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Die Finalität der Europäischen Union – rechtliche Rahmenbedingungen einer Weiterentwicklung der EU

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Alexander auf dem Keller

Die Finalität der Europäischen Union – rechtliche Rahmenbedingungen einer Weiterentwicklung der EU

Rechts-

wissenschaft

Lehrstuhl für Deutsches und Europäisches Verfassungs- und Verwaltungsrecht sowie Völkerrecht

Masterarbeit

(2)

Alexander auf dem Keller Alt-Sossenheim 21a 65936 Frankfurt am Main Matrikel-Nr.: 8869456

M ASTERARBEIT IM S TUDIENGANG

M ASTER OF L AWS

Thema der Arbeit

„Die Finalität der Europäischen Union -

rechtliche Rahmenbedingungen einer Weiterentwicklung der EU“

Betreuer: Prof. Dr. Andreas Haratsch

FernUniversität in Hagen Sommersemester 2017

Abgabedatum: 20. November 2017

(3)

II

I

NHALTSVERZEICHNIS

Inhaltsverzeichnis ... II Abkürzungs- und Stichwortverzeichnis ... IV

A. Europa – Die unvollendete Union ... 1

B. Rechtsnatur der Europäischen Union und ihrer Vorläufer ... 3

I. Vorgeschichte – Rechtsnatur der Europäischen Gemeinschaften ... 3

1. Klassische Staatenbünde oder internationale Organisationen ... 4

2. Staatlichkeit oder Bundesstaatlichkeit ... 6

a) Gemeinschaftsgebiet ... 7

b) Gemeinschaftsvolk ... 7

c) Hoheitsgewalt ... 8

3. Transnationales Gemeinwesen ... 11

II. Vertrag von Lissabon – Rechtsnatur der Europäischen Union ... 12

1. Die Verträge als Grundlage der Europäischen Union ... 12

2. Struktur und Charakteristika des Europarechts ... 14

a) Autonomie des Europarechts ... 14

b) Supranationalität ... 15

c) Geltung, Anwendbarkeit und Wirkung des Europarechts ... 17

d) Vorrang des Europarechts ... 18

3. Rechtspersönlichkeit und Verbandsqualität der Europäischen Union ... 20

4. Herrschaftstheoretische Erfassung des Verbandes ... 21

5. Formen und Strukturen der Legitimation ... 24

6. Auswirkungen auf die Rechtsnatur der Europäischen Union ... 25

C. Finalität der Europäischen Union ... 27

I. Begriff der Finalität ... 27

II. Geografische und politische Finalität der Europäischen Union ... 28

1. Rechtliche Rahmenbedingungen der geografischen Finalität ... 28

a) Erweiterung der Europäischen Union ... 29

aa) Das Kriterium des Europäischen Staates ... 29

bb) Beachtung und Förderung der Grundwerte der EU ... 32

cc) Die „Kopenhagener Kriterien“ ... 33

b) Austritt aus der Europäischen Union ... 38

(4)

III

c) Ausschluss aus der Europäischen Union ... 40

2. Rechtliche Rahmenbedingungen der politischen Finalität ... 43

a) Verfassungsqualität der Verträge ... 43

b) Prinzipien föderativer Grundstruktur oder europäischer Föderalismus ... 47

c) Verstärkte Zusammenarbeit als differenzierte Integration ... 51

aa) Theoretische Eingrenzung der differenzierten Integration ... 51

bb) Voraussetzungen der verstärkten Zusammenarbeit ... 53

d) Ziele der Europäischen Union als Integrationsprogramm ... 56

e) Staatswerdung der Europäischen Union? ... 58

III. Grenzen der Finalität ... 61

1. Verfassungsrecht der Mitgliedstaaten ... 62

a) Deutschland ... 62

aa) Grundrechtsschutz ... 63

bb) „Ultra Vires“-Kontrolle ... 64

cc) Wahrung der nationalen Verfassungsidentität ... 65

b) Andere Mitgliedstaaten ... 67

2. Demokratiedefizit ... 69

D. Ausblick zur Finalität der europäischen Integration ... 72

I. Europäische Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik ... 73

1. Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik ... 73

2. Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik ... 75

II. Europäische Finanzverfassung ... 76

III. Europäische Identität ... 78

1. Normativer Ansatz... 78

2. Funktionaler Ansatz... 79

E. Fazit und Schlussbemerkung ... 80 Quellenverzeichnis ... XII

(5)

IV

A

BKÜRZUNGS

-

UND

S

TICHWORTVERZEICHNIS

a.A. andere Ansicht

Abs. Absatz

ABl. Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften

AEUV Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union

a.F. alte Fassung

AJIL American Journal of International Law (Zeitschrift)

Alt. Alternative

Anm. Anmerkung

AöR Archiv des öffentlichen Rechts (Zeitschrift)

APuZ Aus Politik und Zeitgeschichte (Zeitschrift)

Art. Artikel

Aufl. Auflage

AVR Archiv des Völkerrechts (Zeitschrift)

Az. Aktenzeichen

BayVBl Bayrische Verwaltungsblätter

Beschl. Beschluss

Bd. Band

BGBl. Bundesgesetzblatt

BRD Bundesrepublik Deutschland

bspw. beispielsweise

BT-Drs. Bundestag-Drucksache

Buchst. Buchstabe

Bull. Bulletin

BVerfG Bundesverfassungsgericht

(6)

V

BVerfGE Bundesverfassungsgerichtsentscheidung

bzw. beziehungsweise

CC Conseil Constitutionnel (französischer Verfassungsrat) Corte Constituzionale Italienischer Verfassungsgerichtshof

Cour de Cassation Kassationshof (Belgien) Cour de Cassation Kassationshof (Frankreich) Conseil d’Etat Staatsrat (Frankreich)

d.h. das heißt

DÖV Die öffentliche Verwaltung (Zeitschrift)

dt. deutsch

DTIEV Dimitirs-Tsatsos-Institut für Europäische Verfassungswissen- schaften

DVBl Deutsches Verwaltungsblatt (Zeitschrift)

EAD Europäische Auswärtige Dienst

EAG Europäische Atomgemeinschaft

EEA Europäische Einheitsakte

EG Europäische Gemeinschaft

EGen Europäische Gemeinschaften

EGKS Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl

EGKSV Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl

EGMR Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte

EGV Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft

EGRCh Charta der Grundrechte der Europäischen Union

einschl. einschließlich

(7)

VI

Ent. Entscheidung

ELJ European Law Journal (Zeitschrift)

EMRK Europäische Menschenrechtskonvention

engl. englisch

EP Europäisches Parlament

Erg.-Lfg. Ergänzungslieferung

etc. et cetera

EU Europäische Union

EuGH Gerichtshof der Europäischen Union

EuGRZ Europäische Grundrechte Zeitschrift (Zeitschrift)

EuR Europarecht (Zeitschrift)

EURATOM Europäische Atomgemeinschaft (vorm. EAG)

EUV Vertrag über die Europäische Union

EuZW Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht (Zeitschrift)

evtl. eventuell

EVV Vertrag über eine Verfassung für Europa

EWG Europäische Wirtschaftsgemeinschaft

EWGV Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft EWS Europäisches Wirtschafts- und Steuerrecht (Zeitschrift)

f. (ff.) folgende (mehrere folgende)

Fn. Fußnote

FS Festschrift

GASP Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik

GBl. Gesetzblatt

gem. gemäß

(8)

VII

GG Grundgesetz

ggf. gegebenenfalls

GS Gedächtnisschrift

GSVP Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik

h.L. herrschende Lehre

h.M. herrschende Meinung

Højesteret Oberstes Gericht (Dänemark)

House of Lords Britisches Oberhaus

i.d.F. in der Fassung

i.d.R. in der Regel

IEV Institut für Europäische Verfassungswissenschaften

i.e.S. im engeren Sinne

IGH Internationaler Gerichtshof

integration Beilage zur Europäischen Zeitung (Zeitschrift) IP Zeitschrift für Internationale Politik (Zeitschrift)

i.S.d. im Sinne der/des

i.V.m. in Verbindung mit

inkl. inklusive

insb. insbesondere

JA Juristische Arbeitsblätter

JCMS Journal of Common Market Studies (Zeitschrift)

JöR Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart

JRP Journal für Rechtspolitik (Zeitschrift)

Jura Juristische Ausbildung (Zeitschrift)

JuS Juristische Schulung (Zeitschrift)

(9)

VIII

JZ Juristen Zeitung (Zeitschrift)

KJ Kritische Justiz (Zeitschrift)

krit. kritisch

KritV Kritische Vierteljahresschrift zur Gesetzgebung (Zeitschrift)

Lit. Literatur

lit. litera (Buchstabe)

m.E. meines Erachtens

m.w.N. mit weiteren Nachweisen

max. maximal

n.F. neue Fassung

NJ Neue Justiz (Zeitschrift)

NJB-katern Nederlands Juristenblad

NJW Neue Juristische Wochenschrift (Zeitschrift)

NJW-RR Neue Juristische Wochenschrift – Rechtssprechungs-Report NordÖR Zeitschrift für öffentliches Recht in Norddeutschland (Zeitschrift)

Nr. Nummer

NVwZ Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht (Zeitschrift)

OMT Outright Monetary Transactions

Österr. VfGH Österreichischer Verfassungsgerichtshof

Pos. Position

Raad van State (niederländischer) Staatsrat

Rat Rat der Europäischen Union (Ministerrat)

