Zudem ist es wichtig und hilfreich, wenn mehrere Unterstützungspersonen vorhanden sind. Je stärker die Einbindung in ein solches soziales Netzwerk ist, umso besser ist die Bewältigung von Belastungen und kritischen Lebensereignissen, wie beispielsweise einer Krebs-erkrankung, und umso weniger treten Überforderungen auf. Diesbezüglich wird ein

(20)

19 soziales Netzwerk auch als „soziale[s] Immunsystem eines Menschen“ (ebd.: 82) bezeichnet.

Ein soziales Netzwerk ist laut Kirschniok (2010: 25ff) ein System von sozialen Be-ziehungen und Verbindungen zwischen einer Anzahl von Menschen, die miteinander im Austausch stehen. Voraussetzung für ein soziales Netzwerk sind also nicht nur eine definierte Anzahl von Personen, sondern auch soziale Handlungen untereinan-der. Zum primären Netzwerk gehören die Familie, Beziehungen zu Verwandten, zu Nachbarn/Nachbarinnen und zu Freunden/Freundinnen. Sekundäre Netzwerke sind beispielsweise Schulen, der Arbeitsplatz und andere öffentliche Netzwerke. Zu den tertiären Netzwerken zählen zum Beispiel Selbsthilfegruppen, NGOs und professio-nelle Dienstleister.

Netzwerke werden auch als soziales Kapital betrachtet, das dem Individuum einen Nutzen bringt, was besonders im Hinblick auf soziale Unterstützung im Krankheitsfall von Bedeutung ist. Es werden materielle, kognitive und emotionale Hilfestellungen geboten. Darunter fallen handlungs- und verhaltensorientiere Hilfeleistungen wie zum Beispiel: Personen- bzw. güterbezogene Leistungen (Betreuung, Hilfe bei Re-paraturen), Handlungen wie beispielsweise Pflege, materielle Unterstützung, sachli-che Informationen und Wissen, persönlisachli-che Ratschläge, gemeinsame soziale Aktivi-täten und Freizeitgestaltung. Weitere relevante Aspekte sozialer Unterstützung sind: Vermittlung von Wertschätzung, Anerkennung, Status, sozialer Normen, Zugehörig-keit und sozialer Kompetenzen (ebd.: 28).

3.1.2.2 Typen sozialer Unterstützung

Nach Hurrelmann (2010: 82) werden vier Typen sozialer Unterstützung unterschie-den: Emotionale Unterstützung (Wertschätzung, Akzeptanz), Instrumentelle Unters-tützung (finanzielle Hilfe, aktives Helfen), Informationelle UntersUnters-tützung (Bereitstellen von Kenntnissen und Informationen), Einschätzungsunterstützung (Bewertung und Lösung von Situationen).

(21)

20 Vor allem ist es die Familie, die bei Dauerbelastungen, wie beispielsweise einer Krebserkrankung, emotionale Unterstützung und nachhaltige Hilfe bieten kann. Freunde/Freundinnen bieten eher informationelle und kurzfristige Unterstützungen. Im Gegensatz zur Familie besteht im Freundeskreis keine moralische Verpflichtung; die Hilfestellungen werden freiwillig geleistet. Gerade weil Unterstützung durch Freunde/Freundinnen nicht selbstverständlich ist, ist sie oft besonders wirkungs-voll(vgl. ebd.: 82).

Bei der Bewältigung von schweren chronischen Krankheiten ist Aymanns (1992: 91f) zufolge soziale Unterstützung entscheidend. Von den unterschiedlichen Personen-gruppen wird auch eine unterschiedliche Unterstützungsform erwartet. Emotionaler Rückhalt wird vor allem von der Familie gefordert, aber nicht ausschließlich; auch vom medizinischen Personal und dem Freundeskreis wird dies erwartet. Emotionale Unterstützung ist für Krebspatienten/Krebspatientinnen die wichtigste Form der so-zialen Unterstützung. Informationsbezogene Unterstützung wird vom medizinischen Personal gefordert und hat in Verbindung mit emotionaler Unterstützung auch einen hohen Stellenwert. Es wird Kompetenz erwartet, weshalb Familienmitglieder und Freunde/Freundinnen kaum um Informationen gefragt werden und eine unzurei-chende Kompetenz des Arztes/der Ärztin besonders schwerwiegend wahrgenom-men wird. Hier greift die Unterstützung durch Selbsthilfegruppen und andere betrof-fene Patienten/Patientinnen. Der emotionale Rückhalt für Betrofbetrof-fene als wichtigste und hilfreichste Form der sozialen Unterstützung wird durch Zuwendung, Liebe, Zu-hören, einfaches Anwesend sein, Verständnis und Ermutigung ausgedrückt. Instru-mentelle Unterstützung wird je nach Schwere der Funktionseinschränkung der Pa-tienten/Patientinnen als unterschiedlich hilfreich erlebt. Die Einschätzung, was als hilfreich wahrgenommen wird und was nicht, ist individuell sehr unterschiedlich.

