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4. März 2011VITAMIN D
Wenig harte Fakten zur Prävention chronischer Krankheiten
Ob ein Mangel an Vitamin D die Entstehung von Diabetes, Krebs, kardiovaskulären und Immunerkrankungen begünstigt, ist bislang nicht erwiesen. Derzeit gibt es nur Hinweise aus tierexperimentellen, epidemiologischen und Observationsstudien.
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itamin D entsteht in der Haut unter Mitwirkung von ultra- violettem Licht, deshalb sinkt der Blutspiegel bei vielen Menschen im Winter. „Ausgeprägte Mangelzu- stände, die bei Werten unter 10 Na- nogramm pro Milliliter (ng/ml) auf- treten können, sind aber sehr selten“,erklärt Prof. Dr. med. Helmut Schatz (Bochum) in einer aktuellen Presse- meldung der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie.
Das US-amerikanische Institute of Medicine (IOM) wies vor kur- zem darauf hin, dass eine Vitamin- D-Konzentration von 20 ng/ml im Hinblick auf die Knochengesund- heit für 97,5 Prozent der Bevölke- rung ausreichend sei. In Deutsch- land liegen die Vitamin-D-Spiegel allerdings deutlich niedriger. „Den- noch erscheint aus heutiger Sicht eine Supplementierung nur dann sinnvoll, wenn weitere Risikofakto- ren für eine Osteoporose vorliegen – beispielsweise bei älteren Men- schen oder bei verminderter Kno- chendichte“, ergänzt Schatz.
Neuere Forschungsergebnisse zei- gen, dass Vitamin D nicht nur den Knochenstoffwechsel beeinflusst, sondern auch bei der Entstehung chronischer Krankheiten eine Rolle spielt. Studien lassen vermuten, dass bereits milde Formen einer Vitamin-D-Unterversorgung das Ri-
siko für Herz-Kreislauf-Erkrankun- gen, bestimmte Krebsarten oder Diabetes mellitus Typ 1 erhöhen.
Entsprechend intensiv wird disku- tiert, inwieweit eine Supplementie- rung vorbeugend wirken kann. Für eindeutige Empfehlungen ist es al- lerdings zu früh.
Zu Diabetes liegen nur relativ wenige belastbare Daten vor
Denn die bisherigen Daten beruhen primär auf Beobachtungsstudien, die eine statistische Assoziation, aber keinen kausalen Zusammen- hang zwischen dem Vitamin-D-Sta- tus und dem Auftreten dieser Krankheiten belegen. Um diese Frage zu klären, braucht es noch mehr aussagekräftige Studien. „Bis-lang liegen einige Beobachtungs- studien, aber wenige Interventions- studien zu Krebs, Herz-Kreislauf- Erkrankungen und zur Gesamtmor- talität vor. Zum Thema Diabetes haben wir erst relativ wenige be- lastbare Daten“, sagt Priv.-Doz. Dr.
med. Jakob Linseisen vom Institut für Epidemiologie am Helmholtz- Zentrum München.
Der Zusammenhang zwischen Karzinomen und Vitamin D wurde bislang vor allem für Brust-, Dick- darm- und Prostatakrebs unter- sucht. Am überzeugendsten ist die Evidenz für einen protektiven Ef- fekt bei der Entstehung von Dick- darmkrebs: Je höher der 25-Hydro- xyvitamin-D-Spiegel im Plasma ist, desto geringer ist das Erkrankungs- risiko. Prospektive Beobachtungs- studien zu Brustkrebs lieferten we- niger eindeutige Ergebnisse. Klar ist die Situation lediglich bei Pros- tatakrebs: Es besteht kein Zusam- menhang mit Vitamin D.
Die meisten Interventionsstudien untersuchten das Frakturrisiko. Eine Metaanalyse von klinischen Studien mit Daten hauptsächlich älterer Per- sonen belegt eine dosisabhängige Senkung des Sturz- und Frakturrisi- kos durch Vitamin D. „Es sollten mindestens 700 bis 1 000 IU Vit - amin D pro Tag supplementiert wer- den, um die als optimal geltende 25-Hydroxyvitamin-D-Konzentrati- on von 75 nmol/l zu erreichen. Ge- ringere Dosierungen zeigten keinen Effekt“, erklärt Prof. Prof. Dr. habil.
oec. troph. Gabriele Stangl, Martin- Luther-Universität Halle-Witten- berg (MLU).