(10)

IX

Regeringsrätten Oberstes Verwaltungsgericht (Schweden), seit 2011: Högsta förvaltningsdomstolen

RIW Recht der internationalen Wirtschaft (Zeitschrift)

Rn. Randnummer(n)

Rs. Rechtssache

Rspr. Rechtsprechung

s. siehe

S. Seite

s.a. siehe auch

Slg. Allgemeine Sammlung der Rechtsprechung des Europäischen Ge- richtshofs

sog. sogenannte

StudZR Studentische Zeitschrift für Rechtswissenschaft StWuStP Staatswissenschaft und Staatpraxis (Zeitschrift) Supreme Court Oberster Gerichtshof (Irland)

teilw. teilweise

Tribunal Constitucional Spanisches Verfassungsgericht

Trybunal Konstytucyjny Verfassungsgerichtshof der Republik Polen

u. und

u.a. unter anderem/und andere

u.ä. und ähnliche/-es

UAbs. Unterabsatz

urspr. ursprünglich

Urt. Urteil

Ústavní soud České republiky Verfassungsgericht der Tschechischen Republik

(11)

X

v. vom

Verf. Verfassung

vertr. vertreten

VfSlg. Ausgewählte Entscheidungen des Österreichischen Verfassungs- gerichtshofs

VG Verwaltungsgericht

vgl. vergleiche

Vorbem. Vorbemerkung

vorm. vormals

vorl. vorläufig/-er

VRÜ Verfassung und Recht in Übersee (Zeitschrift)

VVDStRL Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechts- lehrer

VVE Vertrag über eine Verfassung für Europa

VwGO Verwaltungsgerichtsordnung

WHI Walter-Hallstein-Institut

wörtl. wörtlich

WRV Weimarer Reichsverfassung

WTO World Treaty Organisation (Welthandelsorganisation)

WVRK Wiener Vertragsrechtskonvention

ZaöRV Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht

z.B. zum Beispiel

ZEuS Zeitschrift für europarechtliche Studien (Zeitschrift)

ZfP Zeitschrift für Politik (Zeitschrift)

ZG Zeitschrift für Gesetzgebung (Zeitschrift)

(12)

XI

ZIS Zeitschrift für internationale Strafrechtsdogmatik (Zeitschrift)

zit. zitiert

ZÖR Zeitschrift für öffentliches Recht (Zeitschrift) ZRP Zeitschrift für Rechtspolitik (Zeitschrift)

ZSE Zeitschrift für Staats- und Europawissenschaften (Zeitschrift) ZSR Zeitschrift für Schweizerisches Recht (Zeitschrift)

zugl. zugleich

(13)

1 A. Europa – Die unvollendete Union

Die europäische Integration bildet in ihrer Entstehung und ihrem Ablauf ei- nen langen, von Erfolgen und Rückschlägen gekennzeichneten einzigartigen Prozess. Dieser Integrationsprozess begann nach dem Zweiten Weltkrieg und der Diskreditierung des Nationalismus, als führende europäische Politiker die Idee einer europäischen Föderation aufgriffen.1 Allerdings geht die Idee als solche zurück bis ins 17. Jahrhundert. Schon damals forderten Vertreter eines aufgeklärten politischen Denkens, die dauernden Kriege zwischen den euro- päischen Staaten durch eine friedensstiftende Vergemeinschaftung zu über- winden.

Letztendlich war die Gründung der EGen eine Antwort der sechs Gründungs- staaten auf die Anforderungen, die in einer durch den Zweiten Weltkrieg ver- änderten Welt an die Staaten Europas gestellt wurden.2 Jedoch verlief die re- ale Entwicklung der europäischen Integration weniger gradlinig und ist auch heute noch nicht abgeschlossen. Vielmehr lässt sich die Geschichte der euro- päischen Integration in Etappen, in Phasen beschleunigter Integration und Phasen der Stagnation beschreiben. Sie führte zu einer Vertiefung der Zusam- menarbeit in zunehmend mehr Politikbereichen, zum schrittweisen Aufbau von Institutionen und auch zu einer Erweiterung durch den Beitritt neuer Mit- gliedstaaten.

Der von den Mitgliedstaaten mit der Unterzeichnung der Römischen Verträge 1957 zunächst beschlossene Integrationsplan ist die Quelle der Dynamik des gemeinsamen Marktes und somit auch der europäischen Integration.3 Durch die Fusion der wirtschaftlichen Interessen auf europäischer Ebene sollte ein Prozess fortschreitender, sektoraler Integration in Gang gesetzt werden, des- sen Sachzwänge und innere Logik von selbst zu sog. spill-over-Effekten füh- ren, denen zu Folge die sektorale Integration eine Verflechtung immer weite- rer Sektoren bewirkt und zu einer „psychologischen Kettenreaktion” führt, die ein Umschlagen von einer nur wirtschaftlichen in eine auch politische In- tegration unvermeidlich machen würde.4

1 Vgl. insbes. die Schuman-Erklärung des französischen Außenministers Robert Schuman vom 09.05.1950; Haratsch/Koenig/Pechstein, Europarecht, Rn. 7; Mayer in: Schuppert/Per- nice/Haltern, S. 431 f.

2 Hallstein in: Hallstein/Schochauer, FS Ophüls, S. 2.

3 Kaiser, EuR 1967, 1; Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht, § 2 Rn. 15.

4 Vgl. Hallstein, Der unvollendete Bundestaat, S. 25; Müller-Armack, S. 63 f.

(14)

2

Die EU in ihrer heutigen Gestalt hat ihren Endzustand im Sinne eines verein- ten Europas jedoch noch nicht erreicht. Dies kommt unter anderem in der Konkretisierung der Bestimmungen des Primärrechts durch stete Vertragsän- derungen, in der Aufnahme neuer Mitgliedstaaten und der Konkretisierung des Europarechts durch den Erlass weiteren Sekundärrechts zum Ausdruck.

Die Frage wohin ein europäischer Integrationsprozess nach weiteren Ver- tragsänderungen letztlich führen soll, kommentierte insofern auch das deut- sche BVerfG dahingehend, dass mit der Chiffre der „Europäischen Union”

zwar im Anliegen eine weitere Integration angedeutet ist, das gemeinte Ziel dabei jedoch offen bleibt.5 Eine vertraglich niedergelegte Endzielfixierung gibt es gerade nicht. Dies wird durch die bereits in den Verträgen artikulierte Zielsetzung, einen immer engeren Zusammenschluss der europäischen Völ- ker herbeizuführen, hervorgehoben. Diese Zielsetzung ist als solche nur sinn- voll, wenn die EU als Prozess verstanden wird.6 Der Zielpunkt der herzustel- lenden Integration ist nicht in einem statischen, sondern in einem dynami- schen Sinne definiert, wodurch bereits die Gründungsverträge einen perma- nenten Evolutionsprozess eröffnet haben. Das Verfassungssystem der EU ist somit nicht auf bloße Zustandssicherung angelegt, sondern nach der erklärten Zielsetzung in den Präambeln der Verträge auf eine fortlaufende Weiterent- wicklung.7 In diesem Zusammenhang ist gegenwärtig die Währungsunion mitsamt ihrer Symbolik, die ihren Ursprung im Vertrag von Maastricht hat, einer der bedeutendsten Fortschritte im europäischen Integrationsprozess.8

Die EU ist bis heute (noch) kein Staat.9 Als Integrationsverbund besonderer Art lässt sie sich allerdings nicht in den bisherigen völker- und staatsrechtli- chen Kanon der Staatenverbindungen einordnen.10 Entscheidend für mögli- che Fortschritte bei der Integration der einzelnen Mitgliedstaaten in ein ver- eintes Europa wird die Frage nach dem Selbstverständnis der Mitgliedstaaten

5 BVerfG, Urt. v. 12.10.1993 – 2 BvR 2134/92 u.a., BVerfGE 89, 155, 189, Maastricht- Urteil.

6 Bieber in: Wildenmann, S. 393 ff.

7 Bungenberg, EuR 2000, 879 (880); Schwarze in: Capotorti/Ehlermann/Frowein, FS Pesca- tore, S. 37 ff.

8 Busse, EuR 2000, 686 (689).

9 Terhechte in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV, Art. 3 Rn. 18; a.A. Schachtschneider, Ver- fassungsrecht der EU, S. 63.

10 Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht, § 4 Rn. 24.

(15)

3

und ihrer Bürgerinnen und Bürger in einer immer engeren Union sein. Hin- sichtlich der Frage der Finalität der EU besteht jedenfalls zwischen den Mit- gliedstaaten weiterhin weder Klarheit noch Konsens.11 Demgemäß wünschen Befürworter eines föderalen Europas die Schaffung eines europäischen Bun- desstaates, während Gegner einen Staatenbund bevorzugen, bei dem die Na- tionalstaaten im Kern ihre Souveränität behalten.

Zur Bearbeitung des Themas dieser Arbeit sollen im Folgenden die rechtli- chen Rahmenbedingungen der geografischen und politischen Finalität der EU vor dem Hintergrund der bisherigen Entwicklung der europäischen Integra- tion betrachtet werden.

