• Keine Ergebnisse gefunden

Archiv "Sehr geehrter Herr Mann! Mit der Gicht geht es mir wieder schlecht" (13.08.1982)

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Archiv "Sehr geehrter Herr Mann! Mit der Gicht geht es mir wieder schlecht" (13.08.1982)"

Copied!
3
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

Spektrum der Woche Aufsätze - Notizen

Friedrich Hofmann

Krankheit und früher Tod durch- ziehen wie ein roter Faden das Werk vieler literarisch bedeuten- der Persönlichkeiten. Der Tod ei- nes Georg Büchner oder eines Wilhelm Hauff, eines Georg Trakl oder eines Wolfgang Borchert sind in diesem Zusammenhang er- wähnenswert — denn die kurze Le- bensspanne, die diesen Schrift- stellern vergönnt gewesen ist, bleibt sicherlich untrennbar mit dem Mythos ihres Werks verbun- den.

In besonders starkem Maße von Krankheiten und den daraus resul- tierenden Lebens- und Schaffens- krisen ist das Leben der beiden Dichter-Freunde Thomas Mann und Hermann Hesse geprägt wor- den. Das kommt nicht nur im bel- letristischen Werk dieser beiden Autoren zum Ausdruck, sondern vor allem in ihrem Briefwechsel, ihren Tagebüchern und in ihren autobiographischen Schriften. Be- zeichnend ist schon der erste Brief Manns an Hesse, mit dem die im Suhrkamp-Verlag veröffentlichte Sammlung der (erhalten gebliebe- nen) Briefe beginnt.

Mit Datum vom 1. April 1910 schreibt er: „Sehr geehrter Herr Hesse! Meine zur Zeit recht schlechte Gesundheit ist schuld, daß ich erst jetzt dazu komme, Ih- nen für Ihren freundlichen Brief vom 24. März zu danken . . . "

Hermann Hesse,

geplagt von Gicht und Ischias und von einem Augenleiden Nicht weniger als 37mal tauchen in den weiteren Briefen der Samm- lung Anmerkungen zum jeweili- gen Gesundheitszustand des Briefschreibers auf. Bei Hermann Hesses Antwortbriefen kann der Leser oftmals schon aus der Orts- angabe auf den Gesundheitszu- stand des Schreibers schließen.

Denn immer, wenn der Name „Ba- den" auftaucht, weiß er, daß sich Hesse wieder einmal zur Kur in der hübschen Stadt bei Zürich aufhält, um die Folgen seines Gicht- und Ischiasleidens auszukurieren.

Sehr zu schaffen machte ihm den Briefen zufolge schon in den zwanziger und dreißiger Jahren sein Augenleiden, das ihm schließ- lich im Alter die Sehkraft fast völlig rauben sollte. Im März 1941 schien die Gicht den mittlerweile mehr als Sechzigjährigen wieder einmal in besonderem Maße zu plagen. Aus Montagnola schrieb er an Thomas Mann:

„. . . Mit der Gicht geht es mir wie- der schlecht, schon der Winter war häßlich und jetzt im Frühjahr ist es oft schwer erträglich. Die Feder halten kann ich nicht, die rechte Hand ist seit Wochen be- sonders stark mitgenommen; an der Maschine kann ich täglich ein klein wenig schreiben, nachdem Intelligenztheorie

Struktur zur Beantwortung heran- zuziehen. Es ließe sich die Frage stellen, ob nicht allein das Vorlie- gen eines evolutiven Verhaltens ausreicht, um Intelligenz hinrei- chend zu beweisen.

Damit kämen wir zurück auf den Begriff des „evolutiven Realis- mus". Evolution anzuerkennen — auch die Evolution geistiger Struk- turen und damit der Intelligenz — scheint ausreichend für intelligen- tes Verhalten. Eines ist sicher: Mit der alten Definition des Intelli- genzbegriffes wird sich nicht län- ger leben lassen. Dies zeigt nicht nur die moderne Evolutionsfor- schung, sondern auch in immer stärkerem Maße die evolutionäre Erkenntnistheorie.

In letzter Zeit beginnen immer mehr Naturwissenschaftler und Philosophen, laut über dieses Pro- blem nachzudenken. Dabei ist der letzte — und sicher sehr kühne — Schritt noch nicht vollzogen wor- den. Die Physik lehrt uns den Dua- lismus von Welle und Teilchen.