3.1.2.3 Wirkung sozialer Unterstützung

Die Wirkung sozialer Unterstützung lässt sich nach Hurrelmann (2010: 83) in Ab-schirmwirkung, Pufferwirkung und Toleranzwirkung einteilen. Die Abschirmwirkung besteht darin, dass es durch das Vorhandensein sozialer Beziehungen seltener zu belastenden Situationen kommt, da die vorbeugende Bewältigungsfähigkeit von

(22)

kri-21 senhaften gesundheitsrelevanten Situationen größer ist. Die Pufferwirkung erklärt sich dadurch, dass emotionale und praktische Hilfeleistungen dazu beitragen, wirk-samer mit Belastungen umzugehen und Selbstwert- und Selbstwirksamkeitsgefühle zu stärken. Schließlich trägt soziale Unterstützung auch dazu bei, mit bereits vor-handenen schweren Erkrankungen toleranter umzugehen und diese leichter zu er-tragen (Toleranzwirkung).

Kolip/Lademann (2006: 636) unterscheiden bzgl. der Wirkung sozialer Unterstützung zwischen direkten Effekten und indirekten Puffereffekten. Einen direkten Einfluss auf das Wohlergehen haben die Vermittlung von Gefühlen wie Liebe, Wertschätzung, Anerkennung und dergleichen durch den/die Lebenspartner/in. Indirekte Puffereffek-te zeichnen sich dadurch aus, dass die soziale UnPuffereffek-terstützung beiträgt, die negativen Auswirkungen von Krisensituationen zu reduzieren.

Soziale und emotionale Unterstützung durch das nahe soziale Umfeld hat also be-züglich des Erlebens von Stress eine Pufferwirkung. Ist die Unterstützung allerdings zu gering, ist das Stresserleben sogar noch erhöht. Auch wenn der/die Betroffene professionelle psychologische Hilfe erhält, ist parallel stattfindende soziale Unters-tützung wichtig um den Erfolg ebendieser professionellen Hilfeleistung zu ermögli-chen (Tschuschke 2006: 139).

3.1.2.4 Soziale Unterstützung im privaten Umfeld

Die wichtigste Quelle sozialer Unterstützung sind, wie bereits ausgeführt, die engen Familienangehörigen. Soziale und emotionale Unterstützung wichtiger Bezugsper-sonen ist in Bezug auf eine Krebserkrankung nicht zu unterschätzen. Der Mensch als soziales Wesen braucht andere Menschen um ein Gefühl von Lebenssinn zu haben, vor allem in Belastungssituationen (Tschuschke 2006: 139).

Kolip/Lademann (2006: 636) weisen darauf hin, dass der Lebenspartner/die Lebens-partnerin eine wichtige Quelle sozialer Unterstützung darstellt, wobei dies ge-schlechtsspezifisch traditionell verteilt ist. Männer leisten eher instrumentelle und materielle, Frauen eher emotionale Unterstützung. Frauen fühlen sich durch ihren

(23)

22 Partner oft zu wenig unterstützt und greifen daher auf andere Personen, wie z.B. eine Freundin, zurück.

Gesundheit wird im Zusammenhang des sozialen Netzwerkes aktiv hergestellt. Durch personale und soziale Schutzfaktoren werden negative Einflüsse auf die Ge-sundheit abgeschwächt. Besonders der Partner/die Partnerin ist als Quelle sozialer Unterstützung von besonderer Bedeutung. "Familienmitglieder geben Hilfen bei der

Bewältigung emotional belastender Situationen und vermitteln ein Gefühl von Wert-schätzung, Liebe und Zugehörigkeit, das sich positiv auf das Wohlbefinden auswirkt"

(ebd.: 625). Neben der gesundheitsförderlichen und protektiven Wirkung der Familie als soziales Stützsystem kann diese aber unter Umständen auch krankheitsförderli-che Entwicklungen begünstigen. Es gilt für die nahen Angehörigen die Norm, Unters-tützungsleistungen bei belastenden Lebensereignissen zu erbringen. Ein Ausbleiben dieser Unterstützungsleistungen erschwert nicht nur die Krankheitsanpassung, son-dern wird von dem Patienten/der Partnerin auch als zusätzliche Belastung erfahren. (ebd.: 625f; Aymanns 1992: 12f).

Die Familie ist Kolip/Lademann (2006: 636ff) zufolge für den Kranken in vielerlei Hinsicht eine Unterstützung: Im akuten Krankheitsfall, bezüglich Erholung und zur Förderung eines gesunden Lebensstiles. Im Falle einer gesundheitlichen Krisensi-tuation kann durch den Partner/die Partnerin rasch medizinische Hilfe gerufen wer-den. Des Weiteren ist die Familie eine Versorgungsinstanz im Krankheitsfall. Bei einer chronischen Erkrankung wird von den Familienmitgliedern der Großteil der Versorgungsarbeit geleistet. Die Familie bietet darüber hinaus einen Raum zur Erho-lung, Entspannung und Ablenkung. Auch hier geht man davon aus, dass aufgrund der nach wie vor vorhandenen geschlechtlichen Arbeitsteilung berufstätige Frauen weniger Möglichkeiten zur Erholung haben, da sie nach Feierabend Hausarbeit zu erledigen haben. Enge Sozialbeziehungen haben durch den kontrollierenden bzw. disziplinierenden Einfluss des Partners/der Partnerin eine positive Wirkung auf ge-sundheitsförderliches Verhalten. Vor allem bei schweren chronischen Krankheiten wie einer Krebserkrankung sind alle genannten Faktoren von Bedeutung.