Unter ihrer Leitung koordiniert die Arbeitsgruppe Humanernäh- rung ein auf drei Jahre angelegtes Nahrungsergän-
zungsmittel wie Vitamin D erzielen in Deutschland mittlerweile einen Umsatz von 1,3 Mil-
liarden Euro jähr- lich.
Foto: dpa
M E D I Z I N R E P O R T
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4. März 2011 Verbundprojekt, in dem die Rollevon Vitamin D für die Gesundheit des Herz-Kreislauf-Systems erforscht werden soll. Studiendaten zeigen, dass niedrige Blutspiegel mit einem erhöhten Risiko für Herz-Kreislauf- Erkrankungen einhergehen. Umge- kehrt sinkt das Erkrankungsrisiko unter dem Einfluss einer Vitamin- D-Supplementierung. Im Rahmen des Projektes werden drei kontrol- lierte Humanstudien durchgeführt, die den Zusammenhang zwischen Vitamin D und den Herz-Kreislauf- Risikofaktoren sowie inflammatori- sche Parameter klären sollen.
Vor dem Hintergrund der Hin- weise auf eine präventive Wirkung bei chronischen Krankheiten be- wertet die „Arbeitsgruppe Vitamin D“ der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) die aktuelle Da- tenlage, um eine Basis für die Über- prüfung der gültigen Zufuhremp- fehlungen zu schaffen. Linseisen ist Leiter dieser Arbeitsgruppe und plädiert für Sachlichkeit: „Wir wol- len voreilige Entschlüsse vermei- den, um negative Konsequenzen ei- ner hö heren Empfehlung auszu- schließen. Ein solcher Schritt muss auf einer sicheren wissenschaft - lichen Basis stehen.“ Konsens be- stehe lediglich in puncto Fraktur- prophylaxe: „Die wünschenswerte Plasmakonzentration an 25-Hydro- xyvitamin D zur Verringerung des Frakturrisikos bei älteren Personen sollte mindestens 75 nmol/l betra- gen. Für andere Krankheiten sind noch keine Grenzwerte festgelegt“, sagt Linseisen.
Zurzeit empfiehlt die Fachgesell- schaft Kindern und Erwachsenen, täglich fünf Mikrogramm Vitamin D mit der Nahrung aufzunehmen. Für über 65-Jährige liegt die Empfeh- lung bei der doppelten Menge, das heißt bei zehn Mikrogramm pro Tag: Zum einen sinkt im Alter die Zahl der Vitamin-D-Rezeptoren sowie die Fähigkeit der Haut, Vit - amin D zu synthetisieren. Zum ande- ren halten sich viele ältere Menschen seltener im Freien auf. Besonders kritisch ist die Vitamin-D-Versor- gung bei bettlägerigen und gebrech- lichen Menschen in Pflegeheimen.
Eine weitere Risikogruppe sind dunkelhäutige Menschen: Im Ver-
gleich zu hellhäutigen Personen enthält ihre Haut viel Melanin, das eine effiziente Vitamin-D-Produkti- on verhindert. Säuglinge sind eben- falls gefährdet, da der Vitamin- D-Gehalt in der Muttermilch nicht ausreicht, um den Bedarf zu de- cken. Daher empfiehlt die DGE, so- wohl gestillten als auch nichtgestill- ten Säuglingen täglich eine Tablette mit zehn bis 12,5 Mikrogramm Vitamin D zu geben. Dies gilt unab- hängig von der Jahreszeit während der gesamten Säuglingsalters.
Vitamin-D-reicher Fisch aus nachhaltiger Aquakultur
Die 2008 veröffentlichten Daten der Nationalen Verzehrstudie zei- gen, dass 82 Prozent der Männer und 91 Prozent der Frauen die emp- fohlene Vitamin-D-Zufuhr nicht er- reichen. Eine neue Strategie zur Verbesserung der Vitamin-D-Ver- sorgung verfolgt das Verbundpro- jekt der MLU Halle-Wittenberg:„Wir setzen auf Fisch aus nach - haltiger Aquakultur, dessen Vit - amin-D-Gehalt wir mit einer neuen Technologie auf natürliche Weise steigern wollen“, erklärt Stangl.
