A72 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 106⏐⏐Heft 3⏐⏐16. Januar 2009
P O L I T I K
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ls „spröde Schöne“ bezeichne- te der Vizepräsident und Men- schenrechtsbeauftragte der Bundes- ärztekammer (BÄK), Dr. med. Frank Ulrich Montgomery, das Geburts- tagskind. 60 Jahre zuvor, am 10. De- zember 1948, hatte die Vollver- sammlung der Vereinten Nationen die Allgemeine Erklärung der Men- schenrechte verabschiedet. Den Ge- burtstag begingen die Landesärzte- kammer und die Landespsychothera- peutenkammer Baden-Württemberg jetzt mit einem Festakt in Stuttgart.Sie hatten dafür den Titel „Gesund- heit – ein Menschenrecht“ gewählt.
Auf die Gesundheit nimmt die Menschenrechtscharta in Artikel 25 Bezug: „Jeder hat das Recht auf ei- nen Lebensstandard, der seine und seiner Familie Gesundheit und Wohl gewährleistet, einschließlich Nah- rung, Kleidung, Wohnung, ärztliche Versorgung und notwendige soziale Leistungen [. . .]“, heißt es dort. Den Einfluss des sozialen Status auf die Gesundheit bestreitet heutzutage nie- mand mehr. Ärmere Menschen sind
in der Regel kränker und haben selte- ner Zugang zu medizinischen Ein- richtungen. Das gilt – in unterschied- licher Ausprägung – für Industrie- und Entwicklungsländer gleicher- maßen. „Krankheit ist in vielen Län- dern der Welt noch immer direkt mit sozialem Abstieg verbunden“, kriti- sierte Montgomery.
Doch die Menschenrechtsfrage gewinnt auch in der deutschen Gesundheitspolitik an Bedeutung.
Montgomery verwies auf die fort- schreitende Rationierung von Ge- sundheitsleistungen. Schon heute ge- be es neben den klassischen sozialen Randgruppen große Gruppen der Gesellschaft, die unter der Rationie- rung besonders litten. „Ich meine da- mit zum Beispiel alte Menschen, die heute oft lange Zeit in Pflegeeinrich- tungen, Heimen oder auch zu Hause in deprimierenden Umständen leben müssen“, sagte der BÄK-Vizepräsi- dent. Eine flächendeckende men- schenwürdige Grundversorgung von Pflegebedürftigen sei offensichtlich nicht mehr gewährleistet.
„Einiges wurde angestoßen, viel- fach blieb es aber beim Deklarie- ren“, resümierte der Vizepräsident der Landesärztekammer Baden- Württemberg, Dr. med. Ulrich Cle- ver, mit Blick auf das Geburtstags- kind. Auf die nach wie vor prekäre Situation bei den Menschenrechten haben die Ärztekammern Anfang der 90er-Jahre reagiert und das Amt des Menschenrechtsbeauftragten ge- schaffen, das Clever in Baden-Würt- temberg bekleidet. „Zu unseren wichtigsten Aufgaben zählt es, Men- schenrechtsverletzungen von Ärzten und an Ärzten zu vermeiden, aufzu- decken und anzuprangern“, betonte er in Stuttgart.
In den vergangenen Jahren sind die Menschenrechtsbeauftragten ins- besondere bei ausländerrechtlichen Verfahren tätig geworden. Im Zu- sammenhang mit der Abschiebung abgelehnter Asylbewerber ging es dabei vielfach um Bescheinigungen der Reisefähigkeit oder die Erstel- lung ärztlicher Gutachten, die eine posttraumatische Belastungsstörung attestieren. „Hier haben wir einen Kriterienkatalog entwickelt, der es nunmehr überall im Land den Behör- den ermöglicht, auf hoch qualifizier- te Gutachter zurückzugreifen“, er- klärte Clever. In Seminaren der Ärz- te- und Psychotherapeutenkammern können sich Ärzte und Psychologen entsprechend fortbilden.
Ein weiteres Schwerpunktthema der Menschenrechtsgremien ist die Versorgung von Menschen ohne le- galen Aufenthaltsstatus. Bei vielen Ärzten schwingt dabei die Sorge mit, dass sie sich strafbar machen, wenn sie sogenannte Illegale behandeln, ohne dies den Behörden zu melden.
Dazu der Menschenrechtsbeauftrag- te der BÄK: „Es gibt keine rechtliche Verpflichtung von Ärzten, Menschen mit ungeklärtem Aufenthaltsstatus, die sie behandeln, zu verpfeifen.“ n Heike Korzilius
60 JAHRE DEKLARATION DER MENSCHENRECHTE
Gesundheit – ein Menschenrecht
Mit einem Festakt gedachte die Landesärztekammer Baden-Württemberg der Verabschiedung der Menschenrechtscharta der Vereinten Nationen im Jahr 1948.
Die Weltgemein- schaft bekennt sich zu den allgemeinen Grundsätzen der Menschenrechte.
Die Charta wird am 10. Dezember 1948 im Palais de Chaillot in Paris verabschie- det und ist Grundla- ge des humanitären Völkerrechts.
Foto:dpa