B. Rechtsnatur der Europäischen Union und ihrer Vorläufer

Wie rückblickend die EGen und nunmehr die EU in einer Gesamtbetrachtung zu verstehen sind, sind Überlegungen, welche die Anstrengungen um die Ei- nigung Europas begleiten. Dies mündet in der Frage nach der Rechtsnatur der EU. Für deren wirklichkeitsbezogene Analyse das Konzept der Verträge un- ter Mitberücksichtigung der Praxis in mehr als einem halben Jahrhundert eu- ropäischer Integration die Grundlage bildet.12

I. Vorgeschichte – Rechtsnatur der Europäischen Gemeinschaften Die EGen, die 1993 durch den Vertrag von Maastricht13 zur EU vereinigt wurden, stellten zunächst die bedeutsamste Realisation der „Europäischen Idee“ dar.14 Bereits bei Abschluss des ersten europäischen Vertrages war den Vertragsparteien bewusst, dass ihr Unterfangen inhaltlich die bisherigen For- men der Staatenzusammenarbeit hinter sich lassen sollte.15 Somit war seit Gründung der drei EGen (EGKS16, EWG, EURATOM17) deren Rechtsnatur

11 Bergmann, Handlexikon der EU.

12 Oppermann, Europarecht, 3. Aufl., § 12 Rn. 3.

13 Vertrag über die Europäische Union, in Kraft getreten am 01.11.1993, BGBl. II 1992, S. 1251.

14 Oppermann, Europarecht, 3. Aufl., § 12 Rn. 2.

15 Vgl. im Falle der BRD BT-Drucks. 2401/1,Anl. 3, S. 4; BT-Drucks. 3440/2, Anl. C, S. 108.

16 Gegründet durch den „Pariser Vertrag“: Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemein- schaft für Kohle und Stahl, in Kraft getreten am 23.07.1952, BGBl. II 1952, S. 447.

17 Gegründet durch die „Römischen Verträge“: Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, in Kraft getreten am 01.01.1958, BGBl. II 1957, S. 766, Vertrag

(16)

4

Gegenstand diverser Auseinandersetzungen.18 Diese haben dazu beigetragen, unpassende oder vereinfachende Verständnismuster und Denkkategorien aus dem Völkerrecht, der allgemeinen Staatslehre oder einem einzelnen Staats- recht nicht auf die EGen zu übertragen und das Verständnis für die besondere Eigenheit dieses Integrationsverbandes als ein sog. transnationales Gemein- wesen zu öffnen.19

1. Klassische Staatenbünde oder internationale Organisationen

Die drei EGen gründeten zweifelsohne auf völkerrechtlichen Verträgen20 und der Vertragssouveränität der Mitgliedstaaten.21

Jede dieser Gemeinschaften stellte eine eigenständige internationale Organi- sation mit eigener Rechtspersönlichkeit, eigenen Organen und eigenem Tä- tigkeitsbereich dar.22 In ihrer Ausgestaltung überschritten sie jedoch die Form der klassischen, durch zwischenstaatliche Kooperation geprägten internatio- nalen Organisationen (z.B. WTO).23 Dies konnte an mehreren Merkmalen festgemacht werden. Während herkömmliche völkerrechtliche Verträge grundsätzlich nur die Vertragsstaaten als solche binden und ihnen Rechte und Pflichten zuweisen, entwickelte sich – insbesondere durch die Rechtspre- chung des EuGH – das Verständnis, dass Vertragsvorschriften unter bestimm- ten Voraussetzungen auch einzelne Gemeinschaftsbürger und Unternehmen berechtigen und verpflichten können.24 Vor diesem Hintergrund wurden die Grundsätze der unmittelbaren Anwendbarkeit und des Anwendungsvorrangs des Gemeinschaftsrechts vor abweichendem mitgliedstaatlichem Recht ent- wickelt.25 Daneben enthielten die Gemeinschaftsverträge zahlreiche suprana- tionale Elemente mit entsprechenden, durch Zustimmungsakte gedeckten

zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft, in Kraft getreten am 01.01.1958, BGBl.

II 1957, S. 1014.

18 Ipsen, EG-Recht, S. 182 ff.

19 Müller-Graff in: Dauses/Ludwigs, A. I., Rn. 45.

20 Ehlers in: Schulze/Zuleeg/Kadelbach, § 11 Rn. 7.

21 Ipsen, EG-Recht, S. 58; Oeter in: von Bogdandy/Bast, S. 81; Berber, Lehrbuch des Völ- kerrechts, S. 319; Nettesheim in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, AEUV, Art. 1 Rn. 60.

22 Zuleeg in: von der Groeben/Thiesing/Ehlermann, Art. 1 Rn. 13; Steinberger, VVDStRL 50 (1991), 16.

23 Ipsen, EG-Recht, S. 193 f.; vgl. zur Völkerrechtssubjektivität internationaler Organisatio- nen, Hilmes, S. 32.

24 EuGH, Urt. v. 05.02.1963 – 26/62, Slg. 9, 1, Van Gend & Loos; Badura, ZSR 1990, 115 (116 f.).

25 EuGH, Urt. v. 15.07.1964 – 6/64, Slg. 10, 1251, Costa/ENEL; Müller-Graff, JöR 59 (2011), 141 (142 ff.).

(17)

5

Souveränitätseinbußen der Mitgliedstaaten, die zwar einerseits das territoriale Gewaltmonopol der Mitgliedstaaten nicht einschränkten, jedoch andererseits die Teilhabe eines jeden Mitgliedstaates an einer gemeinschaftsweiten Sou- veränität begründeten.26 Supranationale Befugnisse der EGen entstanden vor- nehmlich in Gestalt von Verwaltungsbefugnissen, Rechtsschutzbefugnissen mit der Möglichkeit qualifizierter Mehrheitsentscheidungen im Rat27 und Ju- risdiktionsbefugnissen der Gemeinschaftsgerichtsbarkeit.28 Auf Grundlage der in der Zuständigkeit des EuGH liegenden Kompetenz zur Bestimmung allgemeiner Rechtsgrundsätze und mittels der Konkretisierung der sog. Ge- meinschaftstreue durch diesen wurden unter anderem auch das Effektivitäts- prinzip mit Ausprägungen als Staatshaftung für Verstöße gegen das Gemein- schaftsrecht und das Gebot der richtlinienkonformen Auslegung mitglied- staatlichen Rechts geschaffen.29 Insbesondere der EWG-/EG-Vertrag bein- haltete ein im Vergleich zu gewöhnlichen völkerrechtlichen Organisationen einzigartiges Integrationsprogramm sowie Organ- und Rechtsschutzsystem.30 Diese Ausgestaltung überschritt den herkömmlichen Charakter einer interna- tionalen Organisation bei Weitem, womit sich innerhalb der Gemeinschafts- rechtsbeziehungen ein Rückgriff auf das allgemeine Völkerrecht im Grund- satz erübrigte.31

Im Rahmen dieser Entwicklung blieb die Bezeichnung der Gemeinschaften – in Verbindung mit der EU von Maastricht – als „Staatenverbund“ vergleichs- weise ungenau.32 Diese Kennzeichnung suggerierte eine staatliche Abhängig- keit der Gemeinschaftsentwicklung, die einerseits für die Ebene des Vertrags- schlusses und der Vertragsänderung – also für die Entstehung des Primär- rechts – zutrifft, andererseits jedoch die Bedeutung für die konkrete innere

26 Ipsen, EG-Recht, S. 67 ff.; Zuleeg, integration 1988, 103 ff.; allg. Ruppert in: Ruppert/Ip- sen, Die Integrationsgewalt; Weber, Europäische Verfassungsvergleichung, S. 396 ff.; Ep- ping in: K. Ipsen, Völkerrecht, 3. Aufl., S. 36; Grabitz in: Grabitz, EWG-Vertrag, Art. 1 Rn. 7.

27 Rat der Europäischen Union (Ministerrat), nicht zu verwechseln mit Europarat oder Euro- päischem Rat.

28 Vgl. Art. 100 EWGV, ergänzt durch die EEA um Art. 100a EWGV; Art. 164 ff. EWGV.

29 EuGH, Urt. v. 19.11.1991 – C-6/90 , C-9/90, Slg. 1991, I-5357, „Francovich“; EuGH, Urt. v. 10.04.1984 – 14/1983, Slg. 1984, 1891, „von Colson und Kamann“.

30 Vgl. Müller-Graff in: Dauses/Ludwigs, A. I., Rn. 47.

31 Schwarze, EuR 1983, S. 1 ff.; Ipsen, EG-Recht, S. 194 f.; Hilmes, S. 49 ff.; Streil in:

Beutler/Bieber/Pipkorn/Streil, S. 217; a.A. Oeter in: von Bogdandy/Bast, S. 81 f.

32 BVerfGE 89, 155, 188, Maastricht-Urteil; a.A. Zuleeg in: von der Groeben/Thiesing/Eh- lermann, Art. 1 Rn. 7; Schwarze, NJ 1994, 1 (3).