Vorversuche an Forellen waren be- reits erfolgreich, es ist aber noch unklar, in welchem Umfang sich
der Vitamin-D-Gehalt erhöhen lässt.
Am einfachsten lässt sich die Vit - amin-D-Versorgung verbessern, in- dem man regelmäßig an die frische Luft geht.
Die endogene Vitamin-D-Syn- these erfolgt rasch: Zehn bis 15 Mi- nuten täglich reichen bei einer hell- häutigen Person im Sommer aus, um 25 Mikrogramm Vitamin D zu produzieren – also das Fünffache der Zufuhrempfehlung. Dazu ge- nügt es, sechs Prozent der Körper- oberfläche der Sonne auszusetzen, also Hände, Arme und Gesicht.
Dunkelhäufige Menschen brauchen dagegen die sechsfache Sonnenbe- strahlung, um die gleiche Menge an Vitamin D in der Haut zu produzie-
ren. ■
Dipl.-Oecotroph. Dorothee Hahne
WEITERFÜHRENDE LITERATUR 1. Clifford J. Rosen, M.D.: Vitamin D Insuffi-
ciency, N Engl J Med 2011; 364: 248–54.
2. Ross et al.: IOM Report on Calcium and Vitamin D Requirements, J Clin Endocrinol Metab, Jan. 2011; 96(1).
3. Grant WB.: Is the Institute of Medicine Report on Calciuim and Vitamin D Good Science? Biological Research for Nursing, doi:10.1177/10998004/10396947.
4. G. Pittas et al.: Systematic Review: Vitamin D and Cardiometabolic Outcomes, Ann In- tern Med 2010; 152: 307–14.
Vitamin D ist das einzige Vitamin, das der Körper selbst bilden kann – es entsteht in der Haut unter Einfluss von UVB-Licht aus Dehydrocholesterol.
Die Eigensynthese kann schätzungsweise 80 Pro- zent des Bedarfs decken. Die zweite Quelle sind Vitamin-D-reiche Lebensmittel, von denen es al- lerdings nur wenige gibt. Dazu gehören vor allem Fettfische wie Hering, Makrele, Aal oder Lachs.
Nennenswerte Mengen enthalten außerdem Champignons, Steinpilze und Pfifferlinge, Eigelb, mit Vitamin D angereicherte Margarine und Butter.
25-Hydroxyvitamin D ist ein anerkannter Para- meter zur Bestimmung des Vitamin-D-Status. Es spiegelt die Versorgungslage besser als alle anderen Metaboliten wider. „25-Hydroxyvitamin D reagiert am stärksten auf eine UV-Bestrahlung oder Supple- mentierung mit Vitamin D“, sagt Prof. Dr. habil.
oec. troph. Gabriele Stangl, Martin-Luther-Univer- sität Halle-Wittenberg (MLU). Dabei gelten folgen- de Richtwerte: Unter 12,5 nmol/l liegt ein schwe-
rer Vitamin-D-Mangel vor, bei Werten zwischen 12,5 und 25 nmol/l ein moderater, zwischen 25 und 50 nmol /l ein milder Vitamin-D-Mangel.
25-Hydroxyvitamin D entsteht in der Leber aus Cholecalciferol, das sowohl in der Haut gebildet wird als auch mit der Nahrung in den Organismus ge- langt. Anschließend erfolgt primär in der Niere, aber auch in vielen anderen Zellen eine erneute Hydroxylierung zum aktiven Metaboliten 1,25-OH- Vitamin D3, dem Calcitriol. Da es in seiner Molekül- struktur klassischen Steroidhormonen ähnelt, spricht man auch von Vitamin-D-Hormon. Am längs- ten bekannt ist seine Funktion bei der Regulierung des Calcium- und Phosphatstoffwechsels. Im Darm steigert es die intestinale Calciumabsorption aus der Nahrung, in den Nieren fördert es die tubuläre Rückresorption von Calcium aus dem Harn. Im Kno- chen bewirkt es entweder die Mineralisation oder die Mobilisierung von Calcium – je nachdem, wie hoch die Calziumkonzentration im Blutplasma ist.