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Archiv "Der Krebskranke und sein Begleiter" (18.01.1979)

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Zur Fortbildung Aktuelle Medizin

ÜBERSICHTSAUFSATZ

KARZINOMSERIE:

Der Krebskranke und sein Begleiter

Artur Reiner

Die Frage der Wahrheit dem Kran- Arzt-Patient-Verhältnis und erschüt- ken gegenüber ist alt, viel diskutiert tert das Vertrauen des Patienten und nach wie vor kontrovers. In der zum Arzt.

Praxis spitzt sie sich zu, wenn es sich um chronisch Kranke, speziell

um Krebskranke handelt.

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Wie erlebt der Krebskranke seine Erkrankung?

Die Frage der Wahrheit dem Krebskranken gegenüber ist viel diskutiert und nach wie vor kontrovers. Erfahrungen zeigen, daß es notwendig und möglich ist, mit dem Kranken zu kommunizieren: nicht pri- mär, um medizinische Daten zu vermitteln, sondern Beglei- ter zu sein in der Bewältigung seiner Probleme, vor allem der Angst. Die Verweigerung die- ses menschlichen Dienstes wirkt sich auf das Vertrauen des Patienten zum Arzt nega- tiv aus.

Kaum eine Krankheit ist so gefürch- tet wie der Krebs. Er gilt heute als Geißel der Menschheit, ist das Sym- bol, vom Tod gezeichnet zu sein, und weckt alle Formen der Abwehr und Verdrängung, die die Konfron- tation mit Sterben und Tod norma- lerweise beim Kranken und bei des- sen Bezugsperson — beim Arzt, beim Pflegepersonal, bei den Angehöri- gen und auch beim Seelsorger — auslöst. Aus Angst vor dieser Kon- frontation wird meistens mit dem Patienten nicht über seine Krankheit gesprochen. Der Patient, der diese Angst intuitiv spürt, hat von sich aus nicht den Mut und die Kraft, seine Bezugsperson daraufhin anzuspre- chen. Deshalb wird häufig die Dia- gnose nicht mitgeteilt und der Ernst der Erkrankung verschwiegen — während zum Beispiel jeder an Herz- infarkt Erkrankte ganz selbstver- ständlich die Diagnose seiner eben- falls lebensbedrohlichen Krankheit erfährt. Wenn trotzdem der Patient Näheres über seine Krankheit wis- sen will, wird nicht selten die Wahr- heit umgangen und der Tatbestand verharmlosend nur umschrieben.

Das Verschweigen oder Verharmlo- sen der Diagnose aber hilft dem Pa- tienten nicht weiter. Der Verlauf sei- ner Erkrankung erweist ihm, daß die mitgeteilte Diagnose nicht stimmt.

Daraus folgert er, daß der Arzt ent- weder ihm die wirkliche Diagnose verschweigt oder eine falsche ge- stellt hat. Beides aber belastet das

1.1 Immer wieder wird behauptet, der Krebskranke wisse in vielen Fäl- len nicht um den Ernst seiner Er- krankung und wolle es auch gar nicht wissen. Als Beispiel werden gern an Krebs erkrankte Ärzte zitiert, die ihre Diagnose nicht wissen wol- len und sich fremde Röntgenbilder und fingierte Histologien ohne fach- kritische Abwägungen vorlegen las- sen. Seit den Untersuchungen der amerikanischen Ärztin Kübler-Ross wissen wir, daß es bei Schwerkran- ken und vom Tod Gezeichneten ver- schiedene Phasen der Auseinander- setzung mit der eigenen Gefährdung und Angst gibt: Phasen der Verdrän- gung, der Aggression, der Verhand- lung, der Depression und der Erge- bung. Am Anfang dieses Prozesses stehen die Verleugnung und die Ver- drängung. Das erfahren alle, die mit Krebskranken zu tun haben. In vie- len Fällen äußert sich die Verleug- nung so, daß der Kranke seine Krankheit verharmlost, die Gefahr herunterspielt und ostentativ beteu- ert, wie gut es ihm gehe.

1.2 Wer aber solche Patienten über einen längeren Zeitraum beobach- tet, wird auch eine andere Seite ent- decken: der Kranke wird unruhig, nervös und vielleicht phasenhaft auch aggressiv — wobei er seine Ag- gression vorwiegend denen zeigt, die ihm am vertrautesten sind und die er am wenigsten fürchtet. Hier wird deutlich, daß der Kranke mit der Verleugnung seiner Krankheit

die Angst vor seiner Gefährdung nicht mehr bewältigt. Er setzt Signa- le und sucht Bezugspersonen, mit denen er über seine Not sprechen kann. Für den Gesprächspartner heißt das: bin ich bereit, mich den Fragen des Kranken zu stellen, habe ich mich selbst mit meinem und dem Tod anderer auseinandergesetzt, kann ich den Tod zulassen?