Durch eine chronische Krankheit verändert sich das soziale System, wie Bro-da/Muthny (1990: 86-90) ausführen. Bisherige Beziehungen können entweder

(24)

inten-23 siviert werden, wie es z.B. bei Familienangehörigen der Fall sein kann, oder sie wer-den verringert oder gänzlich abgebrochen, beispielsweise Kontakte zu Arbeitskolle-gen/Arbeitskolleginnen. Durch Rollenveränderungen wird der/die Erkrankte auch mit neuen sozialen Strukturen konfrontiert. Während eines stationären Aufenthaltes wird beispielsweise der Kontakt zu Angehörigen erschwert, jedoch gewinnen Kontakte zu Pflegepersonal und Mitpatienten/Mitpatientinnen an Bedeutung und können als zu-sätzliches soziales Stützsystem zur Verarbeitung von Belastungen beitragen.

Da soziale Beziehungen das Wohlbefinden auch stören können, ist die Qualität wichtiger ist als die Quantität. Somit können auch schwächere Beziehungen zu Per-sonen außerhalb des engsten sozialen Netzwerkes hilfreich sein, wenn diese als subjektiv unterstützend erlebt werden dadurch ein Zugang zu Ressourcen ermöglicht wird (Krischniok 2010: 28f).

3.1.2.5 Erwartungen des Patienten/der Patientin

Laut Tschuschke (2006: 137ff) sind die Erwartungen des/der onkologisch Erkrankten an den Partner/die Partnerin unter anderem Verständnis, Trost, Aufrichtung, An-nahme, Geborgenheit und Sicherheit. Es wird darüber hinaus gewünscht, dass der Partner/die Partnerin mit der Beziehung zufrieden und die Liebe unveränderlich ist. Es werden Berührungen, Aufmerksamkeit und Einfühlsamkeit erwartet, sowie Besu-che und das Schmieden von Zukunftsplänen. Der Partner/die Partnerin sollte Mut zu Veränderungen haben. Der/die Erkrankte leidet unter Vertrauensverlust, hat Angst, nicht geliebt zu werden und reagiert oft mit Distanzierung, emotionalem Rückzug und Einsamkeit. Die Partner/Partnerinnen ihrerseits leiden häufig an Depressionen und Schuldgefühlen und haben Probleme, die Krankheit zu akzeptieren. Sie sind verzweifelt und erleben die veränderten Rollen als Belastung. Die Kommunikation, das Sexualleben und die gemeinsamen sozialen Kontakte sind beeinträchtigt, wo-runter die Partner/innen leiden. Des Weiteren wird erwartet, dass Freunde den Kon-takt auch in schwierigen Zeiten aufrechterhalten. Häufig jedoch ziehen sich diese Personen aufgrund eigener Ängste oder Unverständnis für die Situation des Patien-ten/der Patientin zurück.

(25)

24

3.1.2.6 Mögliche negative Auswirkungen sozialer Unterstützung

Familie und Partnerschaft sind nicht nur hilfreiche Quellen sozialer Unterstützung; die Krebserkrankung und die Behandlungen haben auch Auswirkungen und Folgen für diese. Nicht selten kommt es zu Trennungen und Scheidungen. Patien-ten/Patientinnen berichten über Schwierigkeiten, über Gefühle, Ängste oder die Zu-kunft zu sprechen und darüber, dass der Partner/die Partnerin kein Verständnis für ihre krankheitsbedingten Probleme entwickeln. Demgegenüber berichten Patien-ten/Patientinnen allerdings auch von positiven Auswirkungen auf die familiären Be-ziehungen wie beispielsweise stärkere Bindungen oder größere Zufriedenheit. So-ziale Beziehungen zum Freundeskreis sind nicht so stark von negativen Auswirkun-gen betroffen. (Tschuschke 2006.: 89f).

Aymanns (1992: 93) macht deutlich, dass – auch wenn der Großteil der Krebspatien-ten/innen mit der erhaltenen sozialen Unterstützung zufrieden ist – eine Krebsdiag-nose dazu führen kann, dass sich Mitglieder des sozialen Umfeldes zurückziehen, wodurch der Partner/die Patientin in eine soziale Isolierung gerät und zentrale Un-terstützungsbedürfnisse nicht erfüllt werden. Einerseits werden bei nahen Angehöri-gen Ängste in Bezug auf eine eventuelle Bedrohung der eiAngehöri-genen Gesundheit, und in Folge Vermeidungsreaktionen ausgelöst. Andererseits besteht die Annahme, dass man Krebspatienten/Krebspatientinnen freundlich und mit Optimismus begegnen soll. Aus diesen beiden Reaktionen entstehen Konflikte, welche zu widersprüchli-chem Verhalten führen und die Kommunikation über die Krankheit und Krankheits-folgen behindern. In der Folge wird beispielsweise der Kontakt vermieden oder die Patienten/Patientinnen deuten diese widersprüchliche Kommunikation als Zurück-weisung, wodurch sie sich selbst ebenfalls abwenden.