(18)

6

Ausgestaltung – Gemeinschaftsrecht im allgemeinen und Sekundärrecht im speziellen – begrifflich nicht angemessen erfasste.33 Im einzelnen sind die Entwicklungskräfte der grenzüberschreitenden Privatinitiative von Gemein- schaftsbürgern und -unternehmen, die Konkretisierung des Europarechts durch den EuGH, der Einfluss der direkt gewählten und damit die Völker re- präsentierenden Mitglieder des EP auf die Rechtssetzung und Politik der Ge- meinschaften sowie die Vorsteuerung der Rechtssetzung insbesondere der EG durch das Initiativrecht der Europäischen Kommission zu nennen. Bereits der Begriff der „Gemeinschaft“34 drückte den Willen zu einer stärkeren Ver- bindung und Gemeinsamkeit aus.35 Somit entstand aus dem Gesamtakt staat- licher Integrationsgewalt ein verfasster rechtsfähiger Verband mit einer eige- nen Rechtsordnung, im Integrationsmaß begrenzten Aufgaben und einer ei- genen supranationalen Gewalt, die unmittelbar auch auf die Bürgerinnen und Bürger der Mitgliedstaaten durchgreifen kann.36

Dementsprechend konnte jede der Gemeinschaften als Staatenbund im Sinne eines allgemeinen Begriffs einer dauerhaften Staatenverbindung bezeichnet werden, nicht aber im Sinne der klassischen Bezeichnung eines Staatenbun- des, dem einerseits das Durchgriffsrecht fehlt und der andererseits regelmäßig einen Verteidigungszweck einschließt.37

2. Staatlichkeit oder Bundesstaatlichkeit

Obwohl sich die EGen vom Modell der klassischen internationalen Organi- sationen losgelöst hatten, konnte sich deren Verständnis als Staaten oder Bun- desstaaten nicht durchsetzen.38 Weder einzeln noch in Gesamtheit besaßen die drei Gemeinschaften Staatscharakter. Sie entwickelten keines der von der Staatslehre vorgegebenen und von der Völkerrechtslehre übernommenen Staatlichkeitselemente der sogenannten Drei-Elementen-Lehre: Staatsgebiet, Staatsvolk, Staatsgewalt.39

33 Vgl. Müller-Graff in: Hommelhoff/Kirchhof, S. 72.

34 Vgl. zur Prägung des Begriffs der Gemeinschaften Hallstein in: Hallstein/Schlochauer, FS Ophüls, S. 1.

35 Grabitz in: Grabitz, EWG-Vertrag, Art. Rn. 4; Oppermann in: Gernhuber, Tradition und Fortschritt im Recht, S. 419.

36 Vgl. Ipsen, EG-Recht, S. 62; Müller-Graff in: Dauses/Ludwigs, A. I., Rn. 48.

37 Ipsen, EG-Recht, S. 191 ff.

38 Steinberger, VVDStRL 50 (1991), S. 16; Ipsen, EG-Recht, S. 187 ff.

39 G. Jellinek/W. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 396 ff.; Ipsen, EG-Recht, S.187; Epping in: K. Ipsen, Völkerrecht, 3. Aufl., S. 56 f.; Griller in: Schuppert/Pernice/Haltern, S. 220.

(19)

7 a) Gemeinschaftsgebiet

Zwar bestand bereits von Beginn an ein räumlicher Geltungsbereich der Ge- meinschaftsverträge und des abgeleiteten Gemeinschaftsrechts und es entwi- ckelte sich auch zunehmend ein normierter Raumbezug.40 Dennoch ergab sich der räumliche Geltungsbereich nicht aus einem eigenen, von der jewei- ligen Gemeinschaft selbst bestimmten Hoheitsgebiet, sondern allein aus dem Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten.41 Darin begründet sich der Unterschied zu einem Bundesstaat im Sinne der Drei-Elementen-Lehre.

b) Gemeinschaftsvolk

Gleichermaßen hat sich kein gemeinschaftsautonom definiertes Gemein- schaftsvolk entwickelt.42 Ein solches Gemeinschaftsvolk bestand auch nicht in Gestalt der Unionsbürgerschaft.43 Diese leitet sich bis heute vielmehr aus der Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates ab, über deren Erwerb und Ver- lust dieser grundsätzlich alleine bestimmt.44 Es ist jedoch nicht auszuschlie- ßen, dass in einem Bundesstaat die Zugehörigkeit eines Einzelnen zum Zent- ralstaat die rechtliche Folge seiner Zugehörigkeit zu einem Gliedstaat ist.45 Im Bundesstaat liegt dabei die Kompetenz für die Festlegung der Vorausset- zung dieser Verknüpfung beim Zentralstaat. In den Gemeinschaften hingegen liegt diese Kompetenz in der vertragsrechtlichen Bestimmung durch die Mit- gliedstaaten. Zudem soll die Unionsbürgerschaft vornehmlich Rechte im Ver- hältnis zu anderen Mitgliedstaaten gewähren.46 Demzufolge ist die Unions- bürgerschaft vertraglich derart konzipiert, dass sie zur jeweiligen Staatsbür- gerschaft hinzutritt, diese aber nicht ersetzt.47

40 Vgl. Art. 7a EWGV, „Raum ohne Binnengrenzen“; Art. 61 ff. EGV, „Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“; Monar in: von Bogdandy/Bast, S. 749 ff.

41 Vgl. Art. 299 EGV; Oppermann, Europarecht, 3. Aufl., § 12 Rn. 16.

42 Bieber in: von der Groeben/Thiesing/Ehlermann, Art. 137 Rn. 2; Oppermann/Classen, NJW 1993, 5 (8); Bleckmann, JZ 1991, 900 (903); Violini in: Müller-Graff/Riedel, S. 41;

Kirchhof in: Kirchhof/Ehlermann, S. 14.

43 Urspr. Art. 8 Abs. 1 EWGV; Scholz in: Maunz/Dürig, GG, Art. 23 Rn. 44.

44 So heute Art. 20 Abs. 1 S. 2 AEUV; Kadelbach in: Ehlers, § 26 Rn. 26.

45 Bis 1934 war dies der Regelfall im Deutschen Reich, Art. 110 WRV i.V.m. Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz.

46 Z.B. Kommunalwahlrecht, Wahlrecht zum EP am Wohnsitz, konsularischer und diploma- tischer Schutz in einem Drittstaat, Kadelbach in: Ehlers, § 26 Rn. 54 ff., 78 f.

47 Kadelbach in: Ehlers, § 26 Rn. 34; Pernice in: Schuppert/Pernice/Haltern, S. 756 ff.; vgl.

auch die heutige Formulierung der Art. 9 S. 3 EUV u. Art. 20 AEUV.

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Ein Gemeinschaftsvolk entstand auch nicht durch die Einführung der Direkt- wahl des EP.48 Dessen Abgeordnete repräsentieren bis heute nicht ein euro- päisches Volk, sondern die über die Mitgliedstaaten definierten Völker.49 So- mit ermöglichte die Direktwahl des EP den europäischen Bürgern lediglich eine politische Teilhabe innerhalb der Gemeinschaften.

c) Hoheitsgewalt

Des Weiteren ist den Gemeinschaften keine selbstbestimmte Hoheitsgewalt zugewachsen. Zwar wurden für die jeweilige Gemeinschaft vertraglich ei- gene Hoheitsrechte begründet, wenn auch nicht in Form von Befugnissen zur Anwendung von „Gewalt“ im Sinne der physischen Durchsetzung gegen Wi- derstrebende.50 Diese Hoheitsrechte wurden jedoch in ihrer Herkunft und Le- gitimation aus den von den Mitgliedstaaten in ihrer Gesamtheit abgeschlos- senen Verträgen abgeleitet und gründeten daher ursprünglich nicht auf eige- ner Souveränität der Gemeinschaften.51 Diese wurden vielmehr in ihrer Exis- tenz und konstitutiven Ausgestaltung an die jeweils in Kraft gesetzte Über- einkunft der Mitgliedstaaten gebunden.52 Daher erlangten die Gemeinschaf- ten nicht den Charakter eines Kernstaates in einem Bundesstaat, in dem den Mitgliedstaaten die Rolle von Gliedstaaten zugekommen wäre.53 Letztendlich änderten auch Benennungen der Gemeinschaften als „präföderale Ver- bände“,54 „bundesstaatsähnliche Gebilde“55 oder „parastaatliche Hoheits- strukturen“56 aus nicht-juristischen, politikwissenschaftlichen oder sozialthe- oretischen Analysemethoden nichts an diesem Befund.

Die Annahme, der Vertrag von Maastricht impliziere aufgrund der Übertra- gung der Währungssouveränität auf die EG deren Umstrukturierung von einer Staatengemeinschaft in einen echten Staatenverbund, geht in Teilen fehl.57

48 Ipsen, EG-Recht, S. 187; Kadelbach in: Ehlers, § 26 Rn. 6.

49 Art. 14 Abs. 2 S. 3 EUV, Müller-Graff in: Dauses/Ludwigs, A. I., Rn. 52.

50 Müller-Graff in: Dauses/Ludwigs, A. I., Rn. 45 ff.; Oppermann, Europarecht, 3. Aufl., § 12 Rn. 18.

51 Vgl. insbesondere im Hinblick auf die BRD Badura, ZSR, 115 (120 f.).

52 Ipsen, EG-Recht, S. 188; Seidel, EuR 1992, 125 (127).

53 Oppermann, Europarecht, 2. Aufl., S. 217 f.; vgl. auch Seidel, EuR 1992, 125 (129).

54 Scheuner, VVDStRL 23 (1966), 106.; Oppermann, Europarecht, 3. Aufl., § 12 Rn. 15.

55 Hallstein, Der unvollendete Bundesstaat, S. 34.

56 Seidel, EuR 1992, 125 (129).

57 Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht, § 3 Rn. 2; Seidel, EuR 1992, 125 (138).