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Die Wahrheitsfrage am Krankenbett

„Das Problem der Wahrheit am Krankenbett ist kein Problem eines diagnostisch und prognostisch rich- tigen Satzes. Die ,Wahrheit am Kran- kenbett' entscheidet sich vielmehr an unserer Fähigkeit, mit dem Pa- tienten so in Kommunikation zu tre- ten, daß er in der Lage ist, Informa- tionen über seinen Zustand und sei- ne Therapie selbst zu erbitten, anzu- hören und zu verarbeiten (1)." — Wie sieht das konkret aus?

2.1 Die Angst beim Patienten Die meisten Patienten erleben ihre Krebserkrankung als so belastend und angstbesetzt, daß es ihnen schwer fällt, unmittelbar und direkt darüber zu sprechen. Sie wählen deshalb Umwege, auf denen sie ihre Betroffenheit und Angst anbieten.

Einer der häufigsten Umwege ist die Projektion. In den ersten Jahren

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 3 vom 18. Januar 1979 157

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Aufklärung Krebskranker

meiner seelsorgerlichen Tätigkeit in der Klinik fiel mir auf, daß ich auf meine Frage: „Wie geht es Ihnen", relativ häufig die Antwort bekam:

„Mir geht es gut, aber dem Patienten dort im letzten Bett, dem geht es schlecht. Stellen Sie sich vor, der hat Krebs." Es wäre ein Irrtum anzu- nehmen, daß ein Kranker, der sich besorgt um einen Mitpatienten äu- ßert — obwohl er selbst schwer er- krankt ist — dies aus purem Altruis- mus tut. Er setzt vielmehr ein Signal, durch das er seine eigene Betroffen- heit und Angst chiffriert zum Aus- druck bringt, weil er dies unmittel- bar und direkt nicht vermag. Hier bietet sich eine Chance für den Arzt und für die übrigen Bezugspersonen des Patienten, statt über die auf ei- nen anderen projizierten Angst über die Angst des Patienten selbst zu sprechen.

Seit etwa zwei Jahren — nachdem ein Kollege von mir dies früher schon praktiziert hatte und jetzt erneut da- mit begonnen hat — gibt es auf einer Station mit Krebskranken wöchent- lich eine Patientengruppe: der Sta- tionsarzt, die Sozialarbeiterin, der evangelische und der katholische Pfarrer setzen sich mit den Patien- ten zum Gespräch zusammen. Die Patienten haben die Möglichkeit, sie beschäftigende Themen mit dem Arzt, der Sozialarbeiterin und dem Pfarrer zu besprechen. Die Auswahl der Themen ist vielfältig: sie reichen von Klagen und Wünschen die Sta- tion betreffend bis hin zu bedrän- genden Lebensfragen im Angesich- te ihrer ernsten Erkrankung. Es fällt auf, daß die Patienten, je vertrauter sie untereinander und mit uns ge- worden sind, um so häufiger das Thema ihrer Krebserkrankung an- sprechen. Dabei wird auch das Wort Krebs ausgesprochen, sowohl von den Patienten als auch vom Arzt.

Folgende Fragenkomplexe kehren am häufigsten wieder:

2.1.1 Der Wunsch nach Information über medizinische Daten wie Termi- nologie, Therapieformen und Pro- gnose. Vordergründig wirkt man- ches Gespräch wie ein Gesundheits- magazin. Hintergründig brechen die Angst und Sorge um die eigene Zu-

kunft deutlich durch, dazu auch das Bedürfnis, dies aussprechen zu dür- fen und einen Gesprächspartner zu haben.

2.1.2 Ein weiterer Punkt ist das Pro- blem, was der einzelne wegen seiner Krankheit nicht mehr kann, was ihm an Möglichkeiten aber noch verblie- ben ist bis hin zu der Überlegung, ob er als Kranker — in vielen Fällen als Arbeitsunfähiger — nicht neue Berei- che entdecken lernt, in denen er jetzt wesentlich intensiver leben könnte als bisher, weil er zum Bei- spiel jetzt mehr Zeit hat für seine Familie, für Freunde, für die Ausein- andersetzung mit wichtigen Lebens- fragen u. a. m. Bei jüngeren Patien- ten ist ein erheblicher Widerstand gegen eine Berentung zu beobach- ten. Berentung bedeutet für sie das Eingeständnis, unheilbar krank zu sein, gegen das sie sich wehren.