Vielleicht werden wir einmal so weit kommen, daß sowohl Natur- wissenschaftler als auch Philoso- phen zum Schluß kommen, daß geistige Strukturen keine Frage der „lebenden" oder „toten" Ma- terie sind, sondern einzig von der Komplexität einer Struktur abhän- gen, einer Struktur, die wir mit un- seren heutigen Methoden noch nicht erfassen können.

Diese Möglichkeit läßt streng ge- nommen bereits der Hypotheti- sche Realismus zu. Es gäbe dem- nach weder einen Widerspruch zur evolutionären Erkenntnistheo-

rie noch zu den Naturwissenschaf- ten. Was diese Hypothese bedeu- ten würde, käme einer Erweite- rung gleich, die in noch größerem Maße als bisher eine Kopplung von Evolutionsforschung und Er- kenntnistheorie ermöglichen würde.

Anschrift des Verfassers:

Dipl.-Chem. Wolf G. Dorner Rauschbergstraße 46 8221 Inzell

FEUILLETON

Sehr geehrter Herr Mann!

Mit der Gicht

geht es mir wieder schlecht

Krankheiten im Leben von Thomas Mann und Hermann Hesse im Spiegel ihrer Briefe und Tagebücher

56 Heft 32 vom 13. August 1982 79. Jahrgang DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Ausgabe B

(2)

Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen Thomas Mann und Hermann Hesse

die Wirkung von zwei oder drei Dosen Salizyl sich akkumuliert hat, sie hält nicht lange an und hinterläßt einen mehr als dummen Kopf mit Ohrensausen ... "

Die Krankheiten in seinem Leben mögen Hesse noch so sehr ge- plagt haben — die literarisch inter- essierte Nachwelt kann für ihre Hartnäckigkeit beinahe dankbar sein, denn dem Umstand der Ba- dener Kuren verdankt sie eines der schönsten Stücke Prosa des Au- tors: Das Büchlein „Kurgast" (er- schienen in der Bibliothek Suhr- kamp).

Wie sehr nicht nur körperliche Ge- brechen dem Maler und Schrift- steller Hesse zu schaffen machten, sondern wie sehr ihm auch die persönlichen Schicksalsschläge zusetzten, die er hinnehmen muß- te (wie etwa die Geisteskrankheit seiner ersten Frau oder die un- glückliche zweite Ehe — ein The- ma, das er bereits in seinem vor dem ersten Weltkrieg erschiene- nen Roman „Roßhalde" vorweg- genommen hatte), beweist seine fast zwei Jahre dauernde psycho- analytische Behandlung bei dem C. G. Jung-Schüler J. B. Lang.

Thomas Mann,

meist stark hypochondrisch Die Beschwerden, die Thomas Mann während seiner ersten sie- ben Lebensjahrzehnte begleite- ten, erscheinen im Vergleich zu denen Hesses von harmloserer Natur und meist sehr stark hypo- chondrisch überlagert — wiewohl sie ihn nicht weniger plagten und oft genug an der Arbeit hinderten.

Bei der Lektüre der derzeit nach und nach im S. Fischer Verlag er- scheinenden Tagebücher (bisher liegen fünf Bände vor) stößt der Leser fast jeden Tag auf Anmer- kungen zum (meist schlechten) Gesundheitszustand des Autors.

So notiert Mann am 16. September 1918: „Unwohl. Gürtelschmerzen von Dickdarm und Magen, schwach, verstimmt. Fuhr nach dem Thee zu Loeb, der gegen

Hermann Hesse, ge- boren am 2. Juli 1877 in Calw, ge- storben am 9. Au- gust 1962 in Mon- tagnola, und Tho- mas Mann, geboren am 6. Juni 1875 in Lübeck, gestorben am 12. August 1955 in Zürich

Foto: Thomas- Mann-Archiv, Zürich

Dickdarmreizung Pillen verordne- te ... ". Am nächsten Tag beginnt die Eintragung mit den Worten:

„Gesundheit gebessert. Arbeite glatter und lustiger." Am 18. Sep- tember heißt es jedoch wieder:

„Nicht recht wohl, Augenschwä- che, vermute: vom Belladonna."

Viele Seiten des zweiten Tage- buchbandes handeln von den un- glücklichen Beziehungen Thomas Manns zu seinem Zahnarzt, der ihm vergeblich eine Brücke einzu- setzen versuchte, die sich immer wieder lockerte. Auch Manns Ma- gen ließ — den Tagebüchern nach zu schließen — zu wünschen übrig.