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Allerdings ließ die Zuweisung der Währungspolitik hinsichtlich der Mitglied- staaten, deren Währung der Euro ist, in die ausschließliche Kompetenz der EG durchaus die Schaffung eines Staatlichkeitselements erkennen.58 Gleich- wohl wurde der EG damit nur ein einzelner Ausschnitt traditionell staatlicher Aufgaben und Hoheitsbefugnisse übertragen, ohne dass sie dadurch eine Staatsform im Sinne der Drei-Elementen-Lehre angenommen hätte.

Insgesamt wurde mit der Entwicklung der EGen zunehmend deutlich, dass Idee und Begriff der Staatlichkeit und die daraus abgeleiteten Fragen nach der Staatlichkeit der Gemeinschaften und der Entstaatlichung der Mitgliedstaaten nur wenig geeignet erscheinen, den historisch neuartigen Prozess der europä- ischen Integration in ihren Wirkungen auf Rolle, Funktion und Ausformung sowohl der Gemeinschaften als auch der Mitgliedstaaten passend zu erfas- sen.59 Jedenfalls begründeten die in der Entwicklung der Gemeinschaften feststellbaren Eigenheiten der Integration das Erfordernis, jenseits überkom- mener Kategorien die Muster der Zuordnung von Hoheitsbefugnissen zu ver- schiedenen Hoheitsträgern unter den konzeptionellen Gesichtspunkten der geteilten oder verknüpften Funktionen und Souveränität, Loyalität und Soli- darität zu überdenken. Dem wurde auch die Beobachtung zugrunde gelegt, dass die tatsächliche Entwicklung der Gemeinschaften und der Maastrichter Union60 nicht vergleichbare Züge der Einheitsbildung in hoheitlicher, recht- licher und gesellschaftlicher Hinsicht entfaltete, wie sie der Entwicklung ei- nes modernen Staates zugeschrieben werden.61 Insbesondere in den politi- schen Handlungsvorgängen der Gemeinschaften bildete sich kein hierar- chisch gegliedertes politisch-administratives System auf europäischer Ebene, sondern Fragmentiertheit, Diffusität und Polyzentrik und damit die Notwen- digkeit von Verhandlungen und Konsenssuche zur Abstimmung zwischen verschiedenen politischen-administrativen Systemen der einzelnen Mitglied- staaten.62

58 Vgl. Oppermann, Europarecht, 3. Aufl., § 12 Rn. 15, § 14 Rn. 1 ff.

59 Zuleeg in: von der Groeben/Thiesing/Ehlermann, Art. 1 Rn. 8; Müller-Graff in: Dau- ses/Ludwigs, A. I., Rn. 56.

60 Zur Begrifflichkeit vgl. Hilmes, S. 36.

61 von Bogdandy, Supranationaler Föderalismus, S. 43 ff.

62 von Bogdandy, Supranationaler Föderalismus, S. 44, 46 ff.; Müller-Graff in: Dauses/Lud- wigs, A. I., Rn. 56.

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Vor diesem Hintergrund kam für die Gestaltung der EGen nicht das aus dem 19. Jahrhundert überlieferte politische System der Staaten als Modell in Be- tracht. Vielmehr wären die Gemeinschaften geeignet als Katalysatoren für die Verwandlung traditioneller Staatsstrukturen zu wirken.63 Daher förderte die Betonung der Vertragsziele der Gemeinschaften – und sodann der Maastrich- ter Union – vornehmlich ein gesellschaftsvertragliches Verständnis von Ge- meinwesen, das sich auch in der Kategorie von Staatsaufgaben und Staatszie- len abbildete.64 Obwohl damit auch eine Veränderung von Verständnis und Rolle des Staates verbunden war, blieben die Mitgliedstaaten als solche den- noch bestehen.65 Obwohl diese gegenüber den Gemeinschaften aus den von ihnen abgeschlossenen Verträgen und dem daraus abgeleiteten Gemein- schaftsrecht rechtspositiv verpflichtet wurden,66 blieben sie zugleich „Herren der Verträge“ im Hinblick auf deren Aufhebung und Änderung.67 Unter rechts- und verfassungspolitischen Aspekten zeigte sich, dass den Mitglied- staaten im Interesse des europäischen Zusammenhalts gleichwohl stabilisie- rende Aufgaben zukommen. Demnach nehmen diese unter anderem unmit- telbar legitimierte öffentliche Schutz- und Leistungsfunktionen einschließlich des territorialen Gewaltmonopols wahr. Des Weiteren verantworten sie die, von der jeweiligen Bevölkerung bereits akzeptierte Organisation von Interes- senabwägungen und Entscheidungen im Rahmen eines funktionsfähigen Ge- meinwesens, ferner die Legitimationsvermittlung für die Existenz und das Handeln der Gemeinschaftsebene sowie die Sicherung eines machtbalancier- ten Gegengewichts, das von einem die Mitgliedstaaten ersetzenden Ord- nungsmuster der „Regionen“ wegen dessen tendenziell zentripetaler Wirkung nicht in gleichem Maße zu erwarten wäre.68

63 Vgl. Ipsen, EG-Recht, S. 977; Frowein, EuR 1992, 63 (67).

64 Fleiner in: Müller-Graff/Riedel, S. 17 ff.; Weber, Europäische Verfassungsvergleichung, S. 79 ff.

65 Thürer, VVDStRL 50 (1991), 122 ff.; Ipsen, Europäisches Gemeinschafsrecht, S. 989.

66 von Bogdandy in: von Bogdandy/Bast, S. 46.

67 Grabitz in: Grabitz, EWG-Vertrag, Art. 1 Rn. 7; Oppermann, Europarecht, 3. Aufl., § 12 Rn. 19; Klein, VVDStRL 50 (1991), 58 f.

68 Böttcher, ZRP 1990, 329 (331 f.); Müller-Graff, integration 1997, 145 (153); Müller-Graff in: Dauses/Ludwigs, A. I., Rn. 57.

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11 3. Transnationales Gemeinwesen

Die in ihrem Wesen historisch neuartigen Gemeinschaften wurden daher in ihrer rechtlichen Qualität am treffendsten durch das Hervorheben ihrer, sich von Staatlichkeit und von herkömmlichen internationalen Organisationen ab- hebender Eigenart charakterisiert.69 Insbesondere mit der Kennzeichnung der Gemeinschaften als Zweckverbände funktionaler Integration wurde die Ziel- definition und -bezogenheit eines von den Mitgliedstaaten eingesetzten Ent- scheidungs- und Hoheitsträgers herausgestellt.70 Dagegen erwies sich der Be- griff des Integrationsverbandes bzw. der Integrationsgemeinschaft, der die Verflechtung mitgliedstaatlichen Handelns betonte, lediglich als beschrei- bend.71 Terminologisch staatszentriert blieb die für die Maastrichter Union entwickelte Bezeichnung Staatenverbund.72

Die Entwicklung der Gemeinschaften ließ vielmehr die Verdichtung zu einem zielbezogenen transnationalen Gemeinwesen eigener Prägung erkennen.73 Der Begriff des Gemeinwesens trifft zu, soweit dieses als ein auf die Ver- wirklichung des Gemeinwohls gerichteter Verband mit Hoheitsrechten und der Berechtigung und Verpflichtung von Einzelpersonen in wesentlichem Umfang verstanden wird. Durch die Verträge wurden die Gemeinschaften ge- schaffen, ihnen Hoheitsrechte zugeordnet und auch Einzelpersonen zu Adres- saten ihrer Maßnahmen. Rechtspositiv wurde durch Art. 213 Abs. 2 EGV die Kategorie des allgemeinen Wohls der Gemeinschaften geschaffen und ent- sprechend aus dem Primärrecht abgeleitet.74 Dieses Gemeinwesen wurde in Abgrenzung zu einem lokalen, regionalen oder staatlichen Gemeinwesen transnational – im Sinne eines staatenübergreifenden Gefüges – konzipiert.

Es wurde zugleich gesellschaftsvertraglich zielbezogen angelegt, weil die Verträge jeweils eine Gemeinschaft zur Verfolgung gemeinsamer Zwecke im

69 Oppermann, Europarecht, 2. Aufl., S. 340; BVerfG, Beschl. v. 18.10.1967 – 1 BvR 248/63, 1 BvR 216/67, BVerfGE 22, 293, 296.

70 Ipsen, EG-Recht, S. 196 ff.; Kingreen in: von Bogdandy/Bast, S. 725; Everling, Der Staat 13 (1974), 73; Ipsen, EuR 1987; Griller in: Schuppert/Pernice/Haltern, S. 204; Oppermann, Europarecht, 2. Aufl. S. 341; Zuleeg in: von der Groeben/Thiesing/Ehlermann, Art. 1 Rn. 7.

71 Zuleeg in: von der Groeben/Thiesing/Ehlermann, Art. 1 Rn. 7; Oeter in: von Bogdandy/Bast, S. 117 f.

72 BVerfGE 89, 155 ff., Maastricht-Urteil; Nettesheim in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, AEUV, Art. 1 Rn. 57.

73 Müller-Graff in: Dauses/Ludwigs, A. I., Rn. 73.

74 Müller-Graff in: Ambrosius/Schmitt-Egner, S. 127 ff.; Calliess in: Brugger/Kirste/Ander- heiden, S. 173 ff.; Burgger in: Müller-Graff/Roth, S. 15 ff.; Anderheiden, Gemeinwohl in Republik und Union, S. 144 ff.; a.A. von Bogdandy in: von Bogdandy/Bast, S. 49.