Patienten/Patientinnen, die schon seit längerer Zeit an Krebs erkrankt sind, beklagen häufig, dass sie ihre Ängste und Befürchtungen nicht äußern können. Als nicht hilf-reich wird das soziale Stützsystem erlebt, wenn Kritik am Verhalten des/der Betrof-fenen geübt wird, die Bedeutung der Erkrankung und die damit verbundenen Ängste heruntergespielt werden und wenn die Einstellung der Helfenden zu pessimistisch ist. Weitere Diskrepanzen zwischen Unterstützungsbedürfnissen und Angeboten sind beispielsweise übertriebenes Mitleid und künstliche Bemühungen

(26)

denPatien-25 ten/die Patientin aufzumuntern, wodurch eine Kommunikation über die eigentlichen Bedürfnisse verunmöglicht wird, bzw. unterschiedliche Sichtweisen darüber, wie mit der Erkrankung angemessen umgegangen werden soll (Aymanns 1992: 93ff).

Da eine Krebserkrankung eine chronische Belastung und je nach Krebsart unter-schiedlich im Krankheitsverlauf ist, sind auch die Bedürfnisse an sozialer Unterstüt-zung seitens der Patienten/Patientinnen unterschiedlich. Des Weiteren haben der Patient/die Patientin und die Angehörigen verschiedene Vorstellungen in Bezug dar-auf, ab wann die Krankheit als überwunden gilt. Demnach kann es zu Einbußen an sozialen Hilfeleistungen kommen, obwohl seitens des Patienten/der Patientin immer noch Unterstützungsbedarf besteht (ebd.: 95f).

Aymanns (1992: 98ff) führt weiter aus, dass soziale Unterstützung auch schädigen-de Auswirkungen haben kann. Beispielsweise kann einem Patienten/einer Patientin durch eine hohe Unterstützung signalisiert werden, dass er/sie nicht alleine zurech-tkommt und Gefühle der Unzulänglichkeit auslösen bzw. verstärken. Krankheitsbe-dingte Abhängigkeiten können entstehen, wodurch der Kranke in der Patientenrolle gehalten wird. Darüber hinaus kann es zu Schuldzuweisungen oder Abwerten der emotionalen Belastung kommen. Eine zu hohe instrumentelle Unterstützung kann dazu führen, dass die Motivation zur Selbstversorgung zurückgeht oder dass Lern-möglichkeiten bzw. Anpassungen an veränderte Bedingungen nicht wahrgenommen werden. Ein Zuviel an Unterstützung kann also ebenso wie ein Unterstützungsman-gel kontraproduktiv sein, beispielsweise bei einem Patienten/einer Patientin mit ho-hem Selbstwirksamkeitsgefühl.

3.1.2.7 Soziale Unterstützung im Krankheitsverlauf

Besonders in Stress- und Krisensituationen kommt, wie bereits mehrfach erwähnt, sozialer Unterstützung eine hohe Bedeutung zu. Die größte Stressbelastung trifft bei der Diagnosestellung, während der Anwendung nebenwirkungsreicher Behandlun-gen und bei VerschlechterunBehandlun-gen des Krankheitszustandes auf. Eine Krankheitsver-schlechterung wirkt sehr bedrohlich, was zur Folge hat, dass Unterstützungsmaß-nahmen nicht mehr so gut greifen, da die psychische Verfassung bei den

(27)

Patien-26 ten/Patientinnen im Allgemeinen schlechter wird. Allerdings würde ein Mangel an Unterstützung einen zusätzlichen Stressor darstellen. Die Zeitdauer hat ebenfalls einen Einfluss darauf, wie soziale Unterstützung erlebt wird. Vor allem zu Beginn der Erkrankung ist diese von zentraler Bedeutung und wirkt protektiv, während mit län-gerem Fortschreiten der Krankheit dieser Effekt abnimmt (Aymanns 1992: 98–101). Nicht nur der Patient/die Patientin muss sich an krankheitsbedingte Veränderungen anpassen, wie Aymanns (ebd.: 102f) schreibt, auch die Angehörigen müssen sich damit auseinandersetzen und leiden oft erheblich darunter. "In diesem Sinne muß

familiale Unterstützung im Kontext der Anpassungsbemühungen des gesamten Fa-miliensystems gesehen werden. Reaktionen der Familie auf die Erkrankung eines Familienmitglieds sind dann auch als Versuche zu werten, das Familiensystem an-gesichts des Ereignisses neu zu organisieren.“ (ebd.: 102) Verläuft eine Erkrankung

progressiv, muss sich die Familie laufend neu anpassen und die Rollenaufteilungen bzw. –anforderungen ändern. Ist eine Krankheit von episodischen Verläufen oder Rückfällen gekennzeichnet, muss die Familie flexibel darauf reagieren. Belastend ist dabei in jedem Fall das laufende Wechseln zwischen Normalzustand und Krisenzu-stand und die Unsicherheit über den Zeitpunkt der nächsten Krankheitsverschlechte-rung. Inwieweit sich die nahen Angehörigen an die Veränderungen, welche mit der Krankheit einhergehen, anpassen können, hat Auswirkungen darauf, ob der Pa-tient/die Patientin die passende Unterstützungsform erhält – und wohl auch darauf, ob es zu posttraumatischem Wachstum kommt. "Anpassungsfähig erscheinen

sol-che Systeme, die als Reaktion auf entwicklungsbedingten Streß ihre Machtstruktur, ihre Rollenbeziehungen und Beziehungsregeln verändern können." (ebd.: 103)