So heißt es am 10. September 1919: „Vorgestern war ich sehr unpäßlich: eine Magenverstim- mung infolge Genusses von But- terfett, heftige Kopfschmerzen und Übelkeit. Ich half mir abends mit kalten Stirnkompressen." Und am 11. September: „Meine Ge- sundheit läßt zu wünschen übrig.

Der Magen schwächlich, und ich

mißtraue meinem Blinddarm Sehr angegriffene Nerven. Legte mich nachmittags zu Bette."

Zumindest in bezug auf die Ursa- chen der Magenbeschwerden fin- den sich in den Tagebüchern meist ganz andere Anhaltspunkte als die vermuteten verdorbenen Nahrungsmittel: Genußvoll notiert Thomas Mann immer wieder den Eingang von zahlreichen Sendun- gen hochwertiger Zigarren, die er in großen Mengen zu rauchen pflegte. Daß dieses Übel des über- mäßigen Tabakgenusses den 71jährigen am Ende fast das Le- ben gekostet hätte, erfahren wir aus Katja Manns „Ungeschriebe- nen Memoiren" (Fischer Taschen- bücher), in denen die treusorgen- de Ehefrau auf die Ereignisse des Jahres 1946 eingeht, als Thomas Mann an Lungenkrebs erkrankte:

„Doktor Rosenthal ... untersuch- te meinen Mann, und als ich frag- te: Nun, was ist Ihr Eindruck? sagt

Ausgabe B DEUTSCHES ÄRZTEBLATT 79. Jahrgang Heft 32 vom 13. August 1982 57

(3)

Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen

Thomas Mann und Hermann Hesse

er: Die Sache ist bösartig, eine Ge- schwulst, ein Krebs — and now we are going upstairs and teil the pa- tient to be patient. Sage ich: We are not going upstairs and we are not going to teil him. Später habe ich Tommy erklärt: Du, Dr. Rosen- thal hat Dich sehr genau unter- sucht, und Du hast offenbar tat- sächlich einen Abszeß an der Lun- ge, den man entfernen sollte."

Die Operation gelang und das Täuschungsmanöver auch: am 12.

Oktober 1946 schreibt Thomas Mann an Hermann Hesse: „Haben Sie gehört, welcher späten und unerwarteten Bewährungsprobe ich mich kürzlich habe unterzie- hen müssen? Ein infektiöser Lungenabszeß war schleunigst auszuräumen, wobei eine Rippe mit draufging. Die Incision ist sooh-lang, reicht von der Brust zum Rücken . . . "

Thomas Mann verstarb am Ende nicht an den Folgen seines Lun- genkarzinoms, sondern neun Jah- re nach der Operation auf Grund seiner hochgradigen Arterioskle- rose. Katja Mann merkt dazu lako- nisch an: „Kein Mensch hat ge- dacht, daß Thomas Mann achtzig würde, und kein Mensch hat über- haupt daran gedacht, daß er vor allen Dingen bis zu seinem acht- zigsten Geburtstag so leistungsfä- hig sein würde. Er war nervös, empfindlich, neigte leicht zu De- pressionen, aber das tun wohl die meisten Künstler . . . "

Auch Hermann Hesse wurde trotz seiner zahlreichen Leiden alt:

Hochbetagt, starb er 1962 im Alter von 85 Jahren.

Heilung von körperlichen Leiden durch künstlerische Kreativität?

Ob für ihn die vielen körperlichen Krankheiten ausschließlich Qual und Minderung der Lebensfreude bedeuteten oder ob sie nicht auch als Flucht vor seinen seelischen Problemen, vor seinen unglückli- chen Partnerschaftsverhältnissen angesehen werden müssen und

ob sie ihm nicht überhaupt erst zu dem hohen Grad an Sensibilität gegenüber der Umwelt verhalfen, die ihn zum Dichter werden ließ, darüber kann man am Ende sicher nur spekulieren. Zu vermuten ist aber vor allem, daß der ständige Kampf mit den körperlichen Ge- brechen nicht nur bei ihm, son- dern auch bei Thomas Mann erst der entscheidende Auslöser gewe- sen ist zur Schaffung eines einzig- artigen schriftstellerischen Werks:

Gewissermaßen eine Kompensa- tion von Krankheitsfolgen, eine Heilung von körperlichen Leiden durch künstlerische Kreativität — ein Phänomen, das der Psycho- analytiker Niederland bei der kriti- schen Betrachtung zahlreicher Biographien von Malern und Schriftstellern beobachtete: Die körperlichen Defekte bei Kierke- gaard und Toulouse-Lautrec (sie waren Krüppel), bei Homer (der blind war), bei Victor Hugo („mit einem riesigen Kopf, der für sei- nen Körper zu groß war") und bei Jean-Jacques Rousseau (der an einer Mißbildung der Blase litt) oder auch bei Sokrates (mit der berühmten Knollennase) deutete er als schwere narzißtische Krän- kung, die durch künstlerische Ak- tivitäten wiedergutgemacht wer- den sollten: „Krankheit als Selbst- heilung", wie es der Basler Psy- chosomatiker in seinem letzten Buch beschrieben hat.