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Sinne einer eigenen Zielsetzung begründeten, wobei innerhalb der jeweiligen Gemeinschaft die Verfolgung des Gemeinschaftswohls angestrebt wurde, zu dessen Verwirklichung Gemeinwohlverfahren und Organe eingesetzt wur- den.75 Im Ergebnis entstand daraus ein Gemeinwesen eigener Prägung, das zwar innere Strukturparallelen zu anderen Formen von Gemeinwesen auf- weist, aber von spezifischen Einzelcharakteristika überlagert wird. Diese Ei- genheiten zeigten sich insbesondere in der Legitimationsgrundlage, in den Zielsetzungen, in den Kompetenzen, in den Verfahren und im Legitimations- modell der Handlungen.76 Sie zeigten sich ebenfalls in der hervorgehobenen Funktion der subjektiven Rechte zur binnenmarktbildenden Grenzüberschrei- tung77 für die Integration und den Zusammenhalt des Integrationsverbandes im Sinne einer transnationalen Gesellschaftsbildung.78

II. Vertrag von Lissabon – Rechtsnatur der Europäischen Union Der Reformvertrag von Lissabon79, der die EGen und die EU von Maastricht zu einer neuen Union zusammenfügte, hat wesentliche Veränderungen im Unionsgefüge bewirkt und die Rechtsnatur des europäischen Integrationsver- bandes geprägt. Jedoch konnte die EU auch auf der Grundlage des Vertrages von Lissabon zunächst keinen klassischen Staatscharakter erlangen.80

1. Die Verträge als Grundlage der Europäischen Union

Mit dem Vertrag von Lissabon hat die seit Jahrzehnten voranschreitende kon- tinuierliche vertragliche Vertiefung der EU einen vorläufigen Abschluss ge- funden. Er hat die bisherige vertragliche Systematik der EU und deren Integ- rationsgrad grundlegend verändert. Durch ihn wird die Zweiteilung des Pri- märrechts vordergründig zwar beibehalten, die Unterscheidung zwischen

„Gemeinschaft“ und „Union“ entfällt jedoch. Die Europäische Gemeinschaft

75 Ipsen, EG-Recht, S. 990; Müller-Graff, Unternehmensinvestitionen, S. 355 ff., 549 ff.;

Arnim, Gemeinwohl und Gruppeninteresse, S. 48 ff.

76 Ipsen, EG-Recht, S. 188; Müller-Graff in: Dauses/Ludwigs, A. I., Rn. 59.

77 Vgl. Oppermann, Europarecht, 3. Aufl., § 1 Rn. 32 ff., § 19 Rn. 1 ff.

78 Müller-Graff in: Müller-Graff/Roth, S. 271 ff.; Grundmann in: Riesenhuber, Privatrechts- gesellschaft, S. 105 ff.

79 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, in Kraft getreten am 01.12.2009, Abl. Nr. 115, S. 47.

80 Hinsichtlich der Kriterien von „Staatsvolk, Staatsgebiet, Staatsgewalt“, Müller-Graff in:

Dauses/Ludwigs, A. I., Rn. 61; Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht, § 10 Rn. 1.

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und die EU wurden im Vertrag von Lissabon zu einer EU zusammengeführt.81 Damit hat der Vertrag von Lissabon die Neugründung einer rechtsfähigen eu- ropäischen Union vorgenommen.

Grundlage der EU sind nunmehr der Vertrag über die EU (EUV) und der Ver- trag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV). Gemäß Art. 1 Abs. 2 S. 2 AEUV haben beide Verträge ausdrücklich denselben Stellen- wert.82 Die neugeordneten Titel der Verträge lassen zunächst den Eindruck entstehen, dass es sich bei dem EUV um eine Schilderung der Grundlagen der EU handelt, wohingegen im AEUV lediglich Details der sektoralen Zusam- menarbeit beschrieben werden. Dieser Systematik folgen die Verträge jedoch nicht durchgängig.83 Wichtige Elemente wie beispielsweise die Aufzählung der Kompetenzen der EU sind nämlich entgegen einer systematischen Zuord- nung im AEUV geregelt. Darüberhinaus sind die Bestimmungen über die GASP einschließlich der Verteidigungspolitik systemwidrig in den EUV auf- genommen worden.84 Des Weiteren steht eine Reihe von Doppelregelungen mit gleichem oder ähnlichem Wortlaut ebenso wie die teilweise Aufspaltung zusammengehörender Materien auf zwei Verträge einer gesetzgeberischen Bestimmtheit entgegen.85 So findet man die Bestimmung der Unionsorgane zum einen in Art. 13 ff. EUV und zum anderen in Art. 223 ff. AEUV. Die Regelungen über die Unionsbürgschaft verteilen sich ebenfalls über beide Verträge. Hervorzuheben ist die unglückliche Aufteilung der Festlegung auf Werte und Ziele im EUV und der diese, zum Teil aufnehmenden allgemein geltenden Bestimmungen im AEUV.86

81 Schulze/Kadelbach in: Schulze/Zuleeg/Kadelbach, Einführung, Rn. 10; Nettesheim in:

Grabitz/Hilf/Nettesheim AEUV, Art. 1 Rn. 52.

82 Streinz in: Streinz, AEUV, Art. 1 Rn. 11; Schwarze in: Schwarze/Becker/Hatje/Schoo, EUV, Art. 1 Rn. 4; Jacqué in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, EUV, Art. 1 Rn. 14.

83 Vgl. Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht, § 3 Rn. 14.

84 Vgl. Art. 21 bis 46 EUV.

85 Fastenrath/Nowak, Lissabonner Reformvertrag, S. 14, 24; Oppermann, DVBl 2008, 473 (476); Terhechte, EuR 2008, 143 (149).

86 Vgl. Art. 2 und 3 EUV, Art. 7 ff. AEUV; Fastenrath/Nowak, Lissabonner Reformvertrag, S. 14, 24; Nettesheim in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, AEUV, Art. 1 Rn. 53.

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Daneben ist die Grundrechte-Charta87 nicht unmittelbarer Bestandteil von EUV und AEUV geworden. Allerdings bleibt die Charta mit gewissen Aus- nahmeregelungen für die Mitgliedstaaten Großbritannien, Polen und Tsche- chien gleichrangig.88

Das große Ziel der Reform die EU der 28 Staaten handlungsfähiger und trans- parenter zu machen, um eine möglichst offene und bürgernahe Entschei- dungspraxis zu gestalten, wird durch den Vertrag von Lissabon somit nur be- grenzt erreicht. Eine für den Bürger lesbare und einnehmende Grundordnung

„seiner“ EU stellen die Verträge aufgrund ihrer teils undurchsichtigen Ver- flechtung daher nicht dar.89

2. Struktur und Charakteristika des Europarechts

Die wesentlichen Leitprinzipien des europäischen Rechtssystems finden sich lediglich in Ansätzen in den Verträgen positiv umschrieben. Sie sind in wei- tem Umfang das Ergebnis eines Prozesses, in dem vornehmlich der EuGH in Zusammenarbeit mit anderen Organen der EU und den Amtswaltern der Mit- gliedstaaten den Vertrag zur Verfassung eines historisch neuen Hoheitsträ- gers entwickelte.90 Diese Verfassungsentwicklung war ein politischer Vor- gang, in dessen Rahmen die grundlegenden Formen und Inhalte gesellschaft- lichen Miteinanders ausgewählt und rechtlich umschrieben wurden, ohne dass sich hierfür eine eindeutige Anordnung in den positiven Vertragsvor- schriften fand.91

a) Autonomie des Europarechts

Bereits in der Frühphase der Entwicklung hat der EuGH das auf europäischer Ebene bestehende Recht als eine Rechtsmaterie eigener Art zwischen dem Völkerrecht und dem staatlichen Recht der Mitgliedstaaten angesehen. Dies-

87 Charta der Grundrechte der Europäischen Union, in Kraft getreten am 18.12.2000, ABl.

EG 2000/C 364/01.

88 Jarass in: Jarass, Grundrechte-Charta der EU, Einleitung, Rn. 6 ff.; Jarass in: Jarass, Grundrechte-Charta der EU, EGrCh, Art. 51 Rn. 40.