Hilf-reich dabei ist eine offene Kommunikation zwischen Patient/in und nahen Bezugs-personen von denen die Unterstützung erhalten wird.

(28)

27 3.1.3 Posttraumatische Reifung

3.1.3.1 Konzepte und Abgrenzungen

Traumatische bzw. bedrohliche Lebenssituationen können unerwartete positive Ver-änderungen des betroffenen Menschen auslösen. Diese VerVer-änderungen werden als „posttraumatische Reifung“ bzw. „posttraumatisches Wachstum“ bezeichnet. Der Begriff wurde von Tedeschi und Calhoun Mitte der 1990er geprägt. Joseph spricht von einem „Motor der Transformation“ (Joseph 2015: 9). Eine traumatische Erfah-rung ist ein Wendepunkt im Leben des Betroffenen und setzt einen Verwandlungs-prozess in Gang. Nachdem man sich anfänglich mit der Erforschung der negativen Auswirkungen von krisenhaften Lebenssituationen beschäftigte, ist nun seit den 1990er Jahren ein verstärktes Interesse an einem positiven Fokus zu verzeichnen. Die Philosophie ist bereits seit Tausenden Jahren der Auffassung, dass Leiden po-tentiell das persönliche Wachstum fördert (ebd.: 9; Zöllner et al 2006: 36f).

Posttraumatische Reifung bezeichnet Zöllner (ebd.: 37) zufolge positive psychologi-sche Veränderungen als Folge von Bewältigungsprozessen krisenhafter Lebens-ereignisse und nicht als Teil einer natürlichen Entwicklung. Die Betroffenen erholen sich nicht nur von den Belastungen, sondern wachsen darüber hinaus und gelangen zu größerem persönlichem Wachstum, einer Neudefinition des Lebenssinns und weiteren positiven Veränderungen.

Ken Wilber, dessen Ehefrau an ihrer Brustkrebserkrankung verstorben ist, schreibt über ihre letzten Monate:

„Ich verfolgte all das mit Bewunderung, Staunen und ein bisschen Neid. Sie

hätte sich weiterhin ihrer Bitterkeit, ihrem Selbstmitleid und ihrer Erschöpfung überlassen können. Stattdessen wurde sie immer offener, liebevoller, verzei-hender, verständnisvoller. Und ihre Kraft nahm mit jedem Tag weiter zu, of-fenbar nach dem Motto ‚Was mich nicht umbringt, macht mich stärker‘ […]“

Und an anderer Stelle:„Treya wusste sehr genau um den Ernst ihrer Lage,

aber seltsam, ihr Gleichmut und ihre schiere Lebensfreude schienen von Tag zu Tag noch zuzunehmen. Und diese Freude war echt – sie war glücklich,

(29)

28

dass sie jetzt lebendig war. Pfeif auf morgen! Manchmal […] schlich sich auch in mein Herz leise diese Freude ein, das Glück, diesen unermesslich kostba-ren Augenblick zu haben. Dafür war Treya meine Lehrerin gewesen durch ihr tagtägliches Leben mit dem Tod. […] Treya lebte mehr denn je in der Gegen-wart statt in der Zukunft und verschrieb sich dem, was ist, nicht dem, was sein könnte“ (Wilber 2014: 243; 351).

Sie selbst schreibt in ihrem Tagebuch über ihren tiefen Wandel und inneren Um-bruch:

„Es fühlt sich wie ein neuer Anfang an, wie eine Wiedergeburt. Ich habe mich

wirklich verändert, tiefgreifend verändert. [...] Ich bin einfach nur noch am Le-ben interessiert, wahnsinnig interessiert. […] Ich habe zu Ken gesagt, dass ich es selbst nicht verstehe, aber meine Stimmung ist ausgezeichnet, meine Lebensgeister sind ungebrochen, ich genieße das Leben, ich höre so gern die Vögel vor meinem Fenster singen […]. Ich freue mich auf den Tag und möch-te am liebsmöch-ten, dass er nicht zu Ende geht. Ich versmöch-tehe es nicht! Vielleicht er-lebe ich das Ende dieses Jahres nicht mehr. Aber hör doch nur, wie die Vögel singen!“ (ebd.: 261f; 320).

Diese Zitate beschreiben sehr eindrücklich, was mit posttraumatischer Reifung ge-meint ist. Menschen wachsen durch die Bewältigung schwerwiegender Erfahrungen über sich hinaus, was in weiterer Folge auch zu immer besser werdenden Coping-Fähigkeiten führt.

