A938 Deutsches ÄrzteblattJg. 105Heft 182. Mai 2008
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as Schreiben der Bundesre- gierung an die Europäische Kommission vom 26. März dieses Jahres offenbart, wie verzwickt das Verhältnis zwischen Brüssel und Berlin bisweilen sein kann. Darin bittet die Bundesregierung die Brüs- seler Behörde, das gegen Deutsch- land eingeleitete Verfahren wegen des Fremd- und Mehrbesitzverbots von Apotheken ruhen zu lassen, bis ein Urteil des obersten europäischen Gerichts in Luxemburg in Sachen DocMorris vorliegt. Sollte der Eu- ropäische Gerichtshof (EuGH) ent- scheiden, dass die derzeitigen Rege- lungen im Apothekengesetz zum Fremdbesitzverbot nicht mit eu- ropäischem Recht vereinbar sind, werde die Bundesregierung „alle notwendigen Schritte einleiten, um auch das Mehrbesitzverbot in ge- meinschaftskonformer Weise ab- zuändern“, heißt es weiter.Dieser halbherzige Versuch, die EU-Kommission davon abzubrin- gen, den deutschen Apothekenmarkt umzukrempeln, legt die Vermutung nahe, dass der Bundesregierung die Brüsseler Ambitionen gar nicht so ungelegen kommen. Denn sollte Deutschland tatsächlich gezwungen werden, das Apothekenrecht europa- rechtskonform zu gestalten, könnte die Regierung getrost mit dem Fin- ger auf Brüssel und Luxemburg zei-
gen und sich von jeder Verantwor- tung freimachen.
Zwar ist noch unklar, wie der EuGH im Fall der Versandhandels- apotheke DocMorris entscheiden wird. Das Urteil wird erst in ein paar Monaten erwartet. Europapolitiker, wie der CDU-Abgeordnete Chris- toph Konrad, glauben aber, dass die Marktbarrieren fallen werden. Große Pharmakonzerne aus dem In- und Ausland stehen zudem schon in den Startlöchern, um den deutschen Markt zu erobern. Der börsennotierte Stuttgarter Arzneimittelgroßhändler Celesio hat mit dem Kauf von Doc- Morris im April letzten Jahres hierzu bereits den ersten Schritt getan.
„Ich halte es für wichtig, dass wir den Liberalisierungsprozess poli- tisch frühzeitig mitgestalten“, mahnt Konrad. Abzuwarten, bis ein Urteil aus Luxemburg vorliege, sei der falsche Ansatz. „Wir sollten dabei die mittelständischen Apotheken im Blick behalten und gleichzeitig Platz für neue Versorgungsangebote schaffen“, so sein Credo.
Auch Apotheker lehnen eine Marktöffnung nicht grundsätzlich ab. Zwar wehrt sich die ABDA – Bundesvereinigung Deutscher Apo- thekerverbände gegen allzu forsche Liberalisierungsbestrebungen. Der knapp 3 000 Mitglieder zählende Bundesverband Deutscher Apothe-
ker hingegen sieht dem wachsenden Wettbewerbsdruck eher gelassen entgegen. „Es ist an der Zeit, end- lich alte Zöpfe abzuschneiden und das deutsche Apothekenrecht zu re- formieren“, sagt dessen Geschäfts- führerin Helga Fritsch. Der Verband spricht sich beispielsweise dafür aus, neben der OHG auch Kapital- gesellschaften (AG und GmbH) den Betrieb einer Apotheke zu erlauben, sofern mindestens ein Gesellschaf- ter eine in Deutschland anerkannte Approbation besitzt.
Für ebenfalls nicht mehr zeit- gemäß hält der Verband die Vor- schrift, dass jede Apotheke ein eige- nes Labor unterhalten muss. „War- um soll es bei uns nicht auch Ge- meinschaftslabore geben?“, fragt Fritsch. Allerdings sei ihr Verein strikt gegen eine „Lidlisierung“ des Apothekenmarktes. Dahinter steckt auch die Sorge, dass über Drogerien und Lebensmitteldiscounter Arznei- mittelfälschungen auf den Markt gelangen könnten. Hauptvertriebs- weg für gefälschte Produkte ist schließlich der Internetversand.
Noch stellt die Produktpiraterie auf dem europäischen Arzneimittel- markt allerdings kein großes Pro- blem dar. So tauchten in der EU zwischen 2001 und 2006 nur 170 gefälschte Medikamente auf. Den- noch fordern auch Arzneimittelher- steller, dass der Weg eines Arznei- mittels von der Herstellung bis zum Kunden EU-weit transparent und nachvollziehbar sein müsse.
Die Industrie sähe es darüber hinaus gern, wenn die Europäische Union ihr künftig das Recht ein- räumte, Patienten über neue Pro- dukte umfassend zu informieren.
Die Chancen, dass die Hersteller mit ihren Anliegen in Brüssel auf offene Ohren stoßen werden, sind relativ gut. EU-Industriekommissar Günter Verheugen bereitet derzeit ein Le- gislativpaket vor, das sowohl einen Richtlinienvorschlag zur Aufhe- bung des Informationsverbots für verschreibungspflichtige Medika- mente als auch Vorschriften zur Ver- besserung der Arzneimittelsicher- heit und -überwachung beinhalten soll. Das Paket soll Anfang Oktober fertig geschnürt sein. I Petra Spielberg
ARZNEIMITTELVERSORGUNG IN DER EUROPÄISCHEN UNION
Schwierige Gratwanderung
Die Apothekenlandschaft steht vor entscheidenden Umwälzungen.
Apotheker, Pharmakonzerne und Arzneimittelhersteller rüsten sich bereits für den zunehmenden Wettbewerb. Die Politik ist gefordert.
Grünes Kreuz statt rotes A:Die Versand- apotheke DocMorris stellte 2006 mit der Eröffnung einer ers- ten Filiale in Saar- brücken das deutsche Fremdbesitzverbot infrage.
Foto:Becker & Bredel