2.1.3 Wie soll der Kranke sich dem Ehepartner gegenüber verhalten?

Kann er ihm sagen, daß er um seine Krebserkrankung weiß oder macht diese Mitteilung dem Partner zu viel Angst? Dabei stellt sich meistens heraus, daß die Kranken vermuten, ihre Ehepartner wüßten Bescheid, hätten aber ihrerseits Angst, mit ih- nen darüber zu sprechen, so daß in der Tat der Kontakt zwischen den Ehepartnern infolge beiderseitigen Schweigens erheblich gestört ist.

Ähnlich bedrängend erleben viele die Frage, wie sie sich ihren Kindern gegenüber verhalten sollen: was und wieviel ist ihnen zumutbar?

Worüber können und sollen sie mit ihnen sprechen? Was sollen sie vor ihnen verschweigen, um sie nicht unnötig zu belasten?

2.1.4. Ein besonderes Problem stellt in diesem Zusammenhang das Ver- halten früherer Freunde dar. Patien- ten klagen oft darüber, das jetzt, nachdem sie krank sind, ihr Freun- deskreis zusammenschrumpft.

Wenn es gelingt, den Patienten zu ermutigen, selbst initiativ zu werden und den Freunden mitzuteilen: „Ich weiß, wie krank ich bin und würde mich über einen Besuch freuen", können wichtige Verbindungen ge-

rade in der Krankheit erhalten blei- ben und vertieft werden.

2.1.5 Immer wieder wird von Patien- ten der Wunsch nach einer Nachbe- treuungsgruppe geäußert, um nach der Entlasäung eine Anlaufsadresse für auftauchende Probleme und de- ren Bearbeitung zu haben. Einige wünschen auch ein spezielles Got- tesdienstangebot in der Klinik und entsprechende Literatur als Glau- benshilfe (Zeitschriften, Broschü- ren), um in der Bearbeitung ihrer Problematik weiterzukommen.

2.1.6 Auf einer Station läßt sich nicht vermeiden, daß einzelne Pa- tienten, denen es schlechter geht, in kleinere Zimmer verlegt werden. Für den Abbau der dadurch entstehen- den Angst und somit für die Verbes- serung der Atmosphäre auf einer Station ist es wichtig, das über sol- che Verlegungen gesprochen wird.

Wir konnten die Beobachtung ma- chen, daß in solchen Fällen die Pa- tienten den Kontakt mit ihrem frühe- ren Bettnachbarn aufrechterhalten wollen und sich gegenseitig abspre- chen, wer und in welcher Häufigkeit sie den schwerkranken Mitpatienten weiterhin besuchen wollen. Bei die- sen Gesprächen wird das Thema Tod von den Patienten selbst gele- gentlich aufgegriffen.

2.1.7 Insgesamt hat sich gezeigt, daß durch regelmäßige Gesprächs- gruppen die Atmosphäre auf einer Station wesentlich verbessert wird.

Leider steht und fällt nach unseren bisherigen Erfahrungen die Mög- lichkeit einer Patientengruppe auf einer Krebsstation mit der Bereit- schaft des zuständigen Arztes, an einer solchen Aktivität teilzunehmen und sich den Fragen und persönli- chen Problemen der Patienten zu stellen.

2.2 Die Angst beim

Gesprächspartner des Patienten Die Erfahrung hat gezeigt, daß es durchaus möglich ist, mit einem Krebskranken über die ihn bedrän- genden Fragen und Probleme zu sprechen. Warum sind solche Ge-

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Zur Fortbildung Aktuelle Medizin Aufklärung Krebskranker

spräche in der Praxis aber so sel- ten? Dafür gibt es eine ganze Reihe von Gründen.

2.2.1 Im modernen hochtechnisier- ten Klinikbetrieb scheint das Ge- spräch zwischen Arzt und Patient ganz allgemein seltener geworden zu sein. Auch bei der Visite wird häufig viel mehr untereinander über medizinische Daten der Krankheit des Patienten als mit dem Patienten selbst gesprochen. Diese Beobach- tung läßt sich bei Schwerkranken gehäuft machen.