Immer mehr Forschungsergebnisse weisen laut Zöllner (2006: 37) auf die Relevanz positiver Veränderungen nach krisenhaften Lebenssituationen hin. Um ein umfas-senderes Verständnis von Bewältigungsprozessen belastender Erlebnisse zu erlan-gen, ist die Erforschung dieses Phänomens von Bedeutung.

Joseph (2015: 70-73) zufolge wird Posttraumatisches Wachstum seit etwa 20 Jahren wissenschaftlich erforscht und die Forschungen stecken noch in der Entwicklungs-phase. Anfang der 1990er Jahre wurden Menschen erstmals systematisch über Ver-änderungen ihrer Lebensphilosophie nach traumatischen Erlebnissen befragt, wobei die meisten Befragten zumindest eine positive Veränderung nannten. Es wurden

(30)

29 auch viele Untersuchungen bezüglich posttraumatischer Reifung bei Brustkrebs und anderen medizinischen Problemen vorgenommen. Joseph schlussfolgert aus seinen vielen Untersuchungen, dass zwischen 30% und 70% der Betroffenen über zumin-dest irgendeine positive Auswirkung der bedrohlichen Lebensereignisse berichtet. Untersuchungen zu posttraumatischer Reifung beruhen auf Selbsteinschätzungen der Befragten. Vorher-Nachher-Studien, bei denen beispielsweise nach einem sinn-erfüllten Leben gefragt wird, sind schwierig bis kaum durchzuführen, da man nicht voraussagen kann, wer ein Trauma erleiden wird. Werden derartige Studien aber durchgeführt, bestätigen sie, dass nach kritischen Ereignissen reale positive Ent-wicklungen stattfinden (ebd.: 75ff).

In der Theorie des posttraumatischen Wachstums erkennt man an, dass eine trau-matische Erfahrung sowohl psychisches Leid als auch wertvolle Entwicklungen mit sich bringen kann. Joseph (2015: 17f) spricht von dem Bewusstwerden drei existen-tieller Einsichten im Bezug auf posttraumatische Reifung:

 Anerkennen, dass es keine Sicherheit im Leben gibt und alles im Fluss ist, Hingabe an die Ungewissheit und deren Akzeptanz als Grundprinzip des Le-bens;

 Achtsamkeit, Bewusstsein für sich selbst und über die Wechselwirkung der eigenen Gefühle, Gedanken und Verhaltensweisen, Flexibilität in Bezug auf persönliche Veränderung;

 Erkennen der Selbstwirksamkeit, Verantwortung für die eigenen Entscheidun-gen und deren Konsequenzen im Leben.

Durch eine schwerwiegende Lebenserfahrung werden diese drei Aspekte bewusst, wodurch existenzielle Veränderungen in Bezug auf die Selbstwahrnehmung und auf die Lebensauffassung in Gang gebracht werden. Menschen, die an Schicksals-schlägen wachsen, akzeptieren, dass diese im Leben unvermeidbar sind.

Die drei häufigsten persönlichen Veränderungen, die laut Joseph (2015: 64-69) von Betroffenen genannt werden, sind persönliche, philosophische und Beziehungsver-änderungen. Die persönlichen Veränderungen betreffen neue innere Stärken, größe-re Weisheit und mehr Mitgefühl. Eine philosophische Veränderung bezieht sich auf

(31)

30 einen Wertewandel und eine neue Sichtweise darauf, was wirklich wichtig ist im Le-ben. Beziehungsveränderungen bedeuten schließlich, dass Beziehungen neu ent-deckt und nicht mehr als selbstverständlich betrachtet werden. Einige Beziehungen vertiefen sich, andere werden freiwillig abgebrochen. Viele Betroffene berichten auch, dass sie mitfühlender sind und besser mit Intimität umgehen können. „Diesen

dritten Typus der posttraumatischen Veränderung erleben zahlreiche traumatisierte Menschen. Sie gehen in anderer Weise an ihre engsten Beziehungen heran. Nun, da ihnen neu bewusst ist, dass zwischenmenschliche Bindung einen der wichtigsten Lebensaspekte darstellt, schätzen sie Familie und Freundeskreis mehr als vor dem traumatischen Ereignis“ (ebd.: 68).

Posttraumatische Reifung lässt sich nach Zöllner et al (2006: 38) im Gesamten in fünf Bereiche unterteilen:

 Intensivierte Wertschätzung des Lebens: der Alltag wird anders erlebt, die „kleinen Dinge“ werden wichtiger, Bewusstsein für das Wesentliche ändert sich;

 Intensivierung persönlicher Beziehungen: größere Nähe zu bestimmten Men-schen, Distanzierung von bestimmten anderen MenMen-schen, größeres Mitgefühl für andere;

 Bewusstwerden der eigenen Stärke: gleichzeitig höheres Bewusstsein der ei-genen Verletzbarkeit, Aufgabe von Scheinsicherheiten (schwerwiegende Er-fahrungen können jederzeit passieren);

 Entdeckung neuer Möglichkeiten: berufliche Veränderung, soziales Engage-ment;

 Intensiviertes spirituelles Bewusstsein: auch bei zuvor nichtgläubigen Perso-nen.