Wenn man die Fotos betrachtet, die Thomas Mann und Hermann Hesse zusammen zeigen, sieht man einen heiter lächelnden, jo- vialen, sportlichen Schwaben ne- ben einem weltmännisch wirken- den, allzeit exklusiv gekleideten Hanseaten: Zwei deutsche Schriftsteller, deren Schaffen ein- gebettet war in eine durchaus bür- gerliche, bisweilen sogar be- schaulich wirkende Existenz und deren äußeres Erscheinungsbild nichts davon verriet, daß sich da- hinter ein Leben verbarg, das bis zum Ende beständig hin- und her- schwankte zwischen tatsächlicher oder eingebildeter existentieller Bedrohung durch körperliche Ge-

brechen und schwere Depressio- nen und den Extremen von Todes- angst auf der einen und Todes- sehnsucht auf der anderen Seite.

Anschrift des Verfassers:

Dr. rer. nat. Dr. med.

Friedrich Hofmann Herz-Kreislauf-Klinik Kandelstraße 41 7808 Waldkirch

Lektüre

fürs Wartezimmer

Almanach deutscher Schriftsteller-Ärzte

Ein solches Buch gehört mit Sicherheit nicht auf den Nachttisch der Freundin, sondern als Lektüre in die Wartezimmer der Ärzte. Und in der Tat wird der Leser die- ser Almanache mit den Pro- blemen, Freuden, Leiden und dem Hobby von Ärzten konfrontiert und vielleicht auch nur bekannt gemacht.

Die Ärzte-Schriftsteller-Ver- öffentlichungen wurden ge- lobt und zur Nachahmung empfohlen. Diese Antholo- gien erscheinen seit zehn Jahren ohne Unterstützung von irgendeiner Seite. Viel Anerkennung erhielten die Bücher von den Universitä- ten von Tokio bis Buenos Aires.

Der Herausgeber und die Au- toren der Anthologien und Almanache würden es be- grüßen, wenn statt der frag- würdigen Illustrierten, Bü- cher der Ärzte auf den War- tezimmertischen zu finden wären. Für die Ärzte-Schrei- ber wäre es ein Stimulans.

(Zitiert aus dem Vorwort zum

„Almanach 1981 deutscher Schriftsteller-Ärzte", herausgege- ben von Dr, med. Armin Jüngling, 8211 Untervvössen, Verlag Th.

Breit, Marquartstein)

58 Heft 32 vom 13. August 1982 79. Jahrgang DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Ausgabe B

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Zu sehen sind die großen Formate, mit viel Café Deutschland, poli- tisch Plakatives aus den 1970er-Jahren, eine Kollekti- on der Affenskulpturen und Beispiele einer neuen Dichte in

M 9 Cipolla – eine Figur untersuchen / Analysieren der Figurenkonzeption Cipollas (PA); Erstellen eines Persönlichkeitsprofils (PA).. M 10 „Führer“ – woran kann man

Gleich dem Weibe, dessen seelisches Emp- finden weniger durch Gründe abstrakter Vernunft bestimmt wird als durch solche einer undefinierbaren Sehnsucht nach er- gänzender Kraft und

Wo war der Unterschied zwischen der Stadt- und Landbevölkerung im Mittel- alter, was ist eigentlich das Patriziertum, und welche Aufgaben und Pflichten hatte die Frau im

Mit einem neuen Handbuch-Assistenten sollen noch mehr Schülerinnen und Schüler für eine Teilnahme an den Bun- desjugendspielen gewonnen werden.. Den Lehrerinnen und Lehrern

[r]

spezielle Produkte helfen Kopf- und Gesichtshaut zu pflegen, damit beispielsweise trockene, schuppige Haut und damit ver- bunden unangenehmer Juckreiz erst gar nicht

mit dem Führerschein wird es schwierig, denn mit der Seh- schwäche oder –blindheit geht eine deutliche Minderung der Sehschärfe einher, die auch durch eine Brille nicht zu