89 Schwarze in: Schwarze/Becker/Hatje/Schoo, EUV, Art. 1 Rn. 3; Oppermann/Classen/Net- tesheim, Europarecht, § 3 Rn. 15.

90 Stein, AJIL 75 (1981), 75; Weiler, JCMS 31 (1993), 417.

91 Nettesheim in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, AEUV, Art. 1 Rn. 54.

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bezüglich spricht der EuGH schon lange davon, dass es im Prozess der Über- tragung von Hoheitsrechten auf die EU zur Entstehung einer autonomen Rechtsordnung gekommen ist.92

Während die anfängliche Rechtsprechung des EuGH teilweise dahingehend zu verstehen ist, dass das Europarecht formal als Völkerrecht anzusehen ist, aber aufgrund der Offenheit der Strukturen des Völkerrechts eine ungewöhn- liche und neuartige Teilordnung darstellt93, geht die europarechtliche Sicht- weise dahin, die Gewichtung auf die Formulierung der eigenen Rechtsord- nung zu legen und von einer Loslösung des Europarechts aus dem Völker- recht auszugehen.94 Dies dürfte inzwischen auch das Verständnis des EuGH sein. Mit diesem Schritt hat der EuGH einer Entwicklung den Weg bereitet, die nicht durch die Interpretationsregeln des Völkerrechts bestimmt war. Die Behauptung einer solchen Autonomie bedeutet zunächst einmal Entwick- lungsfreiheit. Der EuGH hat im Rahmen dieser Freiheit eine ihm eigene, aus- greifende, an Integrationszwecken orientierte Konkretisierungsmethode ent- wickelt. Die Regeln des allgemeinen Völkerrechts finden innerhalb des euro- päischen Rechtsraums nur dann Anwendung, wenn das Europarecht entspre- chend darauf verweist.95

Weiter erkennen die mitgliedstaatlichen Rechte die Autonomie des Europa- rechts an.96 Dagegen ist die europäische Rechtsordnung strikt von der Rechts- ordnung der Mitgliedstaaten zu trennen, obwohl die Rechtsordnungen in der Regelung zahlreicher Sachverhalte eng miteinander verwoben sind.97

b) Supranationalität

Ein wesentliches Merkmal des Europarechts ist seine Supranationalität. Sup- ranationalität bedeutet „Überstaatlichkeit“ und betrifft die Einwirkung der überstaatlichen Rechtsordnung auf die der Mitgliedstaaten. Die Supranatio-

92 EuGH, Urt. v. 05.02.1963 – 26/62, Slg. 9, 1, 25, Van Gend & Loos; EuGH, Urt. v.

15.07.1964 – 6/64, Slg. 10, 1251 Rn. 8, 12, Costa/ENEL.

93 Vgl. EuGH, Urt. v. 05.02.1963 – 26/62, Slg. 9, 1, 25, Van Gend & Loos.

94 Ehlers in: Schulze/Zuleeg/Kadelbach, § 11 Rn. 8.

95 Ruffert in: Calliess/Ruffert, AEUV, Art. 1 Rn. 12; Bleckmann, DÖV 1978, 391 (392);

Schwarze, EuR 1983, 1.

96 Z.B. BVerfG, Beschl. v. 18.10.1967 – 1 BvR 248/63 u.a., BVerfGE 22, 293, 296; BVerfG, Beschl. v. 29.05.1974 – 2 BvL 52/71, BVerfGE 37, 271, 277, Solange I.

97 Nettesheim in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, AEUV, Art. 1 Rn. 2 ff.

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nalität der EU ist auf ihre völkerrechtlichen und zwischenstaatlichen Grün- dungsakte zurückzuführen.98 Allerdings wird der Begriff nicht ganz einheit- lich verwendet.99 Einigkeit besteht darin, dass damit eine spezifische Form der Wirkung in den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen gemeint ist. Einer- seits wird er zur Bezeichnung des Vorrangs von Europarecht vor mitglied- staatlichem Recht angewendet, andererseits wird er herangezogen, um die Fä- higkeit des Europarechts zu umschreiben, subjektive Rechte im staatlichen Bereich begründen zu können.100 Dabei soll der Begriff in umfassender Weise verstanden werden und eine Wirkweise des Rechts bezeichnen, die nicht al- lein den Durchgriff zum Gegenstand hat. Die Charakterisierung des Europa- rechts als supranational versucht zugleich, die spezifische Besonderheit der EU und ihres Rechts zum Ausdruck zu bringen und besagt weiter, dass die- sem Recht gegenüber dem der Mitgliedstaaten grundsätzlich und unbedingt Vorrang einzuräumen ist.101 Da die EU zwar über ein ausgebautes Rechts- schutzsystem verfügt, aber nur wenig exekutivische Kompetenzen besitzt und ihr Zwangsmittel gegenüber den Mitgliedstaaten nur eingeschränkt zur Ver- fügung stehen, ist sie als Rechtsgemeinschaft elementar darauf angewiesen, dass ihr Recht von den rechtsunterworfenen Mitgliedstaaten und deren Bür- gern als aus sich heraus geltend angenommen und inhaltlich akzeptiert wird.102

Trotz grundlegender Umstrukturierung der EU durch den Vertrag von Lissa- bon und der Aufgabe des „Drei-Säulen-Modells“ im Sinne des Maastrichter Vertrages103 sind innerhalb der Europarechtsordnung gleichwohl zwei Säu- len, eine supranationale und eine intergouvernementale, identifizierbar.104 Dabei enthält nur der AEUV supranationales Recht im eigentlichen Sinne,

98 Bergmann, Handlexikon der EU.

99 Zuleeg, integration 1988, 103.

100 Sog. unmittelbare Wirkung, vgl. dazu von Bogdandy in: von Bogdandy/Bast, S. 33.

101 BVerfG, Beschl. v. 17.10.1967 – 1 BvR 760/64, BVerfGE 22, 292, 296; BVerfG, Beschl.

v. 22.05.1979 – 2 BvR 193, 197/79, BVerfGE 51, 222, 233; Schweitzer in: Burkei/Polter, FS Armbruster, S. 75 f.; Zuleeg, integration 1988, 103 ff.; Magiera in: Fiedler/Ress, GS Geck, S. 521; Bievert in: Schwarze/Becker/Hatje/Schoo, AEUV, Art. 288 Rn. 10; Classen, EuR- Beiheft 1999, 83; Knapp, DÖV 2001, 12.

102 Herdegen/Richter in: Frowein, S. 209; Nettesheim, EuZW 1995, 106; Ehlers, DVBl 1991, 605 (613); Scholz, NJW 1990, 941 (943); Scholz in: Friauf/Scholz, S. 53, 93; Tomuschat, EuR 1990, 340 (358); vgl. Art. 260 Abs. 2 AEUV; Stettner in: Dauses/Ludwigs, A. IV., Rn. 6; Bieber/Epiney/Haag, Die Europäische Union, § 9 Rn. 34 ff.

103 Haratsch/Koenig/Pechstein, Europarecht, Rn. 51; Oppermann/Classen/Nettesheim, Euro- parecht, § 3 Rn. 2 ff.

104 Haratsch/Koenig/Pechstein, Europarecht, Rn. 60.

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wohingegen im EUV die nach wie vor intergouvernementalen Rechtsgrund- lagen der GASP105 erfasst sind. Das Recht der GASP ist zwar auch in den Mitgliedstaaten verbindlich und genießt Vorrang. Auf eine Übertragung von Hoheitsrechten wurde aber diesbezüglich verzichtet. Die Begründung von Rechten und Pflichten für einzelne Bürger ist in diesem Bereich bislang eben- falls nicht möglich. Daher wird ihm teilweise ein rein völkerrechtlicher Cha- rakter beigemessen.106 Dennoch bilden die Regelungen über die GASP einen untrennbaren Teil der einheitlichen Europarechtsordnung. Mangels unmittel- barer Wirkung ist ihm die Supranationalität im eigentlichen Sinne jedoch ab- zusprechen, sodass es bei einer Aufteilung der EU und ihres Rechts in supra- nationale und intergouvernementale Ordnungsbereiche bleibt.107

c) Geltung, Anwendbarkeit und Wirkung des Europarechts

Zu den Charakteristika einer supranationalen Rechtsordnung gehört nicht nur die Annahme, dass das Europarecht als eine, aus autonomer Quelle fließende Ordnung für die Mitgliedstaaten gilt. Vielmehr ist es eine besondere Eigen- schaft, dass das Europarecht in den Mitgliedstaaten unmittelbar anwendbar ist.108 Dies kommt so nicht allen staatlichen Verträgen zu. Das Europarecht bindet die jeweiligen Adressaten unmittelbar, ohne dass es einer Durchfüh- rung bedarf. Das Gleiche gilt für die Begründung von Kompetenzen und die Gewährung von Rechten. Dieses Prinzip wird dem Europarecht als sogenann- tes Prinzip der einheitlichen Wirkung zugeschrieben, damit die EU die ihr gestellten Aufgaben effektiv und einheitlich erfüllen kann.109

Es ist nur eine besondere, begrifflich hervorgehobene Form der unmittelbaren Anwendbarkeit, dass das Europarecht für die in den Mitgliedstaaten adres- sierten Personen unmittelbare Wirkung haben kann.110 Diese unmittelbare Wirkung bzw. der unmittelbare Durchgriff der Europarechtsnorm auf die je- weils adressierten Privatpersonen stellt diejenige Eigenschaft des Europa-

105 Vgl. Art. 21 ff. EUV.

106 Haratsch/Koenig/Pechstein, Europarecht, S. 29; teilw. a.A. Nettesheim in:

Grabitz/Hilf/Nettesheim, AEUV, Art. 1 Rn. 66.