Posttraumatische Reifung ist umso bedeutsamer, wenn es sich um physisch unheil-bare Erkrankungen handelt. Ähnlich wie Wilber zwischen Krankheit und Leiden diffe-renziert, so unterscheidet auch Eckert (2010: 2) zwischen der Heilung des Körpers und der Heilung der Seele:

„Dem Tao zu folgen heißt, in den Fluss einzutauchen, in dem Heilung

(32)

31

Heilung (z.B. der Seele) sein kann. Dem Tao zu folgen heißt, seiner inneren Stimme zu vertrauen und auf ständige Kontrolle und Erklärbarkeit des Ge-schehens zu verzichten“ (Eckert 2010: 2).

Eckert beschreibt hier nicht nur, dass Lebensqualität auch dann erlangt werden kann, wenn die Krankheit unheilbar ist, sondern deutet auch auf eine (spirituelle) Reife hin, die bei „posttraumatisch gereiften“ Personen zu finden ist. Indem er darauf hinweist, dass eine Nicht-Heilung des Körpers eine Heilung der Seele, Psyche,... sein kann, beschreibt er kurz und bündig posttraumatisches Wachstum. Treya Wil-ber schreibt in ihrem Tagebuch üWil-ber diese Hingabe an den Fluss des Lebens:

„Freundschaft schließen mit dem Krebs, Freundschaft schließen mit der Möglichkeit eines frühen und vielleicht qualvollen Todes, das hat mich gelehrt, Freundschaft zu schließen mit dem Leben, wie es ist“ (Wilber 2014: 399).

Der Unterschied zu anderen salutogenetischen Konzepten (bspw. Kohärenzsinn, Resilienz,…) ist Zöllner et al (2006: 39) folgend der, dass diese Konzepte bestimmte Persönlichkeitsmerkmale beschreiben, durch welche krisenhafte Lebensereignisse gut bewältigt werden können. Hierbei wird angenommen, dass Menschen, die diese Eigenschaften aufweisen, besser mit traumatischen Erlebnissen umgehen können als andere. Das Konzept der posttraumatischen Reifung hingegen bezieht sich „auf

transformative bzw. qualitative Veränderungen, die den prätraumatischen Entwick-lungslevel psychischer Funktionsfähigkeit und des Bewusstseins einer Person über-steigen. Es handelt sich um bedeutsame positive Veränderungen in kognitiven und emotionalen Fähigkeiten und im Erleben, die mit Verhaltensimplikationen verknüpft sein können“ (ebd.: 39).

3.1.3.2 Posttraumatische Reifung und Bewältigung

Posttraumatisches Wachstum wird laut Zöllner et al (2006: 39f) teils als eine Bewäl-tigungsstrategie konzipiert, wobei es in Copingmodelle einfließt, und teils als Ergeb-nis eines Bewältigungsprozesses. Im Folgenden wird das Posttraumatische Wach-stum als Ergebnis eines Prozesses näher erläutert:

(33)

32 Voraussetzung für das Zustandekommen eines Wachstumsprozesses ist psychi-sches und emotionales Leid, das durch ein erschütterndes Lebensereignis hervorge-rufen wird, welches die vorhandenen Copingfähigkeiten übersteigt. Dadurch wird ein kognitiv-emotionaler Verarbeitungsprozess ausgelöst. Anfangs wird automatisch über dieses erfahrene Leid und die Auswirkungen gegrübelt. Dieses Grübeln ver-wandelt sich durch die ersten Copingerfolge nach und nach in bewusstes Reflektie-ren. Dieses Grübeln und Reflektieren wird als konstruktiver, kognitiver Prozess auf-gefasst, welcher die Analyse der Situation, Sinnfindung und eine Neuinterpretation beinhaltet und wird als „kognitive Verarbeitung“ (cognitive processing) bezeichnet. Wichtig ist dabei das Ausmaß des bewussten Reflektierens der Person mit sei-ner/ihrer Krise. Darüber hinaus haben bestimmte Persönlichkeitsmerkmale (bspw. Offenheit, Extraversion) und das jeweilige soziale System Einfluss auf den Prozess des posttraumatischen Wachstums.

Einige Kritiker behaupten, „dass posttraumatische Reifung eine Form von defensiver

Illusion sei“ (ebd.: 40). Damit sind positive Illusionen gemeint, die eine

Selbsttäu-schung darstellen, welche die Krise erträglicher erscheinen lässt und wo sich die Betroffenen durch positives Denken über die Tragweite einer Krise hinwegzutäu-schen versuchen. Posttraumatisches Wachstum kann demnach zwei Komponenten aufweisen: „eine selbsttranszendierende, konstruktive […] und eine

selbsttäuschen-de, illusorische Seite“ (ebd.: 40). Erstere wird mit positivem Coping in

Zusammen-hang gebracht, wohingegen letztere der Verleugnung und Abwehr zuzurechnen ist. Wie beim Abwehrkonzept kann auch hier die illusorische Komponente entweder eine kurzfristig erfolgreiche und für das Individuum wichtige Bewältigungsstrategie dar-stellen oder hinderlich für den Copingprozess sein, falls es vermieden wird, sich mit den negativen Folgen und Belastungen auseinanderzusetzen. Nicht nur zwischen den Individuen, auch intrapersonell kann es im Laufe des Copingprozesses zu Un-terschieden und Verschiebungen in der Gewichtung der beiden Komponenten kom-men. (ebd.: 40f).