2.2.2 Der Umgang mit unheilbar Kranken nötigt allen Beteiligten zu- nächst das Eingeständnis der eige-:

nen Ohnmacht ab. Dadurch wird das Problem der Wahrheit Krebskranken gegenüber genauso zum Problem des Eingeständnisses der Wahrheit sich selbst gegenüber, d. h. es stellt sich die Frage, ob man fähig ist, sich die eigene Ohnmacht einzugestehen (2). Resultiert nicht manche medizi- nische Aktivität am Todkranken aus der eigenen Angst vor dem Tod, aus der Unfähigkeit, sich mit ihm und den daraus folgenden Fragen — letztlich der Fragen nach dem Sinn des Lebens — auseinanderzusetzen?

Nützt es wirklich jedem Patienten, wenn scheinbar alles getan wird, um seinen nicht mehr aufzuhaltenden Tod mit allen Mitteln kurzfristig auf- zuschieben? Müßte hier nicht mehr differenziert werden, auch wenn das im konkreten Fall sehr schwierig ist.

Das Problem sollte gesehen und an- gegangen werden. Vielleicht könnte mancher Patient die letzte Phase seines Lebens menschenwürdiger verbringen, wenn auf eine aktive, zu- letzt oft hektische Therapie verzich- tet würde, zum Beispiel auf Verle- gung kurz vor dem Tod auf eine chirurgische Abteilung (steckt da nicht der Versuch dahinter, selbst — durch Kompetenzverlagerung — vor dem Tod des eigenen Patienten zu fliehen!). Wir haben für einen Pa- tienten viel in seiner letzten Lebens- phase getan, wenn wir ihm Ruhe und Zuwendung geben und lassen.

Daß alles getan wird, was für den Patienten schmerzlindernd und ent- lastend ist, versteht sich von selbst.

2.2.3 Ein weiterer Punkt, der uns hindert, mit dem Patienten über sei- ne schwere Krankheit zu sprechen, ist die Angst, dem Patienten die Hoffnung zu nehmen und ihn wo- möglich in Panik zu versetzten. Eine beachtliche Zahl fundierter Untersu- chungen hat gezeigt, daß Schwer- kranke und Sterbende nie ohne Hoffnung sind. Vielmehr zeigen sie auch dann noch Hoffnung, wenn al- le Hoffnung des Alltags längst zer- ronnen ist (3).

Die bloße Information über den Zu- stand und die Aussichtslosigkeit der Prognose können in der Tat gleich- bedeutend sein mit einer Todesan- kündigung, die den Tod gibt. Aber als Alternative dazu bleiben ja nicht nur die bewußte Täuschung des Pa- tienten, der stille Rückzug in die Di- stanz oder eine scheinbar Hoffnung gebende therapeutische Aktivität.

Sie würden den Patienten allein las- sen in dem erdrückenden Wider- spruch zwischen geheuchelter Hoff- nung des Therapeuten und wach- sender eigener Angst angesichts des ausbleibenden Erfolgs. Das grundsätzliche und gezielte Ver- schweigen und Umgehen der Wahr- heit ist niemals eine Hilfe für die Hoffnung des Patienten.

Der holländische Pastoraltheologe Sporken hat das Problem der Wahr- heitsmitteilung in einem für sich selbst sprechenden Bild dargestellt:

„Die Wahrheit am Krankenbett gleicht einem Block, den ich dem Kranken so an den Weg stelle, daß er ihn sehen kann, wenn er will, aber nicht auf den Weg werfe, daß er dar- über stolpern und fallen muß." In der konkreten Situation heißt das, daß der Arzt bereit ist, so in Kommu- nikation mit dem Patienten zu tre- ten, daß dieser in der Lage ist, Infor- mationen über seinen Zustand und seine Therapie selbst zu erbitten, anzuhören und zu verarbeiten. Einer unserer leitenden Ärzte der Inneren Medizin sucht regelmäßig das Ge- spräch mit seinen Tumorpatienten spätestens vor Anwendung der Che- motherapie. Er versucht ihnen zu er- klären, daß der Ernst ihrer Erkran- kung eine Therapieform notwendig macht, die mit manchen sehr bela-

stenden Nebenwirkungen verbun- den ist. Somit ist das Gespräch von seiten des Arztes eröffnet und der Patient hat die Möglichkeit, weitere Informationen zu erbitten. Die Erfah- rung auf diesen Stationen zeigt, daß fast alle Patienten ihre Diagnose kennen und über die Bedrohlichkeit ihrer Krankheit sprechen. Diese of- fene Atmosphäre stellt hohe Anfor- derungen an Ärzte und Pflegeperso- nal, weil die Patienten auch weiter- hin fragen und somit Zeit und per- sönliches Engagement vom thera- peutischen Team verlangen.