107 Nettesheim in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, AEUV, Art. 1 Rn. 66.

108 Ehlers in: Schulze/Zuleeg/Kadelbach, § 11 Rn. 9.

109 Nettesheim in: Randelzhofer/Scholz/Wilke, GS Grabitz, S. 447.

110 Ehlers in: Schulze/Zuleeg/Kadelbach, § 11 Rn. 9 f.

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rechts dar, mittels derer es seinen Vorrang im nationalen Raum im Wesentli- chen begründen und behaupten kann.111 Für den Einzelnen hat die unmittel- bare Wirkung einer Norm die praktische Bedeutung, dass er sich vor den Be- hörden und Gerichten der EU und der Mitgliedstaaten auf diese berufen kann.112 Jedem Einzelnen werden somit subjektiv-öffentliche Rechte ge- währt, durch die er persönlich in die europäische Rechtsordnung einbezogen wird.113 Durch den erheblichen Geltungsumfang dieser Rechte in der alltäg- lichen Praxis unterscheidet sich das Europarecht signifikant vom Staatenge- meinschaftsrecht internationaler Organisationen und nähert sich bundesstaat- lichen Verhältnissen an. Die individuelle Berufung auf solche Rechte und Pflichten ist zugleich ein wesentlicher Träger, mittels dessen der Vorrang des Europarechts im nationalen Raum quantitativ ausgedehnt und praktiziert wird.

d) Vorrang des Europarechts

Soweit dem Europarecht sowohl unmittelbare Geltung als auch unmittelbare Anwendbarkeit in den Mitgliedstaaten zukommt, kann es auch mit mitglied- staatlichem Recht kollidieren. Es gilt dann zu entscheiden, welchem Recht der Vorrang gebühren soll. Einer solchen Entscheidung bedarf es allerdings nur, wenn tatsächlich eine Kollision vorliegt.114

Vorrang des Europarechts bedeutet, dass sich bei einer Kollision zwischen dem Europarecht und dem mitgliedstaatlichem Recht das Europarecht gegen- über dem mitgliedstaatlichen Recht durchsetzt.115 Die Begründung dieser Kollisionsregel ergibt sich allerdings nicht ausdrücklich aus den Verträgen.116 In Art. 4 Abs. 3 EUV und in Art. 288 Abs. 2 AEUV finden sich lediglich An- haltspunkte für eine allgemeine Vorrangregel. Außerdem wird im sogenann-

111 EuGH, Urt. v. 05.02.1963 – 26/62, Slg. 9, 1, 25, Van Gend & Loos.

112 Vgl. EuGH, Urt. v. 09.03.1978 – 106/77, Slg. 1978, 629 (643 ff.), Simmenthal; Ehlers in:

Schulze/Zuleeg/Kadelbach, § 11 Rn. 10; Borchardt, Die rechtlichen Grundlagen der EU, Rn. 135.

113 Nettesheim, AöR 2007, 333.

114 Ehlers in: Schulze/Zuleeg/Kadelbach, § 11 Rn. 11.

115 EuGH, Urt. v. 15.07.1964 – 6/64, Slg. 10, 1251, Costa/ENEL; Ehlers in: Schulze/Zu- leeg/Kadelbach, § 11 Rn. 13; Griller in: Schuppert/Pernice/Haltern, S. 204; Everling, DVBl 1985, 1201.

116 Griller in: Schuppert/Pernice/Haltern, S. 213; Oppermann/Classen/Nettesheim, Europa- recht, § 10 Rn. 4.

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ten Subsidaritätsprotokoll zum Vertrag von Lissabon auf den Vorrangan- spruch bezuggenommen.117 Art. I-6 VVE hätte diese Lücke geschlossen und den einheitlichen Vorrang für das Primär- und Sekundärrecht angeordnet.118 Inhaltlich hätte dies allerdings keine Neuerungen gebracht.119 Die inhaltliche Rechtfertigung des Vorranganspruchs ergibt sich zwingend aus dem Prinzip der einheitlichen Tragweite und Wirksamkeit des Europarechts.120 Dieses Prinzip wäre nicht erfüllt, wenn nationale Normen im Kollisionsfall der An- wendung einer europarechtlichen Norm entgegenstünden. Die Gestaltungs- kraft der europäischen Rechtsordnung hängt von der unmittelbaren Wirksam- keit und dem Vorrang ihrer Bestimmungen ab.121 Dadurch wird aber nicht ausgeschlossen, dass das Europarecht ausdrücklich oder implizit gestattet, dass nationale Rechtsetzungsorgane von europarechtlichen Bestimmungen abweichen.122 Die Kollisionsregel als solche wird heute von keinem Mitglied- staat mehr in Frage gestellt.

Im Falle einer Kollision von europäischen mit mitgliedstaatlichen Normen ordnet die Vorrangregel als Rechtsfolge die Unanwendbarkeit der mitglied- staatlichen kollidierenden Vorschrift an (sog. Anwendungsvorrang).123 Als bloße Kollisionsregel kann die Vorrangregel Rechtsfolgen lediglich für den konkreten Kollisionsfall, nicht aber für die zukünftigen Rechtswirkungen der nationalen Norm aussprechen. Allerdings schließt das nicht aus, dass die Mit- gliedstaaten zur Aufhebung der Norm verpflichtet sein können.124 Die Fest- stellung der Unanwendbarkeit nationalen Rechts steht jedem Rechtsanwen- dungsorgan zu. Jede innerstaatliche Monopolisierung des Ausspruchs ist we- gen der möglichen Wirksamkeitseinbuße aufgrund unvermeidbarer Verzöge- rungen unzulässig.125

117 Vgl. Nr. 2 des Protokolls Nr. 30 über die Anwendung der Subsidiarität und Verhältnismä- ßigkeit, 1997; Streinz in: Köbler/Heinze/Hromadka, FS Söllner, S. 1148.

118 Hasselbach, JZ 1997, 942 (944); Huber, EuR 2003, 574 (590); Ruffert in: Calliess/Ruffert, AEUV, Art. 1 Rn. 16.

119 Nettesheim in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, AEUV, Art. 1 Rn. 72.

120 EuGH, Urt. v. 13.02.1969 – C-14/68, Slg. 1969, 1 (14), Walt Wilhelm; EuGH, Urt. v.

18.02.1970 – C-40/69, Slg. 1970, 69 (80), Bollmann; EuGH, Urt. v. 08.12.1970 – Rs. 14/70, Slg. 1970, 1001 (1008), Dt. Bakels; EuGH, Urt. v.11.02.1971 – C-39/70, Slg. 1970, 49 (58), Fleischkontor.

121 Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht, § 10 Rn. 1.

122 EuGH, Urt. v. 13.03.1984 – C-16/83, Slg. 1984, 1299 (1324), Prantl; EuGH, Urt. v.

16.06.1987 – C-53/86, Slg. 1988, 2691, Lubbertie Romkes.

123 Ruffert in: Calliess/Ruffert, AEUV, Art. 1 Rn 16 ff.

124 Vgl. Art. 10 AEUV.

125 Nettesheim in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, AEUV, Art. 1 Rn. 79.

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3. Rechtspersönlichkeit und Verbandsqualität der Europäischen Union Spätestens seit Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon ist unbestreitbar, dass die EU ein mit Kompetenzen, Organen und eigener Handlungsfähigkeit ausgestatteter Verband ist, der als Träger von Rechten und Pflichten Rechts- subjektivität aufweist.126 Die Uneinigkeit, die in der Zeit zwischen dem Ver- trag von Maastricht und dem Vertrag von Lissabon über die Zuordnung von EG und EU sowie über die rechtliche Subjektqualität der EU bestand, ist da- mit hinfällig.127

Allerdings ist die Rechtspersönlichkeit der EU abgeleiteter Qualität, da sie ausschließlich auf der Entscheidung der nach allgemeinem Völkerrecht hier- für zuständigen Mitgliedstaaten gründet. Diese könnten sie durch eine Ände- rung der Verträge auch wieder entziehen. Zudem ist die Rechtspersönlichkeit inhaltlich beschränkt, da sie sich nur auf die vom Vertrag eingeräumten Ho- heitsbefugnisse erstreckt.128

Bereits unter dem Vertrag von Nizza129 war anzunehmen, dass die EU – und nicht nur die EGen – die Eigenschaft eines selbst handelnden Verbandes auf- wies und es sich nicht um eine bloße Konferenz der Mitgliedstaaten handelte.

Die EU hatte eigene Kompetenzen und Organe, die für diesen Verband agier- ten. Weiterhin bildete sich jedenfalls nach Inkrafttreten des Vertrages von Amsterdam130 eine nicht kodifizierte Völkerrechtssubjektivität der EU her- aus,131 was sich im Abschluss verschiedener Übereinkommen der EU zeigte.132 Diese Vertragspraxis, die von den Mitgliedstaaten im Rat mitgetra- gen wurde, drängte dazu, die Entstehung einer beschränkten Völkerrechts- subjektivität der EU anzuerkennen.133 Die EU hatte somit bereits vor Inkraft- treten des Vertrages von Lissabon jene Verbandsqualität, die Voraussetzung dafür ist, dass sie an die Stelle der EGen treten und deren Rechtsnachfolge

126 Vgl. Art. 1 Abs. 3, Art. 47 EUV.

127 Haratsch/Koenig/Pechstein, Europarecht, Rn. 38; Oppermann/Classen/Nettesheim, Euro- parecht, § 3 Rn. 14.

128 Im Einzelnen Art. 47 EUV.

129 Vertrag von Nizza, in Kraft getreten am 01.02.2003, BGBl. II 2002, S. 1702.

130 Vertrag von Amsterdam, in Kraft getreten am 01.05.1999, BGBl. II 1998, S. 386

131 Bleckmann, DVBl 1992, 335; Everling, DVBl 1991, 941; Koenig/Pechstein, EuZW-Edi- torial 1997, 709; Oppermann/Classen, NJW 1993, 5 (10); Streinz, EuZW 1998, 137 (140);

Winter, DÖV 1993, 173 (177).

132 Vgl. Art. 24 und Art. 38 EUV a.F. (Vertrag von Amsterdam); Thym, ZaöRV 2006, 863.

133 Vgl. Art. 31 Abs. 3 lit. b WVRK; Röben in: Grabitz/Hilf, EUV, Art. 38 Rn. 2.

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