Die Langzeitentwicklung für eine Person mit posttraumatischer Reifung sich kann unterschiedlich darstellen. Entweder die Wachstumsperspektive hält im Zeitverlauf auch weiterhin an, wodurch die Reifung realer erscheint und mit einer verbesserten Gesundheit und Lebensanpassung einhergeht oder sie verschwindet wieder, was

(34)

33 darauf hindeutet dass es eine anfängliche Illusion oder eine kurzfristige Bewälti-gungsstrategie war. (ebd.: 41)

Joseph (2015: 65) stellt den Unterschied zwischen den drei möglichen Formen des weiteren Verlaufes (Beeinträchtigung bzw. Verschlechterung des Gesamtzustandes, Erholung, Neuordnung bzw. posttraumatisches Wachstum) wie folgt dar:

Abb. 1: Anpassungsverläufe (Joseph 2015: 65)

Die Abbildung stellt eine vereinfachte Graphik dar, da es bei jeder der drei Kurven jeweils zu kurzfristigen Einbrüchen aufgrund von Krisen und vorübergehenden Krankheitsverschlechterungen kommen kann.

3.1.3.3 Posttraumatische Reifung und soziale Unterstützung

Joseph (2015: 118f) führt aus, dass Menschen nach belastenden Ereignisses meist ganz automatisch Hilfe und Unterstützung bei anderen suchen. Soziale Unterstüt-zung ist von entscheidender Bedeutung, von wem sie auch kommt und ob es sich nun um praktische oder emotionale Unterstützung handelt. Wird über die Erfahrun-gen mit anderen Menschen gesprochen, können diese traumatischen Erlebnisse in posttraumatisches Wachstum verwandelt werden. „Wie Hände einen Klumpen Ton

formen, verwandeln Gespräche den Sinn, den wir unseren Erlebnissen zuschreiben. Durch das Gespräch können wir Schuld und Dank objektiver zumessen, nach neuen Sichtweisen suchen, unrichtige Wahrnehmungen richtig stellen und neue Einsichten

(35)

34

gewinnen“ (ebd.: 118). Die Wirkung dieser sozialen Unterstützung ist von großer

Bedeutung. Je besser die Qualität der Beziehungen und der Hilfeleistungen ist, um-so häufiger wird von persönlichem, innerem Wachstum berichtet. Am wirkungsvoll-sten ist die Unterstützung durch andere Menschen dann, wenn die zur Übernahme der Verantwortung für das eigene Leben bewegt.

Wie bereits erwähnt kommt es allerdings auch vor, dass Angehörige und Freunde durch ihre Unterstützung trotz guter Absichten Gegenteiliges bewirken. Erhält der/die Betroffene eine Art von Unterstützung, die seinen/ihren aktuellen Bedürfnissen zuwi-der läuft und/ozuwi-der wird es verunmöglicht, eine aktive Rolle einzunehmen, ist post-traumatisches Wachstum kaum möglich (ebd.: 119).

Canacakis (2006: 149, 158ff, 166) erforschte jahrelang die Wirkung traditioneller Trauerrituale auf die Gesundheit und das Wohlbefinden der betroffenen Menschen und bezieht seine Untersuchungen auch auf Verluste von Gesundheit oder körperli-cher Unversehrtheit. Bei den Ritualen handelt es sich um strukturierte soziale Hand-lungen, in denen man Solidarität und emotionale Unterstützung in der Gemeinschaft findet und in denen der Schmerz in all seinen Erscheinungsformen so lange wie nö-tig ausgedrückt werden darf. „Die gegenseinö-tige Anteilnahme im Schmerz gibt jedem

Teilnehmenden das Gefühl, verstanden und akzeptiert zu werden, und verstärkt da-durch die Verbundenheit mit anderen Menschen“ (ebd.: 159). Im geschützten

Rah-men des Rituales und der Gruppe sind alle Gefühlsäußerungen erlaubt und werden nicht tabuisiert. Genauso wenig werden die Teilnehmer stigmatisiert, sondern finden Annahme und Bestätigung. Die Wirkungen des Trauerrituals sind langfristige positive Veränderungen im körperlichen und seelischen Befinden, Veränderungen sowohl im sozialen als auch im individuellen Verhalten, Sinnfindung, Gewinn an Lebensfreude und das Erlernen von angemessenen Bewältigungsformen.

Aus diesen Forschungen lässt sich schließen, wie wichtig angemessene soziale Un-terstützung während Krebserkrankungen und anderen krisenhaften Lebenssituatio-nen ist, und wie eine posttraumatische Wandlung mittels sozialer Unterstützung au-tomatisch erlangt werden kann.

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