2.2.4 In diesem Zusammenhang wird immer wieder die Frage ge- stellt, ob Krebskranke, die über ih- ren Zustand informiert sind, da- durch nicht akut suizidgefährdet werden. Es ist bekannt, daß Krank- heit allein selten zum Suizid führt.

Wenn jedoch der Kranke das Gefühl hat, in der Krankheit von seinen An- gehörigen oder anderen wichtigen Kontaktpersonen im Stich gelassen zu werden oder ihnen zur Last zu fallen, dann kann das Erleben seiner unheilbaren Krankheit akuter Anlaß zu einem Suizid werden. Auf die In- tensivstation der Inneren Medizin, auf der alle Suizidpatienten behan- delt werden, werden immer wieder Patienten nach Suizidversuch ein- geliefert, die an unheilbaren Krank- heiten leiden (Multiple Sklerose, Parkinson, Karzinom). In fast allen Fällen hat sich gezeigt, daß die Kranken bereits über einen langen Zeitraum um den Ernst ihrer Krank- heit wußten und damit umzugehen vermochten, bis eine Kränkung von seiten der Angehörigen sie suizidal werden ließ.

3. Die Grundfigur des Begleiters Wer sich als Arzt, Schwester, Pfle- ger, Seelsorger oder Angehöriger den Fragen eines Krebskranken stellt und Kommunikation mit ihm sucht, nimmt im Umgang mit dem Patienten eine Rolle wahr, die als wesentliche Grundfigur aller thera- peutischen Funktionen verstanden werden kann: die Rolle des Beglei- ters (4).

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 3 vom 18. Januar 1979

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FÜR SIE GELESEN

Verschiedene Studien der letzten Jahre postulieren, daß bei Adipösen die Zahl der Fettzellen schon in der Kindheit zunimmt. Diese vermehrten Adipozyten sollen die Tendenz ha- ben, zeitlebens verstärkt Triglyzeri- de zu speichern. Bestärkt wurde die- se Annahme durch die häufige klini- sche Beobachtung, daß bei adipö- sen Patienten mit einer bioptisch nachgewiesenen Fettzellhyperplasie nur sehr unbefriedigende Gewichts- reduktionen möglich waren. Man empfahl deshalb eine Umstellung in den Ernährungsgewohnheiten schon in der Kindheit um Adipositas beim Erwachsenen verhindern zu können.

Eine englische Autorengruppe konnte jetzt anhand einer Untersu- chung an 107 normalgewichtigen und adipösen Versuchspersonen zeigen, daß die Bedeutung der „hy- perplastischen Adipositas" in der Li- teratur weit überschätzt und deren

Bei der Durchsicht der Krankenge- schichten von 2139 Patienten mit Blasenkrebs, die in den Jahren von 1944 bis 1975 am Anderson-Kran- kenhaus und Krebsinstitut behan- delt wurden, fanden die Untersucher 22 Patienten (etwa 1 Prozent) unter 40 Jahren. Diese Blasenkrebse wur- den nach den Richtlinien der Welt- gesundheitsorganisation (1) nach Tumorstadium und Grad der Diffe- renzierung klassifiziert.

19 der 22 Patienten waren Männer.

15 Patienten präsentierten sich mit Blasenbluten, die anderen mit Mi- krohämaturie und einer mit Reizbla- se. Von den 9 Patienten mit ober- flächlichem Stadium 0 oder A leben 8 sechs Monate bis 28 Jahre nach der Diagnose, ein Patient konnte nicht für die Nachuntersuchung ge- funden werden. Die restlichen 13 Patienten mit infiltrierendem Bla- senkrebs in oder durch den Blasen-

klinische Bedeutung überinterpre- tiert worden ist.

So zeigt diese neue Studie beispiels- weise, daß der Triglyzeridgehalt der Adipozyten eine sehr hohe Streu- breite hat. Ferner wurde beobachtet, daß die Anzahl der Fettzellen adipö- ser Patienten identisch war, ganz gleichgültig in welchem Alter und zu welchem Zeitpunkt die Adipositas erstmals auftrat.

Man kann davon ausgehen, daß das strikte Konzept der hyperplastischen Adipositas auf der einen und der hy- pertrophischen auf der anderen Sei- te doch äußerst fraglich und umstrit- ten ist. Als sicher kann jedoch gel- ten, daß eine Vermehrung von Adi- pozyten allein noch keine Adipositas ausmacht. Dem

Jung, R. T.; Gurr, M.I.; Robinson, M. P.; James, W. P. T.: Does adipocyte hypercellularity in obesity exist? British Medical Journal, Vol. 2 (1978) 319-321

muskel sind alle verstorben, davon 11 Patienten als direkte Folge des Blasenkrebses.

Diese Ergebnisse sprechen gegen Erfahrungen einiger anderer Auto- ren, daß sich Blasenkrebse bei jün- geren Patienten gutartiger verhal- ten. Die Autoren empfehlen daher, daß auch jüngere Patienten, beson- ders Männer mit Blasenblutung, Mi- krohämaturie oder persistenter Reizblase, urologisch untersucht werden. Bei Blasenkrebsbefund muß eine genaue Diagnose mit Sta- dium (Infiltrationstiefe und Differen- zierungsgrad) gestellt werden. Infil- trierende Tumoren müssen auch im jüngeren Lebensalter aggressiv be- handelt werden. Krh

Johnson, D. E.; Hills, 5.: Carcinoma of the bladder in patients less than 40 years old: J.

Urology 120 (1978) 172-173, Department of Urology, M. D. Anderson Hospital and Tumor Institute, Houston, Texas, USA.

Aufklärung Krebskranker

Der 'Begleiter ist zunächst nicht der kluge Ratgeber, der Fachmann in vielen Lebenslagen mit Informa- tionsvorsprung, oder ein Mensch, der Antworten auf alle Fragen weiß.

Er ist zunächst einer, der geduldig mitgeht und zuhört, ein Ort, wo Kla- gen nicht ungehört verhallen, son- dern verstehend und mitfühlend auf- genommen werden. Nur dort kann sich häufig die notwendige Trauer- arbeit eines Schwerkranken entfal- ten: im Aufbegehren gegen die en- ger werdenden Grenzen, im Aus- sprechen der Sehnsucht nach dem Verlorenen, in der Angst vor weite- ren Verlusten, in Schrecken davor, daß am Ende vielleicht gar nichts mehr übrig bleibt, im zugelassenen Neid auf die Gesunden, im Hadern, in der glimmenden Hoffnung, die nie verlöscht, und in der schrittweisen Anerkennung der Realität. Der wirk- liche Begleiter bringt den Schwer- kranken zur Erfahrung seiner eige- nen Stärke gerade in der Einmalig- keit seines Krankheitsprozesses und seines Sterbens. So bleibt der Kran- ke Subjekt seiner letzten Lebens- phase und wird nicht Objekt medizi- nischer Versuche der Lebensverlän- gerung um jeden Preis und aperso- naler religiöser Magie.

Wer einem Schwerkranken und Sterbenden zum wahrhaften Beglei- ter wird, kann selbst zu einem Zei- chen werden, durch das dem Kran- ken vielleicht eine entscheidende Transzendenzerfahrung möglich wird. In solchen Begegnungen kann gerade einem Kranken die Dimen- sion des Lebens aufgehen, die im Alten und im Neuen Testament als die Erfahrung des mitgehenden Got- tes beschrieben wird. Hier liegt die theologische Dimension des Beglei- ters, ja prinzipiell einer jeden Kom- munikation von Menschen in der Krise.

(1) Mayer-Scheu, J.: Der mitmenschliche Auf- trag am Sterbenden, Concilium 4 (1974) 286- 293 — (2) Mayer-Scheu, J., a.a.O. — (3) Plügge, H.: Über die Hoffnung, in: Sborowitz, A. Michel, E., Der leidende Mensch 1960. Mayer-Scheu, J., a.a.O. — (4) Mayer-Scheu, J., a.a.O.

Dr. Artur Reiner Klinikpfarrer

Albert-Mays-Straße 11 a 6900 Heidelberg

Fettzellhyperplasie bei Adipösen

Blasenkrebs bei Patienten unter 40 Jahren

160 Heft 3 vom 18. Januar 1979 DEUTSCHES PIR,ZTEBL ATT

Referenzen

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mit dergleichen Raumflucht, aus der die gleichen drei schematischen Menschen in unter- schiedlichen Größen heraussprinten, nur daß hier der Grau-Schwarzeinsatz einen